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1.2 Politik

Auch die agrarpolitischen Entscheidungen sind von den Diskussionen in der Energie- und Klimapolitik (siehe Kapitel 3 Biodiesel & Co.) beeinflusst. Angesichts spürbarer Klimaveränderungen und Extremwetterereignisse der vergangenen Jahre muss es auch Ziel der zukünftigen europäischen Agrarpolitik sein, die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Agrarsysteme zu stärken. Auch die Mittel des im vergangenen Jahr vereinbarten EU-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ zur Konjunkturbelebung waren an die Stärkung des grünen und digitalen Übergangs geknüpft worden. Daher gehörte die neue Grüne Architektur zu den wesentlichen Neuerungen der GAP-Vorschläge des damaligen EU-Agrarkommissars Phil Hogan im Juni 2018.

Abb. 3: Europäische Union: Entwicklung der Haushaltsstruktur 1993–2027

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Quelle: EU-Kommission © DBV-Situationsbericht 2021-Gr41-4

Einigung nach 3 Jahren

Drei Jahre nach Vorlage der Vorschläge und nach unzähligen politischen und technischen Verhandlungsrunden haben sich Europäisches Parlament, EU-Kommission und Mitgliedsstaaten am 25. Juni 2021 auf einen Rahmen zur Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) ab 2023 verständigt. Im Rückblick kann der ursprüngliche Zeitplan der EU-Kommission nur verwundern, noch vor der Europawahl 2019 eine Einigung erzielen zu wollen. Nun gelang der Kompromiss Ende Juni 2021. Neben vielen inhaltlichen Punkten kritisierten viele Beteiligte, dass der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, immer wieder in die Verhandlungen eingriff und forderte, die GAPReform „grüner“ zu gestalten. Auch das EU-Parlament wollte die Zahlungen lange Zeit noch stärker an Umweltleistungen ausrichten. Diese Diskussion setzte sich in Deutschland bis in die Agrar- und Umweltministerkonferenz hinein fort.

Wichtigste Inhalte  

Mit der Brüsseler Einigung wird der Systemwechsel hin zu mehr Umwelt- und Klimaschutz mit wirtschaftlichen Perspektiven für die LandwirtInnen und die ländlichen Räume bestätigt. Einige wichtige Punkte:

• Kernstück sind die EU-weit verpflichtenden Öko-Regelungen (Eco-Schemes), für die mindestens 25 % der Direktzahlungen reserviert werden müssen. • Mindestens 10 % der Direktzahlungen müssen zugunsten kleinerer Betriebe umverteilt werden. • Für die Unterstützung von JunglandwirtInnen wird ein neuer obligatorischer Mindestsatz von 3 % des Einkommensstützungsbudgets der Mitgliedsstaaten vorgesehen. • Kohärenz: Die nationalen GAP-Strategiepläne sollen im

Einklang mit dem European Green Deal, der Farm-to-Fork-

Strategie und der Biodiversitätsstrategie erstellt bzw. angepasst werden. • Konditionalität: Grundsätzlich sind an Wasserläufen 3 m breite Pufferstreifen ohne Pflanzenschutz- oder Düngemitteleinsatz einzurichten. Der Mindestanteil nichtproduktiver Flächen an der Ackerfläche wird auf 4 % festgelegt; unter bestimmten Voraussetzungen (u. a. Anbau von Zwischenfrüchten und Leguminosen für den Naturschutz) kann dieser auf 3 % verringert werden. • Mindestens 3 % der Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums werden Agrarumweltverpflichtungen zugewiesen, die Umwelt-, Klima- und Tierschutzmaßnahmen fördern.

Der DBV betonte in seiner Bewertung die deutlich stärkere Umweltorientierung der GAP bis 2027, wies aber auch auf die geringere Einkommenswirkung der Förderung hin (Absenkung der Basisprämie) und kritisiert das Mehr an Bürokratie für die Bäuerinnen und Bauern. Der Kompromiss sei aber dringend notwendig gewesen, um den Betrieben eine mittelfristige Planungsgrundlage für die Jahre 2023 bis 2027 zu ermöglichen.

Abb. 4: „Grüne Architektur“ der GAP – Gegenüberstellung

Die EU-Mitgliedsstaaten setzten sich im Trilog vor allem mit ihrer Forderung nach Flexibilität beim Mitteleinsatz in den Jahren 2023 und 2024 durch:

• 2023 und 2024 können ungenutzte Mittel zwischen 20 und 25 % flexibel für entkoppelte Direktzahlungen eingesetzt werden. • Ungenutzte Mittel unterhalb der Schwelle von 20 % müssen bis Ende der Förderperiode kompensatorisch eingesetzt werden, entweder durch stärkere Eco-

Schemes in der 1. Säule oder zweckgebunden zugunsten von Umwelt oder Klima in der 2. Säule, ansonsten droht ein Verlust dieser Mittel.

Nach der politischen Einigung erfolgt nun die technische Ausformulierung und juristische Prüfung des Kompromisses. Außerdem muss die EU-Kommission das durchführende bzw. auslegende EU-Recht – die sogenannten Delegierten Rechtsakte – vorlegen.

Abb. 5: Umweltorientierung in der GAP-Förderung –Projektion 2023

Quelle: DBV-Schätzung nach Angaben der EU-Kommission Juni 2018 © DBV-Situationsbericht 2021-Gr43-7

Deutschland geht in Vorleistung

Bundestag und Bundesrat hatten am 10. bzw. 25. Juni 2021 – also bereits vor der Einigung in Brüssel – die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung der GAP-Förderung ab dem Jahr 2023 in Deutschland geschaffen. Nach Abschluss der Trilog-Verhandlungen ist festzuhalten, dass die bereits verabschiedeten deutschen Regelungen nur wenig angepasst werden müssen. Hintergrund der Eile der parlamentarischen Beratungen ist, dass alle Mitgliedsstaaten die Entwürfe ihrer nationalen GAP-Strategiepläne für den Zeitraum 2023 bis 2027 bis spätestens Anfang 2022 zur Genehmigung bei der EU-Kommission einreichen müssen. Die Bundesregierung muss dabei einen einzigen Strategieplan für Deutschland vorlegen, der auch mit den 16 Bundesländern abgestimmt ist. Bis zur finalen Festlegung der nationalen Umsetzung der GAP sind also noch schwierige Verhandlungen zu erwarten, insbesondere zwischen Bund und Ländern.

Vielfältige Fruchtfolge

Aus UFOP-Sicht entscheidet die Ausgestaltung und finanzielle Ausstattung der einzelnen Eco-Schemes darüber, welche Rolle Körnerleguminosen in den zukünftig zu erweiternden Fruchtfolgesystemen einnehmen werden. Aufgrund ihrer zahlreichen positiven Wirkungen (u.a. erweitertes Angebot an Trachtpflanzen für blütenbesuchende Insekten in der Agrarlandschaft, Einsparung an Stickstoffdüngung) spricht sich die UFOP bereits seit Jahren dafür aus, die Einhaltung einer vielfältigen Fruchtfolge mit 10 % Leguminosen im Rahmen der Eco-Schemes der Direktzahlungen festzulegen. Dies würde die wirtschaftliche und ökologische Leistung der GAP verbessern und einen Beitrag leisten, den Herausforderungen des Klimaschutzes zu begegnen. Natürlich müssen dabei auch Wechselwirkungen mit bestehenden Agrar- und Umweltprogrammen der 2. Säule berücksichtigt werden.

Das BMEL hat angekündigt, die Entwürfe der nationalen GAPDurchführungsverordnungen erst dann vorzulegen, wenn die EU-Kommission im September 2021 die Entwürfe für die Delegierten Rechtsakte vorgelegt hat. Für Spannung ist also weiter gesorgt.

Farm to Fork: Folgenabschätzung und Außenschutz notwendig

Die EU-Kommission hatte im Zuge der Verhandlungen zur GAPReform betont, dass die nationalen GAP-Strategiepläne im Einklang mit den Zielen und Maßnahmen des European Green Deal stehen sollen. Immer wieder wurde versucht, die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie („vom Hof auf den Tisch“) als Teil des Green Deal mit der GAP-Reform zu verknüpfen, z.B. die Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50 % und die Ausweitung des ökologischen Anbaus auf 25 % bis zum Jahr 2030. Rein formal betrachtet sind Green Deal und Farmto-Fork-Strategie aber nur Strategiepapiere der EU-Kommission. Sie sind keine Rechtsakte und auch nicht Bestandteil der Legislativvorschläge zur GAP-Reform. Daher hatte das BMEL im Trilog gefordert, die in der Strategie enthaltenen Ziele in rechtsverbindliche Texte zu gießen. Die EU-Kommission hat jedoch mit der Prüfung und notwendigen Anerkennung der nationalen Strategiepläne ein scharfes Schwert in der Hand, auf die Umsetzung ihrer Vorstellungen zu pochen.

Die UFOP hatte bei Vorlage der Farm-to-Fork-Strategie kritisiert, dass die EU-Kommission nicht die gemeinsame Zielerreichung in den Mittelpunkt stelle, sondern die Landwirtschaft mehr oder weniger für Fehlentwicklungen in der Ernährung bis hin zur Nutzung des technischen Fortschritts im Ackerbau anprangere. Die UFOP begrüßte gleichzeitig, dass die Kommission durch mehr Transparenz und Regionalität eine engere Verbraucherbindung schaffen will. Größter Kritikpunkt vieler Verbände und Organisationen war jedoch, dass die Kommission keine Folgenabschätzung ihrer Vorschläge vorgenommen hat. Zwischenzeitlich liegen verschiedene Studien und Bewertungen mehrerer Organisationen vor, die zu einem Ergebnis kommen: Sollten Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie umgesetzt werden, sinkt die Produktivität des europäischen Ackerbaus nachhaltig. Dies kann nur mit einem Anstieg der Erzeugerpreise zur Kompensation geringerer Erträge und höherer Aufwendungen für den Pflanzenschutz einhergehen. Sollten die pauschalen

Reduktionsvorschläge trotz aller kritischen Hinweise umgesetzt werden, ist die Einführung eines wirksamen „Außenschutzes“ zudem zwingende Voraussetzung. Ansonsten wird das Ambitionsniveau der EU durch Importe aus Drittstaaten unterlaufen.

Zukunftskommission Landwirtschaft

Am 6. Juli 2021 hat der Vorsitzende der von der Bundesregierung eingesetzten Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), Prof. Peter Strohschneider, den Abschlussbericht an Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben. Der Bericht wurde in einem mehrmonatigen, vertraulichen Dialogprozess abgestimmt. Er enthält viele Empfehlungen und Anregungen für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik sowie zu verschiedenen Aspekten des Agrar- und Ernährungssystems. Die ZKL beschreibt Entwicklungspfade, mit denen die Risiken der bevorstehenden notwendigen Transformation des Sektors beherrschbar und planbarer gemacht werden sollen. Gleichzeitig soll die Akzeptanz insbesondere auch aufseiten der Landwirtschaft für die notwendigen Prozesse verbessert werden. Im Kern soll die ökologische Nachhaltigkeit des Agrar- und Ernährungssystems deutlich verbessert und seine ökonomische Tragfähigkeit dauerhaft gesichert werden. Dazu werden die VerbraucherInnen über höhere Preise und die SteuerzahlerInnen mit entsprechenden Förderprogrammen beitragen müssen. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch um Produktionsverlagerungen in europäische wie außereuropäische Regionen mit geringeren ökologischen und sozialen Standards entgegenzuwirken.

Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft

Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (erschienen Juni 2021)

Ziel ist ein Markt für nachhaltige Lebensmittel

Insgesamt kalkuliert die ZKL für die Transformation des Agrarsektors hin zu mehr Nachhaltigkeit einen Finanzbedarf von 5 bis 8 Mrd. EUR pro Jahr. Darin einbezogen sind die heutigen Mittel für die GAP und die nationale Agrarförderung. Sie erwartet, dass diese Kosten sinken, je weiter die Transformation der Landwirtschaft voranschreitet. Als Beispiel wird eine Entlastung des Gesundheitswesens aufgrund einer gesünderen Ernährung angeführt. Eine Schlüsselrolle bei diesem Prozess kommt der Entwicklung eines funktionierenden Marktes für nachhaltige Lebensmittel zu.

Ackerbaustrategie des Bundes in der Warteschleife

Ein weiterer Kritikpunkt des ZKL-Berichts ist das Fehlen eines integrierenden und orientierenden Leitbildes sowie eines konsistenten bundesrechtlichen Rahmens. Stattdessen würden zunehmend Strategien der Exekutive vorgelegt, z. B. der Green Deal der EU-Kommission oder die Ackerbaustrategie und das Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesregierung. Die ZKL empfiehlt daher, die Maßnahmen der Agrar- und Umweltpolitik sowohl horizontal als auch vertikal besser zu integrieren.

Auch die Ackerbaustrategie 2035 des Bundes muss daher in die Rechtsetzung überführt werden. Die UFOP hatte die Vorlage des Diskussionspapiers durch das BMEL ausdrücklich begrüßt, verbunden mit dem Ziel, eine innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Ackerbaustrategie vorzulegen. Leider ist eine Verständigung zwischen den zuständigen Bundesministerien für Landwirtschaft bzw. Umwelt bis heute (Stand: August 2021) nicht gelungen. Dabei steht der Ackerbau vor enormen Herausforderungen. Auch wenn die deutschen LandwirtInnen seit vielen Jahren Aktivitäten zur Optimierung des Ackerbaus umsetzen und eine hohe Bereitschaft zur Umsetzung freiwilliger Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zeigen, haben die vergangenen Jahre den Handlungsbedarf in Bezug auf die klimatischen Veränderungen klar aufgezeigt. Darüber hinaus schränken gesetzgeberische Vorgaben und gesellschaftliche Forderungen die Verfügbarkeit von Produktionsmitteln zunehmend ein.

Die UFOP hat sich in einer fachlich fundierten Stellungnahme im Bereich Pflanzenschutz dafür eingesetzt, klare Akzente zur Förderung der Entwicklung alternativer Verfahren sowie einer zeitnahen Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel zu setzen. Auch innovative Verfahren der Mittelausbringung können zur Reduktion von Pflanzenschutzmaßnahmen beitragen. Dazu gehören die fungizide und insektizide Saatgutbeizung in zertifizierten Beizanlagen, aber auch die Rapsblütenbehandlung mittels Dropleg-Technologie.

Es bleibt zu hoffen, dass der ZKL-Bericht einen Anstoß dazu liefert, dass die künftige Bundesregierung weniger Strategiepapiere und mehr abgestimmte und in sich konsistente Rechtstexte vorlegen wird. Dies würde zu mehr Planungssicherheit für landwirtschaftliche Betriebe führen und könnte die ein oder andere öffentliche Debatte zurück auf ein fachlich sachliches Niveau führen.

Aktionsprogramm Insektenschutz

Neben der Reform der GAP hat kaum ein anderes Gesetzgebungsvorhaben die Diskussion in der Landwirtschaft, aber auch in der Öffentlichkeit bestimmt wie das Insektenschutzgesetz bzw. das Aktionsprogramm Insektenschutz (API). Auch hier hat das schwierige Verhältnis der beiden zuständigen Bundesministerien nicht gerade zu einer Versachlichung der Diskussion beigetragen. Im Ergebnis wurden mit dem Insektenschutzgesetz (bzw. der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes) und der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung Regelungen beschlossen, die auch öffentlich eingefordert wurden. Viele Betriebe befürchteten, dass durch diese Vorschriften die Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Produktion in bereits bestehenden Schutzgebieten weiter eingeschränkt werden. Aus Sicht des Berufsstandes ist es daher zu begrüßen, dass in den kommenden Jahren zunächst auf kooperative Modelle gesetzt werden soll wie dem „Niedersächsischen Weg“. Die Wirksamkeit dieser Modelle bzw. die Beteiligung der Betriebe an diesen Kooperationen wird darüber entscheiden, ob nicht doch noch weitere Maßnahmen gesetzgeberisch vorgegeben werden. Außerdem werden erhebliche Mittel bereitgestellt, um Einschränkungen der Bewirtschaftung durch Insektenschutzmaßnahmen auszugleichen.

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