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„Die Leute wollen den Sex der Jagd! Und das Gefühl, die Ware nicht überall bekommen zu können.“ Marco Lanowy So weiß ich innerhalb von Sekunden, wer wo meine Ware verkauft. Und gewisse Dinge akzeptieren wir einfach nicht. Affiliate Marketing (internetbasierter Vertrieb mit Kooperationspartnern, Anm. d. Red.) machen wir nicht. Kein Ebay. Und es gibt eine Preisbindung. Jürgen: Und wenn der Kunde keine andere Möglichkeit hat, als die Ware bei Ebay reinzustellen… Jan: … dann ist er nicht mein richtiger Kunde! Jürgen: Aber der richtige Weg ist doch, dass der Händler zuerst auf Sie zukommt, um sein Problem mit einem Produkt anzusprechen. Nehmen Sie die Ware dann zurück? Jan: Ja! Da finden wir immer eine Lösung! Nicoletta: Tim Brückmann, für Sie kommen Onlineshops wie Buyvip auch nicht in Frage? Tim: Im Ausnahmefall doch! Wir machen mit Buyvip jetzt eine Aktion, um die Marke bekann-

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ter zu machen, aber mit Styles, die es nur dort gibt. Wir wollen die Einzelhändler nicht verärgern, sie sind für uns, die wir eine junge Marke aufbauen wollen, die wichtigsten Partner. Ilya: Es ist auch immer die Frage, wie aktuell die Ware ist. Stammt sie aus der Vorsaison, hängt sie nicht mehr im Einzelhandel, somit steht einer Kooperation mit Brands4Friends oder anderen eigentlich nichts im Weg. Nicoletta: Onlineshops boomen. Vente Privée hat allein in Deutschland über 170 Partnermarken. Wie kommen diese Anbieter auf die Marken zu? Marco: Sie fragen nach Restanten, die sie über ihre Portale vermarkten möchten. Wir haben aber die geforderten Mengen nicht. Wenn ich sehe, wie oft welche Marken dort erscheinen, frage ich mich immer, wo die Firmen die ganze Ware herholen. Jan: Wir haben wenige Anfragen dieser Art, weil die informierten Einkäufer wissen, dass Stüssy dafür nichts freigibt. Aber ich habe bei anderen Produkten erlebt, dass den Brands angeboten wird, gewisse Stückzahlen schon mit in die Vororder zu nehmen. So ist die Ware parallel zur Hauptauslieferung bereits im Outlet zu haben.

Nicoletta: Ilya Morgan, wollen Onlineshops von Ihren Kollektionen auch im Voraus große Stückzahlen produzieren lassen? Ilya: Ja, zum kleinen Teil. Wir haben in Deutschland einige Onlinekunden von Zalando über Kolibri bis hin zu Frontline, die wir eigentlich genauso behandeln wie klassische Retailer. Wir machen hin und wieder einzelne Marketingaktionen, wie aktuell mit Zalando. Aber wir würden einem Onlineshop keine Ware bieten, die wir noch nicht an den Handel geliefert haben. Nicoletta: Gibt es den Fall, dass ein Händler nachordern wollte, aber der Vertrieb nichts mehr liefern konnte – und dann taucht die gewünschte Ware dennoch bei Buyvip auf? Tim: Das ist manchmal so. Wenn der spanische Vertreter, Exporteur, Importeur für die Marke zustimmt und fragt, ob er bei den jeweiligen Shopping Clubs den Haken auch für Deutschland setzen darf. Dann wird seine Ware automatisch für den deutschen Markt mit angeboten. Nicoletta: Ist es immer ein Verlustgeschäft, übers Internet Restware loszuwerden? Ilya: Brands4friends und Co. bekommen immerhin einen ziemlich großen Rabatt auf den EK. Wir haben als Importeur eine unglaublich kleine Marge, deswegen ist das für uns mehr oder weniger eine Nullnummer oder ein Verlustgeschäft. Marco: Der Endverbraucher glaubt ja immer noch, dass man im Handel an reduzierter Ware gutes Geld verdient. Jürgen: Oh ja! Sehr oft sogar! Marco: Die Zeiten sind vorbei, in denen es ei-

„Das Problem mit Restanten wird größer, wenn ich Wachstumsfetischist bin. Wenn ich 20 Bälle hoch werfe, aber nur zwei Hände habe, werden 18 Bälle herunterfallen.“ Marco Lanowy

Alberto-Geschäftsführer Marco Lanowy hat mit ADenim eine authentische Jeanskollektion lanciert.

Jürgen Walther führt den Streetwearstore Strike in Siegen sowie Le Shop in Köln und Bonn.

nen Schlussverkauf gab und die Leute Schlange standen. Das hat sich jetzt in Richtung online verlagert. Wenn Vente Privée die Rabattaktion von 70 Prozent auf Marke XY startet, spielt dort der Server verrückt. Die Leute wollen den Sex der Jagd! Und das Gefühl, die Ware nicht überall bekommen zu können. Nicoletta: Zum Thema richtige Ware zur richtigen Zeit: Stimmen am PoS die Lieferrhythmen? Ist die Ware rechtzeitig im Laden? Jürgen: Meiner Meinung nach schon. Teilweise kommt sie zu früh mit Shorts im Januar. Marco: Früher hieß der Liefertermin Januar bis März. Heute lieferst du auf den Tag genau. Ilya: Und diese Entwicklung ist spannend! Was die Großen wie Zara vorgemacht haben, bieten wir jetzt auch mit zwei, drei Marken an, die bis zu acht Kollektionen jährlich liefern können. So kann man dem Kunden jeden Monat etwas anbieten, vom Basic-Programm bis zum Expressprogramm. Jürgen: Aber will das der Kunde wirklich? Ilya: Bis dato habe ich damit nur die besten Erfahrungen gemacht. Weil viele kleine Kunden die Marke sinnvoll schreiben wollen, aber noch kein großes Budget haben. Sie ordern dann erstmal nur eine Expresskollektion, um zu sehen, wie es läuft. Jürgen: Aber will sich der Handel achtmal im Jahr mit den Kollektionen auseinandersetzen? Bei drei Lieferanten mit je acht Kollektionen kann man sich schnell überordern. Es ist ja auch eine Zeitfrage, schließlich muss ich im Geschäft sein und mich noch um andere Dinge kümmern. Ilya: Aber zwei Hauptkollektionen haben vor zehn Jahren funktioniert, vielleicht auch noch vor sechs Jahren. Heute wollen die Händler ihre Kunden entertainen und die Möglichkeit haben, alle zwei Wochen ein neues Schaufenster zu zeigen. Nicoletta: Kann das Internet besser unterhalten? Und ist es die Zukunft des Handels? Tim: Viele Einzelhändler schießen blind einen Internetshop heraus und versprechen sich davon, dass es dann ordentlich losgeht. Aber so einfach ist es nicht. Es gibt Markenprofis im Internet, die wahnsinnig viel Geld ausgeben,

um einen gewissen Traffic zu haben. Esprit und andere große Hersteller haben allein für Retourenabwicklung oft mehr als 35 Mitarbeiter, ein Aufwand, den man sich leisten können muss. Jürgen: Aber die Frage ist ja, warum der stationäre Einzelhandel trotz hoher Wachstumsraten im Onlinegeschäft überhaupt noch funktioniert? Tim: Ich glaube, dass ein guter Einzelhändler deshalb gut ist, weil er seine Stammkunden individuell bedienen kann. Er weiß genau, was welcher Stammkunde will. Ilya: Der stationäre Handel funktioniert zwar in den großen Städten, vielleicht auch noch in den etwas kleineren mit über 100.000 Einwohnern. Nur auf der grünen Wiese suchen Konsumenten oft vergeblich nach hochmodischen Marken; dort erreichen Onlineversender ihre Kundschaft. Jan: Ich glaube, dass wir gerade beim Onlinehandel noch am Anfang stehen. Da kommt noch viel mehr auf uns zu, weil der Endkonsument erst jetzt richtig Vertrauen gefasst hat. Der traut sich auch mal, mit Kreditkarte zu zahlen, und hat keine Angst mehr vor PayPal. Marco: Der Erfolg von Onlineshopping hat darüber hinaus etwas mit Verfügbarkeit zu tun. Wenn ich heute in die Stadt fahre und einen

dunkelblauen, modischen, eng geschnittenen Blazer suche und den nirgendwo finde, dann gehe ich zu Stylebop oder zu herrenausstatter.de. Und die Mutti, die mit ihren Kindern nicht in die Stadt will, kauft sich ihre 7 For All Mankind Jeans bequem am Computer. Jürgen: Wie ist denn bei Alberto das Verhältnis zwischen Online- und stationärem Handel? 39 Wohin geht die Entwicklung? Marco: Mit dem stationären Einzelhändler sind wir gestartet und mit ihm wachsen wir auch weiter. Der Einzelhändler ist viel mehr selber Marke, als er glaubt. Warum entstehen denn Newsletter und Co. im Netz? Um eine persönliche Ansprache wie im Laden hinzubekommen! Wir sind eine Branche, die über den Bauch kauft. Und das werden wir nie ablegen! Das Internet ist ein weiteres Geschäft, so wie wenn in Düsseldorf ein weiterer Laden aufgemacht wird. Und überall gibt es entweder die Konsummeilen oder kleine Trüffelschweinläden. Und da sind wir wieder bei dem Sex der Jagd. Von dem, was es im Überfluss gibt, wird sich der Konsument irgendwann abwenden. Irgendwann ist der Markt gesättigt und dann kommt das nächste. Ilya: Was für ein schönes Schlusswort!

„Ich würde mir wünschen, dass die Vertreter auch in der Saison aktiver werden! Wenn das Ordergeschäft abgeschlossen ist, tritt erstmal eine gewisse Ruhe ein.“ Jürgen Walther


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