turi2 edition #9, TV Totale Vielfalt. Faszination Bewegtbildwelt.

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Faszination Bewegtbild


Danke! Wir danken den Partnern von turi2 für ihre Unterstützung unserer publizistischen Arbeit. Adobe ARD-Werbung Sales & Services Bauer Media Group Bertelsmann Bosch Coca-Cola

Was ist die „turi2 edition“? Die „turi2 edition“ ist ein gedrucktes Plädoyer für Qualität. Sie liefert Meinungsmachern aus Medien, Wirtschaft und Politik Inspiration und Innovation. Optik, Haptik, Tiefe und die Verknüpfung mit Videos und Veranstaltungen zeichnen die Buchreihe aus. 2016 wurde die „turi2 edition“ mit dem Bayerischen Printmedienpreis ausgezeichnet

Daimler Deloitte Deutsche Bahn Deutsche Post DHL Group DFL Die Zeit

Die Macher Verleger Peter Turi startete die „turi2 edition“ 2015 Art Directorin Lea-Maria Kut gibt den Ideen eine Gestalt

Flyeralarm Funke Mediengruppe Google Gruner + Jahr Handelsblatt Media Group Horizont Hubert Burda Media Media Control Media Impact Mediengruppe RTL Deutschland Olympia-Verlag Opel Automobile

Chefredakteur Markus Trantow trägt die Verantwortung Vize Anne-Nikolin Hagemann fährt mit Trantow Tandem Textchefin Anne Fischer findet jeden Fehler Creative Director Uwe C. Beyer ist unser Oberauge Fotochef Johannes Arlt definiert die Bildsprache

Otterbach Prisma ProSiebenSat.1 Media RTL Group Sappi Schleunungdruck Score Media Group SevenOne Media Sport1 Tele 5 VDZ Verband Deutscher Zeitschriftenverleger Welt WirtschaftsWoche Wort & Bild Verlag ZDF Zweites Deutsches Fernsehen

Videochef Jens Twiehaus macht aus Print turi2.tv Verlagsleiterin Heike Reuther sorgt fürs Live-Programm Verlagsleiterin Sarah Risch holt das Geld rein






ÂťMit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigernÂŤ Riet Hollywood-Studioboss Samuel Goldwyn seinen Drehbuchautoren


turi2 edition Inspiration für Entscheider aus Medien, Wirtschaft und Politik Ausgabe 9, 2019, 20,- Euro ISBN 978-3-9819155-4-9 ISSN 2366-2131 Verlag turi2 GmbH Alwinenstraße 23a, 65189 Wiesbaden Telefon 0611/3609 5480; edition@turi2.de turi2.de/edition Verleger Peter Turi Chefredaktion Markus Trantow, Anne-Nikolin Hagemann (Stv.) Art Directorin Lea-Maria Kut Creative Director Uwe C. Beyer Fotochef und Erster Fotograf Johannes Arlt Fotografen Gaby Gerster, Anne-Nikolin Hagemann, Selina Pfrüner, Marcel Schwickerath, Holger Talinski Videochef Jens Twiehaus Videos Björn Czieslik, Maria Gramsch, Anne-Nikolin Hagemann, Daniel Henschel, Markus Trantow Autoren Björn Czieslik, Anne Fischer, Maria Gramsch, Tatjana Kerschbaumer, Heike Reuther, Dirk Stascheit, Jens Twiehaus, Peter Turi Gastautor Imre Grimm Lektorat Anne Fischer Verlagsleiterinnen Sarah Risch (Print & Digital) Heike Reuther (TV & Live) Mediadaten turi2.de/media Abonnements turi2.de/abo Druck Schleunung Martkheidenfeld, schleunung.com Lithografie Otterbach Medien, Rastatt/Hamburg, otterbach.de


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ehmen Sie Platz und wärmen Sie sich: Es brennen noch Lagerfeuer der Bewegtbild-Unterhaltung. Kleiner zwar, aber vielfältiger, bunter. Im TV, im Internet, auf den Handys. Geschürt von alten Hasen, jungen Wilden und großen Marken. Auch die „turi2 edition“ #9 ist lagerfeuertauglich. Nicht, weil Papier so gut brennt. Sondern weil es dieses Buch auch als Film gibt. Also: Chips bereitstellen, QR-Code scannen und losgucken. Und anschließend bitte zwei Stunden gedruckte Inspiration genießen.

Foto: Johannes Arlt

Herzlichst Ihr Editions-Team Markus, Anne-Nikolin & Jens

Der Film zum Buch turi2.de/9derfilm


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Inhalt 12

Das bewegte Buch: Videos und Podcasts aus der Bewegtbildwelt

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Bingo! 16 Sätze, die beim Fernsehen fallen

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Reportage: Digitale Gladiatoren

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Essay von Imre Grimm: Die Erlebnismaschine Fernsehen stottert – was kommt jetzt?

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Reportage: Drei Welten der „Welt“

Bewegtbild in Zahlen 36 56 74

Fernseh-Nutzung YouTube & Co TV-Werbung

Gespräche übers Fernsehen 38 46 54 64 102 120 132

Peter Kloeppel über Ferkel und Fernsehen Lisa Altmeier über Journalismus für die Jugend Kloeppel und Altmeier im Generationen-Talk Frank Elstner über sein Leben im Rampenlicht Mirco Völker über Video-Werbung im Wandel Nico Hofmann über seine Liebe zur Leinwand Laura Karasek über Klischees und Kritiker

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TV & Marke: Erfolg mit bewegten Bildern

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Otto Group Deutsche Telekom BMW Mercedes R+V Versicherung AG


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16 Köpfe Charlotte Maihoff, Moderatorin Dirk Steffens, Naturfilmer Juliane Leopold, Digital-Chefredakteurin Rainer Maria Schießler, Fernseh-Pfarrer Birgit Nössing, Sportjournalistin Till Uhrig, Video-Werber Sascha Heyna, QVC-Televerkäufer Ute Biernat, Show-Produzentin Markus Osthaus, TV-Produzent Nadine Bilke, Senderchefin ZDFneo Thomas Markert, Visual Designer Thomas de Buhr, Sport-Streaming-Chef Daniel Rosemann, Senderchef ProSieben Kerstin Niederauer-Kopf, Videoforscherin Evelyn Burdecki, Reality-Sternchen Fynn Kliemann, Tausendsassa

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10 Trends Krieg der Streame Hochkant-Videos bei „Bild“ „rtv“ & „Prisma“ – TV-Gewinner Wie RTL Videos verifiziert TikTok, die große Playback-Show Kinder-TV: So jung und treu Fairfickt: Pornos ohne Schmuddel ZDF-Mediathek: Auf Abruf Nischen-TV: Exoten im Aufwind Twitch: Zocken & Zusehen


Das bewegte Buch Kostenloses Plus: turi2.tv hat viele Protagonisten dieses Buchs mit der Videokamera besucht – für Interviews, Reportagen und Features Alle Plus-Inhalte: turi2.de/edition9plus

Interview & Podcast Für Auge und/oder Ohr

Live Unsere Launchpartys

Reportagen & Features Auf den Spuren unserer Protagonisten

Peter Kloeppel turi2.de/edition/kloeppel

RTL, Köln turi2.de/edition/koeln

Ein Tag beim E-Sport turi2.de/edition/e-sports

Lisa Altmeier turi2.de/edition/altmeier

ProSiebenSat.1, München turi2.de/edition/muenchen

Kloeppel vs. Altmeier – Generationenfragen turi2.de/edition/2generationen

Jens Thiemer turi2.de/edition/thiemer

Firmenfernsehen und Mitarbeiter-App bei Otto turi2.de/edition/otto

Frank Elstner turi2.de/edition/elstner Michael Schuld turi2.de/edition/schuld Mirco Völker turi2.de/edition/voelker

Damir Maric turi2.de/edition/maric Hermann-Josef Knipper turi2.de/edition/knipper

Nico Hofmann turi2.de/edition/hofmann

Anja Stolz turi2.de/edition/stolz

Laura Karasek turi2.de/edition/karasek

Nadine Bilke turi2.de/edition/bilke

Thomas Voigt turi2.de/edition/voigt

Daniel Rosemann turi2.de/edition/rosemann

„Welt“ – eine Marke, drei Kanäle turi2.de/edition/welt Vertical Video bei „Bild“ turi2.de/edition/bild 5 Tipps für bessere Erklärvideos turi2.de/edition/uhrig Fynn Kliemann – der Heimwerkerkönig turi2.de/edition/kliemann

TV-Fragebogen 29 Protagonisten plus einige Gäste unserer beiden Launchpartys haben den TV-Fragebogen beantwortet. Zu finden unter turi2.de/fragebogen9 1. Als Kind war mein großes Vorbild im Fernsehen ... 2. Diese Werbung hat mich beeindruckt ... 3. Diesen TV-Moment werde ich nie vergessen ... 4. Heute gucke ich am liebsten ... 5. Das ist noch schöner als ein gemütlicher Fernsehabend ... 6. Ein Film über mein Leben hätte den Titel ... 7. Die Hauptrolle spielen sollte dabei ... Peter Kloeppel, Lisa Altmeier, Frank Elstner, Sarah Al-Dujaili, Thomas Voigt, Alexander Wiegand, Michael Schuld, Jens Thiemer, Damir Maric, Hermann-Josef Knipper, Anja Stolz, Mirco Völker, Tatjana Ohm, Robin Alexander, Nico Hofmann, Laura Karasek, Charlotte Maihoff, Dirk Steffens, Juliane Leopold, Rainer Maria Schießler, Christina Esser, Birgit Nössing, Till Uhrig, Sascha Heyna, Markus Osthaus, Nadine Bilke, Daniel Rosemann, Kerstin Niederauer-Kopf, Fynn Kliemann

Der Film zum Buch turi2.de/9derfilm


Fynn Kliemann Seite 184

Laura Karasek Seite 132

Fotos: Johannes Arlt (1), Gaby Gerster (2), Selina Pfruner (2)

Peter Kloeppel Seite 38

Lisa Altmeier Seite 46

Frank Elstner Seite 64


Wir arbeiten nach einem natßrlichen Prinzip: Gegenwind aushalten. Unabhängiger Journalismus im ZDF



BULLSHIT-BINGO

Sätze, die beim Fernsehen fallen 16 Sätze, ohne die weder die alte noch die neue Bewegtbildwelt auskommen. Wenn Sie vier Kreuzchen in einer Reihe haben, dürfen Sie laut „Bingo“ rufen Von Dirk Stascheit (Text)

Dieser Beitrag steht Ihnen aus rechtlichen Gründen leider nicht zur Verfügung

Ich habe heute leider kein Foto für dich

Nur noch eine Folge

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker

Seit wann der tot ist, kann ich erst nach der Obduktion sagen

Guck mal nach, ob der Router blinkt

Und für diesen Unfug zahle ich Gebühren

Schreibt mir eure Erfahrungen in die Kommentare und gebt mir einen Daumen hoch!

Also wir schauen ja schon lange kein Fernsehen mehr

Wo ist die verdammte Fernbedienung?

Bitte nicht spoilern, ich bin erst bei Folge zwei

Raschel doch nicht so mit den Chips!

Die nachfolgende Sendung ist für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet

Hey Rezo, du alter Zerstörer

Komm runter vom Klo, Werbung ist aus!

Sei still, Julian! Bibi entschuldigt sich gerade wieder bei ihren Fans

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WIR STREAMEN, WORÜBER DEUTSCHLAND SPRICHT. Über 600 Originals der Mediengruppe RTL Deutschland warten auf dich. Nur bei TVNOW.


Digitale Gladiatoren Roter Teppich fßr die neuen Helden des Bildschirms – die besten Computerspieler messen sich vor Tausenden begeisterten Fans. Ein Gemeinschaftserlebnis der besonderen Art Von Holger Talinski (Fotos) und Anne-Nikolin Hagemann (Text)


Durch diese hohle Gasse müssen sie kommen: 15.000 Zuschauer warten in der Kölner Lanxess-Arena auf die besten CounterStrike-Spieler der Welt. Gleich beginnt das Finale der ESL One, dem „Wimbledon des Counter-Strike“, wie es der Veranstalter nennt


Mit Bildschirm auf der Bühne: Zwei Teams mit je fünf Spielern treten pro Begegnung gegeneinander an. Gespielt wird „Counter-Strike: Global Offensive“, ein sogenannter „Taktik-Shooter“: Ein Team platziert eine Bombe in der virtuellen Welt, das andere muss das verhindern – mit digitaler Waffengewalt. Die Fans feiern weniger das Gemetzel als schlaue Spielzüge und schnelle Reaktionen. Das schlaucht. Die meisten Spieler sind unter 30, viele unter 25. Ältere können kaum mithalten



Freud und Leid, Euphorie und Verzweiflung liegen eng beieinander, wenn die Fans aus 61 Ländern ihre Teams anfeuern. Die Fans sind jung, bunt, laut, fantasievoll verkleidet – und immer friedlich: Gewaltbereite Ultras, getrennte Blöcke oder Bengalos wie beim Fußball gibt es hier nicht

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Ein Journalist verfolgt wie viele seiner Kollegen das Geschehen in der Halle per Livestream aus dem Presseraum. Hier ist es ruhiger als drinnen, wo das Publikum jeden digitalen „Kill“ lauthals feiert und jede Regung der Spieler auf der Bühne hundertfach vergrößert auf den Bildschirmen beobachtet


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Verzückte Besucherinnen: Rund um die Halle kommen Fans ihren Stars nahe. Einige kaufen trotzdem die „Global Elite Experience“, das Luxusticket für fünf Personen: 3.495 Euro für drei Tage Privat-Lounge mit Catering, exklusiver BackstageTour und einem Platz in der ersten Reihe bei allen Autogrammstunden. Frauen stehen bei der ESL One eher in der zweiten: im Publikum viele, in den Teams auf der Bühne keine einzige. Obwohl das Turnier offen für alle Geschlechter ist



Wir sind eins: Das Motto der ESL One hat sich dieser Fan auf die Haut sprühen lassen. Inklusive schussbereiter Spielfiguren. Die Electronic Sports League wird im Jahr 2000 gegründet und für die ersten Turniere mit 20 Mann in einem Kölner Internetcafé noch belächelt. Heute richtet die ESL internationale Turniere in mehr als 50 verschiedenen Computerspielen aus. Nicht alle finden in großen Arenen statt – manche sind auch rein virtuell


Selfie mit dem Idol: Wenn ein DHL-Bote Begeisterung auslöst, muss er ein E-SportStar sein. Der junge Mann mit Bart heißt Jaroslaw Jarzabkowski und ist besser bekannt als Counter-StrikeProfi pashaBiceps. Er ist Markenbotschafter für den Paketdienst. Gleich wird er ins Mikro rufen: „You’re not my friends, you’re my brothers“ – und die Halle damit zum Toben bringen. Sponsor DHL wird im ESport für seine Kampagnen gefeiert

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Das Counter-Strike-Event im Video turi2.de/edition/e-sports

Am frühen Sonntagabend sind alle Beteiligten erschöpft – aber glücklich. Das Turnier ist nach sechs Tagen vorbei. Die ESL One endet mit dem finalen Kampf David gegen Goliath. Goliath gewinnt: Team Liquid, Erstplatzierter der Weltrangliste, schlägt Publikumsliebling und Underdog Team Vitality nach mehr als fünf Stunden Geballer. Damit sichern sich die fünf Spieler, ihre Trainer und Betreuer 115.000 Dollar Preisgeld. Und eine zusätzliche Prämie von 1.000.000 Dollar dafür, dass sie vier Turniere in Folge gewonnen haben. Millionen Fans haben den Kampf per Livestream verfolgt

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Die wollen nur spielen

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ald ist Finale. Längst hat es alle Zuschauer aus ihren Sitzen gerissen, Smartphones strahlen in die Höhe wie Feuerzeuge. „ARE YOU READY?“, brüllt der Moderator, man hört die Großbuchstaben. Eine rhetorische Frage. Die Halle kocht längst. Ready ist auch Florian Merz. Das Gefühl gerade, sagt er, kennt man als Sportfan: „Das ist die gleiche Euphorie, die man im Fußballstadion spürt, wenn man sein Team anfeuert.“ Merz ist verantwortlich für alles, was bei Sport1 zum Thema E-Sport läuft, von der ESL One berichtet er als Videojournalist, Experte und LiveReporter in einer Person. Der Münchner Sportsender ist der erste, der dem E-Sport einen eigenen 24-StundenKanal im Pay-TV gewidmet hat. Man habe da eine Lücke geschlossen, heißt es von Sport1: E-Sport wird noch hauptsächlich im Livestream per Twitch oder YouTube verfolgt, ohne Zusammenfassung oder Einordnung. Journalisten wie Merz sollen das ändern. Bevor die Spieler die Halle betreten, blicken sie mit ernstem Blick auf die Zuschauer. Auf unzähligen Bildschirmen auf verschiedene Formate vergrößert setzen sie sich mit heroischem Atemholen die Kopfhörer auf, dazu Musik wie aus einem Bruce-Willis-Film. Dann marschieren sie ein, geschrumpft auf Lebensgröße, ein bisschen blass manche, nahbar statt heroisch. Grinsen den Fans zu, winken, high-fiven sich durch lange Spaliere aus Händen. Bei Team Liquid, dem Favoriten, ist der Applaus vielleicht ein klein wenig leiser als bei Team Vitality, dem Publikumsliebling. Aber das ist schwer zu sagen, denn in beiden Fällen ist er ohrenbetäubend. In den Tagen zuvor hat man die Profis immer wieder auch abseits des Backstage getroffen. Kennt man ihre Gesichter nicht, könnte man sie auch für Fans im Trikot der Lieblingsmannschaft halten. Florian Merz vergleicht das wieder mit dem Profi-Fußball: „Man stelle sich mal vor: Manuel Neuer läuft über den Marienplatz oder Mats Hummels durch die Dortmunder Innenstadt. Fans und Spieler sind im E-Sport einfach entspannter.“ Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Profis auch dem E-Sport ihr Leben widmen, eingebettet in professionelle Strukturen: Mehrere Stunden Training täglich vor dem Rechner, dazu Ausgleichssport und Ernährungspläne. Es gibt Trainer, Mental Coaches, Funktionäre, Manager. Internationale Turniere wie dieses, Weltranglisten, Ligen. Längst schicken auch Fußballclubs wie Schalke 04 oder der VfL Wolfsburg eigene Teams auf die virtuellen Spielfelder. Die meisten Profis verdienen den Großteil ihres Geldes mit Streaming und Merchandise. Auch nach Ende der aktiven Karriere profitieren sie davon, wenn sie Moderatoren, Kommentatoren, Trainer oder Berater werden. Inzwischen haben auch große Marken das Potential des E-Sports entdeckt. Intel, Mercedes, Tchibo, DHL, Warsteiner und viele andere investieren in Sponsoring

»Das ist die gleiche Euphorie, die man im Fußballstadion spürt, wenn man sein Team anfeuert« und Kampagnen. Und werden, wenn sie es richtig machen, in der Szene gefeiert. Für viele Fans bedeutet Werbung auch: E-Sport ist angekommen in der öffentlichen Wahrnehmung, wird nicht mehr belächelt als Hobby dicker Kinder im Keller von Mama. Die Spieler auf der Bühne blinzeln kaum, murmeln ins Headset, lassen sich weder ablenken vom Raunen des Publikums, noch vom aufgeregten Kommentator. Haben sie einen Treffer gelandet und einen Gegner niedergestreckt, muss kurz die Emotion raus, in einer geballten Faust, einer Siegerpose, einem Schrei. Das Bild des Getroffenen im anderen Team wird erst kurz rot, dann grau. Das Publikum stöhnt auf. Florian Merz versteht, wenn einem das virtuelle Gemetzel seltsam vorkommt. Aber: „Was die Community sieht, geht viel tiefer: die Teamleistung, die Taktiken, die Kommunikation zwischen den Spielern, das Reagieren innerhalb von Millisekunden. Was die Fans begeistert, sind die Spielzüge – nicht, dass da Gewalt stattfindet.“ „E-Sports“ ist keine einzelne Disziplin, sondern ein Überbegriff für viele verschiedene. Da gibt es Strategiespiele, bei denen Spieler aus der Vogelperspektive Armeen steuern. Sportsimulationen, also zum Beispiel Fußball am Computer. Und dann die Egoshooter: Der Spieler folgt seiner Figur aus der Ich-Perspektive und muss eine Aufgabe erfüllen, alleine oder im Team. Das altbekannte Räuber-und-Gendarm-Prinzip, nur eben mit digitalen Pistolen, Messern, Maschinengewehren, Handgranaten und Flammenwerfern. Counter-Strike, das heute hier gespielt wird, zählt zu den beliebtesten. Die Frage, ob E-Sport tatsächlich Sport ist, bewegt die Gemüter. Florian Merz stellt sie jedem seiner Interviewpartner. „Viele verstehen sich als Athleten einer Sportart, die gar nicht erst als solche deklariert werden muss.“ Egal, wen man hier fragt: Die meisten sagen, wer einmal bei einem Turnier wie diesem war, die Fans gesehen hat, die Spieler mit dem Schweiß auf der Stirn – der wird sich die Frage nicht mehr stellen. Der Stempel „Sport“ ist für die meisten reine Formsache. Team Liquid wird das Turnier gewinnen, die Spieler werden aufspringen, sich in den Armen liegen im Glitzerflitter-Regen, nicht wenige im Publikum werden weinen. Dass ein paar Monate später der Deutsche Olympische Sportbund eine Studie veröffentlichen wird, die E-Sports die Einordnung als Sport verweigert, weiß da noch niemand. Und wenn sie es wüssten, wäre es ihnen vermutlich egal.

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Du liebst Originals? Wir auch. Entdecke immer wieder Neues, kostenlos in der App oder auf joyn.de.


ZAHLEN BITTE!

TV-NUTZUNG Von Anne Fischer

17,50 217 Minuten sitzt der Durchschnittsdeutsche täglich vor dem Fernseher. Die 14- bis 29-Jährigen liegen dabei mit 94 Minuten deutlich unter dem Schnitt

Euro zahlen die Deutschen pro Monat als Rundfunkbeitrag. Davon bekommt die ARD 12,37 Euro, das ZDF 4,32 Euro, das Deutschlandradio 48 Cent und die Landesmedienanstalten 33 Cent

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Prozent der deutschen Haushalte sind fernsehfreie Zone. Der TV-Apparat bleibt das am weitesten verbreitete Mediengerät

Länder haben die ursprünglich britische TV-Show „Wer wird Millionär?“ adaptiert. Sie ist damit das erfolgreichste TV-Format der Welt

Pay-TV-Sender gibt es derzeit in Deutschland, von sehr nischig bis reichweitenstark. Die meisten bespielen die Themenfelder Sport und Unterhaltung

PLATZ 1 beim TV-Konsum in Europa belegt Rumänien: Die Rumänen schauen täglich 317 Minuten fern, die Serben 313, die Portugiesen 284. Am wenigsten gucken die Schweizer mit 121 Minuten und die Norweger mit 138

Prozent der Gesamtumsätze aller Privatsender kommen aus dem Teleshopping. In Deutschland gibt es 20 darauf spezialisierte Sender, zum Beispiel HSE24, 1-2-3.tv und QVC. Sie verkaufen jährlich Produkte für knapp zwei Milliarden Euro

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Quellen: BVDW, SevenOne Media, Statista, n-tv, Quotenmeter

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95,4 Prozent der deutschen TV-Haushalte empfangen das Programm inzwischen ausschließlich digital. 2005 waren es erst 19,1 Prozent

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Prozent der TV-Zuschauer sehen am liebsten Nachrichten. Es folgen: Krimiserien und Kriminalfilme vor Tierund Natursendungen


IHRE MARKE

#MITTENDRIN

Brand safe. Emotional. Crossmedial inszeniert. www.sport1media.de


»Nachrichten sind ein Rad, das nie aufhört, sich zu drehen« RTL-Anchorman Peter Kloeppel über die Zielgruppe 80plus, kastrierte Ferkel und das Fernsehen der Zukunft Von Peter Turi (Text) und Selina Pfrüner (Fotos)

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Graue Männer in der grünen Hölle: Peter Kloeppel im Gespräch mit Peter Turi im Kölner Lampenladen, Pardon, im Nachrichtenstudio von RTL in Köln


Peter Kloeppel, Sie sind seit mehr als einem Vierteljahrhundert das Gesicht der RTL-News – gibt es in 25 Jahren noch Fernsehen, wie wir es heute kennen? Ich bin fest davon überzeugt, dass es Fernsehen dann weiter geben wird. Und es wird weiterhin eines der am meisten genutzten Medien für Information und für Unterhaltung sein – daran wird sich auch in 25 Jahren nichts ändern. Aber es wird anders aussehen. Wie? Meine persönliche Einschätzung: mehr Live-Events, mehr VorortBerichterstattung bei Nachrichten, mehr Interaktivität, eine höhere Personalisierung. Ansonsten: weiterhin in Farbe, noch bessere Auflösung, rechteckiges Bild. Werden wir beide dann noch zuschauen? Wird 80plus eine attraktive Zielgruppe? In 25 Jahren wäre ich 86 – ich denke schon, dass ich da noch gucke. 2045 wird es mehr Über-80-Jährige geben als jetzt. Sie werden mehr konsumieren, also auch interessant sein für Werbekunden. Für RTL ist jeder Zuschauer Teil einer Zielgruppe, wir wollen die Menschen aller Altersklassen erreichen. Die junge Generation – auch die der Mitarbeiter – ist davon überzeugt, dass es in Zukunft allein auf sie ankommt. Zu Recht? Es ist gut und wichtig, dass die Jungen sagen: Wir müssen Dinge mal anders machen. Auch wir sind mit 25 oder 30 mit ganz anderen Vorstellungen in die Medien gegangen als die Generation vor uns. Bei RTL haben wir vor 20 Jahren eigens eine Journalistenschule gegründet, weil wir junge Journalisten heranziehen wollten, die uns den Spiegel vorhalten und sagen: Wir können es anders machen, als ihr das in den letzten zehn, 20 oder 30 Jahren

gemacht habt. Der jugendliche Elan hilft uns sehr im Programm. Wie schauen Sie auf die nächste Generation der Journalisten? Viele sagen, die ist ein bisschen egozentrisch und nicht mehr bereit, richtig ranzukloppen. Ach ja. Ich tue mich schwer, zu sagen: Früher war alles besser. Das stimmt sowieso nicht. Auch früher gab es Leute, die mehr gearbeitet haben und andere, die vielleicht ein bisschen weniger motiviert waren. Es gibt auch heute noch extrem fleißige, hoch kreative und sehr involvierte junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich sehe da überhaupt kein Defizit. Okay. Aber wir arbeiten heute anders. Früher war vieles mühsamer: Wir mussten lange am Telefon hängen, um Infos zu recherchieren, wir mussten Bücher wälzen. Heute ist das meiste über ein paar Klicks am Computer oder übers Smartphone abrufbar. Wir können schneller Dinge herausfinden, wir können konzentrierter an Themen arbeiten. Wir haben mehr Zeit, zu gewichten und unsere Quellen zu prüfen. Warum sind Sie als Absolvent der Henri-Nannen-Schule Mitte der 80er zu RTL gegangen? Ihnen standen ja auch andere Wege offen und das Image von RTL war damals – vorsichtig gesagt – nicht das allerbeste. Ich habe Praktika bei einer kleinen Tageszeitung und einer größeren Regionalzeitung im Wirtschaftsressort gemacht und war beim „stern“ im Wissenschaftsressort. Eigentlich wollte ich Wissenschaftsjournalist werden. Ich hatte Agrarwissenschaften studiert und dachte, ich kann meine landwirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse dort am besten einbringen. Ich hatte auch schon ein Angebot von „Geo“.

Aber dann kam ich zu RTL nach Luxemburg, habe in der Nachrichtenredaktion gearbeitet – was mir Riesenspaß gemacht hat. Und dann kam das Angebot, als politischer Korrespondent für RTL nach Bonn zu gehen – eine ziemlich coole Nummer. Ich habe dann schweren Herzens bei „Geo“ abgesagt, bin zu RTL gegangen und habe es bis zum heutigen Tag nicht bereut. Sie haben einmal im Interview mit turi2.tv gesagt, Ihr eigentlicher Berufswunsch war Pilot. Warum hat das nicht geklappt? Das ist an anatomischen Fakten gescheitert: Ich habe eine Rot-GrünSehschwäche und bin auf einem Auge ziemlich kurzsichtig – außerdem ist mein mathematisches Talent eher unterdurchschnittlich entwickelt. Aber das und gute Augen braucht man, wenn man Pilot werden möchte. Die Fliegerei hat mich trotzdem weiter fasziniert. Gut zu wissen: Sie sind quasi ein kurzsichtiger Rot-GrünVerwechsler, der nicht rechnen kann – praktisch der ideale TVModerator. Sie sind ja ein richtig lustiger Vogel, Herr Turi! Aber wie Sie sehen: An anatomischen Defiziten müssen TVKarrieren nicht scheitern. Sie hätten auch anderes erleben können: Sie haben Agrarwissenschaften studiert, Schwerpunkt Tierproduktion, und eine Abschlussarbeit über Ferkelzucht geschrieben. Da hätten Sie FerkelFabrikant werden können. Fabrikant klingt gemein – und das sind Landwirte auch nicht. Okay: Ferkelzüchter – Sie hätten Ferkelzüchter werden können. Ferkelzüchter wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber schon während des Studiums habe ich gemerkt, dass man als Landwirt unfassbar

»Ich habe eine Rot-Grün-Sehschwäche und bin auf einem Auge ziemlich kurzsichtig. An anatomischen Defiziten müssen TV-Karrieren also nicht scheitern«

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Fake-Cover von Peter Turi (Text) und Lea-Maria Kut (Art)


fleißig sein muss. Gerade wenn man Tiere hat, muss man praktisch 365 Tage im Jahr rund um die Uhr für sie da sein.

Peter Kloeppel, 61, ist seit 1992 Chefmoderator von RTL. Für seine Moderation am 11. September 2001 erhielt er den AdolfGrimme-Preis

Als Ferkelzüchter hätten Sie männlichen Ferkeln die Hoden abschneiden müssen. Grausam, oder nicht? Ich habe das gemacht in meiner Ausbildung. Es war nicht schön, aber es gehörte dazu. Es gibt heute mit Recht unter Praktikern eine intensive Diskussion über die Alternativen. Ich würde mir sehr wünschen, dass man darauf verzichten könnte oder wenigstens eine schmerzfreie Kastration ermöglicht. Apropos schmerzfreie Kastration: Seit wann ist RTL kein männlich dominierter Sender mehr? Waren wir das je? Ich denke schon. Helmut Thoma war ein Patriarch und hat bei „Tuttifrutti“ das Ausziehen mit Länderpunkten und die nackte Erdbeere erfunden. Wir haben schon damals viele Programme gemacht, in denen starke Frauen extrem erfolgreich waren: Denken Sie an Hella von Sinnen und all die anderen wunderbaren Schauspielerinnen und Moderatorinnen, die unser Programm geprägt haben. Kriegen Sie eigentlich bei der Journalistenschule noch die Bewerber, die Sie wollen? Ist der Beruf Fernsehjournalist noch attraktiv? Oder wollen jetzt alle Influencer werden? Wir haben immer noch 400 Bewerbungen auf knapp 30 Plätze. Es gibt genug junge Menschen, die MedienStudiengänge wählen und häufig danach bei uns die journalistische Ausbildung machen. Medien sind weiter hochinteressant. Aus persönlicher Erfahrung würde ich sagen: Sie sind hochspannend. Werden überhaupt noch so viele Journalisten gebraucht? Absolut. Ich muss mir nur anschauen, wie viele Stellen wir bei der Firma InfoNetwork, die für die Mediengruppe RTL einen großen Teil der Informationsinhalte produziert,

in den vergangenen zehn Jahren geschaffen haben. Seitdem es die Firma gibt, ist das ein absoluter Boom-Bereich. Auch deswegen, weil für Fernsehsender selbst produzierte Inhalte ein ganz wichtiger Bestandteil des Portfolios sind. Das sind Inhalte, die uns gehören, weil wir sie selbst produziert haben, mit denen wir machen können, was wir wollen. Gerade Sender, die auf selbst generierten Content setzen, sind langfristig erfolgreich. Serien aus den USA sind längst nicht mehr so trendy in Deutschland, wie sie es mal waren. Also müssen wir selber Ideen haben. Content ist also weiter King. Aber wird der Content nicht immer digitaler und viraler? Junge Leute,

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die heutzutage ins Rampenlicht wollen, können ihre Karrieren auch über Instagram oder bei YouTube starten. Das tun sie ja schon. Und es ist für uns eine interessante Erfahrung zu sehen, dass Blogger, YouTuber und Instagramer einen extrem hohen Zulauf an Fans und Followern haben, die ihre Inhalte mit großem Interesse verfolgen. Natürlich ist das eine neue Konkurrenzsituation für uns. Die Medienwelt hat sich in den vergangenen 20 Jahren dramatisch in immer mehr Kanäle aufgesplittet, inner- und außerhalb des Fernsehens. In dieser Welt müssen wir uns neu bewähren. Und wir wissen, dass wir nicht mehr so viele Zuschauer erreichen wie vor 25 Jahren.


»Ich finde es gut, dass wir mit Greta Thunberg jemanden haben, der uns zum Nachdenken bringt. Und wir müssen nachdenken!« Bertelsmann hat die Devise ausgegeben, dass die Töchter integrierter arbeiten sollen. Stephan Schäfer, den wir als Kreativchef von Gruner + Jahr kennen, ist jetzt auch bei RTL Content-King. Spüren Sie das schon? Ja. Es gab vorher schon eine Zusammenarbeit, die wir jetzt aber noch strukturierter, noch intensiver anpacken können. Unsere jüngste Aktion „Packen wir’s an“ für mehr Nachhaltigkeit war so ein Beispiel, innerhalb der Mediengruppe RTL ebenso wie bei der gesamten Bertelsmann Content Alliance. Wir sehen selbst, dass wir in dieser Allianz, in dieser Verbindung der verschiedenen Medienformen, deutschlandweit einzigartige Möglichkeiten haben, um Themen groß und breit zu spielen und langfristig Erfolg zu haben. Wir können uns gegenseitig sehr gut verstärken und gemeinsam eine viel größere Schlagkraft entwickeln. Die crossmediale Zusammenarbeit bringt bei Gruner + Jahr ein Personality-Magazin namens „Guido“ hervor, das sich um die Welt des Modedesigners Guido Maria Kretschmer dreht. Wie wäre ein politisches Magazin von einem seriösen Herrn, der uns die Welt erklärt, also das Nachrichtenmagazin „Peter“? Ich denke, dass es da schon sehr gute Produkte gibt bei Gruner + Jahr, nicht nur den „stern“, auch andere Magazine. Auch Podcasts sind ein Trend, den wir mit der neu gestarteten Plattform Audio Now nutzen und gleichzeitig pushen. Und zum Thema Nachrichten wäre Kloeppel möglicherweise ein Gesprächspartner. Es muss ja nicht immer um Politik gehen. Es gibt vielleicht auch andere spannende Themen, über die ich reden könnte. Ferkelzucht! Zum Beispiel. Aber auch Sport oder was auch immer. Wir sind da in jeder Hinsicht im Gespräch mit-

einander. Wenn „Guido“ funktioniert, funktioniert vielleicht auch was anderes. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in allen unseren Medien tolle Marken haben und auch tolle Köpfe, mit denen man noch mehr machen kann. Aber es muss passen. Wenn Sie zurückschauen auf Ihre 34 Jahre bei RTL: Was war das Spannendste, das Sie in Ihrer Karriere erleben durften? Für mich war es extrem spannend zu sehen, wie wir ab dem Sommer bis zum Spätherbst 1989 erst das allmähliche Bröckeln der Mauer und dann die Aufhebung der Teilung Deutschlands erlebt haben – und dass ich hautnah dabei sein durfte. Ich war an dem Tag, als die Mauer fiel, mit Helmut Kohl in Warschau. Ich habe dann miterlebt, wie die Politik sich auf diese unerwartete Situation einstellt. Es war ja keinesfalls klar, wie das ausgehen würde. Ich habe miterlebt, wie die Politik agiert, wie sie laviert und wie sie teilweise in die falsche Richtung galoppiert – oder auch manchmal die Gelegenheit beim Schopf ergreift und etwas vorantreibt. All das war für mich als jungen Journalisten faszinierend. Ich bin heute noch dankbar, dass ich so nah dabei sein durfte und mit den Protagonisten engen Kontakt hatte. Das war eine großartige Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Andere erleben die Politik, indem sie die Seite wechseln und zum Beispiel Regierungssprecher werden – wäre das noch was für Sie? Nein, definitiv nicht. Ich bin Journalist, ich bleibe Journalist und ich wollte auch nie etwas anderes sein. Sie haben – anders als andere bekannte Fernsehgesichter – nie Nebenjobs angenommen wie Moderationen für Unternehmen. Ich bin so gut ausgefüllt mit der Arbeit, die ich hier leisten darf, dass ich mir sage: Ich muss mich

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auf meine Stärken konzentrieren, bevor ich jetzt anfange, auf anderen Hochzeiten zu tanzen. Ich habe hier quasi meinen Tanzboden, auf dem ich mich austoben darf und das tue ich sehr gerne und ausschließlich. Was war das Traurigste, das Sie in 34 Jahren bei RTL erlebt haben? Die Sendung, die uns wahrscheinlich allen am meisten in Erinnerung bleibt, ist die nach dem Anschlag vom 11. September 2001. Wir mussten hautnah erleben, was da in Amerika passiert. Dabei standen ständig die Fragen im Raum: Was kommt als Nächstes? Was erleben die Menschen dort gerade? Welche Tragödien spielen sich ab, die wir jetzt nur erahnen können? Das hat sich in der Form zum Glück nie wiederholt. Aber es gab auch viele andere Sendungen, in denen wir über traurige Dinge berichten mussten. Denken wir nur an den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Solche Ereignisse sind immer schrecklich und gehen auch uns Nachrichten-Moderatoren sehr zu Herzen. Am 11. September haben Sie als erster Sender das laufende Programm unterbrochen und sind über sieben Stunden auf Sendung geblieben. Sie haben hinterher den Grimme-Preis dafür bekommen. Sie waren wie ein Leuchtturm im Sturm, sagten die Kritiker. Wie präsent ist dieser Tag noch in Ihren Erinnerungen? Es ist vieles noch sehr präsent – ich werde auch immer wieder danach gefragt. Ich weiß noch genau, wie es war, als wir um 22.30 Uhr nach siebeneinhalb Stunden auf Sendung einen Cut gemacht haben, ich in die Redaktion gegangen bin und von allen ein bisschen die Spannung abfiel, weil man sagte: Jetzt haben wir diese erste schreckliche Wegstrecke hinter uns gebracht. Da habe ich gesagt: „Ja, aber das geht morgen genauso weiter.“ Nachrichten sind ein Rad, das nie aufhört, sich zu


Optimist durch: Wir werden das schon irgendwie hinkriegen. Wenn Sie nicht NachrichtenModerator und damit zu einer gewissen Neutralität verpflichtet wären: Wofür oder wogegen würden Sie auf die Straße gehen? Gerade das Thema Artenschutz beschäftigt mich sehr. Dass wir für das Verschwinden von so vielen Spezies verantwortlich sind, die unwiderruflich nicht mehr zurückzuholen sind, das macht mich traurig und wütend – und da würde ich auch auf die Straße gehen.

Peter Kloeppel als Podcast, im großen Video-Interview und im TV-Fragebogen turi2.de/edition/kloeppel

drehen. Ich habe festgestellt, dass dieser 11. September mich als Person in den Erinnerungen vieler Menschen fest verankert hat. Viele sagen mir: „Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Sie da über Stunden im Fernsehen gesehen habe.“ Was an Ihrem Job werden Sie später mal vermissen? Die Kollegialität im Team. Das Wissen, vieles als Erster zu erfahren. Die Freude, am Ende des Tages eine fertige Sendung abgeliefert zu haben. Und natürlich die Bestätigung der Zuschauer, die sich auf unsere Sendung freuen – jeden Abend. Was sicher nicht? Welchen Leidenschaften gehen Sie nach, wenn Sie die Tageslast los sind? Ich werde sicher mehr Sport treiben, mehr lesen, abends öfter ins Kino, Theater oder Konzert gehen, mehr Zeit mit der Familie verbringen. Nicht vermissen werde ich: Nachts aus einem Traum aufzuwachen, in dem ich den Weg zum Studio nicht gefunden habe und zu spät zur Sendung erscheine. Das wird hoffentlich irgendwann weggehen. Was glauben Sie: Ist die Welt in Ihren 27 Jahren als Chefmoderator besser geworden oder schlechter? Ich glaube, weder das eine noch das

andere. Was sich verändert hat, ist, dass wir sowohl die guten als auch die schlechten Seiten unmittelbarer und ungefilterter mitbekommen. Vieles von dem, was an schrecklichen Ereignissen passiert, kommt sehr viel schneller zu uns. Aber zum Glück auch vieles von dem, was an Schönem auf der Welt passiert. Sie haben eine Tochter. Sehen Sie die Welt und die Zukunft optimistisch oder pessimistisch? Ich bin grundsätzlich Optimist und immer der festen Überzeugung, dass der Mensch lernfähig ist und aus seinen Fehlern die richtigen Schlüsse zieht. Leider sehe ich aber auch, dass es immer wieder Rückschläge gibt. Man denkt: Mensch, das haben wir doch alles schon mal gehabt. Wir wissen doch seit langem, was Artensterben bedeutet. Wir wissen doch, was Klimawandel bedeutet. Warum agieren wir da nicht schneller? Gerade was die Zerstörung der natürlichen Ressourcen angeht, bin ich eher pessimistischer geworden in den letzten Jahrzehnten. Aber auf der anderen Seite sehe ich auch wissenschaftliche Fortschritte und die Möglichkeit, durch Vernetzung von Wissenschaftlern und Erkenntnissen Dinge zu bewegen, die uns über Jahrzehnte unbeweglich erschienen. Am Ende kommt der

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Wenn Sie ein YouTuber wären, könnten Sie einen Rant abliefern, also mal heftig schimpfen. Ich bin kein Ranter. Ich finde, man sollte seine Äußerungen immer so kundtun, dass klar wird: Auch ich kann mich irren, ich kann nicht hundertprozentig sicher sein, dass alles, was ich sage, richtig ist. Dass es jemanden wie Greta Thunberg gibt, finde ich gut, weil wir mit ihr jemanden haben, der uns zum Nachdenken bringt. Und wir müssen nachdenken! Bevor Sie irgendwann einmal in Rente gehen, welche Meldung würden Sie gern verkünden? Vor längerer Zeit habe ich auf diese Frage mal gesagt: „Ich würde mich echt freuen, wenn man mal melden könnte, die Neuverschuldung des bundesrepublikanischen Haushaltes ist auf Null gesunken.“ Da sind wir ja quasi schon angekommen. Also fände ich es schön, wenn wir jetzt noch sagen könnten: „Alle Schulden in Deutschland sind bezahlt!“


DEIN NACHRICHTENSENDER



»Mein Herzensmedium ist das Internet« Lisa Altmeier ist Video-Journalistin für die ÖffentlichRechtlichen. Ihr Auftrag: Journalismus im Team mit dem Publikum zu machen Von Jens Twiehaus (Text) und Selina Pfrüner (Fotos)

Heimat Internet: SocialMedia-Journalistin Lisa Altmeier, 31, geht auch mal aus den eigenen vier Wänden auf Sendung

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Lisa, du bist 31 und gehörst zur Generation Medienwandel: Du bist aufgewachsen mit TV-Moderatoren wie Peter Kloeppel, machst aber heute einen ganz anderen Journalismus. Einen, der auf Social Media beruht und das Feedback der Nutzer integriert. Bist du Germanys Next Nachrichtenmoderatorin? Oh. Ich glaube nicht. Ich sehe mich nicht als Moderatorin, sondern als Reporterin. Ich gehe raus und stelle Fragen. Ich erzähle den Menschen nicht nur etwas, sondern will vor Ort was von den Leuten erfahren. Braucht es für deine Art von Journalismus keine Moderation mehr? Zumindest ist eine neue Form notwendig – eine weniger distanzierte. Für mich ist bei allem, was ich tue, der Kontakt zum Publikum das Entscheidende. Deshalb bin ich auch am liebsten selbst als Journalistin am Ort des Geschehens. Wenn ich dann doch mal vor einer Studio-Kamera stehe, zum Beispiel für das Funk-Format „Reporter“ auf Snapchat, steht die Kamera hochkant. Das entspricht nämlich dem Nutzungsverhalten der User auf dem Handy. Ist jemand wie Peter Kloeppel für dich also ein Relikt der Vergangenheit? Diese Generation von Moderatoren hat ihre Berechtigung. Es gibt ja noch genug Menschen, die Fernsehen gucken und sich solche moderierten Sendungen ansehen. Nur meinem eigenen Nutzungsverhalten entspricht das nicht. Wo schaust du Nachrichten, wie informierst du dich? Ich nutze Nachrichten-Apps und Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen und habe Online-Abos von „Zeit“, „Süddeutscher Zeitung“ und „Spiegel“. Dokus konsumiere ich über YouTube, kurze Info-Happen über Instagram und Twitter. Blogs und Podcasts spielen ebenfalls eine Rolle, Papier und lineares TV privat fast gar nicht mehr. Als freie Journalistin für WDR, BR, Phoenix und eigene Projekte

hast du keinen klassischen Haussender. Ist deine journalistische Heimat das Social Web? Ja, Heimat Internet. So sage ich das immer. Ich bin unterwegs in der Welt und stelle im Internet Fragen, stellvertretend für viele Leute da draußen. Bist du mit der Heimat Internet typisch für unsere Generation? Was die Journalisten-Generation um die 30 betrifft, würde ich sagen: nein. Die meisten meiner gleichaltrigen Kollegen und auch viele ehemalige Klassenkameraden von der Journalistenschule arbeiten sehr viel klassischer als ich. Die wollen das so gar nicht, sondern sehnen sich eher nach der guten alten Zeit mit vielen sicheren Arbeitsplätzen. Ich persönlich bin aber eher der risikofreudige Mensch und probiere gerne Neues aus. Was unterscheidet deine Journalisten-Generation von der Generation eines Peter Kloeppel? Die ältere Generation kommt etwas seriöser daher – was die Ansprache des Publikums betrifft. Da gibt es eine größere Distanz zum Publikum, die aber auch vielen Leuten ab einem gewissen Alter gefällt. Die „Tagesschau“ ist ja immer noch erfolgreich, auch online. Viele Journalisten aus meiner Generation sind einfach ein bisschen lockerer unterwegs, die haben nicht mehr diesen riesigen Abstand.

»Journalisten aus meiner Generation sind ein bisschen lockerer unterwegs« ihren Ansichten? Es gibt dieses schöne Stichwort Augenhöhe, was ja auch Politiker gerne mal benutzen. Meine Generation bemüht sich stärker um diese Augenhöhe, während sich die Älteren noch als Gatekeeper verstanden haben, die dafür sorgen, dass die richtigen Themen gesetzt werden. Das ist heute anders. Wir machen Journalismus im Team mit unserem Publikum. Du sprichst von Transparenz. Wo ziehst du die Grenze zum Privatleben? Ich bin persönlich, aber nicht privat. Ich veröffentliche zum Beispiel nicht auf Social Media, ob ich in einer Beziehung bin. Das geht meiner Meinung nach niemanden etwas an. Und es spielt auch für meine journalistischen Inhalte keine Rolle. Ich versuche, Dinge persönlich einzuordnen und ich teile persönliche Erfahrungen, sofern sie für meine Arbeit relevant sind. Aber ich produziere keine Vlogs über mein Privatleben.

Ist seriös und locker ein Gegensatz? Ich beziehe mich dabei auf das Auftreten, also die Form. Du kannst auch locker auftreten und trotzdem ernsthaften Journalismus praktizieren. Das versuche ich in meiner Arbeit jeden Tag.

Was treibt dich an? Ich höre einfach gerne zu. Nicht nur bei Interviews. Ich lese auch gerne, was Menschen in Kommentarspalten im Internet schreiben. Ich habe schon vor vielen Jahren, bevor ich Journalistin war, furchtbar gerne bei Zeit Online die Kommentare gelesen. Ich fand es immer faszinierend, wie viel Wissen bei den Lesern vorhanden ist. Und ich sehe es als Teil meines Jobs an, Menschen für Journalismus zu begeistern.

Führt das manchmal zu Problemen? Locker kann ja schnell als flapsig wahrgenommen werden und es entsteht der Eindruck: Wer es nicht ernsthaft rüberbringt, meint es auch nicht ernst. Für mich bedeutet Lockerheit eine gewisse Nähe zum Publikum und auch, dass ich transparent bin. Wer ist diese Frau? Wie gelangt sie zu

Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du entschieden hast, Journalistin zu werden? Ich habe jetzt nicht die große Legende parat. Fragen stellen hat mir immer schon Spaß gemacht und für Politik habe ich mich auch schon als Jugendliche interessiert. Und ich habe mir früh Papas Kamera geschnappt und selbst gefilmt.

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Tatort Küche: Lisa Altmeier liebt InternetKommentare – und war schon als Schülerin vom Wissen der Leser fasziniert. Als Videoreporterin für WDR, BR und Phoenix pflegt sie den Kontakt zu den Nutzern. Den empfindet sie als Bereicherung für den Journalismus


Wir wollten ganz viel übers Fernsehen reden, berühren das Thema aber kaum. Spielt Fernsehen einfach keine Rolle mehr? Bei mir ist das zum größten Teil so. Klar erscheint von mir auch manchmal was im Fernsehen. Für Phoenix arbeite ich zum Beispiel als Reporterin für #Phoenix_Freistil, das auf YouTube und im TV ausgestrahlt wird. Auch beim WDR kommen teilweise Inhalte von mir in den Fernsehnachrichten. Aber mein Herzensmedium ist das Internet. Es gibt nicht einmal einen Fernseher in deiner Wohnung. Doch, es gibt einen, aber erst seit ein paar Tagen, ich habe ihn noch nicht aufgebaut. Er hat seine Existenzberechtigung aber vor allem, weil er schlau genug ist, um Netflix abzuspielen. Was würdest du gucken, wenn er hier stünde? Vermutlich nichts Lineares. Außer in ganz besonderen Momenten: Ich gucke zum Beispiel gerne Wahlberichterstattung live. TV ist für mich auch dann faszinierend, wenn etwas Unerwartetes passiert, also solche 11.-September-Momente. Dann haben, glaube ich, viele diesen Drang, den Fernseher einzuschalten. Aber ansonsten finde ich ja fast alles auf YouTube und in den Mediatheken. Mich überrascht, wie selbstsicher die Fernsehbranche heute noch ist. Peter Kloeppel etwa sagt: Fernsehen wird es in 25 Jahren noch geben. Ist der Wandel in den großen Häusern noch nicht angekommen? Teils, teils. Ich kann jetzt nicht für RTL sprechen, aber beim WDR und anderen Öffentlich-Rechtlichen werden viele Ressourcen in OnlineAngebote gesteckt. Nichtsdestotrotz gibt es insgesamt einen massiven Überhang an Fernsehangeboten. Und auch was die Bezahlung angeht, ist es branchenweit so: Wir vom Internet sind immer noch abgehängt. Ich denke, das wird sich in den nächsten Jahren ganz schön ändern.

Lisa Altmeier, die Reporterin: „Ich gehe raus und stelle Fragen“

Und zu den Gewinnern gehören die, die ausschließlich online präsent sind? Ja, würde ich schon sagen. Die Haltung vieler online-skeptischer Kollegen hat sich inzwischen geändert. Und auch wenn man sich die frühen Twitterer anguckt: Viele von denen, die in der Anfangsphase des Mediums belächelt wurden, kriegen jetzt die besten Jobs. Und ich denke, das wird sich fortsetzen. Du bist eines der Instagram-Gesichter für die Sendung „Aktuelle Stunde“ im WDR. Auf der Plattform konkurrierst du um

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Aufmerksamkeit mit Influencern. Die genießen Glaubwürdigkeit – welche Chancen haben traditionelle Medien gegen sie? Die traditionellen Medienmarken haben dann gute Chancen, wenn sie sich da etwas abgucken – nicht inhaltlich, sondern, was die Prinzipien angeht, wie diese Plattformen funktionieren und die Personen auf ihnen. So eine Marke wie der WDR steht trotz aller Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen für Glaubwürdigkeit und das merke ich auch auf unserem Instagram-Kanal. Dem WDR wird ein großer Vertrauensvorschuss gewährt.


Selbst von 15-Jährigen? Wir haben dort viele junge User, aber nicht alle sind 15. Viele sind Ende 20 und ich merke, dass es bei denen ein großes Informationsbedürfnis gibt. Und dieses Bedürfnis bedienen die meisten Influencer gar nicht. Bei denen geht es häufig um leichte Themen und Promo und auch das hat seine Berechtigung. Das ist ja auch nichts komplett Neues: Früher gab es im TV sowohl den WDR als auch MTV. Und das hat dem WDR auch nicht geschadet, es gibt ihn immer noch und er hat sich online neu aufgestellt. Du hast mit deiner Kollegin Steffi Fetz dein eigenes Medium gestartet: Crowdspondent. Ihr seid als Korrespondentinnen eurer Crowd, also eurer Unterstützer, unterwegs. Was steckt dahinter? Wir wollten 2013 in Brasilien vor der Fußball-WM eine neue Form von Journalismus ausprobieren: Arbeit im Team mit der Crowd und zu Themen, die journalistisch zu wenig beachtet werden. In Brasilien gab es damals kaum deutsche Journalisten, denn die kommen schnell für die WM vorbei und sind dann wieder weg. Wir haben uns also angeschaut, was zum Beispiel in den Favelas von Rio de Janeiro passiert. Da mussten Bewohner um ihre Behausungen bangen, weil sie Hotelbauten weichen sollten. Wir haben damals mit fünf FacebookFreunden angefangen und uns eine Community erarbeitet, die uns seit sechs Jahren unsere Recherchereisen durch Deutschland und die Welt bezahlt und uns ihre Fragen mit auf den Weg gibt. Was hat sich seitdem getan? Die Plattformen haben sich verändert. Früher waren wir super aktiv auf Facebook. Heute findet der Großteil unserer Kommunikation auf YouTube statt. YouTube ist inzwischen selbst ein soziales Netzwerk und nicht nur ein Ort, an dem Videos abgespielt werden. Wir sind große YouTube-KommentarBeantworter und versuchen auch wirklich, auf jeden einzelnen Kommentar zu reagieren.

»Mein Fernseher hat seine Existenzberechtigung, weil er schlau genug ist, Netflix abzuspielen« Da gibt es also entgegen aller Vorurteile auch vernünftige Leute? Ja, auf jeden Fall. Das Wichtigste ist, dass du dich nicht nur mit Hass und Beschimpfungen befasst. Du musst deinen Fokus auf die Leute legen, die konstruktiv unterwegs sind und davon gibt es viele. Wir hören aber auch denen zu, die Kritik üben, denn auch wenn es uns Journalisten oft nicht gefällt: Diese Kritik ist teilweise berechtigt. Da lohnt es sich, zuzuhören, darauf einzugehen und zusammen besser zu werden. Wie gehst du mit Hatern um? Ich lese das. Und wenn ich das Gefühl habe, hier ist noch irgendwas Konstruktives rauszuholen, dann frage ich nochmal nach. Ich bin sehr sachlich unterwegs und versuche zuzuhören. Ab einem gewissen Punkt – also, wenn es Morddrohungen sind oder Vergewaltigungs-Fantasien, melde und lösche ich. Vor allem, wenn Protagonisten bedroht oder beschimpft werden, die schütze ich immer zuerst. Ich lasse mich schon als Schlampe beleidigen, wenn in der Folge noch eine inhaltliche Aussage kommt... Moment, das ist ja schon ein starkes Stück, wenn du sagst, du lässt dich als Schlampe beleidigen. Auf der Straße würdest du dir das nicht gefallen lassen. Ich versuche einfach, sachlich zu bleiben, frage nach und sage, dass das nicht erwünscht ist. Wer weiterpöbelt, fliegt dann natürlich. Ich will aber erst mal eine Gesprächsbasis mit den Personen finden. Uns ist es bei Crowdspondent ein Herzensanliegen, Leute nicht sofort zu blockieren. Wir haben auch welche in unserer Community, die erst gepöbelt haben und sich mittlerweile konstruktiv beteiligen. Wir machen bei diesem Projekt auch

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gerade für die Leute Journalismus, die eine harte Anti-Haltung gegen alle Journalisten haben. Wir wollen sie nicht aufgeben. Also versuche ich, zu ergründen: Woher kommt deine Wut? Wie muss Journalismus sein, den du gut findest, für den du vielleicht sogar Geld ausgeben würdest? Und wie können wir dich gewinnen? Du sprichst immer wieder von Community. Ersetzt Gemeinschaft das Sender-Empfänger-Modell der guten alten Glotze? In weiten Teilen schon. Dort, wo ich im Moment arbeite, gibt es das schon nicht mehr. Natürlich engagiert sich immer nur ein kleiner Teil der Nutzer aktiv. Aber dass ich nur sende und nichts empfange, kommt nicht mehr vor. Auf Instagram oder auch beim Funk-Format „Reporter“ lese ich ständig Kommentare und bin im Austausch mit Nutzern. Wir erhalten dort auch tolle Themenvorschläge. Bei Instagram kommen viele Direktnachrichten – sowas bereichert den Journalismus. Wie intim ist das? Teilweise sehr. Wir Journalisten haben eine Verantwortung, damit sorgsam umzugehen. Wenn mir jemand etwas über sich erzählt, kann ich das nicht einfach so veröffentlichen. Diese gefühlte Nähe kann tricky werden, wenn die Leute plötzlich denken, du bist ihre beste Freundin. Aber ich sehe das positiv: Die Leute öffnen sich. Wir hatten einmal die Themenwoche Armut und da haben Menschen von ihrer Armut berichtet, die sonst nicht darüber reden würden. Da ergeben sich doch Chancen für Medien. Nun leben wir in politisch spannenden Zeiten. Von der einen Seite kommen die Populisten und stellen das freiheitliche Europa infrage. Von der anderen kommen engagierte Siebtklässler und demonstrieren für Klimaschutz. Leben wir in guten oder in schlechten Zeiten? Journalistisch auf jeden Fall in guten Zeiten. Ich weiß noch, wie ich mich vor fünf Jahren geärgert habe, dass ich nicht in den 70er


Jahren lebe. Vor fünf Jahren haben wir uns gefühlt von einer GroKo in die nächste gelangweilt. Inzwischen freut sich die Journalistin in mir, dass so viel passiert, dass Menschen für und in ihrer Demokratie streiten. Ich halte aber nichts von Schwarz-Weiß-Denken. Ob das jetzt eine gute Zeit ist oder eine schlechte, werden Menschen in 100 Jahren beurteilen. In jedem Fall sollten wir mitmischen. Gerade unsere Generation, die zwischen diesen beiden Polen hängt, kommt teilweise etwas meinungslos daher. Wirklich? Fridays for Future ist nicht unbedingt ein Zeichen für Meinungslosigkeit. Fridays for Future ist aber nicht meine Generation. Die Demonstranten sind 15 Jahre jünger. Wir beide gehören zu einer Generation, von der man nicht genau weiß, wofür sie eigentlich steht. Wir könnten uns mehr einsetzen. Wie können wir die Welt besser machen? Ich versuche es auf meine Weise, also mit Journalismus. Indem ich Themen aufzeige, die nicht so sehr beleuchtet werden. Indem ich mit Menschen spreche, die sonst nicht zu Wort kommen – damit bewirke ich im besten Fall Aufmerksamkeit, sodass sich auch die Politik damit befasst.

Haben Internet und Social Media die Welt besser gemacht? Das glaube ich nicht. Es ist wie mit dem Radio: Das wurde auch von diversen Seiten für ihre Zwecke eingesetzt. Letztendlich sind Medien ja auch nur Werkzeuge und es kommt darauf an, wie wir sie nutzen. Ich glaube, das Internet hat die Welt unübersichtlicher gemacht. Es ist keine einfache Zeit für Medienkonsumenten. Und es gibt vielerorts auch eine Überforderung unter den Journalisten. Ich hätte da von dir ja eigentlich eine optimistischere Antwort erwartet. Ich bin da mehr der differenzierte Typ, ich betrachte die Vorund Nachteile. Für mich persönlich ist das Internet natürlich super. Es entspricht komplett meiner Arbeitsweise. Diese Zusammenarbeit mit Nutzern war früher so gar nicht möglich. Das hat viele Vorteile. Aber die ganzen Disruptionen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben – wir wissen ja nicht, was das Resultat davon sein wird. Wir wissen nicht, was passiert, wenn große Unternehmen durch neue Geschäftsmodelle einstürzen, wenn große Medienhäuser zusammenbrechen und vielleicht auch das Bankensystem. Ich will keine Prognose dazu treffen, ob die Welt dadurch besser wird.

Lisa Altmeiers Interview mit Jens Twiehaus als Video und Podcast, dazu der TV-Fragebogen turi2.de/edition/altmeier

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»Ich lasse mich als Schlampe beleidigen, wenn auch eine inhaltliche Aussage kommt« Was war deine längste OfflinePhase in den vergangenen fünf Jahren – abgesehen von drei Stunden Bahnfahrt? Na, selbst im Zug bin ich noch hochmotiviert, irgendwelche Wege ins Netz zu finden. Ich kann mich an keine Offline-Zeiten erinnern. Unsere Crowdspondent-Recherche in Japan vielleicht noch, da hatten wir auf dem Land oft keinen Empfang und es gibt kaum gute Handytarife für Ausländer. Wir sind also immer vernetzt und leben in unruhigen Zeiten. Was heißt das für die journalistische Rolle? Gibt es noch den neutralen Berichterstatter oder löst sich dieses Selbstverständnis in sozialen Medien auf? Es gibt immer noch ein Bedürfnis nach sachlicher Information. In den Kommentaren unter Nachrichtentexten lese ich immer wieder: Schreibt das doch mal ganz sachlich auf und bringt nicht so viel Meinung rein. Der ganze Meinungsjournalismus ist extrem angeheizt worden, zum Beispiel durch die wütenden, lachenden, weinenden Emojis bei Facebook. Da haben sich viele Redaktionen berufen gefühlt, vor allem Kommentare zu veröffentlichen, denn das bringt ja viele Reaktionen und Klicks. Aber viele Menschen wollen einfach nüchtern informiert werden.


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Next Generation Zwischen Peter Kloeppel und Lisa Altmeier liegen 30 Jahre. Anlass für ein kleines Generationen-Interview

Peter Kloeppel

Lisa Altmeier

Wenn Sie auf die Generation schauen, die 30 Jahre älter oder jünger ist als Sie – was finden Sie gut an dieser Generation? Den Elan, die Energie, die Kreativität und die Lust, etDie Ruhe und Seriosität, die einige aus dieser Generatiwas zu bewegen. Die Freude im Umgang mit Medien. on ausstrahlen. Aber auch die Gelassenheit, mit der ihr eure Kinder erzogen habt – also uns. Was nicht so gut? Die Zeit, die viele damit verbringen, auf kleine BildBei einigen von euch verfliegt leider die komplette schirme zu gucken. Ich glaube aber, das Rumgucken in Gelassenheit, sobald ihr euch auf Facebook begebt. Was der Welt, das Erleben, Erriechen, Erfühlen, Erschmeich da von den Babyboomern immer so lesen muss, ist cken spielt auch noch eine wichtige Rolle in ihrem teilweise echt erschreckend – auch, was die AusdrucksLeben. weise angeht. Wo liegt der wichtigste Unterschied zwischen Ihren beiden Generationen? Wir haben mehr Erfahrung, wir sind 30 Jahre älter. Das Der Umgang zwischen Männern und Frauen ist ein ankann ein Vorteil sein, aber auch ein Nachteil. So gesederer in meiner Generation. Und das finde ich auch gut. hen: Lasst euch nicht erschüttern, wenn da jemand mit Und ich denke, wir machen uns mehr Gedanken darügrauen Haaren vor euch steht und sagt: „Ich hab das ber: Wie wollen wir eigentlich diese Welt hinterlassen? alles schon einmal gemacht.“ Kämpft für eure Ideen. Also: Braucht ihr Älteren eigentlich diese ganzen SUVs? Was würden Sie gern können, was diese Generation kann? Noch schneller auf dem Smartphone tippen. Ich sehe Ich würde auch gerne alle Telefonnummern und das an meiner Tochter: Zagga-Zagga-Wupp und schon Geburtstage meiner Freunde und Familie auswendig ist sie wieder weg. kennen, so wie meine Mama das draufhat. Aber ich hab halt leider einen Teil meines Gehirns ins Smartphone outgesourct. Was würden Sie dieser Generation raten? Öfter mal auf die eigenen Kinder hören. Auch im InterEinfach mal ein bisschen weniger auf dieses kleine Genet den Anstand beibehalten, den ihr offline pflegt. Und rät gucken. Raus gehen, mit den Leuten reden, streiten nicht so sehr an euren Babyboomer-Chefsesseln kleben, und diskutieren. Die Welt aufnehmen, wie sie ist und sondern euch kompetente Nachfolger aufbauen. sie nicht nur durch den Filter von Medien betrachten. Erfahrungen und Fehler machen – und erkennen, dass man für einen Fehler nicht gleich geköpft wird.

Peter Kloeppel und Lisa Altmeier im Generationen-Video turi2.de/edition/2generationen

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SO VIELFÄLTIG IST DAS TV-MAGAZIN

Nr.1 prisma – Große Themenvielfalt! Wir bieten unterhaltende und nutzwertige Inhalte in unseren wöchentlich 5 Regionalausgaben und auf prisma.de. Profitieren Sie von passenden Umfeldern, einer starken Leser-Blatt-Bindung und 7 Millionen verkauften Exemplaren*! prisma – mehr als Deutschlands auflägenstärkstes TV-Magazin! Erfahren Sie mehr zur redaktionellen Qualitätsoffensive: www.prisma-verlag.de/vielfalt

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Quelle: IVW II/2019


ZAHLEN BITTE!

YOUTUBE & CO

234 37 Von Anne Fischer

Minuten verbringen die 14- bis 29-Jährigen täglich mit Bewegtbild. Fast eine Stunde davon entfällt auf kostenlose Online-Videos, 51 Minuten auf Bezahlangebote von Amazon, Netflix und Co

der Deutschen konsumiert täglich Videos auf YouTube – durchschnittlich elf Minuten. Jeder Fünfte nutzt online mindestens einmal pro Woche Mediatheken

1:1

DREI zusätzliche Geräte schließen Besitzer von Smart-TVs durchschnittlich an: 63 Prozent einen DVD- oder Bluray-Player, 55 Prozent eine Spielekonsole und 48 Prozent einen USB-Stick. Dazu kommen oft noch Streamingsticks, Laptops, Stereo-Anlage oder SD-Karte

steht es in Deutschland nahezu beim Wettstreit um das liebste Abspielgerät für Videos: 48 Prozent gucken im Fernseher, 45 Prozent auf dem Smartphone

500

951

Millionen Nutzer weltweit sehen täglich InstagramStories. Ein Drittel der am meisten angesehenen Stories auf Instagram stammt von Unternehmen

Prozent der Videostreamer sind gesetzestreu – nur fünf Prozent nutzen illegale Streams

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Prozent des globalen CO2-Ausstoßes entsteht durch Video-Streaming. Laut einer Studie des „The Shift Project“ verursachen Video-on-Demand-Dienste wie Netflix und Amazon Prime so viel CO2 wie das Land Belgien. Und OnlinePornos brauchen so viel Strom wie ganz Rumänien

Quellen: ViewTime Report 2019, Seven One Media , Bitkom, Deloitte, forsa, Futurebiz, GfK, Statista, SevenOne Media, The Shift Project

EIN VIERTEL

Jahre ist der deutsche Durchschnittsnutzer von Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime und Maxdome alt. Die Heavy-User sind zwischen 20 und 30. 22,7 Millionen Deutsche schauen inzwischen online Filme und Serien bei kostenpflichtigen Diensten


FAK E Hintergründe und Aktuelles rund um den deutschen Profifußball. Bei uns aus erster Hand.

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Die neuen Lagerfeuer Das Fernsehen war über Jahrzehnte die kollektive Erlebnismaschine, die die Nation emotional zusammenhielt. Was kommt jetzt? Von Imre Grimm*

Als Winnetou starb, ging ein kollektives Schluchzen durchs Land. Das langsame Dahinscheiden des Fernsehens läuft weniger tränenreich ab


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Foto: Picture Alliance

a naht das alte Fernsehen. Es humpelt. Thomas Gottschalk hat sich das Knie verdreht. „Der Quadrizeps“, sagt er, vor ein paar Wochen ist er gestürzt. Frühjahr 2016. Der Letzte seiner Art will es noch einmal wissen. In einem Luxushotel in Berlin stellt er der Presse die Show „Mensch Gottschalk“ vor. Nochmal drei Stunden Allerweltsfernsehen für drei Generationen, sonntags bei RTL parallel zum „Tatort“. Noch einmal Nena, die Pet Shop Boys und Dieter Zetsche in einer Show. Keine gute Idee. Nach zwei Ausgaben wird Schluss sein. Es ist vorbei mit dem Fernsehen, wie es früher war. Als nationales Heiligtum hat es ausgedient. Den televisionären Weltumarmer, der für drei bis fünf Stunden Benzinpreise, Tempolimit und Nieselregen vergessen machte, der als großer Gemeinschaftsstifter das Patchwork der Lebensstile versöhnte, gibt es nicht mehr. Über Jahrzehnte

*Imre Grimm, 46, leitet das Ressort Gesellschaft beim Redaktions-Netzwerk Deutschland (RND) von Madsack. Der Medienexperte und Fernsehfan lebt mit Familie in Hannover

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definierte das lineare Programm die Agenda des Landes, war als Lieferant für magische Augenblicke der Kitt, der den Laden emotional zusammenhielt. Fernsehen stiftete Identität. Das kann man als übergriffig oder als Laudanum für die Volksmassen geißeln, aber es hatte auch eine heilsame Wirkung: Es half beim inneren Datenabgleich. Wo stehe ich? Wo die anderen? Was ist Konsens? Was nicht? Die großen TV-Conférenciers der Siebziger bis Neunziger waren ja allesamt emotionale Fluchthelfer mit staatsstabilisierender Wirkung: von Hans Rosenthal („Dalli Dalli“) bis Joachim Fuchsberger („Auf Los geht’s los“), von Hans-Joachim Kulenkampff („Einer wird gewinnen“) bis Rudi Carrell („Am laufenden Band“) und – im Osten – Heinz Quermann, O.F. Weidling und Wolfgang Lippert. Prediger der Leichtigkeit, Apologeten der Ablenkung. Im Weichzeichner der Erinnerung wird die große Samstagabendshow noch zusätzlich überhöht zum Inbegriff der bundesrepublikanischen Idylle, zur großen Versöhnungsfeier der Generationen. Weltreiche vergingen, Mauern fielen. Aber so lange alle paar Wochen ein Bagger neben einer deutschen Mehrzweckhalle zehn Bierflaschen in zwei Minuten öffnete, war die Welt in Ordnung. Eine zeitlose Regel: Erfolgreich im Fernsehen ist, was dem Geist der Gegenwart vollendet Ausdruck verleiht. „Wetten, dass..?“ war im Zenit seines Erfolgs der Ofen, an dem der vom kalten Tempo der achtziger

Die Ablenkung trägt Anzug: Die großen Unterhalter schenkten den Deutschen jahrzehntelang Momente bis Stunden der Unbeschwertheit. Wenn Thommy wettete, Rosenthal in die Luft sprang und Kuhlenkampff, Carell oder Quermann in die Kamera zwinkerten, war die Welt in Ordnung. Und wenn Butler James über den Tiger stolperte, sowieso

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»Den klassischen Sendern bleiben mittelfristig nur die Älteren, die Weggenickten und die Offliner – allesamt für die Werbeindustrie unattraktiv«

Fotos: Picture Alliance

Jahre ermattete Bundesbürger die müden Knochen wärmte. Frank Elstners Kopfgeburt vereinte die Werte und Wünsche der Deutschen: Beamtenfernsehen trifft bürgerliche Weltläufigkeitssehnsucht. Herrlich. Deshalb wurde „Wetten, dass..?“ 33 Jahre alt. Genau wie Jesus. Von der nostalgischen Schwermut der „Generation Golf“, die sich für ihre Kinder das gleiche Im-Bademantelvor-dem-Fernseher-Gefühl der Sicherheit wünschte, das sie selbst zwischen Zauberwürfel, PlaymobilPiratenschiff und Carrera-Bahn gespürt hatte, zehrte die Show noch, als sie längst schon todkrank war, als die Zahl der Nischen wuchs und der Mainstream dahinschmolz. In den Neunzigern war die Schwemme von Nachmittagstalks mit Hans Meiser, Bärbel Schäfer und Arabella Kiesbauer dann Symptom kultureller Trivialisierung. Und „Big Brother“, „Dschungelcamp“ und Castingwelle waren ein perfekter Ausdruck der neoliberalen Nullerjahre, als vor Ehrgeiz bebende Ich-AGs mit Ellenbogen alles dem Egotrip unterordneten. Eine gesellschaftliche Giftinjektion, die den deutschen Alltag greller, schärfer, verletzender und anstrengender machte. Die Quote wurde zum Fetisch, Politik zu Entertainment, Lüge zur Pseudodoku. Wer statt Versöhnung, Weltumarmung und Sicherheit über Jahre hinweg Kinderbeschimpfung und Milieubashing zeigt, muss sich heute nicht wundern, wenn das Publikum seine Gemeinschaftssehnsüchte anderswo zu befriedigen versucht. Bei Netflix. Bei YouTube. Bei Amazon. Die Identitätskrise der Deutschen hat viel zu tun mit dem Verschwinden positiver Kollektiverlebnisse. Winnetou, Kerkeling als Beatrix und „Dinner for One“ - hach, wisst ihr noch? Solche Sternstunden der

Unterhaltung haben das kollektive Gedächtnis geprägt. Der „King of Pop“ im flatternden weißen Hemd auf dem Baugerüst. Das Sommermärchen. Der beleidigte Götz George. Franz Beckenbauer einsam auf dem Rasen. Der zeternde Marcel Reich-Ranicki. Lena beim Eurovision Song Contest 2010. Götzes Schuss. Ein paar FußballLänderspiele gehören bis heute zu den letzten nationalen Events. Ab und zu ein „Tatort“, der sich mit Formatbrüchen geschickt relevant hielt. Das war‘s. Gemeinsames Erleben aber macht das Gespräch einer Gesellschaft mit sich selbst erst möglich. Die TV-Welt der Gegenwart ist ein globalisiertes Füllhorn des Entertainments. Die extreme Zersplitterung hat einen hohen Preis: Es ist die kulturelle Vereinzelung. Wenn also das große Lagerfeuer Fernsehunterhaltung ausgeht – um wen oder was wird sich die frierende Nation dann versammeln? Und welcher Phönix steigt aus der erkaltenden Asche hervor? Es sind nicht mehr lineare TVProgramme, die heute die verbindende Kraft gemeinsamen Erlebens liefern. Es sind Menschen und Marken. Die Teilzeit-Communities der Gegenwart versammeln sich um Influencer, Serienhelden, Comedians und Produktwelten. Das gemeinsame Erlebnis von heute ist das kollektive, aber eben zeitversetzte Rührungsschluchzen über James Cordens „Carpool Karaoke“-Folge mit Paul McCartney, 44 Millionen Mal bei YouTube geklickt. Oder das Kinderspiel mit den vertrauten Helden aus Legos „Ninjago“-Kosmos. Oder der heilige Fan-Zorn über das holprige Ende von „Game of Thrones“. Loyalität ist der Stoff, aus dem die Kollektiverfolge der Zukunft

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»Das Lagerfeuer ist keine mächtige, zentrale Flamme mehr, sondern das wandernde, irrlichternde Lodern zahlloser Flämmchen.«

gewoben werden. Loyale Fans haben Darts zum Trendsport erkoren. Loyale Fans haben E-Sports zum Milliardenmarkt gemacht. Loyale Fans sind es, die YouTube-Kanäle aufsteigen und wieder verglühen lassen. Ländergrenzen? Kulturgrenzen? Altes Denken. Die Generation Z sucht die Gesellschaft von ihresgleichen und ihre Helden weltweit. Wohlige Nachbarschaftsgefühle entstehen heute über Ozeane hinweg – unter „Stranger Things“-Fans in Washington und Würzburg, unter Lady-Gaga-Monstern in Marseille und Helsinki. Mit Baggern beim Kopfstand kommst du nicht mehr weit. Aber ein Kinderlied mit Baggerbildern bei YouTube hat 49 Millionen Aufrufe. Das popkulturelle Schlemmerbüffet der Welt hat uns daran gewöhnt, dass die Befriedigung jedes visuellen Bedürfnisses nur einen Mausklick entfernt ist. Global ist normal. Die Netflix-Serie „Narcos“ hat ein französisches Team mit einem Brasilianer in der Hauptrolle in Kolumbien gedreht, und ihre treuesten Fans hat sie in Deutschland. Fernsehen? Das ist für die Generation Z bloß kaputtes YouTube. Den klassischen Sendern bleiben mittelfristig nur die Älteren, die Weggenickten und die Offliner – und die sind allesamt für die Werbeindustrie unattraktiv. Die TV-Branche hat nur eine Chance gegen die globalen Geschichtenerzähler: Kollektiverlebnisse und Aufreger. Die größte Schwäche des „alten Fernsehens“ könnte zur größten Stärke werden: die Linearität. Live – ein Rettungsanker? RTL zeigt 2020 eine Live-Herz-OP nach dem Vorbild der BBC, überträgt zu Ostern dann sogar Passionsspiele live. Live heißt: Überleben. Parallel entsteht ein „Global Village“, das eben keine betonierte Kommune ist, auf deren Dorfplatz ein Feuer brennt. In Wahrheit ist

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es ein Trailer-Park mit Tausenden Wohnwagen voller Tropfkerzen, in denen sich ständig wechselnde Cliquen zum Abhängen, Glotzen und Quatschen treffen. Die Wohnwagen parken stündlich um, die Menschen kommen und gehen, nichts bleibt je gleich. Und das Lagerfeuer ist keine mächtige, zentrale Flamme mehr, sondern das wandernde, irrlichternde Lodern zahlloser Flämmchen. Kleinen, schnellen Formaten gehört die Zukunft. Wie „Comedians in Cars Getting Coffee“ mit Jerry Seinfeld. Wie „Between two Ferns“, die Talkparodie mit Zach Galifianakis. Wie Jan Böhmermanns und Olli Schulz‘ Plauderstunde „Fest & Flauschig“, 2018 der erfolgreichste Spotify-Exklusiv-Podcast der Welt. Jeder 15-Jährige, der ein Smartphone halten kann, kann heute Flämmchen werden. Dann gibt es noch die gigantischen Flammeninfernos, deren Funkenflug Bilder in die letzten Winkel der Erde trägt: Apple, Amazon, Google. Die Leitfackeln der Zeit sind Marken. Ein halbes Dutzend globaler Konzerne definiert, was Milliarden Menschen im Netz sehen, kaufen, lesen und tun. Natürlich macht dieser Überfluss etwas mit uns: Er zwingt, die Frage nach der eigenen Identität permanent neu auszuhandeln. Die kulturelle Sozialisation vollzieht sich längst in der Blase des eigenen sozialen Netzwerks zwischen Menschen, deren stärkste Gemeinsamkeit nicht mehr Nation, Religion, Hautfarbe, Sprache oder Herkunft ist, sondern Geschmack oder Meinung. Hybridmedien werden Real Life und virtuelle Realität verschmelzen lassen. Der „Tatort“ könnte so bald zum individualisierbaren Mix aus Real-Life-Verbrecherjagd und virtuellem Erleben werden. Mit Thiel und Boerne durch Münster, real oder per Datenbrille? Emil und die


Detektive als virtuelle Ermittlergang mit wildfremden Gleichgesinnten? Warum denn nicht? Und was, wenn sich das digitale Sozialleben von den Konzernen emanzipiert? Was, wenn soziale Netzwerke – wie TV, E-Mails, Mobiltelefone – offenen Standards und Protokollen unterlägen? Dann wäre „Social Media“ nicht mehr plattformabhängig. Kein „Ort“ mehr, den man aufsucht, um sich auszutauschen. Sondern das Netz selbst. Der digitale Kreißsaal könnte eigene Helden gebären, KI-gesteuerte Kunstfiguren, die aus den präzisen Sehnsüchten wechselnder Nutzergruppen ein Moderatoren- oder Showprofil errechnen, das exakt zum Zeitgeist passt. Und bei dem es egal ist, ob er aus Einsen und Nullen besteht. Oder aus Fleisch und Blut.

Fotos: Picture Alliance

Wie Gottschalk, der sich seit jenem Flop 2016 mit wachsender Verzweiflung gegen den Bedeutungsverlust stemmte, etwa als Juror bei der Pro7-Fleischbeschau „Germany‘s Next Topmodel“. Es hatte etwas Tragisches, wie er 2018 dem Finale einer überzuckerten Trash-Livehochzeit beizuwohnen versuchte. „Kommkommkomm, Ringe, Ringe, Thomas!!“, rief Heidi Klum. „Was? Wie?“, murmelte Gottschalk. Und trug fahrig, aber artig die Trauringe heran, ferngesteuert wie ein altes Zirkuspferd, das innerlich emigriert ist, aber nicht mehr anders kann. Er macht jetzt wieder Radio in Bayern. Wie früher, vor einer Million Jahren. Es ist vorbei.

Gemeinsames Erleben ermöglicht das Gespräch einer Gesellschaft mit sich selbst. Einst erlebte man eher national: Kerkeling als Beatrix, „Tatort“, Marcel Reich-Ranickis Zetern, deutscher Jubel bei ESC und WM. Gesprächsstoff für die globale Gesellschaft bietet heute YouTube: Paul McCartney beim „Carpool Karaoke“, Comedians auf Roadtrip und Hillary Clinton „between two ferns“

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»Mit dem Alter komme ich nicht klar« Frank Elstner, 77, ist eine lebende TV-Legende: Der Erfinder von „Wetten, dass..?“, Moderator von „Verstehen Sie Spaß?“ und einfühlsame Interviewer der Stars und Nobelpreisträger biegt in die Zielgerade seines Lebens ein – und zieht schonungslos Bilanz Von Peter Turi (Text) und Gaby Gerster (Fotos)

Ich finde Ihr Leben faszinierend – würde es verfilmt, wäre für mich die Einstiegsszene die Nacht, in der Frank Elstner „Wetten, dass..?“ erfand. Wie war die? Auf jeden Fall nahezu schlaflos. Und vielleicht die wichtigste meines Lebens. Das Entscheidende war, dass ich mir eine Frage gestellt habe: Warum wird im deutschen Fernsehen nicht gewettet?

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Warum nicht? Vermutlich, weil Wetten, vor allem um Geld, ein schlechtes Image haben. Ich hatte aber zuvor bei einem Hunderennen in England mit zwei Freunden 20.000 Pfund gewonnen – und wusste, welche Freude eine gewonnene Wette auslösen kann. Und in dieser Nacht, Ende 1980 war es, ist mir in einer Art Tagtraum, in einem Zustand zwischen wach


Schulterblick im FrĂźhherbst: Frank Elstner, 77, schaut vom Regiestuhl aus auf ein Leben voller Triumphe und Niederlagen


und schlafend, die Idee zu „Wetten, dass..?“ gekommen. Ich bin in die Küche gerannt, habe eine Flasche Rotwein aufgemacht und das Konzept von „Wetten, dass..?“ runtergeschrieben. Es war alles schon drin: die Saalwette, die Außenwette, die TEDAbstimmung. Waren Drogen im Spiel? In Ihrer Autobiografie schreiben Sie von einem „rauschhaften Zustand“. Nein, auf Drogen war ich nie. Es sei denn, Sie zählen einen guten Rotwein zu den Drogen. Der meiste Rotwein ist aber geflossen, nachdem ich die Idee hatte. Auf den sieben Seiten Konzeptpapier aus jener Nacht, das ich heute noch habe, sieht man deutlich, wie meine Schrift gegen Morgen immer größer wird. Ahnten Sie damals, dass „Wetten, dass..?“ die erfolgreichste TV-Show Europas werden könnte? Ich habe sofort gewusst: Mir ist hier etwas Großes eingefallen. Ich hatte ja die Zusage vom späteren Intendanten des ZDF, Dieter Stolte, und seinem Unterhaltungschef Wolfgang Penk: „Wenn Sie eine gute Idee haben, kriegen Sie eine SamstagabendShow im ZDF.“ Ich war einfach im richtigen Moment mit der richtigen Idee am richtigen Ort. Sie haben gegenüber dem ZDF selbstbewusst verhandelt und die größtmögliche Ausstattung verlangt. Woher das Selbstbewusstsein? Ich glaube, wenn man etwas Großes vorhat und nicht vom Selbstbewusstsein begleitet wird, dann braucht man gar nicht erst

anzufangen. Wenn ich mich auf drei Kameras, ein kleines Studio und weniger prominente Kandidaten hätte beschränken lassen, wäre das Ding in die Hose gegangen. Es gibt große Ideen – und Schnapsideen. Können Sie die beiden voneinander unterscheiden? Nicht immer auf Anhieb. Für die erste Sendung von „Wetten, dass..?“ habe ich Stühle bauen lassen, die hydraulisch nach oben gefahren sind, wenn der Wettpate viel Zuspruch bekam. Bei der zweiten Wette habe ich den Weltstar Curd Jürgens in zwei Metern Höhe baumeln sehen und wusste: Das ist Mist. Ich habe die Stühle in der zweiten Sendung weggelassen – obwohl sie sehr teuer waren. Was ist wichtiger: Talent oder Fleiß? Beides. Talent ohne Fleiß endet oft im Alkohol. Ich habe im Laufe meines Lebens viele talentierte Menschen kennengelernt, deren Alkoholprobleme ich niemandem wünsche. Wie kreativ ist eigentlich der Zuschauer? Wenn der Zuschauer ein Problem lösen soll, ist er verhältnismäßig unkreativ. Wir haben bei Radio Luxemburg mal ein neues Wort für Polizisten in Nordrhein-Westfalen gesucht. Was Nettes, wie zum Beispiel Bobby bei den Engländern. Wir hatten einen Wettbewerb mit 30.000 Zuschriften. Und am Ende kam das blöde Wort „Polli“ raus. Aber wenn man den Menschen sagt, hier kannst du was von dir zeigen, dann ist die Fantasie der Zuschauer unendlich. Wir hatten

»Ich habe den Weltstar Curd Jürgens in zwei Metern Höhe baumeln sehen und wusste: Das ist Mist« für jede „Wetten, dass..?“Sendung 100.000 Wettvorschläge, brauchten aber nur sechs. Ich habe zu Hause heute noch eine Kiste spannender Wetten und könnte jederzeit wieder anfangen. Gibt es eine Altersgrenze für Kreativität? Nein. Ich glaube, dass der ältere Kreative eher mehr Ideen hat – weil ja die Erfahrung dazukommt. Höchstwahrscheinlich hat er mehr vernünftige Ideen und produziert weniger Makulatur. Ich würde gern ein paar Themen im Schnelldurchlauf abfragen. Wir beginnen mit Frank Elstner und Erfolg. Dazu fällt mir ein, dass ich viel Glück gehabt habe in meinem Leben – und dass ich mich nicht beklagen sollte über meine Misserfolge, sondern dankbar sein für meine Erfolge. Frank Elstner und Geld. Das ist ein schwieriges Kapitel. Ich habe gut verdient, aber auch furchtbar viel Geld in Projekte investiert, die nichts geworden sind. Am Ende ist weniger hängen geblieben, als es möglich gewesen wäre. Aber niemand muss sich Sorgen machen um mich und meine Familie. Frank Elstner und Ruhm. Mach‘ ich mir nichts draus. Ich hatte Kollegen, die sind durch die Innenstädte gefahren, haben das Autofenster runter gekurbelt und Autogramme

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auf die Straße geworfen. Ich brauche weder Aufmerksamkeit noch eine Vorzugsbehandlung. Toll war die Nähe, die wir zu den Hörern hatten, als ich noch für Radio Luxemburg gearbeitet habe. Für die Hörer war ich der Frank, ein guter Freund – das war meine schönste Zeit. Frank Elstner und das Internet. Ist kein Neuland mehr für mich, denn ich interviewe ja Stars wie Jan Böhmermann, Herbert Grönemeyer und Helene Fischer für meine YouTube-Reihe „Wetten, dass war’s..?“. Und es freut mich, dass junge Leute sagen: „Guck mal der alte Kerl, der hat ja noch ganz gute Ideen.“ Kürzlich hat ein Kollege gesagt: „Du bist nominiert für den Nachwuchspreis im Internet“ – mit 77, das fand ich schon witzig! Frank Elstner und die Eitelkeit. Ich habe ein Glasauge – da lernt man früh, nicht so eitel zu sein. In der Zwischenzeit habe ich auch ein Hörgerät. Morgens stelle ich mir den Anspruch, fünf Dinge nicht zu vergessen: Auge, Ohr, Handy, Portemonnaie und Autoschlüssel. Frank Elstner und das Alter. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, sehe ich immer noch so aus wie vor 20 Jahren – aber nur, weil ich so kurzsichtig bin. Im Ernst: Mit dem


Der Mann, dem die Ideen nie ausgehen: Frank Elstner hat noch viele Konzepte in der Schublade im BĂźro seiner Firma Elstnertainment in der Lichtenthaler Allee in Baden-Baden


»Wir haben die Live-Musik verdrängt, aber die Beatles und die Stones in die Dörfer gebracht« Alter komme ich nicht klar. Dass ich jetzt schon so alt bin und rundum immer mehr Freunde wegsterben, ist etwas, das macht keinen Spaß. Wenn ich etwas erfinden könnte, wie man 100 Jahre alt wird – das wäre noch besser als „Wetten, dass..?“. Frank Elstner und der Tod. Na ja, da müssen Sie halt überlegen, wie Sie horizontal abreisen, ohne zu viel Schrecken zu hinterlassen. Das heißt: Natürlich habe ich ein Testament gemacht, damit meine Kinder keinen Grund zum Streit haben. Sonst denke ich wenig über den Tod nach. Aber die Begegnung kommt jeden Tag, wenn ich die Zeitung aufschlage mit den Todesanzeigen. Jetzt müssen Sie fragen: Was kommt für Frank Elstner nach dem Tod? Gern. Was kommt für Sie nach dem Tod? Das weiß ich nicht. Aber es wird ein großes Abenteuer sein, auf das ich mich fast ein bisschen freue. Denn ich weiß nicht, was da passiert. Das hat der liebe Gott ja fantastisch inszeniert, dass wir unser letztes Stündchen nicht vorhersagen können. Ich könnte mir vorstellen, dass mein letzter Satz heißt: „Nun bin ich aber gespannt.“ Ich finde ja den Grabspruch „Er starb neugierig“ schön.

Auf jeden Fall besser als „Hier starb einer, der Vorfahrt hatte.“ Im Ernst: Ich glaube, dass die Nähe zum Tod eine unglaubliche Chance für uns Menschen bietet, darüber nachzudenken, was man sich selbst vorzuwerfen hat. Frank Elstner und Loslassen: Können Sie loslassen oder klammern Sie? Ich glaube, ich kann sehr gut loslassen. Ich habe viele meiner Sendungen in gute Hände übergeben. Thomas Gottschalk ist mir heute noch dankbar, dass ich ihn einmal in einem Hotel in München fragte: „Möchtest du ‚Wetten, dass..?‘ übernehmen?“ Haben Sie es jemals bereut, dass Sie „Wetten, dass..?“ relativ früh, nach 39 Sendungen zwischen 1981 und 1987, abgegeben haben? Nein, überhaupt nicht. Ich habe die genau richtige Entscheidung getroffen, den angesagten Moderator Thomas Gottschalk in den Mittelpunkt der Sendung zu stellen. Ich habe nur den Fehler gemacht, die Rechte nicht zu behalten. Das war wirtschaftlich gesehen idiotisch. Thomas Gottschalk war immer schlagfertiger als Sie, glamouröser. Er war der Showstar, Sie mehr der Show-Arbeiter. Haben Sie ihn darum jemals beneidet? Nein, um Gottes willen! Ich habe ihn bewundert, sonst hätte ich ihn ja gar

nicht erst gefragt, ob er „Wetten, dass..?“ machen möchte. Er hatte ja vorher schon Erfolg und die jungen Leute liebten ihn, wie sie heute Joko und Klaas lieben. Thomas war einfach cool – obwohl man damals noch nicht „cool“ gesagt hat. Aber er war es. In Ihrer Autobiografie rügen Sie Gottschalks „Oberflächlichkeit“ gegenüber den Gästen der Show. Sie schreiben: „Hin und wieder hätte es nicht geschadet, wenn er eine vernünftige Frage gestellt hätte.“ Thomas und ich haben ein wirklich erstklassiges Verhältnis. Aber er ist für mich nie der große Journalist gewesen. Thomas ist ein wunderbarer Verkäufer. Ich habe ihn immer bewundert für seine Leichtigkeit, für seinen Wortwitz, für seine Schlagfertigkeit, für seinen Mut, Klamotten zu tragen, von denen ich nicht einmal wüsste, wo man sie kaufen kann. Ich bin ein Moderator, der seine Gäste in den Mittelpunkt stellt. Thomas ist der Mittelpunkt. Sie haben in Ihrer Zeit als Programmdirektor der fröhlichen Wellen von RTL in Luxemburg manch lohnenden Deal eingefädelt. Die Staumeldungen haben Sie quasi an Ford verkauft. Jens Feddersen, damals Chefredakteur der „Neuen Ruhr Zeitung“ in Essen, und ich dürften Erfinder der sogenannten Zusammenarbeit mit Dritten sein. Ich habe damals in Luxemburg einen ganz geringen Etat gehabt und konnte mit Mühe und Not 20 Discjockeys bezahlen

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und Platten auflegen. Ich habe immer überlegt: Wie kommst du an Kohle ran und machst ein gutes Programm? Sie schreiben in Ihrer Biografie, dass viele Radio-Kollegen sich von der Musikindustrie schmieren ließen. Damals hat die das große Geld ja mit Schallplatten gemacht – und für deren Verkauf war es extrem wichtig, im Radio gespielt zu werden. Wie lief die Bestechung? Jedes SchallplattenLabel hatte seine eigenen Sender-Betreuer. Junge PR-Menschen, die von Sender zu Sender gereist sind und Platten verteilt haben: „Hier habe ich wieder etwas ganz besonders Schönes von Vicky Leandros.“ Sie haben die Discjockeys zum Essen eingeladen, ihnen neue Schallplattenspieler geschenkt oder den Urlaub finanziert. Alle haben mitgemacht? Wie in jeder Branche, in der bestochen wird: Der eine macht mit, der andere nicht. Wir hatten in Luxemburg vergleichsweise saubere Verhältnisse. Vor allem, weil der Generaldirektor mitverdienen wollte. Es gab dann Platten mit einem roten Punkt: Auf deren B-Seite ist der Musikverlag von Radio Luxemburg als Verleger aufgetaucht und hat so mitkassiert. Das hat mir nie gefallen. Sie hatten einen lukrativen Nebenjob – als DiscoEröffner. Ich glaube, ich habe 1964, 65 und 66 mindestens 200 Diskotheken eröffnet. Tanzsäle auf den Dörfern, wo man zwei Plattenspieler reingestellt hat


Foto: Picture Alliance (1), privat (3)

Frank Elstner wird am 19. April 1942 als Timm Franz Maria Elstner im österreichischen Linz geboren – und arbeitet seit nunmehr 67 Jahren im Showgeschäft. Beide Eltern, Erich (Foto unten links) und Hilde, sind Schauspieler und landen nach dem Krieg beim neu gegründeten Südwestfunk in Baden-Baden, wo ihr Sohn mit gerade mal zehn Jahren Hörspiele spricht. Das Foto oben zeigt Elstner ganz links im „Club der kleinen Wellenreiter“, zweiter von rechts ist sein älterer Bruder Frank. 1964 geht Timm Elstner zu Radio Luxemburg, wo er seinen Vornamen auf Wunsch von Programmdirektor Camilo Felgen in Frank ändert und später – damals noch Raucher – selbst Chefsprecher und Programm-

direktor wird. 1981 erfindet Elstner fürs ZDF die Samstagabend-Show „Wetten, dass..?“, die er 1987 an Thomas Gottschalk übergibt. Elstners Nachfolge-Show „Nase vorn“ bringt im ZDF nicht den erhofften Erfolg. Elstner moderiert bei SWF, ZDF und RTL Shows wie „Montagsmaler“, „Verstehen Sie Spaß?“ und „Jeopardy“. Elstner ist in dritter Ehe verheiratet und hat fünf Kinder. Zusammen mit seinem Sohn Thomas produziert er auf YouTube die Talkreihe „Wetten, das war's..?“. Dort erreichen seine Interviews mit Jan Böhmermann und Helene Fischer mehr als eine halbe Million Aufrufe. Im April 2019 macht Elstner öffentlich, dass er an Parkinson erkrankt ist

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Gold im Regal: Frank Elstner hat Goldene Löwen, Kameras und Bambis auf dem Bücherbord wie andere Blumenvasen

und sagte: Jetzt macht der Discjockey bei uns die Musik. Die Live-Musik, die früher da gespielt wurde, haben wir verdrängt – aber wir haben die Beatles und die Stones in die Dörfer gebracht. Digital erlebt das gute alte Radio als Audio gerade eine Renaissance durch Podcasts. Freut Sie das? Das gute alte Radio ist tot. Das ist schon vor vielen Jahren gestorben, als die Amerikaner mit ihrem schrecklichen Formatradio kamen. Die Computerprogramme haben den Discjockey gekillt, der eine Persönlichkeit war und die Musikstücke selbst ausgesucht hat. Heute machen alle dasselbe

Programm und dieselben Witze. Irgendwann wird einer die Podcasts formatieren – und dann ist das auch vorbei. Was viele nicht wissen: Sie waren eine Art Kinderstar in den Radiozeiten der 50er Jahre beim SWF. Der kleine Timmi sprach nicht nur Hörspiele, sondern machte auch Werbung. Ja, das stimmt. Ich war die Stimme für Kaba und habe jahrelang gesungen „Kaba, Kaba – hält dich gesund“. Für 30 Mark, was damals viel Geld war. Für das Bambi, das ich in einem Hörspiel gesprochen habe, bekam ich sogar 40 Mark – die haben aber meine Eltern eingezogen.

Was trieb Sie früher an? Im Interview mit der „Zeit“ haben Sie gesagt: „Es gibt doch immer den Motor Gefallsucht.“ Ja, klar. Mich hat angetrieben, dass die Leute geklatscht haben, wenn ich etwas Komisches gemacht habe. Ich war eigentlich immer eine Art Klassenclown und habe als junger Mensch schon Musicals inszeniert und fand das immer ganz toll, wenn die Leute mich beklatscht haben. Wenn ich ein Gedicht aufgesagt oder das Rumpelstilzchen gespielt habe in einem Kinderheim in Baden-Baden und mich zum Schluss dann zerrissen habe. Und die Leute grölten und applaudierten – das war mein Honorar.

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In Ihrer Autobiografie warnen Sie davor, dass TV-Leute sehr gefährdet sind, in die Falle der Eitelkeit zu tappen. Klar. Aber das gilt nicht nur für TV-Leute, sondern auch für Digital-Stars und die Influencer. Erfolg kann süchtig machen – und auch ganz schön verderben. Man sollte geerdet sein und immer wissen, wo man herkommt. Ich habe gelesen, dass Sie im Februar 1981 die erste „Wetten, dass..?“Sendung mit sechs Zentimeter hohen Plateausohlen moderiert haben. War das Eitelkeit? Mit Sicherheit. Ich bin 1,73 und kam mir immer zu klein vor. Ich habe mir deshalb vor der ersten


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Sendung hohe Absätze an die Schuhe machen lassen. Aber als ich mich hinterher gesehen habe, wie ich über die Bühne stolziere, habe ich mir gesagt: Ne, das muss nicht sein. Seitdem stehe ich zu meinen 1,73. Inzwischen bin ich sicher um zwei Zentimeter geschrumpft. Eine Weile haben Sie sich fürs Fernsehen die ergrauten Haare gefärbt – aus Eitelkeit? Nein, das war, weil RTLChef Dr. Helmut Thoma zu mir sagte: „Frong, feab dia di Hoa, da schaugst jinger aus.“ Ich habe dann 800 Mal „Jeopardy“ mit gefärbten Haaren moderiert. Danach habe ich sie nie wieder gefärbt, seitdem bin ich Häuptling Silberlocke. Sie sind mit 13 sitzen geblieben. Später sind Sie durchs Abitur gerasselt. Wollten Sie danach der Welt zeigen, dass der kleine Timmi doch ein Großer wird? Klar. Wenn Sie als einziger an einem bedeutenden Gymnasium durchs Abitur fallen, ist das ein Arschtritt, wie er schlimmer nicht sein kann. Ich habe

jahrelang davon geträumt, bin schweißgebadet aufgewacht und habe nachts diesen Moment erlebt, als die Klassenlehrerin sagt „Komm mal her“. Da wusste ich schon, jetzt ist es passiert. Ich habe mir damals vorgenommen, nie wieder in eine Situation zu kommen, in der andere Leute mir sagen, wo es langgeht. Und glücklicherweise ist mir das gelungen. Sie galten anfangs als ungeeignet fürs Fernsehen. Sie haben ein verkümmertes rechtes Auge, waren schüchtern. Erst beim Kinderfunk wurden Sie richtig selbstbewusst. Ich war ein begabtes Kind, habe beim Kinderfunk wunderbare Erfahrungen gemacht. Ich habe mit berühmten Schauspielern zusammengearbeitet, wie Sonja Ziemann, Horst Frank und Theo Lingen. Die waren alle mit mir im Studio um dieses Mikrofon versammelt – und haben viel mehr Fehler gemacht als ich. Da bekam ich ein unglaubliches Selbstbewusstsein im Sinne von: Na, was die können, kann ich schon lange.

»Ich möchte so leben, dass ich in den Himmel komme. Ob das ein buddhistischer Himmel ist oder ein katholischer oder jüdischer, kann ich nicht sagen« Mit welcher inneren Haltung sind Sie durchs Leben gegangen? Ich habe es meiner Frau gegenüber mal ganz einfach ausgedrückt: „Ich möchte so leben, dass ich in den Himmel komme.“ Ob das ein buddhistischer Himmel ist oder ein katholischer oder ein jüdischer Himmel, kann ich Ihnen nicht sagen. Was haben Sie verpasst im Leben? Ich habe blöderweise das digitale Zeitalter verschlafen und mir viel zu spät einen Computer gekauft. Ich bin heute sehr anstrengend und nerve meine Familie, weil man mir alles zeigen muss. Da bin ich froh, dass mir mein Sohn Thomas mit seiner Agentur Zooagency in Berlin bei unserem YouTube-Talk alles Technische abnimmt. Die Mitarbeiter wissen schon: Alle dummen Fragen kommen von mir. Warum machen Sie immer weiter, wie ein Marathon-Mann? Ich möchte interessante Menschen kennenlernen, neugierig bleiben. Für mich ist das ein Geschenk.

Frank Elstner im Podcast mit Peter Turi und im TV-Fragebogen turi2.de/edition/elstner

Wenn Sie Ihr Leben noch einmal leben könnten – was würden Sie anders machen? Vielleicht manchmal mehr an mich denken. Ich habe mir eigentlich wenig eigenen Spaß erlaubt. Es war zum Beispiel immer

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mein Traum, ein eigenes kleines Theater zu haben. Das habe ich mal in einem Gespräch mit Beckmann gesagt und bekam am nächsten Tag 27 Theater angeboten. Ich habe lange überlegt: Machst du jetzt ein Theater, wo du nur das spielst und spielen lässt, was dir Spaß macht? Aber dann hatte ich Angst vor der eigenen Courage und habe es nicht gemacht. Ich bin wohl manchmal zu ängstlich. Nochmal zur Idee, das Leben von Frank Elstner zu verfilmen: Was wäre das für ein Film? Lehrfilm, Komödie, Tragödie? Mit Sicherheit eine Komödie! Ich bin Unterhalter, ich möchte, dass die Menschen lachen. Ich möchte sie ablenken von dem Schweren in ihrem Leben. Der Film hätte also ein Happy End? Auf jeden Fall. Bei mir muss zum Schluss geküsst und gefeiert werden. Es sollen Tränen des Glücks fließen.


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ZAHLEN BITTE!

TV-WERBUNG Von Anne Fischer

1956 4,74 28,23 Sekunden dauert ein durchschnittlicher TV-Werbespot in Deutschland. In den USA geht der Trend zu deutlich kürzerer Werbung: 69 Prozent der dort gezeigten Spots dauern nur 15 Sekunden

28 Prozent der Werbeverantwortlichen weltweit setzen bei der Planung ihrer Spots auf digitale Publikumsdaten. Der Großteil kauft TV-Werbeplätze nach wie vor manuell ein

Millionen Werbespots liefen 2017 im deutschen Fernsehen. TV ist und bleibt das liebste Medium der Werbetreibenden

30 Sekunden Werbung beim Super-Bowl-Finale im US-Fernsehen kosten 5,24 Millionen Dollar. Die Preise steigen Jahr für Jahr

ZWEITER Screen im Kommen: 54 Prozent der TV-Zuschauer nutzen nebenher Smartphone, Tablet oder Laptop. Sie suchen im Netz parallel Programm-Infos oder nach Produkten, die sie in der Werbung gesehen haben

1,949 3,03 Milliarden Euro investieren Werbetreibende aus der Ernährungsindustrie jährlich im TV. Es folgen Werbung für Dienstleistungen (1,910 Milliarden) und Körperpflege (1,859 Milliarden)

Milliarden Euro Bruttowerbeumsatz hat RTL im Jahr 2018 geschrieben – und ist damit Werbeprimus vor ProSieben (2,4 Milliarden) und Sat.1 (2,2 Milliarden)

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Quellen: Adobe, AGF/GfK, Media Radar, Screenforce, Seven One Media, Statista, Vaunet

genauer: am 3. November 1956, lief der erste Werbespot im deutschen Fernsehen – für Fleckenentferner von Persil. Der BR strahlte ihn aus, ab 1959 zeigten alle ARD-Anstalten Werbung


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NMENT I A T R E T EN FIRST IN


TV & Marke Bewegtbild wird für emotionale Botschaften immer wichtiger. Marken setzen statt auf klassisches TV und Kino verstärkt auf digitalen, ja viralen Content für YouTube, Instragram und Co. Die Marke wird dabei zum Sender Von Peter Turi (Text)

Otto. Findet Bewegtbild gut und wird wie Amazon zum Medium S. 78 Telekom. Streicht die Zukunft des Fernsehens magentafarben S. 86 BMW. Hat Freude am Vorfahren als automobiler Inhalteanbieter S. 92 Mercedes. Lässt Bertha Benz und großes Kino auffahren S. 96 R+V. Spielt den Ball auch intern gern über die Bande S.100 Mirco Völker, TV-Chef von FischerAppelt, gibt Produktionshilfe S. 102



TV & MARKE

Otto find’t sich gut Der TV-Slogan „Otto-Versand, Hamburg“ klingt Älteren noch im Ohr. Heute soll Bewegtbild auf allen Ebenen helfen, Otto als europäische Alternative zu Amazon zu positionieren. Der Konzern spielt die volle Bewegtbild-Klaviatur, turi2 hat vier Protagonisten begleitet: Sahra Al-Dujaili lässt Otto bei Instagram cool aussehen, Thomas Voigt moderiert einen Chef-Talk, Sun-Kwang Park integriert Videos in die Otto-App und Alexander Wiegand holt die Kamera immer öfter aus dem Schrank Von Peter Turi (Text) und Johannes Arlt (Fotos)

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Sahra Al-Dujaili, SocialMedia-Chefin von Otto, will Produkte von Otto möglichst lässig in die Instagram-Welt der jungen Nutzerinnen einbinden. Werbung darf dabei keinesfalls wie Werbung aussehen

Sahra Al-Dujaili erklärt im Video ihre Hochkant-Bewegtbildwelt. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/al-dujaili


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K

ommunikationschef Thomas Voigt, 59, ist so etwas wie die Brücke zwischen zwei Firmen, die in Hamburg-Bramfeld ineinander verschlungen existieren und miteinander ringen. Da ist auf der einen Seite der traditionsreiche Otto-Versand, der früh aufs Internet gesetzt hat, aber noch mit klassischer Hierarchie funktioniert. Und auf der anderen Seite die agile, voll digitalisierte und neue Gruppe, die gern cool und nachhaltig sein will – und die beiden großen Herausforderungen der neuen Zwanzigerjahre meistern soll: die Digitalisierung und den Wertewandel. Voigt kommuniziert den Generationswechsel bei Otto. In die Fußstapfen der Überfigur Michael Otto, 76, der das Unternehmen seit 1981 prägt, tritt mehr und mehr Benjamin Otto. Als „gestaltender Gesellschafter“ will Benjamin, laut „manager magazin“ ein „Freigeist“, Otto als „Amazon in nett“ positionieren, als europäische, nachhaltige Alternative zu den globalen Plattformen. Dezent, aber wirkungsvoll zieht Kommunikationschef Voigt die Strippen. Mit dem „manager magazin“ hat er gerade ein Bravourstück abgeliefert: Ein halbes Jahr lang durfte Redakteur Martin Mehringen den Juniorchef Benjamin Otto in der Firma, privat und bei seinen sozialen Projekten begleiten. Heraus kam ein einfühlsames Porträt, das ein differenziertes, letztlich positives und vor allem wahrhaftiges Bild von Benjamin Otto zeichnet. Beste PR – und ein klares Signal nach innen und außen. Die Otto Group ist eine der vielen Marken, die sich neuerdings wie ein Medium benehmen und die Tools,

»Ja-Sager-Mentalität führt ins Verderben« die früher den Medien eigen waren, selbst nutzen. Thomas Voigt, einstmals Chefredakteur von „W&V“, „Horizont“ und „Impulse“, moderiert eine Videoreihe namens „In a nutshell“, eine Art CEO-Interview mit angeschlossener Mitarbeiter-Fragerunde. Voigt talkt im Firmenfernsehen lässig wie ein Journalist, aber das Vokabular verrät den PR-Mann: Alles ist „wunderbar“ – der Chef, die Etage, die Kollegen. Otto find‘t sich gut. Immerhin: Im Lauf der Sendung dürfen Mitarbeiter den CEO Alexander Birken befragen. Kommunikationschef Voigt wünscht sich Dialog statt Frontalbeschallung, ein Firmenfernsehen mit Rückkanal. Noch löst die Videoreihe zu wenig Dialog aus: „Wir wünschen uns mehr Kommentare, Nachfragen, Posts dazu“, sagt Voigt. Es sei „jede Art von Kritik“ willkommen – Denkanstöße „in kleinen und großen Runden, online und offline“. Denn: „Ja-Sager-Mentalität führt ins Verderben.“ Ein anderes Problem treibt Voigt um: „Die Wirtschaft fehlt im gesellschaftlichen Dialog – gerade im Fernsehen“. Bis 2008 seien Top-Manager gern gesehene Gäste in Talkshows gewesen. Doch „Übermut und Überheblichkeit“ seien den Managern in der Finanzkrise auf die Füße gefallen. „Jetzt kommt Wirtschaft im TV kaum noch vor“. Und wenn, dann suchten TV-Redaktionen „eher die Konfrontation, statt sich vorurteilsfrei anzuhören, was die Wirtschaft zu sagen hat“, klagt Voigt.

Otto versaut Hamburg Das Handelsunternehmen Otto Group ist mit Werbung groß geworden, sehr groß sogar: 2019 erwirtschaften über 52.000 Mitarbeiter mehr als 13 Milliarden Euro Umsatz, nur Amazon ist in Deutschland größer. Dabei fing 1949 alles bescheiden an: Firmengründer Werner Otto, ein mittelloser Ost-Flüchtling, klebt die Fotos von 28 Paar Schuhen von Hand in die Druckvorlage des ersten Katalogs - Auflage 300. Doch Otto behauptet sich gegen die etablierten Konkurrenten Gustav Schickedanz (Quelle) und Josef Neckermann. Den klassischen Werbeslogan „Otto-Versand, Hamburg“ ändert Komiker Otto Waalkes in „Otto versaut Hamburg“. Werners Sohn Michael Otto übernimmt 1981 mit gerade mal 26 Jahren und bestimmt die Geschicke bis heute. Weil Michael früh das Internet umarmt, wächst Otto weiter, während Neckermann und Quelle Pleite gehen. Otto ist heute weltweit der einzige Versandhaus-Dino, der den Change zum E-Commerce-Unternehmen geschafft hat. Den gedruckten Katalog schafft Otto 2018 ab. Spätestens 2023, wenn Michael Otto 80 wird, soll sein Sohn Benjamin Otto, 44, übernehmen. Schon heute verantwortet Benjamin, den das „manager magazin“ als „sanftmütig“ beschreibt, bei Otto Marke, Marketing, Digitalisierung und vor allem den Kulturwandel. Die Tochter About You hat er zusammen mit Tarek Müller, 30, groß gemacht

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Thomas Voigt moderiert als Kommunikationschef der Otto Group den Kulturwandel. Er setzt dabei auf Dialog und Bewegtbild

Video-Interview, Podcast und TV-Fragebogen mit Thomas Voigt turi2.de/edition/voigt


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Dr. Sun-Kwang Park stammt aus Südkorea, ist promovierte Germanistin und sorgt bei Otto dafür, dass in der firmeneigenen App OG2GO Videos die interne Kommunikation verbessern

Sun-Kwang Park erklärt im Video die Otto-App turi2.de/edition/park

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Kuhl new Otto: Kulturwandel ist, wenn Mitarbeiter lachend vor der Fototapete um die Tischtennisplatte sausen

Überhaupt, der Zustand der Medien: „Zu viel Social-Media-Wetterleuchten, zu wenig Analyse und Auseinandersetzung“. Voigt wünscht sich Journalisten, die kritisch-konstruktiv nachfragen. „Wir suchen den Dialog mit Medien, NGOs und der Politik“. Der Versuch, unangenehme Fragen auszusparen, sei „zum Scheitern verurteilt“. Wenn die Grünen den Retourenbetrieb besuchen, erfährt der Otto-Mitarbeiter das zuerst in der firmeninternen Smartphone-App. Die heißt OG2GO, was vorwärts wie rückwärts lesbar ist. Das hübsche Pallindrom steht für Otto Group to Go – also praktisch die Firmenblase für die Hosentasche. Dr. Sun-Kwang Park ist dafür zuständig, dass hier Videos, Podcasts und Live-Streams genauso integriert werden wie die OG2GO-Community, bei der CEO Alexander Birken durch Anwesenheit mit Profilfoto glänzt. News über Events und Groups mit trendigen Namen wie Meet2Lead und FutureWork finden sich hier ebenso wie der Gründungsaufruf für „MORE – das neue queere Netzwerk der Otto Group“.

30.000 Mitarbeiter haben die App runtergeladen, die Gesprächsreihe mit CEO Birken ist die meistgeklickte Rubrik. Die Bewegtbildwelt der Sahra Al-Dujaili ist hochkant, denn: „Die Generation Z will das Handy gar nicht quer drehen“. Die Social-Media-Chefin soll Strategie und Marke verjüngen, indem sie für Otto coole Bewegbilder für angesagte Kanäle wie Instagram und TikTok produziert. Instagram Stories sind das Herzstück: „kurz, knackig, entertainig – wie in einer Bar, in der alle unterhalten sein wollen.“ „Social first“ lautet inzwischen das Motto für die gesamte Bewegtbild- und Markenwelt von Otto. „Social Media ist das gesellschaftliche Leitmedium und deshalb das Herzstück jeder Otto-Kampagne“, sagt Al-Dujaili, die 2016 von Hugo Boss kam. „Die Instagram-Optik taugt auch für TV-Werbung“, alle anderen Kanäle seien nur noch Verlängerungen. Wichtig sei „relevanter Content mit Aha-Effekt“, gefolgt von „Interaktion durch Abstimmungen mit Emoji-Slidern“. Out seien dagegen

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Hochglanz-Formate, denn „klassische Werbung wird als störend empfunden“. Alexander Wiegand ist inzwischen so selbstverständlich bei allen internen Otto-Events dabei, dass es niemanden mehr stört. Als Video-Consultant hält Wiegand die Bilder am Laufen: „Ich treibe das Bewegtbild voran“, sagt er von sich selbst. Die Kamerausrüstung hat der studierte Media-Manager praktischerweise gleich im Schrank. Kleinere Events filmt Wiegand selbst, für aufwändigere Formate wie das Chefgespräch „In a nutshell“ holt er externe Teams. Künftig will Wiegand verstärkt Live-Streams einsetzen. Kommunikationschef Thomas Voigt lässt lustvoll Bewegtbildformate produzieren und findet es gut, dass Unternehmen selbst zu „Sendern und Dialogpartnern“ werden. Das sei eben „Teil eines Demokratisierungs-

prozesses“. Es sei aber „ein Trugschluss“, zu glauben, Unternehmen könnten die Funktion der Medien selbst übernehmen. „Das würde unserem Verständnis einer demokratischen Gesellschaft widersprechen.“ Hat er Mitleid mit den Medien, die im Niedergang sind? Denen macht Otto das Leben schwer, indem der Händler seine klassische Werbung reduziert, Kunden auf digitalen Wegen direkt anspricht und neuerdings auch noch Werbung auf den Otto-Seiten verkauft – Fachleute nennen es Retail Media. Voigt verneint. „Wir stehen überall im Wettbewerb.“ Handelsmarken „monetarisieren ihre Nähe zum Kunden“. Amazon macht es vor. „Wenn Medien nicht willens und in der Lage sind, ihre Communities zu monetarisieren, kann Otto nichts dafür.“

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Alexander Wiegand hat die Kamera im Schrank und immer öfter gleich dabei. Als Video-Consultant hält Wiegand bei Otto die Bilder am Laufen

Alexander Wiegand im Video-Interview übers Firmenfernsehen. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/ wiegand


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Erleben, was verschwindet Die Telekom setzt im Marketing voll auf Bewegtbild: Die Kunden sollen die TV-Zukunft magentafarben erleben Von Peter Turi (Text) und Anne-Nikolin Hagemann (Foto)

Michael Schuld über die TV-Zukunft. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/schuld

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ichael Schuld sieht nicht gerade aus wie ein Heavy-Metal-Jünger: Piercings und Tattoos zieren weder Schulds Gesicht unter der hohen Denkerstirn, noch seinen Körper – und doch ist Schuld ein großer Fan des Musikfestivals Wacken Open Air. Anfang August kletterte der TV- und Entertainment-Chef der Telekom Deutschland sogar zwischen den Branchengrößen Marilyn Manson, Megadeth und Alice Cooper auf der Festivalbühne herum. Ein bisschen zumindest. Also digital. Quasi virtuell. Damit wird Schuld nicht der einzige gewesen sein: Eine Kooperation zwischen dem Festival in Wacken und der Deutschen Telekom ermöglicht 360-Grad-Videos von der Bühne. In die kann der Nutzer von Magenta Musik 360 hineinklicken und sich so als Teil der Bühnenshow fühlen – inklusive Rundblick von der Bühne ins Publikum oder auf die Bandkollegen. Virtuell on stage, jeder ein Rockstar sozusagen. Möglich macht das eine aufwändige Technik. Für die 360-Grad-Aufnahmen braucht es mehrere Kugelkameras auf der Bühne, die das Geschehen in alle Richtungen filmen, jede Menge Rechenpower, die aus der Datenflut einen 3D-Raum macht, in dem der Nutzer navigieren kann. Und ein Glasfasernetz für die Übertragung, die sowohl live als auch im Abruf funktionieren muss.

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Bring-Schuld: Michael Schuld, TVund EntertainmentChef der Deutschen Telekom, bringt Rockund Klassik-Konzerte mit 360-Grad-Blick ins Netz und setzt auf neue Technik und Erzählformen


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Die Spacken aus Wacken können ihr Festival bei Magenta Musik 360 nochmal erleben

Da es für diese Technik weltweit noch keinen Ü-Wagen gab, haben sich die Telekomer in einem Container den 360-Grad-Ü-Wagen selbst gebastelt. Der steht zusammen mit den charakteristischen Kugelkameras auch beim Lollapalooza-Festival in Berlin oder, wenn Sir Simon Rattle beim Rheingau Musik-Festival das London Symphony Orchestra dirigiert, vor dem Kurhaus in Wiesbaden. Damit auch der gesetztere Klassik-Liebhaber digital-virtuell die erste Geige spielen kann. Musikfan Michael Schuld hat gute Gründe, warum die Telekom als Sponsor und TV-Partner für 140 Konzerte, Festivals, Klassik-Events und Telekom-Streetkicks pro Jahr auftritt und seit 2016 einige Konzerte aus Rock, Pop und Klassik fürs 360-Grad-Fernsehen produziert: „Das zahlt auf Innovation ein, einen unserer Markenwerte.“ Schuld sieht die Übertragungen als „perfekte Beweisführung für das beste Netz“, indem „wir Menschen virtuell an tollen Ereignisse teilhaben lassen, auch wenn die es nicht schaffen, vor Ort zu sein“. Außerdem gewinne die Telekom so Erfahrung mit der Produktion und im Umgang mit dem neuen Medium 360-Grad-Fernsehen. Die Musikfestivals zeigt Schuld auch in Werbespots für die Telekom. Er ist sicher: „Relevanter Content und gutes Storytelling sind auch in der Werbung der Schlüssel zum Erfolg. Content ist King.“ Das habe mit der veränderten Rolle des Fernsehens zu tun: „Bewegtbild für die Telekom war in der Vergangenheit Werbung, Kommerz.“ Klassische Werbung spielt bei der Telekom trotzdem weiter eine Rolle: Wenn schnell Werbedruck für neue Tarife und Angebote aufgebaut werden soll, schaltet die

Telekom klassische Spots auf den großen TV-Sendern. Denn die sind für Schuld in Deutschland weiter geeignet für einen schnellen Reichweitenaufbau. „Von mir werden Sie nicht hören, dass TV tot ist. Es kommt auf den Mix an.“ Telekom ohne Script Klassisches Fernsehen gerät zwar zunehmend unter Druck, findet Schuld, und neue Formate spielen im Mediamix eine immer wichtigere Rolle. Aber durch technische Trends wie Adressable TV, also Werbespots, die an Nutzerdaten ausgerichtet sind, könne auch das klassische Fernsehen wieder relevanter werden. Auch dort darf Werbung gern innovativ und unkonventionell rüberkommen. Für den Start der TelekomPlattform Magenta-TV hat Schuld, 2018 noch fürs Marketing zuständig, mit Christian Ulmen und Fahri Yardim eine Werbeform entwickelt, die es geschafft hat, „lustige Geschichten zu erzählen und nah am Produkt zu sein“. Ulmen und Yardim liegen im Bett und unterhalten sich über die Vorteile von Magenta-TV – im ImprovisationsModus, im Stil ihrer Serie „Jerks“. Schuld betont: „Wir arbeiten ohne Script. Wir briefen die beiden – und dann passiert, was passiert.“ Das Gute an dieser spielerischen Werbeform: „Wir können diesen Content wunderbar verlängern“, sagt Schuld. Die Telekom schaltete beim Start von MagentaTV klassische Werbespots, Online-Spots und einen ChatBot über WhatsApp. „Dort konnten wir etwas frecher sein, mit Formaten spielen, Geschichten erzählen.“ Wo die gesamte TV-Welt bunter und vielfältiger wird,

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AUF DEN SCREENS TUT SICH WAS. Alles, was Sie über Streamer, Zapper, Binge-Watcher und TV-Fans wissen sollten.

Die große Bewegtbild-Studie SCREENS IN MOTION 2019 zeigt deutlich, dass der BewegtbildKonsum immer vielfältiger wird. SCREENS IN MOTION ist eine Studie von TV SPIELFILM – Ihrem Guide für TV und Streaming. Mehr Infos unter bcn.burda.de

49 %

nutzen mittlerweile Streaming-Abos – ein Jahreszuwachs von 8 Prozentpunkten.

4 h17min täglich beträgt die durchschnittliche Bewegtbild-Nutzungsdauer.

24,27€ geben Verbraucher durchschnittlich für Bewegtbild-Angebote mtl. aus.

Präsentiert von:

3,5

Geräte nutzen Konsumenten durchschnittlich, um Bewegtbild-Inhalte abzurufen.


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»Wofür brauche ich einen großen Bildschirm, wenn ich das Bild virtuell auf meiner Brille in jeder Größe sehen kann?«

Öfter mal was Neues bietet die Telekom bei der Bewegtbild-Technik und bei TV-Werbung: The BossHoss spielen virtuell in der eigenen Küche, Christian Ulmen und Fahri Yardim kommentieren ohne Script vom Bett aus

„muss auch die Werbung bunter und experimenteller werden“, glaubt Schuld. Was ist die Telekom eigentlich in der neuen, bunten Bewegtbildwelt? „Wir sind auch ein Medium“, sagt Michael Schuld mit Verweis auf den Musik-Content in 360-Grad-Optik. „Aber wir sind kein Konkurrent für Sky, Netflix, Prime Video und Co.“ Schuld will mit der Plattform Magenta-TV Partner sein für die neuen Streamingdienste und die alten Fernsehkanäle mitsamt ihren Mediatheken. Exklusive Serien, Magenta Musik 360 und Magenta Sport kommen obendrauf. „Relevanter Inhalt differenziert nachhaltig vom Wettbewerb. Das hilft in der Vermarktung und in der Kundenbindung“, sagt Schuld. Vor allem aber will Magenta-TV Startpunkt sein für das Gesamt-Erlebnis Fernsehen: „Magenta-TV vereint lineares und nicht lineares Fernsehen mit Komfort und einfacher Bedienung.“ Durch die Einbindung der Mediatheken von ARD und ZDF bietet Magenta-TV einen bequemen Zugang zu deren Dokus oder Highlights wie dem „Tatort“. Ironiker könnten den TelekomWerbespruch ändern in „Erleben, was verschwindet“ – nämlich die Bindung ans lineare Fernsehen. Für Menschen, die nicht mit dem Internet groß geworden sind, ist Magenta-TV jedenfalls ein guter Einstieg in die neue Bewegtbild-Welt. Schuld im schönsten MarketingDeutsch: „Magenta-TV ist ein Wachstumstreiber für das Festnetz, es gibt ihm einen Purpose: bestes Netz, beste Unterhaltung, bester Service.“ Er glaubt: „Das ist relevanter als reine Geschwindigkeitsangaben.“ Gemeint ist der Erzrivale Vodafone – der wirbt nach dem Kauf von Unity Media samt schnellem Kabelnetz mit dem Spruch „Surf jetzt mit bis zu 1 Gigabit“. Wo liegt die Zukunft des bewegten Bildes? Michael Schuld ist sicher: „Bewegtbild wird immer wichtiger und mobil immer einfacher zu konsumieren. Mit 5G haben wir neue Möglichkeiten.“ An Bedeutung gewinnen

vor allem Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) – also digitale Bilder, die die Realität ergänzen oder ersetzen. Telekom probt Zukunft „Wir üben und tasten uns ran“, sagt Schuld. Er glaubt, dass der Umbruch „fundamental“ wird in mehreren Dimensionen – sogar „die Dematerialisierung von Dingen“ stehe an: „Wofür brauche ich einen großen Bildschirm, wenn ich das Bild virtuell auf meiner Brille in jeder Größe sehen kann?“ Wie beim Handy in den letzten zehn Jahren würden „die Möglichkeiten explodieren“. Allerdings könne niemand die Zukunft wirklich vorhersagen. „Wichtig ist, dass wir dranbleiben und experimentieren.“ Die Magenta VR App experimentiert damit seit 2017. „Im Moment ist das ein bisschen wie ‚Jugend forscht‘ - aber wer heute nicht anfängt zu fragen, der wird die Zukunft auch morgen nicht verstehen.“ Das Stichwort lautet „Immersive Media“. Gemeint ist das Eintauchen in eine neue, digitale Welt. Eine – wenn auch illusorische – Interaktion mit der virtuellen Umgebung. „Auf der Ifa haben wir 5G mit Augmented Reality ja schon gezeigt. Da sind die Stars wie The BossHoss plötzlich in Ihrem Wohnzimmer und spielen ein ganz persönliches Konzert. Sie können mit Ihnen zusammen tanzen und singen – und das dann als Video an Freunde schicken.“ Die Hoffnung der Werbungtreibenden: Immersive Media könnte die Botschaft durch Einbeziehung des Konsumenten deutlich emotionalisieren. Ob das wirklich so kommt? „Am Ende kommt es darauf an, was die Kreativen und die Kunden daraus machen“, glaubt Schuld. „Nur eines ist sicher: Die TV-Zukunft wird Spaß machen und spannend sein.“

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Freude am Gefahrenwerden BMW gilt als Marke für Aussteiger und sportliche Fortbewegung. Der neue Marketing-Chef Jens Thiemer ist unterwegs in heikler Mission Von Peter Turi (Text) und Anne-Nikolin Hagemann (Foto) Jens Thiemer im Video über prägende TV-Kampagnen. Plus Podcast & TV-Fragebogen turi2.de/edition/thiemer

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i, gleich mal ein Fauxpas vom BMW-Markenchef: Gerade noch hat Jens Thiemer in höchsten Tönen vom Bewegtbild geschwärmt als „Königsdisziplin der Kommunikation“, die „fast alle Sinne anspricht“ und „über viele Kanäle die Herzen der Menschen“ erreicht. Und jetzt nennt er auf die Frage nach seinem Lieblings-Spot von BMW das Motiv eines Mercedes-Autotransporters mit BMWAutos drauf und der Zeile „Auch ein Mercedes kann Fahrfreude bringen“. Der Zeile? Ach ja, stimmt, es war gar kein Spot, der Thiemer da so beeindruckt hat, sondern eine Print-Anzeige in der „auto, motor und sport“. Egal. Thiemer fand’s damals – obwohl er noch bei Mercedes war – „genial, genau mein Humor“. Er sei in jedem Fall „ein Riesenfan von Bewegtbild“, die Möglichkeiten seien gerade im Digitalen „schier unerschöpflich“. Erzählt Thiemer im BMW-HochhausZylinder in München mit Blick auf das Olympiastadion und die Alpen. „Mich hat Werbung immer schon begeistert“, er frage stets: „Was passiert eigentlich in

den Köpfen der Menschen, die Werbung oder Filme ansehen?“ Welche Werbung hat ihn beeindruckt? Die kultigen Sprüche von Jung von Matt für Porsche in den 90er Jahren. Das Bild eines 911ers und dann die Zeile: „Das perfekte Familienauto – weil man später los muss und schneller zu Hause ist.“ Der großartige Sprungschanzenfilm von Audi. Die umstrittene Ohrfeige von Mercedes. Ginge das heute noch? „Das würde man in dieser Form nicht mehr machen können“, glaubt Thiemer. Aber: „Retrowerbung funktioniert sowieso nicht.“ Werbung sei immer „ein Kind ihrer Zeit“. Thiemers Lieblingswerbung für BMW ist die für den M2 mit dem Model Gigi Hadid aus dem Jahr 2016. Der Spot funktionierte als eine Art Hütchenspiel zum Mitraten und „strahlt eine unfassbare Energie aus“. Thiemer schwärmt richtig für das Werk der damaligen Konkurrenz: „Die Protagonistin wirkt authentisch, der Film ist unterhaltsam und überraschend.“ Und: „Es ist immer die Story, die fasziniert. Sie muss unter die Haut gehen.“ Jens Thiemer ist unterwegs in heikler Mission: Er soll als Markenchef für BMW die Pole Position in der automobilen Oberklasse zurückerobern. Genau dahin hatte Thiemer Mercedes gebracht, als er es zwischen 2015 und 2018 schaffte, Mercedes mit frischen Ideen und der werksnahen Agentur Antoni wieder jung und cool aussehen zu lassen. Statt die Autos stellte Thiemer die Nutzer in den Mittelpunkt. Die Grow-up-Kampagne war bei Mercedes eine kleine Revolution und sehr erfolgreich. Sie löste sich vom alten Schema „Auto vor Landschaft“ oder „Auto vor Architektur“. Und stellte stattdessen Geschichten und Menschen aus dem prallen Leben in den Vordergrund. Seit Anfang 2019 hat Thiemer nun den Auftrag, den Überholvorgang zu wiederholen – nur sitzt er jetzt

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Jens Thiemer, 47, soll in Mßnchen das ändern, was er einst in Stuttgart bewirkt hat: Als Markenchef will er mit BMW die Pole Position von seinem alten Arbeitgeber Mercedes zurßckerobern. Bewegtbild soll dabei helfen


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»Autowerbung hat jahrzehntelang auf Klischees gesetzt. Heute braucht ein Autobauer eine Haltung«

Werbespot mit Gigi Hadid und Raserei über die Kanäle Venedigs: BMW kommt ziemlich testosteronsatt rüber

im anderen Auto. Das Wort „Auftrag“ mag Thiemer allerdings gar nicht, das klingt ihm „zu begrenzt, zu temporär“. Er sieht seine Aufgabe „ganzheitlich“ und mag es tiefsinnig. „Autowerbung hat jahrzehntelang auf Klischees gesetzt. Heute braucht ein Autobauer eine Haltung.“ Schließlich steht die Branche vor großen Herausforderungen: „Das Auto ist eine der größten Errungenschaft der Menschheit. Es hat den Menschen Unabhängigkeit gebracht. Aber es ist leider so erfolgreich, dass es sein größter Feind geworden ist.“ Thiemer gibt unumwunden zu: „Es gibt zu viele Autos. Wir brauchen Mobilitätssysteme.“ Kann der BMW-Slogan „Freude am Fahren“ eigentlich bleiben, wenn die Zukunft elektrisch und autonom oder teilautonom ist? Thiemer meint ja. Den Begriff Freude hat Thiemer in den Archiven schon in der BMWWerbung der 30er Jahre gefunden – jetzt will er ihn neu definieren. Aktuell stehe ein BMW für Freude am Fahren, Freude am Status, Freude an einem Premiumoder sogar Luxusprodukt. Das wird sich ändern, glaubt Thiemer: „Intellektuell vorne zu sein ist das neue Oben.“ Thiemer will die Freude mit Verantwortung aufladen: „In den nächsten zehn bis 20 Jahren müssen mehr Leute vom eigenen Auto umsteigen in Mobilitätssysteme.“ Und mit dem autonomen Auto kommt dann quasi die Freude am Gefahrenwerden. Auf keinen Fall dürfe Freude verantwortungs-

los oder egoistisch sein, das ging noch in den hedonistischen 90er Jahren – aber heute nicht mehr. Thiemer denkt Kampagnen immer vom Inhalt her und „Bewegtbild zu allererst digital“. Snack-Content, also kurze, leicht zu konsumierende Filmchen fürs Handy, sind gefragt. Bewegtbild auf YouTube oder Instagram anzuschauen, „ist einer meiner liebsten Beschäftigungen“. Dort muss ein Spot nicht nach 30 oder 20 Sekunden zum Punkt kommen, sondern nach drei. „Wir müssen die Mechanismen verstehen bei YouTube, Instagram und TikTok, uns den Medien anpassen.“ Die chinesischen Kollegen arbeiten viel mit WeChat, das sich in Asien als lebensbegleitende General-App etabliert hat. Auch auf Influencer geht Thiemer zu. Er umarmt sie geradezu. Lädt sie zum Influencer-Day ein, stellt ihnen Autos zur Verfügung. „Influencer gewinnen an Reichweite und Einflusskraft, sie erreichen Zielgruppen, die wir sonst nicht erreichen.“ Thiemer gefällt „das Positive“, „die Begeisterungsfähigkeit der Influencer“. Sind sie wichtiger geworden als Journalisten? Das nun gerade nicht, aber „die Dinge haben sich miteinander verwoben“. Und über Influencer „können wir unsere Narrative ganz anders setzen“, die BMW-Themen mit Lifestyle, Design, Musik und Games verbinden. „Wir sehen im Social Web sehr schnell, ob Themen ankommen oder verpuffen.“

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Wenn halb Deutschland mit YouTube für die Schule lernt: Wo ist Ihre Marke? 50 % der Schüler nutzen YouTube-Videos zum Lernen.*

*Quelle: Horizont/Rat für Kulturelle Bildung, „Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung“, Deutschland, 4. Februar 2019 bis 17. März 2019. Untersuchung, basierend auf computergestützten Befragungen von n = 818 deutschsprachigen Schülern im Alter von 12 bis 19 Jahren in deutschen Privathaushalten bezüglich ihrer YouTube-Nutzung.


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Die Zukunft der Automobilwerbung Mercedes betont stolz, der Erfinder des Automobils zu sein – doch die aktuellen Spots weisen in die Zukunft Von Peter Turi (Text) und Anne-Nikolin Hagemann (Foto) Damir Maric zeigt Mercedes-Werbung, auf die er stolz ist. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/maric

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ie Szenerie wirkt mysteriös und düster, wie aus einer Netflix-Serie: Bäuerinnen haben sich selbst vor einen Pflug gespannt, ziehen ihn mühsam übers Feld. Auf einer seltsam zischenden Kutsche ohne Pferd nähern sich eine Frau und zwei Jungs, „a witch“, warnt ein Dorf-Mädchen schreiend. Als der Kutsche das Benzin ausgeht, muss die Fahrerin in der Apotheke um das Lösungsmittel Ligroin bitten. Nach einigen Schwierigkeiten kann sie die Benzinkutsche wieder starten und das Dorf tuckernd und mit Triumph im Blick verlassen. Der Film würdigt eine mutige Pioniertat von Bertha Benz, der Ehefrau des Autoerfinders Carl Benz, aus dem Jahr 1888. Mercedes hat ihr zum Weltfrauentag am 8. März 2019 ein vier Minuten langes, filmisches Denkmal gesetzt, das inzwischen allein auf YouTube 5 Millionen Zuschauer gesehen haben. „Wir hatten das Gefühl, zu wenig Leute kennen diese tolle Geschichte“, sagt Damir Maric, bei Mercedes-Benz global für Kampagnen und Content verantwortlich.

Bertha Benz schnappte sich damals nicht zufällig einen frühen Proto-Typen des Automobils, während ihr Mann Carl noch schlief. Sie wollte die Tauglichkeit des Automobils beweisen. Nach zwölf Stunden und 107 Kilometern kam sie mit den beiden Söhne in ihrer Geburtstadt Pforzheim an. An die erste Fernfahrt der Automobilgeschichte erinnert in Wiesloch, das im Film ein bisschen aussieht, als läge es in Transsylvanien, heute noch eine Tafel vor der Stadt-Apotheke, der „ersten Tankstelle der Welt“. Für Demir Maric zeigt der Film auch, wo die Bewegtbildwerbung bei Mercedes hingeht: Neben der „Explosion von Kurzformaten“ bieten YouTube und Co „mehr Möglichkeiten für Langformate“. Allerdings müssen die auch beworben werden – wie Filmtrailer für einen Spielfilm. Ein 30-Sekunden-Spot, der auch im klassischen TV laufen kann, soll im schnellen Schnitt eines Trailers für die vier- oder fünfminütige Langversion werben – und natürlich für die Idee des Films. „Zu viele Kunden und Produktionsfirmen vernachlässigen diesen Aktivierungspart“, glaubt Maric. „Da sehe ich noch Potential.“ Für Bewegtbildwerbung von Mercedes gilt, so Maric: „Storytelling ist unsere Stärke – wir wollen das noch ausbauen.“ Auch die Tonalität bei Mercedes sei anders: „Wir heißen Mercedes, und Mercedes ist ein weiblicher Name. Wir wollen menschlich rüberkommen und authentisch. Wenn wir Technologie zeigen, feiern wir nicht die Technologie, sondern das, was sie für die Menschen leistet.“ Mut und Innovation seien MercedesWerte, die Maric auch in der Werbung sieht: „Wir trauen uns was.“ Beim Bertha-Benz-Film vertraute Maric der Handschrift des Regisseurs: Sebastian Strasser hatte bei

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Damir Maric studierte in Zagreb und Stuttgart Marketing und Gestaltung. Er arbeitete als Art Director und kam 2008 zu Mercedes. Heute verantwortet der Musikfan fĂźr Mercedes weltweit Kampagnen & Content


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»Wenn wir Technologie zeigen, feiern wir nicht die Technologie, sondern das, was sie für die Menschen leistet«

Buzz um Bertha: Der Film über die mutige erste Fernfahrt von Bertha Benz hatte über 5 Millionen Zuschauer

der Inszenierung und Umsetzung mehr Freiheit als das früher bei Werbefilm-Produktionen üblich war. „Zu viele Vorgaben hemmen die Kreativität“, weiß Maric. Seit gut vier Jahren heißt deshalb die Devise bei Mercedes: „Probieren wir es aus!“ Die Zukunft der Automobilwerbung sieht Damir Maric nüchtern: „Werbung muss auch in zehn Jahren unterhalten, begeistern, inspirieren - und Wünsche wecken.“ Was genau morgen kommt, wisse keiner. „Sicher ist nur: Wir müssen uns der Entwicklung schnell anpassen.“ Gute Ideen setzen sich durch, glaubt Maric. „Toller Content findet einen Weg, egal auf welchem Kanal.“ Was hat sich verändert? „Das Publikum reagiert sensibler auf Klischees und zugewiesene Rollen.“ Gar nicht mehr gehen würde heute der berühmte Ohrfeigen-Spot aus den 80ern, als eine eifersüchtige Ehefrau ihrem verspäteten Mann die Ausrede „Ich hatte eine Panne“ nicht abnimmt – er fährt schließlich Mercedes – und ihm eine Ohrfeige verpasst. Heute unmöglich – nicht etwa wegen der Ohrfeige, sondern wegen der klischeehaften Rollenzuteilung: erfolgreicher Mann, zu Hause wartende Ehefrau. Heute herrscht „Klischeeverbot“, sagt Maric. Ein kreatives Ausrufezeichen setzen Maric und sein Team mit einem fünf Minuten langen Kunstwerk auf YouTube, das eigentlich Werbung für das CLA Coupé sein soll, aber eine Story im Hollywood-Stil erzählt. Ein junger Workaholic begegnet eines Morgens in seiner

Küche einem Abbild seines Selbst mit 16. Das hat sich im Mathe-Unterricht in die Zukunft geträumt und macht nun seinem gut doppelt so alten Ich nach einem Tag als unsichtbarer Schatten heftige Vorwürfe: Er habe alle Träume verraten, jede Coolness verloren und lebe nur noch für die Arbeit. Erst als die beiden gemeinsam im CLA Coupé durch die Nacht brausen, kommen sie sich näher. Der Jüngere versteht, dass ein tolles Auto als Belohnung für harte Arbeit Spaß machen kann. Der Ältere wird zumindest in dieser Nacht mit seinem jüngeren Ich wieder lockerer. Der Spot hat auf YouTube eine knappe Million Klicks und führte zu vielen Kommentare wie: „Wenn das ein Spielfilm wäre, würde ich ihn gern gucken.“ Damir Maric hat viel Feedback bekommen, dass Männer aus der Zielgruppe sich verstanden fühlen und nach einer Fortsetzung fragen – „vielleicht später mal“, sagt Maric. Und wie zahlt der Film auf den Verkauf des mindestens 32.000 Euro teuren Autos ein? „Wir erreichen mit dieser authentischen Story neue, jüngere Zielgruppen“, sagt Maric. „Wir interessieren sie für die Marke und positionieren die Marke als souverän, progressiv und überraschend“. Schließlich sei Mercedes nicht nur ein Auto, „sondern auch eine Luxusmarke.“ Und die verkaufe nun mal über Emotionen. „Wir sind eine Love Brand und wollen es bleiben – und darin investieren wir.“

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„Die Digitalisierung bringt spannende Veränderungen – wir wollen sie aktiv gestalten.“ Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann

Bertelsmann steht für Kreativität und Unternehmertum. Wir gestalten den digitalen Wandel, treiben Innovationen – und leisten damit einen wichtigen Beitrag für die digitale Zukunft Europas. Deshalb vergeben wir rund 50.000 Tech-Stipendien bei der Online-Lernplattform Udacity. Das ist deine Chance – sei dabei! #50000Chancen bertelsmann.de/50000chancen


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Genossen mit Haltung Die R+V Versicherung ist ein Finanzriese mit einem schwachen öffentlichen Profil. Das soll sich ändern – auch mithilfe von Bewegtbild Von Peter Turi (Text) und Gaby Gerster (Foto)

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R+V Versicherung AG In Wiesbaden sitzt ein stiller Riese der Versicherungsbranche - mit mehr als 16 Millarden Euro Umsatz und über 14.000 Mitarbeitern. Die Volks- und Raiffeisenbanken leihen der Gruppe nicht nur die Anfangsbuchstaben, sondern sorgen auch für Aufträge, indem sie ihren Kunden die R+V empfehlen. Die Kunden suchen aber zunehmend selbst im Internet. Marketingleiterin Anja Stolz und PR-Chef Hermann-Josef Knipper wollen deshalb das Markenprofil von R+V schärfen

Anja Stolz über R+V-Bewegtbildwerbung. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/stolz Hermann-Josef Knipper über Videos, die nach innen wirken. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/knipper

obert Baumbach ist eine beeindruckende Erscheinung. „Sehr groß, sehr muskulös“, findet Kommunikationschef Hermann-Josef Knipper. Baumbach hat zudem eine Doppelbegabung: Der ballgewandte Kapitän der Basketball-Betriebssportgruppe ist im Hauptberuf Teamleiter Marke der R+V Versicherung in Wiesbaden. Also zuständig dafür, wie die Marke bei Kunden und Mitarbeitern erlebt wird. Nichts lag näher, als Baumbach zum Mittelpunkt eines Videos zu machen, in dem er mit seinem Team erst durch die Turnhalle und dann durch die Büros dribbelt. Klare Botschaft: Nur wenn der Ball im Team gepasst wird, läuft’s rund. „Ein wunderbarer Film mit extrem hohen Klickraten im Intranet“, sagt Knipper. Baumbach ist nur einer von acht Mitarbeitern pro Jahr, die in den internen Videos unbekannte Seiten präsentieren. Eine Kollegin überrascht als Sängerin, eine andere träumt im Raumanzug davon, Astronautin zu sein. Verstärkt wird die firmeninterne Kampagne jeweils sechs bis acht Wochen lang von Plakaten in den Büros, die auf die Videos hinweisen, und auf Veranstaltungen mit dem jeweiligen Testimonial. Die Botschaft ist klar: Jeder Mitarbeiter soll selbstbewusst sein, die Veränderungen anzupacken, die bei R+V anstehen. Die interne Kampagne, die seit 2017 läuft, heißt: Mein Beitrag zum Wandel. R+V kann sich in digitalen Zeiten nicht mehr darauf verlassen, dass die Kunden über die Volks- und Raiffeisenbanken schon von alleine kommen. Deshalb braucht R+V eine klarere Ausstrahlung, die auch von den Mitarbeitern gelebt wird. Solide, begeisternd, genossenschaftlich – mit diesen Markenwerten will R+V jetzt wahrgenommen werden. Und möglichst authentisch. Bewegtbild ist dabei wichtig: Mehrere Mitarbeiter der Konzernkommunikation konzipieren, produzieren, sprechen und schneiden kurze Videos, um sie dann „blitzschnell“, so Knipper, ins Intranet zu stellen. Anja Stolz soll als Chief Marketing Officer die frohe Botschaft nach außen tragen - und setzt ebenfalls auf Sport. Allerdings auf Sessel- und Sofasport, Pardon: E-Sport. R+V unterstützt das Gamer-Team von Schalke 04 und wirbt in einer Social-Media-Kampagne dafür. „Ein Thema, das unglaublich wächst“, findet Stolz. Die

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Ob beim Basketball oder auf dem E-Sport-Sofa – R+V setzt bei seinen Spots auf Bewegung und ein jüngeres Image

Zielgruppe gehe bis 35, sei gebildet und für eine Versicherung relevant. Zunächst wolle R+V Nähe herstellen. „Wir sind vor Ort bei der Gamescom, wir sprechen mit den Zuschauern und Spielern.“ Es gehe erstmal darum, sich kennenzulernen. Stolz gefallen Kampagnen, die Haltung transportieren, zum Beispiel bei Nike und Patagonia. Zwar brauche nicht jeder Joghurt einen Purpose, eine Versicherung

aber schon. „Es muss klar sein, wofür wir einstehen. Zumal wir als Genossenschaft für bestimmte Werte stehen.“ Nämlich für die Orientierung am Gemeinwohl – oder zumindest am Wohl der Genossen – und nicht am Börsenkurs. Allerdings gilt laut Stolz auch für eine Haltungskampagne: „Entscheidend ist, dass sie beim Kunden eine Wirkung erzielt.“

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TV & MARKE

Der Mirco-Influencer: Mirco Völker, 45, studiert Wirtschaftswissenschaften und kommt über die Agentur Leo Burnett zu Mercedes, wo er die PKW-Werbung leitet. Seit 2009 verantwortet Völker als TV-Chef der Content-Agentur FischerAppelt kreative Bewegtbild-Formate unter anderem für Bosch, Mercedes und die Deutsche Bahn

»Im Idealfall machen unsere Formate süchtig« Warum zur Zukunft der BewegtbildWerbung auch Videos gehören, in denen Autos gestreichelt werden, verrät Kommunikationsprofi Mirco Völker Von Peter Turi (Text) und Anne-Nikolin Hagemann (Fotos)

Wie unterscheidet sich Bewegtbild-Werbung heute von gestern? Fundamental. Kommunikation mit bewegtem Bild hat sich sehr stark dem radikal veränderten Verhalten der Nutzer angepasst – und wird das künftig noch viel mehr tun müssen. Vor zwölf Jahren haben wir mit dem Handy

telefoniert und gesimst. Heute organisieren wir unser soziales Leben mit dem Smartphone – und schauen 60 Prozent aller Videos damit. Marken müssen also Erzählformen entwickeln, die auf dem Smartphone funktionieren. Bewegtbild muss digital, on-demand und interaktiv funktionieren.

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TV & MARKE

Horror in der S-Bahn, Gänsehaut beim Brotstreichen und Kicken am Steilhang: Die Video-Produktionen von FischerAppelt sind unterhaltsam und viralfähig - und sehen teurer aus als sie sind

Wie hat der Nutzer sich verändert? Das sehen wir an uns selbst: Wir bestimmen heute, was wir wann wo sehen wollen. Wir sind sprunghafter, zerstreuter und streben ständig nach neuen Impulsen. Keiner lässt sich mehr von platten Werbesprüchen beeindrucken – wir sind überinformiert und kritischer geworden. Wir wollen Marken, die uns im wahren Leben begegnen, die mit uns auf einer Wellenlänge liegen und die Verantwortung übernehmen. Marken, die uns verstehen und uns relevante Inhalte im Mehrwert bieten – diese sind wir dann aber auch bereit zu teilen und zu liken. Wir publizieren heute selbst, so wird jeder einzelne von uns zum Multiplikator und MicroInfluencer. Was ist out? Wir kommen aus der Zeit der großen Spots fürs klassische Fernsehen und

fürs Kino. Alles war für den Lean-Back-Modus konzipiert, niemand hat etwas weggeklickt oder übersprungen. Also konnten wir Werber langsam erzählen, elegisch schneiden. Wir konnten uns auf die Wirkung eines 30- oder 45-Sekünders verlassen. Wir konnten Streuverluste in Kauf nehmen, weil wir auf den wenigen Kanälen dennoch eine gute Durchdringung erreichten. Es gab keinen Rückkanal und keinen Shitstorm. Die Werbeblöcke wurden von den großen Marken dominiert und die Botschaften mit viel Mediadruck über wenige Kanäle quasi in unsere Köpfe gedrückt. Das ist vorbei? Ja. Es werden zwar weiter TV-Spots für Awareness und Markenbildung eingesetzt, aber die Musik spielt zunehmend im Digitalen. Und da wird Werbung gern ausgeblendet oder übersprungen, wenn sie dem Nutzer nicht gefällt.

»Der Trend geht zur subtilen Produktintegration statt direkter Produktwerbung«

Und was ist die Zukunft? Bewegtbild-Werbung – oder besser: MarkenContent – muss so gut gemacht sein, dass der Nutzer sie gezielt sucht und weiterleitet. Sie muss humorvoll und relevant sein, unterhaltsam und einen Mehrwert bieten. Guter Marken-Content wird unterwegs gesehen und geteilt, er kann also viral gehen. Auch ohne großes Mediabudget, wenn er gut gemacht ist. Werbung darf gar nicht mehr wie Werbung aussehen? Im Idealfall fesselt Marken-Content den Nutzer genauso wie eine Netflix-Serie oder der Post eines Influencers. Der Nutzer soll dranbleiben, wiederkommen, sich auf die Fortsetzung freuen. Wir müssen die Mechanik und Faszination von Netflix und Co nutzen, um unseren Marken-Content Binge-Watching-fähig zu machen. Also Trailer, Cliffhanger, starke Charaktere, mit denen man sich identifizieren kann, aufeinander aufbauende Staffeln und Episoden. Im Idealfall machen unsere Formate süchtig.

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Das wird schwierig. Aber es ist möglich. Wir müssen relevanten Content in fesselnden Serienformaten präsentieren, Bewegtbild von Marken als Branded Entertainment verstehen. „Benimmregeln in der S-Bahn“ – klingt erstmal langweilig, aber wir haben das Thema für die S-Bahn Berlin im Stil einer Horror-Serie so attraktiv gedreht, dass die Views und Likes bei YouTube durch die Decke gegangen sind. Große Ideen sind nach wie vor relevant für Erfolg und digitale Strahlkraft. Was hat sich verändert? Alles muss heute schneller gehen: die Schnitte, die Musik, die Erzählweise, die Mechaniken. Und alles ist komplexer, denn nach dem Post ist vor dem Post: Kommunikation hat eine viel geringere Halbwertszeit, unzählige Kanäle, einen Überfluss an Content, Daten, Feedback im Social Web. Wir haben aber auch neue Chancen: Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass wir für weniger als 40.000 Euro einen Clip drehen, der digital 26 Millionen Menschen er-


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reicht. Ist aber so passiert, beim Film „Alpine Soccer“ für Mercedes-Vans. In dem Film zeigen Sie, wie in einem Bergdorf im Montafon an einem extremen Steilhang Fußball gespielt wird – das ist sehr lustig. Sieht aber sehr teuer produziert aus. Ist es aber nicht. Wir haben das an einem Tag mit den Bewohnern und Fußball-Vereinen eines Dorfs gedreht, sehr spontan und improvisiert. Unsere tägliche Herausforderung ist, mit kleiner werdenden Budgets mehr Content zu erzeugen. Es gibt zwar noch die großen Produktionen, aber bei einem Dreh müssen viel mehr Assets für verschiedene Kanäle herauskommen. Warum schauen zwei Millionen Menschen ein Video an, bei dem ein

junger Mann fast eine halbe Stunde braucht, um ein paar Brote zu schmieren? Mit viel Geknister und Rama. Da haben die Kollegen erfolgreich auf einen Videotrend namens ASMR gesetzt. Besonders langsam geschnittene, mit Geräuschen versehene Alltagshandlungen sollen dabei die Sinne ansprechen. Manche Leute beruhigt das. Streichelt demnächst jemand einen Mercedes? Genau das haben wir vor. Verrückt. Der Trend geht zur subtilen Produktintegration statt direkter Produktwerbung. Wir haben beispielsweise mit Myvan.com eine Website mit Video und Social aufgebaut, die täglich echte BewegtbildGeschichten aus der Welt

»Keiner lässt sich mehr von platten Werbesprüchen beeindrucken« der Mercedes-Benz Vans erzählt, zum Beispiel von Handwerkern, Weltenbummlern oder StartupGründern. Wozu? Marken wollen immer weiter in die Lebenswelt ihrer Zielgruppen vorrücken und enge Beziehungen aufbauen. Bewegtbild ist das emotionalste Medium und deshalb der wichtigste Hebel. Geschichten müssen echter werden – weniger werblich. Reine Werbe-Botschaften werden seltener. Produkte müssen authentisch und subtil in Lebenswelten eingebunden werden. Schauspieler und echte Protagonisten werden zu Markenbotschaftern.

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Wenn im Zusammenhang mit Werbung das Wörtchen „authentisch“ fällt, zucke ich zusammen. Die echte Geschichte wird wichtiger, der echte Protagonist, der vielleicht nicht mal Geld dafür kriegt, dass er positiv über die Marke spricht. Die Marken gehen immer mehr in Richtung Themenkommunikation und das Produkt wird zurückgestellt. Wir inszenieren einen Van über zwei Reiseblogger und stellen deren Abenteuer nach vorne, nicht das Produkt. Ergibt der Begriff Schleichwerbung noch Sinn? In diesem Zusammenhang nicht. Die Videos laufen


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Mirco Völker zeigt im Video seine Lieblings-Spots. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/voelker

»Der Film, den ich sehe, muss nicht derselbe sein, den Sie sehen« auf den Kanälen der Marken – und die Nutzer sind da ja freiwillig. Welche Kanäle nutzen Sie? Das hängt vom Kommunikationsthema ab. TV und Kino können ein Thema sein, Digital wird immer mehr zum Muss. Facebook bleibt relevant, Instagram und LinkedIn werden wichtiger, auch wenn Instagram-TV schleppend anläuft, bei den Jüngeren spielen TikTok und Snapchat mit. Und YouTube ist sicher ein Basismedium

geworden – wobei es keinen Sinn macht, nur den eine Million Euro teuren 30-Sekünder auf YouTube zu stellen und Klicks zu erwarten. Jedes Medium braucht sein passendes Format, basierend auf einer starken, integrierten Idee. Wenn Sie in die Zukunft schauen: Wie wird Bewegtbild-Werbung im Jahr 2030 aussehen? Zuerst müssen wir uns darauf einstellen, dass wir vermutlich sehr viel mehr Zeit mit dem Konsum von

Bewegtbild verbringen, weil wir beispielsweise im Auto nicht mehr selbst lenken müssen und stattdessen Videoinhalte gucken können. Das ist dann im wahrsten Sinne des Wortes Bewegtbild. Genau. Für High-EndThemen sehe ich eine Rückbesinnung auf die hochwertige cineastische Bildsprache. Andererseits wird es noch mehr Formate geben, die von Social-Media-Kanälen wie Snapchat, TikTok und

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WeChat bestimmt sind. Auch Videogames werden Storytelling, Bildsprache und Interaktivität der Werbung verändern. Artificial Intelligence und computergenerierte Inhalte sind sowieso auf dem Vormarsch. Big Data eröffnet zudem die Möglichkeit, Filme noch stärker unseren individuellen Bedürfnissen anzupassen. Der Film, den ich sehe, muss nicht derselbe sein, den Sie sehen.


Full spectrum digital transformation. Deloitte.com/makeyourimpact



VIELFALT IST UNSERE STÄRKE

Unsere vielseitigen Marken stehen für Qualit ät , ausgezeichneten Programmser vice und hohen Nutzwert . Hinzu kommt eine attraktive Reichweite: Mit unseren T V-Zeitschriften wie der HÖRZU, T V DIGITAL , GONG und T V DIREKT erreichen wir mehr als 11,5 Mio. Leser.


Unterwegs in drei en Unter dem Dach von „Welt“ entstehen Digitalangebote, ein TV-Sender und auch noch ein bisschen Zeitung. Wir zeigen den Alltag in Deutschlands komplexester Redaktion Von Jens Twiehaus (Text) und Marcel Schwickerath (Fotos)

In der Videoreportage von Jens Twiehaus führen sechs „Welt“-Köpfe durch das Multichannel-Medienhaus turi2.de/edition/welt

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Schrei nach Liebe: In der Schreibtisch-Ecke der Print-Layouter hängt dieser „Print is not dead“-Zettel, der Hoffnung und Befürchtung zugleich ausdrückt. „Welt“ ist die einzige deutsche Zeitung, die konsequent TV und Digital integriert. Der Verbund soll die Redaktion retten, die laut Springer-Chef Mathias Döpfner „jedes Quartal zur Disposition“ steht


Immer auf Sendung Welt TV beginnt den Nachrichtentag mit einer Live-Sendung früh um 6: In der Regie am Standort Potsdamer Platz herrscht konzentrierte Routine, ringsherum geschäftiges Treiben. Redakteure sitzen dicht gedrängt an Schreibtischen, auf ihren Bildschirmen flimmern die Feeds der Agenturen. Chefmoderatorin Tatjana Ohm grüßt erst die RegieKollegen und dann in die Wohnzimmer der Frühaufsteher. Ohm ist seit 2002 bei Welt, was damals noch N24 heißt und zu ProSiebenSat.1 gehört. Manager Torsten Rossmann und Ex-„Spiegel“Chefredakteur Stefan Aust kaufen den Kanal 2010 und verkaufen 2013 an Springer – ab da beginnt das Experiment, Zeitung und Digital mit TV zu verschmelzen. So richtig sichtbar wird das erst Ende 2020. Dann ziehen die noch getrennten Redaktionen in einen neu gebauten Riesen-Newsroom gleich neben der heutigen Springer-Zentrale in Berlin – und der Sender verlässt ein Provisorium: Als Newsroom und Studio-Standort dient ein ehemaliges Autohaus

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On Air Die glamouröse FernsehWelt beschränkt sich bei Welt TV auf wenige Studio-Quadratmeter am Potsdamer Platz. Automatische Kameras spulen programmierte Fahrten ab. Scheinwerfer leuchten grell und gnadenlos. Chefmoderatorin Tatjana Ohm, im feuerroten Oberteil, hat sich mehrfach nachschminken lassen, als Robin Alexander das Studio betritt. Der ansonsten schreibende „Welt“-Journalist bewegt sich routiniert vor der Kamera und spricht über sein Lieblingsthema: die Kanzlerin. Im Paralleluniversum Studio und auch in der Inhalte-Maschine Newsroom, zwei Kilometer vom TV entfernt in der Springer-Zentrale, scheint das Leben weit weg. Als Abhilfe gibt es Kornelia, Ingo und Nele. Die Pappfiguren sollen typische „Welt“-Nutzer verkörpern - und die Redakteure daran erinnern, für wen sie arbeiten

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Kluger Kopf auf allen Kanälen

Tatjana Ohm mag die Arbeit mit den schreibenden Kollegen – und glaubt an eine gute Zukunft fürs klassische Fernsehen. Ein eigenes Format auf Instagram kann sich die Moderatorin dennoch vorstellen

Robin Alexander redet sich in Rage. Der Mann mit dem permanent erstaunten Gesichtsausdruck kann so leidenschaftlich über Politik reden, dass die 10-UhrKonferenz kurz wie ein Debattierclub wirkt. Alexander ist Kanzlerinnen-Kenner und redet überall – vielleicht nicht im Schlaf, aber überall, wo „Welt“ drauf steht. Er ist wieder früh aufgestanden, um „den Morgen für sich zu gewinnen“, wie er sagt: zeitig ein Thema setzen und es dann über den Tag begleiten. Das hat er sich bei Politico abgeguckt. Alexander wird an diesem Tag noch bei Tatjana Ohm im hauseigenen TV-Studio sitzen, einen Text für Online, Print und App schreiben – und wäre das ZDF am Telefon, würde er am Abend noch bei Illner oder Lanz die Lage einordnen. Weil er so „obszessiv an seinem Job interessiert und extrem effizient“ ist, OTon Chefredakteur Ulf Poschardt, hat er außerdem ein Buch geschrieben, das erst zum Besteller und dann für die ARD verfilmt wurde. Er spricht auf Lesungen und einmal pro Woche ins Podcast-Mikro. Für Alexander ist das Arbeiten über alle Medien-Grenzen hinweg einfach nur logisch. „Ich kann die gleiche Kugel mehrmals abfeuern“, sagt er mit kräftigem Ruhrpott-Einschlag. „Ich versuche mit der gleichen Geschichte viele disparate Publika zu erreichen – und das will ich doch als Reporter: Leute erreichen.“

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THE TOTAL VIDEO POWERHOUSE We revolutionised television in Europe.

Entertain. Inform. Engage.

Follow what’s happening in the Total Video universe and connect with RTL Group


Drei Herren für ein Halleluja Oliver Michalsky ist auf einer Mission – vielleicht liegt sein Arbeitsplatz am zentralen Newsdesk deshalb unter einer Art Heiligenschein. Von hier aus komponiert der Online-Chefredakteur den Tag. Noch viel wichtiger: Michalsky ist der Experte für digitale Bezahlmodelle. In ihnen sieht die „Welt“ die Zukunft. Immer weniger Menschen kaufen Zeitungen, schalten Anzeigen – und auch im TV sinken die Umsätze. Michalsky stöbert deshalb nach Inhalten, die sich „verplussen“ lassen. So nennen sie Texte, die hinter die Bezahlschranke Welt Plus wandern. Michalskys nächste Mission: Nach Paid Content soll nun Paid Video kommen. „Die Redaktion muss sich insgesamt die Fähigkeit aneignen, noch stärker in Bildern und bewegten Bildern zu denken.“ Als gelernter Zeitungsredakteur weiß er: Das fällt nicht allen leicht. Doch digitale Abo-Abschlüsse sind zur härtesten Währung geworden. In der Redaktionskonferenz fliegen Zahlen über den Tisch – jedoch keine Seitenzahlen mehr. Die Zeitung entsteht ganz am Ende aus dem Online-Angebot. Gesamt-Chefredakteur Ulf Poschardt, trotz allem ein Print-Fan, sagt: „Die Zeitungsproduktion wird dadurch besser. Texte haben schon zwei Bearbeitungsschleifen hinter sich, wenn sie ins Blatt fallen – es ist ein verfeinertes, ausgereiftes Produkt.“

Ulf Poschardt versucht als twitternder und meinungsfreudiger GesamtChefredakteur Zuversicht zu verbreiten: „Diesen tendenziellen Kulturpessimismus... ich sehe ihn einfach nicht. Wir haben allein gestern knapp 400 Digital-Abos gemacht.“

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Johannes Boie entwickelte die digitale Ausgabe der „Süddeutschen“ mit. Zwei Jahre war er die rechte Hand von SpringerKonzernchef Mathias Döpfner. Jetzt steht Boie für Gedrucktes: als Chefredakteur der „Welt am Sonntag“


Foto: Michael Sohn/AP Photo/picture alliance

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»Ich habe sämtliche Schnapp-Rollos meiner Eltern mit Wachsmalkreide beschmiert und versucht, die Bilder zum Laufen zu bringen« Filmproduzent Nico Hofmann über seine frühe Kinoleidenschaft, sein Lebensthema Nationalsozialismus und den schiefen Blick auf Netflix Von Heike Reuther (Text) und Holger Talinski (Fotos)


Im Kino zu Hause: Nico Hofmann, seit 2017 Chef der Ufa, Deutschlands wichtigster Film- und Fernsehproduktionsfirma, hat sein ganzes Leben dem Film gewidmet



Nico Hofmann, mit elf Jahren haben Sie Ihren ersten Film gedreht. Heute sind Sie 59 und CEO der Ufa, Deutschlands größter Film- und Fernsehproduktion. Wie blicken Sie auf das Erreichte zurück? Als ein auf die Sechzig zugehender Filmproduzent mit enorm viel Lebensund Berufserfahrung – von daher also durchaus mit einer gewissen Ruhe. Wobei Ruhe nicht heißt, dass man die Dynamik verlieren darf. Ganz im Gegenteil. Möchten Sie die Zeit manchmal zurückdrehen und wieder 20 sein? Ganz sicher nicht. Die Zeit bis zum Beginn des Studiums und auch das Studium selbst empfand ich als meine schwierigste Lebensphase. Ich beobachte das heute auch bei meinen Studenten: In dem Alter finden langwierige Prozesse der Selbstfindung statt, eine Auseinandersetzung zwischen Filmstoff und eigener Herkunft und Familiengeschichte. Bei mir war dieser Prozess sehr schmerzhaft, fast quälend. Würden Sie im Rückblick etwas anders machen? In der Frage stecken ja eigentlich zwei: zum einen die private, die andere den Beruf betreffend. Bei

mir hat es diese Trennung zwischen Beruf und Freizeit aber nie gegeben. Mein Beruf bringt so viel Dynamik mit sich und alles, was mich beruflich faszinierte, fand ich auch privat ganz toll. Ohne die Bereitschaft, Privates zu opfern und ohne das zeitliche Invest, hätte ich nicht so erfolgreich arbeiten können. Doch jetzt, da ich älter werde, ziehe ich auch eine Art Bilanz: Ich kann zum Beispiel sehr kämpferisch sein, wenn es um wichtige Projekte geht. So habe ich in der Vergangenheit sicherlich auch manchmal übertrieben und manche Mitarbeiter damit in Stresssituationen versetzt. Das würde ich jetzt definitiv anders machen. Zumal ich heute ein so großes Unternehmen wie die Ufa führe – da stehe ich natürlich in einer anderen Verantwortung. Das Älterwerden lässt Sie also sanfter oder nachdenklicher sein? Irgendwie schon. Vermutlich auch, weil ich in den letzten Jahren und gerade in jüngster Vergangenheit einige mir wichtige Menschen und Weggefährten verloren habe: Götz George und Bernd Eichinger waren mir wichtige Begleiter. Mit Frank Schirrmacher und Hannelore Elsner war ich gut befreundet. Dann im

»Ohne die Bereitschaft, Privates zu opfern, hätte ich nicht so erfolgreich arbeiten können«

Sommer auch noch der Tod von Lisa Martinek. Das lässt mich innehalten und reflektieren. Dann lassen Sie uns einen Moment auf Ihre Anfänge blicken. Der kleine Nico Hofmann sitzt in seinem Kinderzimmer in Ludwigshafen und träumt vom großen Film, oder wie können wir uns das vorstellen? Stimmt, so ähnlich war das. Ich wollte unbedingt Filme machen. Und so ist es auch bei vielen jungen Filmemachern und meinen Studenten heute nicht anders. Nur dass man jetzt einfach zum Handy greifen kann, um einen Film zu drehen. Das war damals viel schwieriger. Da brauchte man eine Super-8-Kamera und musste das geschnittene Material mühsam mit Klebestreifen oder Acetat zusammenkleben. Ich bekomme heute Einreichungen von 18-Jährigen, da sitze ich davor und denke: Wie kann es sein, dass ein 18-Jähriger technisch so perfekt ist? Die Super-8-Kamera hatten Ihnen Ihre Eltern geschenkt. Mit 13 oder 14 Jahren habe ich dann angefangen, in der Schule LesebuchStoffe zu verfilmen – mit Unterstützung der Lehrer und meiner Mitschüler. Später habe ich in der Schule und dann auch bei uns Zuhause ein eigenes Keller-Kino betrieben. Mit den Einnahmen aus den

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Kino-Vorführungen habe ich dann meine eigenen Filme finanziert. Es wurde also sehr schnell professionell. Meine Filme kann man heute auch noch angucken, sie lagern alle bei meiner Mutter. Na ja, teilweise kann man sie anschauen. Sie waren schon als Kind oft im Kino. Zu Hause haben Sie dann versucht, das, was Sie im Kino gesehen hatten, also die bewegten Bilder, selbst an die Wand zu werfen. Ja, so war das. Denn meine Eltern waren beide als Journalisten berufstätig, und wenn meine Mutter bei der „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen zu tun hatte, wurde ich nebenan im City Kino abgesetzt. Es gab damals noch das Tageskino, in dem jede Stunde der gleiche Film lief. Eine wilde Mixtur aus Wochenschau, „Tom & Jerry“ und tschechischen Kinderfilmen. Als Siebenjähriger war ich unheimlich fasziniert, in einem großen Raum zu sitzen, das Licht geht aus, und dann geschieht etwas auf einer Leinwand. Zu Hause habe ich stundenlang ausprobiert, wie das funktioniert. Ich habe Farbfolien über die Nachttischlampen gehängt. Und ich habe sämtliche Schnapp-Rollos meiner Eltern mit Wachsmalkreide beschmiert und versucht, die Bilder zum Laufen zu bringen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass das Ganze in einem Projektor stattfinden muss.


»Ich wurde in Biologie noch von einem Lehrer unterrichtet, der die Rassenlehre aus dem Dritten Reich an seine Schüler verteilte« Inzwischen haben Sie der Welt als Regisseur und Produzent große Filme und Fernsehserien geschenkt wie „Der Sandman“, „Der Tunnel“, „Stauffenberg“, „Charité“, „Der Medicus“ und 2018 der große Kinoerfolg „Der Junge muss an die frische Luft“. Die Bandbreite ist groß. Die Bandbreite ist wirklich groß. Ich möchte aber betonen, dass ich diese Projekte nicht allein umgesetzt habe, sondern immer im Team. Menschen haben ganz unterschiedliche Begabungen. Der eine ist in der Stoffentwicklung gut, der andere in der Durchführung. Diese partnerschaftliche Zusammenführung von Energien ist das eigentliche Asset der Ufa. Warum produziert die Ufa nicht noch mehr Kinofilme? Wir produzieren heute ausschließlich Kinofilme, von denen wir kommerziell und künstlerisch komplett überzeugt sind. „Der Medicus“ und „Der Junge muss an die frische Luft“ sind beides sensationelle Erfolge. Die MusicalVerfilmung „Ich war noch niemals in New York“, eine aktuelle Co-Produktion, gehört dazu. Und wir haben weitere erstklassige Kinoprojekte in Planung.

Nico Hofmann steht aber auch für die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus. Das Thema ist sehr stark durch meine Eltern geprägt und spielt bis zum heutigen Tag in unserer Familie eine große Rolle. Es ist aber auch das Thema einer ganzen Generation, der Nachkriegsgeneration. Ich wurde in Biologie noch von einem Lehrer unterrichtet, der die Rassenlehre aus dem Dritten Reich an seine Schüler verteilte. In der heutigen Zeit – zum Glück – unvorstellbar. Ihre Biografie trägt den Titel: „Mehr Haltung, bitte! Wozu uns unsere Geschichte verpflichtet.“ Eine Aufforderung an wen? Ganz sicher an meine Generation und an die Generation unserer Mütter und unserer Väter. Aber auch an die Generation nach mir, denn der Nationalsozialismus hat auch im Terrorismus und der Zeit der Apo eine Rolle gespielt. So hat jede Generation ihr eigenes Thema, wie die jetzige zum Beispiel den Klimaschutz. Diese Bewegung ist elementar und durchaus ernst zu nehmen. Es geht um eine grundsätzliche Haltung, wie wir in den nächsten Jahrzehnten

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Staubfänger auf vier Metern: Auf dem Sideboard hat Nico Hofmann liebevoll seine Preise, Pokale und Urkunden aufgereiht - ein Albtraum für Raumpfleger

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auf dieser Erde zusammen- und überleben wollen. Und dass es mit dem Raubbau an der Natur so nicht weitergehen kann. Das ist auch ein großes Thema in der Ufa. Dadurch, dass ich beruflich sehr viel fliege und manche Strecken sich nicht anders bewältigen lassen, muss ich mir selbst an die eigene Nase fassen. Wäre denn Klimaschutz ein Thema für den Film? Meine Erfahrung ist, dass die Themen, die politisch

aktuell sind, im Film ganz schwer funktionieren. Die meisten Produktionen der vergangenen fünf Jahre zum Thema Flüchtlinge sind kollabiert. Das gilt vor allem für den Spielfilm. Beim Dokumentarfilm sieht das anders aus. Da kann ich mir vorstellen, dass es funktioniert. Wir produzieren ab Herbst mit Millionenaufwand eine High-EndDokumentation über die Arktis. Die HelmholtzGemeinschaft nimmt uns mit auf Expedition.

Auf der einen Seite machen Sie Filme mit Anspruch, auf der anderen Seite verantworten Sie als CEO der Ufa auch „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Bauer sucht Frau“ – wie geht das zusammen? Für mich ist das überhaupt kein Widerspruch. Für eine gute Show braucht es dieselben Zutaten wie bei großen fiktionalen Projekten. Es muss jedes Detail stimmen: Das fängt bei der Lichtsetzung

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an, geht über die Besetzung der Jury und die Auswahl der Kandidaten, die Qualität der Zuspieler, die Auswahl der Musik. Mir wird manchmal nicht abgenommen, dass ich mich auf diesem Terrain auskenne. Dabei kenne ich mich da bestens aus, auch weil ich mir Unterhaltung seit Jahren intensiv und gerne anschaue. Eine versteckte Leidenschaft? Ganz so versteckt ist sie gar nicht. Ich bin extrem

Fotos: UFA, UFA Fiction_Ziegler Film_Wolfgang, ZDF/UFA FICTION

Hofmanns Erzählungen: „Unsere Mütter, unsere Väter“ erntete international Anerkennung, „Der Medicus“ war ein Kinohit, „Ich war noch niemals in New York“ läuft gerade erst an

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Entertainment-affin, jemand, der sämtliche Musicals, die es am Markt gibt, auswendig kennt. Ich habe selbst den Deutschen Fernsehpreis mit Bully Herbig und Barbara Schöneberger produziert, weiß also, worüber ich rede. Und ich genieße die Gespräche mit Dieter Bohlen. Dieter ist dermaßen klug, genau und präzise in der Analyse seiner Shows, wenn er mir nach Ausstrahlung am Sonntagmorgen eine SMS zum „Supertalent“ oder „DSDS“ schickt. Da macht die Zusammenarbeit wahnsinnig Spaß. Die Film- und FernsehBranche befindet sich im Wandel. Für Sie ein Grund zur Freude oder zur Besorgnis? Ganz sicher zur Freude. Ich bin groß geworden in einer Zeit, in der es de facto nur öffentlichrechtliches Fernsehen gab. In den Achtzigern habe ich die Anfänge des Privatfernsehens in Ludwigshafen direkt mitbekommen. Das war die große Zeit von Jürgen Doetz, Helmut Thoma und Marc Conrad. Und ich erlebe jetzt eine Senderlandschaft, die zunehmend fragmentierter ist und bei der man sich sein Programm individuell zusammenstellen kann. Für uns Produzenten ist das

natürlich wunderbar. Wir können für wesentlich mehr Anbieter arbeiten – sei es Netflix, Amazon, Telekom, TV Now oder das ZDF, ARD, Vox, RTL und ProSiebenSat.1 – um nur einige zu nennen. Es wird einfach viel mehr produziert. Wie oft kommen Sie dazu, fernzusehen? Ich schaue sehr viel fern. Es gibt immer wieder Auszeiten, in denen ich den Fernseher anmachen kann. Übrigens gern auch im Ausland – auch wenn ich da überhaupt kein Wort verstehe, wie neulich in Südkorea. Auch japanisches Fernsehen ist sehr unterhaltsam. Aber auch in Deutschland sehe ich viel live. Von „DSDS“ habe ich sicherlich 60 Prozent live gesehen. Dann ist Binge-Watching nichts für Sie? Ich finde es wichtig, ein Fernsehprogramm in seiner zeitlichen Einbindung zu schauen. Bei „Unsere Mütter, unsere Väter“ war das ganz stark zu spüren. Die Serie wurde bei der Ausstrahlung deutschlandweit zum Gesprächsstoff. Das sind Stimmungen und ein gewisser Zeitgeist, die sich dann in der Gesellschaft widerspiegeln. Fernsehen wird immer digitaler und internationaler. Netflix, Prime Vi-

»Meine Erfahrung ist, dass die Themen, die politisch aktuell sind, im Film ganz schwer funktionieren«

»Ich bin jemand, der sämtliche Musicals, die es am Markt gibt, auswendig kennt« deo und Co drängen auf den deutschen Markt. Haben ARD und ZDF bald ausgedient? Ich bin davon überzeugt, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen weiter eine wichtige Rolle spielt. Und ich mag es nicht, wenn Journalisten mit einem Standesdünkel daherkommen und behaupten, das Programm müsse elitärer werden. Programm kann elitär sein, Programm kann arthousig sein, Programm kann unterhaltend sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat erst einmal die Verpflichtung, die gesamte Gesellschaft abzudecken. Das ist der Auftrag. Und ich finde, dass das ARD und ZDF sehr gut gelingt. ARD und ZDF machen also alles richtig? Ich sehe unheimliche Fortschritte bei den Öffentlich-Rechtlichen im Bereich der Mediatheken. Programme werden radikaler gedacht und gemacht. Denken Sie an „Bad Banks“, „Das Boot“ und „Babylon Berlin“. Man merkt sehr wohl, dass ZDF und ARD neue Wege eingeschlagen haben und ihre Risikobereitschaft steigt. Sie werben damit, dass „Ku‘damm 59“ die höchsten Abrufzahlen in der ZDF Mediathek hatte – über 6 Millionen Abrufe.

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Sind Abrufzahlen die neue Währung? Zählen Einschaltquoten nichts mehr? Doch, aber zu den Einschaltquoten addiert sich die Online-Nutzung. Das zusammen ergibt die neue Messgröße für den Erfolg einer Sendung. RTL hat uns den Auftrag für die Serien „Nachtschwestern“ und „Sankt Maik“ verlängert. Ich bin überzeugt, dass liegt auch an einer hohen MediathekenNutzung. Bei „Charité“ liegen wir im Schnitt bei 800.000 bis 900.000 Abrufen pro Folge. Das sind schon relevante Zahlen. Streamingplattformen wie Netflix und Prime Video geben keine Abrufzahlen bekannt – und dennoch scheint es so, als ob sie erfolgreicher seien als das lineare Fernsehen. Wahr oder falsch? Falsch. Es kommt auf den Vergleich an: Wenn Netflix „Stranger Things“ weltweit launcht und binnen drei Tagen 40 Millionen Zuschauer verkündet, dann kann man diese Zahl natürlich nicht mit einem Primetime-Programm aus Deutschland vergleichen. Wenn ich mir aber die Zuschauerzahlen unserer Serie „Deutschland83“ und „Deutschland86“ ansehe, dann komme ich mit den 125 Länderverkäufen



auch ganz schnell auf 40 bis 50 Millionen Zuschauer weltweit. Da müssen wir uns alle überhaupt nicht verstecken. Welche Chance haben die Ufa und weitere deutsche Produzenten gegen die Amerikaner, die ein Vielfaches an Geld bieten im Kampf um Inhalte und Talente? Die Amerikaner haben in den vergangenen zwei, drei Jahren gigantische Summen in kreative Pakete investiert. Da können wir eigentlich nicht mehr konkurrieren. Und doch hat die Ufa den Zuschlag für die Verfilmung der Siegfried & Roy-Story bekommen. Da lagen Angebote von Warner, von Peter Jackson, von Roland Emmerich auf dem Tisch. Aber am Ende des Tages war

es eine Entscheidung für die Vertrauenswürdigkeit und kreative Mannschaftsaufstellung des Produzenten. Siehe „Der Medicus“: Wenn das Paket stimmt, wenn die Regie stimmt, dann sind auch internationale Stars, wie zum Beispiel Ben Kingsley, interessiert. Und was ist mit den Talenten, die Sie entdecken und aufbauen? Erliegen die nicht dem Lockruf des Geldes und binden sich lieber an Netflix? Wenn ein Talent der Meinung ist, es wolle lieber eine langjährige Bindung mit Netflix und nicht mit der Ufa eingehen, dann haben wir ein Problem. Die Ufa muss für Talente genauso spannend sein wie Netflix. Was wir bieten können, ist Talentpflege und Talentbindung,

»Die Ufa muss für Talente genauso spannend sein wie Netflix« die über das rein Kapitalistische hinausgeht. Apropos Talente. Sie waren es, der Heiner Lauterbach und Heino Ferch entdeckt hat. Heino Ferch stand am Berliner Schiller-Theater auf der Bühne. Sein Talent war ganz früh zu erkennen. Heiner Lauterbach habe ich über meinen ältesten Freund Roland Suso Richter kennengelernt. Er hat damals am Theater in der Hohenzollernstraße in München gespielt und sein Geld als Synchronsprecher verdient. Mit dem Gesicht und seiner Ausstrahlung war es nur eine Frage der Zeit, dass er für den Film entdeckt wurde.

Privatvorstellung: Nico Hofmann im Gespräch mit Heike Reuther im Vorführsaal der Ufa in Babelsberg

130 · turi2 edition #9 · TV

In Ihrem Büro zieren Filmpreise und Urkunden ein vier Meter langes Sideboard. Auf welche Trophäe sind Sie besonders stolz? Auf jede irgendwie. Denn ihr Anblick erinnert mich daran, wie viel Arbeit in jedem dieser Filme steckt. Aber ganz besonders wichtig sind mir die International Emmys für „Deutschland83“ und für „Unsere Mütter, unsere Väter“. Diese Produktionen wurden politisch leidenschaftlich diskutiert, auch im Ausland, gerade in Polen. Wenn sich dann eine unabhängige internationale Jury für diese Produktionen ausspricht, dann bedeutet mir das sehr viel.

Nico Hofmann im Podcast, im Videointerview und im TV-Fragebogen turi2.de/edition/hofmann


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»Ich würde es auch umsonst machen« Laura Karasek ist mit 37 Jahren das aufgehende Sternchen unter den TV-Talkern. Was treibt die gelernte Rechtsanwältin und Tochter von Kritiker-Legende Hellmuth Karasek vor die Kamera? Von Heike Reuther (Text) und Gaby Gerster (Fotos)

Pünktlich anderthalb Stunden zu spät schwebt Laura Karasek in Frankfurts Szenebar Oosten ein. Handy am Ohr, goldenes Täschchen und Kleidersack überm Arm, Visagistin im Schlepptau. Schnell noch ein Kleiderwechsel hinterm Tresen, dann beginnt das Interview mit der bodenständigen Diva. Laura Karasek, wie darf ich Sie vorstellen? Als Rechtsanwältin, die jetzt im Fernsehen moderiert? Als Buchautorin, die auch Podcasts macht und Online-Kolumnen

132 · turi2 edition #9 · TV

schreibt? Oder gleich als multimedial begabte Tochter von Hellmuth Karasek mit über 12.000 Instagram-Followern? Bitte bloß nicht als Instagramerin. Meine Follower-Zahlen sind so schlecht, da kann ich mich wohl kaum mit brüsten. Nein, am liebsten bezeichne ich mich als Autorin und Moderatorin. Aber wenn jemand sagt, dass ich Rechtsanwältin bin, dann bin ich darüber auch froh, denn das ist schließlich der Beruf, den ich gelernt habe – und den ich sehr schätze.

Barfuß auf der Kiste: Laura Karasek vor der Skyline ihrer Wahlheimat Frankfurt



Goldrausch-Engel: Laura Karasek freut sich über den Erfolg ihrer Talkshow „Zart am Limit“

134 · turi2 edition #9 · TV


»Je mehr kluge Köpfe es beim Fernsehen gibt, desto besser tut es uns«

gut hineinversetzen. Das war für uns alle wie eine Art Therapiesitzung – und dennoch kurzweilig.

chen bleibt der Kontakt über die Sendung hinaus. Eigentlich suche ich immer nach Geschichten.

Was reizt Sie am Job der TV-Moderatorin? Ich bin neu in dieser Branche und fühle mich wie jemand, der ganz frisch verknallt ist. Ich bin in einer Phase, in der ich alles aufregend finde, selbst eine belanglose Regiebesprechung, die für alle Profis ganz normal ist. Und ich bin selbst immer wahnsinnig aufgeregt. Ich liebe das Lampenfieber, das Adrenalin. Am schönsten finde ich, dass ich so viele Begegnungen habe und mich in meiner Talkshow mit Menschen und deren Lebensgeschichten befassen kann, die ich sonst vielleicht nie kennengelernt hätte. Zu man-

Können Sie da als Moderatorin auf Dinge zurückgreifen, die Sie als Anwältin bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Clifford Chance gelernt haben? Der Beruf als Anwältin war eine gute Schule. In dem Job hat man ja immer mit einem wirklichen Gegner zu tun, und ich musste und wollte natürlich auch gewinnen. Ich habe in der Zeit gelernt, mit Lampenfieber umzugehen und mich zu präsentieren, die richtigen Argumente zu haben. Mit der Zeit wurde ich immer souveräner. Ich habe aber auch gelernt, Niederlagen einzustecken, mir nicht alles zu sehr

zu Herzen zu nehmen. Diese Erfahrung kann ich jetzt für meinen Beruf als Moderatorin sehr gut gebrauchen. Und vermutlich hätte ich ohne das Anwaltsein nie den Mut gehabt, vor die Kamera zu treten. Warum haben Sie den gut dotierten Job 2018 an den Nagel gehängt? Wirtschaftsrecht ist hoch spannend und anspruchsvoll, aber ich habe die Auseinandersetzung mit kulturellen und gesellschaftlichen Themen vermisst. Seit ich aus der Kanzlei raus bin, merke ich, wie viel Zeitung und Romane ich lese. Dafür fehlte vorher schlichtweg die Zeit. Und jetzt ist mein Beruf etwas geworden, das mich privat auch reizt. Eigentlich fühlt sich

Die Kleine und der große LiteraturKritiker: Hellmuth Karasek legt den Arm um seine einzige Tochter Laura

Foto: imago/teutopress

Im Sommer liefen gleich zwei Sendungen, die Sie moderiert haben: beim Privatsender Vox „7 Töchter“, beim öffentlich-rechtlichen ZDFneo „Laura Karasek – Zart am Limit“. Werden Sie überall gebraucht? Niemand braucht mich! Höchstens meine Kinder. Aber es fühlt sich gut an, wenn man sich gegenseitig fördert. Das mit dem ZDF war ein großer Traum von mir. Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt: „Was wünschst du dir am meisten?“ – dann hätte ich geantwortet: „einen Roman schreiben und meine eigene Fernsehsendung moderieren“. Bei „7 Töchter“ waren wir so eine Art Schicksalsgemeinschaft. Ich konnte mich als Betroffene in die Töchter prominenter Väter sehr

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»Wieso können die Menschen in den Medien nicht liebevoller miteinander umgehen?«

meine jetzige Tätigkeit gar nicht nach Arbeit an. Ich sollte es vielleicht nicht laut sagen, aber ich würde es vermutlich auch umsonst machen. Sie sind jetzt 37 Jahre alt. Haben Sie heute ein anderes Bild von sich als vor zehn Jahren? Ich trage heute eine andere Stärke in mir als mit 20 – bevor ich Mutter wurde, bevor ich meinen Vater verloren habe. Mit 37 habe ich schon einige Täler durchschritten. Der Tod meines Vaters hat sicherlich dazu geführt, dass ich gedacht habe: Du musst die Dinge jetzt machen. Du musst deine Träume jetzt verwirklichen. Mein Vater und meine Mutter haben meinen Brüdern und mir vorgelebt, was es heißt, im Beruf glücklich zu sein. Den Job als Anwältin hatte ich da ja auch schon sechs Jahre gemacht. Vermutlich bin ich nicht so monogam – also beruflich betrachtet. Ich wollte was Neues. Oh je, das klingt jetzt nach Loriot: Sie wollte ein Jodeldiplom. Sie wollte was Eigenes. Nun also Fernsehen: Was reizt Sie daran? Es war immer mein Traum, was im Fernsehen zu machen. Und es ist ein schöner Kontrast zu meinem anderen Beruf als Autorin. Das Schreiben an einem Roman ist ein sehr einsamer Prozess. Ich bin ein Mensch, der den Applaus liebt und auch braucht. Genauso wie die Anspannung, vor die

Kamera zu treten. Aber ich bin auch sehr gern mal allein, sentimental, schwermütig und schreibe vor mich hin. Welche Talente bringen Sie mit, um im Medienzirkus zu bestehen? Als Autorin arbeite ich mit Sprache. Und als Juristin habe ich gelernt, präzise zu formulieren. Die Sprache ist ein ganz wunderbares Mittel. Wer sie geschickt einsetzt, kann seinen Gästen mehr entlocken und Menschen besser unterhalten. Ich bin ganz sicher nicht perfekt und trete oft ins Fettnäpfchen – zum Glück kann ich über mich selbst lachen. Was müssen Sie noch lernen? Ich sollte mir ein dickeres Fell zulegen. Das habe ich gleich bei meinem ersten Roman erfahren. Durch die sozialen Medien trifft einen die Kritik sehr direkt. Wobei ich mich frage: Wieso muss ich mir ein dickeres Fell zulegen? Nur weil die anderen so hart sind? Denn wenn ich mich nicht mehr von Filmen, Musik und Kunst berühren lasse, dann wäre das doch ein großer Verlust. Insofern habe ich überhaupt keine Lust, mir meine Sensibilität abzutrainieren. Also frage ich: Wieso können die Menschen in den Medien nicht liebevoller miteinander umgehen? Bei „7 Töchter“ haben Sie sich mit sechs Frauen – darunter Cheyenne

Ochsenknecht und Elena Carrière – über das Schicksal unterhalten, Tochter eines prominenten Vaters zu sein. Was haben Sie für sich daraus mitgenommen? Für mich war die Sendung total interessant, weil es uns allen ja sehr ähnlich ging. Ich hatte nie eine Freundin, mit der ich unverblümt über das Thema sprechen konnte. Der Begriff Promi-Kind ist ja negativ besetzt. Dahinter verbirgt sich: „Du kannst nichts. Du hast das nur, weil deine Eltern berühmt sind.“ Ich bin 37, ich habe Jura studiert, ich habe zwei Kinder, ich habe zwei Staatsexamen – ist das nichts? Mit diesem Klischee Promi-Kind zu brechen, war mir wichtig. Was haben Ihnen Ihre Eltern mit auf den Weg gegeben? Uns Kindern wurde gesagt: „Ihr könnt alles machen. Ihr könnt alles werden.“ Und wir sind absolut gleichberechtigt erzogen worden. Ich habe drei Brüder, aber nie habe ich gedacht, dass ich etwas nicht machen könnte, weil ich ein Mädchen bin. Meine Eltern haben uns immer ermutigt. Und sie haben uns die Freude an Bildung mitgegeben. Wie wurde im Hause Karasek ferngesehen? Sehr selektiv. Wir mussten – im Nachhinein bin ich meinen Eltern dafür dankbar – viele alte Filmklassiker schauen von und mit Ernst Lubitsch, Charlie Chaplin, Billy

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Wilder. Aber wir haben auch „Wetten, dass..?“ gesehen und „Wer wird Millionär?“. Meine Eltern hatten große Freude an Quizsendungen. Mit dem familiären Hintergrund und Ihrer Top-Ausbildung: Sind Sie nicht zu klug fürs Fernsehen? Haha, also erstens bezweifle ich, dass ich zu klug fürs Fernsehen bin. Und zweitens wollen wir das Fernsehen ja klüger machen, oder? Also noch klüger! Je mehr kluge Köpfe es beim Fernsehen gibt, desto besser tut es uns. Und es gibt ja schon ganz tolle Formate und geistreiche Moderatoren im Fernsehen. Apropos: Sie durften mit „Laura Karasek – Zart am Limit“ Jan Böhmermann in der Sommerpause bei ZDFneo vertreten. Wie haben Sie den Job ergattert? Ich saß eines Tages in der Kanzlei und dachte: Ich möchte moderieren, habe aber null Erfahrung. Dann habe ich eine E-Mail an den Entwicklungschef von ZDFneo, Sebastian Flohr, geschrieben: „Sie müssen mich kennenlernen. Sie werden es nicht bereuen.“ Gleichzeitig hat die Agentur, bei der ich durch meinen Roman war, mit dem ZDF gesprochen und erzählt, wie entertaining ich sei. Das war 2017. Nur ganze zwei Jahre später habe ich eine Sendung bekommen. Sie sehen: Die TV-Landschaft ist bahnbrechend rasant.


Femme fatale mit E-Zigarette: transparenter Auftritt von Laura Karasek im Frankfurter Oosten

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»Mit dem Klischee Promi-Kind zu brechen, war mir wichtig«

„Zart am Limit“ – ist der Name Programm? Das haben wir versucht. Der Titel soll auch ein bisschen mich selbst beschreiben, zwischen Selbstzweifel und Größenwahn. Der Mensch ist ja ein widersprüchliches Wesen. Jeder hat eine total verwundbare Seite und dann auch wieder eine toughe. Ich hasse Schubladendenken. Bei mir sitzen eben nicht nur die Stuckrad-Barres der Nation auf der Couch, sondern auch mal ein Gangsta-Rapper. Ich gehe gerne einfühlsam auf meine Gäste ein. Wenn wir aber über Themen wie Rabenmütter, Sexismus oder Homophobie sprechen, kann es auch mal lauter zur Sache gehen.

Wie schauen Sie fern? Ich schaue ganz viel aus der Mediathek, einfach wegen der zeitlichen Ungebundenheit und weil das meinem Lebenswandel mehr entspricht. Ich schaue gern Serien und amerikanische Talkshows, denn ich finde, dass man sich von anderen Formaten und Kulturen immer was abschauen kann. Aber wir haben auch hier geile Sachen: Ich liebe die Schöneberger, sehe sehr gern „PussyTerror TV“ von Caroline Kebekus, ich liebe Martina Hill, ich liebe Maren Kroymann und „Jerks“. „Bad Banks“ ist eine großartige Serie, und, und, und. Es gibt so viele tolle Sachen bei uns im Fernsehen. Klaas HeuferUmlauf natürlich! Und das

„Duell um die Welt“ mit Joko und Klaas. Wenn Träume wahr werden würden, was wäre Ihr größter Traum? Ich habe mal den Satz gelesen: Nichts ist toter als ein erfüllter Wunsch. Aber um die Frage nicht ganz so philosophisch zu beantworten: Wenn einer meiner Romane verfilmt würde, das fände ich total geil. Ich hätte darin gern einen Cameo-Auftritt. Ich würde auch gerne eine eigene Serie entwickeln und das Drehbuch dazu schreiben. Einmal im Leben würde ich gern einen Preis gewinnen und eine Rede dafür halten. Oder die Synchronstimme bei einem Animationsfilm sein. Oder ein Album mit

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Chansons aufnehmen. Oh je, ich glaube, ich muss mich beeilen. Ich wäre aber auch gern noch einmal 15 – dann könnte ich andere Dummheiten machen. Ich habe da neue Ideen für Fehltritte.

Laura Karasek als Podcast, im Video-Interview und im TV-Fragebogen turi2.de/edition/karasek


Vorurteil Nr. 1

Die regionale Tageszeitung liest doch keiner.

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Händlerdichte von 1,4 Einzelhändler pro 1000 Einwohnern hat Deutschland das dichteste Händlernetz der Welt. (Quelle Die deutschen Zeitungen in Zahlen und Daten 2017 / BDZV – Bundesverband Deutscher). Die erste Tageszeitung der Welt kam im Juli 1650 in Leipzig heraus: Drucker Timotheus Ritzsch veröffentlichte damals die Einkommenden Zeitungen. Diese erschien an sechs Tagen in der Woche. Im Jahr 1703 wurde erstmals das Wienerisches Diarium und damit die Wiener Zeitung gedruckt, die somit die älteste und heute noch erscheinende Tageszeitung der Welt ist. Die Altpapiereinsatzquote bei Zeitungen liegt bei 107 Prozent. Das heißt: für 100 Tonnen Zeitungsdruckpapier werden 107 Tonnen Altpapier eingesetzt. Entscheidend: Printprodukte sind „grün“: der Druck erzeugt nur einmal einen „Carbon Footprint“, ist erneuerbar und recyclebar (Quelle: VDP-Leistungsbericht Papier 2016/Die deutschen Zeitungen in Zahlen und Daten 2017 und print-lebt.de)

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ie erste Tageszeitung der Welt kam im Juli 1650 in Leipzig heraus: Drucker Timotheus Ritzsch veröffentlichte damals „Die Einkommenden Zeitungen“. Diese erschien an sechs Tagen in der Woche. Im Jahr 1703 wurde erstmals das Wienerische Diarium und damit die Wiener Zeitung gedruckt, die somit die älteste und heute noch erscheinende Tageszeitung der Welt ist. Die Altpapiereinsatzquote bei Zeitungen liegt bei 107%. Das heißt: für 100 Tonnen Zeitungsdruckpapier werden 107 Tonnen Altpapier eingesetzt. Entscheidend: Printprodukte sind „grün“: der Druck erzeugt nur einmal einen „Carbon Footprint“, ist erneuerbar und recyclebar (Quelle: VDP-Leistungsbericht Papier 2016 / Die deutschen Zeitungen in Zahlen und DaH und print-lebt.de) ten 2017 Deutschland ist übrigens der größte Zeitungsmarkt Europas und der fünftgrößte weltweit – nach China, Indien, Japan und den USA (Quelle: Die deutschen Zeitungen in Zahlen und Daten 2017 / BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger). Wer seine Tageszeitung nicht abonnieren möchte, kann sie an einer der rund 111.000 Verkaufsstellen des Einzelhandels erwerben. Mit einer

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Bewegt & bunt: 16 Köpfe, 10 Trends turi2 trifft 16 Menschen aus der Bewegtbildwelt und beschreibt 10 Trends, die diese Welt verändern

16 Köpfe 142

Charlotte Maihoff, Moderatorin

164

Markus Osthaus, TV-Produzent

146

Dirk Steffens, Naturfilmer

165

Nadine Bilke, Senderchefin ZDFneo

150

Juliane Leopold, Digital-Chefredakteurin

168

Thomas Markert, Visual Designer

151

Rainer Maria Schießler, Fernseh-Pfarrer

172

Thomas de Buhr, Sport-Streaming-Chef

154

Birgit Nössing, Sportjournalistin

176

Daniel Rosemann, Senderchef ProSieben

158

Till Uhrig, Video-Werber

180

Kerstin Niederauer-Kopf, Videoforscherin

162

Sascha Heyna, QVC-Televerkäufer

181

Evelyn Burdecki, Reality-Sternchen

163

Ute Biernat, Show-Produzentin

184

Fynn Kliemann, Tausendsassa


10 Trends 144

Krieg der Streame

166

Kinder-TV: So jung und treu

148

Hochkant-Videos bei „Bild“

170

Fairfickt: Pornos ohne Schmuddel

152

„rtv“ & „Prisma“ – TV-Gewinner

174

ZDF-Mediathek: Auf Abruf

156

Wie RTL Videos verifiziert

178

Nischen-TV: Exoten im Aufwind

160

TikTok, die große Playback-Show

182

Twitch: Zocken & Zusehen


K1 Charlotte Maihoff im TV-Fragebogen: turi2.de/edition/maihoff

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Moderatorin

Die Ähnlichkeit der Anderen Charlotte Maihoff ist die Jüngste im Moderationsteam von „RTL Aktuell“. Wichtig für ihren Job: sonore Stimme, Schwarzbrot – und manchmal auch die Stille

Foto: MG RTL D / Stefan Gregorowius

E

s sind die sonoren Stimmen der Nachrichtensprecher im Radio, die Charlotte Maihoff als Kind anfixen. Sie dreht extra laut und lauscht gespannt, wenn die ihr die Welt erklären. Kommt Musik, dreht sie wieder leise. „Ich war so ein bisschen nerdy als Kind“, sagt sie heute. Als der Saarländische Rundfunk für sein neues Jugendprogramm junge Radiomacher sucht, schafft Maihoff das Casting – und ist traurig, dass sie mit ihren 16 Jahren nur Reporterin sein darf. Für die Nachrichten sei sie noch zu jung, heißt es. Also studiert Maihoff nach dem Abi erstmal Informationswissenschaften, französische Linguistik und Wirtschaftsinformatik, wieder ein bisschen nerdig. Dabei lernt sie das Strukturieren von Daten und versteht: „Informationen, die nur auf einem Rechner liegen und von Menschen nicht wahrgenommen werden, die gibt es nicht.“ Neben dem Studium arbeitet Charlotte Maihoff beim HR und beim WDR, danach besucht sie in Hamburg die Henri-Nannen-Schule und darf 2010 beim Deutschlandfunk und bei DRadio Wissen endlich Radionachrichten machen. Über die Regionalnachrichten im SR Fernsehen kommt Maihoff zu ARD aktuell, moderiert die „Tagesschau“ und beim Infokanal Tagesschau24. 2017 holt RTL sie als neues Gesicht zu „RTL aktuell“. Nach 18 Jahren beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet sie einen Kulturschock – doch der bleibt aus: „Bei den Nachrichten sind wir uns alle sehr ähnlich. Es ist das Schwarzbrot des Journalismus.“ Heute präsentiert sie im Wechsel mit Chefmoderator Peter Kloeppel und Maik Meuser die Hauptnachrichten. Am Nachrichtenjournalismus reizt Charlotte Maihoff die Herausforderung, sich schnell in Themen einzuarbeiten: „Sehen, begreifen, erklären können. Das ist eine Challenge und die nehme ich gerne an.“ Sie interessiert sich für fast alles, mit Abstrichen bei Sport und Kultur, und fände es langweilig, sich auf ein Thema konzentrieren zu müssen. Zeitweise wollte sie auch mal Lehrerin werden. Eine Aufgabe, die ähnliche Talente erfordert, glaubt Maihoff. Der Vorteil als Journalistin: Ihr Publikum schaut und hört in der Regel freiwillig zu. Bei RTL arbeitet Maihoff auch als Redakteurin im Hintergrund und ist als Reporterin unterwegs. „Man kann nicht nur im Studio stehen und von dort aus glauben, dass man die Welt versteht“, sagt sie. Immer wieder berichtet sie auch aus Russland. Ihr deutscher Ehemann arbeitet in Moskau, sie selbst ist jeden zweiten Monat in der russischen Hauptstadt. Bei ihrer ersten Straßenumfrage dort kann sie gerade genug Russisch,

»Sehen, begreifen, erklären können. Das ist eine Challenge und die nehme ich gerne an« um eine Frage zu stellen, versteht aber die Antworten nicht. Heute klappt es schon deutlich besser mit der Verständigung. Miteinander ins Gespräch kommen, andere kennen und verstehen lernen: Das ist Charlotte Maihoff besonders wichtig. Überrascht, aber auch beruhigt stellt sie immer wieder fest, dass Menschen, egal wo sie leben und woher sie kommen, einander oft viel ähnlicher sind, als sie selbst glauben. Maihoff engagiert sich für die Stiftung Lesen und das Kinderhilfswerk Plan International, um Kindern, vor allem Mädchen, Chancen zu geben und Bildung zu ermöglichen. „Wir müssen Menschen bilden, damit sie die Probleme lösen, die auf uns zukommen. Und die sind nicht klein.“ Sie selbst hat die Patenschaft für einen kleinen Jungen in Kolumbien übernommen. Charlotte Maihoff ist gebürtige Saarländerin. Dass ihr Vater aus Ghana stammt, ist in ihrer Kindheit nie ein großes Thema. Es dauert lange, bis sie zum ersten Mal auf die Idee kommt, dass einige Menschen sie allein deshalb nicht mögen könnten, weil sie anders aussieht als sie. „Ich bin die erste schwarze Frau, die in Deutschland die Hauptnachrichten macht. Ich finde es aber ganz schrecklich, das so zu formulieren. Letztlich ist das vollkommen Wurscht! Es ist ja nicht mein Verdienst, wie ich aussehe.“ Wenn jemand sie als Beispiel für gelungene Integration vorführen möchte, ist das ihr nicht nur unangenehm – sondern schlicht falsch: „Ich bin Deutsche und musste mich hier nie integrieren.“ Gleichwohl hält sie es für den Zusammenhalt im Land für extrem wichtig, Rassismus zu bekämpfen. Wenn Charlotte Maihoff eine Auszeit braucht vom Schwarzbrot des Journalismus, von Challenges und Fernsehkameras, geht sie klettern oder in die Natur. Sie mag die Stille – eine „uncoole Eigenschaft“, sagt sie selbst. Und wieder ein klein wenig nerdig. Sie genießt es, einfach nur aufs Meer, einen See oder die Berge zu schauen. Und Ohrstöpsel sind für sie in einer lauten Umgebung wie ein kleiner Urlaub. Damit kann man die Welt leise stellen, wann immer man möchte. So wie früher die Radiomusik.

143 · turi2 edition #9 · TV

Björn Czieslik


T1

On-Demand-Programm

Krieg der Streame

N

etflix fährt ordentlich auf am 16. September 2014, dem Schicksalstag der deutschen Fernsehbranche. Das Unternehmen hat die Komische Oper Berlin gemietet – und Teile davon in das Gefängnis-Set seiner Serie „Orange Is The New Black“ verwandelt. Für Hunderte Gäste gibt es Getränke und Frei-Abos. Ein TV-Promi scherzt mit Cocktailglas in der Hand: „Da feiert ja RTL noch öffentlich-rechtlicher als die.“ Die Party zum Deutschland-Start ist ein Signal an die Fernsehwelt: Hier sind wir. Fünf Jahre später ist Netflix noch immer da – und hat in der Branche mehr verändert, als manchem lieb ist: Deutsche unter 30 schauen heute im Schnitt noch 56 Minuten klassisches Fernsehen am Tag – Tendenz sinkend. Auf Streaming-Portalen verbringen sie dagegen 78 Minuten – Tendenz steigend. Exzessives Serien-Durchschauen ist längst als „BingeWatching“ zum Volkssport geworden. Das Prinzip Streaming wirbelt viele Angebote durcheinander: ARD und ZDF haben ihre Mediatheken von wilden Sammelstellen zu nutzerfreundlichen Orten umfunktioniert. RTL betreibt die Plattform TV Now, ProSiebenSat.1 antwortet mit Joyn. Und Netflix? Steht mehr denn je unter Druck. Dafür sorgt etwa Philip Pratt. Der frühere Filmstudent hat sich beim Amazon-Dienst Prime Video vom Filmrechtehändler zum Leiter der deutschen Produktionen hochgearbeitet. Wie sein Alltag aussieht im sehr bewegten Markt der bewegten Bilder? „Es ist, wie auf eine Achterbahn zu springen, die schon in voller Fahrt ist“,

sagt Pratt. Er gibt der Achterbahn noch mehr Schwung. Nicht mit Massenware, sondern dem „Sahnehäubchen unseres Contents“, wie er sagt. Sein Auftrag: Serien und Filme schaffen, die zu den meistgesehenen Videos zählen sollen. Dass Amazon und Netflix genau sehen, wie viele was wie lange schauen und bei welcher Szene besonders viele abschalten, wird von Kulturpessimisten gern als Ende der Kreativität gesehen. Doch es ermöglicht den Streaming-Diensten auch konsequente Entscheidungen. Die deutsche Amazon-Serie „Beat“ etwa gewinnt 2019 einen Grimme Preis. Keinen Monat nach der Verleihung wird bekannt: Amazon will keine zweite Staffel. Die Kriterien für Erfolg und Misserfolg sind handfester als Auszeichnungen: Wie viele Zuschauer schließen wegen des Formats ein Abo ab? Wie viel Prozent der Nutzer schauen zu? Wie viele schauen von Anfang bis Ende? Netflix‘ Kriterien sind ähnlich, das Unternehmen betont aber: Daten können weder kreative Erfahrung noch Instinkt ersetzen. Das „Netflix-Erlebnis“ mache die Kombination aus kreativem Erzählen und persönlichen Empfehlungen, also dem Algorithmus, aus. Netflix legt im Lauf des Entstehungsprozesses Wert auf möglichst wenige Freigabe- und Budget-Meetings. Das Unternehmen spricht vom Glauben an eine Hochleistungskultur, an weniger Kontrollen und mehr Verantwortlichkeit. „Daten können uns dabei helfen, unterversorgte Zielgruppen oder die Nachfrage nach verschiedenen Genres zu identifizieren“, so die Devise bei Netflix. Dort ist das Programm deshalb bunter und breiter als bei Amazon:

144 · turi2 edition #9 · TV

Fotos: amazon prime

Streaming ersetzt das klassische Fernsehen – Junge schauen schon heute mehr Netflix und Amazon Prime als TV. Der Markt steht aber schon vor der nächsten Revolution


»Es ist, wie auf eine Achterbahn zu springen, die schon in voller Fahrt ist« Philip Pratt Amazon Prime Video

Spielfilme, Serien, Sportdokus: Streaming-Anbieter produzieren längst auch selbst Programm

Netflix bedient gezielt Homosexuelle oder thematisiert die Probleme schwarzer Menschen in einer von Weißen dominierten Gesellschaft. Selbst Nischen lohnen sich dank globaler Verbreitung: Der deutsche Spielfilm „Kidnapping Stella“ wurde in den ersten sechs Wochen auf Netflix 19 Millionen Mal angeschaut – mehrheitlich außerhalb Deutschlands. Amazon Prime Video versteht sich viel stärker als „Family-Entertainment“, sagt Philip Pratt. „Wir sehen, dass nicht nur junge oder ältere Erwachsene, sondern auch viele Kinder Prime Video nutzen. Ganz allgemein gesagt versuchen wir, ein Programm für die ganze Familie zu gestalten.“ Das alte TV-Lagerfeuer findet hier eine Fortsetzung: Für Amazon Deutschland stehen Publikumsliebling Matthias Schweighöfer, MainstreamKomiker Chris Tall und die Mannschaft von Borussia Dortmund vor der Kamera. Amazon bedient eine viel breitere Nutzerbasis als Netflix – aus einem simplen Grund: Das Video-Angebot ist Teil des Prime-Abos, das in erster Linie kostenfreie und schnellere Paketlieferungen garantiert. Die Marktanteile der beiden Dienste verteilen sich dennoch in etwa 50/50, weil Netflix-Nutzer mehr schauen und es ein „exzessives Password-Sharing“ gebe, sagt Florian Kerkau vom Beratungshaus Goldmedia. Die GoldmediaSeite VoD-Ratings.com veröffentlicht eine Art Einschaltquote, die die Plattformen selbst nicht rausrücken. Auf Basis von Online-Befragungen und Datenanalysen geht Kerkau davon aus, dass Netflix-Nutzer täglich 75 Minuten schauen, Amazon-Kunden 63 Minuten. Netflix

kommt laut Goldmedia auf sechs Millionen Abos in Deutschland, Prime Video von Amazon auf neun. Im ständigen Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer ist das klassische Fernsehen heute nur noch ein Konkurrent von vielen. Netflix und Prime Video müssen sich gegen aufrüstende Streaming-Gegner behaupten. Gegen Apple zum Beispiel, das für seine Plattform Apple TV+ mehrere Milliarden Dollar in eigene Produktionen investiert. Schmerzhaft für Netflix ist der Start des Disney-Dienstes, der dazu führt, dass nach und nach die lizenzierte Disney-Ware von Netflix verschwindet. Und auch Warner investiert in die Plattform HBO Max. In amerikanischen Medien hat sich dafür der Begriff „Streaming Wars“ etabliert, ein Krieg um Gunst und Geldbeutel der Nutzer. Um weiter der Treiber zu bleiben, arbeitet Netflix an Smartphone-kompatibleren Inhalten und an mehr Interaktivität. Vor allem das ganz neue Gebiet der Videospiele kann ein lukratives Geschäftsfeld werden: Das 2019 erschienene Spiel zur Erfolgsserie „Stranger Things“ kostet immerhin ab 18 Euro aufwärts, je nach technischer Plattform. 2020 soll ein spezielles MobileGame folgen. Netflix will damit die Fan-Kultur rund um Serien und Filme befeuern – also das ansprechen, was Fernsehen schon immer anspricht: Emotionen. Alles hat sich also nicht verändert.

145 · turi2 edition #9 · TV

Jens Twiehaus


K2 Naturfilmer

Abenteurer mit Fußabdruck Dirk Steffens will mit seinen Naturreportagen die Welt retten – und ist doch ein Umweltsünder

D

irk Steffens hängt öfter mal in den Seilen – im wahrsten Sinne des Wortes: Kaum eine „Terra X“-Folge, in der sich der Moderator nicht in Bergsteiger-Montur eine steile Felswand hinab oder einen hohen Baum hinauf hangelt. Wenn er dabei auch noch seine Moderationstexte aufsagt, spitzbübisch vom Rücken eines Kamels in Saudi-Arabien herab lächelt oder auf einem über das ewige Eis Grönlands gleitenden Hundeschlitten in die Kamera spricht, sieht das kinderleicht aus. Und tatsächlich: Steffens lebt seinen Kindheitstraum. Im Alter von sechs Jahren sieht der kleine Dirk seinen ersten Tierfilm. Und fängt sofort Feuer: Sowas wie dieser Bernhard Grzimek will er später auch mal machen. Heute lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass Steffens der legitime Nachfolger des legendären Tierfilmers der 1960er und -70er Jahre ist. Sein Weg aus der niedersächsischen Provinz in die große, weite Welt verläuft allerdings etwas verschlungen. Beim Sortieren hilft ihm die Bundespost. In Hamburg lässt er sich zum Fernmeldemechaniker ausbilden, hängt das Abi dran, volontiert an der Kölner Journalistenschule und lernt, dass ein Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk zwar gut verdient, aber kein allzu aufregendes Leben hat. Seitdem jettet Dirk Steffens als freier Journalist, Moderator und Naturfilmer um die Welt. Bei Vox lernt er das Handwerkszeug für Auslandsdrehs – von der Drehgenehmigung über die Inszenierung bis zur Postproduktion. Seit 2007 taucht er vor der ZDF-Kamera mit Tümmlern, streichelt Schlangen und kuschelt mit Koalas. Die Liebe zur Natur und den Wundern unserer Welt treibt ihn an. „Ich habe die Showeffekte der Natur alle gesehen. Jetzt kann ich mich wieder über die Kleinigkeiten freuen – wie früher als Junge“, sagt Steffens. Sein Lieblingsplatz liegt auch nicht in der großen, weiten Welt, sondern in seiner Heimat, an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste. Dort besitzen er und seine Frau ein

146 · turi2 edition #9 · TV


Dirk Steffens im TV-Fragebogen turi2.de/edition/steffens

Haus am See. Vom Steg aus schlüpfende Kaulquappen zu beobachten, findet Steffens genauso faszinierend wie eine Elefantengeburt. Gleich nebenan, in Eckernförde, pflegt er ein weiteres Herzensprojekt: In der 22.000-Einwohner-Stadt wirkt er seit 2016 als Leiter des Naturfilmfestivals Green Screen, in Europa das größte seiner Art, eine Mischung aus Filmfestival, Branchenmesse und Stadtfest. Denn die Eckernförder helfen und feiern kräftig mit, wenn im September eine Woche lang Filmemacher, Fernsehredakteure und Naturfilmfans aus ganz Europa zu Gast sind. Für Steffens ist es das jährliche „Klassentreffen“ und ein „sensationeller Spaß“, die Kollegen, die sonst in den entlegensten Gegenden des Globusses drehen, zusammenzubringen.

Foto: Oliver Roetz

»Ich habe die Showeffekte der Natur alle gesehen. Jetzt kann ich mich wieder über die Kleinigkeiten freuen – wie früher als Junge« „Ich bin mal losgegangen, weil ich die Freuden des Naturfilmers so geschätzt habe. Dann bin ich gegen meinen Willen zu einer Art Krisenberichterstatter geworden“, sagt Steffens über seine Rolle bei „Terra X“. Denn die jungenhafte Freude, mit der der 51-Jährige auf den Seychellen frivol anmutende Palmensamen erntet oder sich in Südafrika an Erdmännchen heran robbt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihm todernst ist mit der Sorge um unseren Planeten: „Die Phase, in der wir den Klimawandel noch hätten verhindern können, haben wir verpasst.“ Er führt den ZDF-Zuschauern die überwältigende Schönheit unseres Planeten vor, um zu erklären, was wir durch Klimawandel und Umweltsünden bald verlieren werden – wenn wir uns nicht um ein kluges Krisenmanagement kümmern. Dirk Steffens führt ein Jetset-Leben im Namen des Umweltschutzes. Das ist vielleicht das größte Paradoxon im Leben des Naturfilmemachers. Zehn Filme produzieren er und sein Team jedes Jahr. Dafür fliegen sie die meiste Zeit um die Welt. Als Buße für diesen gewaltigen CO2-Fußabdruck spendet Steffens für Aufforstungsprojekte. Als Umweltsünder fühlt er sich dennoch. Markus Trantow

147 · turi2 edition #9 · TV


T2

Hochkant-Videos

Smarte Formate „Bild“ hat für Snapchat einfach mal die Videokamera gedreht. Und erreicht so täglich Hunderttausende

Ein Hochkant-Video über „Bild“ und Snapchat turi2.de/edition/ bild

»Wer dreht sein Handy, wenn man auch hochkant gucken kann?« stimmen jetzt einfach nicht mehr.“ Ein Video für Social Media müsse direkt am Anfang „kicken“, dann eine Story aufbauen. Ist der Nutzer nach drei Sekunden nicht überzeugt, ist er verloren. Videos für Social Media müssen nicht kurz sein, sagt Wenzek, aber durch Schnitte, Schriften und Effekte schnell wirken. „Das Veröffentlichen auf Social Media ist eine Boulevardisierung der Inhalte. Die Bilder müssen stark sein, ich muss sofort den Promi sehen“, sagt Wenzek. Und natürlich sei dabei das handyfreundliche Hochkant-Format Pflicht. „Wenn man auf den Plattformen ein Querformat hochlädt, ist man der uncoole, alte Medienmacher“, sagt Social-Chef Marc Biskup. Er will auch in Zukunft in Hochkant-Inhalte für „Bild“ investieren. „Wer dreht schon sein Handy, wenn man auch hochkant gucken kann?“ Täglich verbreiten seine Leute ein knappes Dutzend Nachrichten, die zum Klick auf Bild.de animieren sollen – beziehungsweise zum „Swipe up“, wie es auf Snapchat heißt, weil Nutzer auf dem Bildschirm nach oben wischen müssen. Zudem gibt es mehrere SpezialAngebote: die Basketball-Show „Crunchtime“, eine Fußball-Show, ein Format zum Bild.de-Ableger Fitbook und die Auto-Show „Drive“. Fußball-Spiele und AutoTests sind fast immer im Querformat gefilmt, die Cutter müssen das Material für Snapchat neu konfektionieren. Snapchat ist auch Rückkanal. Als Partner des Konzerns bekommt „Bild“ nicht nur eine ungenannte Summe Geld, sondern auch exklusive Zugänge: „Bild“Designer können sogenannte Linsen erstellen, digitale Masken, die sich Nutzer im Selfie-Modus aufsetzen können, um anonym über Themen zu sprechen. Beispiel: die Mobbing-Linse. „Bild“ rief ihre Follower auf, sich virtuelle Mützen tief ins Gesicht zu ziehen und über eigene Mobbing-Erfahrungen zu berichten. Aus den Einsendungen hat die Redaktion ein Video gebaut. Für Biskup ein Paradebeispiel: Die Community wird zu Protagonisten und produziert eigenen Gesprächsstoff – Sozial-Medium pur unter dem Markendach „Bild“. Dieser „snackable content“, den man Freunden auf dem Handy zeigt, sei prädestiniert für das Hochkant-Format. Biskup sagt aber auch: „Längere Filme werden auch weiter horizontal konsumiert, weil es für die Augen angenehmer ist und man sich zurücklehnt.“ Die Zukunft ist also nicht nur hochkant. Jens Twiehaus

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Foto: Bild

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as Studio im „Bild“-Konferenzraum ist schnell eingerichtet: Moderator Morten Wenzek baut die giftgrüne Papp-Wand auf, dreht sich zur Kamera und beginnt, mit aufgerissenen Augen zu reden. Designer Lovis Lattke ist zugleich der Kameramann. Seine Kamera hängt schräg am Stativ und filmt im Hochkant-Format. Mortens Moderation ist bestimmt für Snapchat – und die Plattform nun einmal ausschließlich auf Smartphones ausgerichtet. Auch wenn das Snapchat-Studio spartanisch wirkt: Die täglichen Nachrichten und regelmäßigen Shows sind aufwendig produziert. Aus der giftgrünen Wand wird später am Computer ein animierter Hintergrund mit Fotos. Ein Team aus Cuttern und Motion Designern arbeitet oft stundenlang an Video- und Audio-Effekten. Für Springer ist dies die neue Bewegtbild-Realität: Rund vier Millionen aktive Nutzer erreicht „Bild“ pro Monat auf Snapchat, 650.000 Zuschauer wischen sich Tag für Tag durch die Inhalte. Die werden von Werbung unterbrochen, an der Springer mitverdient. Noch interessanter für die Redaktion: 90 Prozent der Nutzer sind unter 25. Und damit Teil einer Zielgruppe, die selten Bild.de besucht und praktisch nie eine Zeitung kauft. Snapchat soll für sie die Einstiegsdroge ins „Bild“-Universum sein. Morten Wenzek, der Redakteur für die vertikalen Video-Angebote, sagt: „Die Gesetze, die wir aus der Videoproduktion in älteren Zeiten kennen,


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E SPORT IN DER APP UND AUF ESPORT.KICKER.DE


K3 Digital-Chefin

Hinterm Horizont geht’s weiter Vom Internetcafé bei Karstadt zur Digital-Chefin der „Tagesschau“: Juliane Leopold macht sich auf diesem Weg nicht nur Freunde

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Juliane Leopold im TV-Fragebogen turi2.de/edition/leopold

»Ich war in der Regel immer die einzige Ostdeutsche« bekommen, auch wenn er die „Tagesschau“ nicht im TV konsumiert. Die Ansprache auf den verschiedenen Kanälen unterscheidet sich leicht, die DNA – seriöse, unaufgeregte Information – muss aber gleich bleiben. Das Internet ist für Juliane Leopold nach wie vor „der reizvollste Bereich, Journalismus zu machen“. Auch, weil es sich für sie offener anfühlt als etwa Print. Dass alle zu allem ihre Meinung sagen dürfen, hat aber nicht nur Vorteile: „Seitdem ich eine Frau im Internet mit Stimme und Gesicht bin, finden Menschen mich blöd und sagen mir das auch“, sagt Leopold. Viele Äußerungen sind unsachlich, aber substanzlos, es gibt aber seit Jahren auch immer wieder Drohungen. Auch deswegen spürt Juliane Leopold manchmal eine Debatten-Müdigkeit, selbst in ihrem Lieblingsnetzwerk Twitter. „Aktion, Reaktion, Aufreger – und morgen wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben: Das muss ich zunehmend nur noch beobachten und nicht mehr Teil davon sein.“

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Björn Czieslik

Foto: ARD/NDR

ie Liebe zwischen Juliane Leopold und dem Internet ist über lange Zeit gewachsen. Ihre erste Begegnung mit dem Netz hat sie in den späten 1990er Jahren in ihrer Heimatstadt Halle an der Saale, im Jugendcafé von Karstadt. Drei Computer mit Internetzugang sind dort installiert. Juliane Leopold kommt immer wieder, wählt sich ein und liest Blogs aus aller Welt. Mitte der 2000er Jahre, Leopold studiert inzwischen Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Berlin, wird sie selbst im Netz aktiv. Sie beginnt zu twittern und lernt das digitale Einmaleins. Als die ersten Verlage Leute suchen, die ihnen das Web erklären, ist Juliane Leopold zur Stelle. Sie betreut die Community der „NZZ“, macht Social Media für Zeit Online und gründet das feministische Blog „Kleinerdrei“ mit. 2014 übernimmt sie ihren ersten Führungsjob als Chefredakteurin von BuzzFeed Deutschland. „Ich führe nicht gerne als Selbstzweck, sondern weil ich gerne gestalte“, sagt Leopold. BuzzFeed ist die Spielwiese, auf der sie sich austobt. Nach anderthalb Jahren dort und einer Zeit als Beraterin verantwortet Leopold seit Juli 2018 den Digital-Auftritt der „Tagesschau“. Anders als bei BuzzFeed ist das Feld hier schon beackert. Sie lernt, wie die Prozesse des linearen Fernsehens funktionieren, was crossmediale Verzahnung heißt – und muss verstehen, dass bei Entscheidungen in der ARD viele mitreden. Juliane Leopold ist nicht nur die erste Frau an der Spitze von ARD-aktuell, sondern auch die einzige Ostdeutsche dort. Beides sind keine unbekannten Rollen für sie: „Ich war in der Regel in meinem ganzen Berufsleben an den Konferenztischen die Jüngste, manchmal die einzige Frau. Und immer die einzige Ostdeutsche.“ Mit Blick auf die politische Stimmung im Land hält sie es für hilfreich und wichtig, möglichst viele Perspektiven an Bord zu haben. Der „Ossi vom Dienst“ will sie trotzdem nicht sein. Dass Leopold als erste Führungskraft ohne Stallgeruch zur „Tagesschau“ kommt, ist für sie mehr Chance als Last: „Ich weiß, dass der Horizont nicht dort endet, wo nur wir selbst mit uns zufrieden sind.“ Das DigitalAngebot der „Tagesschau“ misst sie an der Welt da draußen und scheint auf einem guten Weg. Mit mehr als 90 Millionen Visits im Monat zählt Tagesschau.de zu den zehn meistbesuchten News-Angeboten in Deutschland. Die Redaktion bespielt Website und App, aber auch YouTube, Facebook, Twitter und Instagram. Leopolds Devise: Wer Rundfunkbeitrag zahlt, soll dafür etwas


Fernseh-Pfarrer

Mit Kreuz vor der Kamera Sonntags Predigt, montags Drehtag: Rainer Maria Schießler ist katholischer Geistlicher – und eine kleine Medienberühmtheit

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Foto: Picture Alliance

ieser Mann ist ein alter Fernsehhase. „München 7“, „Dahoam is dahoam“, „Anschi & Karl-Heinz“: Zumindest im Programm des Bayerischen Fernsehens ist fast jeder Zuschauer schon einmal über Rainer Maria Schießler gestolpert. Nicht immer, aber bevorzugt verkörpert er Pfarrer. Das liegt daran, dass er einer ist. Schießler, 59, schmales Goldkettchen mit Kreuz um den Hals, betreut die Pfarrei St. Maximilian im Münchner Glockenbachviertel. Zusätzlich hilft er predigttechnisch auch noch in der Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt aus. Und fast nebenbei bastelt er seit Jahrzehnten an seiner Fernseh- und Autorenkarriere, nicht ganz ohne Hintergedanken: „So kann ich Kirche präsent machen“, sagt er. Und fügt bescheiden an: „Man selbst darf natürlich nie wichtiger sein als die Sache.“ Angefangen hat alles als Kaplan in Rosenheim beim Regionalfernsehen, fast 30 Jahre ist das her. Zurück in seiner Heimatstadt München folgten Radioaufnahmen, eins kam zum anderen, irgendwann klopfte der BR an, wenig später auch Serienmacher wie Franz Xaver Bogner. Schießler machte und macht immer gerne mit. Ob als „Servicefachmann für religiöse Fragen“ im Nachmittagsmagazin – „auch wenn du da zum

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»Naja, fürs Fernsehen musst du ja auch eine Textsau sein!« hundertsten Mal Fronleichnam erklärst“ – oder als Schauspieler. Viele Fernsehzuschauer wissen, dass Schießler ein echter Geistlicher ist. Und die, die es nicht wissen, kommen irgendwann drauf. Seine Mission, den Glauben und die katholische Kirche via Flimmerkiste menschlicher und beliebter zu machen, funktioniert – zumindest lokal: Seine Pfarrei ist die einzige Münchens mit zweistelligen Eintrittszahlen. Nicht alle geistlichen Kollegen sind begeistert von Schießlers Medienpräsenz, auch wenn es viele gibt, die genau das gut finden. Ob er mal daran gedacht hat, sich ganz dem Fernsehen zu widmen – und die Kirche hinter sich zu lassen? Nein, sagt Schießler, auf gar keinen Fall: Erstens wusste er schon mit 13, 14 Jahren, dass er für die Kirche arbeiten will. Und er ist zwar gern fürs Fernsehen unterwegs, aber ein Drehtag reicht ihm in der Regel. „Die anderen, die müssen da ja jeden Tag rein!“ Lachend erinnert er sich daran, wie er bei einem Dreh permanent den fiktiven Namen einer Darstellerin verwechselte, so lange, bis der Regisseur nur noch mit den Augen rollte. „Naja“, sagt Schießler, „fürs Fernsehen musst du ja auch eine Textsau sein!“ Seine Predigten hält er aber problemlos frei von der Leber weg. Pfarrer, die sogar die Begrüßung der Gläubigen ablesen, sind ihm ein Graus. Seit er 2016 und 2018 zwei Bücher veröffentlicht hat – für flucherprobte Bayern doppeldeutig betitelt mit „Himmel, Herrgott, Sakrament“ und „Jessas, Maria und Josef“ – ist Schießler fast mehr auf Lesungen unterwegs als fürs Fernsehen. Wobei er seit drei Jahren für das BR-Format „kreuz & quer“ regelmäßig in geistlicher Mission entsandt wird. Dann plaudert er zum Beispiel mit der Putzfrau der Gnadenkapelle Altötting oder besucht die Flugseelsorge am Flughafen München. Mit laufender Kamera im Rücken. Und wie schaltet so ein Tausendsassa eigentlich ab, abends, wenn das Kirchentor und Pfarrbüro zu, der Drehtag vorüber ist? Die meisten anderen Geistlichen würden natürlich sagen: im Gebet. Rainer Maria Schießler betet auch, aber – da kennt er nichts – sitzt auch gerne mal vor dem Fernseher. „Das ist super zum Runterfahren.“ Gerade, sagt er, hat er endlich alle Staffeln der Krimiserie „The Mentalist“ durch.

Rainer Maria Schießler im TV-Fragebogen turi2.de/edition/schießler

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Tatjana Kerschbaumer


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TV-Beilagen

Auf hoher See Die unscheinbaren TV-Beilagen „Prisma“ und „rtv“ machen trotz Print-Krise gute Geschäfte mit gedruckter Programmbegleitung. Wie kann das sein? Ein Besuch bei den Machern

Foto: rtv

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ch stehe als Person nicht gerne im Mittelpunkt“, sagt Christina Esser. Und doch sind im Markt der TV-Beilagen gerade alle Augen auf sie gerichtet. Von Düsseldorf aus liefert sich die Geschäftsführerin des Prisma-Verlags ein Fernduell mit Ulrich Buser. Der 46-Jährige steht an der Spitze der rtv Media Group, einer Bertelsmann-Tochter aus Nürnberg. Und gerade wurden er und seine „rtv“ von der acht Jahre jüngeren Esser mit „Prisma“ vom Thron gestoßen – zumindest, was die Auflage angeht. Die Hefte sind Schwestern im Geiste: kleines Format, dünnes Papier, ein paar Seiten für Redaktionelles und viele fürs TV-Programm. Dazwischen sehr viel, meist kleinteilige Werbung. Auflagen und Anzeigengeschäft von “rtv“ und „Prisma“ bleiben riesig, das Anzeigengeschäft boomt – trotz Printkrise. Der Grund: Die Magazine sind zusammen mit der „Apotheken-Umschau“ die letzten großen Millionentitel im Markt und damit wertvoll für die Werbewirtschaft. Während Kaufzeitschriften wie „stern“, „Spiegel“, „Hörzu“ oder „TV Spielfilm“ unter die Millionengrenze gerutscht sind, erreichen „rtv“ und „Prisma“ weiter Millionen älterer, aber gebildeter und kaufkräftiger Leser. Wer über 50 und seiner Tageszeitung treu geblieben ist, hat offensichtlich Zeit und Geld. Er bleibt eine spannende Zielgruppe nicht nur für Treppenlifte, sondern auch für die boomenden Kreuzfahrten. Die werden eher von gut situierten Rentnern gebucht als von gestressten Mittdreißigern. Die „ADAC-Motorwelt“ hat sich aus diesem Wettbewerb verabschiedet. Und so konkurrieren „rtv“ und „Prisma“ um die Anzeigen für die konsumfreudigen Älteren. Die Konzentration der Branche hilft dabei: 2004 übernahm „rtv“ den Konkurrenten „IWZ“ aus Stuttgart, 2009 folgte die „BWZ“ aus Essen. Die Idee der TV-Beilage bringt Hannsheinz Porst in den Wirtschaftswunderjahren aus den USA mit. 1961 erscheint das Heft erstmals, damals noch unter dem Namen „rtw“. Von den Nachahmern ist nur „Prisma“ geblieben. 1977 machen mehrere Verlage im Rheinland gemeinsame Sache und legen ihren Tageszeitungen das Heft bei. Anders als bei „rtv“ sind die Trägertitel bei „Prisma“ Gesellschafter und verdienen mit. Heute verbreitet Christina Esser pro Woche mehr als 7 Millionen Exemplare. Bei Ulrich Buser mit „rtv“ und deren Ablegern sind es 5,7 Millionen. Im Sommer 2018 war das noch anders herum. Seitdem haben Christina Esser und ihr kleines

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“rtv“ und „Prisma“ sind für die Werbewirtschaft wertvoll. Denn Kreuzfahrten buchen eher gut situierte Rentner als gestresste Mittdreißiger Team von 17 Mitarbeitern der Konkurrenz aus Nürnberg mehrere Trägertitel abgejagt und Zeitungen, die bis dahin ohne TV-Beilage waren, für sich gewonnen. Esser will flexibel bleiben: Der Umfang von „Prisma“ wächst und schrumpft je nach Werbegeschäft. Daher setzt sie statt einer eigenen Redaktion auf den Dienstleister Planet C von der Handelsblatt Media Group. Lediglich eine Redaktionsassistentin und Chefredakteur Stefan Braun sind bei „Prisma“ direkt angestellt. Über die verlorene Auflage seines Flaggschiffs „rtv“ spricht Ulrich Buser nicht gern. Den Eindruck, dass er seiner Rolle als Marktführer hinterhertrauert, macht der Geschäftsführer aber auch nicht. Auf dem Konferenztisch haben Buser und sein Team eine kleine Leistungsschau zusammengestellt. Neben der „rtv“ und ihren Ablegern liegt dort die Beilage „Land & Leute“ – im gleichen dünnen Format. Rund 1,5 Millionen Tageszeitungen liegt das Heftchen jeden Monat bei und ist damit das am weitesten verbreitete Landmagazin – noch vor der „Landlust“. Ulrich Buser verantwortet die Arbeit von 130 Mitarbeitern. 50 Redakteure schreiben nicht nur die eigenen Produkte voll, sondern arbeiten auch für bekannte TV-Zeitschriften und erstellen das tägliche Fernsehprogramm für Tageszeitungen, dazu Horoskope und Rätselseiten. „Wir verstehen uns als Dienstleister“, erklärt er. Seit April lässt sich etwa der „Tagesspiegel“ die wöchentliche TV-Beilage auf Zeitungspapier von „rtv“ produzieren. Auch einige Wochenblatt-Verlage hat Buser zuletzt als Abnehmer gewinnen können, daneben „Bild“, die in einigen Regionen mit der „rtv“-Schwester „tvtv“ auftritt. Das TV-Magazin des „stern“ kommt schon seit 2017 von der rtv Group. Dass „rtv“ und „Prisma“ an zwei schrumpfenden Märkten – Print und TV – hängen, ficht weder Ulrich Buser noch Christina Esser an. „Mit der wachsenden Generation 50 plus sind wir gut bedient, denn die sieht fern“, sagt Buser. Er ist überzeugt, dass das Beilagen-Geschäft noch lange läuft. Auch Christina Esser sieht „Prisma“ noch nicht am Ende des Wachstums. Sie erlebt die Verlagswelt als aufgeschlossen und experimentierfreudig – gerade in Zeiten sinkender Auflagen und Werbeerlöse. Dadurch genießt sie „mehr Gestaltungsspielraum“ als in einer Branche, in der alles super läuft.

Christina Esser im TV-Fragebogen turi2.de/edition/christina-esser

Foto: prisma

Markus Trantow

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Sport-Moderatorin

Auf Augenhöhe Fast wäre Birgit Nössing Profi-Skifahrerin geworden. Das hilft ihr heute, sprachlose Sportler zum Sprechen zu bringen

»Man sagt zwar: ist ja nur Sport. Aber für den Athleten ist es alles« Politik. Trotzdem schicken sie ihre Chefs immer wieder zu Sport-Events. Da merkt sie: Vielleicht sind die Persönlichkeiten da doch ein bisschen spannender, die Distanz zum Journalisten ein bisschen kleiner als bei Konzernchefs und Kanzlerkandidaten. Als Sport-Reporterin muss sie mit Adrenalin vollgepumpte Menschen in emotionalen Ausnahmesituationen zum Sprechen bringen. Wenn sie vor Frust über eine Niederlage ganz still werden oder ihnen vor Glück über einen Sieg die Worte fehlen. Als 2011 der Sender Sky Sport News gegründet wird, entscheidet sich Birgit Nössing dafür, beim Sport zu bleiben. Bis 2017 moderiert sie Nachrichten und dreht Dokus. Dann wechselt sie zu Eurosport, wo sie seither live von Olympischen Winterspielen, Tennisturnieren und der Fußball-Bundesliga berichtet. Bei Servus TV moderiert sie noch einen Sport-Talk. Live-Sport ist für Birgit Nössing das ultimative TV-Erlebnis: „Da wird das Leben in der Länge eines Tennismatches, in zwei Minuten Skiabfahrt oder in 90 Minuten Fußball abgebildet.“ Da fiebert sie selbst mit und muss sich manchmal ein bisschen bremsen, damit sie das, was passiert, für die Zuschauer einordnen kann. Oft hat sie diese Funktion auch für die Sportler, die manchmal wie erschlagen von dem sind, was sie gerade geleistet haben: „Wenn ich es schaffe, dass mein Gegenüber in Worte fassen kann, wie er sich fühlt, habe ich meinen Job gut gemacht.“ Es gibt Gänsehautmomente, die sie nie vergessen wird: ein sprachloser Markus Eisenbichler nach seinem WM-Sieg im Skispringen oder der Überraschungserfolg des deutschen Herrendoppels bei den French Open. Solche Momente will sie auch dem TV-Publikum greifbar machen. Ihr Ziel bei jedem Auftritt vor der Kamera? „Dass die Zuschauer es schade finden, wenn die Sendung vorbei ist.“ Die meisten von Birgit Nössings Interviewpartnern und Kollegen sind Männer, Frauen sind im Sport noch immer in der Unterzahl. Klatschzeitschriften schreiben über Nössings Outfit, aber nicht über das des Kollegen Florian König. Und spekulieren über eine Affäre, sobald sie mit Boris Becker moderiert. Darüber kann Nössing lachen und bleibt entspannt: „Wenn du Kompetenz zeigst, bist du sofort auf Augenhöhe.“

Birgit Nössing im TV-Fragebogen turi2.de/edition/noessing

Anne-Nikolin Hagemann

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Foto: Eurosport

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igentlich wollte Birgit Nössing den Sport hinter sich lassen, zu Hause in Südtirol. Aus Bozen über den Brenner in die weite Welt fahren – oder zumindest bis München, Nachrichten machen, Wirtschaft, Politik. Heute ist sie froh, dass der Sport sich doch ins Handgepäck geschmuggelt hat. Als Birgit Nössing ihr erstes Skirennen fährt, ist sie drei oder vier Jahre alt, genau weiß sie es nicht mehr. Beinahe wäre sie Profi-Skiläuferin geworden. „Man sagt zwar: ist ja nur Sport. Aber für den Athleten ist es in Wirklichkeit alles.“ Als sie sich nach einer Verletzung gegen den Sport entscheidet, weiß sie schnell, was ihr neues Alles werden soll: Journalismus. Sie zieht zum Studium nach München, träumt von einer Karriere als Nachrichtensprecherin. Bei N24 landet sie vor der Kamera, erst als Volontärin, später als Redakteurin. Sie berichtet 2008 von der US-Präsidentschaftswahl, sieht sich selbst eher in Wirtschaft und


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Video-Verifizierung

Digitale Detektive Dank des Internets bekommen wir Dinge zu sehen, die wir nie für möglich gehalten hätten. Menschen wie Andreas Greuel prüfen, was davon wahr ist – und was nicht

»Wenn andere Medien Fehler machen, haben wir nichts davon, das schadet dem ganzen Berufsstand« Die digitalen Detektive sammeln zuerst on- und offline Infos, zum gezeigten Ereignis und der Bildquelle: „Plötzlich haben Sie ein Video, das einen Flugzeugabsturz in Europa zeigen soll, obwohl der angebliche Urheber laut seines Online-Profils Afrika seit Monaten nicht verlassen hat.“ Dann wird geprüft, ob Wetter und Licht zum Ereigniszeitpunkt passen und der Hintergrund zum Ort. Wird ein Video als gefälscht entlarvt, entscheiden die Redaktionen, ob sie es gar nicht zeigen – oder die Fälschung thematisieren. Eigentlich machen Video-Verifizierer nichts anderes als andere Journalisten, sagt Greuel: Informationen prüfen und einordnen. „Da kann man streiten, ob das nicht schon viel früher hätte passieren müssen.“ Inzwischen arbeiten in vielen Redaktionen Spezialisten für den Bewegtbild-Check. Dabei unterstützen sich die Kollegen über Redaktionsgrenzen hinweg. „Es geht bei unseren Aufgaben in der Regel nicht um Scoops, sondern um aktuelle Recherchen, die uns alle gleichermaßen betreffen“, sagt Andreas Greuel. Das gemeinsame Ziel: Fehlinformationen unterbinden. „Wenn andere Medienmarken Fehler machen, haben wir nichts davon, es schadet im Zweifel dem ganzen Berufsstand.“ Es ist auch Greuels Job, nach den Motiven hinter den Fälschungen zu fragen: „Mit Fehlinformationen lässt sich Politik machen, Propaganda betreiben, Geld verdienen. Es gibt auch erschreckend viele Menschen, die einfach nur Aufmerksamkeit wollen.“ Daran hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum etwas geändert, glaubt er. Auf digitalen Wegen verbreiten sich die Fakes nur schneller. Heute kann man mit schlauer Software Staatsoberhäuptern und Konzernchefs Worte in den Mund legen, die sie nie gesagt haben. Gleichzeitig entstehen neue technische Möglichkeiten, die Fälscher zu entlarven. Jäger und Gejagte liefern sich ein nie endendes Rennen. Das Wichtigste bleibt für Greuel: das Handwerk. „Tools oder Programme können von heute auf morgen unwirksam werden. Dann bedarf es journalistischer Denke, neue Wege und Lösungen zu finden. Und eine Verifizierung vom Schreibtisch aus ersetzt die Vor-OrtRecherche auch nicht.“ Anne-Nikolin Hagemann

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Foto: Anna Thoma, RTL

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in Flugzeug landet auf dem Hudson River in New York City, alle Passagiere überleben. Ein Wunder, unglaublich – hätte die Welt nicht nach wenigen Minuten Bilder davon gesehen. Das ist zehn Jahre her. Und das erste Beispiel, das Andreas Greuel einfällt, wenn er erklärt, warum es Jobs wie seinen gibt. „Journalisten können nicht überall auf der Welt sein, dafür hat so gut wie jeder ein Smartphone mit Kamera in der Tasche.“ Der User Generated Content ist heute schier unendlich – von Breaking News wie beim Wunder vom Hudson bis zu Katzenvideos. Aber: Niemand weiß sofort, was echt ist und was manipuliert. Andreas Greuel leitet bei RTL das Team Verifizierung, eine Art Task Force, die Bilder und Videos aus dem Netz auf Echtheit prüft, bevor sie auf Sendung gehen. Der Anlass für die Gründung war ein tragischer: Im Sommer 2016 schießt ein Amokläufer in einem Einkaufszentrum in München um sich. Zwei Drittel der Bilder, die davon im Netz kursieren, haben nichts mit dem Amoklauf zu tun. „Um diese Erkenntnis zu gewinnen, mussten wir alle Möglichkeiten digitaler Recherche nutzen“, erinnert sich Greuel. „Dabei haben wir gemerkt: Einige Leute bei uns sind da extrem fit – gleichzeitig gab es aber an einigen Stellen Nachholbedarf.“ Der Plan: Die Expertise ausbauen, sie aber auch in die Redaktionen bringen. In den vergangenen drei Jahren haben Greuel und Kollegen 200 Mitarbeiter geschult. Gleichzeitig steht rund um die Uhr ein Team von 75 Fact-Checkern bereit, wenn in den Redaktionen die Kapazität zum Prüfen von Videos fehlt. Darunter sind RTL-Kollegen aus Luxemburg, Frankreich und den Niederlanden sowie Redakteure des „stern“.


Einer, der MICHAEL MITTERMEIER Exklusiv fotografiert für HÖRZU

zu Hause hat HÖRZU ist eine Marke der FUNKE MEDIENGRUPPE


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Wahre Werbung Ehrlich währt am längsten. Das gilt auch für Werbung, findet Till Uhrig. Am Video-Chef des Content-Marketing-Riesen Territory ist ein Dokumentarfilmer verloren gegangen

»In der Wahrhaftigkeit, dem was sich echt und richtig anfühlt, liegt der größte Reiz.« zusätzlichen Hebel Marke Eigenbau ersetzt. Uhrigs Anspruch ist es, authentisches Storytelling mit hochwertigen filmischen Bildern zu verbinden. „Wenn Kunden authentische Geschichten wollen, müssen sie bereit sein, ein wenig Kontrolle abzugeben“, sagt Uhrig. Viele Auftraggeber gehen diesen Weg inzwischen mit. Im Alltag sieht das so aus: Die Redakteure vereinbaren mit dem Kunden eine Storyline sowie die wichtigsten Schlüsselbilder – und arbeiten ab dann möglichst journalistisch. Das ist nicht nur billiger als komplett gescriptete Filme. „Daraus ergeben sich unerwartete Wendungen, die das beste Skript im Voraus nicht abbilden kann“, sagt Uhrig aus Erfahrung. Mindestens einmal im Jahr geht der 38-Jährige selbst noch als Regisseur raus auf Produktion. Als Kind wäre er gerne Tierfilmer geworden und ist begeistert vom „Geo“-Magazin, das im Bücherregal seines Großvaters drei Regalfächer füllt. Dass der studierte Journalist und Kulturwissenschaftler am Ende in der Werbung gelandet ist, hat er der Medienkrise 2008 zu verdanken. Gerade als er eine Anstellung bei Geo Digital bekommen soll, verkündet Gruner + Jahr einen Einstellungsstopp. Heute fühlt er sich hier genau richtig – an dem Ort, wo Marken zu Medien werden. Wo der Weg weg von millionenschweren Kampagnen rund um 30-sekündige, klassische TV-Spots führt. Hin zu echten Geschichten und einem authentischen, kontinuierlichen Dialog zwischen Marke und Kunden. „Bei all dem Zauber, den Hollywood macht, fand ich schon immer, dass in der Wahrhaftigkeit, dem was sich echt und richtig anfühlt, der größte Reiz liegt“, sagt Till Uhrig und wünscht sich noch mehr Marken, die diesen Weg mitgehen.

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Markus Trantow

Foto: Territory

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enn „Oma Ehrlich“ am Herd steht, ist nicht nur ihr Kochlöffel, sondern auch ihr loses Ruhrpott-Mundwerk im DauerEinsatz. Die Senior-Influencerin ist sich für keinen Witz zu schade – egal wie flach. „Die Fußballer machen Pressing, die Omma macht Dressing“, unterlegt die Basis für einen Wurstsalat. Ihr GulaschRezept rundet sie ab mit „Haste Gulasch auf‘e Gabel, hält sogar Omma mal den Schnabel“. Das Besondere an „Oma Ehrlich“: Sie schnippelt, rührt und witzelt im Auftrag des Einzelhandelskonzerns Aldi Nord. Sie soll junge Leute für Hausmannskost begeistern – mit günstigen Aldi-Zutaten. Omas Küche steht in der hippen Hamburger Hafencity. Ein bisschen verloren in einer Ecke eines 350 Quadratmeter großen Raumes neben weiteren Sets: Ein Jugendzimmer, eine Art Esszimmer mit rustikalem Holztisch und ein Konferenztisch mit großem Flachbildschirm an der Stirnseite. Till Uhrig führt nicht ohne Stolz durch seine Studios, auch wenn die Räume an diesem Nachmittag im Hochsommer verwaist sind. Er ist Videochef von Territory, der Content-Marketing-Tochter von Gruner + Jahr, und hat hier alles mit aufgebaut. Als Creative Director verantwortet er alle Inhalte, die im Kundenauftrag entstehen. Neben „Oma Ehrlich“ für Aldi sind das u.a. das Video-Magazin „9:11“ für Porsche, zahlreiche VideoReportagen für die Lufthansa-Magazine, das MacherBlog der Baumarkt-Kette Hornbach und neuerdings auch Corporate Podcasts. Der erfolgreichste ist der Reisepodcast #LifeChangingPlaces im Auftrag der Lufthansa. 14 feste Mitarbeiter zählt Uhrigs Video-Einheit, knapp die Hälfte von ihnen arbeitet redaktionell im Auftrag von Marken. „Als Video-Redakteure arbeiten wir mit journalistischen Methoden und suchen nach echten Geschichten“, sagt Uhrig. Er legt großen Wert auf authentische Protagonisten, Drehorte und Storys. Das Territory-Motto „Echt wirkt“ setzt er beispielsweise für Porsche um – mit einem Porträt über einen Fahrer, der keine Beine hat und die Pedale im Auto durch einen


Till Uhrig mit einem ErklärVideo für bessere ErklärVideos. Plus TV-Fragebogen turi2.de/edition/uhrig

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T5 TikTok

Playback-Show im Hochformat Bei TikTok können Nutzer mit kurzen Musikvideos Geld verdienen. Und die App scheffelt kräftig mit

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Bis zu 1.000 Dollar können TikTok-Stars pro Tag verdienen Wie viel Geld Bytedance in der Rolle als digitale Wechselstube behält, ist unbekannt. Sensor Tower schätzt die Einnahmen durch den Verkauf von Coins auf 75 Millionen Dollar pro Jahr. Bei TikTok-Stars mit mehreren Millionen Followern dürfte der ein oder andere Groschen hängen bleiben. Eine der erfolgreichsten Persönlichkeiten mit mehr als 33 Millionen Followern ist die US-Sängerin Loren Gray. Auch im älteren Social Web, bei Instagram und YouTube, kommt der 17-jährige Britney-Spears-Verschnitt auf eine stattliche Zahl an Followern. Die deutschen TikTok-Zwillinge Lisa und Lena haben bis zum Frühjahr 2019 in derselben Liga gespielt. Knapp 33 Millionen Follower zählte der Account der 16-jährigen Stuttgarterinnen. Berühmt geworden sind sie mit Karaoke-TanzVideos. Jetzt wollen sich die beiden – außerhalb von TikTok – an längeren Videos versuchen und an ihren Schauspielkarrieren arbeiten.

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Maria Gramsch

Foto: TikTok/Screenshot

oko Winterscheidt sitzt in einem ICE der Deutschen Bahn, trägt Drei-Tage-Bart, Brille und große, schwarze Kopfhörer. Voller Inbrunst sieht man ihn in die Selfie-Kamera seines Smartphones singen – zu hören ist allerdings die Stimme von Britney Spears, die „Baby One More Time“ trällert. Der 15-sekündige Clip ist eines von insgesamt drei Videos auf Jokos Profil. Der Entertainer zählt auf TikTok 26.800 Follower, sein Britney-Video kommt auf 22.500 Likes. Joko hebt mit seinen 40 Jahren das Durchschnittsalter der Community deutlich an – die chinesische Kurz-Video-App vom Tech-Startup Bytedance nennt Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 25 Jahren als eigentliche Zielgruppe. Zhang Yiming gründet TikTok im Jahr 2016, Ende 2017 übernimmt der Mutterkonzern Bytedance die Playback-App Musical.ly. Beide Apps verschmelzen im Sommer 2018 zu einer Plattform. Die Marke Musical.ly und ihr schlechtes Image sollen mit der Fusion schwinden. Die App stand immer wieder wegen Verstößen gegen den Jugendschutz und Cybermobbing in der Kritik. Anfang 2019 verhängt der US-Verbraucherschutz gegen Bytedance eine Strafe in Höhe von 5,7 Millionen Dollar und ein Verbot, Daten von Kindern zu sammeln, die jünger als 13 Jahre alt sind. Doch gerade bei den Jüngsten ist die App besonders beliebt. Offizielle Nutzerzahlen nennt das Unternehmen nicht. Die App-Analysten von Sensor Tower gehen allerdings schon Anfang 2019 von mehr als einer Milliarde Downloads aus – die Android-Nutzer in China sind da noch nicht mitgezählt. Im Juli 2019 überholt TikTok sogar Instagram im weltweiten Ranking der SocialMedia-Apps. Die maximal 15 Sekunden langen Videos auf TikTok sind längst mehr als reine Playback-Darbietungen. Sie erinnern stark an das oft kopierte Stories-Format auf Snapchat, Instagram und Facebook – mit dem Unterschied, dass die Videos nicht nach 24 Stunden wieder verschwinden. Geld verdienen können die Playback-Barden bei TikTok auch. Dazu hat Bytedance ein undurchsichtiges Crowdfunding eingerichtet: Fans kaufen für echtes Geld virtuelle Coins – 100 Stück kosten 99 US-Cent – und tauschen sie gegen virtuelle Geschenke für ihre TikTokStars. Bis zu 1.000 Dollar pro Tag können sich die Video-Produzenten etwa via PayPal auszahlen lassen, vorausgesetzt, es sind genug Geschenke eingegangen.


WEIL WIR DIE WELT LIEBEN Die Zukunft der Logistik muss nachhaltig sein. Unser Ziel lautet: null Emissionen bis 2050. Diesen Weg gehen wir gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern.

Diese Kampagne entstand in Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar.

dhl.com/gogreen


K7 Tele-Seller

Good Vibes zur Geisterstunde Sascha Heyna verkauft Bratpfannen im TV, singt Schlager und betreibt einen Pflegedienst. Sein Publikum ist weder jung noch stylish

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rimetime ist bei QVC nicht 20:15 Uhr, sondern Mitternacht. Zur Geisterstunde präsentiert der Sender ein neues Tagesangebot. Oft ist dann Sascha Heyna auf Sendung, Jahrgang 1975, graues Haar, Schwiegermutter-Liebling-Lächeln. Er präsentiert: Bratpfannen und Bettwäsche, Klamotten und Kosmetik, Weine und Waschmaschinen. Oft ist er vor Begeisterung kaum zu bremsen – sagt aber auch, wenn er mit Produkten nichts anfangen kann. Stammzuschauer wissen, dass er nicht kochen kann. Eine Sendung mit Küchenprodukten moderiert er trotzdem. Teleshopping ist für Heyna „Feel-Good-Fernsehen“, bei dem nichts Aufregendes passiert. Berieselung mit der Möglichkeit, einzukaufen. Er selbst sieht sich nicht als Marktschreier, sondern als Unterhalter: „Wenn ich die Leute nicht unterhalte, gucken sie nicht zu, sehen nicht, was ich anbiete, und kaufen nichts.“ Was woanders die Einschaltquote ist, sind im Teleshopping Bestell- und Umsatzzahlen. „Bei 20.000 Bestellungen haben mindestens 20.000 Leute die Sendung gesehen“, sagt Heyna. 2018 verschickt QVC Deutschland 16 Millionen Pakete, setzt 943 Millionen Dollar um. Satte 96 Prozent des Umsatzes kommen von Stammkunden. Heyna kennt sein Publikum: weiblich, konservativ, über 40. „Wir sind nicht die ‚Vogue‘, wir sind das ‚Gol-

»Wir sind nicht die ›Vogue‹, wir sind das ›Goldene Blatt‹« dene Blatt‘“, sagt Heyna. „Wären wir jung und stylisch, wäre ich längst raus aus dem Geschäft. Ich bin genauso konservativ wie unsere Zuschauer.“ Sascha Heyna ist gelernter Journalist. Er hat zwei Volontariate absolviert, eins beim Radio, eins beim TV, hat aus Paris für deutsche Medien berichtet, in der Redaktion der Talkshow von Andreas Türck gearbeitet. Mitte der 1990er Jahre sieht Heyna eine der ersten deutschen QVC-Sendungen und kommt aus dem Lachen nicht mehr raus. Ein Freund prophezeit: „Wenn du so weiter machst, wirst du dort auch mal landen.“ 2001 soll er recht bekommen: Heyna bewirbt sich bei QVC und präsentiert beim Casting die Perlenkette seiner Oma so überzeugend, dass er genommen wird. Ein halbes Jahr will er den Job machen, Live-Erfahrung sammeln. Dann die Medienkrise, Entlassungen überall. Aber Teleshopping funktioniert weiter, Heyna hat eine Festanstellung. „Das Einzige, was ich relativ gut kann, ist viel reden. Und ich habe Leute gefunden, die mir fürs Reden auch noch Geld geben.“ Er bleibt und kommt auf bis zu 700 Stunden Live-Moderation im Jahr, mehr als Günther Jauch, Johannes B. Kerner und Barbara Schöneberger zusammen. Heute sendet er seltener. Denn er hat ein zweites Standbein: den Schlager. Heyna wächst auf mit der Musik von Wolfgang Petry, Jürgen Drews, Bernhard Brink: „Mit meiner Oma ‚Musikantenstadl‘ anzuschauen, war immer ein Highlight.“ Schauspielerin Isabel Varell überzeugt ihn irgendwann in Champagnerlaune, eine CD aufzunehmen. Obwohl er eigentlich nicht singen kann. Teleshopping- und Schlager-Fans überschneiden sich. Also verkauft Heyna seine erste CD über QVC, 10.000 Stück an einem Tag. Sieben Alben hat er inzwischen aufgenommen, seit 2016 bespielt er die KleinstadtHallen der Republik. „Von mir erwartet der Zuschauer keine hohe Musikkunst, sondern Unterhaltung.“ Man merkt ihm den Spaß an, den er daran hat, seinen vor allem älteren Fans eine Freude zu bereiten. Mit Heynas Empathie für alte Menschen schließt sich der Kreis. In Köln betreibt er einen ambulanten Pflegedienst. Mit 70 Mitarbeitern, Tendenz steigend, ist die „Veedelspflege“ einer der größten Anbieter der Region. Und Heynas Plan C, sollten Teleshopping und Schlager einmal nicht mehr funktionieren.

Sascha Heyna im TV-Fragebogen turi2.de/edition/heyna

Björn Czieslik

162 · turi2 edition #9 · TV


K8 Show-Produzentin

Leicht entflammbar

Ute Biernat sieht Parallelen zwischen Unterhaltung und Porno. Und hasst den Begriff Trash-TV

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anchmal setzt sich Ute Biernat in ein Café und sieht den Leuten beim Gehen zu. „Die Sprache, die Gestik, die Mimik – das alles kontrolliert man. Aber auf den Gang achtet niemand. Daran können Sie so viel ablesen.“ Ute Biernat, Chefin der Ufa Show & Factual, mag Menschen. Deswegen hat sie sich entschieden, sie zu unterhalten. Biernat wächst in Nordrhein-Westfalen auf, weit weg von Glamour und Showbiz, mit nur drei TV-Sendern. Sie will Schauspielerin werden, ihr Vater würde sie lieber als Juristin sehen. Das Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft ist ein Kompromiss. Schauspielunterricht nimmt sie nebenbei, merkt aber bald: „Ich kann vieles. Aber nichts auf Kommando.“ Sie entdeckt ihre Begeisterung für Kameras und Storytelling, lernt, was Achssprung und Parallelmontage sind. Nach dem Abschluss arbeitet sie als Dokumentarfilm-Regisseurin. „Ich habe keine gerade Linie im Lebenslauf, das ist eher so ein bisschen Zick-Zack.“ Über den nächsten Schritt entscheidet sie nicht nach Gehalt oder Jobtitel – sondern danach, wofür ihr Herz brennt. Und ihr Herz zieht sie Anfang der 90er Jahre in die USA, das Mutterland des Entertainments. Mithilfe des Goethe-Instituts findet Biernat Telefonnummern von Fernsehsendern heraus und verschickt Faxe. Nicht nur in die USA, auch nach Australien und Neuseeland. Acht Monate später kommen die Zusagen aus dem Faxgerät, aus allen drei Ländern. Ute Biernat ist dann mal weg, zwei Jahre lang. Sieht zu, lernt, läuft mit, obwohl sie schon Fernseherfahrung hat. „Es hat dort niemand auf mich gewartet“, sagt sie heute. „Das war in jeder Hinsicht sehr heilsam.“ Als sie 1994 nach Deutschland zurückkehrt, mit Doku-Erfahrung und Unterhaltungs-Expertise, passt sie nirgendwo so richtig rein. „In den 90ern musste man sich zwischen Unterhaltung und Doku entscheiden, um mitmachen zu dürfen“, erinnert sie sich. Also entscheidet sich Ute Biernat für Unterhaltung. Und damit für etwas, das hierzulande gerne mit spitzen Fingern angefasst wird: „Gehen Sie mal auf die Straße und fragen

die Leute, welche Unterhaltungsformate sie gucken. Da können Sie auch gleich nach dem Pornokonsum fragen.“ Als die australische Produktionsfirma Grundy 1996 nach Deutschland kommt, wird Biernat dort Produzentin. 2000 steigt sie zur Geschäftsführerin der Nachfolgefirma Ufa Show auf. Ihr US-Chef glaubt an sie, investiert in Zusatzausbildungen, um sie für den Posten fit zu machen. „Ich glaube, es ist für Kreative leichter zu lernen, wie man Bilanzen liest, als für einen BWLer, Formate zu entwickeln“, sagt Biernat. Seit 2010 leitet sie bei der Ufa auch das Factual Entertainment mit Sendungen wie „Bauer sucht Frau“. Wenn es um neue TV-Ideen geht, sieht Biernat sich als „schnell entflammbar“. So kommt ihr 2009 bei einem Klinikaufenthalt die Idee zu einer KrankenhausDoku über die kleinen und großen Dramen zwischen Notaufnahme und Schwesternzimmer. Damals will das niemand senden, heute laufen unzählige ähnliche Sendungen. Sowas ärgert Ute Biernat. Erfolgreicher ist der Dauerbrenner „Deutschland sucht den Superstar“, der sich seit 17 Jahren hält. Zwei neuere Formate, auf die Biernat stolz ist, sind die RTL2Doku aus dem Plattenbau „Hartz und Herzlich“ und das ARD-Quiz „Wer weiß denn sowas?“ – drei Titel, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. „Ich glaube, dass die Unterhaltung ein großartiges Mittel ist, viele Inhalte – auch schwere – leicht zu transportieren“, sagt Biernat. Sie kann sich ein Naturschutz-Format vorstellen. Oder eine Beerdigungs-Show à la „Design your own funeral“ – seriös, aber leicht verpackt. Diese Idee will aber noch niemand kaufen. Eines wird es mit Ute Biernat bei Ufa Show & Factual jedoch nie geben: Scripted Reality. „Die Leute, die wir zeigen, schreiben wir uns nicht“, sagt sie. Ein anderer Begriff, der sie im Zusammenhang mit ihren Formaten ärgert: Trash-TV. „Dahinter stecken Arbeit und ein Handwerk. Das Leichte ist schwerer als es aussieht.“

163 · turi2 edition #9 · TV

Anne-Nikolin Hagemann


K9 TV-Produzent

Auf Achse Vom Tellerwäscher zum Millionär auf Norddeutsch: Markus Osthaus hat sich bei der Produktionsfirma TVN vom Kabelträger zum Chef hochgearbeitet

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Markus Osthaus im TV-Fragebogen turi2.de/edition/osthaus

sind eigene Inhalte – redaktionelle Beiträge und Filme für Firmen, erklärt Osthaus. Den Wandel vom Technikdienstleister zum InhalteHaus erlebt und gestaltet der heute 48-Jährige von Anfang an mit: Nach dem Studium 1998 steigt er als Trainee in die Geschäftsführung ein und klettert auf der Karriereleiter immer weiter nach oben. TVN wandelt sich in dieser Zeit vom 70-Leute-Laden mit zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr zum 300-Mitarbeiter-Haus mit einem Erlös von 37 Millionen Euro. Mit Osthaus an der Spitze produziert TVN Dokumentationen für NDR, RTL und ZDF, überträgt Fußball und Wintersport, sendet Live-Streams von Musikfestivals und dreht im Auftrag von Unternehmen – von der Europäischen Zentralbank bis zum DLRG. „Die technischen Möglichkeiten sind immens. Heute ist die Herausforderung dabei, mehr richtige als falsche Entscheidungen zu treffen“, sagt Osthaus. Gerade nimmt TVN einen nagelneuen Übertragungswagen in Betrieb – bis unters Dach voll mit modernster Technik. Bis Osthaus wieder die Arbeitshandschuhe anziehen und das neue Gefährt selbst in den Einsatz lenken wird, ist es nur eine Frage der Zeit.

164 · turi2 edition #9 · TV

Markus Trantow

Foto: Alexander Körner, Madsack

arkus Osthaus sieht aus wie einer, der in der Chefetage zu Hause ist: hellblaues Business-Hemd, beige Hose, fester Händedruck. Beim Gang durch die Flure der Firmenzentrale grüßt ihn jeder. Keine Frage: Er ist hier der Boss. Seit 2013 leitet Osthaus die Produktionsfirma TVN in Hannover als einer von zwei Geschäftsführern. Doch mit der Firma ist er schon sein halbes Leben lang eng verbunden. Mitte der 1990er Jahre lässt Osthaus seinen Nebenjob in einer Fahrradwerkstatt sausen und heuert bei TVN als Kabelhilfe an. Ein Job, der vor allem aus Warten besteht – „es gab immer Catering“ – und dem Wirtschaftsstudenten Zeit lässt, nebenbei für die Uni zu büffeln. Business-Hemden trägt er damals eher selten, dafür fällt er mit seinen langen, dunkelblonden Dreadlocks auf. Die TV-Maschinerie läuft zu dieser Zeit noch auf Hochtouren und Osthaus ist ein kleines Rädchen im großen System. Einmal pro Woche tourt er für die NDR-Sendung „Hallo Niedersachsen“ mit dem Ü-Wagen durchs Land und qualifiziert sich eher zufällig als Fahrer. Als sich der eigentliche Fahrer beim Technik-Abbau verletzt, bietet er an, den LKW mit der teuren Übertragungstechnik zurück nach Hannover zu steuern – den passenden Führerschein hat er im Zivildienst gemacht. Seitdem lenkt Osthaus immer wieder Sattelschlepper mit TV-Technik durch Europa – auch heute noch. Zuletzt sitzt er 2018 auf dem Bock: In Kiew hat TVN im Auftrag der Uefa das Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool in Szene gesetzt. Der Firmenchef steuert den Technik-LKW höchst selbst durch die Ukraine über Polen heim nach Hannover – inklusive eines geplatzten Reifens und einer nächtlichen Umladeaktion an der polnischen Grenze, weil die Technik tags drauf anderswo gebraucht wird. „Du wolltest Abenteuer, hier hast du Abenteuer“, kommentiert der Trucker-Kollege, mit dem Osthaus sich das Führerhaus teilt, die Tour. „Bei so einer aufwendigen Produktion ist es elementar, mittendrin zu sein“, sagt Osthaus. Er wolle wissen, was die Mitarbeiter auf Dreh beschäftigt, ein Feeling für die Truppe bekommen. „Und das klappt einfach am besten, wenn ich vor Ort bin und auch mal mit anpacke.“ Technische Dienstleistungen wie die für die Uefa sind das stärkste Standbein von TVN. 1984 gründet der Zeitungskonzern Madsack die Tochtergesellschaft, um einen Fuß in die Welt des Privatfernsehens zu bekommen. Noch heute entstehen viele Regionalprogramme von RTL und Sat.1 mit TVN-Technik. Zweites Standbein


K10

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uf dem Mainzer Lerchenberg thront das ZDF. ZDFneo liegt leicht abseits, den Hügel ein Stück runter, in einem Nebengebäude. Tür an Tür mit der ZDF-Pensionskasse. Doch an Pension denkt Nadine Bilke sicher nicht, wenn sie morgens zur Arbeit geht. Seit August 2018 leitet sie den Sender, der fürs ZDF die Zukunft erproben soll. Die 43-Jährige weiß: Nicht ganz so dicht am Hauptsender zu sitzen, kann auch Vorteile haben. Die Stimmung im 40-köpfigen Neo-Team ist fast familiär. „Ich kenne jeden Einzelnen und nehme mir auch immer wieder die Zeit für das persönliche Gespräch.“ Das war gerade im ersten Jahr gut, um die Abläufe beim linearen Fernsehen kennenzulernen. In der Hauptredaktion Neue Medien hat die promovierte Journalistin die ZDF-Mediathek mit aufgebaut. Vielleicht war genau das die Eintrittskarte für den Job als Neo-Chefin: „Durch meine bisherige Tätigkeit bin ich im Hause bestens vernetzt. Hinzu kommt, dass die Zielgruppen von Mediathek und ZDFneo sehr ähnlich sind.“ Der Sender steht für freche Formate wie Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“. Für die Zielgruppe der 25- bis 49-Jährigen hat Nadine Bilke den Comedian Shahak Shapira und Moderatorin Laura Karasek entdeckt. Bilke, die selbst am liebsten Serien sieht, möchte mehr Drama-Reihen und Sitcoms in Deutschland produzieren lassen. Mit dem Label „Neoriginal“ hat sie dafür gesorgt, dass die Eigenproduktionen in der ZDF-Mediathek gut zu finden sind. „Wir müssen die lineare und nonlineare Planung besser miteinander verzahnen und setzen deshalb neue Workflows auf“, sagt Bilke. Sie hat sich während des Studiums und als Dozentin mit Konfliktforschung beschäftigt. Das hilft ihr jetzt. „Für das Arbeiten im Team ist Kenntnis von Kommunikations-Typologien in Konfliktsituationen sehr nützlich“, sagt sie schmunzelnd. Die Ruhrgebietlerin, geboren in Gelsenkirchen, liebt ihren Job. Ihren Jugendtraum, als Korrespondentin für eine große Tageszeitung ins Ausland zu gehen, hat sie trotz eines Zeitungsvolontariats bald aufgegeben und stattdessen beim Fernsehen angeheuert. „Das ZDF war das attraktivere Angebot.“ Sie mag es, strategisch zu denken, den Blick aufs große Ganze zu werfen, Dinge miteinander zu verknüpfen. Bilke weiß die Herzlichkeit der Mainzer und die kurzen Wege in der Region zu schätzen. Sie wohnt mit Mann und zwei Kindern naturnah, ringsum Weinberge und Obstplantagen. Wie hält sie es mit Kindererziehung und Fernsehen? „Ich orientiere mich an meiner eigenen Erziehung. Meine Eltern haben meiner Schwester und mir früh Eigenverantwortung beigebracht. Wir durften nicht mehr als eine Sendung am Tag sehen und mussten selbst entscheiden, welche.“ Und wenn es doch mal Diskussionen gibt, sagt ihr Mann: „Die Mama wird ja auch bezahlt fürs Fernsehen.“

Senderchefin

Alles neo, oder was?

Foto: Gaby Gerster

Nadine Bilke ist die Neue bei ZDFneo. Sie kommt aus dem Digitalen und macht nun lineares Fernsehen – kann das gut gehen?

Heike Reuther Nadine Bilke im Videointerview und TV-Fragebogen turi2.de/edition/bilke

165 · turi2 edition #9 · TV


T6 Kinderfernsehen

Treue Seelen Auf linear-loyale Zuschauer kann sich kein Fernsehmacher mehr verlassen. Außer im Kinderprogramm. Die Jüngsten schauen erstaunlich konservativ

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as dem erwachsenen TV-Zuschauer der „Tatort“ am Sonntagabend, ist dem kindlichen „Peppa Pig“, „Das Green Team“ und „Spongebob“ am Sonntagmorgen. Wenn müde Eltern nicht aus dem Bett kommen, bespaßt der Fernseher den Nachwuchs als verlässlicher Freund – rund 65 Minuten täglich. Das ist zwar weniger als früher. Trotzdem verlagern Kinder ihren Bewegtbildkonsum wesentlich langsamer ins Netz als alle anderen Zielgruppen. 88 Prozent der 4- bis 13-Jährigen schauen linear, sagt die aktuelle Kindermedien-Studie. Vier Sender konkurrieren um die Köpfe der Kinder: Das private Super RTL setzt auf Spaß und genießt seit vier Jahren die Marktführerschaft beim Nachwuchs. Verfolgt vom öffentlich-rechtlichen KiKa, der mit lehrreichen Sendungen punkten will. Weil er im Wettbewerb um Werbekunden außer Konkurrenz spielt, senden beide in friedlicher Koexistenz. Aus der zweiten Reihe kämpft sich der Disney Channel in den Markt. Als der Micky-Maus-Sender 2014 vom Pay- ins Free-TV wech-

Eltern lassen ihre Kinder lieber fernsehen als im Internet surfen selt, hat er es schwer. Inzwischen konzentrieren sich die Macher mit Animationsserien auf die 6- bis 9-Jährigen und lotsen ältere Jungzuschauer ins Digitale. Mit wachsendem Erfolg: Im Juni 2019 erringt der Underdog bei den 3- bis 13-Jährigen erstmals einen Tagessieg. Vierter und kleinster Sender ist Nick von Viacom. Ein Blick ins Programm der Kindersender beschert den meisten Erwachsenen Nostalgie-Momente: „Tom & Jerry“, „Inspector Gadget“ und „Asterix & Obelix“ bei Super RTL. „Logo“, „Sendung mit der Maus“ und „Shaun das Schaf“ beim KiKa. „Micky Maus“ und „Muppets“ im Disney Channel. „Spongebob“ und „Sissi“ bei Nick. Zielgruppe sind auch die Eltern: Sie achten hierzulande aufmerksamer als anderswo auf das, was ihre Kinder sehen. Fernsehhelden, die sie aus ihrer eigenen Kindheit kennen, vermitteln ein heimeliges Gefühl von heiler Welt, die man dem Nachwuchs ohne Bauchschmerzen zumuten kann.

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Auch Protagonisten aus Büchern funktionieren gut – und alles mit Bildung. Der KiKa mit Marken wie „Logo“ – die Nachrichtensendung ist einzigartig im Markt – und „Löwenzahn“ ist besonders beliebt, auch weil hier keine Werbung läuft. Super RTL zieht mit eigenen Wissenssendungen nach, die der Sender geschickt ins Netz verlängert und um Merchandising-Linien ergänzt. Der Disney Channel hat verstanden, dass es auf dem deutschen Markt neben Lizenzware aus Übersee lokale Eigenproduktionen braucht. Auch KiKa und Super RTL setzen auf Eigenes – aus inhaltlichen und wirtschaftlichen Gründen: Deutsches Kinderfernsehen besteht auf Happy Ends. Ungelöste Konflikte und Cliffhanger vorm Einschlafen passen nicht. Auch zu krawallig oder brutal darf es nicht sein. Die eigenen Stoffe lassen sich außerdem in Nebengeschäften verwerten. Vor allem auf Papier: Blue Ocean von Burda und Egmont Ehapa bringen zu allen wichtigen TV-Helden


Bild: Picture Alliance

Zeitschriften ins Kinderzimmer – vom „Sandmännchen“ über „Bibi & Tina“ bis zu den Figuren aus Entenhausen. Dazu kommen komplette Produktlinien und Events wie die „Toggo Tour“ von Super RTL. Kein Kinderheld, der nicht außerhalb des Fernsehprogramms im Alltag der Kleinsten auftaucht. Für zwei Szenarien sorgen die Sender vor allem digital vor: Die Zeit, wenn das Grün hinter den Ohren der Zielgruppe weicht und aus Kindern Jugendliche werden. Und für die nonlineare Zukunft, die trotz aller TV-Treue den Programmmachern unvermeidlich scheint. Auch wenn es damit wohl noch etwas dauert: Die heutige Elterngeneration, selbst mit Kinderfernsehen aufgewachsen, hat keine Angst mehr vor viereckigen Augen und schmäht das Fernsehen nicht als Verblödungsmaschine. Das Internet scheint vielen riskanter als der Fernseher. Den kann man, wie Peter Lustig es bei „Löwenzahn“ 24 Jahre lang zum Schluss jeder Sendung predigte, nämlich: abschalten. Anne Fischer

Super RTL Marktanteil: 22 Prozent, besonders bei Jungen beliebt Der Sender versteht sich als Content Hub: Lineares Fernsehen ist ein Ausspielweg von vielen. Im Netz bieten die Kölner unter anderem ein Social Network für Kinder, mehrere Apps zu beliebten Sendungen und das Videoportal Kividoo. Super RTL investiert stark in Eigenproduktionen und das Digitalgeschäft

KiKa Marktanteil: 17,7 Prozent, besonders bei Mädchen beliebt Der Sender mit Sitz in Erfurt hat laut eigenen Angaben vor allem Selektiv-Zuschauer, die aber die Online-Angebote stark nutzen. Er bietet Nachrichten, Unterhaltungs- und Wissenssendungen, ist werbefrei und setzt auf ein medienpädagogisches Begleitprogramm für Eltern. KiKa bietet online eine Mediathek und Apps für verschiedene Altersgruppen

Disney Channel Marktanteil: 11,2 Prozent, Spezialist für Zeichentrickfilme Der deutsche Ableger des US-Konzens konzentriert sich auf die 6bis 9-Jährigen und zeigt viele Animations-Serien. Der Sender mit Sitz in München stellte sich schon zum Sendestart crossmedial auf und bietet eine Mediathek, Apps und YouTube-Kanäle

Nick Marktanteil: 7,4 Prozent, Serienspezialist im Teilzeitdienst Nick, früher Nickelodeon, gehört zum US-Medienkonzern Viacom und zeigt hauptsächlich Kinderserien. Der Sender startete in Deutschland 1995 als erstes komplettes Kinderprogramm. Seit 2018 teilt sich Nick die Frequenz mit dem Schwestersender MTV und sendet nur noch von 5.00 bis 20.15 Uhr

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K11 Visual Designer

Er hält den Ball flach Thomas Markert setzt als Kreativdirektor der Fußball-Bundesliga auf Reduktion

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Das Runde muss ins Eckige – das neue BundesligaLogo ohne Glanz und Ausreißer

„Ich will, dass das ganze Team regelmäßig am Fußballplatz ist“

Kollegen. Seit 2014 führt Markert den gestalterischen Stift und hat einen Relaunch der Marke Bundesliga umgesetzt. Den versucht er jetzt auch in der Praxis fortzuspinnen: in Konferenzen mit den Frankfurter Kommunikations-Kollegen, am Kölner Schnitt-Tisch und am liebsten dann doch im Homeoffice. Auf Markert kommt zunehmend eine Herausforderung zu: Er muss mehr machen – aber das möglichst einfach. Auch die Bundesliga ist auf immer mehr Medienkanälen präsent. Und zu jedem einzelnen muss das Markendesign passen. Optiken müssen überall funktionieren: auf Instagram, auf Papier, in der ARD„Sportschau“, auf Plakaten, an der Stadionwand. Um das zu schaffen, braucht es „Flexibilität im System“, sagt Markert – sozusagen die eierlegende Wollmilch-Optik für alle Fälle. Also hat er die Bundesliga flacher gemacht. Im gestalterischen Sinne: Dreidimensionales und optische Verläufe sind aus dem Logo verschwunden, der Zeitgeist verlangt „Flat-Design“ und Reduzierung. Im BundesligaLogo guckt der Spieler beim Kicken des Balls jetzt nicht mehr auf sein Knie, sondern nach vorne. Und der Ball selbst fliegt nicht mehr aus dem Logo – zu kleinteilig, zu platzraubend. Jedes einzelne Design, glaubt Markert, transportiert eine Bedeutung: „Wir sind die einzige große Fußballliga in Europa, die den Fokus auf den Spieler setzt. Das ist unser Markenzeichen. Bei uns geht es nur um Fußball.“ Der Fußball ist Markerts Inspiration, seine Dauerkarte bei Eintracht Frankfurt auch Herzenssache. In die klassische Marktforschung ist für das Bundesliga-Design kein Cent geflossen, alles entstand in den Köpfen. Er verlässt sich auf individuelle Eindrücke: „Ich will, dass das ganze Team regelmäßig am Fußballplatz ist.“ Jens Twiehaus

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Foto: Mel Griffith

homas Markert ist unter den deutschen Designern vielleicht derjenige, der am wenigsten zu beneiden ist: Als Kreativdirektor für die Marke Fußball-Bundesliga bedient er die größtmögliche Zielgruppe. Denn Fußballfans, das sind der Opa und die Enkelin, der Ultra in der Fankurve und der KaviarEsser in der VIP-Loge, sporadische Stadionbesucher und Pay-TV-Abonnenten. Sie alle muss Thomas Markert mit seinen Designs erreichen. Überall, wo die 1. und die 2. Bundesliga auftauchen, mischen Markert und seine Leute in der Gestaltung mit. Sie brüten über dem Bundesliga-Logo, bauen Vorlagen für Fernsehgrafiken, basteln an fünf Schnittplätzen Topspiel-Trailer für ausländische TV-Sender und gucken, dass die Bundesliga gut zur Geltung kommt auf den Trikots der Vereine. Markert ist der Mann hinter der Bundesliga-Optik. Sein großes Kapital ist seine internationale Erfahrung. Der gebürtige Frankfurter ist das erste Mal als Schüler in den USA, später studiert er in den Staaten. Es ist die Zeit, als MTV die Popkultur entscheidend prägt – also setzt sich der junge Designer in den Kopf, dort einen Job zu bekommen. „Ich habe die gequält, weil ich jeden Tag angerufen habe, um Praktikant zu werden. Und zu meiner Überraschung hat das dann irgendwann geklappt.“ Aus dem Praktikanten wird ein Fernsehgrafiker, 1993 wechselt Markert nach London und wird 1997 beim Start des deutschen MTV dessen Art Director. „Ich habe nie wieder so viel gelernt wie in meinen Jahren bei MTV“, sagt er heute. Spätere Jobs, etwa der bei Microsoft in Seattle, ergeben sich aus alten MTV-Kontakten. Und auch hinter Markerts Wechsel zur Deutschen Fußball Liga (DFL) steckt gewissermaßen MTV: Der heutige DFL-Chef Christian Seifert war Ende der 90er Jahre Marketingmann beim Musiksender – und holt später seinen alten


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orno ist das Fast Food unter den BewegtbildAngeboten. Billig, befriedigend, beliebt. Und nach dem Konsum kommt das schlechte Gewissen. Die Freiburger Studenten Leon Schmalstieg und Kira Kurz wollen das ändern. Sie produzieren Pornos, über die man auf der Premierenfeier beim Gläschen Sekt diskutieren kann. Wohlfühlfutter statt Fast-Food-Fraß. Ein Auto hält am Straßenrand, eine Person steigt ein. Klassischer Start für einen Mainstream-Porno. Die Handlung ist vorhersehbar: Der Fahrer und die junge Anhalterin haben nach einem kurzen, belanglosen Dialog Sex. Die Frau dient als Objekt mit verschiedenen Körperöffnungen in HD, aber ohne Charakter. „Retour“, der erste Film des Porno-Startups Feuerzeug, ist anders. In dem knapp halbstündigen Video sitzt eine Frau am Steuer, der Anhalter ist ein Mann. Sie erzählen einander aus ihren Leben, dazu singt eine Frauenstimme zu Gitarrenmusik. Das Wort Sex fällt nach sechseinhalb Minuten das erste Mal, die Frau sagt es. Ab Minute acht wird geknutscht, ab Minute zwölf sind beide nackt, in Minute 13 wird das Kondom ausgerollt. Nun herrscht kein Zweifel mehr, dass auch hier der Sex im Vordergrund steht – in verschiedenen Stellungen, Detailaufnahmen, schnell, intensiv. Aber am Schluss sind beide glücklich. Die beiden Gründer haben nicht nur das altbekannte Anhalter-Motiv in ihrem Porno „bewusst umgedreht“. Sie wollen auch bei der Produktion alles anders machen, was sie in Mainstream-Sexfilmen falsch finden. „Wir können uns mit vielem, was wir da sehen, nicht identifizieren“, sagt Schmalstieg. Das sind oft: fehlende Kommunikation oder Zustimmung zu allem, was passiert, sprachlose Frauen, dominante Männer.

Kira und Leon holen Leute zum Sex vor die Kamera

Keine Verhütung, kaum Sexualität abseits der Norm. „Auch, was die Produktion angeht, ist zu viel intransparent“, ergänzt Kurz. Die Produktionsbedingungen, die Bezahlung der Darsteller, die Finanzierung – all das bleibt im Dunkeln. Und je größer das Porno-Angebot im Netz, desto billiger und schneller wird nachproduziert. „Dass das für alle Beteiligten schlecht ist, liegt auf der Hand“, sagt Leon Schmalstieg. Je mehr sie über das Thema sprechen, desto sicherer sind die beiden Studenten: Sie wollen einen eigenen Porno drehen, unter fairen Bedingungen, öffentlich begleitet. Und ohne Erfahrung mit Film. Ein kleines Team von 14 Leuten für den Dreh findet sich über Kontakte, zwei Darsteller über Instagram. Kurz und Schmalstieg besuchen Festivals für alternative Porno-

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T7 Faire Pornos

Sex sehen

Foto: Feuerzeug Films

Pornos schauen geht auch ohne schlechtes Gewissen. Das beweist Feuerzeug, ein Studenten-Startup aus Freiburg

grafie, sprechen mit Produzenten feministischer Pornos und einer Darstellerin aus dem Mainstream-Bereich. Einen Crashkurs im Gründen machen sie bei einem Startup-Förderprogramm. Nur die Finanzierung wird schwierig. Bei Wettbewerben um Gründerzuschüsse wird man mit Porno gar nicht erst zugelassen, für Crowdfunding fehlt die Zeit. Also finanzieren sie alles aus eigener Tasche, alle arbeiten ehrenamtlich, die Darsteller bekommen eine Beteiligung am Gewinn. Porno zählt zu den meistkonsumierten Medieninhalten weltweit. Und gleichzeitig zu denen, über die kaum jemand spricht. „Das löst einen unglaublichen Druck aus“, erklärt Leon Schmalstieg. „Und lässt die Zuschauer mit ihren Fragen alleine.“ Kira Kurz ergänzt: „Wir wollen Pornos produzieren, bei denen man am Ende kein schlechtes Gewissen hat. Denn wer sich für etwas schämt, diskutiert ungern darüber.“ Eine Woche Drehzeit planen sie ein, Konzept und Storyboard entstehen im Team, die Darsteller entscheiden mit. Am Set ist während der gesamten Zeit eine Sorgenbeauftragte als Ansprechpartnerin, falls sich jemand unwohl fühlt. Sie bekommt nichts zu tun. Die expliziten Szenen filmen sie am letzten Drehtag, nur Kamerateam, Regisseurin und Darsteller sind im Raum. Niemand unterbricht oder gibt Anweisungen, einzige Bedingung: Safer Sex und gegenseitiges Einverständnis müssen zu sehen sein. „Die Performer konnten uns zeigen, was sie wollten“, sagt Leon Schmalstieg. „So haben wir Bilder erreicht, die sehr nah an der gelebten Sexualität dran sind.“ Szenen im weichen Licht, in einer Altbauwohnung mit knarzenden Dielen und Baumwollbettwäsche, nicht nur Geschlechtsteile in Großaufnahme, sondern auch verzückte Gesichter. „Wir haben den Anspruch, uns von Amateurproduktionen abzuheben“,

sagt Kira Kurz. „Realistische Szenen, cineastisch aufbereitet.“ Der Trailer für „Retour“ sieht aus wie das Musikvideo einer Indie-Band: Gegenlicht, Landschaftsaufnahmen, Schnitte im Rhythmus der Musik, von denen einige wie zufällig auch zwei Körper beim Sex zeigen. Der Slogan von Feuerzeug ist: fair, feminist, freiburg-based. Das Startup passt damit gut zwischen nachhaltigen Konsum, MeToo-Debatte und regionalen Gemüseanbau. „Klar, aus ökonomischer Sicht sind wir zur richtigen Zeit gekommen“, sagt Kurz. Trotzdem: Ums Geld geht es den beiden nicht. Den Film auf der alternativen Porno-Plattform Arthouse Vienna anzusehen, kostet zwar knapp fünf Euro – aber nur, damit er nicht kosten- und damit gedankenlos konsumiert wird. „Immerhin haben da Leute für mich Sex vor der Kamera, das sollte ich als Zuschauer wertschätzen“, sagt Kira Kurz. Zusätzlich läuft der Porno auch bei öffentlichen Filmabenden mit Anschluss-Party. Die Kosten für den ersten Film sind inzwischen mehr als gedeckt. Gerade drehen die beiden Studenten den zweiten. Und planen eine Tour mit Porno und anschließender Plauderstunde durch deutsche Städte. Nach dem Studium hauptberuflich Filme wie diese zu produzieren, können sich beide vorstellen. Was ihre Eltern dazu sagen? Kira Kurz lacht: „Ganz am Anfang haben wir Feuerzeug-T-Shirts gedruckt. Unsere Eltern haben direkt welche gekauft.“ Leon Schmalstieg ergänzt: „Die werden auch bei Familienfeiern getragen. Da finden dann gleich Gespräche über Pornos zwischen verschiedenen Generationen statt. Das ist super.“

171 · turi2 edition #9 · TV

Anne-Nikolin Hagemann


K12 Sport-Streaming-Chef

Tom, der Baumeister Für Dazn-Deutschlandchef Thomas de Buhr haben Katzenfutter, die Kirche und der Wandel der TV-Landschaft so einiges gemeinsam

»Das lineare Fernsehen ist wie die katholische Kirche: Stark, aber jeden Monat treten ein paar aus« Dazn positioniert sich als Netflix des Livesports – und investiert dank tiefer Taschen in Wachstum: Dahinter steht der Milliardär Leonard Blavatnik, der sein Vermögen mit Industrie-Investments gemacht und vor einigen Jahren die Entertainment-Industrie entdeckt hat. Für zwölf Euro im Monat können Dazn-Abonnenten internationalen Fußball und einen Teil der Bundesliga schauen, Tennis, Boxen, Basketball und Olympische Spiele. Sky-Nutzer kennen das Prinzip. Der Unterschied: Dazn ist günstiger und verschickt keine TV-Boxen, sondern streamt direkt auf Smartphone, Smart-TV oder Computer. Die Abo-Zahlen sollen in Deutschland siebenstellig sein, aber stark schwanken, je nach Ereignislage in der Sportwelt. „Wir geben dem Fan jeden Monat einen Grund, bei uns zu bleiben“, sagt de Buhr, „denn er kann ja jeden Monat kündigen.“ Als Executive Vice President ist er verantwortlich für Markenbildung, Marketing und Medienpartnerschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Spricht mit Elektronik-Herstellern, Moderatoren und Sportfunktionären. Und ist Chef von rund 200 Mitarbeitern, vom Redakteur bis zum Techniker. De Buhrs Mission: anpacken und expandieren. Das passt zum gebürtigen Ostfriesen, der als jüngstes von sieben Kindern in einem Dorf aufwuchs. „Der Bauer“ bedeutet sein Namen im Hochdeutschen. „Dieser Drang, etwas aufzubauen, ist immer in mir gewesen.“ Früher hat er auf Dachböden nach Modellbahn-Zubehör gestöbert und neue Strecken gebaut. Und heute eben einen Streamingdienst, der sich „größter LivesportBroadcaster im deutschsprachigen Raum“ nennt – ein Affront für Platzhirsch Sky. De Buhr glaubt fest an die Zukunft des Streamings. Und lebt sie selbst längst konsequent: Musik hört er unterwegs über Deezer, Bücher über Audible oder Sachbuch-Zusammenfassungen bei Blinkist, abends im Hotel schaut er Netflix. Dass immer mehr Menschen diesem Prinzip folgen, ist für ihn nur eine Frage der Zeit: „Das lineare Fernsehen ist wie die katholische Kirche: Es ist stark, aber jeden Monat treten ein paar aus.“ Jens Twiehaus

172 · turi2 edition #9 · TV

Foto: Patrick Runte

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eine Karriere beginnt mit Katzenfutter. Es ist Mitte der 90er Jahre, Öffentlich-Rechtliche und Private wetteifern um die Gunst der Fußballfans. Thomas de Buhr hat gerade sein BWL-Studium beendet und seine erste Stelle angetreten. Beim MarsKonzern ist er nicht zuständig für Schokoriegel, sondern für Tiernahrung. Teil des Jobs: Supermärkte in der Provinz abklappern und sicherstellen, dass Pedigree und Whiskas in den Regalen gut zur Geltung kommen. Einen Satz seines damaligen Chefs hat de Buhr bis heute im Ohr: „Wenn dein Kunde Nein sagt, fängt dein Job an.“ Niemand hat auf den Katzenfutter-Vertreter gewartet, also muss er hartnäckig sein, dranbleiben, ein bisschen nerven. Über die Tiernahrung kommt Thomas de Buhr zur TV-Werbung, arbeitet für RTL und ProSiebenSat.1, wechselt zu Google, um YouTube zu vermarkten, 2014 weiter zu Twitter. Und 2018 schließlich als Deutschlandchef zum Sport-Streaming-Dienst Dazn. Dort ist es nicht anders als mit dem Katzenfutter: Niemand in der satten Sport-Welt hat auf Dazn gewartet.


Coca-Cola, Coke und die Konturflasche sind eingetragene Schutzmarken der The Coca-Cola Company.

FÃœR ALLE, DIE DAS ORIGINAL LIEBEN.

COKE AUS DER KLASSISCHEN GLASFLASCHE.


T8 ZDF-Mediathek

Mit dem Zweiten streamt man besser Das Zweite Deutsche Fernsehen ist 2001 der erste deutsche Sender mit Online-Mediathek. Deren Chef Eckart Gaddum hat damit noch viel vor

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»Eine hundertprozentige Personalisierung wird es bei uns nicht geben« Wer etwa „Tatort“ in die Suchmaske beim ZDF eingibt, bekommt einen Link zur ARD. Wer bei der ARD die „heute-show“ sucht, wird zum ZDF geleitet. Von einer gemeinsamen Mediathek hält Gaddum nichts, beide Sender sollen im Netz unabhängig bleiben. Die Zeit der Walled Gardens ist bei ARD und ZDF dennoch bald vorbei. Dazu passt auch, dass die Sender für ihre Mediatheken im Frühjahr 2020 einen gemeinsamen Login starten wollen. Damit heben sie sich deutlich von den geschlossenen Systemen aus Übersee ab, aber auch von RTL und ProSiebenSat.1. Etwas netflixiger wird die ZDF-Mediathek künftig aber doch: Gaddum und seine rund 100 Mitarbeiter wollen Nutzern bald mehr Möglichkeiten geben, das Angebot zu individualisieren. Aber mit Grenzen. Eine hundertprozentige Personalisierung soll es nicht geben. Die These, dass in der Mediathek die Zukunft des Bewegtbildes liegt, will Eckart Gaddum nicht ohne Einschränkungen unterschreiben. Für ihn ist das Abrufangebot, wie es heute aussieht, nur ein Zwischenschritt. Irgendwann ist es womöglich ein KI-gesteuerter Sprachassistent, der das Bewegtbildprogramm für seine Nutzer zusammenstellt und die Mediathek-Suche ersetzt. Daran, dass das ZDF dann wieder die Nase vorn haben wird, besteht kaum ein Zweifel. Denn Gaddum und sein Team sind auch für die ZDF-Profile auf Drittplattformen wie Amazons Alexa verantwortlich.

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Markus Trantow

Foto: ZDF/Markus Hintzen

ikolaus Brender braucht all seine Überzeugungskunst, als er Eckart Gaddum die Leitung der Hauptredaktion Neue Medien im ZDF als neuen Job schmackhaft macht. „Wenn Sie diesen Job übernehmen, sind Sie in zehn Jahren die Spinne im Netz“, erinnert sich Gaddum an die Worte seines Chefredakteurs. „Er hatte Recht.“ Heute, elf Jahre später, laufen bei Gaddum tatsächlich alle Fäden zusammen. Die Mediathek, für die er hauptverantwortlich ist, hat sich zu einem der zentralen Ausspielorte für ZDFInhalte entwickelt. Traumjob ist der neue Posten für den gelernten Journalisten, der von einer Korrespondenten-Karriere träumt, anfangs nicht. „Berufung fällt nicht vom Himmel. Du machst einen Job und machst ihn dir zur Berufung“, zitiert Eckart Gaddum seinen Großvater. Dieser Satz begleitet den heute 59-Jährigen durch sein ganzes Leben. 1993 kommt er als Schlussredakteur zum „heute-journal“, geht als Korrespondent nach Thüringen und Paris. Bevor er Mediatheken-Chef wird, leitet er acht Jahre lang das „ZDF-Morgenmagazin“. Zu Beginn müssen Gaddum und Kollegen die Redaktionen noch beknien, damit sie ihre Inhalte in die Mediathek laden. „Heute gibt es leidenschaftliche Diskussionen darüber, welche Sendung auf die Startseite darf“, sagt Gaddum. Die Mediathek aus Mainz liegt mit mehr als 90 Millionen Visits pro Monat deutlich vor der Konkurrenz aus Köln (TVNow: 22 Mio Visits) und den Mitbewerbern aus München (Joyn: 21 Mio Visits). Die ARD schweigt zu den Zahlen ihrer Mediathek. Dass der Rentnersender ZDF online so erfolgreich ist, erklärt sich womöglich aus seinem Frühstart. Bereits 2001 steht eine erste Version der Mediathek im Netz. YouTube erscheint erst vier Jahre später, ab 2008 haben alle großen deutschen Sender Abruf-Angebote. „Die Mediathek hat das ZDF im Kern verändert“, sagt Gaddum. Die größte Revolution ist der Abschied vom Silo-Denken: Inzwischen planen ZDF, ZDFneo und ZDF Info nicht mehr unabhängig, sondern genreübergreifend – und damit passend für die Mediathek. Das funktioniert auch, weil sich die Angst der TV-Macher, dass Online das Fernsehen kannibalisiert, nicht bewahrheitet hat. Die Mediathek erreicht jüngere Nutzer, die das ZDF sonst selten auf dem Schirm haben. Künftig will der Sender mehr Programm vor der TVAusstrahlung ins Netz stellen. Und Gaddum hat weitere Pläne, die angesichts der gut gepflegten Konkurrenz zwischen ARD und ZDF wie eine Revolution anmuten: Die Strategen arbeiten daran, online die Wälle zwischen den Sendern einzureißen.


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Senderchef

Vom Orgelspieler zum Strippenzieher Daniel Rosemann beweist bei ProSieben, dass er sich auf das schwere Handwerk der leichten Unterhaltung versteht

zum Quotenhit des Sommers 2019. Und lässt die Konkurrenz müde aussehen. Aber Rosemann ist nicht der Typ, der sich auf Erfolgen ausruht. „Misserfolg wie Erfolg motivieren mich gleichermaßen“, erklärt er. „Mein Team und ich waren in den letzten dreieinhalb Jahre sehr fleißig, um uns aus dem Quotentief rauszuholen. Erfolg ist für mich aber erst dann ein Erfolg, wenn er nachhaltig auf die Marke einzahlt.“ Der gebürtige Kölner lernt früh, die richtigen Register zu ziehen: Schon als Vierjähriger spielt er Klavier, später Orgel. „Auch über die schwierige Phase der Pubertät hat mich die Musik begleitet“, sagt er. Der Teenager wird so gut in seinem Spiel, dass er sich bald ein ganz ordentliches Taschengeld verdient. Denn Organisten sind in der Domstadt Köln damals Mangelware. Seine Mutter kutschiert ihn an den Sonntagvormittagen von Messe zu Messe. „Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen wurden besonders gut bezahlt“, erinnert er sich. Wenn Rosemann über Arbeit spricht, klingt das immer leicht. „Spaß ist einer meiner engsten Begleiter“, sagt er. Damit ist er bei einem Sender, der mit dem Slogan „We love to entertain you“ für sich wirbt, genau an der richtigen Stelle. Zum Fernsehen kommt er – wie so viele – zufällig und bleibt hängen. Denn als der Numerus Clausus seinen Traum vom Medizinstudium in die Ferne rücken lässt, überbrückt er das Wartesemester mit Jobs bei RTL. Rosemann arbeitet für Birgit Schrowange und Frauke Ludowig – und streicht die Medizin von der Liste seiner Traumberufe.

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»Spaß ist einer meiner engsten Begleiter« Stattdessen absolviert er ein Volontariat und arbeitet bei TVProduktionsfirmen, bevor er 2008 als Leitender Redakteur Show & Unterhaltung zu ProSieben geht und die Karriereleiter hinaufklettert. Seine Aufgabe als Programmchef sieht Daniel Rosemann darin, jeden Tag positive Energie zu verbreiten, Motor zu sein, an übermorgen zu denken, Mitarbeiter zu befähigen und manchmal auch Trost zu spenden. Er will Geschichten erzählen – das war früher so bei kurzen Magazinbeiträgen und das ist auch heute noch so bei der Programmgestaltung. Wirklich loslassen will er nicht: „Wenn wir mit einem neuen Format an den Start gehen, dann bin ich dabei, da kann sich das Team auf mich verlassen.“ Sagt‘s und verschwindet in der Regie von „The Masked Singer“. Heike Reuther

Daniel Rosemann im Videointerview und im TV-Fragebogen turi2.de/edition/rosemann

Foto: Anne-Nikolin Hagemann

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chon sehr früh an diesem Donnerstagmorgen ist Daniel Rosemann von München nach Köln gejettet. Der General Manager von ProSieben und ProSieben Maxx will das Finale von „The Masked Singer“ live vor Ort verfolgen. Die Sendung wird in den MMC Studios in Ossendorf produziert. Rosemann, modisch-lässig gekleidet in Jeans, Business-Hemd und weißen Sneakern, ist ein Chef zum Anfassen. Backstage plaudert er mit Showteilnehmerin Stefanie Hertel und kommt im nächsten Moment mit dem Sicherheitsmann an der Studiotür ins Gespräch. Rosemann erinnert sich, wie er als kleiner Junge die große Samstagabend-Show „Wetten, dass..?“ schauen durfte – im Schlafanzug schon bettfertig gemacht, mit Schnittchen auf dem Schoß. Später verfolgte er Stefan Raabs „TV Total“ wann immer es ging. Heute, mit Ende 30, bestimmt er selbst über das Programm zweier Fernsehsender. Im Frühjahr 2016 hat Daniel Rosemann in München die Führung übernommen. Damals befinden sich die Marktanteile von ProSieben im Sinkflug, 2017 fällt der Jahresdurchschnitt in den einstelligen Bereich. Gut, wenn da jemand am Steuer sitzt, der schon ein paar Übungsflüge absolviert hat. Rosemann trainiert in seiner Freizeit gern mal am Lufthansa-Flug-Simulator – und zwar „auf einem Niveau, das über Jochen-Schweizer-Gutscheinen liegt“, wie er selbst sagt. Und tatsächlich: Rosemanns Programmumbau und sein Mut zu innovativen Formaten zeigen Wirkung. „The Masked Singer“ mutiert


K13 177 · turi2 edition #9 · TV


T9 Spartensender

Glück in der Nische

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my und John, Architekten aus Philadelphia, wollen dem Winter in Pennsylvania entfliehen. „Island Life“ begleitet das Paar bei der Traumhaus-Suche auf Key West. Für ein Budget von 1,7 Millionen Dollar sollen es fünf Zimmer mit Pool und Terrasse sein. Doch mal ist der Garten zu klein, mal das Wohnzimmer. First-World-Problems. Seit Juni 2019 wird bei Home & Garden TV gebaut und renoviert, gegärtnert und gekocht. Amy und John sind nur ein Beispiel. Der Sender ist der jüngste Spross des amerikanischen Discovery Networks. Unter seinem Dach sendet auch Dmax, die Heimat von Abenteurern und Autofans. Frauen verspricht TLC „Schicksale, außergewöhnliche Lebensentwürfe und schaurige Mystery-Fälle“. Rund 190 lizenzierte Spartenkanäle listet die Senderaufsicht KEK, öffentlich-rechtlich und privat, Free- und Pay-TV, via Satellit, im Kabel oder Internet. Die Digitalisierung senkt die Produktions- und Verbreitungskosten und damit die Hürden für den SenderBetrieb. Auch Platznot durch belegte Frequenzen sind in Zeiten digitaler Kabelnetze, Fernsehsatelliten und Web-TV nahezu passé. „Bei geringen Kosten lässt sich auch mit einer kleinen Zielgruppe ein positiver Deckungsbeitrag erreichen“, sagt Klaus Boehm, Leiter Media und Entertainment der Beratungsgesellschaft Deloitte. „Das lineare Fernsehen ist immer noch dominierend.“ Die Unter-30-Jährigen schauen zwar nur noch ein Drittel ihres Bewegtbilds linear, sagt die Massenkommunikations-Studie von ARD und ZDF, beim Gesamtpublikum sind aber noch drei Viertel der Videonutzung linear. Je älter, desto mehr. Auch RTL und ProSiebenSat.1 fragmentieren ihr Programm, „um vermarktbar zu bleiben“, erklärt Boehm die Existenz von Sendern wie Nitro, RTLplus, Sat.1 Gold und Kabel Eins Doku. Ein linearer Sender zahle besser auf die Marke ein als ein YouTube-Kanal, wo Sendermarken „völlig verlorengehen“. Ohne großen Medienkonzern im Rücken sendet Welt der Wunder TV „Endlich was Interessantes“. Das Pro-

gramm ist eine Wundertüte aus Lifestyle, Gesundheit, Tech und Wirtschaft. Rund drei Viertel des Programms sind Neuware, der Rest kommt aus der gut gefüllten Konserve. Von 1996 bis 2013 lief „Welt der Wunder“ erst bei ProSieben, dann bei RTL2 und hat jetzt rund 800 Programmstunden im Stehsatz. Der Exot in der Nische ist Zee One. Der Sender zeigt Bollywood-Filme und indische Telenovelas – farbenprächtig, laut, dramatisch. Im Sommer 2018 wagt sich Zee One bisher einmalig in den Live-Sport vor und zeigt zwei Spiele der indischen Hockey-Nationalmannschaft. Nische in der Nische quasi. Bluthochdruck, Diabetes und Organspende sind Themen von Health TV, einer Art verfilmter „Apotheken Umschau“ mit dem Klinik-Konzern Asklepios im Rücken. Hier laufen Yoga-Übungen, Büro-Fitness, Reise-Reportagen – und zwei Mal pro Woche Werbesendungen des Geldgebers. Bekanntestes Sendergesicht ist Sternekoch Christian Rach mit seiner „5-Euro-Küche“. Bibel TV ist der Dinosaurier der Sparte: Seit 2002 zeigt der Sender Gottesdienste, Talk-Runden, christliche Filme, Serien und Musik – und führt vor, wie christliches Crowdfunding geht. Zu 85 Prozent finanziert sich der Sender aus Spenden. Im Deutschen Musik Fernsehen regieren der Viervierteltakt mit Herzschmerz-Heile-Welt-Schlagern und Volksmusik, ein Programm für Zuschauer, denen der „ZDF Fernsehgarten“ zu poppig ist. Schunkel-Schinken mit Heintje oder Heinz Erhardt garnieren die Primetime. Dazwischen: Werbung für CD-Boxen. Auch das ist typisch fürs Sparten-TV, beobachtet Klaus Boehm von Deloitte: Statt durch klassische Markenwerbung finanzieren sich die Nischenkanäle oft durch Abverkaufswerbung oder Sponsoring. Von Retro-Fans über Traditionalisten bis zu Kuriositäten-Guckern: In der Welt der Spartensender kann fast jeder eine Heimat finden. Nicht nur Amy und John.

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Björn Czieslik

Fotos: Welt der Wunder, Sat1/Kirchhof, Zee One

Guck mal, wer da hämmert: Es ist keine Frage des großen Geldes mehr, einen TV-Sender zu betreiben. Die Digitalisierung holt immer mehr Exoten-Sender auf den Bildschirm


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K14 Videoforscherin

Die Vermessung des Weltalls Eigentlich mag AGF-Chefin Kerstin Niederauer-Kopf Buchstaben. Zwischen TV-Planeten und dunkler Online-Materie braucht die Marktforscherin aber Zahlen als Wegweiser

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ls Kerstin Niederauer-Kopf den ersten Teaser von „The Masked Singer“ sieht, denkt sie: „Na, mal sehen...“ Daraus wird einen Monat später ein euphorisches „Na, Hallo!“ Eine von mehr als vier Millionen Zuschauern des Finales der Liveshow, bei der Promis in Ganzkörperkostümen zum Gesangswettbewerb antreten, ist Niederauer-Kopf. Zugegeben erst, nachdem sie verfolgt hat, wie die Quote von Folge zu Folge wächst. Zuletzt: ein Marktanteil von fast 40 Prozent bei den 14- bis 49-Jähigen. „Insbesondere für einen Sender, der so spitz auf ein junges Publikum formatiert ist wie ProSieben, ist diese Quote bemerkenswert. Sie zeigt, dass Programmmacher gut daran tun, in Live-Unterhaltung und Shows zu investieren.“ Bei der Arbeitsgemeinschaft für Fernsehforschung kümmert sich die 42-Jährige darum, die Reichweiten von linearen Sendern, Mediatheken, Social Media und Streaminganbietern vergleichbar zu machen. „Früher gab es den TV-Planeten, heute vermessen wir ein ganzes Universum“, sagt sie. In der interstellaren Marktforschungszentrale entwickelt sie seit Anfang 2019 gemeinsam mit Geschäftsführerin Anke Weber die Quotenmes-

Anne Fischer

Die AGF-Videoforschung ist ein Zusammenschluss von ARD, ZDF, RTL, ProSiebenSat.1, Welt, Sky, Discovery, Viacom und Tele 5. Die täglichen TV-Zahlen erhält sie aus 5.400 von der GfK repräsentativ ausgewählte Haushalten. Die Streaming-Daten liefert der britische Marktforschungsriese Nielsen. Die AGF führt beide in einem Datensatz zusammen

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Foto: Mara Monetti für AGF

Kerstin Niederauer-Kopf im TV-Fragebogen turi2.de/edition/niederauer

sung weiter, ist Ansprechpartnerin für Gesellschafter, Dienstleister, Werbekunden. 2013 hat die AGF begonnen, an einer einheitlichen Video-Währung zu arbeiten. Seit zwei Jahren gibt es belastbare Daten. Von außen betrachtet ein schwerfälliger Prozess. Im Kern aber muss Niederauer-Kopf Äpfel und Birnen miteinander vergleichbar machen. Denn ein Video-Klick bei YouTube hat einen anderen Wert als die auf Hochrechnung basierenden TV-Einschaltquoten. Darauf, dass die AGF das geschafft hat, ist die Vorsitzende der Geschäftsführung stolz: „Wir haben in Deutschland ein extrem elaboriertes Messverfahren und betreiben immensen Aufwand, um zu vergleichbaren Daten zu kommen. Wir befragen nicht nur, wir messen.“ Diskussionpotenzial bleibt: YouTube etwa darf nach eigenen Regeln messen – nicht allen Gesellschaftern gefällt das. Werbekunden fordern Zahlen, die sich einander gegenüberstellen lassen. Im Zweifel gilt für Niederauer-Kopf: Präzision vor Aktionismus. Anbieter wie Netflix und Amazon halten ihre Daten unter Verschluss, präsentieren selbst ermittelte Zahlen aber gleichzeitig der Presse. Dass die US-Riesen ein weißer Fleck im Daten-Universum der AGF sind, ärgert Niederauer-Kopf nicht. „Ich würde mich aber natürlich freuen, wenn wir Netflix in die Messung bekämen.“ Kerstin Niederauer-Kopf ist eigentlich Geisteswissenschaftlerin mit Vorliebe für Literatur. Mit den Zahlen hat sie sich aus einem einfachen Grund angefreundet: „Ich glaube, dass Menschen sie zur Orientierung brauchen. Sie sind ein super Indikator. Aber für sich allein nicht aussagekräftig. Nur, wer die Zusammenhänge von Daten und den Markt kennt, kann Sachverhalte einordnen.“ Als Niederauer-Kopf 2006 in der Werbe- und Marktforschung der ARD anheuert, verschickt Netflix noch DVDs per Post, YouTube und Mediatheken stecken in den Kinderschuhen. Seit das Video-Weltall expandiert, begnügt sie sich nicht mit dem Schwelgen in Erinnerungen an die Leitwährung von früher. Sie vermisst lieber die Grenzen des Bewegtbild-Kosmos neu. Überraschungserfolge wie „The Masked Singer“ zeigen, dass der TV-Planet anziehend bleibt.


K15

Reality-Sternchen

Ich bin ein Star – lasst mich hier drin! Die Karriere der Evelyn Burdecki beginnt mit einem Rauswurf und soll mit einem Königinnen-Titel noch lange nicht enden

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»Ich bin ein Mädchen mit Sommersprossen und blonden Haaren und habe eine Figur zum Anfassen« Später übt sie vor dem Spiegel und bei Schulauftritten für ihre künftige Karriere. „Träume können wahr werden“, sagt sie, „ich habe es ausprobiert, es hat geklappt.“ Dabei läuft ihr erster Auftritt vor der Kamera alles andere als glücklich. Ganze zehn Minuten Sendezeit hat sie 2017 bei RTL, der „Bachelor“ zeigt kein Interesse an der 1,58 Meter kleinen Blondine mit den knallrot geschminkten Lippen. Sie fliegt schneller raus, als sie reingekommen ist. Seitdem turnt die gelernte Fitnesstrainerin aus Köln von Sendung zu Sendung. Wie würde sie einem Kind ihren TV-Beruf beschreiben? Ein Moment Stille, dann sprudelt es heraus: „Ich habe viel Spaß. Und weil ich soviel Spaß habe, werde ich immer gerufen, damit wir alle zusammen Spaß haben und lachen können.“ Die Schattenseiten des VIP-Daseins? „Immer zu lachen fällt manchmal schwer.“ Und wenn sie ein Date hat, ist es ihr unangenehm, erkannt zu werden. Also doch lieber in der Masse untergehen? „Nein“, sagt Evelyn Burdecki entschieden, „ich danke dem lieben Gott, dass ich diesen schönen Beruf machen darf. Wenn ich für einen Job morgens um fünf Uhr an den Flughafen muss und mir beim Bäcker ein Brötchen kaufe, dann denke ich, dass der Verkäufer für viel weniger Geld lächelt.“ Diese Haltung hilft, den Verlockungen der Branche zu widerstehen. Burdecki entscheidet nach Bauchgefühl – so auch zuletzt, als ein Angebot des „Playboy“ auf dem Tisch liegt. Kurz überlegt sie: „sooooooooo viel Geld“. Aber ihr Bauch sagt: nein. „Es kann sein, dass ich mich mit 50 für den Playboy ausziehe, aber nicht jetzt.“ Bis dahin können wir Burdecki zuschauen, wie sie in jeder Show etwas dazu- und sich selbst besser kennenlernt: Bei „Bachelor in Paradise“ verliebt sie sich. Und trennt sich kurz darauf. Im Dschungelcamp trifft sie auf ihren lästernden Ex aus dem Paradies. Und trotzdem ruft sie nie: „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ Evelyn Burdecki ist gerade erst im TV angekommen, so schnell bekommt sie da keiner mehr weg. „Wenn ich mal alt bin, kann ich meinen zehn Enkeln erzählen, was ich alles erlebt habe.“ Vielleicht trifft sie den Richtigen dafür ja beim nächsten Casting.

Foto: TVNOW

rüher hätten Eltern besorgt gefragt: „Kind, was soll nur aus Dir werden?“ Heute macht man mit dem Talent von Evelyn Burdecki Karriere im Fernsehen. Vom „Bachelor“ über „Promi Big Brother“ und „Dschungelcamp“ bis zu „Let‘s Dance“ – Burdeckis Fernsehbiografie liest sich wie das Lexikon der leichten Fernseh-Unterhaltung. Gerade ist sie unterwegs, Kurzurlaub in Portugal. Sie spricht über die Freisprechanlage des Mietwagens, Sonne, Strand und Meer schwingen mit. Wie würde sie sich einem Blinden beschreiben? „Ich bin ein Mädchen mit Sommersprossen und blonden Haaren und habe eine Figur zum Anfassen.“ Doch Evelyn Burdecki auf ihr Äußeres zu reduzieren, würde ihr nicht gerecht. Oft kokettiert sie mit Tollpatschigkeit und Naivität – aber vielleicht ist das für sie einfach der schnellste Weg zum großen Traum. „Als Kind wollte ich Massiererin werden. Oder heißt es Masseurerin?“ Aber dann sieht sie im Fernsehen all die hübschen Showstars und weiß: Da will sie hin. Als Kind frommer polnischer Eltern ist Kirche am Sonntag Pflicht, Evelyn singt im Kirchenchor.

Heike Reuther

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T10 Spiele-Streaming

Zocken und Zusehen Twitch hat die Sportübertragung für das Gaming-Zeitalter demokratisiert – und wird heute auch von Anglern genutzt

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s ist das YouTube der Gamer, das Sky für alle, die am Samstagnachmittag lieber Ballersieger statt Bundesliga anschauen. Twitch heißt auf deutsch „zucken“, wie das Zucken des Zeigefingers am Abzug, Pardon, der linken Maustaste. Mit ein wenig Zynismus könnte man den Namen auch auf die nervös-muskulären Anfälle beziehen, die besonders sensiblen Zuschauern nach zu langem Verweilen auf der Livestreaming-Plattform drohen könnten. Twitch startete 2011 als Ableger der mittlerweile trockengelegten Livestreaming-Seite Justin.tv, weil dort die Videospiel-Streams überhandnahmen. 2012 bekam das nerdige Netzwerk einen Webby-Award und 2014 mit Amazon einen finanzkräftigen und clouderfahrenen Käufer, der eine knappe Milliarde Dollar dafür hinblätterte. Bei Twitch sehen die Zuschauer, wie auch bei der klassischen Sportübertragung im Fernsehen, ihren Lieblingsspielern zu und können dabei gleichzeitig per Live-Chat fachsimpeln und anfeuern – wie Manni und Schorsch auf den Stehplätzen in der Südkurve. Im Gegensatz zur Südkurve wird es bei Twitch jedoch weniger schnell langweilig, denn die Spieler können zwischen den verschiedenen Streams hin- und herschalten und so einfach die Sportart – also das Computerspiel – wechseln. Wer mit seinen Streams gesehen werden will, muss nicht unbedingt zu den Besten der Besten gehören: Mehr oder weniger prominent zu sein, reicht wie im Privatfernsehen aus, um eine ansehnliche Reichweite zu erzielen. Corinna Kopf etwa – die vollblonde Fantasie-Freundin vieler 14-jähriger Fortnite-Spieler – liegt zwar nur auf Rang 451 der Twitch-Charts, hat aber respektable 334.000 Follower. Wieder andere Streamer fungieren gewissermaßen als Stiftung Shootertest und sind für ihre Fans kompetente Ratgeber und Prüfer frisch veröffentlichter Computerspiel-Ware. Zunächst durften sich Streamer bei Twitch nur beim Zocken zeigen. Seit Ende 2016 kann man in der neuen Kategorie „In Real Life“ (kurz: IRL) aber auch sehen,

Twitch heißt auf deutsch zucken, wie das Zucken des Zeigefingers am Abzug was Twitch für die Zielgruppe doch eigentlich überflüssig gemacht hatte: das echte Leben. Die Plattform befriedigt dort klassische Bewegtbild-Süchte von Arte bis RTL2 via Stream. Es gibt Bastelbrüder, Bob-RossWiedergänger, Kochshows, musikalische Darbietungen für jede Schmerztoleranz. Trashige Talks finden sich ebenso wie Call-in-Shows oder mehr oder weniger zum Scheitern verurteilte Stunts und Rekordversuche. Auch klassische Medienmarken sind auf Twitch vertreten. Die BBC zum Beispiel unterhält einen eigenen Kanal für ihre Gaming-Berichterstattung und hat alte „Doctor Who“-Folgen gezeigt – die Fans mögen das lagerfeurige Chat-Fenster unter dem Stream. Als Geschäftsmodell ist die Plattform auf viele Arten interessant. Streamer können sich als Twitchfluencer zahlungswilligen Sponsoren anvertrauen, ab einer gewissen Bekanntheit von Twitch akquirierte Werbung anzeigen und ihre Fans für exklusive Abos zahlen lassen. Marken können Werbung schalten, SpielePublisher neue Ware direkt von reichweitenstarken Twitchfluencern spielen lassen. Auch Promis nutzen das Spiele-Streaming hin und wieder als eine Art Dschungelcamp für das junge Publikum: Rap-Best-Ager Bushido und sein Kollege Kollegah etwa ballern dort gerne hin und wieder gegen das Vergessenwerden und die Abschiebung ins Deutschrap-Altersheim an. Tränende Traditionalisten seien nun trotzdem getröstet: Twitch wird traditionelle Hobbys nicht total verdrängen. Die Anglerliga „Fishing League Worldwide“ zum Beispiel streamt bei Twitch zwar nicht den aufregenden Ansitz auf bemooste Barsche, aber immerhin das rituelle Wiegen des Fangs. Dirk Stascheit

Zuschauen, anfeuern, fachsimpeln: Die Nutzer mögen das Chat-Lagerfeuer neben dem Streamfenster

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Seltener Moment: Fynn Kliemann zwingt sich ab und zu, Pause zu machen. Maximal fĂźr 20 Minuten


K16 Tausendsassa

Der Einfach-Macher Fynn Kliemann ist Webdesigner, Autor, Musiker, Heimwerker, YouTuber – und KÜnig eines Landes, in dem jeder alles kann Von Anne-Nikolin Hagemann (Text) und Johannes Arlt (Fotos)


Aktuelles Projekt: der Hofteich. Wo andere Dreck und Matsch sehen, träumt Kliemann von grünen Ufern, Wasserrutsche und Seerosen. Auf YouTube kann man zusehen, wie er den Traum Schritt für Schritt wahrmacht. Blaue Flecke, nasse Füße und Wutanfälle im Schlamm inklusive

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ein Reich liegt unter hohen Bäumen, in denen Vögel zwitschern. Weit entfernt rauscht die A1. Ab und zu rumpelt ein Traktor vorbei. Nebenan: der Schützenverein. Gegenüber: Fußballplatz und Feuerwehr. Mehr Dorf geht nicht. Fynn Kliemann ist hier aufgewachsen. Er glaubt: „Da, wo man Moped fahren und abends mit seinen Freunden was in die Luft jagen kann, ohne dafür in den Knast zu gehen: Das ist ein guter Ort.“ Also ist er hiergeblieben. Fynn Kliemann tut meistens, worauf er Lust hat. Eigentlich ist er Webdesigner, seine Agentur Herrlich Media sitzt ein Dorf weiter. „Alles, was ich sonst mache, ist Hobby“, sagt er, „oder Selbstverwirklichung. Kannste nennen, wie du willst.“ Hat er Lust, ein Buch zu schreiben, gründet er einen Verlag. Möchte er lernen, wie man Kleidung macht, baut er eine eigene Marke auf. Musik macht er auch, deswegen hat er jetzt ein Plattenlabel. Außerdem bastelt, schraubt und schweißt er gerne, bevorzugt ohne Schutzkleidung. Also filmt er sich dabei. Mittlerweile hat er über eine halbe Million Abonnenten bei YouTube, beinahe ebenso viele bei Instagram. Und jetzt das Kliemannsland. Ein alter Hof zwischen Bremen und Hamburg, den Fynn mit Freunden und seiner Community umbaut zu einem Sehnsuchtsort für Kreative. Und zum Spielplatz für große Kinder, mit Feuerstellen, Schaukelbrettern im Baum, Hau-den-Lukas und Betonwippe. Jeder über 18 kann vorbeikommen und mitmachen. Kostenlos. Begleitet wird das von einer gleichnamigen Webserie

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»Um mich herum haben alle Burnout wie Sau. Und das kann ich mir nicht erlauben« für Funk, mitproduziert – natürlich – von Kliemann selbst. Für die Produktion gibt es Geld vom NDR, mit seinen eigenen YouTube-Videos und Instagram-Posts verdient Kliemann nichts. Die Zusammenarbeit mit Sponsoren und Werbung lehnt er ab. Den größten Teil von dem, was er über die Agentur und an seinen anderen Projekten verdient, steckt er ins Kliemannsland. Heute drehen sie, wie er unter Anleitung von Freundin Franzi die Böschung des neu gebuddelten Teichs begrünt. Ohne Skript, ein paar GoPros und ein Kameramann filmen für ein Zehn-Minuten-Video: vier Stunden schaufeln, Steine schleppen, pflanzen und plaudern in der prallen Sonne. Fynn plantscht im schmutzigen Wasser, singt, raucht, zappelt, tut sich weh, flucht und plant schon die Grillecke am See und den Platz für die Wasserrutsche: „Das wird mal richtig geil hier!“ Nebenbei erklärt er, wie man ein Filtersystem für ein stehendes Gewässer baut. Fynn Kliemann glaubt, dass jeder alles lernen kann. In der Anfangszeit der Agentur arbeitet er sieben Tage die Woche. Programmieren bis vier Uhr früh, weiter um acht. „Ich habe nichts anderes gemacht, zwei Jahre lang. Weil ich einmal gut darin werden musste.“ Nach Drehtagen wie heute hat er bis in die Nacht den Laptop auf dem Schoß, sichtet Material, schreibt Konzepte, plant Projekte. Hinter dem Spaß stecken viel Arbeit und wenig Schlaf. „Du musst entscheiden: Willst du alle Freizeit, die du hast, dafür aufgeben? Ich hab halt sehr früh gesagt: Ja, ‘türlich!“ Manchmal fällt ihm ein, was er dabei verpasst: Zeit mit Freunden und Familie, Abende mit seiner Freundin. Dann kommt die nächste gute Idee und er denkt: „Ach, fuck it. Ist geil.“

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Die Bastelarbeit im Wind, der Kabelsalat auf dem Esstisch, die neue Uferpflanze: „Alles, was du hier siehst, taucht in irgendeinem Video oder Post auf“, sagt Fynn Kliemann. Als Zuschauer kann man sich zu Hause fühlen im Kliemannsland – ohne je dort gewesen zu sein

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»Willst du alle Freizeit, die du hast, dafür aufgeben? Ich hab halt sehr früh gesagt: Ja, ’türlich!«

Das Gemüse kommt aus dem hofeigenen Garten, das Huhn vom Nachbarn, die Köchin aus dem gleichen Ort wie Fynn

Was er tut, könnte auch jeder andere, sagt Kliemann: „Ich habe kein besonderes Talent, ich mach einfach.“ Das gilt auch für das Kliemannsland: „Du brauchst nur die richtigen Menschen und Gefühle und Typen. Die helfen sich gegenseitig und passen auf sich auf. Fertig.“ Natürlich ist es da nicht schlecht, wenn man viele Leute kennt, manche von früher aus der Schule, manche über Instagram. Und wenn viele Leute einen selbst kennen. Zu öffentlichen Veranstaltungen wie dem Weihnachtsmarkt oder einem Musikfestival kommen bis zu 15.000 Gäste. Fast 50.000 Menschen sind virtuelle Bürger des Kliemannslands. Über den Fynnder, eine Art digitale Pinnwand, können sie Projekte vorschlagen, über deren Umsetzung abstimmen und sich

zum realen Mitarbeiten anmelden. Dann wohnen sie auf dem Hof, in alten, bunt bemalten Wohnwägen, in Zelten, in der Scheune. Sitzen mit am Tisch, wenn Köchin Zora, eine Schulfreundin von Kliemann, Essen kocht aus dem Gemüse, das sie hier selbst anbauen. Jeder von ihnen kann alles, sagt Kliemann. „Jeder, der Bock hat. Oder eine gute Idee. Oder zu viel Energie. Oder zu wenig Platz zu Hause. Reich, arm, schwarz, weiß – mir doch egal.“ Manchmal zwingt sich Fynn Kliemann, eine Pause zu machen, zumindest für 20 Minuten. „Um mich herum haben alle Burnout wie Sau. Und das kann ich mir nicht erlauben.“ Wovor er Angst hat? „Dass das alles dann kaputt ist. Dass diese Visionen verloren gehen. Wir haben da echt was aufgebaut in den letzten Jahren. Wäre cool, wenn das bleibt.“

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Während er das sagt, sitzt er unter einem der alten Bäume und zupft an einer Wunde auf seiner Handfläche. Neben ihm zu sitzen kann einen wahnsinnig machen. Nach zwei Minuten wechselt er die Position ein erstes Mal, nach vier ein zweites. Nach fünf wippt der Fuß, die Finger zerstrubbeln die Haare. Nach zehn beginnen sie, herumliegende Blätter zu zerrupfen. Und irgendwann schaut man runter auf die eigenen Hände – und sieht, dass man längst selbst angefangen hat mit dem Zupfen und Wippen und Zerpflücken. Fynn Kliemann ist hochansteckend.

Fynn Kliemann im Videoporträt und TV-Fragebogen turi2.de/edition/kliemann


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#9_Schlussbesprechung_Turi2_Team Markus, Anne-Nikolin, Lea-Maria, Heike, Du

Markus

Markus Schlussbesprechung!

Sie heißt „Agenda 2020. Was wirklich wichtig wird“. Wir machen eine Art Vorschau auf die Themen der Kommunikationsgesellschaft in den neuen zwanziger Jahren. Wir diskutieren, welche Werte künftig gelten sollen.

Anne-Nikolin Schon? Wir müssen doch noch drei Videoreportagen schneiden und ein halbes Dutzend Interviews. Und vor allem: Der Film zum Buch ist noch nicht fertig.

Peter

Heike

Die „turi2 edition“ kann man ab 2020 weder kaufen noch abonnieren. Sie wird zu einer Art Clubausweis dafür, dass die Leser*innen zu den oberen 10.000 aus Medien, Wirtschaft und Politik gehören.

Und wir müssen die Launchpartys in Köln und München organisieren. Lea-Maria Also eigentlich stecken wir noch mitten in der Abgabe...

Markus

Peter

In ist, wer drin ist.

Sagt mal - überfordere ich das Team eigentlich manchmal?

Heike Super Spruch – ist notiert! turi2 wird ein Kommunikationsclub. Mit Clubmagazin, Clubfernsehen und Clubabenden. Wir führen den Diskurs ins echte Leben. Für die #10 gibt‘s im Januar das große Agendasetting-Treffen in Berlin. Die #11 Fußball und die #12 Vorbilder gehen auf eine Live-Tournee durch halb Deutschland.

Markus Manchmal?! Heike

Anne-Nikolin Also zumindest langweilt sich niemand

Lea-Maria

Lea-Maria

Hat nicht Groucho Marx mal gesagt: Ich möchte in keinem Club sein, der Leute wie mich aufnimmt?

Inhaltlich bringt es wirklich Spaß, auch organisatorisch, aber die Abläufe sind optimierungsbedürftig. Für die #10 schreibe ich uns mal ein 12-Schritte-Programm für die Produktion

Peter Okay, dann streichen wir den aus dem Freiverteiler.

Peter Wir erscheinen 2020 ja dreimal statt zweimal. Die #10 kommt schon im Januar.

Anne-Nikolin

192 · turi2 edition #9 · TV


6./7. November 2019 Design Offices ATLAS München ERLEBEN SIE U. A. DIESE SIEBEN KLUGEN KÖPFE.

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Die „turi2 edition“ wurde gedruckt auf Heidelberg Speedmaster XL 106 8-Farben-Maschine (Inhalt und Umschlag) Papier Inhalt: Sappi Magno volume 135 g/qm 1,08 vol. Papier Umschlag: Sappi Algro Design® Duo 300 g/qm 1,25 vol. Der Umschlag wurde 1-seitig veredelt mit einer kratzfesten Mattcellophanierung Aufbindung zu 16-seitigen Falzlagen, fadengeheftet auf einer Aster Pro 52 Das Einhängen des Buchblocks mit gefälzeltem Buchrücken erfolgte auf einem Müller Martini Bolero Klebebinder. Die Broschur wurde als Kösel FR100 Klappenbroschur mit freiem Rücken für optimales Aufschlagverhalten gefertigt






Personenregister Al-Dujaili, Sarah 78 Alexander, Robin 114 Altmeier, Lisa 47, 54 Arlt, Johannes 9, 78, 184 Aust, Stefan 112 Baumbach, Robert 100 Beckenbauer, Franz 61 Becker, Boris 154 Benz, Carl 96 Benz, Bertha 96 Biernat, Ute 163 Bilke, Nadine 165 Birken, Alexander 80 Biskup, Marc 148 Blavatnik, Leonard 172 Boehm, Klaus 178 Bogner, Franz Xaver 151 Bohlen, Dieter 128 Böhmermann, Jan 62, 66, 165 Boie, Johannes 118 BossHoss, The 90 Braun, Stefan 153 Brender, Nikolaus 174 Brink, Bernhard 162 Burdecki, Evelyn 181 Buser, Ulrich 152 Carrel, Rudi 60 Carrière, Elena 136 Conrad, Marc 128 Czieslik, Björn 142, 150, 162, 178 de Buhr, Thomas 172 Doetz, Jürgen 128 Döpfner, Mathias 111 Drews, Jürgen 162 Eichinger, Bernd 123 Eisenbichler, Markus 154 Elsner, Hannelore 123 Elstner, Frank 61, 64 Elstner, Thomas 72 Erhardt, Heinz 178 Esser, Christina 152 Feddersen, Jens 68 Ferch, Heino 130 Fetz, Steffi 51 Fischer, Anne 36, 56, 74, 166, 180 Fischer, Helene 66 Flohr, Sebastian 136 Frank, Horst 72 Fuchsberger, Joachim 60 Gaddum, Eckart 174 George, Götz 61, 123 Gerster, Gaby 64, 100, 132 Goldwyn, Samuel 7, Gottschalk, Thomas 59, 63, 66 Gramsch, Maria 160 Gray, Loren 160 Greuel, Andreas 156 Grimm, Imre 58 Grönemeyer, Herbert 66 Grzimek, Bernhard 146 Hadid, Gigi 92 Hagemann, Anne-Nikolin 9, 19, 86, 92, 96, 103, 154, 156, 163, 170, 184 Herbig, Michael „Bully“ 128 Hertel, Stefanie 176 Heufer-Umlauf, Klaas 68, 138 Heyna, Sascha 162 Hill, Martina 138 Hofmann, Nico 120 Hummels, Mats 34 Jarzabkowski, Jaroslaw 30 Jauch, Günther 162 Jürgens, Curd 66 Karasek, Hellmuth 132 Karasek, Laura 132, 165

Kebekus, Caroline 138 Kerkau, Florian 145 Kerner, Johannes B. 162 Kerschbaumer, Tatjana 151 Kiesbauer, Arabella 61 Kliemann, Fynn 184 Kloeppel, Peter 38, 48, 54, 142 Klum, Heidi 63 Knipper, Hermann-Josef 100 Kohl, Helmut 43 König, Florian 154 Kretschmer, Guido Maria 43 Kulenkampff, Hans-Joachim 60 Kurz, Kira 170 Lattke, Lovis 148 Lauterbach, Heiner 130 Leopold, Juliane 150 Lingen, Theo 72 Lippert, Wolfgang 60 Ludowig, Frauke 176 Maihoff, Charlotte 142 Maric, Damir 96 Markert, Thomas 168 Martinek, Lisa 123 Mehringen, Martin 80 Meiser, Hans 61 Merz, Florian 34 Meuser, Maik 142 Michalsky, Oliver 118 Neckermann, Josef 80 Nena 59 Neuer, Manuel 34 Niederauer-Kopf, Kerstin 180 Nössing, Birgit 154 Ochsenknecht, Cheyenne 136 Ohm, Tatjana 112 Osthaus, Markus 164 Otto, Benjamin 80 Otto, Michael 80 Otto, Werner 80 Park, Sun-Kwang 78 Penk, Wolfgang 66 Pet Shop Boys 59 Petry, Wolfgang 162 Pfrüner, Selina 38, 47 Poschardt, Ulf 116 Pratt, Philip 144 Quermann, Heinz 60 Raab, Stefan 176 Rach, Christian 178 Reich-Ranicki, Marcel 61 Reuther, Heike 120, 132, 165, 176, 181 Richter, Roland Suso 130 Rosemann, Daniel 176 Rosenthal, Hans 60 Rossmann, Torsten 112 Schäfer, Bärbel 61 Schäfer, Stephan 43 Schickedanz, Gustav 80 Schießler, Rainer Maria 151 Schirrmacher, Frank 123 Schmalstieg, Leon 170 Schöneberger, Barbara 128, 138, 162 Schrowange, Birgit 176 Schuld, Michael 86 Schulz, Olli 62 Schweighöfer, Matthias 145 Schwickerath, Marcel 110 Seifert, Christian 168 Shapira, Sahak 165 Sinnen, Hella von 42 Stascheit, Dirk 16, 182 Steffens, Dirk 146 Stolz, Anja 100 Strasser, Sebastian 96 Talinski, Holger 19, 120 Tall, Chris 145

Thiemer, Jens 92 Thoma, Helmut 42, 72, 128 Thunberg, Greta 43 Trantow, Markus 9, 146, 158, 164, 174 Türck, Andreas 162 Turi, Peter 38, 64, 78, 86, 92, 96, 100, 103 Twiehaus, Jens 9, 47, 110, 145, 168, 172 Uhrig, Till 158 Ulmen, Christian 88 Varell, Isabel 162 Voigt, Thomas 78 Völker, Mirco 103 Weber, Anke 180 Weidling, O.F. 60 Wenzek, Morten 148 Wiegand, Alexander 78 Winterscheidt, Joko 68, 138, 160

Funk 48, 188 Gamescom 101 Geo 40, 158 GfK 180 Goldmedia 145 Google 62, 172 Gruner + Jahr 43, 158 Handelsblatt Media Group 153 HBO 145 Health TV 178 Henri-Nannen-Schule 142 Herrlich Media 186 Home & Garden TV 178 Horizont 80 Hornbach 158 Hörzu 152 HR 142 HSE24 36 Hugo Boss 83

Yardim, Fahri 88 Yiming, Zhang 160

Impulse 80 InfoNetwork 42 Instagram 42, 48, 78, 94, 105, 132, 150, 160, 170, 188 Intel 34

Zetsche, Dieter 59 Ziemann, Sonja 72

Joyn 144, 174 Jung/von Matt 92

Medien und Marken 1-2-3.tv 36 About You 80 ADAC Motorwelt 152 AGF 180 Aldi Nord 158 Amazon 61, 62, 56, 80, 90, 128, 144, 174 Apotheken Umschau 152, 178 Apple 62, 145 ARD 36, 74, 90, 116, 128, 142, 144, 150, 163, 168, 174, 178, 180 Arte 182 Audible 172 Audio Now 43 auto, motor und sport 92 BBC 62 Bertelsmann 43 Bibel TV 178 Bild 148, 152 Blinkist 172 Blue Ocean 166 BMW 92 BR 74, 48, 151 Burda 166 Bushido 182 BuzzFeed Deutschland 150 Bytedance 160 Crowdspondent 51 Dazn 172 Deezer 172 Deloitte 178 Deutsche Bahn 103, 160 Deutsche Post 146 Deutsche Telekom 86, 128 Deutsches Musikfernsehen 178 Deutschlandradio 36, 142 DFL 168, 172 DHL 30, 34 Discovery 178, 180 Disney 145 Disney Channel 166 Dmax 178 Egmont Ehapa 166 ESL One 19 Eurosport 154 Facebook 51, 106, 150 Feuerzeug 170 FischerAppelt 103

Kaba 70 Kabel Eins Doku 178 Karstadt 150 KiKa 166 Kleinerdrei 150 Kollegah 182 Kölner Journalistenschule 146 Land & Leute 153 Landlust 153 Leo Burnett 103 LinkedIn 105 Lufthansa 158, 176 Lufthansa-Magazin 158 Madsack 59, 164 manager magazin 80 Mars 172 Maxdome 74 Mercedes 34, 92, 96, 103 Microsoft 168 MTV 51, 168 Müller, Tarek 80 N24 112, 154 NDR 164, 188 Netflix 50, 56, 61, 90, 96, 104, 120, 144, 172, 180 Neuen Ruhr Zeitung 68 Nick 166 Nielsen 180 Nitro 178 NZZ 150 Otto Group 78 Pedigree 172 Persil 74 Phoenix 48 Planet C 153 Playboy 181 Politico 116 Posche 92, 158 Prisma 152 ProSieben 74, 176, 178, 180 ProSiebenSat.1 112, 128, 144, 172, 174, 176, 178, 180 QVC 36, 162 R+V Versicherung AG 100 Radio Luxemburg 66 Rama 105 Redaktions-Netzwerk Deutschland 59 Rheinpfalz 123 RTL 38, 50, 59, 62, 74, 68, 128, 142, 144, 156, 164, 172, 174, 176, 178, 180, 181

RTL2 163, 178, 182 RTLplus 178 rtv 152 S-Bahn Berlin 104 Sat.1 74, 164 Sat.1 Gold 178 Schalke 04 34 Servus TV 154 Sky 90, 154, 172 Snapchat 105, 148 Spiegel 48, 112, 152 Sport1 34 Springer 112, 148 SR 142 stern 40, 152, 156 Süddeutsche Zeitung 48 Super RTL 166 Tagesschau 48, 142, 150 Tagesspiegel 152 Tatort 59, 62, 90, 166, 174 Tchibo 34 Tele 5 180 Territory 158 TikTok 83, 94, 105, 160 TLC 178 TV Now 128, 144, 174 TV Spielfilm 152 TVN 164 tvtv 152 Twitch 182 Twitter 48, 150 Ufa 123, 163 Unity Media 90 Verstehen Sie Spaß..? 64, 136 VfL Wolfsburg 34 Viacom 180 Vodafone 90 Vox 128, 135, 146 WDR 48, 142 WeChat 92, 105 Welt 110, 180 Welt der Wunder TV 178 Wer wird Millionär 36, 136 Werben & Verkaufen 80 Wetten, dass..? 60, 64, 136, 176 Whiskas 172 YouTube 42, 48, 56, 61, 62, 74, 94, 96, 104, 150, 160, 170, 174, 178, 180, 181, 184 ZDF 36, 66, 90, 116, 128, 135, 144, 146, 164, 165, 174, 178, 180 ZDF Info 174 ZDFneo 135, 165, 174 Zee One 178 Zeit 48, 70, 150 Zooagency 74


TOTA LE V I EL FALT Als die Bilder laufen lernten, lockten sie die Menschen ins Kino, der Fernseher machte aus dem Familienkreis einen Familienhalbkreis. Heute ist die bewegte Welt dank Smartphones immer nur eine Armeslänge entfernt. Was das für die Macher bedeutet und wer die Köpfe und Trends der Branche sind, beschreibt dieses Buch auf üppigen 200 Seiten

turi2 edition 9 – TV

Deutschland EUR 20,–

9 783981 915549 ISBN 978-3-9819155-4-9 ISSN 2366-2131


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