Herr Mischke, haben Sie den Spaß am Sex verloren? Ja, ich habe tatsächlich den Spaß am Sex verloren. Also den Spaß daran, darüber zu berichten, zu schreiben, ein Autor zu sein, der sich mit diesen Themen beschäftigt. Sexualität an sich ist natürlich nie auserzählt, aber so, wie ich sie sehe und wie ich mich dazu äußern will, schon.
Thilo Mischke
Foto: Florian Baumgarten
wird 1981 in Ost-Berlin geboren. Er studiert Japanologie und Kulturwissenschaften, volontiert beim Videospiele-Magazin „Gee“ und arbeitet danach als freier Reporter für verschiedene Printmedien. Seit 2016 produziert er mit seinem Team „Uncovered“ auf ProSieben. 2020 gewinnt Mischke den Bayerischen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage „Deutsche an der IsisFront“
Das ist aber ein radikaler Wandel: Vor zehn Jahren sind Sie bundesweit bekannt geworden mit dem Buch „In 80 Frauen um die Welt“. Außerdem hatten Sie lange Zeit Sex-Kolumnen bei „Prinz“ und „Jolie“ und forschten „unter fremden Decken“ nach dem besten Geschlechtsverkehr des Globus. Heute sehen wir Sie stattdessen in politischen Infotainment-Formaten wie „Rechts. Deutsch. Radikal.“. Diese Dinge haben mir damals einfach sehr viel Spaß gemacht. Ich habe gerne darüber geschrieben, ich war Mitte 20. Aber so mit Anfang 30, zu der Zeit als „Unter fremden Decken“ im Fernsehen kam, hatte ich schon das Interesse daran verloren. Heute werde ich ab und zu noch zu Talkrunden eingeladen – oder wenn es ein neues Dokuformat gibt. Arte hatte mal angefragt, ob ich nicht Bock hätte, was zu Pornografie zu
sagen. So etwas lehne ich dann tatsächlich ab, das passt nicht mehr zu mir. Persönlich habe ich das Gefühl, es ist nicht mehr Teil meiner Identität. Leben wir in einer Zeit, in der das Politische wichtiger ist als das Private? Oder zumindest: Ihnen wichtiger? Wir leben in einer Zeit, in der Privates und Politisches mittlerweile Hand in Hand gehen. Personen des öffentlichen Lebens, die sich auf Instagram, TikTok oder Twitter äußern, müssen das mittlerweile politisch tun. Wenn wir uns recht erinnern, gab es vor zwei Jahren eine Debatte, die sagte: Leute, ihr müsst eure Reichweite nutzen, um politisch zu sein. Es war nämlich ganz lange nicht en vogue, in den sozialen Medien eine Haltung zu haben. Da ging’s eher darum: Was hab’ ich zu Mittag gegessen, was ziehe ich an, womit schminke ich mich, wohin fahre ich in den Urlaub? Das hat sich aber geändert. Und so wie ich früher über Sex berichtet habe und jetzt aus Kriegsgebieten berichte, hat natürlich auch ein Influencer das Recht darauf, seine Haltung so im Internet darzustellen. Politische und kritische Formate lassen sich ja auch bei den ÖffentlichRechtlichen machen. Abgesehen von einem zweijährigen TalkshowAusflug zu ZDFneo ken-
nen Zuschauer*innen Sie eher aus dem Privatfernsehen. Wollen die Öffentlich-Rechtlichen Sie nicht oder wollen Sie nicht zu denen? In meiner gesamten Karriere als Journalist gab es nur eine einzige Sache, die ich wollte. Ich wollte mal zum „stern“. Ich wollte wirklich gerne für dieses Reportagemagazin arbeiten, was ich dann auch drei Jahre gemacht habe. Aber es gab in meiner Karriere keinen Punkt, an dem ich gesagt habe: Ich möchte zu den Öffentlich-Rechtlichen. Es ist eher so: Ich bin beim Fernsehen, weil meine Auslandsreportagen im Print nicht mehr bezahlt wurden. Und ich wollte immer ins Ausland, das war das Ding. Ansonsten will ich einfach meine Filme machen. Was leistet Privatfernsehen in Ihrem Bereich, was die Öffentlich-Rechtlichen nicht können? Oder nicht wollen? Die Privaten haben keine Angst und nicht 70 Redakteure auf einer Position, für die du eigentlich nur zwei Redakteure brauchst. Es fehlt zumindest bei ProSiebenSat.1 dieser riesige Apparat an Journalisten, die alle eine Meinung zu einer Sache haben und mitbestimmen wollen. Das ist ja auch verständlich: Niemand von uns möchte 40 Jahre für eine Anstalt arbeiten und dann wegen den „Jungen“ zum alten Eisen gehören und in
»Ich bin beim Fernsehen, weil meine Auslandsreportagen im Print nicht mehr bezahlt wurden« 131 · turi2 edition #13 · Agenda 2021