turi2 edition #12 Vorbilder

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Vom Laufburschen zum Verleger, vom Lokalredakteur zum Medienunternehmer: Jakob Funke schreibt für die Menschen und gründet eine Zeitung aus dem Nichts. Das lehrt seine Enkelin, Verlegerin Julia Becker, was Journalismus mit Herz bedeutet

jedenfalls keine ungebräuchlichen, keine unverständlichen Fachausdrücke. Genaue Angaben der Wochentage, nicht ‚heute‘ oder ‚gestern‘.“ Gerade die sprachliche Präzision hat zum Erfolg der „WAZ“ beigetragen. Eine neue Zeitung aus dem Nichts zu gründen, ist nicht leicht. In den Nachkriegsjahren fehlt es an allem. Mitarbeiter, Räume, Schreibmaschinen, Papier, Druckmaschinen – all das und mehr organisiert Jakob Funke. Als begeisterter Regionaljournalist und begnadeter Netzwerker verfügt er über unzählige Kontakte. Vor ­allem aber kann er Menschen für sich und sein Anliegen gewinnen – sie mögen Köbes, weil er absolut verlässlich ist und für sein Zeitungsprojekt brennt. Auch in dieser kommunikativen Energie und unternehmerischen Gestaltungskraft ist mir mein Großvater Vorbild. Gerecht werden wir ihm nur, wenn wir uns an ihn als journalistisch denkenden Verleger erinnern. „Hier, im Journalismus und im Publizistischen, war er eigentlich zu Hause“, sagt meine Mutter Petra Grotkamp, „das Kaufmännische war natürlich wichtig, aber immer nur Mittel zum Zweck, nämlich um Journalismus zu ermöglichen.“ Auch dieser Prioritätensetzung fühle ich mich verpflichtet: wirtschaftlicher Erfolg, um unabhängigen Journalismus zu finanzieren. Den brauchen wir, wenn die freiheitliche Gesellschaft eine Zukunft haben soll. Jakob Funke hat einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer freien Presse und damit zum Aufbau unserer Demokratie geleistet. Es ist an uns, seinen Weg weiter zu verfolgen. Journalismus aus Leidenschaft, Lesernähe, kommunikative Kraft und verantwortliches Unternehmertum sind die Wegmarken.

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Julia Becker führt die Funke Mediengruppe in dritter Generation. Becker studierte Germanistik, Anglistik, Theater- und Politikwissenschaften. Seit 2012 sitzt sie im Funke-Aufsichtsrat, seit 2018 als Chefin

Fotos: picture alliance (1), Funke (1), NRZ (1)

A

n meinen Großvater habe ich nur vage Erinnerungen, ich war drei, als er starb. Aber es gibt unzählige Geschichten in der Familie, vor allem aber viele Artikel von ihm selbst. Denn Jakob Funke war leidenschaftlicher Journalist. Geboren 1901 als Sohn eines Schlossers stürmt „Köbes“, wie alle Welt ihn nennt, schon mit 14 Jahren in die Zeitungswelt - zunächst als Laufbote im „Rheinisch Westfälischen Anzeiger“. Bald steigt er zum Redaktionssekretär, Berichterstatter, Redakteur, dann zum Hauptschriftleiter des „Essener Anzeigers“ und nach dem Krieg zum Lokalchef der „Neuen Ruhr Zeitung“ auf. Liest man Jakob Funkes Texte, fällt sein untrügliches Gespür für regionale Themen auf. Und seine intellektuelle und sprachliche Fähigkeit, direkt ins Herz zu treffen. Davon lebt guter Journalismus: Journalisten sollen für ihre Leserinnen und Leser schreiben und nicht in erster Linie eigene Interessen befriedigen. Seine Berichte und Kommentare zeichnen sich über alle politischen Veränderungen hinweg durch klares, häufig mutiges Urteilsvermögen aus. „Bei ihm gab es keine halben Wahrheiten“, heißt es in einem Artikel zu seinem 50. Geburtstag, „Ja war Ja. Nein blieb Nein.“ Immer ist seine Sympathie, ja Liebe zum Revier zu spüren. Stets ist er konstruktiv, gerade dort, wo er kritisiert. Keine Frage, mein Großvater schrieb für die Menschen, deren Sorgen, Nöte, Erwartungen und Hoffnungen er kannte wie kein Zweiter. Nie finden sich zynische oder hämische Töne, von denen sich heute gar nicht selten auch Journalisten in den sozialen Netzwerken infizieren lassen. Journalismus aus Menschenliebe – auch hier kann Jakob Funke heute Maßstab sein. Sein verlegerisches Wirken beginnt, als er mit Erich Brost die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) entwickelt – eine neue, unabhängige, der Demokratie verpflichtete Zeitung für das Ruhrgebiet. „Oberstes Gebot ist sorgfältige Berichterstattung“, heißt es im „Grundgesetz“ der „WAZ“ von 1948, „immer interessant und leicht lesbar. Die menschliche Seite ist wesentlich.“ Hier hört man meinen Großvater. Auch wenn es um die Sprache geht: „Kurze, straffe Sätze, Vermeidung unnötigen Beiwerks (...) viel direkte Rede, wenig Fremdworte,


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