turi2 edition #12 Vorbilder

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Greta Thunberg bringt die Mächtigen zum Nachdenken und zeigt, dass man auch als Einzelperson viel bewegen kann. Für Klimaaktivistin Gwendolyn Rautenberg ist Greta eine von vielen, die gerade die Welt verändern

Menschen für- und miteinander auf die Straße gehen. Aktuell auch in Zeiten von Corona, in welcher endlich die Wichtigkeit von undankbaren Jobs in der Pflege zutage kommt, und in der Black-Lives-Matter-Bewegung. Trotz vieler Hindernisse, Klimawandelleugner*innen und ordentlich Gegenwind aus der Politik bin ich einfach nur froh, Teil dieser Bewegung sein zu dürfen und mitzuerleben, wie sich so viele Menschen den Hintern für ein gemeinsames Ziel aufreißen. Der Glaube an Veränderung ist da und, meiner Meinung nach, auch der Grundstein für eine neue und solidarische Gesellschaft. Kritik am eigenen Handeln spaltet nicht mehr, sondern spornt an. Würde mir heute jemand sagen, dass mein Handeln unterdrückende Strukturen unterstützt, würde ich darüber nachdenken, wie ich dem entgegenwirken kann – statt in eine Abwehrhaltung zu verfallen. Das habe ich all denen zu verdanken, die mir in Diskussionen die Augen öffnen und faktenbasiert argumentieren, sich aber gleichzeitig auch der eigenen Fehlbarkeit bewusst sind. Also allen, die mit mir, in anderen Formen des Aktivismus oder lange vor Fridays for Future, lange vor 2020, für eine gerechtere Welt kämpfen und gekämpft haben. Und ganz besonders denen, die um der Sache willen auch undankbare Jobs übernehmen. Die vor dem Streik nachts noch ein Banner zusammennähen oder sich um die IT kümmern. Eigentlich habe ich also gar kein Vorbild im engeren Sinne – auch nicht Greta. Sondern werde immer wieder von den individuellen Beiträgen jedes*r Einzelnen inspiriert. Und dafür einfach mal: Danke.

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Gwendolyn Rautenberg lebt in Brandenburg an der Havel und macht 2021 Abitur. Seit Februar 2019 engagiert sie sich bei Fridays for Future. Sie gründete eine Ortsgruppe in ihrer Heimatstadt und ist inzwischen auch auf Bundesebene aktiv

Fotos: Holger Talinski (1), picture alliance (1)

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ls ich klein war und mit einem Mädchen Streit hatte, sagte meine Schwester etwas, das ich bis heute nicht vergessen habe: „Du weißt nie, was eine Person durchgemacht hat. Alle Menschen haben einen Grund, so zu sein, wie sie sind.“ Diese Worte haben mir geholfen, nicht immer mit dem Kopf durch die Wand zu preschen, sondern abzuwarten, was mein Gegenüber zu sagen hat. Aber mich prägen auch andere in meiner Art, mich zu engagieren und zu diskutieren. Eine von ihnen ist Greta Thunberg. Denn wenn es um essentielle gesellschaftliche Probleme ging, insbesondere um die Klimakrise als deren summa summarum, habe ich mich immer seltsam gelähmt gefühlt. Gelähmt von der Nachrichtenflut, die jeden Tag auf uns einprasselte. Bilder von Krieg, so allgegenwärtig wie Dokumentarfilme über die Zerstörung unseres Planeten. Ich wusste, dass etwas falsch läuft. Ich denke, wir alle wussten es. Ich dachte nur nicht, dass ich als Einzelperson in diesem riesigen Gefüge aus Wirtschaft und Staat einen Unterschied machen könnte. Doch als ich Gretas ersten Ted-Talk sah und die Bewegung so langsam in Deutschland ankam, wurde mir klar, dass es vielen so ging wie mir. Immer mehr Demos fanden statt. Bei meiner ersten mit Fridays for Future standen wir fünf Minuten vor Beginn noch alleine mit dem Orgateam auf dem Platz. Sie sollte die größte der Stadt seit der Wende werden. Ein Rekord, den wir selbst seitdem immer wieder überbieten. Die mit Greta entstandene Klimagerechtigkeitsbewegung ist für viele ein Schimmer der Hoffnung – vor einer unbeugsamen Wand aus der surrealen Gier nach beständigem Wachstum einer innovationsresistenten Wirtschaft. Und dem „Das war schon immer so“ von Politik und öffentlicher Meinung. So viele junge und alte Menschen verstehen plötzlich, dass sie doch etwas ausrichten können, solange sie nur dafür einstehen. Gretas Kommunikationsgeschick brach durch die Medien und brachte Bewegung in das globale Geschehen. Was sie schaffte und immer noch schafft: Den Sorgen vieler Menschen eine ehrliche Stimme zu geben, ohne für diese sprechen zu wollen. Mitstreiter*innen fanden sich. Und mit ihnen eine neue Protestkultur, in der


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