turi2 edition #12 Vorbilder

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Nelson Mandela sitzt für seine Überzeugung 27 Jahre lang im Gefängnis – und schafft es, nicht zu verbittern. Werber Marcel Loko über seine besondere Verbundenheit mit dem Friedensnobelpreisträger

ist Mandela frei – nach 27 Jahren. Was mich an seiner Story rührt, ist die fast unglaubliche Tatsache, dass sie nicht mit seiner Freilassung endet. Sondern sich zu einer noch größeren Heldengeschichte mit Happy End entwickelt. Im Gegensatz zu Martin Luther King, Abraham Lincoln oder Mahatma Gandhi, die ermordet wurden, bevor sie ihre Visionen vollenden konnten. Auch wenn Südafrika heute eine von Kriminalität und wirtschaftlichen Problemen durchdrungene Gesellschaft ist, kann man die Leistung Mandelas nicht hoch genug bewerten. Unter seiner Präsidentschaft hat Südafrika einen Systemwechsel ohne großes Blutvergießen, ohne Bürgerkrieg geschafft. Die Welt ist sich einig: Ohne Mandela wäre der Übergang zum demokratischen Staat, in dem alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe gleiche Rechte haben, so nicht möglich gewesen. Am Tag nach der Haftentlassung hält Mandela im Nationalstadion in Johannesburg eine Rede vor 120.000 Zuhörern. Er verkündet seine Politik der Versöhnung, lädt „alle Menschen, die die Apartheid aufgegeben haben“ zur Mitarbeit an einem nichtrassistischen, geeinten und demokratischen Südafrika mit allgemeinen, freien Wahlen und Stimmrecht für alle ein. Ein unfassbarer Akt von Größe und Sanftmut nach 27 Jahren Haft und einem Jahrhundert Unterdrückung. Wenn Zuversicht, Mut, Toleranz und ein langer Atem schließlich zum Erfolg führen, finde ich das unglaublich ermutigend. Bekomme ich mit, wie Menschen aufgeben, kein Licht am Horizont sehen, ihre Situation für aussichtslos halten: Dann hilft es, sich ein Beispiel an Mandelas Spirit zu nehmen.

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Marcel Loco hat BWL, Geschichte und Kunst in Köln, Paris und New York studiert. 1995 gründet er zusammen mit Bernd Heusinger die Werbeagentur Zum goldenen Hirschen und zehn Jahre später mit Martin Blach die Hirschen Group, deren CEO und Kreativchef er bis heute ist. Er gilt als einer der kreativsten Werber Deutschlands

Fotos: Günther Schwering (1), picture alliance (1)

A

m 11. Juni 1988 gibt es eine Geburtstagsfeier mit 80.000 Gästen, bei der das Geburtstagskind fehlt. Es sitzt im Gefängnis. Auf Robben Island, einer Insel vor Kapstadt, auf der das Apartheidsregime Südafrikas politische Gefangene festhält. Ich spreche vom „Nelson Mandela 70th Birthday Tribute“-Konzert im Londoner Wembley-Stadion. Mit dem Begriff Vorbild habe ich mich schon immer schwergetan. Wenn ich mich aber für eines entscheiden muss, ist es Nelson Mandela. Dieser ältere Herr mit gütigem Blick, aristokratischer Aura, ernstem, gleichzeitig spöttischem Lächeln und sanfter Stimme. Ich bin schwarz von meinem kongolesischen Vater her und weiß von meiner Mutter aus Halle an der Saale, also multiethnisch geprägt. In Deutschland geboren, lebte ich vom fünften bis neunten Lebensjahr in Kinshasa. Wo mich schwarze Kinder fragten, ob mein Blut orange sei und mir vorwarfen, dass meine weiße Mutter eine böse Kolonialherrin sei. Später ging ich in Berlin auf die französische Schule, wuchs hybrid deutsch-französisch, europäisch-afrikanisch auf. Für mich war von Kindheit an die Beurteilung von Menschen nach Sprache, Hautfarbe oder Religion etwas Absurdes. Was mich natürlich nicht davor bewahrt hat, auch in Deutschland und Frankreich Rassismus-Erfahrungen zu machen. Allerdings hatte ich nie die Haltung, alle Weißen oder Schwarzen über einen Kamm zu scheren oder beispielsweise alle Weißen des Rassismus zu bezichtigen. Eine ähnliche Haltung erkannte ich bei Mandela: Aus dem Guten und Offenen im Menschen die Kraft zur Veränderung entwickeln. Das Apartheidsregime war von Kindheit an für mich das schlimmste politische Symbol. Am 11. Juni 1988, dem Tag des Konzerts von London, senden also die berühmtesten Musiker, Schauspieler und Aktivisten weltweit eine Botschaft: Beendet die Apartheid in Südafrika, lasst Nelson Mandela frei! Er selbst braucht diesen Support. Das Konzert gibt ihm Lebenselixier, Optimismus, dass sich doch etwas ändern wird, wie er später in seiner Autobiografie schreibt. Mich bestätigt diese weltweite Anteilnahme in meiner inneren Einstellung: Kommen alle Guten zusammen, kann das Böse besiegt werden. 20 Monate später


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