turi2 edition #12 Vorbilder

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Judith Holofernes wird Anfang der 2000er mit der Band „Wir sind Helden“ und schlauen, gesellschaftskritischen Texten bekannt, feiert Charterfolge, spielt vor Millionenpublikum. Heute hat sie sich von der großen Bühne verabschiedet, finanziert ihre Kunst über Crowdfunding. Und findet: Als Held*in muss man sich ab und zu selbst vom Sockel stoßen Von Anne-Nikolin Hagemann (Text)

Also stört Sie am Denkmal das Stillstehen. Genau. Daran musste ich auch denken, als wir aufgehört haben mit „Wir sind Helden“: Leute wollten mich verzweifelt überreden, weiterzumachen. Das passiert bis heute. Ich bin mit einem Lied bekannt geworden, in dem ich gegen das Versteinern ansinge. Da hätte man als Fan ja ahnen können, dass ich Wachstum, Entwicklung und Veränderung mag. Warum haben Sie sich den Bandnamen „Wir sind Helden“ gegeben? Damals war der Heldenbegriff sehr allgegenwärtig. Und ich fand es gut,

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das auszuhöhlen und sozusagen zu kapern. Wobei der Name natürlich sehr viel lustiger für eine Band war, die kein Schwein kennt. Als wir bekannt wurden, hat der Name seine Ironie eingebüßt. Würden Sie sagen, Popstars sind heute überhaupt noch Helden? Ich beobachte eine Art Entmystifizierung von Leuten, die berühmt sind. Nachdem jetzt alle zehn Jahre lang in den sozialen Medien ihre Selbstdarstellungskünste poliert haben, gibt es plötzlich diese schonungslose Selbstoffenbarung. Fast schon als Befreiungsbewegung. Immer mehr Leute merken, dass man wirkliche Freiheit nur erreicht,

Foto: PR

Vor fast 20 Jahren haben Sie die Textzeile „Hol den Vorschlaghammer! Sie haben uns ein Denkmal gebaut“ geschrieben. Was haben Sie gegen Denkmäler? Gegen Denkmäler habe ich dann etwas, wenn sie dazu beitragen, etwas zu versteinern – in dem Fall die Liebe. Was übrigens kaum jemand weiß: Die Aufgabe, über das Thema Denkmal zu schreiben, kam aus einem Texter-Seminar. Ich fand sie saublöd. Dann bin ich spazieren gegangen, habe an meinen ersten Freund gedacht und daran, wie wir uns in unserem Umfeld eingerichtet, uns festgeredet und unsere Beziehung quasi in Stein gehauen haben. Und – zack – war der Song da.


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