turi2 edition #12 Vorbilder

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Die Juristin kämpft seit Jahrzehnten gegen die Ungerechtigkeit. Mit der „Lex Peschel“ setzt sie in den 60er Jahren das Recht auf Teilzeit und Babypause für Beamtinnen durch – trotz dreier Kinder nimmt sie es selbst nie in Anspruch. Journalistin Teresa Bücker ist beeindruckt

gerade am meisten bewirken? Ihr Lebensweg macht Lust, sich immer wieder zu verändern. Da ihre großen Themen – Gleichberechtigung und Kinderrechte – noch immer unvollendet sind, hat sich die mittlerweile 87-Jährige noch immer nicht zur Ruhe gesetzt. Unermüdlich gibt sie ihren Wissensschatz an jüngere Frauen weiter. Ihre 2012 erschienene Autobiografie „Selbstverständlich gleichberechtigt“ ist das bessere „Lean in“ von Facebook-Chefin Sheryl Sandberg. Peschel-Gutzeits Ratschläge nehmen die strukturelle und die individuelle Ebene von Frauenkarrieren in den Blick. Sie weiß, dass persönliche Anstrengung allein nicht ausreicht, dass Gesetze und bedingungslose Solidarität von Frauen wichtig sind, um die gläserne Decke zu sprengen. Anders als Sandberg vergisst sie in ihren Tipps nie, dass Menschen unterschiedliche Voraussetzungen haben und nicht jeder Karrieretipp für jede*n anwendbar ist. Wie sie sich als alleinerziehende Mutter organisiert hat und was dabei schief ging, erzählt sie ehrlich, selbstkritisch und mit Humor. Peschel-Gutzeit hält nichts davon, private Herausforderungen auszublenden. Auch hier ist ihre Devise: Es gibt kreative Lösungen für alles. Das macht Mut. Ebenso wenig hält sie davon, zwischen beruflichem und privatem Ich zu unterscheiden und sagt: „Jeder, der mich kennt, hat mit genau derselben Lore Maria Peschel-Gutzeit zu tun.“ Vielleicht erklärt das ihre Erfolge: Wer sich nicht verstellen muss, hat genug Energie für all seine Vorhaben. Bis ins hohe Alter.

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Teresa Bücker gilt als profilierte Feministin und Journalistin. Als Chefredakteurin des OnlineMagazins „Edition F“ wurde sie bekannt. Seit 2019 schreibt sie frei, u.a. für „SZ-Magazin“ und „Zeit“. @fraeulein_tessa hat über 75.000 Twitter-Follower*innen

Fotos: imago images (1), picture alliance (1)

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as wird sich ändern!” ist einer der Sätze, der die Persönlichkeit von Lore Maria PeschelGutzeit auf den Punkt bringt. Die Juristin und Rechtspolitikerin ist seit Jahrzehnten eine Vorkämpferin für Frauen- und Kinderrechte. Sie reißt Menschen mit, wenn sie spricht. Wie ernst sie ihre Anliegen nimmt und dass sie bereit ist, viel dafür zu tun, belegt nicht nur ihre beeindruckende Biografie. Sie formuliert ihre Werte und Ziele auch unmissverständlich. Wenn Menschen über Missstände sprechen, heißt es häufig: „Das muss sich ändern.“ Sehen Sie den Unterschied? „Das wird sich ändern“, denkt Peschel-Gutzeit, als Mitte der 60er Jahre eine Richter-Kollegin ihren Beruf aufgeben muss, um ihr behindertes Kind zu pflegen. Beamtinnen ist es zu dieser Zeit weder möglich, sich eine Zeit lang beurlauben zu lassen, noch Teilzeit zu arbeiten. Eine Frau, die sich um ihre Familie kümmern will oder muss, hat keine andere Wahl, als ihren Beamten-Status aufzugeben. Peschel-Gutzeit nimmt sich vor, etwas dagegen zu tun. Schon drei Jahre später erreicht sie ihr Ziel. Dabei hatte sogar eine Bundesverfassungsrichterin die damals Mitte 30-Jährige davor gewarnt, ihr Anliegen weiter voranzutreiben. Was bis heute unter Jurist*innen als „Lex Peschel“ bekannt ist, macht möglich, dass Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes nach der Geburt eines Kindes ihren Beruf pausieren oder in Teilzeit ausüben können – der Vorläufer für den gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit und die Elternzeit, wie wir sie heute kennen. Ohne die Initiative von Peschel-Gutzeit hätte sich die Modernisierung der Berufswelt in Deutschland um Jahre verzögert. Dazu sei gesagt: Peschel-Gutzeit nimmt das von ihr initiierte Gesetz nie selbst in Anspruch, obwohl sie in ihrer Zeit als Beamtin drei Kinder bekommt. Ihr Antrieb für mehr Gerechtigkeit ist selbstlos. Was die Juristin für mich zu einem Vorbild macht? Dass sie ihre Privilegien und ihr großes Gerechtigkeitsempfinden als Auftrag versteht. Denn Veränderung schafft nicht, wer lediglich Unrecht kritisiert. Von ihr kann man lernen, stets zu fragen, wie sich ein Problem lösen lässt und was man selbst dazu beitragen kann. Ich habe von ihr gelernt, mich zu fragen: Wo kann ich


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