turi2 edition #11 Fußball (in schweren Zeiten)

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FUSSBALL-DOKUMENTATIONEN

Arrangierte Authentizität Streaming-Dienste zielen mit der dramatischen Inszenierung des Fußballs auf die Fan-Seele. Echte Einblicke ins Milliardengeschäft Fußball bleiben die Ausnahme

Fotos: picture alliance (1), PR (2)

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ie Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land machte sporthistorischen Stoff derart populär, dass er es bis auf die Kinoleinwand schaffte. Beispielhaft dafür: Sönke Wortmanns Spielfilm „Das Wunder von Bern“ und seine Dokumentation „Deutschland. Ein Sommermärchen“. Danach passierte lange nichts. Der Hype schien vorüber, kaum dass er begonnen hatte. Ausgehend von einer DokuSerie über den FC Liverpool wurde das Genre auf Vereinsebene 2012 wiederbelebt – und scheint aktuell lebendig wie nie. Nicht nur europäische TopTeams, auch Kult-Klubs wie der TSV 1860 München, Eintracht Frankfurt oder die TSG Hoffenheim entdeckten den Charme des inszenierten Storytellings zur Markenpflege. Liefen die Streifen anfangs über eigene Social-Media-Kanäle, etwa auf YouTube, oder wurden von einem Pay-TV-Sender gesponsert und produziert, so eröffnet die längst auch hierzulande exponentielle Verbreitung von Streaming-Diensten wie Netflix, Dazn oder Amazon Prime

Vereinen und Spielern ganz neue Möglichkeiten. Die Dokumentationen präsentieren die Klubs als perfekt organisierte Systeme und Fußball als Hochglanz-Produkt, dramaturgisch aufbereitet in starken Bildern und großen Gefühlen. Es ist auch der Versuch, der Entfremdung von der eigenen Fan-Basis Einhalt zu gebieten, die hermetische Abschottung und professionelle Medienarbeit nicht nur der Top-Vereine bewirkt haben. Am Ende geht es ums Geld: Eigenmarketing in einem von zunehmendem Kommerz geprägten wie getriebenen Sport, der auf die Kapitalisierung von Marken setzt. Entscheidend für den Erfolg der von den Streaming-Diensten in der Regel selbst in Auftrag gegebenen Fußball-Dokus ist, dass Protagonisten und Thema über eine spitze Zielgruppe hinweg massentauglich sind. Dann haben die eigenproduzierten Inhalte das Zeug, neue Abonnenten zu ködern. Mit denen im Rücken lässt es sich besser um Medienrechte im Sport mitpokern. Tatsächlich gibt es nur sehr wenige

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Produktionen, die echte Einblicke in das Milliarden-Geschäft geben und einfühlsame Psychogramme ihrer Helden zeichnen. „Trainer!“ auf Netflix zählt dazu, ebenso „Tom meets Zizou – kein Sommermärchen“ oder „Sunderland ’til I die“. In Erinnerung bleiben zudem die Amazon-Dokuserie „Six Dreams“ und eine vierteilige Dazn-Doku über den Dortmunder Spieler Mario Götze. Der Fußball als Sujet ist hier allenfalls dankbare Kulisse. Genau das könnte die Chance für klassische Sender sein, sich der digitalen Konkurrenz auf diesem Feld zu erwehren: Geschichten, angelegt im Stile klassischer Dramen, die von Aufstieg und Fall, von Hoffnung und Enttäuschung erzählen. Exemplarisch hierfür steht „Mata Mata – Spiel des Lebens“, erstmals ausgestrahlt Ende Mai 2014 im Ersten. Auch in anderer Weise könnten die klassischen Medien die gestreamten Fußball-Werbefilmchen kontern: mit Formaten, die sich kritisch mit diesem Sport auseinandersetzen. Bijan Peymani


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