REINER CALMUND
Zirkus con Calli Reiner Calmund wusste einst die Wende schlau zu nutzen. Heute ist der Ex-Manager mal Fußballerklärer, mal Ulknudel – und längst seine eigene Marke
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ovember 1989, die letzten Tage der DDR sind angebrochen. Deren Nationalteam spielt in Wien gegen Österreich um die Qualifikation zur WM 1990. Reiner Calmund, Manager von Bayer 04 Leverkusen, wittert seine große Chance. Er schickt Jugendtrainer Wolfgang Karnath nach Wien, inkognito als Fotograf. Der Auftrag: Kontakt mit den gut abgeschirmten DDR-Stars aufnehmen, Adressen und Telefonnummern besorgen. Calmund will die „fußballerischen Schätze“ der untergehenden Republik nach Leverkusen lotsen. „Wir mussten schnell sein“, erinnert er sich fast 30 Jahre später. Ihm gelingt ein außergewöhnliches Wende-Manöver: Wenige Wochen später ist der Wechsel von Top-Stürmer Andreas Thom fix, bald darauf folgt sein Kollege Ulf Kirsten. Zwei Kracher, die Bayer an die Spitze schießen werden. Ein Verdienst des schlitzohrigen Reiner Calmund, der immer wieder spektakuläre Spieler wie Bernd Schuster, Rudi Völler, Michael Ballack und Zé Ro-
berto für Bayer 04 gewinnt. Den Ruf des Werksclubs, des Pillenvereins, poliert er dadurch mächtig auf. 1976 steigt Calmund, der gelernte Außenhandelskaufmann, als Jugendleiter und Stadionsprecher bei Bayer 04 Leverkusen ein und übernimmt danach die Regie im Lizenzfußball. Uefa-Cup-Sieger 1988, DFB-Pokalsieger 1993, ChampionsLeague-Finalist 2002, dazu vier Vizemeisterschaften – seine Erfolge können sich sehen lassen. Calmund ist erst 55 Jahre alt, als er 2004 aufhört – aus gesundheitlichen Gründen, wie es heißt. Später wird bekannt, dass er wegen ungeklärter Transferzahlungen entlassen wurde. Ein Mann wie Calli verschwindet deshalb nicht von der Bildfläche. Er wird WM-Botschafter, Beirat bei Fortuna Düsseldorf, SK Austria Kärnten und Dynamo Dresden. Berät HSV-Mäzen Klaus-Michael Kühne, ist TV-Experte bei Sky, hält Vorträge, schreibt Bücher („Fußballbekloppt“, „Eine Kalorie kommt selten allein“). Calmund ist mal Ulknudel, mal Fußballerklärer, ein
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Tausendsassa mit riesigem Netzwerk und hoher Medienpräsenz. Calli, das Unikum, wird zu seiner eigenen Marke. Über 20 Firmen, unter anderem Müller Milch, O2 und Eismann, engagieren ihn als Werbefigur. Nur die Rolle des „gemütlichen Dicken“ ist ihm nun zu schwer geworden. Nach vielen vergeblichen Versuchen, dauerhaft Pfunde loszuwerden, hat sich der 71-Jährige Anfang 2019 den Magen verkleinern lassen. Sein Appetit auf Fußball ist jedoch ungebändigt – und der Zirkus con Calli weiterhin geöffnet. Roland Karle