turi2 edition #10, Agenda 2020: Was wirklich wichtig wird.

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Nikolaus Gelpke, gibt es auch Vorteile, wenn der Meeresspiegel steigt?

N Nikolaus Gelpke, Chefredakteur „Mare“

ein, hier gibt es absolut keine Gewinner. Offensichtlich und für jeden wahrnehmbar bedroht der Meeresspiegelanstieg unseren Lebensraum an der Küste. Und fügen wir doch dieser einen Problematik noch eine weitere hinzu: Plastikmüll. Auch hier gibt es kein Vertun. Die Gefahr ist groß und real, niemand würde sie leugnen. Jeder assoziiert mit Müll etwas Negatives und weiß: Müll gehört nicht in die Natur. Medial ist Müll mit einfachen Mitteln darzustellen und den Menschen ohne komplizierte wissenschaftliche Verfahren nahezubringen. Ohne die – unstrittig sehr ernstzunehmenden und realen – Bedrohungen durch den Meeresspiegelanstieg und die Plastikvermüllung in irgendeiner Form schmälern zu wollen, wird jedoch meisthin übersehen, dass die Ozeane viel extremer und nachhaltiger unter zwei anderen Folgen des Klimawandels

leiden: unter der Versauerung und der Erwärmung. Wenn ich aber, um diese Probleme darzulegen, zunächst den Karbonat- oder Säurehaushalt der Meere erklären muss, können dies die wenigsten nachvollziehen, da die Zusammenhänge abstrakt und weder fassbar noch sofort sichtbar sind. Im Zeitalter des Anthropozäns und des zunehmenden populären Denkens rücken folglich die buchstäblich begreifbaren Bedrohungen in den medialen, politischen und gesellschaftlichen Fokus, während die noch größeren Katastrophen in den Hintergrund geraten. So verhindern wir, das Wichtige, also das Richtige zu tun. Politik, Medien und Aktivisten gefallen sich mit einfachen Botschaften in ihrer Rolle als Meeresretter und blockieren so auch in diesem Fall den Blick auf das komplexere Entscheidende. Offensichtlich eine zeitgenössische Dynamik.

I

Madeleine Jakits, Herausgeberin „Feinschmecker“

nsekten esse ich (noch) nicht, weil ich Appetit darauf habe – allenfalls verschluckt man mal versehentlich eine arme Fruchtfliege, die im Saftglas ertrunken ist. Ich habe vor etwa 30 Jahren in Thailand aus Neugier frittierte Heuschrecken probiert und die waren gut! Wie Pommes frites mit Crunch und Beinchen. Das kann man essen, soll auch vom Nährwert her empfehlenswert sein. Und vielleicht müssen wir es irgendwann sogar. Das Thema Nachhaltigkeit ist ja längst gelebt – jedenfalls in vielen Restaurants der oberen Liga. Jeden Monat steht an vielen Stellen im „Feinschmecker“: brutal lokal, nose to tail, eigene Gemüsegärten ohne Glyphosatorgien, weniger Fleischkonsum, dafür gute Qualität von Metzgern des Vertrauens etc. Aus Galizien im äußersten Nordwesten Spaniens kommen zum Beispiel seit Jahren köstliche (und wunderschöne), zarte, farbenfrohe Algen, es gibt sogar schon Züchter. Die versenden die Ware auch an

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Top-Restaurants in Deutschland. Und das Zeug ist gesund und erfrischend. Algen sind außerdem ein hervorragender Dünger, gerade die derben Riesen unter den Algen, die man häckselt und dann auf dem Acker ausbringt. Die Teller sind längst grüner geworden – vor allem bei Leuten, die sich Gedanken über ihr Essen machen. Man muss nicht Vegetarier sein, um zu wissen, wie bereichernd gerade Gemüse und Kräuter für viel guten Geschmack sind. Früher haben die Menschen selbst gefangene Schnecken, Frösche und Singvögel gegessen – meist, weil sie arm waren und sich Fleisch vom Metzger nicht leisten konnten. Insekten sind sicher eine Option, es ekelt halt viele allein bei der Vorstellung, diese Dinge zu essen. Ich weiß ja nicht, wie es um die verschiedenen Heuschreckensorten bestellt ist – aber stellen Sie sich vor, man könnte große Plagen einfach mit der Fritteuse bekämpfen. Das wäre doch auch nachhaltig.

Fotos: Mare, Maria Schiffer, WirtschaftsWoche, Burda

Madeleine Jakits, wie fein schmecken Insekten?


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