Ausgezeichnet
Seite 21 Technische Universität Darmstadt | hoch3 | Juli 2017
Lokale Techniken in einer globalen Welt Bild: Katrin Binner
Hohe europäische Auszeichnung für Geschichtswissenschaftler
Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat Professor Mikael Hård mit einem der prestigeträchtigen »ERC Advanced Grants« ausgezeichnet: Der Historiker erhält für sein Projekt zur »Globalgeschichte der Technik von 1850–2000« eine auf fünf Jahre angelegte Förderung in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Er und sein Team bearbeiten Archivmaterial aus der ganzen Welt, um das Fach Technikgeschichte in einen neuen, globalen Kontext einzubetten. Professor Mikael Hård trägt viel dazu bei, dass die Technikgeschichte an der TU Darmstadt eine Art Brückenfunktion zwischen den Geistes- und Ingenieurwissenschaften einnimmt. Nun kann er dank eines »ERC Advanced Grant« gemeinsam mit fünf Doktorandinnen und Doktoranden sowie einem Postdoc dem Fach wichtige neue Impulse verleihen. »Viel zu lange«, so erläutert Hård, »hat die Vorstellung geherrscht, die Technikentwicklung sei ein gewaltiger Motor, der die Welt zusammenfügt und vereinheitlicht. Auf den ersten Blick ist die Schlussfolgerung, dass Globalisierung einhergeht mit Homogenisierung, einleuchtend. Wir wissen zum Beispiel alle, wie ähnlich die großen Flughäfen dieser Welt sind.« Dennoch gestalteten Menschen ihren Alltag sehr unterschiedlich. »Der eine bereitet sein Essen auf einem Ceranfeld zu, die andere mithilfe von Holzkohle. Manche kaufen alle zehn Jahre ein neues Auto, andere lassen ihr Auto vom Karosseriebauer vor Ort immer wieder zusammenschweißen.« BLICK FÜR DEN »GLOBALEN SÜDEN«
Mikael Hård interessieren vor allem die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Industrieländern und der sogenannten »Dritten Welt«, dem »Globalen Süden« – zumal sich die Technikgeschichte bisher fast ausschließlich mit Europa und Nordamerika
beschäftigt habe, so der Darmstädter Professor. Wenn die Fachwissenschaft gelegentlich Afrika, Lateinamerika oder Asien untersuche, dann meistens unter dem Blickwinkel der Abhängigkeit vom »Globalen Norden« oder als passive Entgegennahme von »moderner« Technik, begleitet von einem Prozess kultureller »Verwestlichung«. »Dabei wird oft vergessen, dass jeder Kulturraum seine eigenen technischen Lösungen entwickelt hat – Lösungen, die zum Teil immer noch in Gebrauch sind. Im Hausbau etwa sind solche Traditionen besonders auffällig.« Hård ist es wichtig, hervorzuheben, dass der intensive Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern des »Globalen Südens« schon im Zeitalter des Imperialismus von großer Bedeutung war. Um 1900 gab es zum Beispiel intensive Kontakte zwischen Ingenieuren und Händlern in Indien und Ostafrika. HYBRIDE TECHNISCHE LÖSUNGEN
Das Forschungsteam wird, wenn es in den kommenden fünf Jahren die Globalgeschichte der Technik um einige Kapitel ergänzt, besonders aufmerksam auf hybride technische Lösungen schauen – also auf Produkte, die ursprünglich aus Europa oder Nordamerika stammten, aber auf anderen Kontinenten modifiziert und verändert worden sind. Ein Beispiel sind Lastwagen, die durch Umrüsten für das Fahren auf Schotterpisten und
Antiker Tempelturm rekonstruiert Ausstellung in Bonn Für die Ausstellung »Iran – frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste« in der Bundekunsthalle Bonn rekonstruierten Studierende des Fachgebietes Digitales Gestalten (Prof. Dr.-Ing. Oliver Tessmann) die um 1300 vor Christus errichtete Zikkurat von Tschogha Zanbil im heutigen Iran. In der Ausstellung zeigt ein Film die virtuelle Rekonstruktion, gleichzeitig entstand aus dem digitalen Datensatz im Rapid-Prototyping-Verfahren ein physisches Modell, das in einer Vitrine zu sehen ist. Initiiert wurde das Projekt durch Dr.-Ing. Marc Grellert, der gemeinsam mit Dr.-Ing. Mieke Pfarr-Harfst den Forschungsbereich Digitale Rekonstruktionen am Fachgebiet leitet. Grellert gestaltete mit der Architectura Virtualis, Kooperationspartner der TU Darmstadt, auch das Medienkonzept für die Ausstellung und realisierte zahlreiche Installationen und Filme. Die Zikkurat, ein riesiger Tempelturm, besaß vier nahezu quadratische Terrassen. Die Gesamthöhe des Tempelturms betrug wahrscheinlich rund 50 Meter. Die wissenschaftliche Beratung erfolgte durch PD Dr. Behzad Mofidi-Nasrabadi, der an der Universität Mainz forscht und zur Zikkurat von Tschogha Zanbil gearbeitet hat. Mit dem aktuellen Projekt wird die langjährige Kooperation der TU Darmstadt mit der Bundeskunsthalle fortgesetzt. (se)
Professor Hård mitten unter Doktorandinnen und Doktoranden
in Wüstenlandschaften tauglich gemacht werden.
ZUR PERSON
Am Ende das Forschungsprojekts werden eine Reihe von Fallstudien aus Lateinamerika, Asien und Afrika stehen, die die Kreativität der Bewohnerinnen und Bewohner des »Globalen Südens« hervorheben – ein Phänomen, das in Indien unter dem Begriff »jugaad« firmiert. »Sicherlich standen diesen Menschen im Untersuchungszeitraum 1850 bis 2000 meistens weniger ökonomische Ressourcen zur Verfügung. Weniger Ideen und weniger Kenntnisse hatten sie aber nicht«, sagt Hård. »Die Herausforderung, vor der ich und mein Team stehen, ist es, dieses lokale Wissen und Können wiederzuentdecken und eine tatsächlich globale Technikgeschichte zu erzählen.« (feu/mh)
Professor Mikael Hård ist seit 1998 Professor für Technikgeschichte am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der TU Darmstadt. Davor bekleidete er eine ähnliche Professur an der Norwegischen Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität (NTNU) in Trondheim. Mikael Hård stammt aus Schweden, wo er 1988 an der Universität Göteborg promoviert wurde. Davor hatte er u.a. auch an der Princeton University und der Universität Uppsala studiert. 2013 verfasste er mit Ruth Oldenziel die Monografie »Consumers, Tinkerers, Rebels. The People Who Shaped Europe« (Palgrave Macmillan).
Vertrauen der Freunde Preise für hervorragende wissenschaftliche Leistungen Die Vereinigung von Freunden der Technischen Universität zu Darmstadt e. V. hat wie jedes Jahr herausragende wissenschaftliche Leistungen ausgezeichnet. Sie fördert so Wissenschaft und Forschung an der TU Darmstadt in Höhe von 65.000 Euro.
Preisträgerinnen und Preisträger 2017 • Dr. Michael Wessel, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften • Dr. Jonas Hagedorn, Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften • Dr. Gaby Engin, Humanwissenschaften • Dr.-Ing. Uwe Schmidt, Informatik • Dr.-Ing. Matthias Schreier, Elektrotechnik und Informationstechnik • Dr.-Ing. Nina-Carolin Fahlbusch, Maschinenbau • Dr.-Ing. Olaf Hertel, Bau- und Umweltingenieurwissenschaften • Dr. Patrick Tolksdorf, Mathematik • Dr. Björn Claus Stefan Kuttich, Physik • Dr. Matthias Hempe, Chemie • Dr. Peng Zhang, Biologie • Dr. Tino Gottschall, Material- und Geowissenschaften • Dr. Daniel Schulte, Material- und Geowissenschaften
Jedem der 13 Fachbereiche der TU Darmstadt wurde ein Preis für die beste Dissertation des Vorjahres zuerkannt. Die Würdigung besteht aus einem persönlichen Preisgeld in Höhe von 2.500 Euro und einer finanziell gleich hohen Förderung des Instituts oder Fachgebiets, das jeweils die Dissertation betreut hat. Der Fachbereich Material- und Geowissenschaften nominierte in diesem Jahre ausnahmsweise zwei Preisträger, die sich den Preis teilen. Die herausragenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wurden im Anschluss an die Grußworte des Vorstands der Vereinigung und des Präsidiums der TU Darmstadt in einer Talkrunde vorgestellt. Die Festrede mit dem Titel »Zukunftsthema 3D-Druck« hielt TU-Professor Dr.-Ing. Edgar Dörsam, Fachbereich Maschinenbau, Institut für Druckmaschinen und Druckverfahren.
katharina krickow /bjb