BILDHAUEREI-TRANSMEDIALER RAUM // SCULPTURE - TRANSMEDIAL SPACE
NR. 2 // JAHRESMAGAZIN 2010 // KUNSTUNIVERSITÄT LINZ // € 7
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Editorial What Thou Wilt Shall Be The Whole Of The Law Love Is The Law, Love Under Will Every Man And Every Woman Is A Star Das sind die drei Gesetze des umstrittenen britischen Alpinisten, Dichters, Magiers und Kommunen-Gründers Aleister Crowley (1875-1947), welcher das Cover der zweiten Ausgabe von fountain ziert, dem Magazin des Bereichs Bildhauerei-transmedialer Raum. Der erste Satz ist nicht – wie von seinen Gegnern oft unterstellt – auf ein plump-hedonistisches „Mache, worauf immer du Lust hast, ist das ganze Gesetz“ zu reduzieren. Er legte Wert darauf, dass der Mensch zuerst erforschen müsse, woraus dieser Wille überhaupt bestehe, um dieses gewollte Handeln überhaupt ausführen zu können. Crowley gilt als einer der wichtigsten Ausgangspunkte für okkulte und geheimbündlerische Strömungen. Doch im 20. Jahrhundert gab es noch vielfältige, andere Ausprägungen dieses Drangs geheimen Wissen, das sich durch die verschiedensten Zusammenhänge aufnehmen lässt, von Kasimir Malewitsch bis zu den Rolling Stones, von Heinrich Himmler bis hin zu Anthroposophie und Scientology. Im Rahmen einer Klausur auf Schloss Waldenfels/Mühlviertel und im Laufe des Studienjahrs 2009/10 beschäftigten sich Lehrende und Studierende mit verschiedenen Formen subjektiver Willensbildung und Vergemeinschaftung, die oftmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, über Distinktion, Exklusivität und Geheimhaltung definiert sind, paradoxerweise aber oft den Kern offener oder demokratischer Vergesellschaftung darstellen und diese so nachhaltig prägen. Ob religiös, politisch, ökonomisch, ethnisch, sexuell oder kulturell motiviert – die Mitgliedschaft in einer geschlossenen oder geheimen Gesellschaft ist immer an bestimmte Räume, Initiationen, Riten, Zeichen, Kleidung oder andere symbolische Formen gebunden. Deren Methodik und Visualität ist für Künstlerinnen und Künstler von großem Interesse, da sie ebenfalls mit Codes, Symbolen, Allegorien – kurz: der Sichtbarmachung von Unsichtbarem oder auch Unsagbarem – operieren, deren Dechiffrierung Wissen voraussetzt. So rückt das neue Heft die komplementären Figuren des Geheimnisses und der Öffentlichkeit in den Blick, um sie für die künstlerische Praxis zugänglich zu machen. Die vorgestellten künstlerischen Arbeiten, Projekte und Texte stecken in einer teils ernsthaften, teils humorvollen Weise eine Bandbreite von Themen ab: patentierte Rezepturen, Masken, anamorphotische Schriftzeichen, Fake, Mimikry, mafiöse Strukturen, Gruppierungen, Pataphysik, Nazi-Mystik, Ghetto-Style, U-Bootbunker, Gated Communities, Metamorphosen und Transformationen. Im Namen aller Lehrenden und Studierenden, die an dieser Ausgabe von fountain mitgewirkt haben, möchte ich dem Rektorat und dem Förderungsverein der Kunstuniversität, sowie der BAWAG/PSK herzlichen Dank aussprechen. Viel Vergnügen beim Lesen von fountain wünscht Ihnen
Eva Grubinger Univ. Prof., Leitung Bildhauerei – transmedialer Raum, Kunstuniversität Linz
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inhalt
Impressum
ANAMORPHOSE von Maria Venzl und Johannes Riener
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Editorial von Eva Grubinger
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Kontakt skulptur.magazin@ufg.ac.at
Masks von Andreas Haslauer
4, 16, 38, 45, 50, 63, 72, 88
Unter uns von Rebekka Ladewig
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The secret legacy of Aleister Crowley by Cristina Ricupero
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Interview with Gelitin by Bomi Ahn and Richard Nikl
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die transmedialen von Maren Hirt und Eva Teissl
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Die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron von Jörg Heiser
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Interview with Andreas Fogarasi by Bomi Ahn and Richard Nikl
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Psyche hin, Kanal her von Johannes Staudinger
Lektorat Markus Vorauer Verena Blaschek
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Fotos Jakob Neulinger Martin Bilinovac Franz Eichinger
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Weite Horizonte in GroSSstadtschluchten von Sergius Kodera
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Cover Oliver Naimer
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Druck Trauner Druck Linz © 2010
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ISBN 978-3-901112-55-3 Die in Fountain ausgedrückten Haltungen sind nicht notwendigerweise die des Herausgebers Gedruckt mit Unterstützung der Kunstuniversität Linz
The ERRATIC Audience von RICHARD NIKL
Illustrationen Christian Öhlinger
Auflage 1000 Stück
Inszeniertes Geheimnis als Deutungsmacht und Selbstschutzstrategie von Herbert Lachmayer
Autoren Andreas Haslauer Bomi Ahn Cristina Ricupero Herbert Lachmayer Jakob Neulinger Johannes Staudinger Jörg Heiser Maria Venzl Rebekka Ladewig Richard Nikl Sergius Kodera
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Nordic by Nature - Unlearning History von Jakob Neulinger
Redaktionsteam Benedikt Egger Catharina Bamberger Christian Öhlinger Eva Teissl Johannes Riener Johanna Goldgruber Maren Hirt Maria Venzl Richard Nikl
Gestaltung Johannes Riener Richard Nikl
Die Pataphysische Vereinigung von Andreas Haslauer
Chefredaktion Jörg Heiser
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Universal Zoo von Maria Venzl
Leitung Eva Grubinger
CvD / Stellvertr. Chefredakteur Jakob Neulinger
TEN COMMANDMENTS von Benedikt Egger
Herausgeber Bildhauerei - transmedialer Raum Institut für bildende Kunst und Kulturwissenschaften Kunstuniversität Linz Kollegiumgasse 2, A-4010 Linz www.ufg.ac.at/bildende_kunst_bildhauerei www.fountain-magazine.com
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Maria Venzl / The Superstring Club of
Art / 2010 / Installation
Maren Hirt / Ohne Titel / 2010 / Skulptur
Unter uns… Figuren des Geheimen am Beispiel von The Wire. Eine kooperative Liste von Rebekka Ladewig
Geheimnisse und Formen geheimer Gesellschaftsorganisation hat es immer gegeben. Georg Simmel bestimmte das Geheimnis als „das durch positive oder negative Mittel getragene Verbergen von Wirklichkeiten“ und machte darin „eine der größten geistigen Errungenschaften der Menschheit“, gar den verborgenen Kern gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus. Auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft kommt jenen Kollektiven, die teilweise oder vollständig im Verborgenen operierten, eine besondere Bedeutung zu. Reinhart Kosellecks Perspektivierung aufklärerischer Geheimgesellschaften – der Logen, Bünde, Clubs und Salons usw. – als Entstehungsräume einer neuen Form der Vergesellschaftung, die von bürgerlich-emanzipatorischen Interessen getragen war und mit der Entwicklung einer „protobürgerlichen Öffentlichkeit“ der absolutistischen Machtkonzentration mit ihrem Herrschaftsanspruch entgegenwirkte, ist in diesem Zusammenhang trotz ihrer typisierenden Züge noch immer instruktiv. Demnach bedingte die Bildung geheimer Gesellschaften das Auseinandertreten von politischer und privater Sphäre, mit dem sich die Entstehung einer neuartigen Kultur des Arkanen verband: Das Geheimnis war nicht länger ein politisches und religiöses Monopol; es wechselte – wie es Überläufer tun – die Seiten und ging als soziale Praxis in die aufklärerischen Sozietäten ein, in denen sich die Konturen eines bürgerlichen Selbstverständnisses und mit ihm eine neue Form von Öffentlichkeit abzeichneten. Der Wandel von Gesellschaft und gesellschaftlichen Machtstrukturen hängt historisch also eng mit dem Wandel der Organisationsformen, Techniken und Strategien der Geheimhaltung zusammen, welche
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Gegenstand der Diskussionen der vergangenen beiden Semester am Fachbereich Skulptur der Kunstuniversität Linz waren. Die folgende Liste ist ein Ergebnis dieser Diskussionen – ein Glossar, das zentrale Begriffe des Jahresthemas zusammenträgt und sie am Beispiel der US-amerikanischen Fernsehserie The Wire (2002-2008) aktualisiert und in ihren gegenwärtigen Erscheinungsformen beleuchtet. Die in The Wire dargestellten Mikroräume des Geheimen und die darin agierenden Personen, Organisationen und Institutionen zeichnen eine Art Sittenbild der spätkapitalistischen Gesellschaft. Sie ist voll mit Verschwörern und Aufklärern, Geheimniskrämern, Apokalyptikern und Integrierten, die in ein Netz sozialer, politischer und ökonomischer Machtinteressen verstrickt sind. Diese Verstrickungen reflektiert die folgende Liste formal als Netz von Verweisungszusammenhängen, die „unter uns“ entstanden sind. „The whole point is lost, if you keep it a secret!“ Dr. Strangelove „The game don’t change, just the playas.“ Ice Cube Aufklärung: Aufklärung („intelligence“) bezeichnet im militärischen Jargon der Gegenwart die Tätigkeit von Nachrichten- und Geheimdiensten, die mit dem Aufdecken und Aufklären geheimer Operationen ihrerseits Geheimnisse produzieren. Die These Kosellecks, dass Aufklärung und Geheimnis im 18. Jahrhundert als „geschichtliches Zwillingspaar“ in Erscheinung getreten seien,
The Wire
nimmt hierin ihre moderne Gestalt an. Die dabei eingesetzten Mittel der Geheimhaltung und geheimdienstlichen Operationen sind nicht länger Regeln der Macht, sondern Maßnahmen, die eine Aufhebung oder ein temporäres Aussetzen des Rechts voraussetzen. Geheimdienste betreiben damit eine Form der Politik, die als deep politics bezeichnet wird: Eine Politik, die unsichtbar ist und deren Ziel im Umkehrschluss darin besteht, unsichtbare Politik zu lesen und lesbar zu machen. Mit der sogenannten „domestic intelligence“ wird in The Wire eine Spielform dieser deep politics zum Thema, die sich auf Subjekte und Organisationen der inneren Subversion richtet. Betrieben wird diese Form der „Aufklärung nach Innen“ von einer Major Crimes Unit (Dezernat Kapitalverbrechen) des Baltimore Police Departments unter der Leitung von Lieutenant Cedric Daniels, das sich aus Mitgliedern verschiedener Polizeiabteilungen (Narcotics, Homicide) zusammensetzt. Zunächst mit der Aufklärung eines Mordfalls befasst, dringen sie im Zuge der Ermittlungen immer tiefer in die Organisationsstrukturen des von Avon Barksdale geleiteten Drogenimperiums einerseits („follow the drugs“) und die kriminellen Machenschaften eines korrupten politischen und juristischen Apparats andererseits („follow the money“) ein. Eine entscheidende Rolle bei den Ermittlungen spielen die zum Einsatz kommenden Techniken der Überwachung bzw. des Anzapfens von Telefonen („wiretaps“), nach denen die Serie benannt ist. Abhängigkeit; Netz/Netzwerk: The Wire ist angelegt als ein Porträt von Abhängigkeiten: Junkies, Drogenorganisationen, Gewerkschaften, Polizei, Justiz, Politik, Bildungssystem und Medien sind
verstrickt in einem Netz wechselseitiger Abhängigkeitsverhältnisse. In der Entwicklung dieses Netzes als 60-stündiges Narrativ, in dem anstelle eines Helden oder Antihelden die sozialen und politischen Institutionen zu Handlungsträgern werden, liegt das innovative Moment von The Wire und die Leistung des Autors und Produzenten David Simon. Diese Anlage reflektiert sich auch darin, dass die Institution/Organisation am Ende immer stärker ist als das Individuum. Simon betreibt damit eine Art Ethnographie der eigenen Gesellschaft und ihrer institutionellen Strukturen, deren Beschreibung an die „Actor-Network-Theory“ angelehnt ist. Die „Actor-Network-Theory“ (oder kurz ANT) rückt die materiellen und zugleich semiotischen Interrelationen von Menschen, Dingen und Institutionen in den Blick, die durch wechselseitige Abhängigkeiten und Machtbeziehungen gekennzeichnet sind. Bildung: Bildung hat sich im Zuge der Aufklärung als moralischpolitisches Projekt ausgebildet, das sowohl den Prozess als auch die gesellschaftlichen Praktiken der Subjektivierung umschreibt, die auf die Herstellung eines spezifischen (kritischen, reflektierten) Selbstverhältnisses gerichtet ist. Dieses Projekt ist eine Aufgabe des Individuums und daher nur bedingt auf institutionell getragene Formen der Bildung reduzierbar; dennoch stellt die Schule den klassischen Ort der Vermittlung von Bildung und Wissen dar, der in der 4. Staffel von The Wire im Mittelpunkt der Handlung steht. Aus der InsiderPerspektive der beiden Ex-Polizisten Roland „Prez“ Pryzbylewski und Howard „Bunny“ Colvin – inzwischen Lehrer bzw. Mitarbeiter in einem schulinternen Rehabilitierungsprojekt für gewalttätige Ju-
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Avon Barksdale
gendliche – wird dieser Ort in seiner Disfunktionalität vorgeführt. Hier wird versucht, Wissen zu vermitteln, für das es in der Realität der Schüler – auf der Straße – keine Verwendung gibt und das daher für sie keinerlei Relevanz hat. Leistungsstatistiken, zentralisierte Prüfungen, Benotungssysteme, Verweise der Schüler sowie deren soziale Stigmatisierung („tracking“) zeichnen ein Bild der Schule als „Prüfungsapparat“ im Foucault’schen Sinne. Allerdings entsprechen diese regulierenden und kontrollierenden Techniken weitgehend denen, die auf der Straße als Ort sozialer Formung herrschen. Trotz Teilerfolgen steht am Ende der idealistischen Bemühungen von Prez die Einsicht „No one wins. One side just loses more slowly.“ Codes/Codierung: Codierung bezeichnet in der Kommunikationstheorie das Verfahren der Zuordnung von Zeichen entsprechend einer bestimmten Vorschrift (Code). Die technische Seite von Codierung zeigt The Wire im Zusammenhang mit den von Staffel zu Staffel variierenden Techniken des Anzapfens von Telefonaten, der Decodierung der gewählten Rufnummern und der Entschlüsselung der aufgezeichneten Gesprächsinhalte. Darüber hinaus wird Codierung jedoch in einem weiten Sinn als Set von Verhaltensweisen einsichtig, das sprachliche und nicht-sprachliche Kommunikation
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gleichermaßen betrifft. Sprache und Körpersprache, Kleidung, Habitus weichen durch die gezeichneten gesellschaftlichen Sphären deutlich voneinander ab, sie sind gebunden an die Konventionen eines sozialen Milieus, erzeugen ein spezifisches Image und dienen damit der Kontrolle darüber, wie und als was man erscheint. Am deutlichsten zeichnet sich dies in der Figur Stringer Bells ab, der als engster Berater und Partner von Avon Barksdale in der zweiten Staffel an die Spitze der Barksdale-Organization aufrückt. Stringer entwickelt sich, zumindest der äußerlichen Erscheinung nach, vom kriminellen Drogenboss zu einem seriösen Geschäftsmann, muss jedoch einsehen, dass die Spielregeln des Drogen- und Immobiliengeschäfts sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden – seine äußere Camouflage schützt ihn am Ende nicht. Diskretion: Diskretion ist das Gegenteil von Geschwätzigkeit. Sie ist eine der höchsten Tugenden der politischen Verhaltenslehre, die ihr Ideal in der antiken Figur der Prudentia, der Besonnenheit, findet. In The Wire ist es wiederum Stringer Bell, der diese Tugend verkörpert und personifiziert. Er beherrscht die Kunst zu unterscheiden, wann und wem gegenüber es sich rät zu sprechen und wann hingegen es geboten ist zu schweigen. Auf dieses asymmetrische Verhältnis von
Reden und Schweigen hat Niklas Luhmann die Möglichkeiten des Geheimhaltens zurückgeführt. Danach gilt: „Wer schweigt, kann immer noch reden. Wer dagegen geredet hat, kann darüber nicht mehr schweigen.“ Diese trivial anmutende Aussage stellt in The Wire ein Leitmotiv dar: Reden und Schweigen sind hier strategische Modi von Kommunikation. Sieht man von den Luhmann’schen Extremen des Redens und Schweigens ab, so besteht die Kunst der Diskretion vor allem in der Auslassung. Anders als das Lügen ist die Auslassung den Techniken des Wissensentzugs zuzuzählen, die darauf abzielen, dem Gegenüber wesentliche Informationen aus strategischen Gründen vorzuenthalten oder zu verschweigen, nur die halbe Wahrheit preiszugeben, die den Glauben an die ganze Wahrheit nährt. Geheimnis: Das Geheimnis ist die Extremform der Diskretion. Es ist gebunden an die Techniken des Schweigens bzw. der Verschwiegenheit. Niklas Luhmann spricht in diesem Sinne von der Semantik des Geheimnisses als einer Semantik der Kommunikation „unter negativen Vorzeichen“. Das Geheimnis zeichnet sich dadurch aus, dass es zugleich anwesend und abwesend ist: das Geheime, Verborgene, Verhüllte ist nicht einfach nur da bzw. nicht da; es ist da im Modus des Unverfügbaren. Es bezeichnet einen Aggregatzustand von Wissen, nicht aber dessen Inhalte. Dieses Merkmal des Geheimnisses wird in der 3. Staffel im Zusammenhang mit dem fingierten Selbstmord D’Angelo Barksdales deutlich: D’Angelos Mutter, die bisher an einen Selbstmord glaubte, erfährt von Detective Jimmy McNulty, dass ihr Sohn ermordet wurde. Erst durch diese Information erkennt sie, dass ( jedoch nicht was) sie nicht weiß. Das Geheimnis von Stringer Bell, der den Mord veranlasst hatte, ist damit gefährdet, die Situation eskaliert, als Stringer sein Wissen mit Avon Barksdale, D’Angelos Onkel, teilen muss. Von D’Angelos Mutter auf den Mordverdacht angesprochen, entscheidet sich Avon, seiner Schwester die Wahrheit zu verschweigen. Er verrät damit seine eigene moralische Haltung (vgl. Verrat, Regel), wonach die Familie über allem steht. Das Wissen um das (individuelle wie kollektive) Unwissen ist der geheime Motor, der die verflochtenen Handlungsstränge in The Wire vorantreibt: Kennzeichnend für das Genre des Krimis, dessen wesentliche Figur die Aufklärung eines Verbrechens ist, geht es darum, die geheimen Machenschaften der Drogenorganisationen aufzudecken. Grenzen/Räume: Räume sind durch Grenzen und Grenzziehungen definiert. Der institutionellen Topologie, die in The Wire die räumliche Struktur eines dysfunktional gewordenen Verwaltungsapparats vor Augen führt, steht auf der konkreten Ebene die Parzellierung des Stadtraums in zunächst klar definierte Territorien gegenüber: West-Baltimore ist ein Drogenrevier, das sich in der ersten Staffel noch fest in den Händen der Barksdale-Organization befindet. Es gliedert sich in verschiedene Subräume, an die sich spezifische Funktionen einer hierarchisch strukturierten Rangordnung knüpfen: beispielsweise „the pit“ – ein soziales Wohnungsbauprojekt, das von D’Angelo Barksdale, dem Neffen Avon Barksdales kontrolliert wird. Diese Subräume bilden ihrerseits räumliche Segmente aus, die sich aus dem Drogenhandel ableiten – „corners“: die Straßenecken
der Dealer, „stashes“: deren ständig wechselnde Drogenverstecke. In dieser Anlage vermischen sich die räumlichen Codierungen von Disziplinar- und Kontrollmacht: Weist West-Baltimore mit dem Prinzip der Parzellierung, der Zuweisung von Funktionen, der Verteilung von Posten und deren Rückbindung an einen Produktionsapparat anfangs noch die räumlichen Merkmale einer Fabrik auf, der Geburtsstätte der kapitalistischen Produktionsform, so wird diese im Handlungsverlauf zusammen mit dem Barksdale-Imperium untergehen. Eine sichtbare Reorganisation dieses Raumes vollzieht sich in der 3. Staffel: An seinen Vorgesetzten vorbei errichtet Major Howard „Bunny“ Colvin eine polizeilich überwachte Freihandelszone mit dem Ziel, die Kriminalitätsrate, vor allem die Mordstatistik angesichts der anstehenden Bürgermeisterwahlen zu reduzieren. Als biopolitische Maßnahme entsteht mit „Hamsterdam“ (in Anlehnung an das drogenliberale Amsterdam in den Niederlanden) auf wenigen Blocks ein Ghetto im Ghetto, ein sozialer Experimentalraum, in dem der Drogenhandel temporär legalisiert wird und in dem damit die geltenden Regeln des Spiels außer Kraft gesetzt werden. Korruption: Korruption ist ein allgegenwärtiges Phänomen, eine Begleiterscheinung – nicht nur, aber vor allem – des Kapitalismus. Sie ist selbst eine Institution, die sich auf der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Verwaltung ausgebildet hat. Seit Mitte der 1990er Jahre widmet sich Transparency International der Aufklärung internationaler Korruptions- und Lobbyismusaffären, die statistisch im so genannten „Corruption Perception Index“ (CPI) erfasst werden. Die Wege der Korruption sind das verborgene Leitmotiv in The Wire, das den »Triumph des Kapitalismus« (David Simon) dokumentiert. Individuen und Institutionen, persönliche Beziehungen und Verwaltungsapparate sind eingelassen in und durchwirkt von illegalen Finanzkreisläufen, die für die virtuelle und fluide Macht des Kapitals stehen: „All in the game...“ heißt es dazu am Ende der ersten Staffel, als die von McNulty vorgelegten Korruptionsbeweise gegen einen ranghohen Politiker vom FBI zurückgewiesen werden. Macht: Macht ist von Foucault als organisierendes Prinzip gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse perspektiviert worden, die lokal erzeugt und kontinuierlich reproduziert bzw. modifiziert werden. Macht ist damit nicht die repressive Macht eines Subjekts; sie ist eine produktive Kraft, die soziale Beziehungen strukturiert, die auf Handlungen beruht und die Handlungen anderer Menschen organisiert. In The Wire manifestiert sich dieses organisierende Prinzip als Effekt eines Wechselspiels von Souveränitäts-, Disziplinar- und Kontrollmacht, in dem die von Foucault bzw. Gilles Deleuze beschriebene historische Abfolge dieser Machttypen nebeneinander auftreten: Souveräne Macht richtet sich hier als Gewalt gegen den individuellen Körper und stellt ihn als Unterworfenen aus (Avon Barksdale verkörpert diese Machtform, die in der ersten Staffel mit dem Lynchmord an Omars Partner Brandon vor Augen geführt wird). Die auf Disziplinierung, Kontrolle und Regulierung des Gesellschaftskörpers abzielenden Effekte der Disziplinarmacht reflektieren sich in Institutionen wie der Schule oder dem Gefängnis, die das Prinzip der Einschließung realisieren; die auf Destabilisierung
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manifest wurde. Simon zeichnet dementsprechend ein Bild, das den Untergang der amerikanischen Medienkultur zeigt: In The Wire rückt die Manipulation der öffentlichen Meinung an die Stelle der Information, Informationen werden im Modus der Sensation oder des Skandalösen transportiert, sie dienen der Erregung der Öffentlichkeit, bündeln Aufmerksamkeit, machen das Fragen in eine andere Richtung unmöglich und greifen dabei zuweilen auf bewusste Täuschungsmanöver zurück (vgl. Täuschung). The Wire selbst liefert für diese Form der medialen Erregung ein Beispiel: Die Einschaltquoten verdoppelten sich in der Mitte der 5. Staffel, nachdem Barack Obama in einem Interview während des Präsidentschaftswahlkampfes am Rande erwähnte, dass The Wire seine Lieblingsserie sei.
abzielenden Kräfte der Kontrollmacht zeigen sich vor allem in der unternehmerischen Organisationsform des Drogengeschäfts, die flexible Individuen produziert (z.B. die beiden „kleinen“ Drogendealer Bodie und Poot, die auf Anweisung von Stringer Bell gemeinsam ihren Freund Wallace umbringen). Entlang dieser Machttypen werden zugleich die analytischen Aspekte der Macht vorgeführt: ein System der Differenzierung, in dem Machtbeziehungen ökonomische und gesellschaftliche Differenzen hervorbringen; die Zielsetzung dieser Beziehungen, die im Aufrechterhalten und Schutz von Privilegien und der Ausübung von Autorität besteht; die instrumentelle Umsetzung von Machtbeziehungen durch Worte, Gewalt, Kontrolle, etc.; die Formen der Institutionalisierung von Macht durch verschiedene gesellschaftliche Organe (Polizei, Co-Op, Gewerkschaft, Medien, Schule, etc.); schließlich den Grad der Rationalisierung, der die effiziente Umsetzung von Macht reflektiert.
Regeln: Regeln bestimmen das gemeinschaftliche Zusammenleben. Je rigider die Organisationsform einer Gemeinschaft ist, umso rigider sind auch deren Regelwerke – beim Militär, bei der Mafia oder in der katholischen Kirche ist darum von Regeln als einem Kodex oder Ehrenkodex die Rede (vgl. Benedikt Eggers Beitrag in diesem Heft). Regeln bilden die Grundlage dessen, was in The Wire als „the game“ firmiert: Die Spielregeln des Drogengeschäfts. Dessen oberste Regel ist Loyalität. Wer sich aus strategischen oder moralischen Gründen illoyal verhält, wird umgebracht. Das besagt die zweite Regel, die das Spiel bestimmt. Auf Seiten der Institutionen treten Regeln, Vorschriften, zuweilen auch Gesetze als etwas auf, über das man sich hinwegsetzt und hinwegsetzen muss, wenn man als Polizist, Lehrer, Richter/Staatsanwalt, Politiker oder Journalist seine Arbeit ernst nimmt und gut machen will („real police“, vgl. Aufklärung). Den Regelverstößen auf institutioneller und administrativer Ebene entsprechen diejenigen auf der individuellen: Jede Figur verstößt im Laufe der Handlung irgendwann gegen die eigenen moralischen Regeln, verrät seine Grundsätze und Überzeugungen. Die einzige Ausnahme bildet der Einzelgänger und Einzelkämpfer Omar Little: Er steht zwischen den Gangs, gehört keiner „Co-Op“ an, unterwirft sich keiner institutionellen Macht, lebt parasitär von den Drogengeschäften, beraubt Dealer und ermordet im Fortgang der Handlung verschiedene Drogenbosse. Seine Opfer rekrutieren sich jedoch ausschließlich aus diesen Reihen. „I ain’t never put my gun on nobody that wasn’t in the game“, lautet der strikte Code, nach dem Omar sein Leben ausrichtet. Ein ebenso moralischer wie brutaler Raubmörder stellt damit im Figurenarsenal von The Wire so etwas wie den Ethiker dar. Aber auch diese Figur ordnet sich letztlich jener Regel unter, die The Wire als Gesellschaftsporträt abbildet – die Grundregel des Kapitalismus, die alle anderen Regeln bedingt: „Profit is a defining character of success.“ Nach dieser Regel ist die Gesellschaft organisiert, die The Wire neo-neorealistisch darstellt.
Medien: Medien sind Organe der Publizität, sie gelten neben der legislativen, exekutiven und judikativen als vierte Gewalt. Ihnen kommt die Aufgabe zu, die Öffentlichkeit aufzuklären und Transparenz über das politische und gesellschaftliche Geschehen herzustellen. Diese Funktion, die in ihrer politisch zugespitzten Form vor allem der investigative Journalismus übernimmt, realisierte sich David Simon zufolge zuletzt im Rahmen der Watergate-Affäre. Demgegenüber steht eine von den Medien betriebene Selbsthypnose der amerikanischen Gesellschaft, die spätestens nach den Anschlägen von 9/11
Schutz: Schutz ist ein Effekt von Sorge bzw. Fürsorge, der in modernen Demokratien über staatliche Institutionen hergestellt wird. The Wire dokumentiert diese Form der Fürsorge als Auslaufmodell: Baltimore ist gekennzeichnet vom neoliberalen Rückzug des wohltätigen Staates, der biopolitische Topos vom Schutz der Volksgesundheit ist hinfällig, der „war against drugs“ verloren, die Bürger sind sich selbst überlassen. Sie sind die eigentlichen Opfer des Drogenkriegs – ein Kollateralschaden. Nur begrenzt wird Schutz durch die Familie gewährt, an ihre Stelle rücken das Unternehmen, die Organisation bzw. die „Co-Op“. Auch deren
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Grundsatz – „The point of the Co-Op is, we stand together„(Proposition Joe) – gilt nur bedingt und unter strikter Einhaltung der Spielregeln. Der schutzlose Körper ist, wenn überhaupt, einzig durch andere Körper zu schützen – durch »muscle«, die gekaufte Muskelkraft privater Schutzleute, nichts anderes also als moderne Söldner. Spuren/Spurensicherung: vgl. http://www.youtube.com/watch?v=KQbsnSVM1zM Täuschung: Der Begriff der Täuschung versammelt die Techniken des Verhüllens, Verstellens, Vertuschens, Schönredens etc. – kurz: Verhaltensregeln der Undurchschaubarkeit, die seit Macchiavelli als Grundlage politischer Macht gelten und durch ein instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit gekennzeichnet sind. Gewöhnlich vor allem in der Sphäre der Politik anzutreffen, wird die Figur der Täuschung in The Wire als allgegenwärtige Praxis vorgeführt, die die inneren Mechanismen der Gesellschaft – ihre sozialen Netzwerke, ihren Mediengebrauch und ihre Ökonomie von Wissens- und Finanzzirkulation – steuert. An einem konkreten Beispiel aufgezeigt und ins Groteske gewendet wird sie in der letzten Staffel, die mit der Redaktion der Baltimore Sun die Sphäre der Medien in den Blick rückt: Mit fingierten Informationen und Informanten, die der Reporter Scott Templeton benutzt, um seine Story über einen Serienmörder zu verkaufen, macht er, ohne es zu wissen, gemeinsame Sache mit McNulty. Um eine Abhörerlaubnis und die entsprechende technische Ausstattung zu erwirken, hatte McNulty den Hoax von einem Serienkiller in die Welt gesetzt und dessen Opfer – beliebige Mordopfer, von denen Baltimore mehr als 500 pro Jahr zählt – am Tatort entsprechend präpariert und inszeniert. Eine Täuschung zieht dabei die nächste nach sich, anstelle von Informationen werden Sensationen produziert – nicht die Aufklärung, sondern die Manipulation und die Erregung der öffentlichen Meinung ist das Resultat einer Berichterstattung, die täuscht und ihrerseits getäuscht wird.
Rebekka Ladewig ist Kulturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin. Von 20012007 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Ab Dezember 2009 „Research Fellow“ in der Forschungsgruppe „Cultural Theory and its Genealogies, Exzellenzcluster Topoi“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2008 Lehrbeauftragte an der Kunstuniversität Linz. Letzte Veröfentlichung: ilinx. Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft, Nr. 1: Wirbel, Ströme, Turbulenzen , Hamburg 2010 (Hg. zus. mit Anna Echterhölter, Sebastian Gießmann und Mark Butler).
1 Vgl. Georg Simmel: Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft, in: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin 1908. 2 Reinhart Koselleck: Kritik und Krise, Freiburg/München 1959. 3 http://www.hbo.com/the-wire/index.html; zur Übersicht über die Episoden/Staffeln der zwischen 2002 und 2008 ausgestrahlten Serie siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_The_Wire_episodes 4 http://en.wikipedia.org/wiki/Cedric_Daniels 5 http://en.wikipedia.org/wiki/Barksdale_Organization 6 Ein Beispiel hierfür lässt sich ausgehend von der Figur Bubbles (http://en.wikipedia.org/wiki/Bubbles_%28The_ Wire%29) nachzeichnen: Bubbles ist heroinabhängig, seinen Stoff bezieht er von den Straßendealern (»corner kids«) der Barksdale-Organisation, die ein eigenes organisatorisches Netzwerk bildet (vgl. Diagramm). Gleichzeitig ist Bubbles aufgrund seines Insider-Wissens der wichtigste Informant des Polizei-Units, das mit der Aufklärung der Drogengeschäfte der Organisation beschäftigt ist und seinerseits einer strikten »chain of commands« unterliegt, in die nicht nur die Polizei selbst, sondern auch Politik, Justiz und das FBI eingreifen. Außer den Akteuren des Barksdale-Clans rücken auch die Wege der Drogen und des damit umgeschlagenen Geldes in den Blick der Ermittlung. Während Bubbles als Konsument an einem Ende dieser Kette steht, führt die - Spur des Geldes die Ermittler direkt in das Büro des - korrupten Senators Clayton ‘Clay’ Davis (http://en.wikipedia.org/wiki/Clay_Davis), der die Schnittstelle zwischen Strasse und politischer Bühne bildet. 7 http://en.wikipedia.org/wiki/Roland_%22Prez%22_Pryzbylewski 8 http://en.wikipedia.org/wiki/Howard_%22Bunny%22_Colvin 9 http://www.youtube.com/watch?v=WkVohPC_YpU&feature=related 10 Niklas Luhmann: Geheimnis, Zeit und Ewigkeit, ders./Peter Fuchs: Reden und Schweigen, Frankfurt/M 1989. 11 Ebd. 12 Vgl. Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion, Frankfurt/M. 2007, S. 105ff. 13 http://en.wikipedia.org/wiki/Jimmy_McNulty 14 http://www.youtube.com/watch?v=-lBG7FR-pe8 15 http://en.wikipedia.org/wiki/Barksdale_Organization; http://en.wikipedia.org/wiki/Avon_Barksdale 16 Corners sind als Orte des Handels von Drogen selbst eine Ware, die zum Gegenstand von Tauschgeschäften
Verrat: Verrat ist ein Akt der Feindschaft auf der Basis von Freundschaft: Nur Freunde können zu Verrätern werden, da nur Freunde (geheimes) Wissen teilen, das Gegenstand eines Verrats werden kann. Verrat ist damit ein Vertrauensbruch, der auf Freundschaft, eine Distanzierung, die auf Nähe, ein Ausschluss, der auf Zugehörigkeit angewiesen ist. Der Verrat, den Avon an Stringer begeht, ist das anschaulichste Beispiel für die intime Nähe, die zwischen Verräter und Verratenem besteht. Er ist die logische Folge einer Reihe von „kleineren Verraten“ – Vertrauensbrüchen und Loyalitätsverletzungen Stringer Bells gegenüber Avon, in denen sich der finale Bruch bereits ankündigte. Den Akt des Verrats selbst inszeniert Avon als Judas: Er begeht, indem er Stringer verrät, eine „moralische Selbstverletzung, eine Tat, die etwas gegen den eigenen Willen zu ende bringt“. Der Verrat ist endgültig, final, ereignishaft. Er schafft Fakten und konstruiert damit eine neue, andere Wirklichkeit.
wird – schon in der zweiten Staffel gibt Stringer Bell hinter dem Rücken von Avon Barksdale einige der Barksdalecorners an Proposition Joe (http://en.wikipedia.org/wiki/Proposition_Joe) ab, um im Gegenzug besseres Heroin zu bekommen. Hierin kündigt sich der weitere Verlauf bereits an: Stringer setzt auf die geschäftliche, die saubere Lösung, die sich im Verlauf der Serie im Kauf von Immobilien fortschreibt, mit denen er den Gewinn des Drogengeschäfts in legale Geschäfte verwandelt; Avon hingegen setzt nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis weiterhin auf das Gesetz der Strasse: Danach werden »corners« nicht gehandelt – nicht verkauft oder zurückgekauft; sie werden genommen (http://www.youtube.com/watch?v=Hzm3LJhbbsc). 17 Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen, Frankfurt/M. 1976, S. 181ff. 18 Michel Foucault: Schriften 4, Frankfurt/M. 2005, S. 289ff.; Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt/M. 1993, S. 254-262. 19 http://en.wikipedia.org/wiki/Omar_Little_and_associates#Brandon_Wright 20 http://www.youtube.com/watch?v=hor_gOBU_GU 21 Eine Ausnahme dieser Regel bildet der Sonntagmorgen: Sonntags gilt die Sonderregelung, dass nicht gemordet werden darf, schon gar nicht auf dem Weg zur Kirche. Vgl.: http://www.youtube.com/watch?hl=en&v=7gc_dd8CbVw 22 http://en.wikipedia.org/wiki/Omar_Little 23 David Simon im Interview mit Raoul Heertje, Wintergasten vom 28.12.2009, VPRO/NL. 24 Vgl. Hannah Arendt: Die Lüge in der Politik: Überlegungen zu den Pentagon-Papieren, München 1971. 25 http://en.wikipedia.org/wiki/Scott_Templeton 26 Vgl. Horn, a.a.O., S. 29ff. 27 Ebd., S. 25.
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Maren Hirt / Ohne Titel / 2010 / Foto
The Secret Legacy of Aleister Crowley Unknown to most, but notorious amongst the initiates, Aleister Crowley has had an amazing influence on many key modern writers as well as on numerous counter-cultural and pop-cultural icons. By Cristina Ricupero
Controversial and enigmatic, his influence can be seen in the works of persons writers and filmmakers and groups as diverse as Aldous Huxley, Kenneth Anger, William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Hermann Hesse, Aldous Huxley, Timothy Leary, Henry Miller, Anaïs Nin, Fernando Pessoa, Allen Ginsberg and Roman Polanski, and in music, Kenneth Anger to The Beatles, David Bowie, Alice Cooper, The Cure, The Doors, Led Zeppelin, Marilyn Manson, Ozzy Osbourne, The Rolling Stones, Throbbing Gristle and more. Aleister Crowley was born in England in 1875, to parents who were members of the Srict Brethren, a fundamentalist Christian sect. From an early age he rebelled against his victorian conservative background. He discovered the occult while an undergraduate at Cambridge and left the university before completion to embark on a spiritual quest that would determine all his life. During his lifetime, he was a member of several occult organisations, including the Hermetic Order of the Golden Dawn, the A\A\, the Freemasons and Ordo Templi Orientis (OTO). During his youth he was also a chess player, a successful mountain climber, a painter and, as rumour also has it, a British spy. Crowley was also a prolific writer, not only on the topic of occultism, but also on philosophy, poetry, politics and culture. In 1904, Crowley claimed that a spirit from ancient Egypt called Aiwaz, had dictated a book to him called “The Book of the Law”. In this book, he announces and develops his mystical cosmology, „Thelema“, which has as its main precept: “Do What thou Wilt shall be the whole of the Law.” While some have interpreted this to justify a life of self-indulgence, Crowley’s idea of will did not simply focus on
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Aleister Crowley
the individual’s desires or wishes, but also incorporated a sense of the person’s destiny or greater purpose: what he called “True Will”. The second teaching of Thelema is “Love is the law, love under will” – and Crowley’s meaning of love is often sexual. The basis of Thelema was the idea that sex could be used for magical purposes, „magick“ as Crowley named it. It deals with the use of pleasure – sensual, sexual, drug-induced – for spiritual ends. At that time, Crowley broke with the teachings of the Golden Dawn to dedicate the rest of his life to develop his Thelemic philosophy. In a way, it can be said that Crowley was a hippie before his time, as he opened up the doors to and anticipated many counter-cultural communities to come. In 1920 he founded his own „hippie commune“, the Abbey of Thelema in Palermo, Sicily. This “magical school” has been described as a kind of “anti-monastery” as its members were not prescribed to strict rules but rather encouraged to follow their “free will and pleasure.” The general programme included studies of Crowley’s writings, adorations to the sun, regular yoga and ritual practices as well as domestic labour. After the accidental death of one of its members during a magick ritual there was a scandal and Crowley was expelled from the country by Mussolini’s fascist government in 1923. At this time, the tabloid English press coined him as “the wickedest man on Earth”, while Crowley preferred to name himself “The Beast.” Several decades later, it is not surprising to discover that LSD inventor proponent and the psychedelic movement’s biggest guru, Timothy Leary, declared himself as a Crowley enthusiast. Leary, who invented
the catchy phrase “turn on, tune in, drop out”, argued that psychedelics could alter behaviour in unprecedented and beneficial ways. Just as Crowley did before, he started a new, liberating, ecstatic and uninhibited religion, the League for Spiritual Discovery. He once said: “I’ve been an admirer of Aleister Crowley. I think that I’m carrying on much of the work that he started years ago…He was in favour of finding ourself and “Do what though wilt shall be the whole of the law” under love. It was a very powerful statement. I’m sorry he isn’t around now to appreciate the glories he started.” Underground filmmaker Kenneth Anger had been fascinated with Aleister Crowley since his very early youth. Crowley has been therefore a major source of inspiration to his practice and one of his films is actually about Crowley’s paintings. In 1966, after having built up a reputation in the underground gay art-film circuit, he decided to enrol in one of his most ambitious projects, to make a film about the coming Age of Aquarium, which he perceived as an expression of Crowley’s philosophy of Do What Thou Wilt. “Lucifer Rising” would be an epic about the return of the heavenly rebel, and Anger desperately tried to convince Mick Jagger to play the main role. Years later Anger actually claimed that “Sympathy for the Devil” was inspired by a conversation he had with Jagger. In a certain sense it would not be too farfetched to conclude that Crowley, directly or indirectly, has had a decisive role in developing the philosophy or mystic of the drug and sexual revolution of the magic Sixties. His essentially “pagan” outlook was shared by major modern writers and his rebellion against the establishment and “libertine” way of life very much pleased the rock and rollers. Crowley’s portrait was included on the cover of the Beatle’s Sergeant Pepper’s cult album, along with Jung, Edgar Allan Poe, Aldous Huxley, and others, “people we like and admire” according to Ringo Starr. John Lennon once declared in an interview “the whole Beatle idea was to do what you want… do what thou wilt, as long as it doesn’t hurt somebody.” Famous guitarist Jimmy Page from Led Zeppelin was a fanatical follower of Crowley, to the extent of collecting some of his clothing, manuscripts, ritual objects, and in 1970 even bought Crowley’s Boleskine House, where Crowley had practiced his „magick“ rituals. Page and Robert Plant have claimed that some of their songs came via occult “automatic handwriting”. On the back cover of the Doors’ „thirteen“ compilation album of 1970, Jim Morrison and other members of the band appear posing with a bust of Aleister Crowley. David Bowie indulged in Crowley an imagery and proclaimed himself as a latter-day witness of the Golden Dawn. Ozzy Osbourne has a song called “Mr. Crowley” (1980). Crowley’s influence extends far beyond rock and punk bands, reaching into the realms of gothic and industrial bands such as Throbbing Gristle. In his book “Turn Off Your Mind – The Mystic Sixties and the Dark Side of the Age of Aquarius” (2003), Gary Lachman (founding er member of the group Blondie), carefully describes how the decade of love and peace went wrong ending up in Altamont and the Manson Family bloodshed. The book is a very well-researched investigation of the occult revival in the Sixties and its darker undercurrents. It is also a meticulous analysis of how some occult secret societies have had an
Timothy Leary
underground, but crucial impact on society at large. Useless to say, Aleister Crowley makes many appearances throughout the narrative. Lachman ends the book with an open question, as he shows how much of the sensibility that marked a certain reckless pursuit of occultism is still alive today, and always will be, simply because it is so appealing and seductive. So, will the legacy of Aleister Crowley live on?
Cristina Ricupero is an independent curator based in Paris. She worked as curator at NIFCA- the Nordic Institute for Contemporary Art in Helsinki (2000-2005) and also as Associate Director of Exhibitions at the ICA in London (2000-2004). In 2006 she was commissioned to cover the European section of the Gwangju Biennale in South Korea. Since 2008 she is guest lecturer at the department of Sculpture- Transmedial Space at the University of Art in Linz.
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ENDLESS STAIRCASE ENDLESS COMMUNICATION Late November 2009, the art group Gelitin had an exhibition at Galerie Meyer Kainer, Vienna. This provided the opportunity to interview the group consisting of four members, who live and work in Vienna, and whose work – shown around the world – is often characterized by providing visitors with the Possibility of directly experiencing some kind of exchange or interaction with it, yet is also often only accessible or even comprehensible to those who were present in person. Interview with Gelitin by Bomi Ahn and Richard Nikl
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Gelitin, Palais Keiner Mayer (detail), 2010
T hus the actual experience of the work becomes a kind of a secret shared by only a few. At the world exhibition Expo 2000 in Hannover their piece Weltwunder (World Wonder, 2000) remained concealed in a subterranean pit, and could only be reached by visitors willing to dive through a tunnel three meters below the ground to reach it. People who did so were asked not to take pictures or tell anyone what they saw. Another example of Gelitin’s strategy of sharing secrets was Tantamounter 24/7 (2005). In effect, this piece turned the gallery space into a huge Xerox copy machine. Gelitin members, hidden from view, duplicated personal objects provided to them by the audience through the hatch of a wooden box which occupied almost all of the gallery space. These kinds of works cannot be experienced through documenta-
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tion; they are only accessible to those who directly interacted with them. In this regard, the piece by Gelitin realized in Vienna may have been less secretive: they built a huge, gentle staircase made of pre-used wood. It was circling the room like an inclined balcony, and visitors were allowed to step on it up to the highest point at the back of the gallery. Entitled Palais Keiner Mayer, most of the wood came from pre-used desks, chairs or wardrobes, so that the work allowed people to experience the child-like thrill of climbing on furniture, or a makeshift playground. Yet in the way Gelitin’s members interact in an interview, it becomes apparent that even when their work is most accessible, they are also sharing a kind of code or shorthand amongst themselves, their very own way of saying what they are thinking.
Richard: What we can see here is a very interesting process of making of installation. We would like you to basically describe this piece you are building up now. What should it look like? Can you tell us something about its final appearance? Gelitin 1: It comes from our imagination. It‘s a double stairway. Very classic. As everything else, it has its beginning and its end, and that‘s what you as a viewer must discover. Now when we started to build it we had quite different dimensions than we expected, and it is starting to appear more like a Chinese garden. Richard: And can you comment on the materials you use? Because it is made out of a very specific kind of material. Gelitin 1: We love to work with wood. With all kinds of wood with all their essentials.
Gelitin, Palais Keiner Mayer (detail), 2010
Richard: What kind of specific features do you mean? Gelitin 1: For example we were cutting wood off a mahagony secretaire. It smells really delicious... Richard: Yes, we can smell that. Gelitin 2: It is very convenient to work with wood. Gelitin 1: If you use metal, especially the way we work, you must provide the possibility to put pieces together. We could build this up out of metal very elegantly, but we prefer raw things. You can feel it is really sculpture, because it is composed from raw pieces of furniture. Gelitin 2: The wood is not messy. Gelitin 1: For us cutting metal is superpainful. Gelitin 2: It is quite loud.
Gelitin 1: And it is heavy. Richard: And do you have some special attitude to visual aspects of this method of working? G1/G2: Yes. Gelitin 1: It should be a grand stair, which it partially is, but partially becomes a little bit of a Chinese garden as I said. It becomes narrow. It was an accident but we like it. If you walk down you have to look at the rhythm of your pace. It‘s made of really long steps. Richard: So you are not working only with the symbolic meanings a staircase can evoke, but also with some kind of visual attraction? G1/G2: Yes. It should be beautiful. It‘s very beautiful! Gelitin 1: The cardboard on the floor will be removed, now it‘s there just for protection and then we uncover this super reflective concrete,
so we should have the reflection on the object. We are going to build a huge chandelier, it‘s made out of old bent parts of chairs. And then we will put candles on it. But we are still not sure about that. We have to try it, because the chandelier is now made for twenty candles. It is probably enough light, but we have to try. Gelitin 1: I think this will be very good, because we have twenty light sources. It gives very different shadows. It will probably be beautiful. Richard: Is there any special reason to choose black candles? Gelitin 1: No, we just made it for aesthetic reasons. Because white candles are shit. Gelitin 2: Everything will be made out of wood, so they will match with the color of the wood.
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Gelitin 1: Yes, colors of woods are black or brown. When we build something we never try to make it realistic, to fake something else. We are not interested in this at all. When it‘s like a painting, it just sucks. It‘s comedy. Gelitin 2: What we learn is, that it‘s impossible to say when we have something black: ‚I want this part white‘, and then paint it. It looks disgusting! When you want white you have to find a piece of white furniture. Richard: How much did you prepare your project before installation? Did you draw any sketches before? Gelitin 1: Usually we talk to each other, but it‘s good to have some approximate sketches in hand, because it‘s easier to picture it. Gelitin 1: But when you are building it up you can see that unexpected mistakes are coming and you realize they are interesting. For example we made one mistake with proportions, but we kept it, it becomes a regular part of the construction. At first we wanted to make a different pace with a different rhythm, but then we figured out it doesn‘t fit with the size of the room. Gelitin 2: What you have to learn is to live with your mistakes. Gelitin 1: Evolution. Richard: Have you ever worked with this topic of stairs? Or how about inspiration? Gelitin 1: A lot of our previous works are made out of old furniture. Anyway we built one really beautiful staircase for a show in Belgium. However, finally the exhibition was not realized. Gelitin 2: But there is Nude Descending a Staircase, the painting by Marcel Duchamp. Gelitin 1: Yes, that was made for big show in Paris. You can see the picture of it on the posters for Palais Kainer Mayer. Gelitin 2: There were very great scenes in movies that happened on the stairs. Gelitin 1: We really like the idea of imagining space triggered by the staircase. Especially when it‘s a long staircase, because when you walk down wearing a dress with a long train then that creates a very nice spatial experience. Richard: When you need to solve some problem, do you ever agree with each other? Anyway how many members of Gelitin are there? Gelitin 2: Three to five. Gelitin 1: Sometimes one is double sometimes one is only half. So it‘s changing. Gelitin 2: We don‘t really divide responsibilities between us, but that‘s ok.
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Richard: And do you have fights sometimes? Gelitin 2: Yes. Richard: Do you enjoy fighting? G1/G2: Not really. Gelitin 1: But most of our fights are coming out in the situation when we try to locate the direction of something. Which direction is this? (Standing and pointing somewhere). This is always the biggest fight because one of us says: „No way! It‘s there!“ and another one: „No! Definitely there!“ Now we all have compasses, so this fighting potential of locating cardinal points still has to find its place in another sort of conflict and we are really curiously looking for it. I think at the moment it is about volumes and weights. Richard: For example furniture? Gelitin 1: Just estimating something and making calculations. Gelitin 2: One of my favorite fights is when you ask, like, „Ok just slow down, but how steep is this?“ (Making gestures by hands evoking few degrees angle of slope). Somebody says „It‘s about this steep!“ But another one protests: „No! No! No! It‘s like this!“ And you look at two hands showing something completely different. It often becomes a very difficult issue, which can easily last for next to twenty minutes. Sometimes it is important to know. For aesthetic reasons. Gelitin 1: For aesthetic reasons it is necessary to find out: „Is this steep enough? Is this enough steep for walking with exact rhythm of steps you want?“ You must be able to imagine how you are walking over it. And also we had discussions about a big tree we put under the staircase because there‘s a heating system under the floor and it could be too much weight for this spot. So we tried to calculate how heavy it is and it was pretty funny because everybody got a little bit nervous with his pocket calculator and... Gelitin 2: ...we decided it was something between 200 and 400 kilos. (laughs) Gelitin 1: And then somebody asked: „Well, shall we go on?“ and we all said: „Sure!“ Richard: What do you think is the biggest advantage of working in a group? Gelitin 2: We can work twenty-four hours per day. Gelitin 1: We can be at four different places in the world at the same time. Then you can really treat people because you always change names to somebody else. Gelitin 2: And it is really ridiculous, when you go somewhere like biennale or museum,
to go there alone. Bomi: And is there any disadvantage of working together? Gelitin 1: It takes a long time to think about the weight of something. Gelitin 2: You waste a lot of time with senseless discussions. Gelitin 1: It‘s a regular way to spend the time. Because otherwise if you would be so fucking efficient, what would you do? Bomi: Is it only a problem of time? How about expressions of personal ideas and emotions? Gelitin 1: When you work alone you meet other people and you talk to them, you reflect what you are doing. You have people you like, you think about what they are doing, it‘s a process. Of course in terms of the working method, it is quite different when you work alone because you have many talks within yourself. But you are not locked somewhere in the jail. Gelitin 2: Sometimes it is difficult. It‘s like a relationship. You have to learn how to deal with it. Bomi: Yes, of course I know discussion is important, but how about collective expressions and conclusions? Gelitin 1: I think that is simple, because if you ask each of us, you will always get different answers. Gelitin 2: It‘s an interesting point that I haven‘t realized before. Whenever somebody asks to one of us, and then he makes the same question to another one of us, every time he will get completely different reactions. Richard: Is there some typical situation when an idea is coming about? Do you have model situations for that? Or is it every time completely different? Gelitin 2: It comes out of the situations when you do mistakes. The whole process is basically about evolution. Gelitin 1: Then it of course depends „where“ and „what“… Gelitin 2: ...what is very site-specific. Gelitin 1: No. Really not. Gelitin 2: I like this word. Gelitin 1: It is a super-spooky word. I recommend you: never do site-specific. Always do really non-site-specific art. Do something that has nothing to do with anything wrong like that. Gelitin 2: Most of the time it is supposed to be something new. We have exact time and place in specific country with specific society.
Gelitin, Palais Keiner Mayer, 2010
What we only do is that we think together what do they need? Richard: You mentioned evolution few times. Does it mean that also things are generally going to be better and better in your work? Gelitin 2: We can talk for example about satisfaction. But if you - as a person who makes it - are satisfied or not, it has nothing to do with its quality. Richard: And do you think there is way how to „measure“ the quality of an art piece at all? Gelitin 2: Yes, but it‘s completely subjective and different for everybody. Richard: Do any of your members have solo projects? Gelitin 2: I have children. I have to look after them. Bomi: What is the reason you decided to work together? Gelitin 1: By accident. I grew up with brothers. If I‘m going to work alone, it‘s extremely stressful. Ok, if you want to carry this table down now, you really have to get organized.
You need to call people. It‘s just a metaphor of course. But I did shows alone too. For example there was a celebration of 300 years of the Academy of Fine Arts in Vienna which was coinciding with the Anniversary of free range salad plantation under King Louis XIV. I got space in Academy to arrange a salad celebration and students didn‘t like it. I felt like they were standing around me and I was waiting till they would start to beat me. I was scared and really started to look for somebody else to work with me. Gelitin 2: When you are four they criticize you twice more. (laughs) Richard: Now you have been exposed a lot. For instance in „Ice Cream“ (Phaidon, 2007). Gelitin 2: You mean that „groupie-book“? I don‘t know what these books are good for. But lots of people have it! Interesting thing is that we were contacted by a really fascinating person to be in this book, because the person who did this project was Midori Matsui. It is quite a good selection. Maybe it is good as a
source of information. Gelitin 1: It‘s a list of names. Gelitin 2: Anyway, I got this as a Christmas present. Gelitin 1: You‘ve got it? Gelitin 2: Yes, from my sister. Gelitin 1: Ok, Christmas present. „Gelitin“ is comprised of four artists. They met first in 1978, when they all attended a summercamp. They have been playing and working together. From 1993 they began exhibiting internationally. Bomi Ahn is student at the department of SculptureTransmedial Space at the University of Art in Linz since 2009. Richard Nikl was guest student at the department of Sculpture-Transmedial Space at the University of Art in Linz 2009/10. All images used with courtesy of Gelitin and Meyer Kainer Gallery Vienna.
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Eva Teissl / Ohne Titel / 2010 / Foto
Christian Ă–hlinger / Confrontation / 2010 / Skulptur
Jakob Neulinger / Maria Venzl / Bomi Ahn / Richard Nikl / Johanna Goldgruber / Eva Grubinger / Jรถrg Heiser / Oliver Naimer / Christian ร hlinger / Johannes Riener
Andreas Haslauer / Maren Hirt / Benedikt Egger / Catharina Bamberger / Eva Teissl / Laurenz Egger / 2010
Die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron Im späten 19. Jahrhundert entstand in Österreich unter den Vorzeichen exklusiven Geheimwissens eine grotesk wirkende Massenphantasie mit dem harmlos und distinguiert klingenden Namen Ariosophie – Jörg Heiser über die esoterischen Wurzeln des Nationalsozialismus. Von Jörg Heiser
Die Donau bei der romantischen Burgruine Werfenstein, etwa 50 km flussabwärts von Linz, im Frühling 1908. Einige hundert Gäste, die mit dem Dampfschiff aus Wien ankommen, werden mit Kanonenschüssen von der beflaggten Burg begrüßt. Man stärkt sich in den örtlichen Schänken, bevor im Burghof ein feierliches Konzert stattfindet; Chorgesänge und Frühlingsfeuer bis spät in die Nacht. Über das Ereignis wird in den überregionalen Tageszeitungen berichtet. Klingt alles eigentlich relativ harmlos. Doch der Eigner der Burg, ein gewisser Jörg Lanz von Liebenfels, betreibt eine sektiererische Gemeinschaft namens ONT (Ordo Novi Templi, Neutemplerorden). Der Name lehnt sich an den mittelalterlichen, von Kreuzrittern gebildeten Templerorden an. Das im Dezember 1907 formulierte Programm, veröffentlicht in der Zeitschrift Ostara, sieht unverblümt das Voranbringen eines rassistischen „arischen“ Bewusstseins vor, inklusive genealogischer und heraldischer Ahnenforschung sowie Schönheitswettbewerben nach rassischen Kriterien. Zu Weihnachten 1907 weht eine Hakenkreuz-Flagge über der Burg. Die Lebensgeschichte wichtiger weltanschaulicher Vorläufer der Nazis verläuft zu einem Gutteil entlang der Donau und ihrer Zuflüsse: von Wien über Werfenstein nach Linz, Salzburg, und in die „Hauptstadt der Bewegung“, München. Die Rede ist von okkultistischen Sektierern, die den ideologischen Boden mitbereitet haben für Hitler: besonders Guido von List und eben jener Lanz von Liebenfels. Ein weiterer Sektierer in ihrem Geiste stieg in den engsten Kreis der NaziGrößen auf: SS-Oberführer Karl Maria Weisthor (alias Wiligut). Er beriet Heinrich Himmler in esoterischen Belangen, war gar eine Art Rasputin des Reichsführers der SS. In Weisthors Geiste operierte die
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Eliteorganisation des Dritten Reiches mit geheimgesellschaftlichen Symbolen und Riten, um der von ihr betriebenen Industrialisierung des Massenmords im Zeichen von Auschwitz den Anstrich höherer Berufung zu verleihen. Die Entwicklung geht im mittleren bis späten 19. Jahrhundert zu großen Teilen von Wien aus. Mit dem Sieg im Deutschen Krieg von 1866 realisierte Preußen die „Kleindeutsche Lösung“: die Führung Preußens in einem Deutschen Reich – unter Ausschluss Österreichs. Dadurch wurde die Bildung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn indirekt forciert, was in dem neu gebildeten k.u.k.-Reich automatisch eine Stärkung der demographisch dominierenden nichtdeutschen Bevölkerungsanteile bedeutete. Dies wiederum rief pangermanistische Strömungen auf den Plan, denen das Vielvölkermodell ein Dorn im Auge war; und welche die Kränkung heimgesucht hatte, nicht Teil einer „Großdeutschen Lösung“ geworden zu sein. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin sollten sich diese Strömungen zunehmend in den völkischen Gruppierungen verfestigen, die deutschnationale, rassistische und antisemitische Forderungen mit einer stramm germanisch-maskulinen und antidemokratischen Weltanschauung verbanden. Etwa zu dieser Zeit entwickelte sich international – von London bis New York – eine esoterische Strömung, die Theosophie, deren Stichwortgeberin die Deutsch-Russin Helena Blavatsky war. Zeittypische spiritistische Praktiken wie Séancen spielten zwar auch eine Rolle bei Blavatsky, vornehmlich aber ging es um einen esoterischen Mix, der östliche Religionsmotive aus Hinduismus und Buddhismus zusammenführte mit jüdisch-christlicher Gnosis aus dem 2. und 3. Jahr-
hundert (von Kabbalah bis Hermetik). Grundmotiv war letztlich die Vorstellung eines privilegierten Offenbarungswissens, das nur durch bestimmte meditative Techniken, überlieferte Initiationsriten und geheimes Wissen (insbesondere Magie) zu erreichen sei. Überdies entwickelte Blavatsky die Rede von den fünf „Wurzelrassen“, eine Einteilung der Menschheitsgeschichte in sieben Entwicklungsstufen, in deren fünften, „arischen“, wir uns befänden. Die vorletzte habe vor eine Millionen Jahren mit dem Untergang von Atlantis geendet. Es ist dieser Hintergrund, vor dem sich eine komplett grotesk wirkende Massenphantasie – gleichwohl unter den Vorzeichen eines exklusiven Geheimwissens – mit dem harmlos und distinguiert klingenden Namen Ariosophie herausbildete. Guido von List war ihr Vorreiter, ein reger Publizist esoterisch-völkischer Schriften. Die theosophische Rede von den Wurzelrassen und dem arischen Zeitalter im Geiste Blavatskys nahm er begierig auf und überführte sie bald in sein eigenes ideologisches System, indem er Blavatskys „hinduistische“ durch eigene „germanische“ Versatzstücke ersetzte. List war Sohn des Wiener Lederhändlers Karl Anton List – das Adelsprädikat „von“ legte er sich nach dessen Tod zu. Diese seltsame Sehnsucht nach altem Adel und entsprechenden Namen, in denen eine germanische Stammeslinie widerhallen soll, scheint typisch für zahlreiche Wortführer und Anhänger der ariosophischen Gruppierungen. Im sorgfältig recherchierten Standardwerk des britischen Historikers und Esoterik-Experten Nicholas Goodrick-Clarke, The Occult Roots of Nazism (2004), häufen sich zahllose obskure Namen, die so zeittypisch altertümlich wie grotesk, exzentrisch wie parodistisch-poetisch klingen. Eine kleine Auswahl: Ottokar Stauf von der March; Nittel von Warnsdorf; Ludwig von Bernuth; Hermann Pfister-Schwaighusen; Wilhelm von Pickl-Scharfenstein (Baron von Witkenberg); Demeter Georgiewitz-Weitzer; Wilhelm Hübbe-Schleiden; Wladimir von Egloffstein; Ellegaard Ellerbek; Karl Lueger (der antisemitische Wiener Bürgermeister); Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld; Aurelius Polzer; Ernst Wachler; Wilhelm Rohmeder; Franz Winterstein; Ernst von Wolzogen; Harald Arjuna Grävell von Jostenoode; Dankwart Gerlach; Conrad Galsenapp; Oberst Karl Hellwig; General Blasius von Schemua; Frodi Ingolfson Wehrmann. Spätestens bei letzterem Namen – Frodi ist ein alter mythischer Königsname, der in der isländischen Edda ebenso wie im altenglischen Beowulf-Epos auftaucht, abgewandelt als Frodo übrigens auch bei Tolkiens Herr der Ringe – beschleicht einen endgültig der Verdacht, dass mindestens bei einigen dieser Herren über zeittypische Namensmoden hinaus gehörig nachgeholfen wurde bei der Konstruktion einer arisch- ritterlichen Abstammung. Die Beschwörung einer blaublütig germanischen Genealogie wird zur phantasmatischen Selbsttröstung der aus der „Kleindeutschen Lösung“ ausgeschlossenen Deutschnationalisten.
Jörg Lanz von Liebenfels (1874 - 1954)
Guido von List ist vergleichsweise bescheiden und schlicht bei der Namenswahl, dafür umso kühner in der Konstruktion der eigenen Herkunft. Seinen angeblichen Adelstitel, den er erst 1907 ins Wiener Adressbuch eintragen ließ, belegte er bei einer Überprüfung durch das Adelsarchiv Wien mit einem Siegelring, der das Wappen des Ritters Burckhardt von List aus dem 12. Jahrhundert trug. Zum Ruhm Lists trug nicht unwesentlich bei, dass er verkündete, hellseherisch in die germanische Vergangenheit zurückblicken zu können; 1917, im I. Weltkrieg, weissagte er nach einer „Vision“ den heraufziehenden Sieg, musste dann aber die Niederlage von 1918 wiederum zur notwendigen Katastrophe vor der nahenden Erlösung der Ario-Germanen umdeuten. List hatte bereits mit seinen ersten Schriften ein begeistertes Echo im völkischen Milieu hervorgerufen, etwa mit dem Roman Carnuntum (1888), in dem er einen fiktiven Angriff germanischer Volksstämme gegen die römische Provinzstadt Carnuntum (40 km östlich des heutigen Wien gelegen) schildert. Entscheidend aber ist seine Implementierung germanisch-heidnischer Religionsmotive in das Konstrukt einer arischen Herrenrasse, die zum Herrschen bestimmt sei. Mit der nach außen gerichteten, esoterischen Doktrin des Wotanismus – nach der höchsten germanischen Gottheit Wotan, oder Odin – sollte den niederen sozialen Klassen ein popularisierbares Mythenbild geliefert werden. Die nach innen gerichtete, esoterische Doktrin der Armanenschaft hingegen sollte eine kleine Kaste der Eingeweihten bezeichnen, den Hohen Armanen Orden (HAO): Unter Rückgriff auf Motive der Freimaurer und Rosenkreuzer prägte List diesen Namen, um eine auf teutonische Wurzeln zurückgehende Linie mythischer Priesterkönige
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Helena Petrovna Blavatsky (1877)
zu beschwören. Seinen spekulativ-bizarren Entwurf versuchte er mit allerlei Anleihen aus dem esoterischen Fundus anzureichern, etwa kryptographischen Sigillen (d.h. magische Piktogramme) nach dem Sponheimer Abt Johannes Thritemius (1462–1516), oder eigenen Deutungen germanischer Runen als magische Zeichen. Ab den zehner Jahren des 20. Jahrhunderts malt er eine zukünftige Herrschaft der „Armanen“ aus: Ohne Umschweife forderte er die bedingungslose Unterwerfung der Nicht-Arier unter die arische Herrenrasse. Die Unterworfenen und Versklavten sollten alle niederen Arbeiten ausführen, während höhere Ämter in Wirtschaft, Geistesleben oder öffentlichen Dienst den Ario-Germanen vorbehalten sein würde. Die Vergabe würde zuerst anhand des Kriteriums rassischer Reinheit entschieden werden. Nur männliche Ario-Germanen sollten volle Freiheits- und Bürgerrechte genießen, während jede Familie ein rassisches Abstammungsbuch führen sollte. Ein Gesellschaftsentwurf, der die Nürnberger Rassengesetze und das allgemeine Vorgehen der Nationalsozialisten auf frappierende Weise um zwei Jahrzehnte vorweg nimmt. Lists mystischer Elitismus ähnelt dabei den Visionen Heinrich Himmlers von einem SS-Ordensstaat. Lists Konstruktion beinhaltete typischerweise auch eine Verschwörungstheorie, die erklären sollte, warum der Herrenrassenstaat nicht längst verwirklicht war; schuld daran sei die – in Österreich so starke
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– Katholische Kirche, die die germanische Priesterschaft über Jahrhunderte dämonisiert und verleugnet habe. Daraus erklärt sich auch die Notwendigkeit von Geheimpraktiken, um das verbotene Wissen tradieren zu können. Eine typisch tautologische Argumentationsfigur von Geheimlehren: Die Notwendigkeit des Geheimnistuerischen erklärt sich aus einer wiederum geheimen Verschwörung der Gegner. Lists Vorstellung von der Wiederbelebung des spätmittelalterlichen, geheimen „Vehmgerichts“, das ähnlich wie ein Mafia-Gericht bei Nacht und Nebel tagt, um Todesurteile zu verhängen und zu vollstrecken, wurde dabei zur Lieblingsphantasie einer Vorbereitung des kommenden pangermanischen Imperiums. Hier zeigt sich eine für sektiererische Gruppierungen dieser Art typische Doppelstrategie: Einer okkult-religiösen Initiation nach innen soll eine politischmilitärische, jedoch verdeckte Aktion nach außen gegenüber stehen. Lists antiklerikale Ausrichtung steht auf den ersten Blick im krassen Gegensatz zum Ansatz des Zisterzienser-Mönchs Jörg Lanz von Liebenfels, der neben List zum wichtigsten Stichwortgeber der mystisch-germanischen Eiferer werden sollte. Liebenfels hatte sich wie List eine fiktive Adelsgenealogie zugelegt: Der Sohn des Schulmeisters Johann Lanz aus Wien-Penzing behauptete, der Sohn des Baron Johann Lancz de Liebenfels zu sein, dessen Linie bis ins mittelalterliche Sizilien zurückreiche. Doch wo List neoheidnische Germanen-Religiosität einsetzte, operierte Liebenfels mit obskurer frühchristlicher Gnosis und Verweisen auf den Templerorden, mit dem gleichen Ergebnis: dem Beschwören einer arischen Herrenrasse, der zu totalitärer Herrschaft zu verhelfen sei. Das doktrinäre Hauptwerk des Jörg Lanz von Liebenfels trägt denn auch den unnachahmlich verrückten Titel Theozoologie oder die Kunde von den Sodoms-Äfflingen und dem Götter-Elektron (1905). Mit Theozoologie war eine wüste Verbrämung biblischer Motive mit zeitgenössischen wissenschaftlichen Erkenntnissen wie etwa aus der Radiologie gemeint. Dieser zufolge waren die göttlichen Wesen, etwa die Engel, nichts anderes als frühere höhere Lebensformen, die übersinnliche Fähigkeiten besessen hätten, welche durch die sodomische Vermischung mit niederen Rassen abhanden gekommen sei, durch Rassenhygiene den Ariern aber in Zukunft wieder zukommen werde. Zu diesem Behufe gründete Liebenfels (der im übrigen offenbar wegen fleischlicher Sünden 1899 den Zisterzienserorden verließ) 1907 den geheimen Männerbund des ONT. Unter diesen Vorzeichen fanden denn auch die eingangs geschilderten mystischen Weihespiele auf Burg Werfenstein statt. Man geht heute davon aus, dass Adolf Hitler zu den Lesern der
Liebenfels-Postille Ostara gehörte. Gleichwohl hütete er sich davor, ideologisch und inhaltlich expliziten Bezug auf okkultisch-mystische Vorläufer zu nehmen. Hitler wollte nicht der mythischen Tradition nachhängende elitäre Kleinzirkel gründen, sondern eine ekstatische, jeder zivilisatorischen Skrupel entledigte Massenkultur ins Leben rufen, die der totalen industriell-militärischen Gegenwärtigkeit verpflichtet ist, auf eine tausendjährige Zukunft hin. Mythische Vorläufer interessierten ihn dabei allenfalls als Mittel zum Zweck; deren explizite Würdigung wäre diesen Zielen (und wohl auch der Eitelkeit Hitlers) eher im Weg gewesen. Schon in Mein Kampf (192526) mokierte er sich über die esoterischen „Wanderprediger“ mit den Rauschebärten, und beim Reichsparteitag 1938 verkündete er, dass „das Einschleichen mystisch veranlagter okkulter Jenseitsforscher nicht geduldet“ werden könne. Dennoch sind die Parallelen im Rassenwahn und den Fantasien des großdeutschen Reiches allzu ähnlich zu denen Lists und Liebenfels’, um bloß einer allgemeinen Milieuähnlichkeit geschuldet zu sein. Zumal Hitler ja mit Himmlers SS eine recht deutlich mystisch unterfütterte Elite zu einem seiner Hauptinstrumente machte. Eine nicht zu vernachlässigende Rolle als Wegbereiter der Hitlerschen Nazi-Bewegung in München spielte auch die Thule-Gesellschaft, die sich unter der Führung von Baron Heinrich von Sebottendorf (eigentlich Adam Glauer – noch ein Pseudoadliger von eigenen Gnaden) in München in den Jahren nach dem I. Weltkrieg traf. Unter den Gästen bei Versammlungen befanden sich spätere Nazigrößen wie Rudolf Hess und Alfred Rosenberg. Insbesondere mit dem Aufbau der Zeitung Münchner Beobachter – später Völkischer Beobachter – trug Sebottendorf zum Aufbau der frühen Nazi-Propaganda bei. Aus der 1925 in Bayern gegründeten Gruppierung Edda-Gesellschaft entstand in den frühen 1930er Jahren die Postille Hagal, die alleine drei Ausgaben dem angeblichen hellseherischen Wissen eines gewissen Karl Maria Wiliguts über die germanische Ahnenschaft widmete. In der Zeit zwischen 1918 und 1929, in der die schnelle Abfolge von Kriegsniederlage, Hyperinflation, wirtschaftlicher Scheinblüte und ökonomischem Zusammenbruch ein Gefühl apokalyptischer Irrealität erzeugt hatte, war der Nährboden bereitet für selbsternannte germanische Seher und Traditionshüter. Doch keiner dieser Sektierer erreichte nach 1933 unmittelbaren Einfluss auf die Nazi-Herrscher – mit Ausnahme von Weisthor alias Wiligut. Der gebürtige Wiener und lang gediente Offizier der österreichischen Armee setzte sich 1919 nach seiner militärischen Laufbahn in Salzburg zur Ruhe, nur um dort um so emsiger an der Legende zu stricken, er sei Abkömmling ei-
Guido von List
ner uralten, prähistorisch germanischen, natürlich königlichen oder gar halbgöttischen Sippe und könne über zig Jahrtausende zurück in die Vergangenheit blicken. Seine Zeitrechnung beginnt 228.000 vor Christus, als noch drei Sonnen auf eine von Riesen und Zwergen bewohnte Erde geschienen hätten. Wiligut entwickelte zunehmend paranoide Vorstellungen von einer Verschwörung der Katholischen Kirche mit Juden und Freimaurern. Der Kindstod eines ersehnten männlichen Stammhalters und eine finanzielle Misere, die durch die Fehlinvestition eines Exkameraden hervorgerufen wurde, führte dazu, dass bei Wiligut 1924 eine Schizophrenie mit megalomanischen und paranoiden Ausprägungen diagnostiziert wurde und er unfreiwillig in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wurde, die er erst 1927 wieder verließ. Offenbar legte er sich nicht zuletzt aufgrund dieser Vorgeschichte für seinen Eintritt in die SS das Pseudonym Weisthor zu.
Jörg Heiser ist Chefredakteur von frieze und Autor von Plötzlich diese Übersicht . Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht Claassen Verlag, Berlin (2007). Er kuratierte die Ausstellungen Funky Lessons , BAWAG Foundation, Wien (2005) und Romantic Conceptualism , Kunsthalle Nürnberg (2007). Seit 2008 ist er Gastprofessor im Fachbereich Bildhauerei-transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz.
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Benedikt Egger / Three / 2010 / Skulptur
re-thinking the city With his long-standing experience of both the sculptural and architectural praxis, Andreas Fogarasi became an internationally known artist chiefly for his spatial interventions, objects, typographic research, and architectural analysis. In his works, he systematically engages with the development and transformation of urban spaces, their aspects of perception and other related issues. Since 2001 he has been editor and co-publisher of the magazine Dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, for which he edited issues on “Culture as an Argument“ and “Visual Identity“. Interview with Andreas Fogarasi by Bomi Ahn and Richard Nikl
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Andreas Fogarasi, Untitled (detail), 2005
Richard: There is noticeable architectural influence in your works. What do you think of the relation between visual art and architecture today? Or don’t you think of art in terms of these categories at all? Andreas: Yes, I do think in categories, I think they are quite important. Obviously there are a lot of overlaps between these disciplines and each of them can learn a lot from the other. The differences are contextual and structural, for example in the way a work begins. I studied architecture not before, but while I was starting to work with art. As an architect somebody comes to you with a problem and your role is to solve this problem, whereas as an artist you have the freedom to create more problems. Sometimes this can be just much more productive. One of the reasons for me to stop architecture was that I didn‘t want to be an architect, and that I didn’t want to engage 44
myself in this classical client-architect relationship. As an artist you can still contribute to the discourse of architecture, and maybe that is architecture too then. Bomi: Can you shortly describe your particular approach of connecting art with architecture and urbanism? Andreas: As I said I decided to not become an architect, but studying architecture gave me a whole different set of skills and knowledge than studying art, and some of them have been very useful: materials, constructional methods and methodologies to think about complex issues - all very practical for making art. Architecture and the city are essential points of reference for me. Through architecture you can learn a lot about certain ideas, utopias, failures or conflicts of interest in a certain period of time. Cities are kind of built arguments and ideas and they are places
where historical social and political struggles become visible in the most apparent form. Bomi: You often present your works in a very specific way. From my point of view your approach is often affected by certain situations in public space, for example Digital Justice/ Sound Traveller, 2003, where you use light signage usually known as an advertising method in highly frequented public space. How would you interpret this tendency in your work? Andreas: I try to overcome the distinctions between an individual piece, an installation, a sculpture and an exhibition architecture. The result is a specific spatial situation and the exhibition is the medium. At the same time there is not such a big difference between an exhibition space and other spaces: things are arranged in it, and you are interacting with them in some way. I don‘t overestimate audience participation in an exhibition, but of course the work changes to a certain extent with the viewer, as well as with the context of the work: the museum, the gallery, public space etc. The individual knowledge and experience of the viewer, different layers of understanding and meaning. Sometimes a piece looses its power in all these layers, but sometimes it develops into something much more interesting and complex. That‘s the challenge, to allow that complexity, but retain some points that cannot be misunderstood. Bomi: I would like to know more about your personal attitude to art in public space. Do you think public art is an effective strategy for making art more accessible and participatory in society? And what do you think of its potential of affecting people? Andreas: I don‘t think that art has better possibilities to participate in public discourse than any other player. When you do a piece in public space you are in difficult position, because there are so many other things going on. To compete with advertisements, the media, architecture, you would have to do something spectacular. So I am not too optimistic about the impact that a piece in public space can have, but obviously people see it and can come to conclusions through them, so there is a certain possibility to have some influence. Ultimately, I think the goal is not to make art more accessible, but to be an
alternative, unforeseeable and critical player in this space, that is governed by political and economic forces. Richard: At first glance your works very often seem to be minimalist sculptural projects, but there is a much deeper theoretical background behind the surface. What kind of role does beauty play in your production and how much visual aspects cohere with the making of space dividing structures? Andreas: Beauty is important (laughter) and very subjective. So obviously I make things that I think look good. This is the most basic subjective act: to do something you want to look at, not as a goal in itself, but as a strategy to look at other things at the same time. I try to create things that are always on the edge between perfection and something else. When you look at them first, they may be beautiful minimalist sculptures, but when you walk around them they can look like doit-yourself structures, like pieces of architecture or like theatre props. They often have a front side and a back side, and the back side is equally important, to see the materiality and the construction. I like materials that have a back side that you don‘t usually see. My work is an attempt to get both an affirmative and a critical view at the same time. I am always on this edge between the possibility to look at things critically and to be overwhelmed by it for a short moment, visualizing and isolating effects of persuasion. Bomi: From my point of view, on the one hand these clean and refined surfaces look fragile and delicate, and on the other hand the theatre props override this breakable feeling. This makes me think of some of the buildings realized for the Olympics in Beijing 2008, such as the Bird’s Nest by Herzog & de Meuron or the Water Cube by PTW Architects. These architectural forms look very fragile and cold because a perfect skin covers their inner skeleton structure. However, due to contrast of material and construction your way of presentation almost seems like a mockery or an ironic comment on this approach. Andreas: I am very interested in this landmark architecture like the Bird‘s Nest stadium and all these photogenic structures which can be abstracted to little icons on tourist maps of cities. Now we are in Linz and
Andreas Fogarasi, Kultur und Freizeit, 2006
on both sides of the river Danube there are these museum buildings glowing in the dark in different colors. Many of my sculptural works are in a way also caricatures of these architectures, I take up certain prototypical formal strategies from architecture, isolate and abstract them. For example Rampe/ Steg (2005) is about this modernist utopia of the dissolution of spatial boundaries: floor becomes wall becomes ceiling. But then there are other points of reference – skating ramps, shop design, the photo studio. So my sculptures are some kind of ironic commentaries on these components, bringing them together with other more subcultural interests. By the way in the case of the stadium in Beijing, all these lines and forms around it are not only decoration or surface, but also the structure of the building. It is a very elaborate structural design. Nonetheless it is the cliché of
spectacular landmark architecture. Richard: Do you rather tend to operate with symbols and hidden codes in your work? Or vice versa are you trying to provide some kind of immediate experience to your audience. Andreas: In my work I am interested in the notion of information, the didactic. Decisions on how much information are incorporated in the work and how much is left empty in order to be filled by the spectator, have been very important. It is not about hiding messages or symbols that have to be decrypted – the objects, installations and videos can be seen and understood by everybody. Some elements of the work are very easy to see, some are less obvious. Some get explained by the context, some by the title of the object. And then you have all these aspects that I don‘t intend and I don‘t know about, but the viewers see them, because they relate to 45
Andreas Fogarasi, Steg / Rampe, 2005
their lives or experiences somehow. So there are many references, some I can control and some I cannot. Ideally a complex net emerges which holds them together. Richard: What are you working on now? Can you describe your current direction? Andreas: Well, usually one project evolves out of the previous one and is informed by similar interests. In the process of making I often refer to earlier works, which often remains unnoticed, because the pieces don‘t seem to be similar to each other. At the moment among others I work on a series of marble sculptures. They are most obviously sculptures, but because of their odd size and placement, they could also be something else, for example a small monument or a sign or an architectural model. They are entitled Placemark . followed by the name of the stone they are made from. The title obviously refers to
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landmarks, but also to the little pins used in Google Earth, to mark a place on the map. Another project I am working on right now is a Panorama in Istanbul that will be built in public space. It is based on the spatial model of the 360° panorama painting popular in the 19th century. The topic and the condition of the piece is the view in the city of Istanbul – the struggles for the Right to View. Istanbul is a very panoramic city and was a popular motif of the aforementioned 19th century traveling panoramas. The skyline of the historical city, the Bosporus, the Marmara Sea have turned into icons that you see everywhere while the view also is one of the leading factors in realestate development and urban sprawl. My project documents views and images of the city while it is itself a (slightly disfunctional) place and spatial structure to view the city itself.
In 2007 Andreas Fogarasi‘s project Kultur und Freizeit (Culture and Leisure) awarded the Golden Lion prize was exhibited in the Hungarian Pavilion of the 52nd Venice Biennale. The project focuses on cultural peripheries and the disconnection of the locations of popular culture, a phenomenon affecting and concerning nowadays all Europe. He participated in exhibitions such as Manifesta 4 and Biennale of Young Artists and recently has had solo shows at MAK, Vienna, Lombard-Freid Projects, New York and Ludwig Forum, Aachen. Born and lives in Vienna. Bomi Ahn is student at the department of SculptureTransmedial Space. Richard Nikl was guest student at the department of Sculpture-Transmedial Space. All images used with courtesy of Anreas Fogarasi, Jörg Auzinger/KÖR Wien, Francois Doury, Lisa Rastl and Susanne Stadler
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Johanna Goldgruber / Scene 5 - Take 2 / 2010 / Skulptur
Psyche hin, Kanal her! Antiklerikale Tage und Tischler in Aspik: Johannes Staudinger über ein seinerzeit berühmtes Beispiel subversiver Gegenkultur aus Österreich in den Achtziger und Neunziger Jahren. Hatte der Kulturverein Kanal im Mühlviertel eine „geschlossene“ Struktur? Von Johannes Staudinger
„Psyche hin, Kanal her!“ – ein Transparent mit diesem Spruch zierte Anfang der Neunziger Jahre für einige Monate die Fassade des Kulturvereins Kanal in Schwertberg im unteren Mühlviertel. Idyllisch gelegen im waldreichen Josefstal, zwei Kilometer außerhalb des Zentrums, zwischen dem Fluss Aist und einer zur Rushhour stark befahrenen Pendlerstrecke, welche die ArbeiterInnen tagtäglich in die sozialdemokratische und vor Selbstbewusstsein strotzende Industriegemeinde strömen ließ, war das ehemalige Verwaltungsgebäude einer Kaolinfabrik von 1986 bis 1999 Zentrum einer Gegenkultur, die österreichweit einzigartig war, was die Konstellation der Einzelcharakteren und die dort inszenierten Aktionen und Veranstaltungen betraf. Die relativ kurze Geschichte dieses Projektes/Hauses gleicht aber bei näherer Betrachtung den vielverästelten, bis ins Dunkle ausufernden Räumen, wie sie Mark Z. Danielewski in seinem Roman Das Haus – House of leaves (2000) beschreibt. Schon zu Beginn der Achtziger Jahre rottete sich eine Handvoll Gleichgesinnter zusammen, um der politischen sowie kulturellen Tristesse zu entgehen. Nach der zweiten Ölkrise Ende der Siebziger hatten sich in den darauffolgenden Jahren die globalen Wirtschaftsstrukturen wieder gefangen, und so konnten sich die ansässigen zu hundert Prozent familiär geführten Industriebetriebe (Maschinenbau, Kunststoffverarbeitung, Kartonagen, Logistik) durch anziehende Exportraten in Sicherheit wiegen. Gewinne konnten wieder abgeschöpft werden und das Prinzip Leistungsgesellschaft wurde auf dem Rücken der ArbeiterInnen zelebriert. Die Gemeinde Schwertberg strahlte ob der Regelmäßigkeit der Steuereinnahmen. Dieser Umstand bereitete das Feld, auf dem die genannten Individuen den Entschluss fassten, sich weitestgehend aus gegebenen Strukturen abzustoßen, um sich einerseits gegen das kapitalistische, christlich unterfütterte System zu stellen, und um andererseits eine eigene, nicht dem Mainstream unterliegende Kultur zu gestalten und zu leben. Proponenten aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen wie Elektriker, Spengler, Friseuse, Lehrer, Maurer, Werkzeugbauer,
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Beamte, Akademiker, etc., alle zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, waren TrägerInnen dieses Micro-Movements. Ähnliche Strukturen entstanden im gleichen Zeitraum in ganz Oberösterreich. Wurden anfangs noch entsprechende Veranstaltungen an „fremden“ Örtlichkeiten, wie im „Wirtshaus zur Kathi“ organisiert, so ergab sich Mitte der Achtziger die Gelegenheit das Objekt Josefstal 21 miettechnisch zu ergattern. Bald wurde eine Lösung gefunden, wobei eine einzelne Person mit ihrem Namen für den Mietvertrag gerade stand, etwaige, für die Zukunft noch essentielle Formalitäten einstweilen zu erfüllen. Dadurch fand vorerst eine Abkapselung nicht nur auf kultureller Ebene statt, sondern auch geografisch, und man verschwand aus dem Blickfeld des örtlichen Bürgertums. Diese neue Distanz schuf vorerst für Betreiber, Unterstützer und Sympathisanten des Kulturvereins Kanal neue Möglichkeiten der Entfaltung. Währenddessen wurde im Ort und den Nachbargemeinden Verschiedenstes gemunkelt. Von außen wurde diesem Unterfangen eher mit Ängstlichkeit und unguten Gefühlen begegnet. Was nicht verwunderlich ist, denn man hatte sich schon zuvor nicht mit den Anliegen der Gruppe auseinander gesetzt; um so schwieriger war es nun, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, da die BetreiberInnen zu diesem Zeitpunkt längst eine autarke Struktur und Umgebung geschaffen hatten. Somit musste man sich damit zurechtfinden, dass der Kanal als Giftlerhütte, Arbeitsverweigererstadl, Sekte, etc. bezeichnet wurde. Voll Tatendrang wurde dennoch damit begonnen, das Haus zu adaptieren, zu gestalten und mit Leben zu füllen. Es wurden Wohnräume geschaffen, ein Büro installiert, Leitungen gelegt, der Hof geebnet, zwei Hallen für Veranstaltungen mit dem nötigen Equipment ausgestattet, ein leerstehender Raum als Bibliothek vorgesehen und eine Bar fürs Soziale und für Einnahmen zur Finanzierung mit einem Kachelofen ausgestattet. Spätestens hier wurde deutlich, dass es sich nicht um eine Gruppe hausbesetzender Punks handelte, auch wenn man mit solchen durchaus sympathisierte; anstatt Totalverweigerung ging es darum, neue Strukturen und Diskurse zu etablieren. War die Hardware somit in Stand gesetzt, wendete man sich der schrittweisen Entwicklung der Software zu. Schnell wurden, zwar ohne Veranstaltungsgenehmigung, Konzerte, Lesungen und Happenings organisiert. Es entstanden ein eigenes Kunst- und Musiklabel mit eigenen Bands, wobei noch zu Zeiten ohne Internet ein internationales Netzwerk verschiedenster Underground-Acts aufgebaut wurde. Es wurde eine eigene, gesellschaftskritische Zeitung entwickelt. Als legendär können die im Jahr 1988 ausgerichteten „antiklerikalen Tage“ anlässlich des Papstbesuchs in Österreich bezeichnet werden. Höhenpunkt war dabei sicherlich der Auftritt der Band Drahdiwaberl, bei welchem sich sprichwörtlich die Balken bogen. Hunderte von Sympathisanten erlagen der orgiastischen Atmosphäre und die Öffentlichkeit mokierte sich über die im Kanal begangenen Provokationen. Dadurch und durch andere Vorkommnisse wurde das Haus mehrmals von Räumungsklagen bedroht. Es kam immer wieder zu spontanen Hausdurchsuchungen seitens der örtlichen Gendarmerie, die aber zu keinen drastischen Auswirkungen führten. In den ersten Jahren konnte man den Betrieb ohne Subventionen
aufrecht halten, indem man diesen von Eintritten, Einnahmen der Bar und Spenden finanzierte. Doch konnte durch bereits bestehende Kontakte zu einer benachbarten, politisch links agierenden Gruppe eine Person gefunden werden, welche sich mit kulturbürokratischen Fragen auseinander setzte, um damit für eine solide Ausrichtung zur Finanzierung des Unterfangens zu sorgen. Neben dem laufenden Betrieb wurden namhaften Bands wie Attwenger und HP Zinker immer wieder die Struktur zur Verfügung gestellt, um entweder eine gute Zeit im idyllischen Umfeld zu verbringen, oder auch, um im Proberaum für die neu anstehenden Gigs und Tonträgerveröffentlichungen zu proben. Es war die Regel, sich um alle Gäste, welche mit ihren Darbietungen ein teilweise weit angereistes Publikum begeisterten, bestmöglich zu kümmern. Insgesamt war das Haus dadurch geprägt, dass trotz höchster personeller Heterogenität Außenstehende ein Bild maximaler Homogenität wahrnahmen. So kam es an der Bar immer wieder zu Diskussionen mit Interessierten, die meinten, dass durch diese anscheinend „geschlossene Struktur“, keine Möglichkeit zu finden, um sich am Programm zu beteiligen. Dies wurde zwar bestritten, aber trotzdem konnte man Fremdveranstaltungen an einer Hand abzählen. Man wollte zwar Anfragen von außen mit Einfühlungsvermögen begegnen, doch war man nicht in der Lage und in der notwendigen Situation, Vorschläge von anderen in den eigenen intellektuellen Fundus zu übernehmen. Vielleicht war man aber auch einfach zu cool dafür. Der Kanal lief erfolgreich. Langsam begannen sich, trotz immer wieder kontroversiell diskutierter Veranstaltungen, Subventionen einzustellen. Land, Bund und Gemeinde stellten finanzielle Mittel zur Verfügung, bis Mitte der Neunziger stellte sich ein halbwegs professioneller Betrieb ein. Das Büro war regelmäßig mit Geschäftsleitung und Programmdirektion auf Werkvertragsbasis besetzt. Lustvolle Veranstaltungen waren das Ergebnis. Beim Sexclubbing konnten zu treibenden Beats Männer – allesamt Kanalis – in Strapsen beim Schlammcatchen und beim Tanzen im Käfig bestaunt werden. Vorm Eingang bei der Kassa lag ein ehemaliger Tischler auf einem Tisch nackt in Aspik und Obst. Währenddessen verzauberte das im Hause beheimatete Label immer wieder mit extravaganter Roboter- und Maschinenkunst. Performances mit dem U-Robot und Da Machine, die performative Installation Ein Auto fällt nicht weit vom Stamm waren herausragende Ereignisse. Die Bewohner und Betreiber waren auch mit einem besonderen Humor ausgestattet. Kam man etwa in den Genuss eines Kulturpreises, lautete die Regel, dass man diesen verweigerte. Wenn man ihn denn doch entgegennahm, zückte man dem überreichenden Landeshauptmann aus einem Blumenstrauß ein Schwert entgegen (in Anlehnung an ein Messerattentat auf einen deutschen Politiker), um es ihm sodann als Geschenk zu überreichen. Die Urkunde wurde danach noch im Hof des Kanals feierlich beigesetzt. Selbstironisch wurde das Haus mit dem eingangs zitierten Spruch beflaggt, um auf die Offenheit des Hauses hinzuweisen; „Psyche hin, Kanal her“ leitete sich vom Slogan einer Autovermieterkette ab: „Auto hin, Kalal her“. Herr Kalal war 1996 einer der Hauptverdächtigen eines „Prozess des Jahres“ in Österreich.
Kulturverein Kanal
Überschwänglich waren all die Jahre, und einer Generationenfrage konnte und wollte man sich auch nicht verschließen. Einige Hauptakteure begannen sich leise zu verabschieden. Der Vereinsvorstand wurde neu besetzt und neben dem als bisher „normal“ empfundenen Programm, musste man sich mit einer stetig wachsenden RaveCommunity auseinandersetzen, welche am Ende der Neunziger, an Wochenenden teilweise zu Tausenden das kleine Haus bevölkerten. Dies ließ die ansässigen Behörden wieder aus ihren Löchern hervorkriechen, wobei dadurch die letzten Tage gezählt waren. Die Tatsachen, dass die Veranstaltungen über all die Jahre behördlich geduldet waren, der Verein aber über keine Veranstaltungsgenehmigung verfügte, der Mietvertrag aus den Anfängen nach wie vor auf eine einzelne Person lautete, diese Person aber nicht mehr dort wohnhaft war, waren das Fallbeil und besiegelten mittels Räumungsklage das Ende des Kulturvereins Kanal. Eine neue Gruppe wollte sich zwar noch mit Beamtentum und Vermieter arrangieren, aber das konnte den Kulturverein nicht mehr retten. Sowieso trugen die Hochwasserschäden von 2002 ihr übriges dazu bei und ebneten das Haus im Josefstal 21 endgültig ein.
Johannes Staudinger ist Gründer von „merker.tv records“, Musiker, Künstler und Autor. Literatur: Glattauer, Daniel (1996): „A blede G‘schicht“ aus Wien, in: Die Zeit Nr. 34/1996, http://www.zeit.de/1996/34/A_ blede_G‘schicht_aus_Wien (17.05.2010). Wahl, Andreas (2003): Gegen Sumpertum. Nachrichten aus einer Zeit, als die KUPF-Zeitung noch gar keine war, in: Kupf Zeitung Nr. 100, http://www.kupf.at/node/396 (16.05.2010). Weiterführende Links: Primetzhofer, Franz (1999): Das schwere Leben mit einem Geburtsfehler, in: Website KV Kanal, Link: Über uns, http://www.servus.at/kanal/ (16.05.2010). Wahl, Andreas (1999): Der Weg in die zweite Dimension, in: Website KV Kanal, Link: Über uns, http://www. servus.at/kanal/ (16.05.2010).
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Johannes Riener / metamorphosis:on / 2010 / Installation
UNIVERSAL ZOO Gated Communities sind bewachte Wohnanlagen für die gehobene Mittelschicht oder Oberschicht, die meist durch einen Zaun oder eine Mauer vom Rest der Gesellschaft abgeschottet werden. Die Größe der Anlagen variiert von einigen abgetrennten Wohneinheiten bis hin zu komplexen Siedlungen für bis zu 100 000 Einwohner, die über eine eigene Infrastruktur mit Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Krankenhäusern verfügen. Aber welcher Wunsch steht dahinter, das eigene Territorium abzuschotten? Von Maria VenzL
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The Truman Show
Die erste geplante Community wurde 1857 in den USA, in der Nähe von New York, von dem Geschäftsmann Llewellyn Solomon Haskell, gegründet. Er baute luxuriöse Villen inmitten einer einzigartigen Landschaft. Die Gesellschaft existiert bis heute unter dem Namen Llewellyn Park. Mittlerweile leben über 10 Millionen Amerikaner in bewachten Wohnanlagen, wobei solche Wohngebiete meist im Einzugsbereich von größerer Städte entstehen. Neben den Vereinigten Staaten finden sich Gated Communities vor allem in Ländern mit erheblichen sozialen Ungleichgewichten, etwa Südafrika, Brasilien, Argentinien oder anderen ehemaligen Kolonialstaaten. Allerdings sind sie auch immer mehr in Russland oder Frankreich vorzufinden. In ihrem Buch Fortress America (1999) beleuchten Edward J. Blakely und Mary Gail Snyder die Geschichte und Entstehung der Gated Communities und gliedern diese in drei Kategorien: Lifestyle, wo Bewohner mit dem gleichen Lebensstil zusammenfinden, z.B. Senioren. Prestige, hier geht es vor allem um Exklusivität. Die Bewohner müssen einen gewissen finanziellen und sozialen Status aufweisen. Security Zone Communities, hier soll vor allem einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden. Blakely und Snyder sprechen von einem „new societal dilemma“, das Gated Communities miterzeugen, einer „selffulfilling prophecy“, die verschlimmert und damit verstetigt, wogegen sie sich richtet. Der französische Stadttheoretiker Stéphane Dégoutin hat viele Jahre zum Phänomen der Gated Communities geforscht. Im Herbst 2006 hat er die Studie Prisonniers Volontaires du Rêve Américain (Freiwillige Gefangene des amerikanischen Traums) veröffentlicht. Dégoutin wurde gemeinsam mit Gwenola Wagon, einer Künstlerin, im Juni 2007 zu einem Kolloquium an der Pariser Sorbonne eingeladen. Doch die Beiden verwarfen Ihr sorgfältig ausgearbeitetes Konzept zu den „sozialen und städtebaulichen Parametern von Gated Communities“ und machten sich auf die Suche nach einem neuen Standpunkt, und zwar in den Fiktionen der abendländischen Kultur von der Arche Noah bis zu Hollywoodschen Seifenopern. Nach kurzer Recherche fanden die beiden elf Romane, vier Fern-
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sehserien und sechs Kinofilme der letzten zwanzig Jahre, in denen Gated Communities explizit als „Metapher für einen Seins-Zustands zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ thematisiert werden. Dégoutin und Wagon erarbeiteten ein Thesenpapier mit dem Titel „gebaute Metapher, 2007“. Im Fall der Gated Communities gibt es gleich drei Erzählstränge. Erstens die Arche Noah: Um zu überleben, baut sich eine Menschengruppe einen eigenen Mikrokosmos innerhalb einer lebensfeindlichen Umwelt auf. Von hier aus betrachtet, sind Gated Communities das lebensrettende Refugium inmitten eines grausamen Umfelds, und ihre Einfriedung dient dem „Schutz gegen die Barbarei“. Die Territorien außerhalb gelten als unzivilisiert und gefährlich, die Außenwelt wird dämonisiert und die Bedrohung der äußeren Gefahr, ob real oder eingebildet, übertrieben. Auch in dem 1991 erbauten Gebäudekomplex Biosphäre 2 in Arizona (USA) war das Ziel, ein von der Außenwelt unabhängiges , sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen. Das Experiment sollte beweisen, dass in einem eigenständigen, geschlossenen ökologischen System Leben langfristig möglich ist. Es gilt nach zwei erfolglosen Versuchen als gescheitert. Zweitens die utopische Insel: Seit Platos Atlantis ist die Insel ein Pflichtbestandteil der utopischen Literatur, über Thomas Morus Utopia zu Gullivers Reisen oder den Inseln in Second Life. Zugleich ist die Insel eine ideale Form einer Gated Community. Das Wasser sorgt für natürliche Abgrenzung, schafft eine klare, abgeschlossene Einheit und erleichtert die Zugangskontrolle. Zuletzt die geschlossene Gesellschaft: Dieses Szenario ist in zwei Gruppen untergliedert. Nummer eins: Die Falle – gefangen hinter geschlossenen Türen – ist ein gängiges Horrorfilmszenario, z.B. bei Alien (Ridley Scott, 1979). In der zweiten Gruppe taucht die Gefahr nicht als unbekannte äußere Größe auf, sondern entsteht aus der geschlossenen Gesellschaft selbst, z.B. bei den Stepford Wifes (Brian Forbes, 1975), The Truman Show (Peter Weir, 1998), The Village (M. Night Shyamalan, 2004). Was nämlich, wenn die Angst vor dem Äußeren „das Sein selbst ist“ – frei nach Gaston Bachelards
Poetik des Raumes – wenn die Angst also von innen heraus kommt? In welches Außen soll man entfliehen können? In diesem Moment schließt sich ein Teufelskreis zwischen Innen und Außen, zwischen Angst und Abgrenzungsstrategie. Der Schutzwall verstärkt die Angst vor dem unfassbaren Inneren und die Angst nährt das Bedürfnis den Schutzwall nach außen weiter zu verstärken. Warum sind Gated Communities so augenscheinlich ein hervorragender Tummelplatz für Erzählungen und ziehen immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich? Falk Richter, ein deutscher Regisseur, beleuchtet in seinem Theaterstück Ausnahmezustand vor allem die Schattenseiten dieser Lebensform. Eine Frau und ihr Mann. Endlich haben sie es geschafft: Sie leben in einer sicheren Siedlung. Doch die Bedrohung durch die unsichere Außenwelt, die Furcht vor dem sozialen Absturz hat sich tief in die Ehe und die Familie hineingefressen. Bei Verlust des Arbeitsplatzes droht der Rauswurf aus der Gated Commmunity. Ein Leben in Angst. Selbst der Sohn könnte ein möglicher Feind sein, ein Agent, der das sichere Heim in der Siedlung verraten könnte. Falk Richter verdichtet in seinem Stück die Verunsicherung einer abstiegsbedrohten Familie zu einem dystopischen Krimi. Die Gruppe Heavy Trash ist ein Zusammenschluss anonymer Architekten, Designer und Stadtplaner aus Los Angeles, die Aussichtsplattformen vor den Hecken von Gated Communities in Los Angeles aufstellten. Die 3,60 Meter hohen, leuchtenden orangefarbigen Podeste wurden am 25.4.2005 früh morgens vor den Toren dreier Siedlungen aufgestellt. Die Gruppe wollte damit auf die steigende Zahl der Gated Commmunities aufmerksam machen. „In zehn Jahren werden die Menschen merken, dass die Tore ein Gegenentwurf zu einer demokratischen, offenen Gesellschaft sind und statt dieser eine furchtsame Gesellschaft fördern.“ Verschiedene Künstler haben in den letzten Jahren das Phänomen der Gated Communities in ihren Arbeiten thematisiert. Der Fotograf David Goldblatt zeigt Bilder von neuen Wohnsiedlungen in der Nähe von Johannesburg. Trotz der Verspieltheit und Unterschiedlichkeit der Häuserblocks, die sich schutzsuchend aneinander zu schmiegen
Maria Venzl / Universal Zoo / 2010 / Skulptur
Eingang einer Gated Community
scheinen, entsteht aus der Distanz ein homogenes Gesamtbild. Auch die Schweizer Fotografin Laurence Bonvin setzt sich in verschiedenen Projekten mit den fortschreitenden Formen der Suburbanisierung und Zersiedlung von Landschaft auseinander. In ihrer Serie On the Edges of Paradise (2005/2006) fotografierte Bonvin Gated Communities im Umland Istanbuls, in denen sich wohlhabende Kreise der türkischen Gesellschaft niedergelassen haben. Gezeigt wird die Struktur der Siedlung, stereotype Einfamilienhäuser mit Gärten, Garagen und Swimmingpools und ihre Abschirmung nach außen. Eine „heile Welt“ wird konstruiert, die das Leben der nahen Großstadt ausblendet. Im Rahmen der Ausstellung Urgent Architecture (2004) zeigte Marjetica Potrc das Hybrid House: Caracas, West Bank, West Palm Beach. Diese Akkumulation individueller Wohnstrategien aus drei unterschiedlichen Gegenden, veranschaulicht die globalen Phänomene von Gated Communities und Shanty Towns. Jede dieser Units wurde aus Materialien gefertigt, die am Herkunftsort üblicherweise verwendet werden, wie Betonblöcke, Wellblech oder einfache PVC-Getränkekisten. Signifikant ist, dass die meisten Fenster dieser einzelnen Baukörper vergittert sind und auch sonst die gesamte Baueinheit einer kleinen Festung gleicht. Ihre Kunst entsteht aus der Beobachtung globaler Entwicklungen im Bereich der Urbanistik, die sie zu dem Schluss kommen lassen, dass nicht die von der
öffentlichen Hand regulierten Städtemodelle die erfolgreichsten sind sondern die auf Eigeninitiative beruhenden Privatsiedlungen. In meiner Arbeit Universal Zoo beschäftige ich mich mit dem Verhältnis von Ein- und Ausgesperrtsein und den jeweiligen Bezugspunkten. Im Zentrum der Arbeit steht eine große, begehbare Skulptur aus Draht, die aus mehreren Würfeln besteht, die ineinander verschachtelt sind und wie ein Labyrinth angelegt sind. Bin ich nun eingeschlossen oder blicke ich auf jemanden, der sich hinter dem Gitter befindet – eine Frage des Blickwinkels und vielleicht auch des Standpunktes. Natürlich kann man das Leben in einer Gated Community nicht mit jenen Filmen und Romanen vergleichen. Die Fiktion spult die Realität einfach schneller ab. Aber vielleicht ist die Idee dessen, was die Mauern der Gated Commmunities evozieren, wichtiger als das, was sie tatsächlich sind? In einer Gated Community zu leben, heißt letztendlich, eine Geschichte zu bewohnen. Man lebt in der gebauten Realität seiner Fantasien und Ängste und produziert damit gleichzeitig ein eigenes fiktives Universum. Es ist nicht nötig, in eine Gated Community zu ziehen, um eine Metapher zu bewohnen - man lebt sowieso schon drinnen. Die eigene Gedankenwelt hat keinen Ausgang.
Maria Venzl ist seit 2009 Studentin am Fachbereich Bildhauerei-transmedialer Raum der Kunstuniversität Linz.
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Johannes Riener / Top & Bottom / 2010 / Skulptur
/
Catharina Bamberger / Monet, eine Fremdreaktion / 2010 / Video / http://www.vimeo.com/12766522
Johanna Goldgruber / Geheimnis / 2010 / Performance
Semesterpr채sentation / 2010
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NORDIC BY NATURE UNLEARNING HISTORY Jakob Neulinger zur Ausstellungsbeteiligung der Sculpture Working Group Linz bei der Biennale Manufacturing Today in Trondheim, Norwegen. Über das nationalsozialistische Motiv einer Vernichtung durch Arbeit, über einen Ort, der seine Geschichte vergessen hat und über die Möglichkeit Lernen als einen Verlust zu begreifen. Von Jakob Neulinger
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Dora I, ein gewaltiger, „unzerstörbarer“ U-Bootbunker, den die nationalsozialistische Besatzungsmacht als Erweiterung des Atlantikwalls zwischen 1941 und 1943 in Trondheim, Norwegen, errichtete, präsentiert sich gegenwärtig als Kulturbunker und als eine der grössten Lagerstätten für Zucker des Landes. Die kulturelle Nutzbarkeit von Nazi-Befestigungsanlagen scheint heute eine gängige Praxis geworden zu sein, doch nicht alle ehemaligen Schutzräume zeigen sich der Öffentlichkeit so d‘accord mit ihrer Vergangenheit wie das Modell Dora I. Nun wurde der Bunker zum Schauplatz des Projektes Manufacturing Today, lanciert von der Trondheim Academy of Fine Art , der Vilnius Academy of Art , der Academy of Fine Art Helsinki und dem Goldsmiths College London. Angelegt als fünfjähriges Forschungsprojekt, soll in Workshops, Symposien und Ausstellungen der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Kunst in den Kanälen der Ausbildung ihre Autonomie gegen staatliche Einflussnahme, Einsparungen und einer zunehmenden Instrumentalisierung durch den Kunstmarkt bewahren kann. Der Name Manufacturing Today wurde von einem technokratischen Fachmagazin übernommen, welches in seiner Mache eine Art von „gutes Gewissen“ zwischen die Zeilen über Evolution und Produktion gepackt hat und die sogenannten und notwendigen Begleiterscheinungen neben einem kollektiven Streben nach Fortschritt äußerst einseitig diskutiert. Die Kuratoren Cristina Ricupero und Will Bradley waren eingeladen, im Rahmen der Biennale in Trondheim, Künstlerinnen und Künstler auszuwählen, die sich in ihrer Position als Lehrende durch neuartige Vermittlungskonzepte auszeichnen. Die Veranstaltung war im Gegensatz zu anderen Biennalen nicht als ein bloßes Fest der Kunst intendiert, sondern sollte eine kritische Debatte über die soziale Verantwortung von Kunstschaffenden, Lehrenden und Lernenden forcieren. Eva Grubinger, Professorin für Bildhauerei-transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz, war neben Annika Eriksson, Milica Tomic, Jens Haaning, Florian Schneider, Superflex und anderen international agierenden KünstlerInnen zu dieser Ausstellung eingeladen worden und entschied sich, einen künstlerischen Beitrag mit Studierenden zu realisieren. Nach einem, im Rahmen eines Workshops stattgefundenen Ideenwettbewerbs, formierte sich die Sculpture Working Group Linz – bestehend aus Sarah Decristoforo, Jakob Neulinger, Richard Nikl, Christian Öhlinger und Eva Grubinger. Die Geschichte über den Ausstellungsort in Norwegen war, für die Arbeitsgemeinschaft aus Studierenden und Lehrenden, geschärft durch einen aus dem das Jahresthema resultierenden Fokus auf geschlossene Gesellschaftssysteme, von besonderem Interesse. Die Bauarbeiten zum 153 m langen und 105 m breiten Objekt Dora I wurden von der Organisation Todt exekutiert. Fritz Todt, Namensgeber und Führer der nach militärischem Vorbild organisierten Bautruppe, erhielt von Adolf Hitler ab 1938 die Vollmacht, nach eigenem Ermessen Mensch und Material für seine Bauvorhaben zu rekrutieren. Die nationalsozialistische Propaganda verbreitete immer wieder das Bild von freiwillig hart arbeiteten Frauen und Männern, die für ihren „Aufwand“ auch entsprechend Nahrung und Lohn erhielten. In der Tat standen zu Beginn der Arbeiten am Atlantikwall zahlreiche Freiwillige im Einsatz, doch im Jahr 1944 waren unter den über eine Million Arbeitern weniger als 20000 „wehrtaugliche“
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Deutsche. Den Rest bildeten Kriegsgefangene und Häftlinge aus allen von Deuschland besetzten Gebieten, die zur Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz verdammt waren. Viele der ehemaligen Arbeiter – über den gesamten Kriegsverlauf gehen Dokumentationsarchive von über zwölf Millionen aus – wurden nicht nur zu vergessenen, individuellen Opfern, sondern wurden auch in ihrer Heimat kollektiv als vermeintliche Kollaborateure geächtet und verblieben noch lange Zeit als „Displaced Persons“ in den neuen alten Lagern, den Orten ihrer fortwährenden Gefangenschaft. Zwangsarbeit sollte nicht als eine Begleiterscheinung des Krieges gehandhabt werden. Genauso wenig sollte verdrängt werden, dass nicht nur der Krieg oder die Rüstungsindustrie Arbeiter bestellten. Auch tüchtige deutsche Kleinunternehmer, handwerkliche Betriebe, Landwirte und sogar Privathaushalte griffen auf diese Ressource zurück. „Zwangsarbeit 1939-1945“ (www.zwangsarbeit-archiv. de) ist ein digitales Interview-Archiv zur Erinnerung an über zwölf Millionen Menschen, die für das nationalsozialistische Deutschland Sklavenarbeit geleistet haben. Viele der Zeitzeugen beschreiben den mit der Zwangsarbeit verbundenen Verlust der Freiheit als einen gleichzeitigen Verlust der eigenen Identität, der sich durch den Erhalt einer Nummer manifestierte.
Five Serbs Der Ausstellungsbeitrag bezog sich auf eine tradierte Begebenheit um fünf serbische Zwangsarbeiter, die beim Bau des Bunkers Dora I von Aufsehern in den noch flüssigen Beton gestoßen wurden. Aufgrund statischer Unbedenklichkeit habe man den Baufortschritt damals noch nicht einmal angehalten und weiter betoniert. Auch wenn diese Geschichte sich nicht einwandfrei belegen lässt, so ist gewiss, dass zahlreiche Arbeiter in diesem Bauwerk ihr Leben verloren haben. Unter den Opfern waren auch zahlreiche Serben, die in grosser Zahl zum Arbeitsdienst nach Norwegen verschleppt worden waren. Vor diesem Hintergrund verstand die Linzer Gruppe ihr Projekt als eine Art temporäres Denkmal an einem Ort, der seine Geschichte nicht unbedingt sehr stark reflektiert. Five Serbs ist ein wandähnliches, langes Objekt (800 x 230 x 150cm), dessen glatte, schwarze, textile Oberfläche von Auswüchsen geprägt ist. Durch das dehnbare, strapazierbare Stretchmaterial schieben sich aus dem Inneren die drei kyrillischen Buchstaben für Fünf – пет. Die Lettern selbst bleiben in der Tiefe des Objekts gefangen und geben sich als solche nur subtil zu erkennen. Die Art und Weise, wie die Objekte aus dem schwarzem Grund hervortreten, verleiht ihnen etwas Unheimliches und gibt dem Ganzen etwas Faktisches, Prozesshaftes, etwas, dass sich in Gang gesetzt hat und sich nicht mehr stoppen oder kaschieren lässt. Five Serbs transportiert die Geschichte und die Verbrechen eines Tatorts aus sich selbst heraus, ohne sich einer einseitigen, spezifischen Lesbarkeit zu verschreiben. Die Skulptur illustriert in diesem Sinne nicht, sondern macht sichtbar. Fünf Serben sind in diesem Sinne nicht bloß stumme Platzhalter für Millionen von Opfern, sondern Ankläger eines geschichtlichen Zusammenhangs, der in seiner gesamten Dimension ebenso wenig greifbar wie vollends begreifbar scheint. Die Skulptur verschreibt sich nicht der Motivation einer unmöglichen Wiedergutmachung, sondern nimmt den Betrachter in seine Verantwortung, das zu reflektieren, was passiert ist und
71 Eva Grubinger, Jakob Neulinger, Christian Ă–hlinger, Sarah Decristoforo, Richard Nikl / Five Serbs / 2010 / Skulptur
Kulturbunker Dora 1
verwehrt sich gegen die Möglichkeit zu vergessen oder zu verdrängen. Am 9. April 1940 überfielen deutsche Truppen Norwegen und erreichten nach kurzem Widerstand die Kapitulation des Landes. Sie zwangen die Regierung und die Königsfamilie, ins Londoner Exil zu fliehen. Die deutschen Truppen unter Reichskommissar Josef Terboven stießen aber bei Übernahme und Besetzung nicht nur auf Widerstand. Im norwegischen Politiker Vidkun Quisling wurde ein geeigneter Hampelmann gefunden, der sich als leicht lenkbarer Ministerpräsident einsetzen ließ. Er stammte aus einer der einflussreichsten Familien, aus der auch für den wintersportlichen Kniefall bekannten Provinz Telemark, gründete 1933 die Partei „Nasjonal Samling“ (Nationale Einheit) und ebnete nach eigenen politischen Misserfolgen fortan den Weg der Nationalsozialisten nach und durch Norwegen. Quisling wurde zu einem Synonym für einen Verräter und fand, geprägt durch die Berichterstattung der britischen Zeitung The Times auch Eintragung in die Wörterbücher mehrerer Sprachen. Norwegen war für das Deutsche Reich nicht nur aus kriegstrategischer Hinsicht von Interesse. Alfred Ernst Rosenberg, einer der führenden Kräfte der NS-Ideologie (vgl. Mythos des 20. Jahrhunderts, 1930) und späterer Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, war Hitlers treibende Kraft bei der Germanisierung der besetzten Ostgebiete und prägte den Begriff der „Nordischen Schick-
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salsgemeinschaft“. Deren Verpflichtung sei es, „die europäische Erneuerung gegen den bolschewistischen, jüdisch verseuchten Osten voranzutreiben.“ Gemeinsam mit dem deutschen Eugeniker Hans F. K. Günther – genannt „Rasse Günther“ – propagierte er die „Aufnordung“ des „ausgedünnten“ deutschen Blutes. Unter dem eingetragenen Verein Lebensborn betrieben die Nazis in Norwegen regelrechte Zuchtanstalten zur Aufbesserung der deutschen Rasse. In fünf Jahren wurden von Deutschen und Österreichern in Norwegen 12.000 Kinder gezeugt. Das Schicksal der Tyskerbarna, der Deutschenkinder, die als hineingeborene Feinde nach der Kapitulation der Wehrmacht vom norwegischen Gesundheitssystem kollektiv für schwachsinnig erklärt wurden, wird bis heute tabuisiert. Dass eines dieser Kinder – Anni-Frid Lyngstad Prinzessin Reuß von Plauen, besser bekannt als ein A in ABBA – es zum Superstar gebracht hat, konnte daran leider auch wenig ändern. Österreicher und Norweger verbindet ein ganz ähnlich gelagertes Problem mit der eigenen Vergangenheitsbewältigung. Beide Länder versuchten ihre Mittäterschaft allzuoft hinter ihrer Opferrolle zu verbergen und haben sich damit eine Art Tradition zum lückenhaften Umgang mit der eigenen Geschichte geschaffen. Norwegen war von April 1940 bis Mai 1945 von deutschen Truppen besetzt und wurde in dieser Zeit zum größten Importeur ausländischer
Sculpture Working Group Linz auf dem Oslofjord
Arbeitskräfte. Neben den über einhunderttausend sowjetischen und polnischen Kriegsgefangenen wurden auch 4000 Partisanen aus Kroatien und Serbien ins Land verschifft. Nachdem in Kroatien Separatisten einen zwar unabhängigen, aber von einer deutschtreuen Regierung geleiteten Staat ausgerufen hatten, wurden die Bewohner des ehemaligen Königreiches Jugoslawien, allen voran die Serben, zum Jagd- und Beutegut eines immer mehr Menschen verschleißenden, europaumspannenden Netzwerks der Zwangsarbeit. Arbeitsfähige Arbeiter wurden oftmals unter den ausführenden Baufirmen im Tausch gegen Baumaterial gehandelt, während arbeitsunfähige Personen oftmals noch auf den Baustellen hingerichtet wurden. Die technischen Errungenschaften und die sogenannten Leistungen der Nationalsozialisten wurden und werden immer wieder in der Interpretation der geschichtlichen Fakten glorifiziert und verzerrt. So hat der norwegische Nationalheld und Literaturpreisträger Knut Hamsun am 7. Mai 1945 in der norwegischen Aftenposten (Abendpost) den wohl stumpfsinnigsten Nachruf auf Adolf Hitler: „Er war eine reformatorische Gestalt von höchstem Range und sein historisches Schicksal war, dass er in einer Zeit beispielloser Niedertracht wirken musste, die ihn am Ende zu Boden schlug.” „Aus der Geschichte lernen“ ist eine vielstrapazierte Formulierung bei der Vermittlung der nationalsozialistischen Schreckensherr-
schaft, auf deren implizierten Automatismus aber keinerlei Verlass ist. Vielmehr sollte das Ziel eines jeden Lernens – das Verständnis – als ein systematisches Anliegen bei der Aufarbeitung von Geschichte gelten. Der Prozess des Lernens stellt nämlich nicht notwendiger- weise einen faktischen Zugewinn von Erkenntnissen dar, denn auch ein Entlernen, ein Ablegen und Ablehnen von Tradiertem bildet eine wesentliche Voraussetzung zur selbstverantworteten Ausbildung von Haltung. „Das ist für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst, dass der heute trifft.“ So ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein (Spitznahme: km/h) über das Tor von Miroslav Klose zum 2:0 in der Partie Deutschland gegen Australien bei der Fußball Weltmeisterschaft in Südafrika. Und auf der Internetplattform http://www.heirats-freu.de fordert ein Premiummitglied die „Aufnordung“ des SchweinelendchenArchivs. Der ZDF entschuldigte die Formulierung damit, dass sie „aus dem Eifer des Gefechts“ heraus geschehen sei und InternetVielschreiberin „Mel“ bekommt zahlreiche Post. Darunter allerdings auch kein brauchbares Rezept gegen die geschichtsvergessene Fortschreibung von Nazi-Vokabular in der deutschen Sprache… Jakob Neulinger ist Künstler. Seit 2008 ist er Assistent am Fachbereich Bildhauereitransmedialer Raum der Kunstuniversität Linz.
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Laurenz Egger / Confidential publishing / 2010
/ Grafik
Eva Teissl, Maren Hirt, Catharina Bamberger, Johanna Goldgruber / Pleasure / 2010 / Foto
WEITE HoRIZONTE IN GROssSTADTschluchten Zwei Fotografien von Helen Levitt Von Sergius Kodera
Der vorliegende Text ist eine Konfrontation mit zwei Fotografien von Helen Levitt (1913-2007) und entstand in der Absicht, einen Beitrag zum Thema dieses Heftes – „geschlossene Gesellschaft“ – zu verfassen.1 Ich war bereits mit einigen Originalarbeiten dieser eigenwilligen Künstlerin, die seit den 1930er Jahren in New York Street Photography betrieben hat, vertraut. Besonders hatten mich die im vergangenen Jahr im Wien Museum gezeigten Fotos aus den Siebziger Jahren fasziniert, etwa jene Darstellungen von Hühnern, die in urban-schmutziger Umgebung vor bunten Plastikstühlen herumstolzieren.2 Sie sind Zeugnisse des Niederganges der amerikanischen Metropole in dieser Epoche. Berühmt wurde Levitt für jene Arbeiten aus den Vierziger- und Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die herumtollende Kinder auf den Straßen zusammen mit jenen Bildern zeigen, die diese jungen Menschen beim Spielen mit Kreide auf den Boden oder die Fassaden von Gebäuden malten. Es wirkt, als würden diese Zeichen, wie magische Siegel, die Zukunft dieser fröhlichen Stadtbewohner ebenso festschreiben, wie dem ausgelassenen Toben eine konkrete, geradezu beängstigende, Form verleihen. Levitts Fotos befinden sich in einem interessanten Dialog mit den gleichzeitig entstandenen Arbeiten von Arthur Leipzig, den Chalk Games (1950). An dieser Stelle ist es wahrscheinlich überflüssig zu betonen, dass Levitt sich nicht die Quartiere der Reichen und Schönen New Yorks ausgesucht hat. In den Vierzigern nimmt sie mit Spanish Harlem und der Lower East Side vielmehr jene Stadtteile in den Blick, in denen damals die sozial Schwachen unter extremen Bedingungen ein prekäres Zusammenleben führen. Diese Problembezirke in New York werden oft als „Ghettos“ bezeichnet. Zwar sind sie nicht mehr, wie die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sperrbezirke, mit Mauern aus Stein umgeben, deren Tore zumindest nach Einbruch der Dunkelheit verschlossen blieben. Die breiten Avenuesn und Querstraßen vermitteln im Gegenteil den Eindruck großzügiger Offenheit. Doch dieses Bild ist trügerisch, denn für viele Bewohner New Yorks ist kein Entkommen aus den Straßen, in denen sie geboren wurden. Spike Lees Filme etwa haben deutlich
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gezeigt, dass diese Stadt auch in der Gegenwart kein „melting pot“ ist. Während eines halbjährigen Aufenthaltes in der Stadt vieler Träume hatte ich Gelegenheit, diese verinnerlichten Mauern, die Codes und Klassen, die verschiedene Einwanderergruppen trennen, in ganz alltäglichen Zusammenhängen zu erleben. Bei ihren Streifzügen war Helen Levitt also in klar abgezirkelten Territorien, in „geschlossenen Gesellschaften“ par excellence , unterwegs. Es ist erstaunlich zu beobachten, dass sie in ihren Arbeiten eine charakteristische Bildsprache entwickelt, die männliche Stereotype in der fotografischen Repräsentation von weiblichen Körpern und von Stadträumen geschickt in Frage stellt und unterläuft, wie ich im Folgenden zu zeigen versuche. Die erste Fotografie ist um 1945 entstanden. 3 Im linken Bilddrittel der hochformatigen Arbeit sehen wir die Fassaden einer vom Betrachter aus gesehen leicht ansteigenden Straße. Die Gebäude sind zum Bildrand leicht versetzt, das Sonnenlicht fällt von links in einem Winkel von etwa 45° ein, was auf einen sommerlichen frühen Voroder Spätnachmittag hindeutet. Im Hintergrund sind die dunklen Umrisse eines Kastenwagens zu erkennen. Die beiden rechten Drittel der Fotografie werden von zwei Frauenkörpern dominiert. Zum Betrachter leicht nach rechts versetzt, bewegt sich im Vordergrund eine junge Frau von vielleicht fünfzehn Jahren auf die Kamera zu. Ihre Augen sind geschlossen, die leicht geöffenten Lippen sind zu einem ostentativen Grinsen verzogen. Vor der Körpermitte hat sie ihre Hände verschränkt. Sie umfasst dabei die Böden von zwei gegen den Oberbauch gelehnten, gefüllten Milchflaschen. Die Hälse der weißen Gefäße enden unmittelbar unterhalb ihrer Brüste. Sie trägt ein kurzes, leichtes Sommerkleid. Linkes Stand- und rechtes Spielbein sind dynamisch und elegant gegeneinander versetzt. Der Körper dieser Protagonistin verdeckt teilweise eine dicht hinter ihr stehende, um wenige Jahre ältere Frau. Während ihr Gesicht zur Kamera gedreht und ihr Blick zu den Milchflaschen vor ihr gerichtet ist, erscheint der Körper im Profil. Die Wölbung ihres zum linken Bildrand zeigenden Unterbauches verrät auf den ersten Blick, dass die Frau hochschwanger ist. Ihr kurzes, weißes Sommerkleid zeichnet die Kurve prominent nach. Die Füße der Abgebildeten stecken in
flachen Turnschuhen. Vom rechten Bildrand hereinragende, bis zum Knie sichtbare Frauenbeine und ein Rockzipfel lassen erahnen, dass die Schwangere sich gerade in Gespräch mit zumindest einer weiteren sitzenden Person befand, als Helen Levitt den Auslöser betätigte. Das Bild ist von beeindruckenden Gegensätzen dominiert. Die Intimität der Szene kontrastiert mit jener Strenge, die durch die weite Perspektive der Häuserfassaden vorgegeben ist. Die Kulisse der orthogonalen Fassaden, die das rasterförmige Straßensystem Manhattans säumen, steht hier in pointiertem Gegensatz zur dynamischen Lebendigkeit der dargestellten Personen. Die beiden eher ärmlich gekleideten Frauen scheinen zu tanzen. Die Körper vermitteln eine geradezu spielerische Leichtigkeit auf der Bühne einer von grauen Häusern gesäumten Straße. Die Frauen sind die einzigen erkennbaren organischen Formen im Bild. Ihre Bewegung bildet den deutlichsten Kontrast zur städtischen Umgebung. Hier wächst kein Gras, alles ist hart, kantig, orthogonal. Der harte Gegensatz betont die ostentativ zur Schau gestellte Fruchtbarkeit der Frauenkörper. Die Inszenierung durchbricht männliche Stereotype der Wahrnehmung mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit (und daher besonders effektiv). Dabei setzt Levitts Foto die Protagonistinnen in geradezu verschmitzter Art in Szene. Die Positionierung der Flaschen gemahnt uns an jene Funktion weiblicher Brüste, die vom männlichen Imaginären so gerne verdrängt wird: Dass sie nämlich Milch geben. Levitt s Blick auf die Frauenkörper unterläuft so jene Sehgewohnheiten, die die konventionelle Fotografie befördert. Der Bauch der Schwangeren bringt die maskuline Ordnung des Stadtraums gestalterisch vollends durcheinander. Ganz ohne die – wohl unerschwingliche – Umstandskleidung gezeigt, bedeutet diese Rundung, dass die Menschen sogar in diesen Gegenden wachsen, sich neues Leben trotzig manifestiert. Das Foto vermittelt den Eindruck, dass sich die Protagonistinnen unbekümmert frei in der sterilen, urbanen Rasterarchitektur bewegen. Ihre karnevaleske Inszenierung weiblicher Fruchtbarkeit macht die beiden Figuren zur gelungenen visuellen Persiflage, jener ultimativen narzisstischen Kränkung, die allen patriarchalen Diskursen innewohnt: Dass die Kinder im Bauch der Frauen wachsen, einfach so und ohne weiteres männliches Zutun und dass die weiblichen Brüste die Babys auch noch ernähren, anstatt wenigstens diese Körperregion zur Verfügung männlicher sexueller Fantasie zu halten. Hier drängt sich auch der Gedanke auf, dass diese Szene nur für eine Frau zu fotografieren war. Die abgebildeten Personen hätten sich vermutlich anders verhalten, wäre ihnen ein Mann entgegengekommen. Wahrscheinlich konnte gerade die unverheiratet und kinderlos gebliebene Levitt die hier beschriebene Perspektive auf das Leben in New York so konzise darstellen. Sie, die ihr Leben zurückgezogen in Manhattan verbrachte, entwickelte als Flaneuse eine außergewöhnliche Sensibilität dafür, nur auf den ersten Blick
Nach Helen Levitt, Untitled, 1950
banale Situationen mit ihrer Kamera zu archivieren. Zumindest die im Vordergrund stehende Frau wirkt ausgesprochen vergnügt. Die Botschaft ist klar: Diese Frauen sind arm und sie leben in geschlossenen Gesellschaften. Für Levitt war das allerdings kein Grund sie als ernst und würdevoll abbilden zu müssen, vielmehr beobachtet die Künstlerin ihre Protagonistinnen dabei, wie sich diese – kraft lebendiger Gegenwart – den toten Stadtraum aneignen. Dabei enthält sich die Künstlerin des moralischen Urteilens. Hier ergibt sich eine Parallele zum Schaffen des Surrealisten Luis Buñuel, den die Künstlerin aus persönlicher Zusammenarbeit kannte. Dieser zeigte etwa in seinem 1950 gedrehten Film „Los Olvidados“ ein groteskes und für die zeitgenössische öffentliche Wahrnehmung schockierendes Bild der Lebensrealität in den Favelas von Mexico City.
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Wahrscheinlich hat Levitt die Kamera vor ihre Brust gehalten, durch den Winkelsucher ihrer Leica geblickt, als sie die Szene im Vorbeigehen fotografierte. Sie hatte sich den Apparat gekauft, als sie eine Ausstellung von Henri Cartier-Bresson in den Dreißiger Jahren gesehen hatte, in der Absicht, die von diesem Künstler begonnene Arbeit in ihrem Sinne in den Straßen von New York fortzusetzen. Ein Hinweis auf die gestalterische Verwandtschaft zwischen den beiden Fotografen ergibt sich aus einem weltberühmten Bild, das Cartier-Bresson fast ein Jahrzehnt später, 1954, in der Pariser Rue Mouffetard aufgenommen hat. In leichter Obersicht zeigt seine Aufnahme von den Schienbeinen aufwärts den Körper eines dunkelhaarigen Jungen von etwa sechs Jahren. Offensichtlich hochzufrieden grinsend blickt er an der Kamera vorbei. Seitlich an seinen mageren Körper gedrückt stützt der Knabe zwei gefüllte Rotweinflaschen. In dieser Zusammenstellung wirkt das, als würde das Kind die Körperhaltung der Protagonistin in Levitts Foto nachahmen. Cartier-Bressons Bild gerät aus unserer Perspektive zur Paraphrase und Fortsetzung von Levitts Sujet. Bei ihm ist es keine junge Frau, die spielerisch auf ihre Fähigkeit Leben zu geben hinweist, sondern ein kleiner Junge, der gerade dabei ist, es den erwachsenen Männern gleich zu tun. Wohl noch ohne am Inhalt der Flaschen interessiert zu sein, stellt er sich höchst freiwillig in eine genealogische Kette, in der schon die beiden Milchflaschen in Levitts Foto in geradezu parodistischer Weise zeigen, woher der Saft des Lebens kommt und wer es ist, der Kinder in die Welt bringt und ernährt. Eine weibliche Perspektive auf die imaginäre Figur eines Knaben, der zu einem Mann gemacht wird, nimmt auch die zweite hier abgebildete Arbeit Levitts ein. Sie entstand im Jahr 1938 und zeigt eine graue New Yorker Hausfassade in Frontalsicht.4 Im Gegensatz zur ersten Fotografie ist das Bild menschenleer und ausschließlich durch orthogonale Linien strukturiert. Links neben einem nur angeschnittenen Plakatfetzen befindet sich eine mit Brettern vernagelte Tür mit ausgetretener Holzschwelle. Zu ihr müssen Stufen hinauf führen, da ein Eisengeländer zu sehen ist, das eines der wenigen nicht orthogonalen Elemente im Bild ist. Es endet in einem etwas helleren Mauervorsprung. Dann eine Reihe unverputzter Ziegel, im Zentrum der Fotografie ein dunkler angeschnittener Pilaster aus Stahl oder Stein. Im rechten Drittel sind verzerrt – offensichtlich im Spiegel der Fensterscheibe einer Geschäftsauslage – die drei Fensterreihen sowie die Schilder einer Schneiderei in der gegenüberliegenden Häuserzeile zu erkennen. Das untere Viertel dieses Bildsegments füllt eine schmutzig-weiße Fläche aus; dieses vielleicht verputzte Wandstück ist das hellste Element der Fotografie. Ein Himmel ist nirgendwo zu erahnen, die Häuserfronten erscheinen in diffusem Licht. Diese auf den ersten Blick statisch wirkende Gestaltung ist durch eine ungelenke kindliche Handschrift in weißer Kreide auf dem Mauervorsprung rechts neben der Türe, in der oberen Bildhälfte unterbrochen. In fünf wackeligen Zeilen ist zu lesen: „Bill Jones Mother is A Hore“. Der Stil wechselt von einer runden Kursiv- zu einer bemühten Druckschrift; der Text weist immerhin fünf orthographische Fehler auf. (Richtig müsste es heißen: „Bill Jones‘ mother is a whore.“)
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Nicht nur für den pedantischen Lehrer entfaltet sich genau hier die Fantasietätigkeit. Zwar gibt der Text eine stereotype, sexistische Beleidigung wieder, aber die vordergründig triviale Aussage ist durch das urbane Umfeld der Fotografie und die Schriftgestalt mehrfach gebrochen. Wahrscheinlich hat ein kleiner Junge den Satz dahin gekritzelt. Dies geschah allerdings mit einiger Schwierigkeit, mit ausgestrecktem rechtem Arm, auf Zehenspitzen; vielleicht nachmittags, auf dem Heimweg von der Schule. Dort hat der Kleine die Kreide mitgehen lassen. Geschrieben hat er das schmutzige Wort, das jetzt so blütenweiß dasteht, aber sicher nicht ohne – wenigstens einen Moment lang – darüber nachgedacht zu haben, wie man es buchstabiert. Das verrät der Wechsel der Schriftstile. So macht es die Lehrerin in der Schule auch, wenn sie, sagen wir mal, „oblivious“ an die Tafel schreibt. Ja, es ist schon schwierig, wenn man so wie die Großen sein will: raufen, husten, bei jeder Gelegenheit auf den Boden spucken, das geht ja noch; und Sätze nachsprechen wie den über Bill Jones Mama (die machte übrigens hervorragende Pancakes, damals bei Bills 8. Geburtstag). Aber dann muss mann das ja auch noch schreiben – „... was ist das eigentlich, eine Hore? – Ja, ja, die macht mit vielen Männern das, was Mama nur mit Papa macht... aber was machen die eigentlich?“ – Jede/r von uns könnte diese fiktive Erzählung weiter führen; Levitts Inszenierung zwingt uns geradezu, die scheinbar eindeutige belanglose Botschaft in einen Kontext zu stellen, und damit jenen Bedeutungshorizont zu eröffnen, den die visuelle Erscheinung der Fotografie zunächst im eigentlichen Sinn versperrt lässt. Die graue Fassade hat sich unversehens in einen Spiegel verwandelt, der unsere Fantasie produktiv werden lässt. Eine solche reflektierende Ebene ist zudem explizit ein wichtiger gestalterischer Bestandteil der Fotografie. Denn in ihrem rechten Drittel erscheinen die strengen Fassaden der gegenüberliegenden Häuserfronten geradezu träumerisch weich in der Auslagenscheibe. Wie schon in der ersten Fotografie thematisiert Levitt den Gegensatz von Fiktion und Realität, die Spannung zwischen subjektiver Wahrnehmung und Realitätsbezug. Die auf den ersten Blick harte urbane Umgebung erscheint, bei genauerer Betrachtung vielfach aufgelöst, und zwar nicht nur auf der Text-, sondern auch auf der Bildebene. Hier verkörpert die Brechung des Lichtes im Spiegel jene zentrale visuelle Metapher, die uns darauf hinweist, dass auch die Stadt, bei aller Objektivität ihrer Raumordnung (oder vielleicht gerade deshalb?), eine Bühne ist, auf der sich unsere höchst subjektive Wahrnehmung entfaltet. Was bedeutet, dass dieser Raum von unseren Fantasien, unseren mehr oder weniger persönlichen Obsessionen, erst gestaltet und damit zu dem wird, was er objektiv zu sein scheint. Erziehung, darauf weist uns Levitt mit der ungelenken Kinderschrift und ihrer sexistischen Botschaft hin, spielt hier eine ganz wichtige Rolle; denn sie versucht die mächtigen Triebenergien des Individuums entlang von Geschlechterstereotypen zu kategorisieren. Der Spiegel des Narziss stellt den Gegenpol zu dieser Einteilungswut dar, denn er lässt die bekannten Formen in immer neuer Gestalt erscheinen. Dieses erste optische Instrument lässt das Individuum in Selbstreflexion verharren. In Levitts Foto weist uns die Spiegelung einer Auslagenscheibe auf diesen Umstand hin.
Nach Helen Levitt, Bill Jones Mother is A Hore, 1938
Ihre Bilder dokumentieren geschlossene Gesellschaften, aber nicht als statische Gebilde, sondern als bewegte, von Menschen gestaltete Konstrukte. Diese könnten auch ganz anders aussehen, so wie in der hier abgebildeten Situation eine Handbewegung die kindliche Kreideschrift unleserlich machen, die Schriftmacht brechen, eine andere Geste sie ergänzen, durchstreichen, übermalen könnte. Ebenso würde die reflektierende Glasfläche ganz andere Bilder zeigen, wäre die Position der Optik nur geringfügig verschoben. Die ephemere Situation im urbanen Raum, die Levitt in der ersten Fotografie thematisiert hat, ist auch hier das bestimmende Motiv. Es hinterlässt jene ambivalente Mischung aus verhaltener Freude, Nachdenklichkeit und Verunsicherung, die der wunderbar eigensinnigen optischen Welt Levitts insgesamt eigen ist.
1 Frau Theresa Radlingmaier, eine meiner Studentinnen an der NDU, St. Pölten hat sie im Seminar zu Amerikanischer Kulturwissenschaften präsentiert, hier sind die Photos in der eindrucksvollen zeichnerischen Umsetzung durch Herrn Studienassistenen Christian Öhlinger (Instuitit BiKu) wiedergegben. Beiden KollegInnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Zur Einführung in den Kontext der Arbeit Levitts liegt eine deutschsprachige Publikation von Andrea Henkens, Flanerie der Großstadt. Auf der Suche nach dem Anerden im Alltäglichen. Surreale Blickweisen in den Photographien von Helen Levitt. (Marburg 2005) vor. 2 Eine Reproduktion findet sich in ihrem Photobuch Levitt, Helen. Slide Show: The Color Photographs of Helen Levitt. (New York 2005). 3 Eine Reproduktion findet sich in ihrem Photobuch Crosstown (New York 2001). 4 Eine Reproduktion dieser Arbeit findet sich in ihrem Photobuch Crosstown (New York 2001).
Sergius Kodera ist Lektor am Institut für bildende Kunst und Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Privatdozent am Institut für Philosophie an der Universität Wien, Leiter des Bereichs Kunst- und Kulturwissenschaften an der New Design University in St. Pölten.
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Catharina Bamberger / Ohne Titel / 2010 / Skulptur
Inszeniertes Geheimnis als Deutungsmacht und Selbstschutzstrategie Von Herbert Lachmayer
Die dubiosen Kräfte, welche den Geheimgesellschaften Wirkungsmächtigkeit verleihen, treten den jeweils anderen, denen die draußen sind, immer als Ausgrenzungsmacht entgegen – nie weiß man da genau, wann es gefährlich werden kann, respektive welche Verhaltensnuance überschritten werden muss, um so eine Arkan-Gesellschaft schon möglicherweise gegen sich selbst aufgebracht zu haben. Den Mitgliedern solcher Eliten ist, dass sie in der Verbindlichkeit ihres „Bundes“ aneinander geschweißt erscheinen – mag ihnen doch ein Wissen das ihnen zugleich die Überlegenheit gegenüber all jenen sichert, die fremd sind und draußen bleiben. An der Unsicherheit der „anderen“, die vom Bann des Geheimnisses „draußen“ gehalten werden, erkennen und spüren die Arrivierten einer In-Group sofort die Schwäche ihres Gegenübers. Ihnen hingegen gewährt das Club-Geheimnis Schutz, macht sie tarnkappenartig und tendenziell unsichtbar. So stößt der gleichsam „a-soziale Raum“, den sich die „Geheimgesel-lschaften“ durch die Ausübung ihrer Rituale sichern, nie an den gesel-lschaftlichen Raum der öffentlichen Welt direkt, sondern nimmt diese Welten des „kollektiven Realitätsprinzips“ in den eigenen Imaginationskosmos mit hinein. Dadurch vermögen sich die Mitglieder solcher hermetischer Zirkel ein Allmachtsgefühl zu suggerieren, als würde die komplexe Vielschichtigkeit allgemein verbürgter Wirklichkeit in ihrem eigenen, fast privatistischen Universum schon insgesamt präexistieren: und nur in ihrer Gemeinschaft kann das „Welten-Walten“ vergegenwärtigt werden. In einer Art „profanen Spiritualität“ eint sie stets exklusiv ein „Geist“, dem sie dadurch „dienen“, dass jeder Einzelne sich den Regeln unterwirft, welchen zu folgen voraussetzt, den ureigensten Anspruch nach individualistischer Freiheit durch die Bereitschaft, sich einer Hierarchie zu unterwerfen, gebrochen zu haben. Dies hindert selbstverständlich derartige Clubmitglieder nicht, hemmungslos und intrigant individualistische Macht- und Profitinteressen in der banalen, materialistischen Außenwelt zu verfolgen: Immer ist es dann ein alles harmonisierender „Geist“, welcher jeglichen Machiavellismus legitimiert. Eine zum Fetisch erhobene „Vernunft des Universums“
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mag, ganz und gar ohne intellektuelle Reflexion, einer politischen oder ökonomischen Interessensgruppierung dienen, als wäre es die Schutzmantel-Madonna. Solcher spirituell veredelter Ordnungszwang bestimmt die Freimaurerideologie durchgängig, wenn sie als moralische Instanz auftritt – dadurch wurden die Logen zu den eigentlichen vorbildsuggestiven Ikonen aller späteren Herren-Clubs. Hatte sich in der 68er Generation der Utopietypus der zukunftsbestimmenden Vision durch revolutionäres Handeln manifestiert, haben die traditionalistischen und strukturkonservativen „Geheimgesellschaften“ stets Modelle von Parallelwelten verfolgt, um auch pragmatisch im politischen Machtkalkül der verschiedenen ideologischen Einflusssphären geschickt wie pragmatisch hin- und hertaktieren zu können, den Kompromiss unausgesprochen als Handlungsmaxime akzeptiert. So konnte sich für die „Geheimgesellschaften“ ein Schattenreich zwischen den öffentlich agierenden Herrschaftsträgern etablieren. Dies setzt für das erfolgreiche Überleben der Arkanenbünde voraus, dass es ihnen gelingen mag, die ständig aufflackernde Paranoia permanenten Verfolgt-Werdens in eine Art Aufmerksamkeitsadel zu verwandeln. Das macht auch die Qualität dieser spezifischen Hermetik aus: Von innen heraus glauben die letztendlich doch sektiererischen Gemeinschaften die Wirkungsweisen der trivialen Welt verstehen und zugleich unterwandern zu können, indem sie sich den Clubzwang als eine seelische Erleuchtung verinnerlichen. Ist ihnen doch der magische Fokus, welcher ihnen scheinbar das Geheimnis aller Schöpfung spüren lässt, ein Stigma, wodurch sie die Gesinnungsgenossen schon von weitem her riechen. Das gegenseitige Vertrauen der Logenbrüder wird massiv durch die Verinnerlichung des Geheimnisses ihres Rituals auf Dauer hergestellt – sind sie doch vor allen anderen Menschen privilegiert, das Wissen um den „heiligen Gral“ miteinander zu teilen. Wer solches verrät, dem widerfährt Schrecken, Verzweiflung und letztendlich Untergang. Muss doch ein solch verräterisches Subjekt rücksichtslos vom gemeinsamen Selbsterlösungsziel ausgeschlossen werden: Unerlöst fristet es im Erdengrund ein exzeptionell schlechtes
Schicksal, hängt ihm doch der Hauch der Glücksbotschaft noch nach, ohne ihn je wieder erreichen zu können. Über dem Funktionieren dieser „Geheimgesellschaft“ hängt stets das Damoklesschwert eines „sozialen Todes“ – derartiger Droh-Charakter bindet den inneren Clan umso enger zusammen: die Söhne an die Väter, die Väter an die kollektive Selbsterlösung. So besteht so manche Loge weitgehend aus „alternden Söhnen“: die Selbsterniedrigung unter eine paternalistische Hierarchie idealisiert, entkommen sie dem Sohn-Status nie – über Sie herrschen die darwinistisch erfolgreichen Alpha-Tiere, auch als Leadership-Väter. Darin erkennt man den zutiefst männlichen Charakter der „Geheimgesellschaften“, ihre männerbündlerische Qualität, welche letztendlich eben keiner Frau die Chance umfassender Gleichberechtigung gibt. So sind eben auch die Freimaurer heute von ihrem Ursprung in der Aufklärung, als es eben noch tatsächlich „gemischte Logen“ gab, nicht nur zeitlich weit entfernt – und mehr denn je sind sie zu einer Art „Wiederaufbereitungsanlage“ männlichstem Selbstbewusstseins geworden, um mit Mann-Männchen-Machismus in der Welt von heute ihre Traditionen weiterstricken zu können. Die Frauen haben hingegen mittlerweile dem Uralt-Leadershipformat der Männerherrlichkeit ein Ablaufdatum verpasst, und dennoch werden sich gesellschaftlich-realpolitisch diese verkrusteten Strukturen noch einige Dezenien halten, horribili dictu. Sehen sich doch die Männer der „Geheimgesellschaften“ zumindest als Weltenlenker, auch wenn es nur Finanzwelten sind: verkörpern sie dabei doch immer auch den „Weltenschöpfer“, der eben nicht arbeiten muss, um die Welt hervorzubringen, sondern „schnipp“ macht, und „es wurde Licht“ – eben ein Pascha. Untereinander legen sie sich leidvolle Abarbeitung ihrer Unvollkommenheit und verdunkelnden Triebregungen auf, streben sie doch allesamt zum Licht, das in jedem Einzelnen glüht – bei anderen eben mehr. Trotzdem sah der „Großmeister“ und Chef der österreichischen Freimaurer anlässlich des Hypes ihres „Mozartjahres“ 2006 den Gender-Casus auch pragmatisch einfach: Müsse man doch die edel-elitären Maskulinitäten (in der Eigenschaft, Mit-Glied
Nach Simon Fokke, Der Großmeister nimmt den Anwärter in die Loge auf
zu sein) in jedem Falle „stutenfern halten“, damit nicht etwa solch dümmliche Konkurrenzinstinkte in der Gruppe auftreten, welche den sphärischen Konsens einfach stören, das verstehe sich doch von selbst! Gerade wenn man mit der Beschwörungsformel „Aufklärung“ auf den Lippen einherschreitet, nimmt es wunder, wie sehr „antiintellektualistisch“ im Grunde solch ein Fundamentalistenverein ist. Geht es doch heute viel mehr darum, die profitable Nützlichkeit von Netzwerken zu effektuieren, als sich dem Anspruch des radikalen Individualismus zu stellen, der so manchem Freimaurer noch zu Zeiten Josephs II. als Herausforderung gegolten haben mochte. Mit einiger Kritik stellt sich Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Goethes fürstlicher Freund, 1789 gegen das Freimaurerwesen, wenn er schreibt: „Eine Religion und Moral, die sich auf Fabeln gründet und Täuschungen zu Hilfe nehmen muss, kann unmöglich gut und dauernd sein; und junge Leute dadurch zur Ordnung anzuführen, daß man sie zu Tempelherren macht, wenn sie sich gut aufführen, daß man ihnen einen Teppich erklärt, der weniger wert als ein Bild aus dem Orbis pictus ist, das will mir nicht in den Sinn. Man be-
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strebt sich jetzt mit Recht, die Menschen aufzuklären, wozu also neue Täuschungen? ... Wahrheit ist frei, und muß mit offnen Gesichte einhergehn.“ Haben sich doch seit dem aufgeklärten Absolutismus die sozialen Räume geöffnet, wurden tatsächliche Hierarchien abgebaut, aber auch Menschheitskatastrophen durch „Geheimgesellschaften“, wie es letztendlich Himmlers innerer Zirkel der SS auch eine war, inszeniert – in diesem Verbrecherregime haben sich die Freimaurer als eine verfolgte, aber auf Überlebensstrategien gut vorbereitete Gruppierung subversiv behaupten können. Oft genug, mit dem Einsatz ihres Lebens, haben sie die Freiheit der Demokratie verteidigt – darin sind die Freimaurer während der Nazizeit dem Geist der Aufklärung verbunden gewesen, indem sie der Freiheitsobsession treu geblieben sind. Die medialen Gegebenheiten von heute machen es den Geheimnisbünden schwerer und leichter: Einerseits durchbricht das Medienzeitalter die simple Hermetik durch unerbittliche Transparenz einer ins Totale mutierten Informationsgesellschaft; zum anderen allerdings machen gerade die Kommunikationsmedien eine subtile Vernetzung leichter, sodass „Geheimgesellschaften“ als verborgene politische Machtkonzentrate besser funktionieren denn je.
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Herbert Lachmayer ist Ausstellungsmacher und Professor der Studienrichtung „Staging Knowledge – Inszenierung von Wissensräumen und performative Kulturvermittlung“ am Institut für Bildende Kunst der Kunstuniversität Linz.
Laurenz Egger / Datenhunger / 2010 / Installation
Richard Nikl / Utility #4: Walt / 2010 / mixed media
Shakira I'm conscious of the fact that artists have a responsibility before the masses and they have to take care with their words. Yesterday at 20:51
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Andreas Fogarasi I don't think that art has better possibility to participate in public discourse than any other player. Yesterday at 20:53 Liam Gillick I would certainly think about the means of distribution before producing something. Yesterday at 20:54 John Baldessari Well, if I think art should do something, I shouldn't be an artist, I should be a doctor, curing people. Yesterday at 20:56 Liam Gillick If you want to find out what is going on somewhere, you might get better information now by going to a gallery. I have seen exhibitions recently where I found out detailed information about complexities of current political situation, where the work functioned as documentary rather than fiction. And it was not a bad thing. Yesterday at 21:00 Dan Graham All Artists are alike. They dream of doing something that’s more social, more collaborative, and more real than art. Yesterday at 21:03 Pae White My favorite art is the art I don't understand. Yesterday at 21:04 Tom Stoppard If it hangs on a wall it's a painting, and if you can walk around it it's a sculpture. Yesterday at 21:06 Raymond Pettibon In art, impurity is not a mortal sin. Yesterday at 21:08 Lawrence Weiner It should be about subwaying. Yesterday at 21:09 John Baldessari Really, I’m just interested in fucking people up when they’re looking at my work. I think the artist should make things difficult for the viewer. Yesterday at 21:12 Winston Churchill The best argument against democracy is a five minute conversation with the average voter. Yesterday at 21:13 Harland Miller Don't let the bastards cheer you up! Yesterday at 21:14
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02/2010