Die Kirche in Schleifreisen Östlich der Saale siedelten in grauer Vorzeit die Sorben. Mit der Eroberung „heidnischer“ Gebiete und deren Besiedelung gegen Ende des ersten Jahrtausends vom Westen her durch die Franken ging auch die Christianisierung einher. Klostergründungen in Burgelin, Lusenice und Roda bezeugen das. Ein erstes urkundliches Zeugnis über ein Dorf „Slifestein“ betrifft dessen Übereignung an das Kloster zu Lausnitz im Jahre 1255. Anfang des 15. Jahrhunderts galt „Sloffriesen“ mit 50 Einwohnern als großes Dorf, offenbar bereits mit Kirche und eigener Pfarrei, mit Pfarrhaus und Pfarrgarten, denn 1414 wird erstmals ein Pfarrer erwähnt. Dreißig Jahre später kam „Sleiffriesen“ als Lehen an die Herren von Lichtenhain. Nach der Niederlage des Bauernheeres im Bauernkrieg 1527 herrschte weiter große Not in den Dörfern. Viele, darunter auch „Sleifrisen“, konnten keinen eigenen Pfarrer ernähren. Nickel von Lichtenhain machte 1551deshalb die Pfarrei zu einem Filial von Bobeck, vermietete das Pfarrhaus und ließ auf dem Terrain des zugehörigen Baumgartens eine Schänke bauen, vermutlich dort, wo später der Gasthof „Zum Hirsch“ seine Gäste bewirtete, bis er 2000 schloss. Unterricht in Religion und Kirchengesang gab es schon seit 1610. Eine kleine Schule bauten die Schleifreisener 1660, gleich neben der Kirche, und stellten den ersten „Knabenlehrer“ ein. Sie platzte bereits 1736 aus allen Nähten. Zunächst erweitert, dann hundert Jahre später marode, entstand auf ihren Grundmauern eine größere. Das Gebäude steht jetzt noch als Privathaus an der Dorflinde. An ihrer dem Heiligen Jacobus geweihten Kirche hielten die Schleifreisener allzeit fest, wie am sonntäglichen Gottesdienst darin. Sie weigerten sich jedenfalls hartnäckig, jeden zweiten Sonntag bei jeglichem Wetter zur Predigt ihres Pfarrers nach Bobeck zu pilgern. Doch die inständigsten Gebete halfen nichts gegen den Zahn der Zeit. Trotz mehrfacher Ausbesserungen verfiel die Kirche mehr und mehr. Außerdem fasste sie kaum noch die gewachsene Zahl der Gemeindemitglieder. Als akute Einsturzgefahr drohte, beschlossen sie 1768, an Stelle des baufälligen, zu eng gewordenen Kirchleins ein stattliches neues Gotteshaus zu errichten. Der im darauf folgenden Jahr begonnene Bau verzögerte sich indessen, weil sich die Schleifreisener wiederum hartnäckig
weigerten, dafür zusätzliche Frondienste zu leisten. Über zwanzig Jahre lang hatte der zuständige Patron, Herr von Brand auf Gleina, die erbetenen Reparaturen verschleppt, nun sollten sie das ausbaden? Als „Aufwiegler und Unruhestifter“ weigerten sie sich ebenso, den in den folgenden Jahren für den Neubau geforderten Kirchzins zu zahlen, wie auch weiterhin, nach Bobeck in die Kirche zu gehen oder ihre großen Bauernstuben unentgeltlich für die öffentliche Andacht zur Verfügung zu stellen. So musste der Pfarrer vorübergehend in der halb abgerissenen Kirche, auch bei ungemütlicher Witterung, unter freiem Himmel predigen. Die Gemeinde betete unter dem morschen Dach des Kirchenschiffes, in Lebensgefahr, aber offenbar voller Gottvertrauen. Trotz aller Querelen konnte sie 1771 in den Neubau einziehen. Der an der Ostseite des Langhauses hoch aufragende Turm mit seiner Schweifkuppel entstand allerdings erst Anfang der achtziger Jahre. Zumindest hingen die bereits 1764 in Apolda unter Verwendung der Vorgängerin gegossenen Glocken 1782 „immer noch vor der Kirchenthür“. Sie dienten im I. Weltkrieg der Rüstungsindustrie als Metallspender. Die Nachfolgerinnen, 1927 von der Apoldaer Glockengießerei Schilling gegossen, dienten dem gleichen unchristlichen Zweck im II. Weltkrieg. Getreu ihrer Inschrift „Geopfert für Deutschlands Wehr“. Die Firma Schilling goss 1962 erneut zwei neue, die der damalige Thüringer Landesbischhof Mitzenheim im Oktober weihte. Sie läuten, neben einer kleinen dritten, bis heute. Wie eh und je mit dem Glockenstrang gezogen. Den Chorraum im Osten des hohen, hellen Kirchenschiffes schmückt immer noch die 1711 vom Lausnitzer Tischler Christoph Drothe kunstvoll im Stile des Rokoko gestaltete Kanzel aus der „alten“ Kirche. Mit gewundenen Säulen, reich verziert mit Ranken, Puttenköpfen und Muscheln. Letztere, der Jacobsmuschel ähnlich, könnten auf den Namenspatron der Kirche Bezug nehmen. Ein Friedensengel auf dem Baldachin reckt seinen Palmwedel hoch in das Deckengewölbe. Tafeln an der Nordwand verzeichnen die Namen der in drei Kriegen gefallenen Söhne des Dorfes. Zwei Musketiere 1870/71, 21 Soldaten im I., 40 im II. Weltkrieg. Allein drei Jungs der Familie Seise. Durch Irrsinn verursachte Schicksale. Ein tief herabhängender, schlichter Holzleuchter
erinnert daran. Der Deckel des Taufsteins lässt schemenhaft noch das Wappen derer von Brand erkennen. „In den fünfziger Jahren teilten wir das Schiff mit einem Glaskasten ab und konnten so den Raum mit Nachtspeicheröfen heizen. Wir wollten die Bibelstunde nicht in der Schänke abhalten. Die Bänke schafften wir auf die Emporen. Damit die Kirche nicht verfällt, ließen wir den Turm neu beschiefern und das Langhaus neu eindecken. In den achtziger Jahren kam frischer Putz an die Wände. Alles ging Schritt für Schritt. Viele Schleifreisener halfen dabei. Fast das ganze Dorf. Ein Maler von der LPG Hermsdorf wollte unbedingt mal eine Kirche ausmalen. Die Spuren auf dem Fußboden sieht man noch. Wir kannten ihn auch nur als ‚der Klecks’“, schildert der Kirchenälteste Klaus Vogel schmunzelnd. „Vor fünf Jahren haben wir die alten Bänke wieder montiert. Mit verbreiterten Sitzen. Unsere Vorfahren hatten weniger breite Hintern.“ Er zeigt Fotos von der jüngsten Instandsetzung der Turmkuppel. Arbeiten von einer schwankenden Plattform aus, an einem turmhohen Kran. Rolf Dölz, der sich ebenfalls seit Jahrzehnten für die Kirche engagiert, weiß, es gibt immer zu tun und es bleiben immer Wünsche offen. „Im Dachstuhl haben wir gerade morsche durch neue massive Balken ersetzt. In der Ostwand hat sich ein Riss gebildet. Demnächst sollen neue Fenster drankommen. Die Emporen könnten auch mal wieder neu gemalt werden. Es kostet alles Geld. Auch unsere schöne Barockorgel müssten wir reparieren lassen. Wohl um 1770 gebaut, 1834 vom Stadtrodaer Orgelbauer Poppe und noch mal 1980 instand gesetzt, ertönt sie zwar zu den Gottesdiensten. Aber es fehlte das, was ihre Besonderheit ausmachte – der Klang der Zimbeln. Der Zimbelstern funktioniert nun seit ihrer jüngst erfolgten Reparatur wieder. Grade die hell klingenden Glöckchen und Klangschalen verleihen der brausenden Orgelmusik so etwas Überirdisches.“ Die Kirchgemeinde Schleifreisen steht jetzt als „Filial“ unter der Obhut des Hermsdorfer Pfarrers. Doch ihre Kirche behält sie im Dorfe.
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