Die Wehrkirche in Reinstädt Am 30. Mai 2009 brausten wieder Orgel-klänge durch das Kirchenschiff von St. Michael in Reinstädt. Mehr als dreißig Jahren lang blieb die Orgel stumm, bis 1991 ein Restaurator des Potsdamer Orgelbauers Alexander Schuke ihren Zustand als katastrophal, sie aber als wertvolles, in der originalen Substanz weitgehend erhalten gebliebenes Instrument und als erhaltenswürdig befand. Bereits 1995 erhielt der Orgelprospekt wieder seine ursprüngliche Farbgestaltung und im Juli 2006 konnte dann die Orgelbaufirma Bochmann aus Kohren-Sahlis mit der Restaurierung des seltenen Barockwerkes beginnen. Selten, weil es sich nach der Orgel in St. Marien in Jena-Zwätzen um die zweite und größte von insgesamt nur fünf bekannten Orgeln des Pößnecker Orgelbauers Johann Heinrich Scherff handelt. Sie entstand 1742/43. Es gab eine Vorgängerin, über die nur bekannt ist, dass Christoph Eckhardt von der Pforten sie 1611stiftete und dass sie 1726 als fast nicht mehr bespielbar galt. Da die Reinstädter „meistentheils verarmbte Leute“ waren, „die das brod mit der Hand verdienen müßen, und sich von den vor wenigen Jahren erlittenen großen Brand- und öfftern Wasserschäden noch nicht wieder erholen“ konnten, erhielt Scherff erst 1741 den Auftrag für einen Neubau. In einer Zeit, als stattliche barocke Orgeln auch Statussymbole für die Stifter und die Kirchgemeinden darstellten. Dem entsprechend konzipierte Scherff die Reinstädter Orgel. Zwar unter Einsatz von zum Teil billigem Material, aber doch so groß dimensioniert, dass es einer Erweiterung der Orgelempore in den Kirchenraum hinein bedurfte. Neben zwei Manualen und jetzt 21 Registern besitzt die Scherff-Orgel noch eine originelle Besonderheit: ein Glockenspiel, bestehend aus zwei Glockenhaltern, mit dreizehn beziehungsweise 12 Glockenschalen bestückt. Zur lieblichen Ergänzung der Sphärenklänge. Nach Scherffs Tod übernahmen zunächst Justin Ehrenfried Gerhardt aus Lindig und später die Gebrüder Poppe aus Roda ihre Pflege. Voraussetzung für die Restaurierung der Orgel war natürlich die Instandsetzung des wegen Schwammbefall seit 1975 baupolizeilich gesperrten Kirchengebäudes und die Restaurierung seines Innenraumes. Der heutige gotische Kirchenbau entstand in der Mitte des 15. Jahrhunderts, nach dem Ende des Sächsischen Bruder-
krieges. Schon damals kannten auf Beute begierige Kriegsknechte keine Ehrfurcht vor Kulturgütern und geweihten Orten. Es gilt als sicher, dass sie die Kirche 1446 plünderten und brandschatzten. Da Dachstuhl und Deckenbalken des Langhauses nachweislich aus der Zeit um 1460 stammen, liegt nahe, den Baubeginn ein paar Jahre früher zu vermuten. Dass die Bauherren die Kirche mit Wehranlagen ausstatteten, lässt sich wohl mit den bitteren Erfahrungen des gerade überstandenen Krieges erklären, dem zerstörerischsten im mittelalterlichen Thüringen. So vermittelt der massive Bau des Langhauses mit den Schießscharten und dem Wurferker über dem Westportal einen durchaus wehrhaften Eindruck, ebenso der später, vermutlich zwischen 1473 und 1476 angebaute Turm. Zumindest ergaben dendrochronologische Untersuchungen des Gebälks der Sakristei ein Fälldatum des Holzes um 1472/73 und der Guss einer Glocke im Jahre 1476 deutet auf das Ende der Bauarbeiten hin. Wahrscheinlich hing die aber noch in einem Holzaufbau über dem steinernen Obergeschoss. Der spätgotische Chor entstand um 1485 und steht in eigenartigem Kontrast zum Festungscharakter von Schiff und Turm. Durch die hohen, mit Maßwerk phantasievoll gestalteten Fenster flutet viel Licht in den Altarraum. Die zwölf kunstvoll geschnitzten Heiligen des Flügelaltars, Maria mit dem Jesusknaben in ihrer Mitte, stehen so allerdings im Gegenlicht. Von dem ursprünglich zur gleichen Zeit wie der Chor in einer Erfurter Werkstatt geschaffenen Altarschrein blieben nur die Schnitzfiguren erhalten. Neben der Mutter Gottes auch der Schutzheilige der Kirche, St. Michael, der mit dem Drachen kämpfte, Patron der Kreuzfahrer, und St. Veit, Patron der Brauer und Winzer, der Gewerbe, mit denen die Reinstädter zeitweise zu Wohlstand kamen. Zum Glück fand sich die Rückwand des Mittelschreins wieder, verbaut als Brüstungsteil der Sängerempore. Dadurch gelang seine einigermaßen originalgetreue Wiederherstellung. Ein zweiter, älterer Altar gilt seit 1900 als verschollen. Aber eine Rarität in der Thüringer Kirchenlandschaft blieb erhalten - die Bretterdecke im Kirchenschiff mit ihrer prachtvoll ornamentalen, farbenfrohen Schablonenmalerei. Um 1517/18 geschaffen, vermutlich von durch die Lande ziehenden Malern aus dem süd- oder osteuropäischen Raum, wie Karl Heinz
Bastian vermutet, der als Restaurator die denkmalgerechte Wiederherstellung der Decke und des gesamten Kirchenraumes nebst Interieur zwischen 1987 und 1996 besorgte. Seine heutige, eindrucksvoll das Dorfbild dominierende, die stattliche Kemenate überragende Haube erhielt der Kirchturm 1533/34. Über die so ähnlich gestalteten Kirchturmhauben in Kahla, Reinstädt und Engerda flaxt der Volksmund: Die Kahlaer baute der Meister, die Reinstädter der Geselle und die Engerdaer der Lehrling. Die Reinstädter offenbar ein gestandener Geselle. Noch einmal litt die Kirche während des Dreißigjährigen Krieges, unter marodierenden Schweden. Die Gemeindeväter wiesen 1671 das Altenburger Konsistorium auf ihren, des Pfarrhauses und der Schule ruinösen Zustand hin. Die Instandsetzung sollte 63 Taler kosten. Eine Kollekte in dreißig Kirchgemeinden ringsum erbrachte nur 23 Taler. Da war guter Rat teuer. Doch unverhofft kommt oft: Der Reinstädter Müller, des Ehebruchs überführt und infolge dessen aus dem Herzogtum verbannt, konnte gegen Zahlung eines Bußgeldes von 75 Taler im Lande bleiben. Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg ordnete höchstpersönlich an, dass die Reinstädter davon das benötigte Geld erhielten. Als nach der Reformation christliche Rituale hinter die Verkündigung von Gottes Wort durch den Pfarrer zurück traten, trugen Kanzelaltäre dem Rechnung. Hans Christoph von der Pforten stiftete 1731 einen hoch aufragenden barocken Kanzelaltar für den seinerzeit umgebauten, mit einem „Himmelsgewölbe“ versehenen Chor. Der verdunkelte allerdings den Raum und stand den Pfarrern zu weit von der Gemeinde entfernt. Im Zuge der jüngsten Restaurierung abgebaut und eingelagert, trat der alte Flügelaltar wieder an seine Stelle. Die Reinstädter Kirche St. Michael birgt noch viel Sehenswertes. Unter Anderem achtzehn Wappentafeln derer von der Pforten und ein Epitaph mit der allegorischen Darstellung von Gesetz und Gnade, bezogen auf Joachim von der Pforten, der 1570 verstarb. Ein Kruzifix aus dem 14. Jahrhundert zeigt einen Christus, der die Todesqualen überwunden zu haben scheint. Dazu liegt die Kirche gleich neben der Kemenate und Gumperda nicht weit entfernt. Im idyllischen Reinstädter Grund. Besonders schön im Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Evangelisch-lutherische Kirchgemeinde Gumperda-Reinstädt Dorfstraße 34 · 07768 Reinstädt · Telefon 03 64 22/6 05 51 kirche-gumperda@gmx.de 25