Kirchenschätze

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Die Kirche in Poppendorf Weite Felder erstrecken sich über die sanften Hügel im nördlichen Saale-Holzland-Kreis von Eisenberg bis Schkölen, von Wetzdorf bis Crossen, zwischen den Flusstälern der Saale und der Weißen Elster. Eine anmutige, in Jahrhunderten durch unermüdlichen Bauernfleiß geschaffene Kulturlandschaft. Bis heute geprägt durch Ackerbau und Viehzucht. Auf die Dörfer zwischen den Hügeln deuten zuerst deren Kirchtürme hin. Für Fuhrleute, die einst über die alten Handelsstraßen holperten, zwischen Regensburg und Naumburg oder Nürnberg und Leipzig, ein hochwillkommenes Zeichen für baldiges Ausspannen in einer Ausspanne. Die Kirche in Poppendorf setzte kein solches Signal. Ihr fehlt der Turm. Von Wetzdorf kommend, hundert Meter vor dem Dorfrand, gerät sie hinter der 1871 gepflanzten Siegeseiche ins Blickfeld. Für das kleine Dorf ein imposantes neoromanisches Bauwerk, das auch gut in die Toskana passte. Der „Glockenturm“ allerdings steht wie ein abgesetzter Glockenstuhl gut hundert Meter weiter an der Dorfstraße. Weshalb, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Als die Poppendorfer sich 1873 entschlossen, eine eigene Kirche zu bauen, weil sie nicht immer nach Wetzdorf zum Gottesdienst pilgern wollten, zumal bei Wind und Wetter, kannten sie möglicherweise schon die Probleme der Wetzdorfer mit ihrem stolzen Zwiebelturm, der einzustürzen drohte und den diese später abtragen mussten. Da bauten sie lieber gar nicht erst einen. Vielleicht stimmt es auch, dass am Gottesacker tatsächlich besonders oft der Blitz einschlug. Wegen vermeintlicher unterirdischer Wasseradern. Wahrscheinlich reichte aber einfach das Geld nicht. Was auch der Grund gewesen sein mag, die Glocken riefen jedenfalls nun die Kinder wochentags zur Schule und die Christen sonntags zur Andacht von der Dorfmitte aus. So hören bis heute die Leute an beiden Enden des langgesteckten Dorfes sehr gut, was die Glocke geschlagen hat. Das Glockenhaus steht direkt am stattlichen Gehöft von Heinz Haufe. Aus Rockau stammend, heiratete er 1950 auf den Miller-Hof ein, weil sich eine schöne Millerin namens Christa ein paar Jahre zuvor in ihn als flotten Matrosen verliebte. Die Kirche ist eines seiner sieben Steckenpferde. Nachdem er 42 Jahre lang als Kirchenältester wirkte, tut er jetzt als „Kirchendiener“ das Notwendi-

ge. „Eejentlich wulle mich unse Pastern zum Küster mache. Ich will Gott dienen, un da bleib‘ch liewer Kerchendiener“, schmunzelt er verschmitzt und schließt die Kirchentür auf. Im Vorraum zum Kirchenschiff hängen schwarze Tafeln. In vergoldeten Buchstaben verzeichnen sie die Poppendorfer Männer, die 1870-71, im Ersten und im Zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen. Viele im Vergleich zur Zahl der Dorfbewohner. Manche Familiennamen erscheinen doppelt. Vater und Sohn, Brüder. Schicksalsschläge, die wohl viele in ihrer Verzweiflung Zuflucht Suchende Gott näher brachten. Die im Gebet in ihrem Gotteshaus Trost fanden, das durch seine Schlichtheit darauf einstimmt, sich ganz und gar der Andacht, der inneren Einkehr hinzugeben. „Das ist wie eine Wohnstube. Nicht viel größer wie unsere daheim. Die Friedhofskapelle vorher (aus dem 12./13. Jahrhundert) war noch kleiner. Ihr Chor mit der Apsis blieb erhalten und die Steine des abgerissenen Langhauses gingen in den Neubau 1873 ein. Zu DDR-Zeiten hatte der Staat für solche kleinen Dorfkirchen nicht viel übrig. Um unsere vorm Verfall zu retten, gelang es uns 1976, wenigstens das löchrige Dach zu decken. Es gab jeden Freitag in Reuden Betonziegel zweiter Wahl, ohne Zuweisung. Wir fuhren mit Hänger in aller Herrgottsfrühe hin. Doch die Ziegel zweiter Wahl reichten nicht. Die Kolleginnen dort zwinkerten uns zu, wenn wir eventuell rare Produkte hätten? Vielleicht ließe sich da was machen… Als ich dann mit einem dicken Wurstpaket kam, durften wir laden, soviel wir brauchten. Mehr konnten wir leider nicht tun. Es fand dann 25 Jahre lang kein Gottesdienst mehr in der Kirche statt. Die Bengels zerschmissen die Fenster, kletterten rein, spielten die Orgel kaputt (Kinner, wie se nu ma sin). Die Tauben flogen ein und aus und schissen auf die Bänke.“ Im Sommer 1996 fing Heinz Haufe an, die Kirche „auszumisten“, schleppte vierzehn Tage lang viele Eimer warmes Wasser rüber und befreite die Kirchenbänke vom Taubenkot. Die Leute munkelten, er wollte beim lieben Gott um Schönwetter bitten, zum Dachdecken seiner Scheune. Das klappte jedenfalls. Dafür konnte die Gemeinde in der nun „begehbaren und besitzbaren“ Kirche im darauf folgenden Herbst zum ersten Male wieder einen Erntedankgottesdienst feiern. Und mit der Renovierung ging es weiter. Ers-

te Hilfe bekam Heinz Haufe durch ein älteres deutsch-russisches Spätaussiedlerpaar aus der Pfarrei Wetzdorf, das Arbeit suchte. Sie begannen, den schadhaften Innenputz abzuschlagen. Als sie weiter nach Westen aussiedelten, halfen nun Jugendliche aus dem Dorf. Zwischen 2001 und 2003, als Fördergelder nur noch spärlich flossen, versetzte die Kirchgemeinde das Innere des Gotteshauses dann in den heute erfreulichen Stand. Finanziert durch einen Kredit, den sie nur mit Zögern aufnahm, weil Bauern nicht gern Schulden machen, durch Mittel vom Kreiskirchenamt, durch Kollekten und freundliche Spender. Vor allem aber durch der eigenen Hände Arbeit. Befördert durch die glückliche Fügung, dass Pfarrerin Magdalena Seiferts Ehemann Jürgen als Restaurator die Arbeiten fachkundig begleitete. Das Kirchenschiff erhielt nun wieder die farbenfrohe Gestaltung wie 1874. Die neoromanisch-gründerzeitlichen floralen Bemalungen schmücken jetzt wie einst die Wände, als Sockelornamente, als Fensterumrahmungen und Deckenfries. Sorgfältig reproduziert mit der ältesten Vervielfältigungstechnik, der Schablonenmalerei. Dazu fertigten die Maler nach erhalten gebliebenen Mustern 17 verschiedene Schablonen an. Von der figürlichen gotischen Malerei der Vorgängerkapelle verblieb ein schemenhaftes Bild als unverputzter Ausschnitt im Chor. Den schmücken neben dem schlichten Altar und der Kanzel eine kleine Statuette des gekreuzigten Christus und ein Taufbecken in einem hölzernen, mit Schnitzereien versehenen Gestell. Die in Rautenmustern bleiverglasten Fenster stellte ein Leipziger Glaser wieder her. Ein Freund des Schwiegersohns des Kirchenältesten und leidenschaftlicher Kuchenesser. Für ein Kuchenpaket von Christas Selbstgebackenem. Zum Weihnachtsgottesdienst 2007 erstrahlte zum ersten Mal elektrisches Licht in der Kirche. Wenn die Sonne untergeht, sieht das neoromanische Bauwerk im rosaroten Abendschein besonders romantisch aus. Neoromantisch. Und im Herbst 2010 feierten Christa und Heinz Haufe hier ihre Diamantene Hochzeit. „Nu wollmer ma weiter sahe“, meint der Kirchendiener einer kleinen Kirchgemeinde, die „mit Herzklopfen und viel Gottvertrauen“ ein sehenswertes Denkmal rettete und bewahrt.

Evangelisch-lutherisches Pfarramt MTS-Straße 6 · 07774 Frauenprießnitz · Telefon 03 64 21/2 25 07 www.kirchenkreis-eisenberg.de 23


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