Kirchenschätze

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Die Kirche »St. Nicolai« in Lippersdorf Durch das Traditionsbewusstsein der Dorfbewohner blieb mit den „Tälerdörfern“ zwischen Tautendorf und Tröbnitz, im Quellgebiet und entlang der Roda, eine in der Region einzigartige Kulturlandschaft erhalten. Geprägt durch viele gut erhaltene oder „rehistorisierte“ Fachwerkgebäude und Umgebindehäuser, wie sie an Stelle massiver Holzhäuser entstanden, um Holz zu sparen, das sich mit der Blüte des holzverarbeitenden Gewerbes hier zu Lande verteuerte. Die „Tälerdörfler“ sorgten auch dafür, dass ihre Kirchen im Dorfe blieben. Was ihre Schätze anbelangt, steht die an solchen wohl reichste in Lippersdorf. Das Dorf entstand vermutlich im 12. Jahrhundert, als deutsche Siedler ins slawische Land östlich der Saale vordrangen. Möglicherweise hieß ihr damaliger Anführer Liebrecht. Von einer Kirche aus dieser Zeit zeugen noch rudimentäre Reste der Grundmauern des Chores und eines Rundbogenfrieses an der Ostwand des Turmes. Im Jahre 1543 kauften die adeligen Brüder Apel, Hans und Kunz von Meusebach die Güter und Dörfer Tautendorf, Eineborn, Ottendorf, Lippersdorf, Erdmannsdorf und Waltersdorf an der Roda, dazu Kleinebersdorf, Karlsdorf, Bremsnitz, Weißbach und Rattelsdorf in den Seitentälern von Johann Friedrich I., dem Großmütigen, Kurfürst von Sachsen. Die Meusebacher erhoben nun in ihrer Herrschaft Zinsen, forderten Frondienste ein und übten zweckdienlich auch die Gerichtsbarkeit aus. So brachten sie es offenbar zu einem gewissen Wohlstand, denn 1630 ließ Heinrich von Meusebach im zentral gelegenen Lippersdorf die Kirche neu errichten. Wie einiges von der romanischen und gotischen Bausubstanz, blieb ihr auch der ursprüngliche Namenspatron erhalten – der Heilige Nikolaus, der Schutzpatron der Reisenden und der liebste Heilige der Kinder. Heinrichs Enkel Christian stiftete 1706 eine kleine Orgel. Die erste Orgel in einem Dorf in der ganzen Gegend. 1738 schafften die Lippersdorfer eine größere, klangvollere vom Geraer Orgelbauer Christian Ernst Friderici an, einem Schüler Gottfried Silbermanns. Wahrscheinlich das erste selbständige Werk dieses Meisters. Das Schnitzwerk des Gehäuses schuf der Geraer Holzbildhauer Johann Wilhelm Rockstroh. Die Gebrüder Poppe aus Roda renovierten 1893 das Instrument. Ebenfalls noch unter den Meusebachern erhielt

die Kirche 1718 einen neuen Chor, eine Sakristei, vor allem aber die einzigartige Deckenbemalung in Chor und Langhaus. Der Ronneburger Maler Johann Conrad Schöning hielt auf 40 Bildtafeln Szenen aus der Bibel fest. Mit Zitaten aus dem Alten und dem Neuen Testament. Vermeintlich nach dem Vorbild der historischen Augsburger Bilderbibel des Johann Ulrich Krause von 1700, einer Art Armenbibel – biblia pauperum – für die meist des Lesens unkundigen Gläubigen. Weitere 15 Tafeln im Chor stellen Gott Vater, Christus und den Heiligen Geist dar, flankiert von den zwölf Aposteln. Die in warmen Röteltönen gemalten Tafelbilder schmücken den hohen, hellen Kirchenraum auf ganz besondere Weise. Sie stellen auch optisch die Verbindung zum wunderschönen Flügelaltar her. Die Beweinungsszene des Schreins zeigt die Pièta, Maria mit dem von den erlittenen Qualen gezeichneten Leichnam ihres Sohnes auf dem Schoß, ihr zur linken Maria Kleophas und Maria Magdalena, ihr zur rechten den Evangelisten Johannnes. In den Seitenflügeln verewigte der unbekannte Künstler links die Heilige Anna „selbdritt“ und den Namenspatron der Kirche, sowie rechts die Heiligen Katharina und Barbara. Anhand der Stilmerkmale und der modischen Details ihrer Kleidung schließen Kunsthistoriker auf die Entstehung der spätgotischen Schnitzfiguren um 1510 herum und ordnen sie dem Jenaer Bildschnitzer Johann Linde zu. Unglaublich, dass dieses Kunstwerk erst 1931, zerlegt und in desolatem Zustand auf dem Kirchenboden entdeckt, wieder ans Tageslicht kam. Der damalige Pfarrer Friedrich Michael Zimmer ließ den beschädigten Altar nach Eisenach bringen und im Museum für kirchliche Kunst restaurieren. Gemeinsam mit fünf ebenfalls stark beschädigten Schnitzfiguren eines noch ein paar Jahre älteren Altarschreins. Dazu gehörten eine Mondsichelmadonna, wiederum der heilige Nikolaus, die Jungfrau Margaretha und die Heiligen Laurentius, Sebastian und Valentin. Der römische Priester Valentin lebte im 3. Jahrhundert. Unter anderem traute er gegen das kaiserliche Verbot Paare nach christlichem Zeremoniell. Deshalb ließ ihn Kaiser Claudius II. 269 hinrichten. Am 14. Februar, dem heute als Tag der Liebespaare nun auch bei uns kommerziell erschlossenen Valentinstag. Jetzt schmückt seine Skulptur gemeinsam mit den anderen die Wand

neben dem prächtigen Kanzelaltar. Dieses Schmuckstück schuf 1639 Georg Sonnenkalb in einem „Stilgemisch“ zwischen Renaissance und Barock. Der hölzerne, mit Blumen und Rankenwerk reich verzierte Schalldeckel entstand später, wahrscheinlich 1718 im Zuge der gründlichen Renovierung der Kirche. Die Malerei am Kanzelkorb könnte Johann Conrad Schöning damals „nebenbei“ mit ausgeführt haben. Die Ähnlichkeit der Malweise der Tafeln mit den Deckengemälden deutet darauf hin. Neben Christus zeigen sie die vier Evangelisten Matthäus, Lukas, Markus und Johannes mit den ihnen zugeordneten Attributen – Engel – Stier – Löwe – Adler, die die Menschwerdung Christi, seinen Opfertod, seine Auferstehung und Christi Himmelfahrt symbolisieren. Durch das ständige Bemühen der Kirchgemeinde um ihr Gotteshaus blieb dieses kirchenkulturell wertvolle Denkmal sehr gut erhalten. Nachdem 1996, finanziert durch die kirchliche und die staatliche Gemeinde, der Dachstuhl repariert und das Dach neu gedeckt werden konnte, erfolgte 1999 die Schwammsanierung des Mauerwerks. Die beiden kunstvollen Flügelaltäre und die einzelnen Schnitzfiguren wurden mit Hilfe von Fördermitteln und wesentlicher Selbstbeteiligung vom Holzwurm befreit und konserviert. Es folgte die Installation einer Blitzschutzanlage, zum Schutz vor möglichen Unachtsamkeiten bei der Wettergestaltung seitens Petrus. Das 2002 neu verputzte und „elektrifizierte“ Kircheninnere erhielt auch eine frische Ausmalung. Ein Jahr später beschädigte ein Sturm den Turmknopf. Restauriert und mit einer neuen Wetterfahne versehen, schmückt er jetzt wieder den Turm. Zurzeit beschäftigt die Gemeinde die Bewahrung der Deckenvertäfelung und die Wiederherstellung der verblassenden Tafelmalereien. Ein Projekt, das kunstfertige Handwerker, Zeit und vor allem allerhand „Silberlinge“ erfordert. Die Restaurationswerkstatt, die vor Jahren damit begann, gibt es nicht mehr. Mit Gottes und weltlicher Hilfe schaffen es die Lippersdorfer bestimmt, auch dieses Werk zu vollenden. Das wäre höchst erfreulich für die Kirchgemeinde, für die Szenerie der Tälerdörfer und für die Kulturlandschaft des Landkreises.

Kirchgemeinde Ottendorf Dorfstraße 51 · 07646 Ottendorf · Telefon: 03 64 26/2 22 59 olabin@gmx.net 21


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