Kirchenschätze

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Die Kirche »St. Sebastian« in Dienstädt Aus allen Himmelsrichtungen zieht es Kenner der Kirchenkunst in die Dienstädter Kirche mit ihrem weithin gerühmten spätgotischen Flügelaltar. Sie treten ein in das dämmrige Kirchenschiff und verharren fasziniert vor dem sakralen Kunstwerk im hellen Chor, zumal, wenn diesen das Morgenlicht erfüllt, das durch die hohen spitzbogigen Fenster mit dem kunstvollen Fischblasenmaßwerk fällt. Ein Schnitzaltar von höchstem künstlerischen und kirchenkunsthistorischen Rang, der unbestritten schönste in unserer Region. Als es den Dienstädtern Ende des 15. Jahrhunderts dank dem wirtschaftlichen Aufschwung des Bergbaus und der Metallverhüttung im mittleren Saaletal gut ging und sie ihre Kirche um den gotischen Chor erweiterten, wollten sie diesen auch mit einem würdigen Altar schmücken. Da die Wirtschaft stets auch die Künste befördert, zog es Maler und Bildhauer in die Gegend. „Moler“, wie sie der Volksmund nannte. Saalfeld entwickelte sich zu einem Zentrum des bildnerischen Schaffens in Thüringen. Dort arbeitete auch der „Dienstädter Meister“, wie ihn Kunsthistoriker nach seinem Hauptwerk, dem Dienstädter Altar, nennen. Der Saalfelder Kunsthistoriker Dr. Gerhard Werner vermutet, dass es sich dabei um den Maler Georg Salmenbach handelt, einen Schüler des bekannten Hans Witten von Köln, der in seiner Zwickauer Werkstatt bedeutende Werke für den Freiberger Dom, die Annaberger St. Annenkirche und verschiedene Chemnitzer Kirchen schuf. Bei diesem „Dienstädter Meister“ also bestellten die Dienstädter Kirchenältesten 1510 einen neuen Marienaltar, nachdem er ihnen ihre Wünsche hinsichtlich seiner Gestaltung zu erfüllen versprach: Einen Altarschrein mit blauem Himmel und goldenen Sternen und mit den Heiligen, die sie in Not und Bedrängnis um Fürbitte bei Gott anrufen wollten, oder um ihnen Dank an Gott auftragen, wenn sie seinen Segen erfuhren. Vor allem aber mit der Jungfrau Maria als Himmelskönigin, umstrahlt von der Sonne, den Mond unter ihren Füßen und auf dem Haupte einen Kranz von zwölf Sternen. Als Heiligenfiguren bestellten sie die Anna selbdritt, die Beschützerin der Bergleute, die in Thüringen hoch verehrte Heilige Elisabeth, die Nothelferinnen St. Katharina und St. Barbara, den heiligen Erasmus, den Fürbitter der Mütter, sowie den heiligen Sebastian,

den Nothelfer in Pestzeiten und Schutzpatron der Kirche. Georg Salmenbach, wenn er es denn war, und seinen Gesellen gelang ein Meisterwerk. Für alltags, sonntags und für Festtage verwandelbar. Vollkommen zusammengeklappt zeigte der Wandelaltar Bilder aus dem Marienleben. Leider als nicht restaurierbar nach 1888 ersetzt durch schlichte ornamentale Bemalung. Die doppelten Seitenflügel aufgeklappt, erschienen die zwölf Apostel, jeweils zu dritt auf vier Tafelbildern. Völlig geöffnet, entfaltete sich dann im wahrsten Sinne des Wortes die ganze festliche Pracht der Schnitzereien. Inmitten der sechs Heiligenfiguren, wie bestellt, schwebte die wunderschöne Madonna auf einer Mondsichel, im kostbaren güldenen Gewand, geheimnisvoll lächelnd, den Jesusknaben auf dem Arm, der dem andächtigen Betrachter mit beiden Händen eine Kugel entgegenstreckt. Die Welt – inzwischen ja als Kugel anerkannt? Eine Kugel – unberechenbar wie das Schicksal, dass er in Händen hält? Weniger geheimnisvoll dagegen die im Altarsockel verewigten drei Erzväter Abraham, Isaak und Jacob. Die Bauern tuschelten sicher nicht nur untereinander, sondern hieben sich wohl lachend auf die Schenkel, als sie in ihnen ihre Dorfschulzen erkannten. Wie aus dem Leben gegriffen. Menschen aus dem Volk tragen das Christentum. „Wir sind das Volk“ – schon um 1513! Die Reformation warf in der Kunst bereits ihre „Schatten“ voraus. Die Mondsichel gilt jedenfalls als Symbol für Veränderung. Die trat wenige Jahre später ein und brachte paradoxerweise das Kunstwerk in große Gefahr. Ab 1523 predigte in Orlamünde Dr. Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, Luthers Mitstreiter und Gegenspieler zugleich, deutsch und eine radikale Befreiung der Gotteshäuser von abgöttischen Bildern. Gottseidank gab es neben Anhängern des „Bilderstürmers“ auch besonnene Dienstädter. Die schlugen ihm ein Schnippchen und versteckten ihren Altar irgendwo unter Heu und Stroh. Nicht nur, weil sie dafür viel Geld hatten ausgeben müssen. Sie ahnten, dass sie da etwas nicht Alltägliches besaßen. Anfang der 1550er Jahre stellte ihn Pfarrer Peter Meusler wieder auf, ließ ihn aber wegen einer amtskirchlichen Rüge einhausen. Glücklicherweise überstand der Altar den Dreißigjährigen Krieg, wenn auch mit Schäden. Danach

entsprachen die spätgotischen Schnitzaltäre nicht mehr dem Zeitgeschmack und wichen modernen Kanzelaltären. Auch die Dienstädter bauten in der Kirche um, im vorderen Teil des Chores eine Art Sakristei ein, den Altar ab und bewahrten seine Einzelteile dort auf. So völlig aus dem Blick geraten, kamen diese erst 1888 beim Abbau der Sakristei wieder ans Tageslicht. Paul Lehfeldt nahm den Altar sofort als besonders wertvoll in sein Werk „Bau- und Kunstgeschichte Thüringens“ auf und weckte damit Begehrlichkeiten. Als ihn die Eisenacher Museumswerkstätten 1935 restaurierten, zögerten sie die Arbeiten fast drei Jahre hin, offensichtlich mit dem Hintergedanken, ihn für die Sammlung ihres Museums zu ergattern. Auch anlässlich einer Ausstellung thüringischer Schnitzaltäre 1957 ebenda flackerten die Begehrlichkeiten wieder auf. Doch die Dienstädter Kirchgemeinde und ihre engagierten Pfarrer konnten ihren Besitzstand gegen alle Widerstände wahren. Bei der jüngsten Restaurierung 1993 bis 1996 durch die Kirchlichen Werkstätten in Erfurt gab es keinerlei Querelen. Dem spätgotischen Schnitzaltar im Chor steht als kunstvoller Kontrapunkt die Barockorgel auf der Westempore gegenüber. Vom Lindiger Orgelbauer Justin Ehrenfried Gerhardt 1736 geschaffen, gilt sie als eine der bedeutendsten im SaaleHolzland-Kreis. Sie blieb im Wesentlichen original erhalten. Bis auf die erneuerungsbedürftigen Prospektpfeifen und die Manualklaviatur. Den Orgelprospekt restaurierte die Firma Volkland aus Bad Klosterlausnitz sehr sensibel, dem Stil der Dorfkirche angepasst. So erklingt seit ihrer Wiedereinweihung im Jahre 2007 mit einem Festkonzert, das der Altenburger KMD i. R. Albrecht Ditl bestritt, nun wieder regelmäßig Orgelmusik zu den Gottesdiensten und zu exklusiven Konzerten renommierter Organisten. In der Kirche St. Sebastian zu Dienstädt, die ursprünglich im 13. Jahrhundert aus dem quadratischen Raum zwischen dem gotischen Chor und dem im 17. Jahrhundert in der heutigen Gestalt errichteten Langhaus bestand, der als Kapelle der in Thüringen seit eh und je verehrten Heiligen Elisabeth geweiht war, der legendär mildtätigen ungarischen Königstochter und Gemahlin des Landgrafen Ludwig IV., deren Andenken bis heute ihr geschnitztes Porträt am Dienstädter Altar bewahrt.

Evangelisch-lutherische Kirchgemeinde Dienstädt · Evangelisch-lutherisches Pfarramt Orlamünde Burgstraße 65 · 07768 Orlamünde · Telefon 03 64 23/2 24 03 pfarrer.freund@web.de 10


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