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LEITARTIKEL
Gelernt, gelebt, gewollt
Die meisten von uns sind unbewusst aktive Anhänger des Speziesismus. Kein Vorwurf! Das ist gelernt, vorgelebt und auch so gewollt. Beispiel? Das Tierschutzgesetz. In §1 bestimmt das Gesetz: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ So positiv diese grundsätzliche Aussage sich anfühlt, ihre Tragweite ist beschränkt. Das Tierschutzgesetz lässt es nämlich zu, dass die Rechte von Haustieren, Nutztieren, Versuchstieren, Zirkustieren unterschiedlich geregelt werden. So gelten für Nutztiere (dieser Begriff kommt im Tierschutzgesetz vor), Lämmer, Ferkel, Schafe, Ziegen und Nagetiere besondere Regelungen zum Beispiel beim Kastrieren, Zähne schleifen, Schwanz kürzen oder Kennzeichnen. Diese besonderen Regelungen sind wie Weichmacher. Damit werden die auf den ersten Blick strikten Vorgaben des Gesetzes in die praktische Anwendung gepresst. Es sind Ausnahmen für bestimmte Tiere. Diese Ausnahmen schaffen Handlungsspielraum, wenn es um Schmerzen oder Leiden ohne vernünftigen Grund geht. Des Weiteren gibt es ein Zauberwort im Gesetz, das vieles, was zunächst als ausgeschlossen gilt, möglich macht: Die so genannte Rechtsverordnung. Durch diese Hintertür kommt zum Beispiel die unsägliche Kastenhaltung für Schweine in den Schweinestall. Oder bleiben Tiertransporte quer durch Europa möglich.
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Schluss mit den Ausreden
Zwischen Nutztieren und Haustieren zu unterscheiden, ist willkürlich. Die Abgrenzung von bestimmten Tieren beginnt damit, dass wir einordnende Begriffe für sie entwickeln. Nutztier, Haustier, Versuchstier. Beim Nutztier steht der funktionale oder wirtschaftliche Nutzen im Vordergrund. Daraus leitet sich jedoch nicht ab, dass unsere Wahrnehmung gegenüber Nutztieren eine andere sein darf als gegenüber Haustieren. Relativiert das ökonomische Interesse das Wesen eines Tiers? Wir sprechen unserer Katze Persönlichkeit und Emotionen zu, lassen es aber geschehen, dass Schweine in Massen gehalten, transportiert und geschlachtet werden, nur weil es der Begriff „Nutztier“ sie anders kategorisiert. Warum verabschieden wir uns nicht vom Nutzencharakter des Tieres und betrachten alle Tiere gleichrangig? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil uns damit die Ausreden ausgehen, warum wir Tiere ausbeuten.
Ein Tier ist ein Tier
Wer zwischen Lebewesen qualitative Abstufungen trifft, tut dies aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus. Da folgt der Speziesismus denselben Mustern wie der Sexismus oder der Rassismus. Wenn wir unseren gelernten Speziesismus überwinden wollen, sollten wir uns bewusst machen, wann und wie wir Tiere diskriminieren. Das ist für die meisten von uns unbekanntes Terrain. Tradition machts möglich. Es geht nicht darum, die Kuh zum Hund aufs Sofa zu holen, sondern deutlich zu machen, dass ein Tier ein Tier ist. Das ist eine simple, unverrückbare Wahrheit. Sie ist generell gültig und darf nicht willkürlich durch Verordnungen oder individuelle Einschätzung verbogen werden.
