Portfolio Lebenwelten | Menschenbild 2008

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Lebenswelten | Menschenbild

Knut B채cker | Pedro Balbas | Kerstin Carl | Simone Fachel | Bernd Grosse | Anna Homburg | Katja Klein | Anita Marschner | Rainer Menke | Sarah Pedde | Wolfgang Peikert | Martin Stark | G체lsen T체rk | Leitung: Thomas Michalak


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Das Projekt Mit einem drei Trimester umfassenden Projektkurs wird die fotografische Ausbildung am Fachbereich Fotografie der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg in der Regel abgeschlossen. Die Abschlussarbeit - ein Buch oder ein Ausstellungsbeitrag - wird am Ende des Semesters von den Teilnehmenden gemeinsam präsentiert. Seit Michael Schmidt Ende der 1970er Jahre die Werkstatt für Photographie an der Volkshochschule Kreuzberg gründete und als nicht akademische Ausbildungsstätte für künstlerische Fotografie in Europa und den USA bekannt machte, hat die Beschäftigung mit dem Foto in Kreuzberg einen hohen Stellenwert. Etwa 800 Personen im Jahr besuchen Kurse am ‚Photocentrum am Wassertor‘, wie der Fachbereich Fotografie von den Dozenten genannt wird. In einem mehrstufigen Kurssystem durchlaufen Erwachsene unterschiedlichen Alters eine drei Semester umfassende Grundausbildung, bevor sie an einem Projektkurs teilnehmen und Ihre Ausbildung mit dem ‚Zertifikat künstlerische Fotografie‘ abschließen. ‚Lebenswelten - Menschenbild‘ heißt das Projekt, das unter Leitung von Thomas Michalak im Oktober 2007 begonnenen wurde. Die Beziehung zwischen von Menschen geschaffenem Lebensraum und den damit verbundenen Lebensweisen stand Mittelpunkt der Recherche. Das Verhältnis im Miteinander, zu Orten und Normen wurden zu zentralen Themen der Untersuchung: als die subjektiven, wie objektiven Bedingungen mehr oder minder bewusst gestalteter innerer und äußerer Lebenswelt. Diese Vielfalt der persönlichen Auffassungen war durchaus erwünscht und wurde entsprechend gefördert. Detaillierte Informationen zu den Fotografen und Ihren Arbeiten finden Sie auf den folgenden Seiten.

Die Ausstellung Eröffnung: 14.11.2008, 19 Uhr 15.11.2008 - 23.11.2008 Werkstattgespräch: 19.11.2008, 19 Uhr Finissage: 23.11.2008, 20 Uhr Öffnungszeiten: täglich 15-21 Uhr, Sa+So 12-20 Uhr Ausstellungsraum im Bethanien - Projektraum 1 Mariannenplatz 2, 10997 Berlin

Internet und Presseinformation www.lebenswelten.fotoschule-berlin.de

Kontakt Peter Held, Fachbereichsleitung Kunst VHS Friedrichshain-Kreuzberg 030/22195519 peter.held@fk-verwalt.berlin.de Thomas Michalak, Dozent 030/7859703 michalak@fotokurs.info

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Knut Bäcker | In Ost-Berlin am 8.2.1977 geboren und aufgewachsen, studierte Philosophie und Kulturwissenschaften in Berlin und bereist die Welt wann immer möglich. Seine Schwerpunkte sind die Untersuchung und Befragung der menschlichen Verhältnisse in all ihrer Varietät und Komplexität. Er arbeitet mit dem Medium der Fotografie und beschäftigt sich mit anderen künstlerischen Medien. Sein künstlerisches Credo besteht nicht so sehr in der rationalen Indienstnahme der Welt und der Menschen, sondern im Aufzeigen und der Vertiefung des Geheimnisses das wir sind.

Die Zärtlichkeit der Dinge“ oder „das eine,...so viele Leben | Zitat: „Es gibt nichts extremeres als die Zärtlichkeit. Ein Irrsinn aus Übermaß an Zärtlichkeit.“ Maurice Blanchot Wer bin ich und wer sind die anderen. Welches Bild habe ich von mir und den anderen. Vielleicht begegnet man der Welt anders, wenn man sie statt sie immer zu beurteilen, mit einem Auge der Sinnlichkeit betrachtet und mit Zärtlichkeit begegnet. Dann ließen sich vielleicht andere “Wahrheiten“ bzw. Antworten auf die Frage nach dem ´Wer bin ich?´ Und ´Wer bist du?´ finden. Dann könnte es so viele Stimmen und Wahrheiten in uns geben, wie es Stimmungen in uns und Menschen auf dieser Welt gibt. „Das eine,...so viele Leben“ möchte uns alle befragen, befragen was es heißen kann, dass jede/r anders als alle anderen ist und, dass jede Stimme in uns selbst Wert ist, gelebt und ausgedrückt zu werden. Dann können wir sehen, dass der Wert der Zärtlichkeit die Anerkennung der Differenz ist. Anders aber nie gleichgültig.

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Pedro Balbás | Geboren 1971 in Huelva, Spanien, Abschluss in Englischer Philologie (Sprachwissenschaften), Universidad de Huelva, Spanien. Erasmus Stipendium, Mercator University for Translators and Interpreters, Gent, Belgien. Sammelte in Madrid Erfahrungen am Theater, in Photographie, Malerei und Galeriemanagement. Seit 2000 Photografie, Malerei und Zeichnung, Ausstellungen in Spanien, Chile und Deutschland. Er ist u.a. als Übersetzer, Terminologe, und Sprachlehrer tätig. Seit 2005 lebt und arbeitet in Berlin.

„Woanders“ | Das Fotografieprojekt erzählt vom Vermögen des Menschen, zu einer anderen Realität zu gelangen. Unbekannte auf der Straße wurden gefragt, wo sie sich in einem bestimmten Moment (d.h. im Moment der Aufnahme) hin wünschen würden, an welchem Ort sie gerade am liebsten wären. Es gehört nur ein Augenblick dazu, um sich diese andere Welt vorzustellen. Dann kommt das Foto. Sie sind gerade hier, irgendwo im Park oder an einem Berliner Platz, aber sie sind auch irgendwo anders. Dort, wo ihre Fantasie und ihr Vorstellungsvermögen sie hingetragen haben. Die Fotografie zeigt den sichtbaren Raum, aber die fotografierte Person entfernt sich von diesem objektiven Raum. Die Fotografierten unterliegen einer Art schauspielerischem Akt. Sie erproben den Brechtschen Entfremdungseffekt: Das Individuum distanziert sich von sich selber, aber irgendwie entfremdet es den realen Ort auch.

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Kerstin Carl | 1973 in Bad Nauheim geboren, lebt und arbeitet in Berlin seit 2005, intensive Beschäftigung mit der Fotografie seit 2006, diverse Kurse an der VHS Berlin Mitte und im Photocentrum am Wassertor in Berlin Kreuzberg, Veröffentlichungen in verschiedenen Medien.

The Graduation | IMeine Bilder begleiten einen Jungen, der seine Highschoolgraduation in Washington DC erlebt. Er ist ein Mischling, in einer Schule nur mit schwarzen Mitschülern. In meinen Bildern möchte ich eine Lebenswelt darstellen, die im Außen ein anderes Image erlebt, als es im Inneren tatsächlich stattfindet. Eine Welt, die im Außen eine angeblich heile Welt symbolisiert und im Innen nach wie vor große Problematiken enthält, die allerdings nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, sondern ein genaues Hinsehen voraussetzen. Es war für mich eine interessante Reise in eine andere Lebenswelt und ich hatte die Möglichkeit auch hinter die glänzende Fassade zu schauen. Eine Reise, die mir gezeigt hat, insgesamt genau hinzuschauen und Fassaden und Äußerlichkeiten fallen zu lassen und selbst anderen das anders sein zu erlauben, also auch die eigenen Fassaden zu durchbrechen.

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Simone D. Fachel, geboren 1977, absolviert das Studium der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen Lateinamerikanistik.

mit

Über

Schwerpunkt

Süd-Ost-Europa

Lateinamerikanistik

&

eine

&

anschließend

Wohnraumanalyse

lateinamerikanischer MigrantInnen kommt sie mit Fotografie in Berührung & beschäftigt sich intensiver mit künstlerischer Fotografie. Erste Veröffentlichungen u.a. in „Imágenes – Bilder und Filme aus Lateinamerika“, Carré d’Art Nimes – Jeppe Hein: „Objects in the mirror are closer than they appear“.

Who has the power / Quem tem o pode? | 6 Tänzer performen im öffenlichen Raum. Zuseher verfolgen gebannt das Geschehen: Tänzer überqueren Wände, Kämpfe symbolisieren Machtstrukturen, das „Opfer“ wird aus dem Raum gezerrt & dann selbst wiederum zum „Täter“. Die Wand zwischen Performer & Zuseher wird gebrochen, da sich die Tänzer dem „passiven“ Zuseher auf Millimeter annähern – direkte persönliche Emotionen auslösend. Doch bei näherer Betrachtung wirkt dieses „Ausbrechen“ aus dem vordefinierten Bühnenbereich nicht mehr provokativ, sondern wie Selbstverteidigung. Die Tänzer sind 45 Minuten dem Blitzlichtgewitter der ZuseherInnen ausgesetzt: Fotoapparate, Videokameras und Handys filmen, shooten und zeichnen auf – sie nehmen mit – aber nehmen sie auch wahr? Das „brechen“ dieser Wand ist wohl die einzige Möglichkeit, aus dem Objekt wieder ein Subjekt werden zu lassen und die Machtstrukturen außerhalb des Stückes für wenige Sekunden aufzuheben. Wer hat die Macht bzw. welche & wann & über wen?

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Bernd Große | Nachdem ich meinen Broterwerbsberuf, den des Ingenieurs/ Informatikers, vorzeitig ad acta gelegt hatte, griff ich mit beinahe 60 Jahren wieder verstärkt zur Kamera um meine frühe Leidenschaft für das Medium der Photographie zu intensivieren. Meine ersten Gehversuche unternahm ich in Westdeutschland und schritt kräftig voran, als ich dann hier in Berlin verschiedene Kurse an den Volkhochschulen Wilmersdorf, Werkstatt der Fotografie Kreuzberg besuchte. Im Rahmen dieser Ausbildung beteiligte ich mich an mehreren Gruppenausstellungen.

Photos einer großen traditionsreichen Keramikwerkstatt und aus deren Umfeld. Die Töpferei ist eine der großen handwerklichen Traditionen, die auch im Zeitalter der Maschinen nichts von ihrer unmittelbaren Kraft und gestalterischen Vielfalt eingebüßt hat. Dieses Handwerk hat eine außerordentliche Ausstrahlung und vermag vor allem praktische und schöne Gebrauchsgegenstände, wo keiner dem anderen gleicht, jeder ein Unikat ist, hervorzubringen. Mit meinen Photos zeige ich ohne dokumentarische Strenge den Weg vom Ton zum Krug auf. Ich versuche der Schwere und Schönheit dieses Berufes und seiner Hervorbringungen Ausdruck zu verleihen. Und ich erweise meine Referenz gegenüber dem Handwerk und denjenigen, die es mit Können und Ernsthaftigkeit ausüben.

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Anna Homburg | 1977 in der Ukraine geboren. Sie ist in der Ukraine und in Russland aufgewachsen. Nach dem Abschluß des Fremdsprachenstudiums folgte der Umzug nach Deutschland. Sie studierte an der neuen Schule für Fotografie in Berlin. Zur Zeit lebt und arbeitet sie in Berlin.

Die im Projekt entstandenen Arbeiten beschäftigen sich mit der Wahrnehmung der Individuellen und Kollektiven Erfahrungen von Menschen unter der Last von Überwachung, Kontrolle und Manipulation. Die Gedanken über die Illusion des freien Willens, den Kampf und die damit verbundene Angst sowie die Suche nach dem Ausweg, sind wichtige Aspekte der Arbeit. Das Projekt entstand an dem symbolischen Ort in Berlin, der ehemaligen amerikanischen Abhörstation auf dem Teufelsberg.

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Katja Klein | Geboren 1974 in Siegen, lebt und arbeitet seit 1991 in Berlin. Durch den Besuch der Fachhochschule Potsdam im Studiengang Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie wurde ihr früh entstandenes Interesse für die Fotografie gefördert. Die fundierte Ausbildung schuf eine Basis für ihre weitere Entwicklung. Ihre Themenschwerpunkte sind gesellschaftliche Zusammenhänge und die Auseinandersetzung mit dem Ich.

Getty und Ich | Bilder, die geschaffen werden, uns zum Kauf zu verführen sind mächtig und allgegenwärtig. Sie sprechen unsere tiefsten Wünsche und Bedürfnisse an. Wenn wir dieses Produkt kaufen, werden wir angeblich glücklicher, beliebter, schöner etc. Aber ist das überhaupt erstrebenswert? Sind nicht Trauer, Einsamkeit oder Zerrissenheit ebenso Gefühle die ihre Berechtigung und ihren Platz in unserem Leben haben sollten? Brauche ich eine Familie um glücklich zu sein? Bin ich als Single seltsam? Wie weit gehe ich mit meiner Anpassung? Soll ich meine Gefühle anpassen? Geht das? Nach monatelanger Recherche und Verwendung von Stock Bildern in einer Agentur, entstand bei mir eine immer größer werdende Abneigung gegen die in der Werbewelt „weichgespülten“ Bilder. Ich hatte den Drang in die Bildsprache einzugreifen und meine persönliche Haltung in die Bilder mit einzuarbeiten. Die entstandenen Montagen zeigen mich inmitten dieser angeblich heilen Welt. Aber ich bin bei mir und zeige mich von meiner traurigen, distanzierten Seite. Das Bild bricht, der Betrachter ist irritiert und die schöne, unkomplizierte Situation löst sich auf.

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Anita Marschner | Geboren 1973 in Charkow / Ukraine, 1999 Wirtschaftsingenieurstudium in Berlin, seit 2004 intensive Beschäftigung mit digitaler Fotografie, Fotografische Ausbildung am Fotozentrum am Wassertor.

„Was ist wichtig in meinem Leben?“ | Peruanische Mädchen erzählen mit ihrer Kamera - Im April 2008 habe ich ein kleines Fotoprojekt mit Mädchen in Cusco / Peru durchgeführt. Die Mädchen stammen aus armen ländlichen Familien. Sie arbeiten seit ihrem 8. oder 9. Lebensjahr in fremden Haushalten. In diesen Familien werden sie oft schlecht behandelt, manchmal spielt sogar sexuelle Belästigung eine Rolle. In der italienisch-peruanischen Organisation „Yanapanakusun“ haben sie ein Zuhause gefunden, in dem sie ein geregeltes Leben führen können und Unterstützung für ihren Alltag bekommen. Im Rahmen des Projektes habe ich 16 Mädchen im Alter von 10 - 16 Jahren eine Einwegkamera in die Hand gegeben und sie gebeten, dass zu fotografieren, was ihnen in ihrem Leben am wichtigsten ist. Das Ergebnis sind sehr persönliche Fotos, die Aufschluss über das Leben und die Wünsche der Mädchen geben.

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Rainer Menke | In einer Kleinstadt im Sauerland geboren. In Menden, Werl, München und Göttingen gelebt - coming-out 1981- zu Mauerzeiten dann endlich 1983 in Berlin angekommen. Erzieher, Theatermacher, Leiter von Theatergruppen, Schauspieler, Kriegsdienstverweigerer, Tierrechtler. Studium: Theaterwissenschaft, Religionswissenschaft, Philosophie. Abschluss in Psychologie. Fotografie seit 2001; Ausbildung im Photocentrum am Wassertor seit 2006. Lebt mit seinem Freund Axel und Hund Louis in Berlin.

der gummihund. portraits und andere männer | In Inseraten suchte ich nach Männern aus der Fetisch und S/M Szene, die das Tragen von Masken und dresscodes sexuell anziehend und stimmulierend erleben und die sich damit gerne fotografieren lassen würden. Die Portraits wurden in den Wohnungen der Männer oder, auf ihren Wunsch, um größtmögliche Anonymität zu ermöglichen, bei mir im Studio gemacht. Die Männer sind im Alter von 23 bis 63 Jahren. Mit jedem gab es mehrere Treffen ineinem Zeitraum von 8 Monaten. Bei den Aufnahmen war es mir wichtig, dass die Männer, wie verabredet, auch ihre eigenen Wünsche und Ideen realisieren konnten. Ein Vertrauensverhältnis entstand, das für den gemeinsamen fotografischen Prozess grundlegend wichtig war.

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Sarah Pedde | geboren 1985 in Berlin. Abitur 2004. Viermonatige Reise nach Barcelona 2004, im Anschluß zweijähriger Aufenthalt in Madrid, gelebt in Lavapies bis 2006. Besuch der Fotografieschule EFTI im selben Zeitraum. Fotografische Ausbildung am Photocentrum am Wassertor/Kreuzberg seit 2006.

remember me. Bei meinen Fotos handelt es sich um inszenierte Bilder von Eindrücken, Reflexionen, Erinnerungen und Fantasien. Die Bilder unterteile ich in vier Gruppen: Portraits/Personen, Orte, Ort-Papier Collagen, Außendetails. Bei den Portraits geht es um Momente der Anspannung, Konzentration, eines nicht konkret greifbaren Konfliktes. Die aus alten Familien Fotos und einem speziellen Ort oder Raum gemachten Collagen sollen auf die halb verschütteten Erinnerungen aus dem privaten Umfeld (Kindheit, Familie) verweisen. Die Bildern stehen für eine fast mystisch wirkende Form von Erinnerung, die nicht immer auf selbst Erlebtem basiert, sondern durch familiäre Nähe oder suggestive Kraft psychologisch nachwirkt. Darüber hinaus können auf diese Weise, zusätzlich zu den inszenierten Portraits, weiter Charaktere in das Gesamtbild der Geschichte mit einbezogen werden. Ein weiterer Teil des Projekts sind ausschnitthafte Bilder, die ich in der gezeigten Weise vorgefunden habe. Zum Beispiel ein Schaufenster oder der Teil eines Spielplatzes. Diese Bilder sollen in der Grundstimmung den anderen Bildern ähneln und eine Verbindung schaffen zwischen den Stadtbildern und den Portraits. Da sie anders als die Fotos die einen Ort fast gänzlich im Überblick zeigen, wieder näher auf den Betrachter zu gehen und so weniger universal wirken. Ihre Wirkungsweise entspricht deshalb eher der von Portraits. Außerdem verweisen sie auf Assoziationen und Erinnerungen, die der persönlich wirkende Teil eines Ortes auslösen kann. Die von mir zum Beispiel in den Collagen dargestellten persönlichen Bezüge sind als Mittel zum Zweck zuverstehen. Ich möchte nicht unbedingt meine Geschichte erzählen, sondern vielmehr mithilfe meiner eigenen Vorstellungen, Bilder machen, die auch für Andere eine eigene Bedeutung haben können. Auch historisch bedeutsame oder gesellschaftlich geprägte Orte beziehe ich ein, um das oben Genannte zu bekräftigen und in einen sozialen Rahmen zu stellen. Die Bilder sollen eine intuitive Einheitlichkeit enthalten, ohne dass ein konkreter narrativer Faden verfolgt wird. Vielmehr möchte ich eine Art wortlose Erzählung schaffen, die in sich schlüssig ist, jedoch keine der enthaltenen Geschichten vom Anfang bis zum Ende durchläuft. Die Fotos sollen dem Betrachter Eindrücken geben, die ein Vorher und Nachher enthalten, ohne dies explizit zu erzählen.

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Wolfgang Peikert | 1949 geboren in Berlin, Studium der Nachrichtentechnik in Dresden, nebenberufliche Tätigkeit als Musiker, immer wieder mal, aber eher gelegentliches Fotografieren seit der Jugendzeit, Intensive Beschäftigung mit der Fotografie seit dem Kauf einer Digitalkamera im Jahre 2000.

Projekt „Zirkus Kunterbunt“ | Im Frühjahr 2007 habe ich den „Zirkus Kunterbunt“ kennen gelernt. Ein kleiner Familienbetrieb, der rund um’s Jahr in Berlin und Umland auf öden Plätzen, Baulücken, Wiesen und Brachen seine Vorstellungen gibt und von sich selbst sagt, das ist „Für die Kleinen das Grösste“. Ich habe zwischen März 2007 und April 2008 zu unterschiedlichen Jahreszeiten und Witterungen vor und hinter der Manege, sowie im Umfeld der jeweiligen Spielstätte fotografiert. Es war für mich eine ganz neue aber angenehme Erfahrung, bei den Akteuren zu sein, mit ihnen zu sprechen und sie in ihrem Zirkusumfeld bei der Vorbereitung und Durchführung ihrer Arbeit zu fotografieren. Eher nebenher begann ich mich auch für das Umfeld der jeweiligen Spielstätten zu interessieren. Die Ansichten von den Stellplätzen des Zirkus in seinem urbanen Umfeld waren für mich die Entdeckung und positive Überraschung.

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Martin Stark | Geboren 1952 in Berlin, beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Fotografie, Themenschwerpunkt ist die Street-Fotografie, lebt und arbeitet in Berlin. Veröffentlichungen: Tagesspiegel-Online, Commerzbank-Berlin, ZittyStadtmagazin.

Auf der Suche nach einem „anderen sozialen Leben“, als dem Meinen, stieß ich auf ein Mietshaus im Bezirk Wedding, Gerichtsstrafle 25/26, in dem verschiedene Nationalitäten und Kulturen unter einem Dach wohnen. Ich wurde neugierig auf die Bewohner und versuchte die Lebens- und Wohnsituation der Menschen mit verschiedener Herkunft und Kulturen fotografisch zu dokumentieren. Immer wieder stieß ich aber auch an meine Grenzen. Enttäuschung, Resignation, Freude und Glück begleiteten mich bei meiner Arbeit. Der Kontakt zu den Bewohnern, die Bereitschaft sich einzulassen, vertrautes und privates zu offenbaren, hat mich sehr stark bewegt und motiviert. Als Ergebnis habe ich festgestellt, dass alle zusammen wohnen aber nicht gemeinsam leben. Ich danke allen Bewohnern die mich bei meiner Arbeit unterstützt haben.

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Gülsen Türk | geboren 1979 in Berlin. Ausbildung zur Modenäherin an der OSZ Textiltechnik. Studiert Turkologie, Iranistik und Germanistik an der FU Berlin. Seit 2003 Beschäftigung mit Fotografie. Fotografische Ausbildung am Photocentrum am Wassertor/Kreuzberg seit 2005.

Sulukule, ein Stadtteil mitten in der Millionenmetropole Istanbul. Umrahmt durch die Thedosianischen Landmauern aus der byzantinischen Zeit ist Sulukule eines der ältesten Roma-Viertel der Welt. Abgeschottet vom Rest der Stadt, eine Welt für sich. Die Welt der türkischen Roma, die hier nahezu seit Tausend Jahren leben. Hier erklang früher aus jeder Ecke Musik. Tanzende, singende und musizierende Roma prägten das Bild dieses außergewöhnlichen Viertels. Doch heute hört man das Dröhnen von Baggern und Bulldozern, die die Protest- und Hilferufe der Bewohner übertönen. Denn man hat sie nicht gefragt und einfach beschlossen sie in ein Gebiet außerhalb der Stadt umzusiedeln. Das historische Stadtviertel soll im Rahmen eines städtischen Erneuerungsprojektes der Regierungspartei AKP bis 2010 ganz abgerissen, das „Ghetto aufgelöst“ und somit für den Tourismus attraktiver gemacht werden. Was hier zerstört wird ist nicht nur ein Wohngebiet, sondern die Geschichte und die Kultur der türkischen Roma.

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