Am liebsten hätten sie veganes Theater. Frank Castorf - Peter Laudenbach. Interviews 1996–2017

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Hauptsache, man darf nicht »Neger« sagen …

hunderts erinnert, in der weiße Darsteller schwarz geschminkt und entsprechend kostümiert rassistische Klischees bedient haben. Was stört Sie an dieser Debatte? Die Freiheit der Kunst wird mit solchen Verboten angegriffen. Das ändert an den Lebensverhältnissen und den Denkweisen in einer Plattenbausiedlung irgendwo am Stadtrand nichts. In Marzahn oder Anklam ist es als Schwarzer nicht ganz so einfach, in eine Bier-Kneipe zu gehen. Was diese Zensur will, ist, dass von der Bühne eine spießige Moral verkündet wird, wie im »Tatort«. Das ist ja auch nicht mehr Schimanskis »Tatort«, wo das Böse und das Kaputte zum Gesetzeshüter gehören wie die grüne Jacke, die er anhat. Nein, auch im »Tatort« muss die Geschichte inzwischen immer eine Moral haben. So wird Kunst zum gefälligen Mittel, sich der eigenen moralischen Überlegenheit zu versichern. Wir entfernen uns freiwillig immer weiter vom Irritierenden, vom Paradoxen der Kunst, zum Beispiel eines Céline. Wenn wir auf dem Theater nicht die Ressentiments, die vorhanden sind in Europa, aussprechen können, wird es gefährlich. Jeanne Balibar, die bei uns mitspielt, kommt aus Paris. Sie sagt, dass das Klima seit diesem kleinbürgerlichen Napoleon Sarkozy in Frankreich jeden Tag schlimmer und rassistischer wird. Von links bis rechts ist es eine Festungspolitik gegen die Armen aus Osteuropa oder Afrika. Dass sich die Roma aus Südosteuropa in Bewegung setzen und nach Paris marschieren könnten, macht diesen Kleinbürgern von Sarkozy bis Hollande Angst. Die offen rassistische Partei von Le Pen hat in Umfragen über zwanzig Prozent. Aber die Kunst muss politisch korrekt sein.

Im Theater hat überall so eine Seriosität gesiegt, verbunden mit einem ungeheuren Schuss Opportunismus und einem Verlust an Vitalität. 94


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