Die tote Stadt SZ

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Musikalische Seelenstudie: In Korngolds Oper „Die tote Stadt“ lässt der Dirigent Yoel Gamzou in Bremen das Kontrafagott knarren Süddeutsche Zeitung

FEUILLETON

nem Röntgenblick auf den Grund dieser hy- schluss, das Werk konsequent von allen Nepertrophen Partitur zu blicken, um ihre benhandlungen zu befreien und auf fünf golds Oper „Die tote Stadt“ die Hauptrolle Nervenkontrapunktik bloßzulegen. Die handelnde Personen und eine Hand voll spielt: Schillernd breitet es die seelischen Fülle charakteristischer Klangfarben steht Tänzer zu beschränken. Die Entscheidung, Verstrickungen des Protagonisten Paul ganz im Dienst der dramatischen Entwick- die Rollen der gestorbenen Marie und ihrer aus. Das haben Yoel Gamzou, der junge Ge- lung: das gläserne Kolorit der Celesta, die Wiedergängerin Marietta nicht wie üblich einer, sondern tatsächlich mit zwei alle Zuckerfee-Süße abstreift, Oper ein dunkles neralmusikdirektor des Theaters Bremen, Musikalische Seelenstudie: In Korngolds „Diemit tote Stadt“ lässt der Dirigent und der Regisseur Armin Petras erkannt, Knarren von Kontrafagott und Horn in tie- verschiedenen Sängerinnen zu besetzen, ergibt musikalisch Sinn, davon sich beide fer Lage über einerauf fahlen Streicherquinte, und sie aus der Not eines zu nem das Werk konsequent allen NeRöntgenblick den Grund dieser hy- schluss, Es istso dashaben spätromantisch besetzte RiesenSopranpartien zu imbefreien Ausdruck die jenseitigen Farben Harmoniums, kleinen Stadttheatergrabens eine Tugend und aufstark fünf Partitur zudes blicken, um ihre benhandlungen orchester, das in Erich Wolfgang Korn- pertrophen unterscheiden. die perkussiven Zuspitzungen. Zu welch gemacht, sie das Orchester auf der Nervenkontrapunktik Personen und eine Hand voll bloßzulegen. Die handelnde golds Operindem „Die tote Stadt“ die Hauptrolle Tatsächlich steckt Die ja Entscheidung, eine gewisse präzisem, hochexpressivem Spiel Gamzou Hinterbühne platzieren. zu beschränken. charakteristischer Klangfarben steht Tänzer spielt: Schillernd breitet es die seelischen Fülle Halbherzigkeit in dem Libretto, seine Bremer Philharmoniker befeuert, ist Mariedas undKornihrer Verstrickungen des Protagonisten Paul ganz im Dienst der dramatischen Entwick- die Rollen der gestorbenen gold und sein Vater, dernicht Kritiker Julius atemberaubend. In Petras’ Regie der junge Ge- lung: Marietta wie üblich das gläserne Kolorit der Celesta, die Wiedergängerin aus.Armin Das haben Yoel Gamzou, Korngold, dem Pseudonym Paul ZuZuckerfee-Süße dem ernsthaften Blick aufein Korngolds einer, unter sondern tatsächlich mit zwei abstreift, dunkles mit neralmusikdirektor des Theaters Bremen, alle ist dieses Werk von Schott nach Vorlagen des belgischen SymErfolgsoper in Bremen auch derinEntSängerinnen zu besetzen, vonzählt Kontrafagott und Horn tie- verschiedenen und der Regisseur Armin Petras erkannt, Knarren Es ist das spätromantisch besetzte Riesen-

Theaterkritik orchester, das in Erich Wolfgang Korn-

allen Nebenhandlungen befreit

und so haben sie aus der Not eines zu kleinen Stadttheatergrabens eine Tugend Mit 23 Jahren derauf große gemacht, indemgelang sie dasKorngold Orchester der Wurf. Nach der Uraufführung 1920 feierte Hinterbühne platzieren. sein Werk noch einige Jahre Sensationserfolge, bevor es von der neusachlichen ZeitIn Armin Petras’ Regie oper überholt und wenig später als „entarist Werk vonKorngold floh nach tet“dieses verbannt wurde. Kalifornien, wo er als Pionier der Filmmuallen Nebenhandlungen befreit sik eine weitere Facette seiner überreichen Begabung entfaltete. Kehrseite Mit 23 Jahren gelangAls Korngold derdieser große oscarprämierten Exilkarriere hat man seit Wurf. Nach der Uraufführung 1920 feierte der Wiederentdeckung seiner Werke in sein Werk noch einige Jahre Sensationserden Jahren auch seine Opern folge,siebziger bevor es von der neusachlichen Zeitdurch die Hollywood-Brille rezipiert. Gamoper überholt und wenig später als „entarzou nicht der spätrotet“ dagegen verbanntinteressiert wurde. Korngold floh nach mantisch schwelgende Klangrausch, sonKalifornien, wo er als Pionier der Filmmudern die verästelte Seelenmusik in Kornsik eine weitere Facette seiner überreichen golds Partitur. So unsentimental unddieser krisBegabung entfaltete. Als Kehrseite tallin gehärtet wieExilkarriere jetzt in Bremen hat man oscarprämierten hat man seit das noch nicht gehört. der Werk Wiederentdeckung seiner Werke in Alles bloß sensualistisch Dekorative tritt den siebziger Jahren auch seine Opern in den die Hintergrund. Gamzourezipiert. scheint mit eidurch Hollywood-Brille Gam-

Mittwoch, 15. Mai 2019

bolisten Georges Rodenbach geschrieben mit einem speziellen Holzschnittverfahschließen dieSeite gesam10 haben („Bruges-la-morte“ und „Le Mi- ren bedruckte BögenDeutschland rage“). Paul, der Künstler, der sich von sei- te Bühne höhlenartig ein. Als Vorlage dienner verstorbenen Ehefrau Marie nicht lö- ten Fotos von Katastrophen, die jedoch so sen kann, verfällt einem religiösen Kult verfremdet wurden, dass man den um die Tote und wird schließlich zum Mör- ursprünglich dargestellten Schrecken im Farbgewirr nur mehr erahnen kann. In die der ihrer höchst lebendigen DoppelgängeYoel Gamzou in Bremen das Kontrafagott knarren rin Marietta. Das Libretto demaskiert ent- unheilige Ruhe eines zum Lebenszweck erhobenen Siechtums bricht die Marietta der scheidende Teile Rodenbach der Handlung rückbli- mit einem speziellen Holzschnittverfahbolisten Georges geschrieben Nadine LehnerBögen als personifiziertes Lustckend als Traum: Pauls Verführung bedruckte schließen die gesamhaben („Bruges-la-morte“ und „Ledurch Mi- ren prinzip ein. Sängerisch überstrahlt sie mit Marietta und ihre Erdrosselung mit der rerage“). Paul, der Künstler, der sich von sei- te Bühne höhlenartig ein. Als Vorlage dienihrem farbenreichen, irisierenden Sopran liquienhaften Haarlocke werden Fotos von Katastrophen, die jedoch so ner verstorbenen Ehefrau Maries Marie nicht lö- ten ins Reich Einbildung verbannt. So wird sen kann,der verfällt einem religiösen Kult verfremdet wurden, dass man den der symbolistische Anspruch der Oper zuSchlank unddargestellten Schrecken im um die Tote und wird schließlich zum Mör- ursprünglich rückgenommen. KorngoldDoppelgängemalt das Farbgewirr nur mehr erahnen kann. In die der ihrer höchst lebendigen textverständlich – das junge Klischee einerDas Fin-de-siècle-Nähe vonentTo- unheilige Ruhe eines zum Lebenszweck errin Marietta. Libretto demaskiert Ensemble überzeugt desverfallenheit und Vitalismus aus, um scheidende Teile der Handlung rückbli- hobenen Siechtums bricht die Marietta der am Ende den Pauls gesunden Menschenverckend alsdoch Traum: Verführung durch Nadine Lehner als personifiziertes Lustnoch dieein. massivsten Tuttipassagen Orstand siegen lassen. Ursprünglich sollte Sängerisch überstrahltdes sie mit Marietta undzu ihre Erdrosselung mit der re- prinzip chesters und kann nebenbei auch ganz fadas Werk „Triumph des Lebens“ farbenreichen, irisierenden Sopran liquienhaften Haarlocke Mariesheißen. werden ihrem macht diese Relativierung insArmin Reich Petras der Einbildung verbannt. So wird belhaft tanzen. Schön timbriert, aber nicht kräftig genug klingt der Tenor von nicht mit und dadurch wird seine der symbolistische Anspruch derInszenieOper zu- immer Schlank undin der Monsterpartie des Karl Schineis rung spannend, wenn sie auch im Einzelrückgenommen. Korngold malt das textverständlich – das Paul. Nerita Pokvytyté als junge Marie, Birger nen in ihrer bisweilen fast expressionisKlischee einer Fin-de-siècle-Nähe von Toals Frank und Nathalie Mittelbach tisch-stilisierten Drastik nicht überall Ensemble überzeugt desverfallenheit und Vitalismus aus,aufum Radde geht. Paul, ein den Bildhauer, steht bühnenmit- als Brigitta machen das junge, wohltuend am Ende doch gesunden Menschenverschlank textverständlich singende tig auf einem Podest vor dem Orchester dieund massivsten Tuttipassagen des EnOrstand siegen zu lassen. Ursprünglich sollte noch semble komplett. wie Werk der Dirigent seines eigenen heißen. Innenle- chesters und kann nebenbei auch ganz fadas „Triumph des Lebens“ In Pauls psychotischer Wahrnehmung bens. Videos zeigen einen von ihm mitverArmin Petras macht diese Relativierung belhaft tanzen. Schön timbriert, aber nicht mutiertkräftig alles Lebendige zu einem bedrohlischuldeten Autounfall, bei dem Ma- immer genug klingt der Tenor von nicht mit und dadurch wird seineseine Inszeniechen bacchantischen Exzess (dargestellt in rie ums Leben kam, während er selber, rung spannend, wenn sie auch im Einzel- Karl Schineis in der Monsterpartie des wildenNerita Zottelmähnentänzen) – eine Wahnsein in hemdsärmeliger Frank und Paul. Pokvytyté als Marie, Birger nen ihrer bisweilenFreund fast expressionisvorstellung, von und der Nathalie er sich Mittelbach durch den seine frömmelnde Assistentin Brigittaaufmit Radde als Frank tisch-stilisierten Drastik nicht überall Mord befreit. Wie lange daswohltuend von seiner Verletzungen Brigitta machen das ihn junge, geht. Paul, eindavonkamen. Bildhauer, steht bühnenmit- als Psychose erlösen kann und ob die nächste Für die „Kathedrale des Gewesenen“, die Entig auf einem Podest vor dem Orchester schlank und textverständlich singende Mariettakomplett. womöglich schon vor der Tür sich der der Traumatisierte seinenInnenleSchuld- semble wie Dirigent seinesum eigenen steht, bleibt offen. Dem Theater Bremen jekomplex herum errichtet hat, wurde der In Pauls psychotischer Wahrnehmung bens. Videos zeigen einen von ihm mitverdenfallsalles ist ein packender inspirierenbildende Künstler Martin als mutiert Lebendige zuund einem bedrohlischuldeten Autounfall, beiWerthmann dem seine Mader Abend gelungen. Exzess julia spinola Bühnenbildner Riesenhafte, bacchantischen (dargestellt in rie ums Leben verpflichtet. kam, während er selber, chen

Die Zuckerfee ist auch nur ein Mensch

fer Lage über einer fahlen Streicherquinte, die jenseitigen Farben des Harmoniums, die perkussiven Zuspitzungen. Zu welch präzisem, hochexpressivem Spiel Gamzou seine Bremer Philharmoniker befeuert, ist atemberaubend. Zu dem ernsthaften Blick auf Korngolds Erfolgsoper zählt in Bremen auch der Ent-

zou dagegen interessiert nicht der spätromantisch schwelgende Klangrausch, sondern die verästelte Seelenmusik in Korngolds Partitur. So unsentimental und kristallin gehärtet wie jetzt in Bremen hat man das Werk noch nicht gehört. Alles bloß sensualistisch Dekorative tritt in den Hintergrund. Gamzou scheint mit ei-

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ergibt musikalisch Sinn, da sich beide Sopranpartien im Ausdruck stark unterscheiden. Tatsächlich steckt ja eine gewisse Halbherzigkeit in dem Libretto, das Korngold und sein Vater, der Kritiker Julius Korngold, unter dem Pseudonym Paul Schott nach Vorlagen des belgischen Sym-

sein hemdsärmeliger Freund Frank und seine frömmelnde Assistentin Brigitta mit Verletzungen davonkamen. Für die „Kathedrale des Gewesenen“, die sich der Traumatisierte um seinen Schuldkomplex herum errichtet hat, wurde der bildende Künstler Martin Werthmann als Bühnenbildner verpflichtet. Riesenhafte,

wilden Zottelmähnentänzen) – eine Wahnvorstellung, von der er sich durch den Mord befreit. Wie lange ihn das von seiner Psychose erlösen kann und ob die nächste Marietta womöglich schon vor der Tür steht, bleibt offen. Dem Theater Bremen jedenfalls ist ein packender und inspirierender Abend gelungen. julia spinola

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