Theaterjournal #3

Page 24

JUNGES HAUS

24

WAS LÖST DAS IN MIR AUS, WAS ICH DA SEHE? Die «Ödipus»-Inszenierung von ­Regisseur Antonio Latella wird oft auch von Schülerinnen und Schülern besucht, die die Tragödie von Sophokles in der Schule lesen und nach ihrem Theaterbesuch mit ­Theaterpädagogen Martin Frank über das diskutieren, was sie ­bewegt, beschäftigt, beeindruckt oder verwirrt hat. Iokaste-Darstellerin Barbara ­Horvath und Ödipus-Darsteller ­Mi­chael Wächter sowie der Dramaturg des Stücks Ewald Palmetshofer antworten auf Fragen, die während einer solchen Nachbesprechung im Klassenzimmer entstanden sind. Ein Gespräch über Kunst, Nacktheit auf der Bühne und «modernes» The­ater, geführt von Alina Trieblnig. Ist die «Ödipus»-Inszenierung, in der ihr mitwirkt, «modern»? MICHAEL WÄCHTER: Ich weiss gar nicht, was «modern» in diesem Zusammenhang bedeutet. Es gibt Theatermittel, die modern sind. Zum Beispiel Projektion, Video, Sound usw. Und natürlich gibt es im Gegensatz dazu auch sehr klassische Mittel. Aber wenn es um die Inszenierung als Ganzes geht, macht eine Unterscheidung zwischen «klassisch» und «modern» nicht viel Sinn. Weil man muss sagen: Ödipus-Inszenierungen sind generell modern, weil das Stück zweieinhalb Tausend Jahre alt ist. Das kannst du gar nicht anders machen. Das wird automatisch modern. BARBARA HORVATH: Wir können nur vom Heute ausgehend auf das Vergangene zurückblicken und eine Haltung dazu einnehmen. Wir werfen einen frischen, ungewohnten Blick auf sozusagen zeitlose Stoffe. EWALD PALMETSHOFER: Ich würde «modern» lieber durch «zeitgenössisch» ersetzen. Die Inszenierung ist eine zeit­ genössische, gegenwärtige Inszenierung. Und bei jeder ­Inszenierung eines klassischen Stückes stellt sich die Frage, wie liest man das heute, wie aktualisiert man das. Das war auch in der Antike so. Das Theater ist damals gerade erfunden worden. Man erzählte Geschichten aus der Vergangenheit mit Mitteln, die ganz neu erfunden worden sind. Jede ­Inszenierung ist eine Interpretation in der Gegenwart. Ab wann weiss Iokaste, dass Ödipus ihr Sohn ist? BARBARA HORVATH: Ich glaube, dass sie schon sehr lange eine Ahnung hat. Vom ersten Moment an, in dem sie ­Ödipus zum ersten Mal gesehen hat, spürt sie eine Verbundenheit mit ihm. Es dämmert ihr langsam, wer er sein könnte. Aber

sie lässt das nicht zu, will das nicht ­wahrhaben. Den konkreten Punkt, an dem sie es genau weiss und diese Erkenntnis zulässt, versuche ich bei jeder Vorstellung ein ­wenig anders zu setzen, um mich damit auch selbst zu überraschen. Sobald ­Iokaste aber weiss, wer Ödipus ist, tritt für sie etwas anders in den Vordergrund. Von da an versucht sie zu verhindern, dass Ödipus erkennt, wer er ist. EWALD PALMETSHOFER: Diese Frage ist eine sehr alte Frage. Das ist schon bei Sophokles rätselhaft. Die Inszenierung von Antonio Latella macht das noch deutlicher, weil wir Iokaste von Anfang an sehen. Das macht die Frage noch dringender. Und das macht ­ Iokaste noch verdächtiger oder rätselhafter. Wofür steht die Nacktheit in der Inszenierung von «Ödipus»?

BARBARA HORVATH Barbara Horvath ist am Theater Basel als Schauspielerin engagiert. Sie spielt in «Ödipus» die Rolle der Iokaste. Barbara Horvath ist ebenfalls in «Die Wohlgesinnten» und «Engel in ­Amerika» zu sehen. Derzeit probt sie für das Stück «Heuschrecken».

MICHAEL WÄCHTER Michael Wächter gehört fest zum Schauspiel-Ensemble des Theater Basel. In «Ödipus» spielt er die Rolle des Ödipus. Michael Wächter ist ebenfalls in «Edward II. Die Liebe bin ich» und «Engel in Amerika» zu sehen. Derzeit probt er für das Stück «Heuschrecken».

BARBARA HORVATH: Für mich symbolisiert sie in unserem Stück, dass Ödipus neu ge­ boren wird. Am Ende des S tückes erkennt er sich ­ selbst. Alles, was er vorher war, gibt es plötzlich nicht mehr. Ö ­ dipus ist wirklich wie neu geboren, und Neugeborene sind nackt. Er und Iokaste haben ab einem bestimmten Punkt im Stück nichts mehr, wohinter sie sich verstecken könnten, sie sind entblösst und blank. Und bildlich ist ihre Nacktheit für mich die klarste, eindeu­tigste Übersetzung für diesen Zustand.

MICHAEL WÄCHTER: Eine andere Deutung ist, dass die ­Inszenierung auf unterschiedliche Arten immer mehr zum Ursprung zurückzukehren versucht. Man möchte zum Ursprung zurück; man versucht, sich selber von allem zu reinigen, was man erlebt hat, man möchte wieder von null anfangen. Deswegen macht es für mich total Sinn, dass Ödipus irgendwann nackt ist. Ausserdem wird im Verlauf des Stückes der Ewald Palmetshofer ist seit dieser SpielDruck immer höher, steigt immer mehr zeit Schauspiel-Dramaturg am Theater an. Irgendwann muss dann einfach ein Basel und begleitete die aktuelle Moment kommen, an dem etwas wie «Ödipus»-Inszenierung. neu wird. So hat sich das auf der Probe ergeben, so kam eins zum andern und war für uns eigentlich ziemlich logisch.

EWALD PALMETSHOFER

BARBARA HORVATH: Und jeder von uns hätte sagen können, nein, das mache ich nicht, das möchte ich nicht. Man kann nicht gezwungen werden. Das ist klar. EWALD PALMETSHOFER: Der Regisseur geht damit sehr sorg­sam um. Es gibt in der Inszenierung drei Orte oder

ALINA TRIEBLNIG

Alina Trieblnig ist Sekundarlehrerin und angehende Theaterpädagogin. Sie absolviert ein Praktikum am Jungen Haus des Theater Basel.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.