STÜCK LABOR BASEL HAUSAUTOR 2017/2018 Joël László Die diesjährige Haus autorenstelle am Theater Basel wurde an Joël László vergeben. Der in Basel lebende Dramatiker und Prosa autor Joël László wur de 1982 in Zürich gebo ren. Er studierte Islam wissenschaft und Ge schichte und lebte län gere Zeit in Kairo. Für das Theater Basel hat er bereits letzte Spiel zeit unter dem Titel «Islam. Fantasien» für die Reihe «Paradise Lost» Szenen über das Miteinander der Religi onen geschrieben.
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KOLUMNE
Lichtshows der Wahrheit Der Volkswirt Alfred Loth besucht in Gerhart Hauptmanns Stück «Vor Sonnenaufgang» seinen Jugend freund Hoffmann, um, wie er sagt, die hiesigen Verhältnisse in den Bergwer ken zu studieren. Da es sich um ein naturalistisches Drama handelt, sind Regieanweisungen von herausragen der Bedeutung. Die Regieanweisung zu diesem Satz lautet: Alfred Loth be streicht eine Semmel mit Butter. Mein Freund Micromégas und ich bli cken ertappt auf unsere Croissants. Die Konfitüre ist in Griffnähe, die But ter glänzt streichbereit auf unseren Messern. Doch halt, sagen wir uns, und legen die Messer wieder neben den Teller. Studieren auch wir vor dem Frühstück wenigstens für einen Mo ment, was im Hier und Jetzt geschieht. Micromégas ist ein aufgeklärter Aus serirdischer und ein alter Freund von Voltaire, den er zur gleichnamigen Er zählung inspiriert hat. Seit dem Zeit alter der Lumières, der sprichwörtli chen aufklärerischen Lichtshow der Wahrheit im 18. Jahrhundert, nimmt Micromégas regen Anteil an unseren irdischen Verhältnissen. Micromégas, der es gewohnt ist, in Galaxien zu denken und zu reisen, ist naturgemäss magisch angezogen von meinem neuen Samsung Galaxy S8. Und tatsächlich: Wer sich heute wie Alfred Loth für Bergarbeiter und Mi nen interessiert, muss nur sein Mobil telefon in die Hand nehmen. Irgendwo dort drin im Kongo arbeiten Kinder und Jugendliche für das Quentchen Kobalt, das unsere digitale Welt zum Scheinen bringt. Während ich meinen Gedanken noch formuliere, unter bricht mich Micromégas und sagt aufgebracht: Nicht erschrecken, mein Lieber, bin gleich wieder da! Und steigt, ich weiss nicht wie, mitten in mein Telefon hinein. Ich bin schockiert. Ist ausgerechnet Micromégas dieser neuesten besten
aller Welten aufgesessen? Gewiss, unsere Bildschirme leuchten hell wie das schönste Versprechen. Umso dringender erscheint mir aber eine zünftige naturalistische Studie zu all den Sonnen- und Wahrheitssystemen, die sich aus den Kreuzungen von Chip, Satellit, WLAN, US-Konzernen und Menschengehirnen ergeben. Je der noch so naturalistisch fühlende Mensch ist längst auch ein Digitalist. Und als Digitalisten sind wir Galaxis ten, die wie Micromégas einst von hoch oben mit Google Earth auf uns selbst herabblicken. Micromégas kam, um etwas zu lernen. An was aber denke ich noch, wenn ich in das auf dem Küchentisch liegende Galaxy S8 schaue und vermittels Satellit von hoch oben herab wieder auf mich selbst blicke, der wieder in sein Ga laxy blickt, das mich wieder selbst aus dem Weltall spiegelt, wobei ich wahrscheinlich sowieso längst von den Amerikanern gefilmt und abge hört werde, weil ich mit Ausseridi schen spreche? In diesem Moment poppt ein Fenster auf über dieser unserer Welt: NEUE APP MÖCHTE AUF ALL IHRE PER SÖNLICHEN DATEN ZUGREIFEN. Wie immer, wenn ich das lese, bin ich em pört. Dann aber sehe ich plötzlich ein mir vertrautes liebes Gesicht im Fens terchen drin und ich lese den Namen des zu installierenden Programms: MicromégAPP. Wer würde mit einem guten Freund nicht seine Emotionen und sein Wissen teilen wollen? Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus, und bevor ich mich versehe, beisse ich zufrieden in mein dick mit Butter bestrichenes Croissant. Wenn sich MicromégAPP der Sache annimmt, dann bin ich sicher, dass endlich auch die Aufklärung Einzug nimmt in unse re Mobiltelefone. Sobald uns dieses Licht aber einmal beständig im Ho sensack brennt, wird bald nichts mehr sein, wie es ist. Denn die Wahr heit – frei nach der Aufklärung – muss uns ein Anlass zum Handeln sein.