NEFF The Ingredient - "Milch"

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N E U E S

A U S

D E R

N E F F

K Ü C H E

MILCH OHNE MUH

LEBEN OHNE STRESS

ZU BESUCH BEIM K Ä SE AFFINEUR HERVÉ MONS

DIE ZUR ZEIT BESTEN A LT E R N AT I V E N ZUR MILCH

WIE EIN B A U E R N PA A R KÜHE GLÜCKLICH M ACHT

e er Mi f t lch u Um uns nd ga ere ng n da mi t

HA N WI DLE C A TH RE Ein ! üb H

HINGABE OHNE ENDE

AU S G A B E 4


DIE MILCH AUSGA BE


EDITORIAL Früher war Essen einfacher. Es gab wenige unumstößliche Regeln, die mehr oder weniger befolgt wurden: Viel Obst und Gemüse, weil sie uns mit Vitaminen versorgen, Fleisch liefert das notwendige Eiweiß und Milch ist wichtig für Wachstum und Knochen. Die Grenze von gesund zu ungesund war scharf gezogen und die Liste der Ernährungssünden übersichtlich: Außer zu viel Süßigkeiten und Alkohol stand nichts im Verdacht, unsere Gesundheit zu schädigen. Schon gar nicht:

TITELFOTO: REINHARD HUNGER; ST YLING: CHRISTOPH HIMMEL

MILCH. Im Gegenteil. Die tägliche Schulmilch war ein Beitrag zur Volksgesundheit. Das tägliche Glas kalte Milch galt als Garant für Vitalität, wenn nicht sogar für männliche Potenz. Eine ganze Industrie lebte vom positiven Nimbus dieses ursprünglichsten aller Lebensmittel. Milch ist die erste Nahrung, die wir Menschen zu uns nehmen, wenn wir auf die Welt kommen. Lange galt die Milch als unschuldig, so unschuldig wie ihre Farbe. Inzwischen hat die Milch ihre weiße Weste verloren. Preisdumping, industrielle Tierhaltung, ethische Fragen und neue medizinische Erkenntnisse nagen am Mythos. Die Diskussion um die Milch pendelt heute zwischen Idealisierung und Verteufelung. Das sagt viel aus über unser Verhältnis zu Lebensmitteln und unseren Umgang damit. The Ingredient hat sich deshalb auf die Suche nach den Zwischentönen gemacht. Wir zeigen, welchen kulinarischen Reichtum Milch bietet: Hervé Mons, einer der weltweit führenden Käseaffineure aus der Auvergne, erklärt Ihnen, liebe Leser, die Kunst der Käsereifung. Wie Milchwirtschaft mit einem nachhaltigen und ethischen Anspruch funktionieren kann, haben wir auf dem Hof von Familie Rutschmann erfahren. Und: Milch muss nicht immer gleich Kuhmilch sein – welche Alternativen es gibt, wie sie schmecken und wie gesund sie sind, zeigen wir Ihnen im großen Check. Ihre N E F F The Ingredient Redaktion

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I N H A LT

IN WÜRDE A LT E R N

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DIE KUNST DER KÄSEREIFUNG Früher ist Her vé Mons die Rallye Paris-Dakar gefahren. Heute gilt er als einer der besten Af fineure der Welt. Seinen Käse hat er in einem Tunnel am Rand der Auvergne gelager t. Unsere Repor terin Franziska Wischmann ist mit ihm in das Herz seines Käseimperiums gestiegen.

E I S K A LT ERLEDIGT

DER TONMEISTER

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Beizen, Marinieren, Einfrieren und noch mehr: Im Kühlschrank kochen, das geht. Die verschiedenen Kältezonen sind ideal für Süßes, Würziges und viele andere Köstlichkeiten und Zubereitungsar ten.

Wer Milch trinkt, benötigt ein Gefäß. Der österreichische Töpfer Matthias Kaiser formt aus Erde Krüge, Schalen und Skulpturen von eigenwilliger Schönheit. Ein Gespräch über Kunst, Kreativität und Kompromisslosigkeit.

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08 I N T R O News und Stor ys, Zahlen und Fakten aus aller Welt zum Thema Milch.

WEITERE STORYS

28 D A S

SYSTEM MILCH

Welche Lebensmittel werden weltweit aus Milch produzier t? Ein Organigramm.

F O T O S : A I L I N E L I E F E L D (1); R . H U N G E R & C H R I S T O P H H I M M E L ( 3); L I S A E D I (1)

30 A U F

DER SCHÖNHEI T SFA R M

Glückliche Kühe, gesunde Milch: Repor tage

HIMBEER PA R FA IT UND ZANDERFILET

über die Landwir te Silvia und Alfred Rutschmann.

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SCHÖN & PR AKTISCH

P L U S B O O K L E T: 14 R E Z E P T E Z U M HER AUSNEHMEN

Sieht gut aus, hält lange, schmeckt gut: Produkte,

die Liebhaber von Milch und Käse haben sollten.

58 M I L C H ,

DIE KEINE IST

Milch aus Soja, Dinkel, Nüssen oder Reis.

NICE TO EAT YOU!

Acht Alternativen zur Tiermilch im Test.

62 D I E

MILCH MACHT’S, IMMER NOCH

Lange galt Milch als gesund. Dann verlor sie ihren guten Ruf. Zu Unrecht, meint unser Kolumnist.

66 R E I F E P R Ü F U N G

Käse selbst herzustellen ist eine Wissenschaf t für sich. Aber es lohnt sich.

Unsere Gerichte Schrit t für Schrit t zum Selbermachen und Nachkochen.

70 L E T Z T E

FR AGE

Milch und Mensch – einige Gedanken über eine besondere Beziehung .

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MITWIRKENDE ― AUSGABE 4 ―

I NG A PAU L S E N

FR ANZISK A WISCHMAN N

AUTORIN

AUTORIN

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PH I L I PP KOH L HÖF E R ___

FOTOS: L ALO GONZ ALEZ; R. HUNGER

AUTOR

kommt vom Dorf und ist dort neben einem Milchbauernhof aufgewachsen. Er redet sich ein, nur deswegen groß und stark geworden zu sein, weil er literweise Milch getrunken hat. Das Praktische: Das Gegenteil kann nie bewiesen werden. Heute ist ihm klar, dass zumindest den Kühen die ­übertriebene Melkerei vermutlich keinen Spaß macht. Dass es aber auch anders geht, beweist seine Reportage ab Seite 30.

lebt mit ihrer Familie, Hund und Pferd auf dem Land. Für diese Ausgabe beschäftigte sich unsere Ernährungswissenschaftlerin und Food-Redakteurin mit der Welt der Milch, arbeitete statt mit dem Herd mit dem Kühlschrank und versuchte, in der eigenen Küche einen Käse herzustellen. Warum sie seither großen Respekt vor der Arbeit eines Maître fromager affineur hat, lesen Sie in „Reifeprüfung” ab Seite 66.

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CHR ISTINE KÖH L E R ___

K R E AT I V D I R E K T O R I N

kann sich gut an Zeiten erinnern, als sie mit ihrer Großmutter auf einem Ferienbauernhof Kühe gemolken hat. Auch wenn sie inzwischen keine Milch mehr verträgt, war sie sofort Feuer und Flamme, die „weiße Schönheit“ optisch in Szene zu setzen. Dass ihr der Look zum wieder­ holten Male gelungen zu sein scheint, beweist Folgendes: The Ingredient ist kürzlich mit dem BCM-Award ­ ausgezeichnet worden.

hat sich als Sportund Lifestyle-Autorin mit dem Einfluss schneller Bewegungen auf Körper und Geist beschäftigt. Kürzlich entdeckte sie eine neue Dimension, die mit dem Gegenteil zu tun hat – mit Geduld und Entschleunigung. Ab Seite 16 lesen Sie, wie ihr in Frankreich einer der besten Affineure der Welt gezeigt hat, aus Milch den unverwechselbaren Charakter eines guten Käses entstehen zu lassen. Auch in ihrem Interview mit einem österreichischen Keramikkünstler ab Seite 50 spielt die Entdeckung der Langsamkeit eine Rolle.


M

DIE MILCH AUSGA BE ZAHLEN, FAKTEN, ANEK DOTEN U ND KUR IOSES AUS ALLER WELT ZUM THEMA MILCH

Der Tag einer Kuh in Zahlen. Bis zu 14 0 L I T E R Wasser nimmt sie pro Tag zu sich, um ihre Verdauung in Gang zu halten. Das entspricht in etwa einer Badewannenfüllung. Neun Stunden pro Tag verbringt sie mit Wiederkäuen. Dabei macht sie bis zu 30.000 Kaubewegungen, produziert etwa 20 0 L I T E R Speichel. Die Kuh hat vier Mägen (Pansen, Netzmagen, Blättermagen, Labmagen) mit 110 B I S 2 3 0 L I T E R N Fassungsvermögen.

SO VIEL MILCH STECKT IN K ÄSE: 4 LITER MILCH BR AUC H T E S F Ü R DI E H E R S T E L LU N G E I N E S K I L O G R A M M S F R I S C H K Ä S E , B E I H A RT K Ä S E S I N D E S 13 L I T E R . F Ü R E I N E N G RO S S E N L A I B E M M E N TA L E R VON 70 BI S 8 0 K I L O G R A M M W E R DE N E T WA 1. 0 0 0 L I T E R M I L C H V E R A R B E I T E T.

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STARTER S

P ORT R ÄT // GB

DIE LETZTEN IHRER ART I N G RO S S B R I TA N N I E N G I B T E S N O C H E I N E M E N G E P RO F E S S I O N E L L E R M I L C H M Ä N N E R .

MYTHEN

C O L I N J O H N S O N I S T E I N E R VO N I H N E N .

FOTOS: R . H U N G ER ; G A L L ER Y S TO CK ; IL LUS T R AT I O N EN: MO N A DE S S AU L

WA S DIE MILCH MACHT M ACH T M I L CH M Ü DE MÄNNER TATSÄCH L ICH MUNTER? SCHÜTZT SIE U NS VOR BRÜCHIGEN KNOCHEN? ODER BRINGT SIE KRANKHEITEN? ANHÄNGER UND GEGNER DES GRU NDNAHRU NGSMITTELS SIND UNVERSÖHNLICH. The Ingredient M A C H T D E N CHECK. Vo n I n a B r z o s k a

Colin Johnson bringt jeden Tag die Milch. Für seine Kunden ist er inzwischen mehr Freund als nur Lieferant.

Wer Colin Johnson, 64, im Mor­ gen­ grauen auf seiner Tour durch Lan­caster begegnet, fühlt sich zurückversetzt in eine andere Zeit. In seinem klapprigen Milchwagen tuckert er über Kopfsteinpflas­ter, hin­ter ihm türmen sich auf einer Prit­sche unzählige Milchkästen auf, und wenn es holprig wird, muss er das Seitenfenster seiner Kabine mit der Hand bändigen. Der Milchmann pflegt eine Tradition, die europa-

weit fast ausge­stor­ben ist: Bis sieben Uhr morgens muss die letzte Flasche aus­ ge­ liefert und müssen leere Fla­schen eingesammelt sein – wie schon in den 60er-Jahren fahren Milchmänner ausnahmslos mit Strom. Über zwei Millionen Briten freuen sich heute noch über eine Tradition, die in Deutschland fast ausgestorben ist: frische Milch in Flaschen am Morgen vor der Haustür.

M Y T H O S Nr. 1 M i l c h m a c ht s t a r k e K n o c he n . FA L S C H . M i lc h i s t re ic h a n K a l z iu m , d e n K no c h e n k om mt e s of fe n b a r n ic ht z u g ut e . For s c h e r k on nt e n n a c hwe i s e n , d a s s ü b e r m ä ßi ge r M i lc h k on s u m z u e i ne r Ü b e r s äu e r u n g d e s Kör p e r s f ü h r t . D e n n d i e s e r mu s s d i e S äu re m it K a l z iu m au s d e n K no c h e n ne ut r a l i s i e re n – w a s z u K no c h e n s c hw u nd f ü h re n kann.

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I

NEUSEELAND

E I N S T BA S T ION DE R S C H A F E , J E T Z T HO C H BU RG DE R K U H . I N N E U S E E L A N D I S T I M V E RG A N G E N E N M I L C H W I RT S C H A F T S JA H R DI E Z A H L DE R T I E R E AU F 4 , 5 M I L L I O N E N G E WAC H S E N – DA M I T KOM M T I N E T WA AU F J E DE N E I N WOH N E R DE S ­I N S E L S TA AT S E I N E K U H . N E U S E E L A N D I S T DE R W E LT G RÖ S S T E M I L C H E X P ORT E U R .

GLOBAL

K U LT U M D I E K U H SE L BST GE M ACH T

K ASEIN-KLEBER A L L E S , W A S M A N B R A U C H T: M I LC H , B AC K P U LV E R ,WA S S E R UND ESSIG. Kleber aus Milch? So geht’s: Einen halben ­Li­ter Magermilch mit 90 Millilitern Essig in einem be­schichteten Topf köcheln – bis die Milch gerinnt. Die Säure im Essig zerlegt die Milch nach vier Minuten in ihre Bestandteile. Rühren, damit nichts anbrennt! Danach die Flüssigkeit durch ein Sieb gießen und die festen Bestandteile in eine Schüssel geben. Jetzt noch 60 Milliliter Wasser und eine Tüte Backpulver hinzufügen. Das wird mit dem „Hüttenkäse“ verrührt, bis er Blasen wirft. Wenn es auf­gehört hat zu blubbern, ist der Kleber fertig. Abkühlen, in eine Dose mit Schraubdeckel geben, fertig. Übrigens: Der Stoff in der Milch, aus dem sich Kleber herstellen lässt, heißt Kasein.

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WARUM KÜHE AN VIELEN ORTEN VEREHRT WERDEN Gott ist überall, daran glauben die Hindus. Auch in jedem Tier. Die Kuh ist den Indern heilig, weil sie als Spenderin der fünf hei­­li­gen Gaben gilt: der Milch, dem Ghee, einer Art Butterschmalz, dem Mist als Brenn­material und Dünger, dem Urin mit seiner heilenden Wir­ kung und dem Joghurtgetränk Lassi. Doch nicht nur in Indien sind Kühe heilig: Die alten Ägypter glaubten, dass das Firmament der Unterleib einer gewaltigen Himmelskuh sei, und in Afrika glauben die Fulbe, ein Volk, das im Senegal und im Niger heimisch ist, dass die Welt aus einem Tropfen Milch geschaffen wurde.


USA

COWBOYS IN AMERIK A

M O D E AU S M I LC H: ANKE DOMA SKE IST M I K R O B I O L O G I N . S I E H AT E I N E M E T H O D E E N T W I C K E LT, M I T D E R S I C H M I LC H E I W E I S S F Ü R D I E H E R S T E L L U N G VO N FA S E R N N U T Z E N L Ä S S T. I H R E F I R M A Q M I L K BELIEFERT UNTER ANDEREM TE X TILHER STELLER, D I E AU S M I L C H M O D E F Ü R MENSCHEN MIT EMPFINDLICHER H AU T H E R S T E L L E N . F Ü R E I N K I L O FA S E R N B R AU C H T E S A L L E R D I N G S S E H R V I E L M I LC H , NÄMLICH 30 LITER. W W W.QM I L K F I B E R . E U

Führen Cowboys nur Kühe und Rinder in die Prärien oder auch Ziegen und Schafe? Gibt es die „Kuhboys“ nur in den USA oder auf dem gesamten amerikanischen Kontinent? Und warum ist das Image der amerikani­ schen Cowboys so viel cooler als das der ­europäischen Kuhbauern? Der Bildband des New Yorker Fotografen Luis Fabini gibt Antworten. Er hat über ein Jahr lang den ame­ rikanischen Kontinent abgegrast und Cow­ boys in den USA, Chile, Uruguay, Argentinien, Kanada und Mexiko begleitet. Luis Fabini (Fotos), Wade Davis (Text): „Cowboys of the Americas“, Greystone Books 2017, 168 Seiten, 43,88 Euro

SERBIEN

DIESES BUCH GE WÄHRT EINEN EINBLICK IN DIE ­W I R K L I C H K E I T D E R C O W B O Y S

DE R T E U E R S T E K Ä S E DE R W E LT: 1. 0 0 0 E U RO PRO K I L O KO S T E T DE R P U L E . H E R S T E L L E R V E RW E N DE N DI E M I L C H DE R VOM AU S S T E R B E N B E DROH T E N BA L K A N E S E L – V I E R M A L A M TAG W E R DE N DI E T I E R E G E M OL K E N , WA S RU N D 2 0 0 M I L L I L I T E R E RG I B T. I H R E M I L C H E N T H Ä LT N U R E I N PROZ E N T F E T T U N D 6 0 -M A L M E H R V I TA M I N C A L S K U H M I L C H . P U L E -K Ä S E S C H M E C K T S O Ä H N L IC H W I E DE R S PA N I S C H E M A N C H E G O.

STARTER S

M Y T H O S Nr. 2 M i l c h ve r s c h l e i mt u n s . FA L S C H . M i lc h h a t e i ne s a h n i ge Kon s i s t e n z . We n n s ic h d i e M i lc h z u d e m m it S p e ic h e l ve r m i s c ht , e nt s t e ht e i ne d ic k f lü s s i ge E mu l s ion , d i e s ic h w i e S c h le i m a n f ü h lt . D a b e i h a nd e lt e s s ic h a b e r u m e i ne re i n ge s c h m a c k l ic h e E mpf i ndu n g . D a s s M i lc h d e n Kör p e r ve r s c h le i mt , k on nt e n W i s s e n s c h a f t le r bi s h e r n ic ht n a c hwe i s e n . M Y T H O S Nr. 3 M i l c h m a c ht mü d e M ä n n e r mu nt e r. FA L S C H . M it d i e s e m S l o g a n h a t d i e d e ut s c h e M i lc hw i r t s c h a f t i n d e n 5 0 e r-Ja h re n ge wor b e n . D i e Au s s a ge i s t a b e r e i ne L e ge nd e , M i lc h e nt h ä lt d i e A m i no s äu re Tr y p t o ph a n , die eher daf ür b e k a n nt i s t , u n s Me n s c h e n schläfrig zu machen.

M Y T H O S Nr. 4 M i l c h f ör d e r t A k n e . R IC H T IG u nd FA L S C H . B e i t r o c k e ne r H aut s i nd M i lc hpr o du k t e i n d e r äu ß e re n A nwe ndu n g fe u c ht i g k e it s bi nd e nd u nd k ön ne n d a s H aut bi ld ve r b e s s e r n . We r z u fe t t i ge r u nd u n re i ne r H aut ne i g t , ve r s c h l i m m e r t h i n ge ge n s e i ne P r o b le m e , we n n e r m e h r M i lc h t r i n k t . Ä r z t e ge h e n d avon au s , d a s s Hor m one i n d e r M i lc h d a s Wa c h s t u m d e r Ta l gd r ü s e n b e s c h le u n i ge n .

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GLOBAL

L

75 % W E R V E R T R ÄG T M I L C H

M ILCH B A D: EIN B I S Z W EI L I T E R M ILCH ODE R MO L K E AU F WÄ R M E N , IN S

­B A DE WA S S E R K IPPE N , S ICH HIN EIN L EGEN U N D EN T S PA N N EN . IN H A LT S STO FFE DE R

U N D W E R N IC H T ? 7 5 P RO Z E N T DE R

M ILCH B IN DEN

E RWAC H S E N E N

FEUCH T IGK EIT,

W E LT B E VÖ L K E RU N G K A N N MILCH SCH W ER BIS GA R N IC H T V E R DAU E N . I H N E N F E H LT DA S E N Z Y M L A K TA S E , DA S DE N M I L C H Z U C K E R AU F S PA LT E T U N D F Ü R DE N KÖ R P E R V E RW E R T BA R M AC H T. WÄ H R E N D S ÄU G L I N G E M I L C H N O C H G U T V E R DAU E N KÖ N N E N , G E H T I M E RWAC H S E N E N A LT E R D I E FÄ H IG K E I T V E R L O R E N . D I E M E I S T E N E U RO PÄ E R KÖ N N E N

S C H Ü T Z E N DIE H AU T VO R DE M AUST ROCK N E N U N D B E R U HIGE N SIE . DIE IN DE R M ILCH E N T H A LT E N E N V I TA M IN E S O L L E N DIE

EIN LEBEN L A NG MILCH

Z E L L A K T I V I TÄT DE R

O H N E BAU C H W E H T R I N K E N .

H AU T FÖR DE R N U N D S O

9 0 P RO Z E N T DE R E RWAC H S E N E N N O R DE U RO PÄ E R V E R T R AG E N M I L C H . J E W E I T E R E S I N R IC H T U N G S Ü DE N G E H T, DE S T O W E N IG E R W E R DE N E S : M E H R A L S Z W E I D R I T T E L DE R S Ü DE U RO PÄ E R H A B E N DORT EI N E L A K TOSEI N TOL ER A NZ , I N A S I E N V E R T R AG E N S O G A R N U R E T WA S E C H S P RO Z E N T DE R B E VÖ L K E RU N G M I L C H .

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DE R H AU TA LT E R U NG E N TGEGE N W IR K E N . M ILC H FE T T, M ILCH EI W EI S S U N D M ILC H S ÄU R E M AC H E N DIE H AU T Z A R T U N D GE S CH M EIDIG .


STARTER S

M Y THOLOGIE U N D DIE

M ILCH ST R A S S E :

D I E A LT E N G R I E C H E N V E RW I E S E N AU F E I N E S AG E , W E N N S I E E R K L Ä R E N WO L LT E N , W I E D I E M I L C H S T R A S S E E N T S TA N DE N I S T: H E R K U L E S , DE R S O H N DE S G Ö T T E RVAT E R S Z E U S , S O L L S C H O N A L S BA BY S O S TA R K G E W E S E N S E I N , DA S S E R V I E L Z U H E F T IG A N DE R B RU S T S E I N E R

M Y T H O S Nr. 5 M i l c h m a c ht d i c k . FA L S C H . Nic ht nu r Vo l l m i lc h , au c h H-M i lc h i s t re ic h a n K a lor i e n . A l le rd i n g s k on nt e n For s c h e r n a c hwe i s e n , d a s s K a l z iu m i n d e r M i lc h G e w ic ht e h e r re du z i e r t – z u m e i ne n m i nd e r t d a s e nt h a lt e ne E i we i ß d e n A p p e t it , z u d e m s o l l K a l z iu m ve r s t ä r k t Fe t t ve r bre n ne n .

M U T T E R A L K M E N E S AU G T E . I N H O H E M B O G E N S P R I T Z T E D I E M U T T E R M I L C H G E N H I M M E L U N D W U R DE DORT ZU R

M ILCH ST R A S S E .

WISSEN

FOTO: INTERFOTO/ PHOTOASIA

HEISS GEMACHT EINE EINFÜHRUNG IN DIE PA STEUR ISIERUNG Was geschieht eigentlich beim Erhitzen von Milch? Louis Pasteur (1822– 1895) fand heraus, dass das Erhitzen von Lebensmitteln Krankheits­er­ reger abtötet und Lebensmittel haltbar macht. Bei der Milch wird das Ver­ fah­ren heute genutzt, um Keime abzutöten: Bei der Kurzzeiterhitzung wird die Milch für 15 bis 30 Sekunden auf 72 bis 75 Grad erhitzt und da­ nach sofort abgekühlt – so ist Frischmilch gekühlt sieben bis zehn Tage haltbar. Bei der Hocherhitzung wird die Milch für ein bis vier Sekunden bei 85 bis 127 Grad erhitzt und ebenfalls sofort abgekühlt – dadurch erhält man ESL-Milch, die bis zu drei Wochen haltbar ist.

M Y T H O S Nr. 6 Bi o - M i l c h s t a m mt von g lü c k l i c he n , f r e i ­g r a s e n d e n Kü h e n . FA L S C H . D e r Na m e b e s c h re i bt nu r d i e F ut t e r z u s a m m e n­ s e t z u n g , n ic ht a b e r d i e A r t d e r H a lt u n g von M i lc h k ü h e n . Au c h B io -M i lc h k a n n von Kü h e n sta mmen, die ­ ü b e r w i e ge nd i n ­S t ä l l e n leben. Aber sie dü r fe n ­k e i ne s f a l l s m it A nt i bio t i k a o d e r Hor m one n ge f üt t e r t we rd e n . M Y T H O S Nr. 7 Milch behindert die ­A u f n a h m e von A nt i bi ot i k a . R IC H T IG . Ta t s ä c h l ic h k om mt e s vor, d a s s M i lc h s ic h n ic ht m it d e r E i n n a h m e von Ta b l e t t e n ve r t r ä g t . Wor a n d a s l i e g t? K a l z iu m au s d e r M i lc h ge ht i m M a ge n m it b e s t i m mt e n A r z ne i e n e i ne s c hwe r l ö s l ic h e Ve r bi ndu n g e i n . Fo l ge : D a s B lut k a n n d i e W i r k s t of fe we n i ge r g ut au f ne h m e n .

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„MUSIK ÜBER 100 B E AT S P R O M I N U T E I S T Z U SCHNELL FÜR DIE TIERE.“ DE R B I O L O G E D R . M A R I O L U DW IG

Angeblich gibt eine Kuh mehr Milch, wenn sie Musik hört. Gibt es Beweise dafür? Im Jahr 2001 sind für eine Studie, die Forscher der Universität Leicester durch­geführt haben, über 1.000 Kühe mehrere Wochen mit unterschiedlicher Musik berieselt worden. Welche Songs führen die Kuh-Charts an? Kühe lieben Klassik. Sie geben bis zu drei Prozent mehr Milch, wenn sie regelmäßig mit ihr berieselt werden. Mozarts „Kleine Nachtmusik“ und die 9. Sinfonie von Beethoven stehen in den Charts oben. Gibt es Landwirte, die das nutzen? Manche installieren Musikanlagen in den Kuhställen. In Kooperation mit Milchwissenschaftlern gab es 2015 weitere Erhebungen auf deutschen Höfen zu Musikstilen – dabei kam heraus, dass die Volksmusik der Wildecker Herzbuben purer Stress für die Tiere ist. Wenn sie die hören, geben sie weniger Milch. Offenbar haben Tiere einen Musikgeschmack. Es ist eher so, dass Musik mit über 100 Beats pro Minute zu schnell ist für die Tiere. Die Beatles oder die Toten Hosen mochten sie auch nicht. Die Kuh mag langsame Musik. Wie fühlt sie sich dabei? Ihr Puls passt sich dem Rhythmus an. Das senkt ihr Stress-Level. 14

Z W EIFELHAFTER R EKOR D

A N A LY S I E R T P S YC H E U N D V E R H A LT E N VO N T I E R E N .

I N DE N U S A S T E L LT E I M V E RG A N G E N E N JA H R DI E HOL S T E I N K U H BU R-WA L L BUC K E Y E G IG I AU S W I S C ON S I N E I N E N Z W E I F E L H A F T E N B E S T W E RT AU F: S I E K A M AU F 33 . 8 61 K I L O G R A M M M I L C H I N 3 6 5 TAG E N , WA S RU N D 9 3 L I T E R N PRO TAG E N T S PR IC H T. T I E R S C H Ü T Z E R M A H N E N , DA S S HO C H L E I S T U N G S K Ü H E U N T E R S T R E S S S T E H E N . S T OF F W E C H S E L E R K R A N K U N G E N S I N D DI E F OL G E . NAT Ü R L IC H E RW E I S E G I B T E I N E K U H E T WA 8 L I T E R M I L C H A M TAG . Z ÜC H T U N G E N U N D K R A F T F U T T E R M AC H E N E S M Ö G L IC H , DA S S HO C H L E I S T U N G S K Ü H E I M S C H N I T T RU N D 5 0 L I T E R A M TAG G E B E N .

INTERVIEW


K

STARTER S

MU T T ER A L L E R H YG I E N E VO R S C H R I F T E N : N AC H DE M KO N T RO L L E U R E I M M E R Ö F T E R M E H L , K R E I DE , G I P S O DE R G U M M I L Ö S U N G I N DE R M I L C H FA N DE N , U M S I E Z U S T R E C K E N , T R AT I M J U L I DE S JA H R E S 19 3 0 DA S E R S T E DEU TSCH E

M ILCHGE SE T Z I N

K R A F T, DA S FÄ L S C H U N G U N T E R S T R A F E S T E L LT E . M I L C H FÄ L S C H U N G E N G I B T E S I N DE R E U H E U T E N U R N O C H

SELT EN .

AUF DU MIT DER KUH: HOLLÄNDISCHE LANDWIRTE HABEN DAS KUHKUSCHELN ALS EINNAHMEQUELLE ENTDECKT. ­IMMER MEHR STÄDTER BESUCHEN BEI IHREN AUSFLÜGEN AUFS LAND KUHSTÄLLE. DIE ANNÄHERUNG MIT DEN KÄLBERN UND KÜHEN EMPFINDEN KINDER UND ERWACHSENE ALS WOHLTUENDE ABWECHSLUNG. WER DEN KÖRPER­ KON­ TAKT ALS SCHÖN EMPFINDET, SCHÜTTET ÜBRIGENS DAS STRESS HEMMENDE GLÜCKSHORMON OXYTOCIN AUS.

NAT U R

AUC H K Ü H E H A BE N H E I M W E H , AU S L Ö S E R I S T DE R G E SA NG DE R S C H W E I Z E R A L PH I RT E N : „W E N N K Ü H E VON A L PE N Z UC H T, AU S DE M G E BU RT S L A N DE E N T F E R N T, DI E S E N G E SA NG HÖR E N “, S C H R I E B JOH A N N GOTTFRIED E BE L 17 9 8 , „W E R F E N (S I E) AUG E N BL IC K L IC H DE N S C H WA N Z K RU M M I N DI E HÖH E , FA NG E N A N Z U L AU F E N , Z E R BR E C H E N A L L E Z ÄU N E U N D G AT T E R U N D SIND WILD U N D R A S E N D.“

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REPORTAGE

DER FR A NZOSE H ERV É MONS GEHÖRT ZU DEN BEKANNTESTEN K Ä S E A F F I N E U R E N DE R W E LT. E I N E R E P ORTAG E ÜBER DIE HOHE KUNST DER KÄSEREIFUNG.

T E X T

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F O T O S

FR A N ZIS K A WIS CH M ANN _ _ _ A I L I N E L I E F E L D

F R Ü H A M M O R G E N – die Sonne schickt ihre ers-

ten Strahlen über die rauen Bergketten der Auvergne – schraubt sich der Kleinbus von Hervé Mons, 55, die Ser­pentinen hinauf. Er fährt schnell. Rasend schnell. Der Franzose lacht leise und beruhigt: „Keine Sorge, ich bin 20 Jahre Paris-Dakar gefahren.“ Paris-Dakar ist die härteste Wüstenrallye der Welt. Hervé Mons hat nicht nur sein Lenkrad fest im Griff: Mit großer Sicherheit und viel Feingefühl steuert er auch sein Käseimperium. Mons-Fromage in SaintHaon-le-Châtel ist weit über die Grenzen Frankreichs bekannt. Das Unternehmen Mons steht für die Welt der Käseveredelung, wie sie Gourmets zu schätzen wis­sen – ein Comté, ein Reblochon, der in seinen Kellern gereift ist, hat mit einem Plastikkäse aus dem Supermarkt so viel zu tun wie ein Ikea-Regal mit einer Maßanfertigung des Designers und Architekten ­An­tonio Citterio.

An diesem Morgen ist Hervé Mons auf dem Weg zu einem seiner Milchlieferanten in den Bergen von Église­ neuve, einer Region am Rand der Auvergne, einem vulkanischen Gebiet. In dieser Region hoch oben in den Bergen leben Josiane und Henri Bapt, die seit drei Generationen Salers züchten, eine altfranzösische Rin­ derrasse, bekannt für ihre schmackhafte Milch. Sie zu gewinnen ist harte Arbeit, Handarbeit: Dem natürlichen Zyklus folgend geben die Kühe erst Milch, wenn sie durch ihre Kälber stimuliert worden sind. Das passiert zweimal am Tag sieben Tage die Woche in der Zeit zwischen April und November. 280 bis 300 Liter Milch kommen pro Melkvorgang zusammen, an die 20.000 Liter sind es pro Monat, aus denen etwa 2.000 Kilogramm Käse gewonnen werden. Tagsüber grasen die 60 Salers auf den saftigen Weiden der Region, während ihre Milch in einem Auffangbecken bei 33 Grad gerinnt, dann mit der Hand abgeschöpft, in 17


REPORTAGE

Im Auffangbecken gerinnt die frisch gemolkene Milch bei 33 Grad. Ein feines Metallgitter, Harfe genannt, sorgt dafĂźr, dass die Milch in den Bruch zerschnitten wird.

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300 LITER MILCH KO M M E N P RO M E L K VO RG A N G Z USA M M E N, A N DIE 2 0.0 0 0 LITER S I N D E S P RO M O N AT. DA R AU S W E R DE N 2 . 0 0 0 K I L O G R A M M K Ä S E G E WO N N E N .

runde Formen gedrückt und entwässert wird. Mons kommt oft hierher, um sich auszutauschen. Ein enger, freundschaftlicher Kontakt untereinander sei wich­tig, sagt er. „Ohne einen exzellenten Rohstoff kann es keinen guten Käse geben“, lautet seine Philosophie. „Es sind die Milchproduzenten, die darauf Einfluss haben, wie ihre Tiere leben, was sie essen und damit auch wie die Milch schmeckt.“ Mons arbeitet mit 130 Rohmilchbauern in Frankreich und der Schweiz, die nach alter Tradition produzieren. Während Mons erzählt, füllt er einen Schluck der noch dampfenden Milch in einen Becher und kostet. Sie hat ein süßliches, nach Honig und Nuss schmeckendes Aroma. Diese Milch ist Basis für den Saint-Nectaire Fermier, einen besonders aromatischen Rohmilchkäse der Region. Herzstück seines Unternehmens ist ein stillgelegter, 185 Meter langer Eisenbahntunnel, in dem in fünf ­großen Eisenbahnwaggons aus Holz bei 98 Prozent Luftfeuchtigkeit und zehn Grad Kälte an die 100 Tonnen Käse lagern. Den Tunnel, der seit Beginn des Zwei­ten Weltkriegs nicht mehr in Betrieb war, haben Hervé Mons und sein Bruder Laurent 2009 in einem Waldstück unweit ihres Firmensitzes entdeckt. Sein Potenzial haben sie erst nach einer Reihe von Labortests er­kannt: Hier herrschen die optimalen Bedingungen, um Käse zu lagern und reifen zu lassen, weil die mikro­klimatischen Verhältnisse stabil sind – meterdicke Steinmauern verhindern, dass es im Winter friert und im Sommer zu heiß wird. 650.000 Euro investierten die Brüder in den Umbau. Zwei weitere solcher Tunnel gehören zum expandierenden Fami­ lienunternehmen, das seinen Ursprung in der letzten Generation hat. 20

Anfang der 60er-Jahre stellten die Eltern von ­Hervé und Laurent Käse in eigener Produktion her und ver­kauften ihn auf Wochenmärkten in Roanne, der nächsten größeren Stadt. Weil die Qualität ihrer Käse­ sorten hoch geschätzt war, stieg ihr Bekanntheitsgrad auch über die Grenzen von Roanne hinaus. Erste Geschäfte in der Region entstanden, die inzwischen vom jüngeren Bruder Laurent geführt werden. Dem älteren Sohn Hervé, der sein Handwerk bei den besten Käsemachern Frankreichs erlernt hat, ist zu verdanken, dass sich das Familienunternehmen auch in Paris und im Ausland etablieren konnte. Im Tunnel von Saint-Haon-le-Châtel riecht es feucht und modrig. „Neben der Herstellung der Milch und ih­ rem Gerinnungsprozess spielen die klimatischen Be­ ­ dingungen während der Reifung die wichtigste ­Rolle“, sagt Mons. An den dicken Steinwänden läuft das Wasser herunter. Aber mit dem perfekten Tunnel­klima allein ist es nicht getan. „Um sich optimal entfalten zu können, braucht jeder Käse besondere Be­handlung“, erklärt Mons. Er müsse sorgfältig mit Salzwasser ab­ gerieben, gebürstet und gewendet wer­den. Zwei bis drei Millionen Mikroorganismen tummeln sich auf seiner Rinde. Es spiele eine wichtige Rolle, ob der Käse auf Holz lagert, Stroh, Papier oder Stein. „All das be­ ein­flusst seinen Geschmack, seine Aromen, die Konsistenz“, sagt Mons, der den Prozess gemeinsam mit seinen Mitarbeitern kontrolliert. Dabei werden alle Sin­­nesorgane beansprucht, selbst das akustische: Ein Klopfen an der Rinde verrät, in welchem Reifestadium sich der Käse befindet. Zwischen vier Monaten und drei Jahren dauert es, bevor die Käselaiber verpackt in den Feinschmeckertempeln der Metropolen landen.


REPORTAGE

Die zu einer gallertigen Masse geronnene Milch wird von Hand geschöpft und in eine Form gedrückt. Eine Maschine hilft bei der Entwässerung. Nach drei Monaten ist der Saint-Nectaire fertig gereift.

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REPORTAGE

Hervé Mons sticht mit dem Käsebohrer ein Stückchen Käse aus der Mitte, um den Reifegrad zu testen.

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Weichkäse, der einen höheren Wassergehalt hat, wird auf Papier gelagert, weil dies dem Käse am wenigsten Wasser entzieht.

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REPORTAGE

In den kleinen, pittoresken Gassen des Dorfes Saint-Haon-le-Châtel scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Die Qualität seiner Produkte hat dem „Maison Mons“ längst Weltruf beschert. Und das ohne aufwendige PR. „Wir brauchen sie nicht, investieren lieber in Qua­li­ tät“, beteuert Mons. Ein Kranz von Lachfältchen überzieht dabei sein Gesicht. Mund-zu-Mund-Propagan­da sei ef­fizienter, sagt er, was bescheiden und natürlich wirkt, obwohl er längst zu den Global-Playern der Fein­schmeckerbranche zählt. Darüber hinaus hat die per­sönliche Empfehlung einen Synergieeffekt, der ihm ent­gegenkommt – der kommunikationsfreudige Un­ ter­nehmer liebt es, sich auszutauschen. Seine Ex­per­ tise teilt er gern mit Käsespezialisten aus aller Welt, er wird auch nach Japan und in die USA ­eingeladen. Keine Angst, dass ihm jemand etwas abschauen könn­te? „Nein, jedes Land hat andere klimatische Bedingungen, in denen die Tiere leben. Das beeinflusst den Rohstoff, die Milch, weil die Tiere anderes Futter zu fressen bekommen.“ Das habe auch Auswirkun-

gen auf die Verarbeitung. Die Hitze Süditaliens etwa habe andere Folgen als in der Schweiz. Jeder könne von dem anderen lernen und gemeinsam die besten Käsesorten aller Zeiten kreieren. Hervé Mons hat eine Vision: Er möchte eine inter­na­ tionale Vereinigung von Käsespezialisten gründen, die sich – ähnlich wie Sommeliers – regelmäßig treffen und ihr Fachwissen zur Verfügung stellen. Dabei liegt ihm das Thema Nachhaltigkeit besonders am Herzen. „Ich wünsche mir, dass Menschen, die nach einer ähnlichen Philosophie produzieren, mehr Einfluss darauf haben, wie wir alle auf unserem Planeten bewusster leben können.“ Ein kleiner Schritt in diese Richtung wäre getan, wenn Konsumenten weniger Massenpro­ dukte wählten und stattdessen auf Qualität setzen würden – auch wenn sie teurer ist. Was sie dabei gleich mitbekämen? Ein göttliches Stück Lebensart. Savoir-vivre eben. - TI 25


T E X T

_ _ _ FR A N ZI S K A

W I S CH M A N N

FL AUM AUF DER SCHNIT TFL ÄCHE M ANCHER K Ä SESORTEN K ANN V E R B R A U C H E R V E R U N S I C H E R N . I S T D E R K Ä S E N O C H G U T ? I S T E R S C H L E C H T ? E I N R AT G E B E R .

GUTER SCHIMMEL, SCHLECHTER SCHIMMEL

REPORTAGE


Nomen est omen: Der Käse besteht im wahrsten Sinne d e s Wo r t e s a u s r o h e r Milch. Sie wird nie über 40 Grad er wärmt und kann deswegen ihre natürlichen Bakterien behalten. Diese sorgen im Reifeprozess für den unnachahmlichen Geschmack.

ROHMILCHKÄSE

w w w. ku e c he ngo e t te r. d e/ warenkunde/ blauschimmelkaese

Das würzige Aroma entsteht, indem der Käse mit Penici l liu m-Stä mmen geimpft wird. Mit langen Nadeln wird der Käse danach gespiekt, damit Sauerstoff im Inneren b e s s e r ­z i r k u l i e r e n k a n n .

BL AUS C H I M M E L

K ÄSEKUNDE

KLEINE

Schimmel hat einen schlechten Ruf. Finden wir ihn auf Brot, Aufschnitt oder an Früchten, ist das ein Zeichen dafür, dass das Lebensmittel verdorben ist. Allein in der edlen Käsekultur feiner Rohmilch- und Weich­käse­ sorten wissen Gourmets den feinen Flaum von Pilz­ kul­tu­ren sehr zu schätzen. Denn bei der Herstellung wer­den einigen Käselaibern bewusst Schimmelpilze zu­ gesetzt. Blauschimmel, italienischer Gorgonzola und der französische Roquefort gehören zu den beliebten Klassikern, in deren Innenleben die Kulturen gezielt gezüchtet werden. Bei Camembert oder Brie, die aus pasteurisierter Milch bestehen, bilden die Edelschimmelkulturen eine weiße, samtige Schicht auf der Oberfläche. Diese kann sich auch auf die Schnittfläche ausdehnen, wenn der Käse aufgeschnitten wird und längere Zeit liegt. „Das ist ein normaler Prozess. Der Oberflächenpilz ist unbedenklich, man kann ihn problemlos mitessen“, beruhigt Käsereifungsspezialist Hervé Mons. In Frankreich besonders beliebt sind Weichkäse mit Rotkultur, zu denen bekannte Sorten wie Chaumes, Pont-l’Evêque und Saint-Albray gehören. Die Schimmelkulturen verleihen dem Käse ein würziges Aroma, das sich besonders in der Rinde sammelt. Auch sie sind bewusst gezüchtet und gehören zum Charakter dieser Sorten. Wem das Aroma zu intensiv ist, der schneidet die Rinde ab. Auf der Außenrinde sind mit­unter auch weiße Schimmelkulturen sichtbar, die durchaus dort wachsen „dürfen“. Wandelt sich die Farbe in leichtes Grün, ist auch das kein Zeichen dafür, den Käse entsorgen zu müssen: „Waschen Sie diese Stellen mit einer Salzwasserlösung vorsichtig ab, so wie wir Affineure es während der Reifung machen“, sagt Hervé Mons. Selbst schwarze Schimmelarten können eine Delika­ tesse sein, wie die feinen Rohmilchkäse eines Saint-­ Nectaire, Reblochon oder Tomme de Savoie zeigen. Charakteristisch ist eine grau-schwarze Pilzoberfläche, die sich während der Reifezeit gebildet hat und sehr aromatisch schmeckt.

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Bei der Lagerung zu Hause kann man erstaunlich viel falsch machen. Alle Käsesorten unverpackt in einem Behälter aufbewahren? Falsch! Denn die Edelschimmel- und Labkulturen vertragen sich nicht, können wechselseitig aufeinander übergreifen und dort schneller zum Befall führen. Grundsätzlich sollte man also alle Käsesorten aus Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch getrennt voneinander aufbewahren, am besten gut eingepackt in Käsepapier. Von luftdichter Zellophanfolie raten Experten allerdings ab. Offensichtlich braucht Käse ein bisschen Atmung, um sein Aroma entfalten zu können. Wer kein spezielles Käsepapier hat, kann auch Löcher in Alu- oder Frischhaltefolie pieksen. Eingepackt dürfen Käse nebeneinander liegen, gern im Gemüsefach, weil sich Käse bei den dort herrschenden acht bis zehn Grad am wohlsten fühlt. Käse braucht auch Feuchtigkeit. Die lässt sich ganz einfach mit einer aufgeschnittenen Scheibe Gurke oder Tomate halten. Und für den Verzehr haben Profis wie Hervé Mons einen guten Tipp: den Käse rund eine Stunde vorher aus dem Kühlschrank holen. Das perfekte Aroma entfaltet er bei 16 Grad. - TI

AUF DIE RICHTIGE LAGERUNG KOMMT ES AN

Doch es gibt auch Pilzsporen an hartem Schnittkäse wie Parmesan, Emmentaler, Gouda oder Leerdamer. Zeigen sich an den Schnittflächen dieser Käsestücke weiße oder grünliche Schimmelpilze, müssen sie sofort großzügig weggeschnitten werden. Bei Käse­ schei­ben oder auch Frischkäse verhält es sich anders: Experten empfehlen, den befallenen Käse wegzuwerfen. Denn dort kann nichts großzügig weggeschnitten werden. Tatsächlich sind diese Schimmelkulturen giftig. Die Giftstoffe, die sich beim Wachstum bilden, werden My­ko­toxine genannt. Sie können zu Leberschädigungen führen und stehen im Verdacht, Krebs zu erzeugen.

Auf manchen Käsesorten, etwa dem Camembert de Normandie, prangt das Kü r z e l AO C . Es zeigt, dass der Herkunf tsort tatsächlich geschützt ist. Camemberts ohne das Kürzel können auch außerhalb Frankreichs hergestellt worden sein.

WA S B E D E U T E T DA S K Ü R Z E L AOC?

Käse verliert an Geschmack, wenn er auf Gefriertemperaturen heruntergekühlt w ird. Bei fetten Hartkäsesorten wie Gouda oder Parmesan, die danach zum Kochen verwendet werden, spielt das keine Rolle. We i c h k ä s e o d e r Frischkäsesorten werden matschig oder f locken aus.

KÄSE EINFRIEREN?

NÜTZLICHES WISSEN


Cornish Clotted Cream

FI LTER N

Rahm nach traditionellem Rezept aus roher Milch in Cornwall hergestellt

Sahnepulver Kondenskaffeesahne Kaffeesahne

ROHMI LCH

TROCK N E N

Crème double de la Gryère

Doppelrahm aus dem Kanton Freiburg, Fettgehalt ca. 50 %

Crème double

Sahneeis

Eis auf Sahnebasis

Schlagsahne

Süßrahm

M ILC H FE T T FE R ME N TIE R E N

Saure Sahne

Sauerrahm

Sahne-Joghurt Sour Cream

durch spezielle Milchsäurebakterien verwandelter Sauerrahm

Buttermilch

Schmand

Crème légère Crème fraîche

Sauerrahmbutter

(Süßrahm-) B UT TE R

Buttermilchseife

Butterschmalz

Butter-Reinfett ohne Wasser, Milchzucker und -eiweiß + ZI T RO NEN- /WEI N-/ES SI G S ÄURE

Mascarpone

Nitir qibe

mit Kräutern und Gewürzen verfeinerter und filtrierter Butterschmalz

Ghee

durch spezielle Ausschmelzund Siedeverfahren geklärtes Butterfett

Butteröl

mild gesäuerte Butter


Weichkäse

z.B. Camembert, Brie, Gorgonzola

Rohmilch

staatlich geprüft

Milch vom Hof

Rohmilchkäse

(Wasch-)Cremes, Haarpflegeprodukte Vegetarischer Fleischersatz

MILCHPROTEINE

MILCH

Halb Schn

+ S CH IM M E L K ULTUR E N, R E IFUN G

IN S AL REI

walnussgroß

haseln

Softeis

maschinell hergestelltes Eis aus 75 % Milch

Käsebruch (unterschiedlich große Stücke)

Laban

mit Labankulturen gesäuerte Milch (Kuh, Ziege, Kamel) FET TGEHALT EI NS TELLEN

VO L L

FE T TA R M

M AG E R

3,5 %

bis 1,8 %

bis 0,5 %

mit Käseharfe zerkleinern

GALLERTE oder DICKETE

UH T, PAS TEURISIEREN

3,5 %

1,5 %

Junket

0,5 %

durch Labenzyme eingedicktes und fermentiertes Dessert

S ÜS S M ILC H G E RIN N UN G alle Hart-/Schnittkäse

HOMOGENI SI ER EN

D IC K L E G UN G MIT LAB

D IC K L E G UN G

MIT MILCHSÄUREBAK TERIEN UND WENIG LAB

Pasteurisierte H-Milch ESL-Milch Sterilmilch Milch

NouNou

Kondensmilch

Milchprodukte, z.B. Brotaufstrich aus haltbarer Milch plus Zucker

Pasteurisierte Milch

S AUE RM ILC H G E RIN N UN G Nicht reifende Käse Lassi

+ MILCHS ÄUREB AK TERIEN

Drink aus Joghurt und Wasser (1:1) und Frucht

Ayran

Drink aus Joghurt und Wasser (2:1) und z.B. Salz

Milchpulver

Dugh

Drink aus Joghurt, Molke und Mineralwasser

Labné Sauermilch/ Dickmilch

Skyr

aus entrahmter Milch hergestellter Frischkäse

Kefir

frischkäseähnlicher Rahmjoghurt aus Laban

Cottage Cheese

körniger Frischkäse aus (Mager-)Milch

Frozen Yoghurt Joghurt

Eiscreme aus Joghurt und (Mager-)Milch

GALL od DICK


bfester nittkäse

Hartkäse/ Extrahartkäse

Schnittkäse

+ SCH MEL ZS A L Z E

Milchsorten gesäuerte Milchprodukte

z.B. Manchego

andere Milchprodukte Sahneprodukte Schmelzkäse

L ZL AKE, IFUNG

Butterprodukte Käseprodukte

I N S AL ZL AKE, REI FUNG

Kosmetikprodukte Separieren, Zentrifugieren

nussgroß

erbsengroß

weizenkorngroß

Erwärmen, Kochen

ULTRAFILTRATION, IONEN AUS TAUSCH

Molkenkäse (Ricotta)

S Ü S SM OLK E

Molkensahne Molkenpulver

Milchzucker z.B. in Nahrungsergänzungsmitteln Kosmetik in Feuchtigkeitsspendenden Masken und Tagescremes

Molkebadpulver

Braunkäse

in Norwegen und Schweden hergestellter Molkenkäse aus Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch

Erfrischungsgetränk mit 25 bis 30 % Milchserum und Kräuterextrakten

Milchserum

B ASIS MAG ERM ILCH:

+ RA HM

+ N ATRON

LERTE er KETE

S AUERM OL K E

Magerquark REIFU N G

Käsebruch

Rivella

Speisequark Kochkäse Gereifter Sauermilchkäse

(Handkäse)

+ RA HM

Frischkäse SCHÖ P FE N

Schichtkäse

- WAS S E R

Gepresster Topfen Quark mit verringertem Wassergehalt

Brühkäse (Mozzarella, Burrata)

B ASIS M AGERM ILCH:

Käse, bei denen die Bruchmasse gesäuert, überbrüht und geknetet wird. S ALZL A K E

Körniger Frischkäse (Hüttenkäse)

DoppelrahmFrischkäse

Salzlakenkäse (Feta) Käse, der in einer Salzlake reift


MILCH VON:

DA S S Y S T E M M I L C H AUS DE M E UT E R DI R E K T I N S G L AS ? DAS I ST V E RG ANGE NH E I T. DE R G RÖ S ST E T E I L DE R W E LT W E I T PRODUZ I E RT E N M I LC H L A N DET I N MOL K E R E I E N . W E LC H E PRODUK T E D ORT DA R AU S E N T ST E H E N , Z E IG T DAS ORG AN IGR A M M VON T H E I NG R E DI E N T. INFOGRAFIK --- ELA STRICKERT // RECHERCHE --- PUK REDAKTION

DAS KLEINE MILKIPEDIA DI E W IC HT IGST E N Z U BE R E I T U NG S V E R FA H R E N AU F E I N E N BL IC K PA S T E U R I S I E R E N // Um Bakterien und Keime abzutöten und so die Haltbarkeit zu erhöhen, wird Milch auf 75 Grad erhitzt. H O C H PA S T E U R I S I E R E N // Temperaturen von bis zu 127 Grad erhöhen die Haltbarkeit von ESL-Milch (Extended Shelf Life) auf circa drei Wochen. H O M O G E N I S I E R E N // Durch hohen Druck werden die Fetttropfen in der Milch zerlegt, die Milch wird somit verdaulicher gemacht. U H T // Milch wird auf 150 Grad ultrahocherhitzt und keimfrei gemacht. Sogenannte H-Milch hält ungeöffnet circa zwölf Wochen. Z E N T R I F U G I E R E N // Die beim Schleudern von Milch wirkenden Fliehkräfte drücken das Fett an den Rand der Trommel, der Rahm läuft ab und wird weiterverarbeitet. V E R B U T T E R N // Dabei wird Rahm so lange geschlagen, bis Buttermilch und Buttermasse voneinander getrennt sind. F E R M E N T I E R E N // Milch gerinnt durch Lab und Milchsäurebakterien – dabei unterscheidet man mesophile Kulturen, die Temperaturen zwischen 25 und 42 Grad bevorzugen, und thermophile Kulturen, die bei über 42 Grad noch wachsen. S T E R I L I S I E R E N // Um Milch bis zu einem Jahr haltbar zu machen, wird das Ursprungsprodukt bei 110 Grad 30 Minuten lang in einer luftdichten Verpackung entkeimt.


N ATH A ( k a lbt in Kürz e )

BLÜMLI (die Kränkelnde)

LINDE (die junge Mutter)

FLECK S (die Schreckhafte)

FLOR A (der Pechvogel)

V IOL A (die Unberührbare)

LOL A (die Immigrantin)

A M A NDA (die Freche)

COR A (die Genießerin)

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REPORTAGE

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DER HOF GASSWIES IM S C H WA R Z WA L D I S T E I N P A R A D I E S F Ü R K Ü H E . H I E R I S T DA S V I E H G LÜ C K L I C H U N D DI E M I L C H G E SU N D. W I E M AC H E N DI E L A N D W I R T E S I LV I A U N D A L F R E D RU T S C H M A N N DA S BL O S S? 31


REPORTAGE

GERÄT IN DER KONVENTIONELLEN LANDWIRTSCHAFT IN VERGESSENHEIT: Das Horn ist durchblutet und mit Stirn- und Nasenhöhle verbunden:

MAN C HM A L A RB EIT E N S ICH die Hörner aus dem

Kopf, schwungvoll in Richtung Himmel wachsend, um dann doch zur Schnauze abzubiegen. Andere sind abgebrochen. Wieder andere merkwürdig verdreht. Alle sind individuell wie ein Fingerabdruck, unterschiedlich wie Gesichter. Aber vor allem: Die Hörner sind da. Alfred Rutschmann, genannt Fred, zweiter Bass­ ba­ riton im Männerchor Rechberg und Landwirt aus Lei­ den­schaft, sagt: „Fragt man Kinder, was ihnen zu einer Kuh einfällt, antworten sie: Die fressen Gras, haben Hörner und Kälbchen und stehen auf der Weide.“ Er zählt mit den Fingern. Eins, zwei, drei, vier. Mehr brauche es nicht, sagt er und nickt wie zu sich selber. Im Stall hinter ihm muhen die Milchkühe. Die Tiere wissen, was kommt. Es herrscht Bewegung. Es ist kurz vor sieben, in wenigen Minuten wird g ­ emolken. Die kindliche Vorstellung hat wenig mit der Realität zu tun: In Wirklichkeit nämlich besitzen die allermeisten Tiere keine Hörner, stehen meist im Stall, be­kommen Kraftfutter und ihre Kälber werden einen Tag nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und mit Milch­ austauscher gefüttert – weil es ohne Kälber keine Milch gibt, die Jungtiere aber Nahrungskonkurrenten menschlicher Milchtrinker sind. Normalerweise. „Bei uns ist das anders“, sagt Rutschmann. Auf ihrem Hof, dem Hof Gasswies in Klettgau-Rechberg, müsse sich das System an die Tiere anpassen, nicht 32

umgekehrt. Zusammen mit seiner Frau Silvia, einer Land­ schafts­ architektin, führt er den Biolandbetrieb im süd­lichsten Südschwarzwald zwei Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. D I E H A LT UN G AUF H O F G A S S W I E S ­O R I E N T I E R T SI C H A N D E R N AT UR Seit über zehn Jahren arbeiten die Rutschmanns mit der sogenannten muttergebundenen Kälberhaltung: Das Kalb darf nach der Geburt bei der Mutter bleiben und deren Milch trinken – zuerst eine Woche durchgehend, dann weitere drei Monate zumindest zeitweise. Im Stall gibt es keine festen Boxen, Mütter und Kälber sind zwar durch ein Gatter getrennt, das wird allerdings mehrmals am Tag hochgezogen. Selbst wenn es ge­schlossen ist, können die Tiere sich immer sehen, beschnuppern, ablecken und schmusen. Zwar werden die Kühe in dieser Zeit auch gemolken, allerdings nicht vollständig, für die Kälber bleibt mehr als genug übrig. Danach kommen die Jungtiere zu Ammenkühen auf die Weide, wo sie zwar weiterhin Milch trinken können, aber auch bereits Gras fressen. Die Haltung der Tiere orientiert sich auf dem Hof der Rutschmanns am natürlichen Verhalten von Kuh und Kalb. Auch bei der Zucht: Künstliche Besamung gibt es hier nicht, für Nachwuchs sorgt der Stier. Im Gegensatz zu konventionellen Betrieben kommen die


REPORTAGE

EIGENTLICH SIND KÜHE REINE GRASFRESSER. Auf Hof Gasswies eine Selbstverständlichkeit.

Jungtiere auf Hof Gasswies ausschließlich im Frühjahr zur Welt, als wenn die Rinder sich selbst überlassen wären. Im Winter werden die trächtigen Kühe dann trocken gestellt. Kurz vor der Geburt geben sie kaum mehr Milch und bekommen eine Pause vom Melken. D I E K ÜH E H AB E N N A M EN , DIE Z U IH R EM CHA RAK TE R PAS SEN Mit ihrer Art der Haltung bewegen sich die Rutschmanns in einer rechtlichen Grauzone. Gesetzliche Grund­ lage jeder Milchwirtschaft ist das Milch- und Fett­ gesetz, Abschnitt 1, Reichsgesetzblatt, 15. Mai 1931: „Milch ist das durch regelmäßiges, vollständiges Ausmelken des Euters gewonnene und gründlich durch­mischte Gemelk von einer oder mehreren Kühen aus einer oder mehreren Melkzeiten, dem nichts zugesetzt und nichts entzogen ist.“ Weil die Euter auf Hof Gass­wies aber weder regelmäßig noch vollständig ausgemolken werden, gilt die Milch offiziell nicht als Milch. Aber wie das so ist in Grauzonen: Niemand kontrolliert, niemand setzt es durch. Für den Betrieb bedeuten saisonaler Melkver­zicht und muttergebundene Kälberhaltung zwar, dass die Kühe im Winter kein Kraftfutter benötigen, öko­no­misch ist das aber ein Problem. Denn das gesamte Milchwirtschaftssystem ist darauf angelegt, dass immer mehr produziert wird. Gibt man den Kühen dagegen mehr

Zeit (für ihren Nachwuchs), mehr Platz (für die Hörner) und ein längeres Leben (damit ihre Körper nicht aus­ge­ beutet werden), fällt weniger Milch an. Zum Vergleich: Ei­ne Kuh auf Hof Gasswies produziert rund 3.500 Liter Milch im Jahr, eine hochgezüchtete Turbo-Kuh schafft leicht 10.000 Liter. Dass bei dieser Wirtschafts­weise das Ökosystem belastet wird, spiegelt sich nicht in den Milchpreisen wider. Alfred Rutschmann sagt: „Wir haben uns entschieden, in Biodiversität zu investieren anstatt in ökonomisches Wachstum.“ In konventionellen Betrieben sind die Geburten über das ganze Jahr verteilt. Die Herde muss zwölf Monate lang Milchhöchstleistungen erbringen. Damit das gelingt, muss das Gras mehrmals jährlich vor der Blüte ge­schnitten werden – nur dann hat es einen hohen Ei­weißgehalt. Tut man dies, kommen keine Insekten. Wenn die Kälber bei den Rutschmanns im Frühsommer auf die Welt kommen, ist automatisch das beste Gras vorhanden, wenn die Kuh es benötigt. Es muss nicht ständig gemäht werden, weil die Kühe nur fressen, was sie benötigen. Das Gras kann blühen und das bedeutet: mehr Insekten, mehr Singvögel, weniger Schädlinge auf den zu Hof Gasswies gehörenden Obst­plantagen. Obwohl die Rutschmanns also nichts anderes tun, als sich einfach an der Natur zu orientieren, haben sie für ihre Hofhaltung mehrere Innovationspreise erhalten. 33


REPORTAGE

KANN PASSIEREN: Kuh Paula hat sich im Hoftor verfangen und ein Horn verloren.

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REPORTAGE

SCHÖNHEITSPFLEGE: Die Massagebürste im Kuhstall ist ständig belegt.

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REPORTAGE

ZWISCHEN DEM MELKEN IST ENTSPANNEN ANGESAGT. Dazu gehรถrt auch ein Bad im Heu.

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„Daran erkennt man, dass die moderne Landwirtschaft den Bezug zur Natur völlig verloren hat“, sagt Alfred Rutschmann, bevor er in den Melkstand geht. Dort wartet Elli, sie ist viereinhalb Jahre alt, 800 Kilo schwer, Simmentaler Fleckvieh und damit eine so­ ge­ nannte Zweinutzungsrasse, die einerseits Milch gibt, andererseits aber auch Fleisch aufbaut. Auf Hof Gasswies tragen alle 44 Milchkühe einen Namen und haben einen Charakter. Julia, die Zähe, 14 Jahre alt. Marianne, die Eigensinnige, acht Jahre alt. Regina, die Schreckhafte, sieben Jahre alt. Coco, die Lässige, drei Jahre alt. Und eben Elli. Die Nette. D E R M I LCH H O F I ST T EIL DER KULT UR Rutschmann überprüft den Sitz der Melkmaschine, über ihm läuft die Milch gluckernd durch ein Rohrsystem in den Tank, ohne einmal an der Luft gewesen zu sein. Zweimal am Tag wird gemolken, jeden zweiten Tag wird die Milch von einer Freiburger Biomolkerei abgeholt. Er knetet den Euter, streichelt das Tier, spricht mit ihm, das tut er immer, weil die Kuh sich dann entspannt. In der konventionellen Haltung wäre das Leben von Elli in etwa sechs Monaten beendet. Eine Durch­schnittskuh auf dem Hof Gasswies wird hingegen acht Jahre alt – und doch am Ende zur Fleischgewinnung genutzt. Schließlich ist ein Gnadenhof zwar schön für das einzelne Tier, kann aber für ein Systemproblem nicht die Lösung sein. „Wenn eine Kuh vom Hof geht, dann verabschiede und bedanke ich mich“, sagt Rutschmann. Er hält dann kurz inne, krault ihr den Kopf und gibt ihr einen letzten Klaps. Den Rutschmanns geht es um die Würde. „Schließlich verdanken wir den Tieren unsere Existenz. Nicht u ­ mgekehrt.“ Rutschmanns Hof ist nicht nur ein ökonomischer Betrieb, sondern fest in der Dorfgemeinschaft verankert und Teil einer Kultur, die er durch sein Wirtschaften bewahrt: Auf einer Fläche von 120 Hektar halten die Rutsch­manns 150 Rinder, davon knapp 50 Milchkü­he. Die Kühe bekommen nur Gras zu fressen, alles wächst auf betriebseigenem Gelände, nichts wird zugekauft. Nach dem Melken frühstücken die Rutschmanns. Es gibt Honig, Nuss-Nougat-Creme, Marmelade, dicke Brot­scheiben. Dazu Kaffee und Milch, die frischer nicht geht. „Kühe waren immer meine Lieblingstiere“, sagt Sil­via Rutschmann. Ihr Haus ist modern und offen mit viel Beton und Holz. Große Fenster öffnen die Räume zu der umliegenden Landschaft. „Asterix“-­Comics ­liegen herum, auch einige Hefte von „Lucky Luke“. Ein Ka­min brennt. Das Büro im zweiten Stock nimmt fast die gesamte Fläche ein. „Ohne eine pro­ fessionelle Buch­haltung geht es schon lange nicht mehr“, sagt sie, denn der Hof finanziert sich durch verschiedene Ein­ nah­me­quellen – der Milchverkauf allein genügt nicht zum Überleben. Unterstützer des Hofes haben Kuh­pa­ ten­schaften gezeichnet. Andere sind Teil einer Ge­nos­ sen­schaft (kulturland-eg.de). Förderer können auch selbst gebrannten Obstschnaps kaufen. Schulklassen kommen hin und wieder zum Rundgang, schließlich ist Hof Gasswies ein sogenannter Demonstrationsbetrieb Ökologischer Landbau.

GLÜCK IST MACHBAR: Die Rutschmanns mit zufriedenem Vieh in ihrer Mitte.

E N T SPA N N T E K ÜH E , E N T SPA N N T E H A LT E R Für die Rutschmanns ist Vieh kein anonymes Stück ­Materie. Und Milch eben auch nicht einfach eine Flüssigkeit zum Trinken, sondern ein Geschenk der Natur – in der konventionellen Milchtierhaltung ist der Tod der Kälber Teil des Geschäfts. Neugeborene Kälber sind gerade in den ersten Lebenswochen besonders an­ fäl­lig, da sie ohne eigene Immunabwehr auf die Welt kommen. Die erste Milch „impft” sozusagen das Junge und sorgt so für den Aufbau des Immunsystems. Obwohl dieser Vorgang bis zu vier Wochen dauert, wird den Kälbern in der konventionellen Milchvieh­haltung das Saugen verweigert. Weil die Tiere ihrem ange­ bo­re­nen Saugreflex dennoch nachgeben, saugen die Kälber oft reflexhaft an sich selbst, meist am Nabel, der sich dann entzündet. Blutvergiftungen sind die Fol­ge, manchmal sterben Tiere auch daran. Um dies zu verhindern, müssen sie in Einzelboxen gehalten wer­den, was mehr Arbeit für die Landwirte bedeutet und den Trennungsstress und damit das Krankheits­ risiko der Kühe noch mal erhöht. In konventioneller Haltung sterben etwa zehn Prozent der Kälber. Bei den Rutschmanns stirbt keines. „Kühe und Kälber sind bei uns deutlich entspannter“, sagt Silvia Rutschmann. Sie können ihr Sozialverhalten ausleben. Dadurch sind sie weniger gestresst und seltener krank. Die Kosten für den Tierarzt haben sich deutlich verringert und auch über die Zusatzernährung der Kälber müsse man sich keine Gedanken mehr machen: Die Milch auf Rutschmanns Hof hat garantiert den richtigen Nährstoffgehalt und wird mit einer Temperatur gereicht, die die Kälber vertragen. In diesem Moment scheppert es aus dem Stall. Silvia Rutschmann kennt das Geräusch. Die Kühe versu­chen, das Gatter zur Weide zu öffnen. Mit dem Brot noch in der Hand geht Silvia Rutschmann in den Stall. Das Scharnier ist bereits halb geöffnet. Wie ein Verkehrs­ polizist rudert sie mit den Armen. Die Kühe weichen ein paar Schritte zurück. Und kommen dann nach ein paar Sekunden zum Schmusen wieder. - TI 37


E I S K A LT E R L E D I G T

KÜCHENHELFER

IM KÜHLSCHRANK KO C H E N, G E H T DA S? KLAR, DENN DIE VERSCHIEDENEN K Ä LT E Z O N E N S I N D I D E A L FÜR DIVERSE Z U BE R EI T U NGSA RT E N.

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PAUL S EN

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E I S K A LT E R L E D I G T

KÜCHENHELFER

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EINFR IER EN Z A R T S C H M E L Z E N D E S PA R FA I T, E R F R I S C H E N D E S F R U C H T S O R B E T O D E R S C H O KO L A D I G E S M I L C H KO N F E K T – N U R I N D E R E X T R E M C O O L E N Z O N E D E S K Ü H L S C H R A N K S E N T S T E H E N S O L C H E L EC K E R E I E N .

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W E R B R A U C H T S C H O N E I N E E I S M A S C H I N E ? Der perfekte Zubereitungsort für süße oder würzige Köstlichkeiten ist ein Gefrierraum mit Low-Frost-Funktion. Dort, wo die Temperaturen weit unter null Grad liegen, gefrieren flüssige Substanzen und werden zu einer festen Masse. Wichtig zu wissen: Ein cremiges Ergebnis erzielt man nur mit der richtigen Rezeptur. Dabei kommt es weniger auf das Verhältnis von Sahne, Milch und Frucht an als vielmehr auf den Zuckergehalt. Haushaltszucker, Glukose und Fruktose senken den Gefrierpunkt der Eismasse und sorgen so dafür, dass darin enthaltenes Wasser nicht zu stark ­kristallisiert. Dies unterstützen übrigens auch ein guter Schuss Alkohol und gelegentliches Umrühren. Ideal für Einsteiger ist ein Parfait: Es wird halb gefroren serviert und zergeht deshalb auf der Zunge. SO GEHT’S:

2 Für ein Parfait schlägt man Eigelb und Zucker über einem heißen Wasserbad cremig, gibt Geschmacksgeber wie Früchte, Baiser, Nüsse und Gewürze dazu und hebt dann Schlagsahne unter die Creme. Wer Kalorien sparen möchte, kann einen Teil der Sahne durch Joghurt ersetzen. Die Masse wird dann im Gefrierraum des Kühlschranks eingefroren. Tipp: Wenn es sich beim Gefrierer um ein No-Frost-Gerät handelt, muss das Parfait zugedeckt werden. Die Luft im No Frost ist extrem trocken, daher besteht sonst die Gefahr von Gefrierbrand.

Im Gegensatz zum Speiseeis muss Parfait nicht beim Erkalten gerührt werden. Vorm Servieren lassen Sie es circa 45 Minuten bei Raumtemperatur antauen, dann stürzen sie das Halbgefrorene aus der Form und schneiden es in Scheiben. Serviertipp: Masse in dickwandige Gläser füllen, circa 4 bis 5 Stunden einfrieren und dann 30 Minuten vorm Servieren antauen lassen. Servieren Sie es dann wie in unserem Rezept im „Nice to Eat You“-Booklet mit frischen Beeren und gesalzener Schokolade.

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So wird’s cremig: Ei und Zucker müssen so lange verrührt werden, bis der Zucker vollständig aufgelöst ist. Deko-Idee: Vollmilchschokolade schmelzen, ausstreichen und mit Gewürzen bestreut auskühlen lassen.

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STE M A R INIER EN DA S E I N L EG E N I N A R O M AT I S I E R T E R M I L C H , S A H N E O D E R B U T T E R M I L C H , W Ü R Z I G E N Ö L E N O D E R F L Ü S S I G E R B E I Z E M AC H T V O R A L L E M G E F L Ü G E L , W I L D & C O. Q U A S I Ü B E R N AC H T S A F T I G E R U N D G E S C H M AC K V O L L E R .

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E I N E L A K E A U S J O G H U R T und Tandoori Masala, ein Mix aus Olivenöl, Zitronensaft und Kräutern oder ein Sud aus Sojasoße, Knoblauch und Chili – fast jede Region dieser Welt hat typische Marinadenrezepte. Kein Wunder, denn das Einlegen von Lebensmitteln bietet viele ­Vorteile. Käse, Gemüse oder Tofu werden aromatisiert und konserviert. Bei roher Ware ­ verbessert das würzige Bad nicht nur die Haltbarkeit, sondern auch das Garergebnis. So wirken säurehaltige Flüssigkeiten wie Wein, Essig oder Zitronensaft auf das Bindegewebe und sorgen für einen zarteren Biss. Enzyme aus exotischen Früchten wie Papaya oder Ananas verstärken diesen Effekt. Ähnlich wirkt die Milchsäure aus Milchprodukten, außerdem beschleunigt das enthaltene Kalzium den Reifeprozess des Fleisches. Gewürze und Kräuter haben so freie Bahn und können tief in die Textur eindringen. SO GEHT’S:

2 Fleisch kalt abspülen, trocken tupfen, eventuell in Stücke teilen. Kräuter und Würzmittel vorbereiten und mit der Milch verrühren. Fleisch in eine Schüssel legen und mit der Marinade übergießen. Es sollte möglich vollständig von der Flüssigkeit bedeckt sein, um trockene Stellen zu vermeiden. Tipp: Achten Sie bei der Wahl des Gefäßes auf säureresistentes Material (Glas, Porzellan, Chromstahl). Sie können Lebensmittel außerdem ideal im Vakuumierbeutel marinieren. Dafür das Fleisch & Co.

dort hineingeben und in der Vakuumierschublade luftdicht verschließen. Fleisch zugedeckt 12 bis 24 Stunden in der mittleren Zone des Kühlschranks marinieren, dabei mehrmals ­wenden. In manchen exotischen Rezepten gart das Fleisch dann anschließend direkt in der Marinade im Ofen. Für das Milchhähnchen mit Chili aus dem „Nice to Eat You“-Booklet lassen Sie das Fleisch vor dem Garen gut abtropfen, panieren es rundherum und braten es in reichlich Butterschmalz knusprig.

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Wasabi, Chili & Co. geben der Marinade eine gewisse Schärfe und wirken zusätzlich konservierend. Salz sollte nicht ­e nthalten sein, weil sonst – auf Kosten des Geschmacks – der Fleischsaft in den Sud diffundieren würde.

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KÜCHENHELFER

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B INDEN

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EG A L O B L O C K E R U N D L U F T I G O D E R G L AT T U N D S C H N I T T F E S T – B E I D I E S E R Z U B E R E I T U N G S M E T H O D E B E KO M M E N F L Ü S S I G K E I T E N U N D F O N D S IM KÜHL SCHR ANK IHRE FINALE FOR M.

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1 DIESE ZUBEREITUNGSMETHODE WIRD EINGESETZT, wenn man flüssige oder cremige Zutaten zu festeren Massen verarbeiten will. Dafür werden in Patisserien Milchprodukte zu Puddings, Cremes, Mousses verwandelt oder Fruchtdesserts geliert. Auch bei würzigen Speisen wie Terrinen oder Gemüse- und Fleischsülze spielt das sogenannte Anziehen eine wichtige Rolle. Dies gelingt bei den meisten Flüssigkeiten nur durch Geliermittel wie Gelatine, Agar-Agar oder Pektin. Eine cremige Konsistenz von Flüssigkeiten erreicht man auch durch Binde- bzw. Verdickungsmittel wie Johannisbrotkernmehl, Pfeilwurzelmehl, Maisstärke und Kichererbsenmehl oder die Zugabe von quellenden Zutaten wie etwa Grieß. SO GEHT’S:

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2 Zuerst werden je nach Rezept die Flüssigkeiten, zum Beispiel Frischkäse oder Saft, mit weiteren Zutaten verrührt und abgeschmeckt. Dann wird das Geliermittel vorbereitet. Gelatine eignet sich für würzige und süße Rezepte. Sie muss vorab für einige Minuten in kaltem Wasser aufgeweicht werden. Die anschließend ausgedrückten Gelatineblätter werden dann unter ständigem Rühren bei schwacher Hitze aufgelöst. Vorsicht: Bei zu hohen Temperaturen verliert Gelatine ihre Bindekraft.

Die pflanzliche Alternative Agar-Agar muss vor dem Verarbeiten erst 1 bis 2 Minuten aufgekocht werden. Deshalb ist er für (Süß-) Speisen, die nicht erhitzt werden dürfen, ungeeignet. Grundsätzlich gilt: Zuerst wird das aufgelöste Geliermittel mit den restlichen Zutaten verrührt. Anschließend können noch Sahne oder Eischnee unter die Masse gearbeitet werden. Im Kühlschrank in einer möglichst niedrigen Position – bei NEFF Frischesystemen wäre das die Trockenzone – nimmt das Geliermittel Flüssigkeit auf. Es entsteht eine relativ feste Masse.

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Zitronenabrieb, Kapern und Kräuter aromatisieren den Ziegenfrischkäse. Die typisch luftige Moussestruktur entsteht durch das Unterheben geschlagener Sahne. Das Rezept finden Sie im „Nice to Eat You“-Booklet.

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B EI Z EN D I E T R A D I T I O N E L L E KO N S E R V I E R U N G S M E T H O D E M I T S A L Z , G E W Ü R Z E N U N D F R I S C H E N K R Ä U T E R N H AT S I C H Z U M A R O M A - B O O S T E R F Ü R F L E I S C H , G E F L Ü G E L , W I L D O D E R F I S C H E N T W I C K E LT.

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W E R H Ä T T E G E D A C H T , dass die Rezeptur für so eine feine Vorspeise wie Graved-Lachs vor Jahrhunderten aus der Not heraus entstanden ist? Fischer suchten nach einer ­Möglichkeit, den Fang länger haltbar zu machen. Deshalb rieben sie die auf dem Boot bereits ausgenommene und gereinigte Ware mit Salz, Gewürzen und Kräutern ein und vergruben sie für einige Tage im kühlen Boden. Das Erdloch wird heute durch den Kühlschrank ersetzt, die Steps und Zutaten für dieses trockene Beizen haben sich kaum verändert: Das Salz ­entzieht dem in der m ­ ittleren Kältezone ruhenden Fisch das Wasser, verändert die Textur und verlängert so auch die Haltbarkeit. Kräuter und Gewürze aromatisieren das Lebensmittel auf sanfte Art. Das funktioniert übrigens nicht nur bei Fisch, mit etwas mehr Salz lässt sich auch Fleisch auf diese leckere Art konservieren. SO GEHT’S:

2 Vor dem Beizen sollten die Gräten aus dem Fischfilet entfernt werden. Dann vermischt man Salz, Zucker und Gewürze und verteilt diese Trockenbeize direkt auf dem Fisch. Für ein gutes Ergebnis sollte die Beize von Fisch einen Salzgehalt von mindestens vier Prozent haben. Zitronenscheiben unterstützen das Salz in seiner Wirkung auf das Muskelgewebe. Zusätzlich kann man über das gebeizte Fischfilet noch frisch gehackte Kräuter und Gewürze streuen. Die gebeizten Filetstücke werden nun

aufeinandergelegt, mit Wachspapier oder Frischhaltefolie umwickelt, straff gebunden oder mit einem Gewicht beschwert. In einer Auflaufform kann die beim Beizen entstehende Flüssigkeit abtropfen. Das Fischpäckchen muss dann für 48 Stunden in das untere Frischefach des K ­ ühlschranks – bei den NEFF Frischesystemen FreshSafe 2 oder ­FreshSafe 3 empfehlen wir dafür die Trockenzone. Die e ­ ntstandene Beizlake nach 24 Stunden abgießen und den Fisch wenden. Vor dem Servieren den Fisch in mundgerechte Stücke schneiden.

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Im „Nice to Eat You“-Booklet finden Sie ein Rezept für gebeiztes Lachs- und Zanderfilet. Es wird mit Salz, Zucker, Zitrone und Kräutern zubereitet und mit Wachspapier umwickelt im Kühlschrank gebeizt. Lecker dazu: Radieschensalat und Kräuterquark.

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E I S K A LT E R L E D I G T

KÜCHENHELFER

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Grundsätzlich gilt: Die Fächer des Kühlschranks nicht zu voll packen, denn dann kann die Luft nicht zirkulieren und die Kühlung wird behindert.

GE F R I E R R AU M : Hier herrschen Minusgrade. Perfekt zur Lagerung von Tiefkühlware wie Pizzen, Aufbackbrötchen oder auch Eis. Die LowFrost- oder No-Frost-Technik verhindert bei frisch eingefrorenen Speisen wie etwa Beeren, Gemüse oder auch gekochten Speisen die Reif- und Eisbildung. So bleiben die hier gelagerten Lebensmittel doppelt so lange frisch.

D I E R IC H T IG E K L I M A Z O N E .

M O DE R N E K Ü H L S C H R Ä N K E B I E T E N F Ü R J E DE S L E B E N S M I T T E L

M E H R F R I S C H E , H A LT BA R K E I T U N D A RO M A :

A B I N D I E C H I L L- A R E A !

PE R F E K T GE L AGE RT

Weil kalte Luft nach unten sinkt, ist es im oberen Bereich des Kühlschranks mit circa acht Grad relativ warm. Deshalb lassen sich hier gut Lebensmittel lagern, die nicht so schnell verderben. Dazu gehören vorgekochte Gerichte, vorbereitete Salate, angeschnittenes Obst, Dips vom Markt, Marmelade, Senf, Ketchup, Dressings, Saucen, geöffnete Konserven, Geräuchertes und Gekochtes. Eine Flasche junger Weißwein erhält hier die perfekte Kühlung für den sofortigen Genuss.

OBERER BEREICH DE S K Ü H L R AU M S :


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O B S T-/ G E M Ü S E FAC H : In der Frischeschublade * findet man ideale Lagerbedingungen für Obst und Gemüse. Bei zwei bis drei Grad und einem leicht feuchten Klima lagert es vitamin- und aromaschonend und bleibt bis zu dreimal länger frisch als im Kühlraum. Tipp: Waschen Sie das Gemüse nicht vor der Lagerung, sonst kann es schneller zu Schimmelbildung kommen. Wichtig: Kälteempfindliche Gurken, Zucchini, grüne Bohnen, exotische Früchte, Avocados oder auch Zitrusfrüchte haben hier nichts verloren, denn sie verlieren im Kühlschrank schnell ihren Geschmack.

Das Klima im Kühlraum ist für Brot nicht ideal. Es wird hier schneller alt und trocken.

MITTLERE ZONE: Hier herrschen um die sechs Grad. Perfekt für Milch und Milchprodukte wie ­J oghurt, Quark oder Sahne. Ganz unten, direkt über den Frischezonen für Obst- und Gemüse, sind leicht verderbliche Lebensmittel gut aufgehoben, da es dort circa zwei bis drei Grad kalt ist.

* Die perfekte Lagerung nach Zonen findet man zum Beispiel in allen Frischesystemen von NEFF wie dem FreshSafe 2 oder 3.

IM K ÄSE-/FLEISCH-/ F IS C H FAC H : Liegen Temperaturen kurz überm Gefrierpunkt und es herrscht ein trockenes Klima, haben Bakterien schwere Lebensbedingungen. Deshalb bleiben in diesem Fach* angeschnittene Wurst, Fleisch, frischer oder auch gebeizter Fisch, Meeresfrüchte und Hartkäse besonders lange frisch.

Zu kalt für Kartoffeln: Die Erdäpfel wandeln im Kühlschrank einen Teil ihrer Stärke in Zucker um.

Idealer Lagerplatz für Eier und Butter. Luftdicht verschlossener Kaffee behält hier länger sein Aroma. Saft, Limos, Prosecco und Sekt aus der Kühlschranktür bekommen bei circa acht Grad eine erfrischende Serviertemperatur.

IN DER KÜHLSCHRANKTÜR:


PORTR ÄT

B I O M AT T HI AS KAISER Aufgewachsen in der Steiermark, zieht es Matthias Kaiser n a c h N e w Yo r k . Dort faszinieren ihn die Objekte eines Keramikkünstlers und er beginnt mit dem Studium an der Parsons School of Design. Zwei Lehrjahre bei japanischen Meistern und intensive Erfahrungen in Ländern wie dem Iran haben Kaisers Stil geprägt: Seine Arbeiten sind von eigenwilliger Schönheit.

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FOTOS: JENS PREUSSE; LISA EDI

D E T R O N M E I S T E R

M AT T H I A S K A I SE R F O R M T AUS STEIRISCHER ERDE K RÜG E , SCHALEN UND SKU LP T U R EN, DER EN ÄSTHETISCHE VO R B I L D E R AU S J A PA N STA M M E N.

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PORTR ÄT

INTE R V I EW

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FR A N Z IS K A

W IS C H M A N N

Herr Kaiser, Ihre Arbeiten werden weltweit geschätzt. Was hat Sie beeinflusst? Ich bin in Graz aufgewachsen, einer mittelgroßen Stadt in Österreich. Meine Eltern waren Biologen und mit uns ständig in der Natur. Wir hatten das Haus voller Tiere – darunter auch Kröten und eine Fledermaus. Die enge Beziehung zur Natur, diese Wahrnehmung von Einheiten und Strukturen, haben mich geprägt. Früher habe ich das nicht bewusst empfunden, das war intuitiv. Aber alles, was man früh lernt, schult Geist und Sinne. Damals haben Sie sich auch schon mit einem anderen Ton beschäftigt. Sie waren Jazzmusiker... Die Musik war ein neues Reizfeld, das ich durch Freunde am Gymnasium kennengelernt hatte. Ich hatte wahnsinnige Probleme in der Schule. Ich habe weder Abitur noch eine abgeschlossene Lehre oder einen Studienabschluss. Mir war dieses Offizielle immer zuwider, einen offiziellen Segen brauchte ich nie. Es ging mir um Inhalte, direkte Erfahrungen, eigenes Erleben. Ich habe mir das geholt, was ich

IDYLLISCHES REFUGIUM In das 900 Jahre alte Bauernhaus der Großeltern hat Kaiser seine Werkstatt nach japanischem Vorbild gebaut

brauchte, bis zu dem Punkt, dass ich der Meinung war, das genügt jetzt. Ohne einen Gedanken an Konsequenzen oder eine Karriereplanung zu verschwenden, bin ich weitergezogen und habe mir neue Dinge angeeignet. Was hat Sie nach New York geführt? Musik- oder Erdtöne? Ich ging nach New York, um Saxofon zu spielen, ­verwendete aber auch den anderen Ton, um Schwalbennester für mein Zimmer zu formen, denn ich hatte das Bedürfnis, etwas Natürliches, Vertrautes in meine Wohnsituation zu integrieren. Das war mein erster Kontakt mit Keramik. Ich baute Nester, so wie Schwalben Tonklumpen mit Speichel zusammenfügen, und hängte sie als heimatliche Intervention an die Decke. Kurze Zeit später habe ich einen Keramikstand auf einem Künstlermarkt entdeckt. Besonders fasziniert hat mich ein Porzellan mit einem Schwammmuster aus gesprenkeltem Kobaltblau. Das war Auslöser für einen Keramikkurs, den ich mir durch diverse Jobs in Restaurants verdient habe. Die Arbeit mit Keramik ging mir leicht von der Hand. Aus Geschick und lustvoller Freude wurde immer mehr. In der Parsons School of Design in New York habe ich einen Studiengang für Keramik belegt. Ich war oft der Letzte, der die Werkstatt verließ. Das Saxofon­spiel trat nach und nach in den Hintergrund. Es war ein fließender Übergang vom „harmolodischen“ Jazz zur Töpferscheibe. Wie ist Ihnen der Sprung nach Asien gelungen? Mich haben während des Studiums besonders Objekte aus Asien interessiert. Ich las alles, was ich darüber in Erfahrung bringen konnte. Ich war mit einer Japanerin zusammen, die mir den Kontakt zu einem japanischen Meister vermittelte. Das halbe Jahr vor meiner Abreise habe ich genutzt, um mir die Sprache anzueignen und so viel wie möglich über die japanische Lebensart zu lernen. Wenn ich etwas mache, dann intensiv und voller Enthusiasmus. Was ist der größte Unterschied zwischen westlicher und japanischer Technik? Anfangs war mir rätselhaft, was meine japanischen Lehrer an erdfarbenen, asymmetrischen, sogar fehlerhaften Dingen attraktiv fanden. Aber schließlich sah ich, dass es ihnen nicht um die Verherrlichung von Glanz, sondern um Geschichten geht. Ablesbare ­Spuren der Herstellung vermitteln mehr vom Geist des Töpfers und der Natur der Materialien. Zeichen der Benutzung, selbst Beschädigungen, fügen einen narrativen Aspekt hinzu. Es geht also nicht in erster

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FOTOS: LISA EDI

HARMONIE ZWISCHEN BAUERNSTUBE UND JAPANISCHER KLARHEIT Auf einer fußgetriebenen Töpferscheibe formt Matthias Kaiser besondere Kunst- und Alltagsgegenstände.

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STILVOLLE UNIKATE Der Ton ist ein Naturprodukt, das auch Stoffe wie Eisenerz, Sand und Quarz enthalten kann.

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PORTR ÄT

Linie um Technik, sondern um die Abbildung von Charakter in Relation zu Materie und Zeit. Diese Ästhetik hat ihre Wurzeln zweifellos im Shintoismus, dem Glauben an eine beseelte Natur. Das Unregelmäßige wird besonders geschätzt? Ein Betrachter aus dem Westen assoziiert dabei wahrscheinlich zuerst einmal stümperhaftes Handwerk. Das ist aber ein Trugschluss, denn es geht um die tiefstmögliche Verinnerlichung des Technischen bis zu dem Punkt, an dem eine Demonstration von Können überflüssig wird. Das ist wirklich ein langer Weg. Man sagt, dass man das Alter des Töpfers an seinen Teeschalen (Chawan) ablesen kann. Diese Schalen sollen den Menschen widerspiegeln, der ja auch nicht perfekt ist, aber die Reife erlangt hat, dies auch nicht mehr vortäuschen zu wollen. Authentizität zieht sich durch den gesamten Herstellungsprozess. Es werden aussagekräftige Materialen verwendet. Die Beschaffenheit des ungereinigten Tons, der auch Stoffe wie Eisenerz, Sand und Quarz enthalten kann, gibt der Schale die zusätzliche Dimension des Tsuchi-aji, des Geschmacks des Tons. Es ist ein respektvoller Umgang mit den Grundstoffen, der es dem Künstler erlaubt, sich zurückzunehmen und in einen Dialog mit seinen Ressourcen zu treten.

FOTOS: LISA EDI; ELSA OK A Z AKI

Wodurch lassen Sie sich inspirieren? Ich empfinde Kreativität als eine Art Reservoir, über Jahrzehnte gefüllt, in dem sich Altes und Neues ­vermischen und in das man tauchen kann, um Ideen herauszuholen. Ich war immer auf der Suche nach direkten und authentischen Erfahrungen. Alles fließt ein, Visuelles, Spirituelles und auch vieles, was nicht so lustig ist. Es hilft, wenn man offen und aufmerksam ist. Vielleicht ist der Blick dafür durch meine Naturerfahrungen geschärft worden. Ich habe mich aber auch immer wieder Situationen ausgesetzt, die mich erschüttert haben. Man ist ­verletzlich, wenn man in anderen Ländern lebt und arbeitet, ohne zunächst die Sprache zu verstehen. Dadurch entstehen Sensibilisierungen und Wunden, durch die man einerseits Sicherheit ­verliert, aber andererseits bereichernde Erfahrungen ­eindringen können. Inzwischen können Sie sehr gut von Ihrer Kunst leben. Was bedeutet Geld für Sie? Zum Glück habe ich kein Problem damit, mich von ­Stücken zu trennen. Ich sehe jede Arbeit als Stufe zu einer noch besseren Arbeit. Der Verkauf schafft Raum für Entwicklung. Andererseits kann ­finanzieller Erfolg auch dazu verleiten, in eine kommerzielle ­Richtung zu gehen. Ich versuche, das zu vermeiden. Wenn ich das Gefühl habe, nicht ausreichend kreativ gefordert zu sein, weil viele Kunden immer wieder ­ähnliche Stücke nachfragen, dann erfinde ich Projekte wie The Loyal Exports. Bei diesem Projekt, das ich

UNVERWECHSELBARER STIL Der Ton der Region gibt dem Künstler „wunderbar viel Gestaltungsfreiraum“. Kein Objekt gleicht dem anderen.

­ inmal jährlich durchführe, verkaufe ich ­ e spannende neue Arbeiten für ein Euro pro Stück auf lokalen M ­ arktplätzen in Indien oder Afrika. Zu Ihren erfolgreichsten Produkten gehören Chawan. Was trinkt man daraus? „Chawan“ bedeutet „Teeschale“. Gemeint ist eine Schale für Matcha, pulverisierten grünen Tee, wie er bei Teezeremonien oder auch im Alltag in Japan und Korea getrunken wird. Die Schalen haben eher die Größe von Müslischalen, denn der Tee wird darin mit einem Teebesen aus Bambus zubereitet. Allerdings haben diese Gefäße eine tiefe kulturelle Bedeutung und können ohne Weiteres als gelebte Skulpturen verstanden werden. Interessant ist die Verfeinerung, die jedem Aspekt der Formgebung und Oberflächengestaltung zugrunde liegt. Diese Attribute können nicht gefälscht oder vorgetäuscht werden. Sie entstehen als Improvisation und können, genau so wie Musik, nicht zurückgerufen oder ausgebessert werden. Das ist die Herausforderung. Meine Chawan sind immer noch Anfängerstücke. Haben Sie eine Lieblingstasse? Ich verwende gern Keramik befreundeter Künstler oder auch Antiquitäten, seltener meine eigenen Werke. Da fallen mir oft nur die Unzulänglichkeiten ins Auge. Seltsam, denn ich liebe eigentlich Mängel, so wie bei meiner Lieblingsschale, die ich in einem Basar in Mumbai gekauft habe. Obwohl sie aus einer Fabrik stammt, ist sie so fehlerhaft, dass sie eine ­liebenswürdige Persönlichkeit hat. - TI 55


GELUNGENES UPCYCLING

Die Manufaktur Benguela aus Südafrika fertigt aus alten französischen We i n f ä s s e r n K ü c h e n b r e t t e r. A u f s o e i n e m U n i k a t muss sich ein würziger Fromage wie z u Hau s e f ü h l e n . 4 9 , 9 5 € , w w w. n e f f . d e / e S h o p

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VERSCHÖNERT

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PFLANZENDRINKS

DIE MILCH, DIE KEINE IST S I E Ä H N E LT I H R , I S T A B E R AU S S OJA , D I N K E L , N Ü S S E N O DE R R E I S . AC H T P F L A N Z L IC H E A LT E R N AT I V E N Z U R T I E R M I L C H I M C H E C K U N S E R E R E R N Ä H RU N G S E X P E R T I N .

T E X T _ _ _ I N G A PAUL S EN _ _ _ R E INH ARD H UN GER FO O D - ST Y L IN G _ _ _ CH RISTOPH H IM M EL FOTO S

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HOCHGEKOCHT

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2 4 1 3 HOCHGEKOCHT

MANDELMILCH*

SOJAMILCH*

Das Getränk hat als süße oder salzige ­Variante in China Tradition und ist auch hierzulande inzwischen fast ein Klassiker unter den Milchersatzproduk­ ten: Sojadrinks werden aus getrockneten Sojabohnen und Wasser hergestellt. Mit einem Sojamilchbereiter kann man sie in circa 20 ­Minuten übrigens auch in der eigenen Küche produzieren. Als pure Variante kann sie Kuhmilch im Kaffee, Cappuccino, Shake und auch beim Backen und Kochen ersetzen. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 54 kcal, 1,8 g Fett, 6 g Kohlenhydrate, 3,3 g Eiweiß. Verkostung: Etwas wässriger als das Original, leichtes Getreide­aroma, dezent süß. Preis: 1 Liter kostet circa 1 Euro. F A Z I T : Sojamilch ist ideal als flüssige Zwischenmahlzeit, denn der Eiweißgehalt sättigt; reichlich Folsäure, zellschützende Saponine und Flavonoide wirken gesundheitsfördernd. Wichtig: Bevorzugen Sie Bioware, wenn Sie Wert auf gentechnikfreie Produkte ohne Zusatzstoffe legen.

Schon im Mittelalter war es üblich, sich durch einen Trunk aus gestanzten Mandeln, Wasser, Gewürzen und Früchten zu stärken. Eine frisch zubereitete Mandelmilch ist lecker, nahrhaft und reich an Vitaminen, Mineralien und gesunden Fetten. Mandelmilchprodukte aus dem Supermarkt enthalten allerdings oft nur einen geringen Anteil an Mandeln, dafür aber reichlich Wasser, Zucker und Zusatzstoffe. Mandelmilch schmeckt pur und sorgt in Shakes, Desserts oder veganen Suppen für eine feine Cremigkeit. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 24 kcal, 1,1 g Fett, 3 g Kohlenhydrate, 0,5 g Eiweiß. Verkostung: Selbst gemachte Mandelmilch schmeckt mild süß und leicht nach Marzipan, den Produkten aus dem Handel bleibt nur ein Hauch des natürlichen Mandelaromas erhalten. Preis: 1 Liter kostet 2,75 Euro. F A Z I T : Selbst ge­mach­ te Mandelmilch ist eine leckere und gesunde Alternative zu Kuhmilch, denn Mandeln enthalten wertvolle B-Vitamine, die Anti­oxidanzien Vitamin E, Kalium, Kalzium und Eisen. Fertigprodukte aus dem Handel sind deutlich teurer als Kuhmilch und enthalten weniger Vitalstoffe.

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REISMILCH*

NUSSMILCH*

Auch aus Hasel-, Maca­ damia- oder Ca­shew­ nüssen kann eine vegane Milch hergestellt werden: Sie ist reich an gesunden Fettsäuren, Vitaminen, Mineralien und passt perfekt zu Müsli, Shake oder für die Zubereitung von Desserts und Gebäck. Leider sind bei handelsüblichen Nussdrinks meist nur 2,5 Prozent Nüsse enthalten, der Rest des Packungsinhalts wird mit Wasser, Zucker, Stabilisatoren, Emulgatoren und Aromen aufgefüllt. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 29 kcal, 1,6 g Fett, 3,1 g Kohlenhydrate, 0,4 g Eiweiß. Verkostung: Schmeckt ein wenig süß, aber vor allem deutlich nach Nuss. Preis: 1 Liter kostet circa 2,50 Euro. F A Z I T : Selbst gemachte Nussdrinks sind eine leckere, ­laktose- und cholesterin­ freie Milchalternative. Wichtig zu wissen: Viele industrielle Nussdrinks können, was den Gehalt an Eiweiß, Vitaminen und Mineralien angeht, nicht an das Originalprodukt heranreichen und sind deutlich teurer.

Für die Herstellung dieses Drinks wird Vollkornreis gemahlen, gekocht und gepresst. Anschließend wird die Masse fermentiert, gefiltert, mit Pflanzenöl versetzt und emulgiert. Von den Inhaltsstoffen des vollen Korns bleibt kaum etwas übrig, weshalb zahlreiche Hersteller das Reisgetränk mit Salz, Zucker, Aromen und sogar Vitaminen und Mineralstoffen anreichern. Reismilch kann wie Kuhmilch pur oder gemixt verzehrt werden, sie eignet sich aber auch zum Backen und Kochen. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 47 kcal, 1 g Fett, 9 g Kohlenhydrate, 0,3 g Eiweiß. Verkostung: Pur sehr wässrig, mit einer sehr dezenten Milchreisnote. Preis: 1 Liter kostet circa 2 Euro. F A Z I T : Der Vitaminund Mineraliengehalt von Reismilch liegt niedriger als der von echter Kuhmilch. Reismilch ist zwar weder als Eiweißquelle noch als Kalziumquelle geeignet, allerdings für Allergiker ideal.


6 8 5 7

HAFERMILCH*

Wer Haferflocken in Wasser einkocht, püriert und dann durch ein Sieb gießt, erhält im Glas die purste Form des Haferdrinks. Er ist fettarm, cholesterinfrei und enthält – im Gegensatz zu tierischer Milch – Ballaststoffe. Das Aroma passt gut zu Rezepten mit Gewürzen wie Kakao, Vanille, Zimt oder Tonkabohne und eignet sich für Shakes und Müslis. Auch beim Backen kann Hafermilch gut eingesetzt werden. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 41 kcal, 1,1 g Fett, 7 g Kohlenhydrate, 0,6 g Eiweiß. Verkostung: Der Drink hat einen intensiven Hafergeschmack. Gut geschüttelt erinnert seine Konsistenz an tierische Milch. Preis: 1 Liter kosten circa 2 Euro. F A Z I T : Ein Glas des Haferdrinks liefert wertvolle B-Vitamine und Mineralstoffe wie Magnesium, kann aber mit dem Kalziumgehalt von Milch nicht mithalten. Negativ: Auf der Zutatenliste eines industriell hergestellten Haferdrinks finden sich Pflanzenöl, Salz, Aromen, Süßstoffe und Konservierungsstoffe.

DINKELMILCH*

KOKOSMILCH*

Für die Herstellung von Dinkelmilch werden Getreidekörner zwölf Stunden eingeweicht, in ein Sieb gegeben, anschließend mit Wasser püriert und dann abgeseiht. Was an ­Flüssigkeit übrig bleibt, ist kalorienarm und enthält einen Teil der Vitamine und Mineralstoffe des Urkorns. Bei Industriedrinks liegt der Dinkelanteil bei elf Prozent, der Rest sind Wasser, pflanzliches Öl und aromatisierende Zutaten wie etwa Meersalz. Geschmacklich eignet sich Dinkelmilch zum Mixen von Smoothies oder als Müsli- und Backwarenzutat. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 45 kcal, 1,5 g Fett, 8,4 g Kohlenhydrate, 0,8 g Eiweiß. Verkostung: Das Produkt riecht und schmeckt sehr nach Getreide. Vorm Verzehr schütteln, damit die Konsistenz milchähnlich wird. Preis: 1 Liter kostet circa 2,10 Euro. F A Z I T : Ebenso wie alle anderen veganen Drinks ist auch Dinkelmilch für Menschen mit Laktoseunverträglichkeit und Milcheiweiß ­allergie eine Alternative. An den Geschmack muss man sich g ­ ewöhnen.

In ihren Herkunfts­ ländern ist die Milch der Kokosnuss ein Grundnahrungsmittel. Für die Herstellung wird das Fruchtfleisch gemahlen und gepresst. Kokosmilch ist reich an Kalium, Natrium und M ­ agnesium. Das Besondere ist der relativ hohe Fettgehalt, auch wenn dieser größtenteils auf gesunden mittelkettigen Fettsäuren beruht. Der intensive Geschmack passt zu fruchtigen Shakes, Cocktails und asiatischen Gerichten. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 160 kcal, 18 g Fett, 1,8 Kohlenhydrate, 1,8 Eiweiß. Verkostung: Die pure Variante schmeckt cremig, fruchtig-süß. Verdünnte Drinks sind fader. Preis: 1 Liter kostet circa 5 Euro. F A Z I T : Gesunder ­Sattmacher. Wer aller­ dings auf Figur und Geldbeutel achten will, sollte nicht zu oft „ins Glas ­schauen“.

HANFMILCH*

In Hollywood ist der Drink aus Hanfsamen besonders angesagt. Kein Wunder, denn Hanf ist cholesterinfrei und reich an herzgesunden Omega-3-Fettsäuren. Jede Menge Magnesium macht Hanfmilch ideal fürs Sportlerfrühstück. Hanfmilch gilt darüber hinaus als leicht verdaulich und eignet sich auch zum Kochen und Backen. Nährstoffe im Tetrapak: 100 ml des Produkts enthalten 37 kcal, 2,7 g Fett, 1,9 g Kohlenhydrate, 1 g Eiweiß. Verkostung: Der Drink ist etwas cremiger als Kuhmilch und hat ein leicht nussiges Aroma. Preis: 1 Liter kostet circa 2,80 Euro. F A Z I T : Die deutlich höhere Investition in diese Alternative zu Milch lohnt sich in Sachen Geschmack und Verträglichkeit.

* In Deutschland darf nur als „Milch” bezeichnet werden, was aus dem Euter von Tieren fließt. Deshalb steht auf allen milchähnlichen Erzeugnissen „Drink“. Wir schreiben in diesem Text trotzdem „Milch“, weil sich dies im Sprachgebrauch auch für vegane Alternativen durchgesetzt hat. 61


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HOCHGEKOCHT

DIE MILCH MACHTʼS, IMMER NOCH JA H R Z E H N T E L A N G WA R DA S I M AG E DE R M I L C H P O S I T I V: S I E WA R G E S U N D, DA R A N B E S TA N D K E I N Z W E I F E L . I N Z W I S C H E N S C H E I N T S I E I H R E N G U T E N RU F V E R L O R E N Z U H A B E N . Z U U N R E C H T, F I N DE T U N S E R KO L U M N I S T.

T E X T

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P H I L I P P

FOTOS: THINKSTOCK; R. HUNGER

DER HAUSMEISTER TRUG EINEN G ­ RAUEN K I T T E L U N D E I N E S C H I F F E R M Ü T Z E und di-

rekt neben der Turnhalle verkaufte er Vanillemilch, halber Liter 30 Pfennig. Der kleine Verkaufsstand war in jeder Pause geöffnet und the place to be in meiner Grundschule, genau wie Vanillemilch das Must-­haveProdukt war. Die daneben angebotene Erdbeer- und Schokoladenmilch lief zwar weniger gut, aber über die Schulmilch an sich gab es in den 80er-Jahren kein Vertun: Milch, das war allen klar, ist gesund. Neulich aber stand ich mit drei weiteren Eltern vor der Grundschule meiner Tochter, wir warteten und redeten über Milch. Ich hatte gerade welche gekauft. Eine Mutter erklärte mir, Milch zersetze die Kno­chen. Ein anderer Vater bestritt, dass Europäer Milch vertrügen. Der dritte Elternteil war erleichtert, dass es mittlerweile keine Schulmilch mehr gebe, weil die alle möglichen Zivilisationskrankheiten auslöse. Milch, das war allen

K O H L H Ö F E R­­

dreien klar, ist ungesund. Eine lautstarke Minderheit geht mittlerweile sogar davon aus, dass Milchtrinker früher sterben. In manchen Hips­ter-Gegenden in deutschen Großstädten hat man den Eindruck, dass niemand mehr Milch vertrage. Was habe ich verpasst? Gut, Milch hat keinen leistungssteigernden Effekt. ­Mü­de Männer macht sie nicht munter, wie das eine Werbekampagne in den 1950ern behauptete. Doch es steckt viel Gutes in ihr: Aminosäuren, Kalium, Magnesium, Jod, fettlösliche Vitamine und viel mehr Kalzium als in jedem anderen Lebensmittel. Diese Nährstoffe kann man zwar auch ohne Milch aufnehmen – sie ist daher kein unentbehrliches Grundnahrungsmittel –, allerdings war es für unsere Vorfahren einfacher, die Nährstoffe mit der Milch zu sich zu nehmen, als mühsam Gemüse zusammenzusuchen, um den Bedarf ab­ zu­ decken. Denn kaum ein anderes Produkt steht symbol­ hafter für die sogenannte Ko-Evoluti63


on von Mensch und Tier als Milch: Unsere Haustiere Kuh, Schaf, Schwein und Ziege wurden ursprünglich im Mitt­le­ren Osten domestiziert und mit der Zeit nach ­Europa überführt. Die gemeinsame Geschichte von Kuh und Europäern ist nun schon fast 8.000 Jahre alt. Wir wur­den laktosetolerant, weil Milch verfügbar war und uns beim Überleben half. Die Anpassung mensch­licher Gene an das Tierprodukt Milch lief ver­­ hältnismäßig schnell ab, sodass Joachim Burger sagt: „Die Um­wand­lung ist eine der stärksten evolutionären Kräfte, die wir je im Genom des Menschen festgestellt haben.“ Burger ist Professor der Anthropologie an der Universität Mainz und für seine Forschung zur Milchverträglichkeit bekannt. Heute vertragen etwa 85 Prozent der Deutschen Milch ohne Probleme. Dass Milch uns Menschen grundsätzlich schade, ist als These ohnehin schwer haltbar. Nehmen wir die Osteo­ porose: Asiaten – Tiermilch ist unter ihnen nicht be­ son­ders populär – haben im Alter weniger Kno­chen­ schwund als Europäer oder Nordamerikaner. Daraus aber zu folgern, dass es besser für die Knochen sei, keine Milch zu trinken, ist wissenschaftlich nicht halt­ bar. Denn: Kalzium ist neben Bewegung, Alter und Son­nen­einstrahlung nur einer von mehreren Fak­to­ ren für die Knochenschwäche. Die Lebens- und Essge­ wohn­heiten von Europäern und Amerikanern sind mit denen von Asiaten ohnehin schwer vergleichbar. 64

Das inzwischen negative Ansehen von Milch in unserer Gesellschaft ist eher politischen und kulturellen Ver­ än­derungen geschuldet. So waren Milchprodukte im Zweiten Weltkrieg in Deutschland Mangelware. Da­ mit niemand sie vermisste, wurden sie von der Pro­pa­ ganda als gesundheitsgefährdend und deshalb nicht emp­fehlenswert „beworben“. Hinzu kam, dass sich frü­ he­r sehr häufig Verunreinigungen in der Milch befanden – Bauern streckten sie mit Wasser, um die Pro­duk­ tionskosten zu senken. Erst 1930 wurde per Ge­setz die Reinheit der Milch vorgeschrieben und be­stimmt, dass sie vor dem Konsum erhitzt werden muss, um Krank­heitserreger abzutöten. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg war es nicht ungewöhnlich, dass Men­schen sich über die Milch mit Tuberkulose infizierten. In der Nachkriegszeit wurden dann verstärkt Lebensmittel mit einem hohen Fett- und Kohlenhydratanteil benötigt, große Teile der Bevölkerung litten an Hunger. Die Milchwirtschaft wurde subventioniert. Das klappte so gut, dass es nach wenigen Jahren ein hö­he­res Angebot an Milch gab als Nachfrage. Um den Überschuss zu verringern, dichtete die Milchwirtschaft ihrem Produkt allerhand positive Eigenschaften an, die sie nicht hatte. Angeblich machte Milch plötzlich müde Männer munter. Als dann in den 50er-Jahren Milchbars boomten, wurde „Milch“ im öffentlichen Bewusstsein schnell zum


HOCHGEKOCHT

I N DE N

1980ern MILCH I S T G E SU N D. J E DE R W U S S T E DAS .

Sy­nonym für „Wirtschaftswunder“. Der Milchkonsum in Euro­pa wuchs rasant. Ab 1977 förderte dann sogar die Europäische Gemeinschaft [EG, Vorgänger der EU; Anm. der Red.] die Abgabe von Milch an Schulen. Dass diese Maßnahme zusammenfällt mit der damals als Milchsee bekannten Überproduktion, mag Zufall sein oder auch nicht, denn in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren produzierten Bauern so viel Milch, wie sie wollten. Irgendwer musste die trinken. Zwar gab es da­ für keinen Markt, aber es fand sich ein Ab­nehmer: Die EG kaufte, was auf dem Markt nicht abgesetzt werden konnte, zum Garantiepreis. Für die Überschüsse war jeder Abnehmer willkommen, auch Schulkinder. Weil aber der Milchsee immer größer wurde, führte man am 1. April 1983 die Milchquote ein. Die Cen­trale Marke­ting-Gesellschaft der deutschen Agrarwirt­schaft (CMA) kümmerte sich um die Vermarktung. Milch wur­ de end­gültig zum Lifestyle-Produkt. „Tu, was dich freut, wofür du lebst, wovon du träumst, wonach du strebst, hab Spaß, die Milch macht’s. Setz alles ein, das Beste kommt nicht von allein, die Milch macht’s“, so wurde den Deutschen in den 80er-Jahren in TV-Spots die Milch schmackhaft gemacht. Die Milchquote existierte bis April 2015. Sie konnte nicht verhindern, dass in den letzten 30 Jahren knapp 80 Prozent aller Milchbetriebe verschwanden. In der öffentlichen Wahrnehmung änderte sich das Bild

der Milch, denn immer mehr wurde über das Leben von Hochleistungskühen in der Massentierhaltung ­bekannt. Im Bewusstsein der meisten Verbraucher ist Milch ­heute nichts anderes als ein Industrieprodukt. Als ich noch ein Kind war, haben mich meine Eltern zum Bauern um die Ecke zum Milchkaufen geschickt. Der Liter hat damals eine Mark gekostet. Das ist 30 Jahre her. Bis zum November 2016 sank der Preis, den die Molkereien an die Bauern zahlen, im Durchschnitt auf knapp 30 Cent. Wollte man also den gesellschaftlichen Wert der Milch wieder steigern, müsste man wahr­scheinlich einfach die Milchpreise anheben. So könnten nebenbei die Milchbauern überleben und die Kühe ein wür­ diges Leben führen. Vielleicht hat die Abkehr von der Milch in einer Zeit, in der man sich durch Kleidung, Musikkonsum oder Sexualverhalten nicht mehr abheben kann, aber auch nur den gleichen Stellenwert wie der Kauf neuer Sneakers. Darin wiederum spiegelt sich der Versuch des Mas­senmenschen, individuell zu sein, indem man sich um seine Ernährung kümmert und sich aufgeklärt und einzigartig zeigt. Sollten wir also doch auf Sojamilch umsteigen? Dazu nur eines: Um einen Zusammen­hang zwischen Soja und verschiedenen Krankheiten her­ zustellen, bedarf es nur einer etwa zweisekündigen Internetrecherche. - TI 65


HEIMARBEIT

R EIFEPRÜFUNG K ÄSEHERSTELLU NG IST IM GRU NDE D I E K U N S T, M I L C H KO N T RO L L I E R T G A M M E L N Z U L A S S E N . WOR AU F M A N AC H T E N M U S S , DA M I T E I N KÖ S T L IC H E S E N DE RG E B N I S E N T S T E H T ? E I N E X PE R I M E N T.

T E X T

ES GIBT GUTE BAKTERIEN

und es gibt böse Bakterien. Letztere sind im wahrsten Sinne des Wor­tes lebensgefährlich. Die guten Bakterien dagegen sind geradezu essenziell – wir brauchen sie für unsere Gesundheit oder für die Herstellung mancher Speisen. Zur Herstellung von Käse zum Beispiel. Wer also gute Bakte­ rienkulturen ge­zielt einsetzen will, muss eines tun: optimale ­Lebensbedingungen schaffen! Da ich bei einem kuli­na­ rischen Experiment auf die Gunst spezieller Mikroorganismen angewiesen bin, bereite ich ihnen auf meinem Herd ein warmes Milch­ bad. Neben mir wartet im „Käseselber-machen-­Starterset“ (www. kaese-selber.de) eine Horde Käse­ kulturen auf ihren Einsatz in der heimischen Küche. Homemade liegt im Trend Selbermachen liegt im Trend. Als Gegenbewegung zum Einheitsbrei aus dem Supermarkt boomen Kurse, in denen Fachleute Laien lehren, wie man Bier braut, Fisch

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I N G A

PAUL S EN

räuchert, wurstet oder Obst und Gemüse fermentiert. Auch ich bin eine begeisterte Followerin der Homemade-Bewegung. Denn was beim Erlernen der Basics tradi­ tio­neller Lebensmittelproduktion entsteht, schmeckt mir meistens ex­trem gut und erfüllt mein Herz nachhaltig mit so einer Art Handwerkerstolz. Ans Käsen habe ich mich bisher nicht getraut. Schien mir zu komplex, diese ganze Sache mit der Reifung. Schließlich ist jeder Maître fromager affineur eine Art Künstler. Aber da es mittlerweile Anfängerpakete zum Käsen im Internet gibt, starte ich jetzt doch einen Versuch. Das Set soll alles enthalten, was ich brauche. Und das ist definitiv schon mal mehr als gedacht: Me­s o­p hile­k ultur ME für Käse, Na­t ur­l ab­e xtrakt, eine Flasche­ Calciumchlorid (35-­pro­zentige Lösung), eine ge­loch­te Käseform mit einem Pressdeckel aus Kunststoff, ein Käsetuch und eine Käseabtropfmat­te. Nach ­Anleitung beginne ich mit dem Aufwärmen von

fünf Litern pasteurisierter Milch. Bei 25 Grad kommen ein Löffel Käsekulturen und 40 Trop­ fen in Wasser aufgelöstes Calciumchlorid dazu. Hat die Skala des Kochthermometers dann 36 Grad erreicht, muss das Kochuntensil vom Herd. Bei diesen Temperaturen geht’s meinen winzigen Helfern besonders gut und sie strotzen nur so vor Aktionismus. Unterstützt werden sie dabei von einem Milliliter in Wasser verdünntem Naturlab. Jetzt heißt es slow down, die Milch muss ganze 30 M ­ inu­ten ruhen. In dieser Zeit verwandeln Milch­säu­rebakterien und En­zy­me die liquide Mischung in eine schnittfeste Mas­se. Diese so­ge­nann­te Gallerte sieht aus wie im Anleitungsvideo und wird von mir dementsprechend weiterbehandelt. Mit einem scharfen langen Edelstahlmes­ ser schneide ich sie in Säulen. Dafür fahre ich zehnmal längs und zehn­ mal quer hindurch. Ich verharre zehn Minuten, damit sich die frei ge­wor­dene Molke absetzen kann,


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FOTOS: STOCKFOOD / G. SEPER; R. HUNGER


HEIMARBEIT

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J . A . B R I L L AT- S AVA R I N , S C H R I F T S T E L L E R

die Flüssigkeit aus dem Käsebruch. Und das recht langsam, denn es passt natürlich nicht alles auf einmal in die Form. Für die Masse brauche ich drei Abfülldurchgänge mit jeweils 15 Minuten Presszeit dazwischen. Der Vormittag ist bereits vorbei, als ich anfangen darf, den gepress­ ten Käsebruch zu wenden. Viermal nehme ich den Käseklumpen im Ab­ stand von jeweils 30 Minuten aus der Form, drehe ihn um und be­schwere ihn wieder mit dem Gewicht. In dieser Phase schrumpft meine Freude am eigenen Käse, denn der Arbeitsaufwand scheint mir in keinem Verhältnis zu dem Frisch­ käse-Laib zu stehen, der nach weiteren zwei Stunden weiß und grobporig vor mir liegt. Die gute Nachricht: Für heute ist Fei­ er­ abend, denn die nächsten 15 Stun­den soll der Laib abtropfen. Der Endspurt der Käsepro­ duk­ ti­ on beginnt am Tag darauf mit ei­ nem ausführlichen Bad in Salzlake. 100 Minuten später drapiere ich end­lich das Ergebnis vieler Stun­ den Arbeit in meiner nagel­neu­en Reifebox. At­mungsaktiv ver­packt

DE R E I N AUG E F E H LT.“

und wiederhole diesen Prozess in ­ähnlicher Form zwei wei­tere Male. Ich bin ein bisschen brüskiert: Denn inklusive der vorge­schrie­be­ nen Pausen ist das Er­gebnis nach fast zwei Stunden Arbeitseinsatz vom Schnittkäse noch immer weit entfernt. Nun sol­len die linsengroßen Kaseinkörner nochmals eineinhalb Stunden in Molke herumstehen und dabei alle 20 Minuten mit dem Löffel bewegt werden. Ich nutze die kurzen Pausen da­ zwi­ schen und surfe ein bisschen zum Thema Käsen durchs Internet. Dabei entdecke ich, dass jetzt der ideale Zeitpunkt wäre, dem Käsebruch Kräuter und Gewürze unterzumischen. Aber ich lasse lieber die Finger davon. Endlich klingelt mein Handytimer und ich kann mit dem nächsten Arbeitsschritt beginnen: das Abfüllen und Pressen des Bruchs. Ich stelle dafür die Käseform in ein halb­ hohes Gefäß, damit die Molke aufgefangen werden kann, und fülle dann die Masse hinein. Der passgenaue Deckel wird mit einem Gewicht (bei mir ist das eine Flasche Wasser) beschwert und drückt so

K Ä SE G L E IC H T E I N E R S C HÖN E N ,

MOLKE ABSEIHEN Vor dem Pressvorgang muss die Molke vom Käsebruch getrennt werden. Traditionell wird dafür ein Käsetuch oder eine gelochte Käseform verwendet. Die frisch erzeugte Süßmolke kann man übrigens trinken.

„ E I N NAC H T I S C H OH N E

SCHNEIDEN, RÜHREN, RUHEN Nach dem Eindicken der Milch wird diese mit dem Bruchschneider oder Messer zerkleinert und intermittierend gerührt. Die Größe der Kaseinkörner entscheidet unter anderem über die spätere Konsistenz des Käses.


HEIMARBEIT

4

darf mein Baby jetzt auf einem Edel­ stahl­ git­ ter vier bis acht Wo­ chen sein Aroma entwickeln. Ab und an werde ich seine Hülle mit Salz­wasser einpin­seln und das gu­ te Stück wen­den, den Rest macht hoffentlich die Natur. Ich schie­be ihn in die wärmste Zone des Kühlschranks und gönne mir ein Glas von der Molke, die quasi als Nebenprodukt entstanden ist. Also, die schmeckt schon mal lecker!

mel entdecke. Ob dieser wohl auf meinen Käse überspringen wird? Diese Frage sende ich direkt an das Support-Team der DIY-Box. Man rät mir, die Reifung abzubrechen und den noch unver­sehrten Käse einfach direkt zu verzehren. Weil er Feta ähnelt, mariniere ich den gesamten Laib in Olivenöl mit getrockneten Kräutern und Chili. Zwei Tage später wird serviert. Das Ergebnis ist echtes Seelenfutter: die Konsistenz leicht cremig, das Aroma würzig. Der Frust über den vorzeitigen Abbruch weicht einem Glücksgefühl. Mein persönliches Fazit: Ja, man kann zu Hause einen Käse her­ stellen, aber es ist kein Blitzgericht. Man muss sehr sauber arbeiten, braucht viel Zeit für die Vorbereitungen. Wenn ich das nächste Mal auf dem Markt einen Käse kaufe, werde ich mich nicht mehr über die hohen Preise mancher Sorten wundern, sondern eher bewundern, welche Vielfalt Käse­her­steller und Affineure aus einer Grundzutat kreieren können. Ob ich es noch einmal versuchen werde? Pardon, ein bisschen Geduld bitte. - TI

Unter familiärer Beobachtung Das Experiment entwickelt sich in den nächsten Tagen zu einem Familienprojekt. Meine zwei Söhne, mein Ehemann und ich – wir alle schauen beim Öffnen des Kühl­ schranks zuerst auf die Entwicklung des zylinderförmigen Zög­lings. Auch dem interessierten Be­su­cher wird das gute Stück nicht vor­ent­halten. Bei der Pflege des Käses mit Salzlake spüre ich, wie sich der Frischkäse verwandelt. Er wird ein bisschen fester, die Hülle schrumpelt ein wenig. Alles läuft nach Plan. Bis ich nach etwas mehr als einer Woche unterm Abtropf­ rost einen winzigen Klecks Schim-

B I L L M U R R AY, S C H AU S P I E L E R

ZUR BESTFORM REIFEN Rund oder zylindrisch: Darüber entscheidet das Pressverfahren. Die Farbe der Rinde hingegen hängt von der Behandlung in der Reifezeit ab. Für eine orange oder flaumige weiße Hülle sind zum Beispiel spezielle Kulturen nötig.

FA K E BU T T E R , C H E E SE OR PE OPL E .“

AUSPRESSEN DES KÄSEBRUCHS Durch das wiederholte Schnüren des Seihtuchs wird es eng um die Käsemasse, weitere Flüssigkeit entweicht. Bei einer Käseform kommen zu diesem Zweck ein Pressdeckel und ein Gewicht zum Einsatz.

„ L I F E I S T O SHORT FOR

F O T O S : A I L I N E L I E F E L D (1); S T O C K F O O D ( 2); R . H U N G E R (1)

3

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LETZTE FRAGE

SCHULD UND SÜHNE JEDER DEUTSCHE TRINK T IM DURCHSCHNIT T 54 LITER K U H M I L C H P R O J A H R . Z Ä H LT M A N M I L C H M I S C H G E T R Ä N K E DA Z U , KO M M E N W I R G A R A U F 91 L I T E R . D O C H E I G E N T L I C H I S T T I E R I S C H E M I L C H N I C H T F Ü R U N S G E M AC H T. WA S S AG T D E R M I L C H KO N S U M Ü B E R U N S M E N S C H E N A U S?

IMPRESSUM

T E X T

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P H ILIPP

K O H L H Ö F E R­­

Ich bin ein Dieb. Sagen zumindest die Veganer unter meinen Freunden. Ich trinke Kuhmilch. Ich stehle dem Kalb die Nahrung.

KONZEPT UND REDAK TI ON : Philipp und Keuntje GmbH Bei St. Annen 2 20457 Hamburg Tel. +49 40 28 00 70-0 kontakt@philippundkeuntje.de www.philippundkeuntje.de

Sie haben nicht unrecht. Tatsächlich sind wir das einzige Lebewesen, das Milch anderer Tiere nutzt, um uns als Erwachsene zu ernähren: Die längste Zeit seiner Existenz kam der Mensch ohne sie aus. Erst vor etwa 8.000 Jahren sorgte eine Genmutation dafür, dass die ersten Jungsteinzeitler auf dem Balkan Milch vertrugen – das war ein Überlebensvorteil, schließlich waren aus Jägern und Sammlern gerade erst Landwirte geworden. Missernten waren damals normal.

GESCHÄFT SFÜHRER: Dominik Philipp, Hartwig Keuntje, Torben Hansen, Wolfgang Block Amtsgericht Hamburg, HRB 69344 USt.-IdNr. DE 812628667 CHEFREDAK TEUR: Oliver Zacharias-Tölle S TELLV. CHEFREDAK TION : Vito Avantario, Franziska Wischmann AR T DIRECTIO N: Christine Köhler CHEF VO M DIENS T: Kai Weise REDAK TION: Inga Paulsen, Philipp Kohlhöfer, Alexander Penzel, Ina Brzoska BILD REDAK TIO N: Kerstin Richter ILLUS TRATIO NEN: Ela Strickert, Mona Dessaul FOOD S T YLING: Christoph Himmel POS T-PRO DUCTION: FOAG & Lemkau GmbH Joseph-Wild-Straße 13 81829 München SCH LUS SREDAK TIO N: Gunnar Hinrichs PAR TNER: Constructa-Neff Vertriebs-GmbH Carl-Wery-Straße 34 81739 München www.neff.de D R UCK: WEBER OFFSET GMBH 25/12/2017

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krank. Mal ist wieder alles halb so wild. Dabei gibt es nur einen Grund, warum wir begannen, Milch zu trin­ ken: Das war besser als zu ver­hun­ gern. Wesentlich zum Erfolg der Spezies Mensch hat nämlich bei­ge­ tragen, dass wir Allesfres­ser sind. Wir trinken Milch, weil die übergroße Mehrheit von uns es ein­fach verträgt. Nicht mehr, nicht weniger.

Allerdings gibt es nichts, was ori­gi­ när für die menschliche Ernährung geschaffen wäre, weder Tier noch Pflanze. Letztlich ist selbst Ge­trei­ de nur ein Gras, das wir zweck­ent­ fremdet haben. Geschadet hat uns das nicht: Noch nie in der Mensch­ heits­geschichte standen so viele un­ terschiedliche, sehr schmackhaf ­te und überaus gesunde Produkte zur Ver­fü­gung wie heute. Dennoch ist um viele Lebensmittel eine Emp­ findlich­keit entstanden, die kultur­ pessimistisch daherkommt.

Vermutlich brauchen aber auch jene Menschen Ersatzreligionen, die weniger religiös sind. Essen ist eine davon. Der Milchkonsum belegt es deutlich: Er ist der größte Um­satzbringer der Landwirtschaft. Jährlich produziert die deutsche Milch­wirtschaft mehr als 30 Millio­ nen Tonnen Rohmilch. Gab eine ein­ zelne Kuh früher acht Liter am Tag, sind es mittlerweile 50. Das führt zu Euterentzündungen, ab­neh­mender Fruchtbarkeit, Klauen- und Gebärmuttererkrankungen. Sel­ten werden Milchkühe heute äl­ter als fünf Jahre, obwohl ihre natürliche Lebenserwartung bei etwa 25 Jahren liegt. Der exzessive Milchkonsum sagt aber nichts über unsere Liebe zur Milch aus, sondern mehr über unser Selbstverständnis als Lebewesen. Über die Stellung, die wir uns in der Natur einräumen.

So wird etwa behauptet, dass doof und fett wer­de, wer zu viel Weizen isst. Vielleicht löse das sogar Krebs aus. Auch Milch ist mittler­wei­le um­ stritten: Mal heißt es, sie mache

Deshalb wäre viel gewonnen, würden wir endlich damit beginnen, Kühe nicht bloß als Produktlieferanten zu sehen. Ich sollte weniger Milch trinken. - TI


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DIE MILCH AUSGA BE 4


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