Windsurfing Journal Ausgabe 02

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test „frühgleit“segel

test „frühgleit“segel

SEGELTEST

Texte Alexander Lehmann © Fotos Lars Wehrmann & Andi Jansen

Für unseren Test in diesem Windsurfing Journal wollten wir der Frage nachgehen, wie zweckdienlich die Frühgleitsegel wirklich sind. Denn wenn wir mal ehrlich an die Anfänge des Windsurfens zurückdenken, gab es diese Segel doch schon einmal: Vor gut 20 Jahren … Ich erinnere mich noch an die Zeiten, als mein größtes Segel in der Range 6.0 Quadratmeter hatte. Etwas Größeres gab es zwar schon, es war allerdings überhaupt nicht sinnvoll und so vermisste ich es auch nicht. Das 6.0er hatte so einen tiefen Bauch, dass man schon bei unteren vier Windstärken ins Gleiten kam. Das war richtig cool und man hatte eine Menge Spaß. Leider hörte der Spaß dann auch relativ schnell wieder auf, denn schon mit einer knappen Windstärke mehr wurde das Segel unkontrollierbar und man musste umriggen … Das Problem beim Schopfe packend fing die Industrie an, Segelprofile zu entwickeln, die immer steifer wurden und damit ermöglichten, dass man die Segel immer länger fahren konnte. Leider verlor man dabei irgendwann die Angleitperformance außer Acht, sodass man anstatt eines 6.0ers schon bald ein 8.0-Quadratmeter-Segel fahren musste. Am extremsten wirkte sich diese Entwicklung auf Racesegel aus. Wenn man sich anschaut, welche Segelgrößen im Worldcup bei richtig viel Wind gefahren werden, kann einem angst und bange werden. Aber diese Segel müssen auch so sein, denn hinsichtlich ihrer Topperformance gibt es nichts Besseres. Gute Angleiteigenschaften rückten bei diesen Segeln zunehmend in den Hintergrund, da sie ohnehin immer vollkommen überpowert gefahren wurden. Im Worldcup-Racing ging es lange Zeit nur noch um Topspeed und Beschleunigung. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man, dass sogar für die absoluten Worldcupsegel langsam der Trend wieder in die andere Richtung geht. Viele Hersteller achten auch bei ihren Racetüchern wieder auf einen Kompromiss aus Steifigkeit der Profils für Topspeed auf der einen und Flexibilität und Shape für die Angleitperformance auf der anderen Seite. Diesen Trend hat man sich aus dem normalen Freeridebereich abgeschaut, bei dem es schon vor drei oder vier Jahren nicht mehr nur ausschließlich um Top-End-Performance der Segel ging. Hatten die Segelhersteller anfangs den radikalen Entwicklungstrend auch auf die normalen Freeridesegel umgesetzt, fand hier schneller wieder ein Umdenken statt. Denn durch ein flaches, steifes Profil und ein auswehendes Topp (Loose Leech) wurden zwar die Starkwindeigenschaften der Segel erheblich verbessert, leider musste man nun jedoch plötzlich viel größere Segel fahren, um genauso früh ins Gleiten zu kommen wie noch vor zehn Jahren.

Und wie es generell im Leben ist, kam nun vor zwei Jahren wieder ein Trend auf, der genau in die entgegengesetzte Richtung wirken sollte. Plötzlich war die Angleitperformance wieder alles. Also fielen so gut wie alle Hersteller auf diese Luftblase rein und bauten fleißig neue Segel, die ein tiefes Profil und wenig Twist hatten. Wahnsinn, eine Weltneuheit! Die negativen Eigenschaften allerdings blieben die gleichen wie vor 20 Jahren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass dieser Trend nur in Deutschland von Bedeutung war. In keinem anderen Windsurfland wurde auch nur annähernd so häufig über dieses Thema diskutiert wie bei uns. In den meisten anderen Ländern war und ist es überhaupt kein Thema. Von einem Extrem ins andere fallend vernachlässigte man hierzulande ganz offensichtlich, einfach mal kurz das Gehirn einzuschalten. Denn wie wäre es, wenn man einfach mal ein Segel bauen würde, das sowohl gut angleitet als auch bei mehr Wind noch zu fahren ist?! Nennen wir so ein Segel dann doch einfach mal ein Freeridesegel! Denn genau das sind doch die Eigenschaften, die ein Segel, das wir regelmäßig benutzen wollen, haben muss! Wir wollen nicht nur schnell ins Gleiten kommen, sondern auch noch bei zunehmendem oder böigem Wind Spaß haben! Zum Glück haben das einige Hersteller nun verstanden und umgesetzt. Um nach Außen den Anschein zu erwecken, man würde den Trend mitgehen, nennen viele Hersteller ihre Segel zwar nun „Frühgleitsegel“. In Wahrheit sind es aber einfach nur gute Segel, mit denen man auch bei wenig Wind Spaß haben kann und einem bei mehr Wind nicht gleich die Arme abfallen, weil der Druckpunkt in alle Himmelsrichtungen wandert. Es sind also die wahren Freeridesegel, wie wir sie schon lange gesucht haben. Das Gaastra Plasma und das Sailloft Traction sind genau solche Segel! Sie bieten bessere Angleitperformance im unteren Windbereich als herkömmliche Freeridesegel, sind aber auch bei zunehmendem Wind noch angenehm zu fahren. Dank ihrer variablen Trimmeinstellung können sie über einen breiten Windbereich wirklich überzeugen. Vielleicht geht ein echtes „Frühgleitsegel“ noch einen Tick früher los und womöglich kann man ein normales Freeridesegel oben raus länger halten. Das mag schon sein. Wer aber gelernt hat, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, und sich ein Segel kaufen möchte, mit dem er in möglichst unterschiedlichen Bedingungen viel Spaß haben kann, der ist mit diesen Segeln gut beraten. Aber bitte, liebe Industrie: Hört auf, mit dem Frühgleitsegel-Quatsch die Windsurfer zu verunsichern! Nennt eure Segel einfach so, wie sie es verdient haben: Freeridesegel!

SEGELANGABEN 6.7, 7.5, 8.3

GAASTRA PLASMA 7.5

Vorliek

472 cm

Gabel

223 cm

Gewicht

4.998 g

Verhältnis Gramm je qm

666 g/qm

Latten

6

Camber

2

Preis

599,- Euro

Empfohlener Mast

460 cm

Mastname

Gaastra 100

Mastgewicht

1.933 g

DER ERSTE EINDRUCK

eine Eins. Ein Wort zum Abriggen: Achte darauf, dass der Camber

Direkt aus der Segelmacherei wurde uns das brandneue Plasma

oberhalb der Gabelbaumöffnung nicht deinen Mast teilt, wenn du

nach Kiel gesendet. Damit steigt auch Gaastra in den Markt der ul-

ihn rausziehst! Du wirst das obere Ende nur durch den Camber ge-

timativen Frühgleitsegel ein. Ausgerollt ist es auf den ersten Blick

zogen bekommen, wenn der Mast in einem Stück bleibt. Die Mast-

Angleiten

unverkennbar als Segel aus dem Hause Gaastra zu identifizieren. In

tasche ist ansonsten an dieser Stelle einfach zu eng, um die obere

Beschleunigung

allen wichtigen und stark beanspruchten Bereichen wurde farbiges

Hälfte des Mastes an dem Camber vorbeidrücken zu können.

Speed Low End

Segel-Ergebnisse

Speed Top End

X-Ply vereinbart. Man ist jedoch sehr sparsam damit umgegangen, um ein möglichst geringes Gewicht zu erzielen. Erfolgreich, wie

FAHREIGENSCHAFTEN

Kontrolle

sich auf unserer Waage herausstellte, denn das Plasma wiegt unter

Das Gaastra Plasma hat uns von allen getesteten Segeln über den

Manöver

fünf Kilogramm. Inwieweit sich das auf die Langlebigkeit des Segels

breitesten Einsatzbereich gesehen am besten gefallen. Dank des ge-

Benutzerfreundlichkeit

auswirkt, können wir natürlich innerhalb einer Testwoche nicht sa-

ringen Gewichts liegt es wirklich sehr leicht in der Hand, was ge-

gen. Das Segel macht einen sauber verarbeiteten Eindruck, sodass

rade beim Dümpeln sehr angenehm ist. Das tiefe Profil ermöglicht

wir uns keine Sorgen machen. Lediglich die Verstärkungen um

dem Segel, jedes Board sehr schnell ins Gleiten zu bringen. Es hält

Könnensstufe

die Achterlieköse herum hätten unserer Meinung nach etwas wei-

damit genau das, was es verspricht. Auch das passivste Verhalten

Fahrergewicht

ter ins Segel hineinragen können, um gerade im bauchigen Trimm

auf dem Board kann den Motor nicht abwürgen. In Gleitfahrt liegt

Einsatzbereich

zu vermeiden, dass das Segel durch das Einklappen am Übergang

das Segel sehr ausbalanciert in der Hand und es ist problemlos

zwischen Verstärkung und Monofilm zu sehr beansprucht wird. Im

möglich, immer den richtigen Anstellwinkel zu finden. Auch die Be-

SEGELVERTRIEB

Unterliek sind die Nähte dafür entweder durch extra Gummilippen

schleunigung hat uns überzeugt und diese mündet in einer hohen

oder durch umgeklapptes Segeltuch geschützt. Ein sehr guter und

Endgeschwindigkeit. Als wären diese gelungenen Fahreigenschaften

sehr langer Mastprotektor versteckt eine Dreifachtrimmrolle. Das

nicht genug, hat uns das Plasma zudem auch in ruppigen und über-

New Sports GmbH Tel.: +49 (0) 2234 933 400 www.gaastra.de tim@gaastra.de

Masttopp wird durch ein Pad aus Leder gegen Scheuerstellen vom

powerten Bedingungen positiv überrascht. Denn auch oben heraus,

Aufriggen geschützt. Gaastra verbaut zudem keinen Mastbecher,

bei stark zunehmenden Winden, lässt es sich noch gut kontrollie-

sondern einen Zapfen, der in das Masttopp gesteckt wird. Zwei Mi-

ren, obwohl der tiefe Shape des Segels eigentlich das Gegenteil be-

nibuttons zwischen den obersten Latten sind nicht nur verstärktes

wirken müsste. Beim Topspeed bei richtig viel Wind haben wir des

Tuchmaterial, sondern auch tatsächlich mit breiten, dünnen GFK-

Öfteren verwundert ans hintere Ende der Gabel geschaut. Denn

Latten gefüllt. Die Lattenenden werden durch Gummipads in Gaa-

obwohl das Segel sich deutlich gegen den Gabelbaum drückt, bleibt

stralogo-Form geschützt.

es weiterhin gut zu kontrollieren. Nach der Halse rotiert das Segel

Eignung Anfänger

Fortge.

Leicht

Experte

Mittel

Freeride

Pro Schwer

Freerace

trotz enger Masttasche erstaunlich weich und in einem Zug kom-

PRO

AUFRIGGEN UND TRIMM

plett durch. Uns hat das Plasma wirklich überzeugt und sehr viel

Tolles Freeridesegel, das hält, was

Die relativ enge Masttasche verbirgt zwei große Camber, die man

Spaß gemacht.

es verspricht.

Man schiebt den Mast also durch die Camber in das Segel, die auf-

FAZIT

CONTRA

grund des geringen Platzes nicht wieder runterrutschen. Dann legt

Auf nur einer Trimmeinstellung schafft es das Plasma, über einen

Beim Abriggen darauf achten, dass

man die Vorliekspannung an. Wir haben uns exakt an die Vorgaben

großen Windbereich eine Topperformance zu liefern. Die erste Wahl

man den Mast in einem Stück

gehalten und haben diese Einstellung später auf dem Wasser auch

für alle, die aufs frühe Gleiten aus sind und auch bei mehr Wind

durch den oberen Camber zieht

tatsächlich als optimalen Trimm empfunden. Das Segel entwickelt

noch Spaß auf dem Wasser haben wollen. Sehr empfehlenswert.

und dieser den Mast nicht teilt!

TEST „FRÜHGLEIT“SEGEL

SIND FRÜHGLEITSEGEL SINNVOLL?

schon beim Hineinschieben des Mastes richtig positionieren sollte.

einen gewaltigen Bauch, unterstützt durch die Profil-Latten, die sich Richtung Mast sehr deutlich verjüngen. Auch bei der Achterliekspannung können wir dir die Herstellerangabe empfehlen. Das Segel hat dann einen harmonischen, tiefen Bauch und steht wie

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