Unterschicht – Der Geschäftsbericht der Geschäftslosen

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Orte dritter Klasse Geld

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Durch die Agenda 2010 sind Orte entstanden und werden weiterhin noch viel mehr Orte entstehen, an denen man dritter Klasse lebt. In denen die Supermärkte »Tafeln« die Kaufhäuser »soziale Warenhäuser« und die Arbeitsstellen »Maßnahmen« heißen. Orte, an denen das Leben von der stetigen Sorge um das Geld, den obligatorischen Besuchen im Jobcenter und den langen Tagen geprägt ist. Wo die Kinder in der Schule nicht mehr auf den zukünftigen Beruf vorbereitet werden, sondern auf ein Leben von der Stütze. Orte, an die wir unsere Kinder nicht schicken wollen, aus Angst vor dem schlechten Umgang. Orte, auf die mit dem Finger gezeigt wird. Orte, an die man sich selbst nachts nicht traut. Orte, die aus den Gedanken weggeschoben werden. Orte, die zu Problemviertel werden. Orte, an denen sich Probleme konzentrieren und Freiheit fernbleibt. Orte, die abseits sind und doch mitten drin. Orte die von den Medien vorgeführt werden, um sich besser zu fühlen. Orte, die es nicht verdient haben. Orte, die entstehen aus den Folgen eines Gesetzes. Liest man sich nur einmal in die Statistiken der letzten Jahre ein, erkennt man die Not der Menschen. Immer mehr Menschen sind von den aussortierten Dingen, der oberen Gesellschaftsschichten abhängig, da ihre Einkünfte für die gewöhnliche Beschaffung der Güter nicht mehr ausreicht Die Lebensmitteltafeln verzeichnen in den letzten Jahren einen enormen Zulauf. Vor den Filialen bilden sich lange Schlangen und in den Verkaufsräumen prügeln sich die Menschen um die beste Waren, obwohl sich in den letzten zehn Jahren die Zahl der »Tafeln« mehr als verdoppelte. In kaum einer Stadt ist keine »Tafel« mehr zu finden, die Bedürftige mit knappem Budget zu sehr günstigen Preisen Lebensmittel anbietet. Lebensmittel, die von Supermärkten, Großhändlern oder Bäckereien aufgrund von Überproduktion, Fehlern und vielem mehr aussortiert wurden, aber noch zum Verzehr geeignet sind. Durch

Spenden können die meist von Vereinen oder Wohlfahrtsverbänden geleiteten Einrichtungen zum Beispiel den Salat nicht mehr für 49 Cent oder mehr, sondern nur noch für einen symbolischen Preis 10 Cent anbieten, mit denen die Unkosten, wie Strom, Mitarbeitergehalt und Benzin für die Transporter beglichen werden. Für viele Bedürftige sind diese Einrichtungen eine erhebliche Erleichterung, um täglich ihre Familie satt zu bekommen. Doch nicht nur Tafeln haben einen erhöhten Zulauf zu verzeichnen, auch »Soziale Warenhäuser«, auch »Sozialkaufhäuser« genannt, vermelden eine Erhöhung der Kundenzahl seit Einführung des Arbeitslosengelds II. Als »Soziale Warenhäuser« werden Kaufhäuser bezeichnet, in denen zumeist gebrauchte oder gespendete Waren angeboten werden. Sie sollen eine erschwingliche Einkaufsmöglichkeit bieten für Gebrauchsgüter, Haushaltswaren und Textilien. Oftmals sind sie auch die einzigen Kaufhäuser, wo sich Arbeitslosengeld-II-Bezieher größere Anschaffungen leisten können. Häufig werden die Sozialkaufhäuser von der kommunalen Sozialhilfe oder den großen Wohlfahrtsorganisationen wie zum Beispiel der Arbeiterwohlfahrt getragen. Einige Kommunen, die bei der Betreuung von Arbeitslosengeld-II-Empfängern das Optionsmodell gewählt haben, sind bei Leistungen, wie Erstausstattung, dazu übergegegangen, den Bedarf ausschließlich durch Gutscheine über das Sozialkaufhaus decken zu lassen. Das Personal setzt sich zu meist aus Arbeitslosen zusammen, da es oft zum Konzept des Sozialkaufhauses gehört, deren Wiedereingliederung in das Berufsleben zu fördern. Sprich Ein-Euro-Jobber und von der EU geförderte Bürgerarbeiter sind dort beschäftigt. Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind jedoch selten zu finden. Ein stetiger Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt. 0 0 0 0 0 0 0 0374


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