Swisstransplant Magazin Nr. 44 / Dezember 2020

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magazin Eine Entscheidung

für das Leben. no 44 | 12/20

Stellungnahmen ­der Netzwerkleitenden zur­ ­erweiterten Widerspruchslösung

Valentina Silvagni und Sascha Albert: Zwei Fachpersonen im Porträt

Angehörigenbetreuung und ­Kommunikation als zentrale Aufgabe in der Organspende

Samuel Wespe: Die Geschichte eines geschenkten zweiten Lebens


en onal r Nati m i i g ste t Jetz pendere ns . Orga intragen e

Liebe Leserin, lieber Leser

Obwohl die Bereitschaft zur Organspende in der Schweizer

Viviana Abati hat bei Swisstransplant entscheidend dazu

Bevölkerung sehr hoch ist, lehnen im Ernstfall über 60 Prozent

beigetragen, dass die Betreuung von Angehörigen und die

der Angehörigen eine Organspende ab. Vor allem der Umstand,

Kommunikation rund um die Organspende in den Spitälern

dass der Entscheid des Verstorbenen nicht bekannt ist und

professionalisiert wurde. Nach elf Jahren übergibt sie den

somit die nächsten Angehörigen in dieser schwierigen Situa­tion

Stab Sibylle Glauser weiter.

stellvertretend im Sinne des Verstorbenen entscheiden müssen, führt zu dieser im europäischen Vergleich sehr hohen Ableh-

Schliesslich erzählt uns Samuel Wespe, wie er dank einer

nungsrate. Daher ist es wichtig, den Entscheid bereits zu

positiven «Entscheidung für das Leben.» zu neuer Lebens-

Lebzeiten festzuhalten. Denn das schafft Sicherheit und Klar-

qualität gefunden hat. Der junge Mann empfindet für seinen

heit und entlastet die Angehörigen sowie das Spitalpersonal.

Spender tiefe Dankbarkeit.

Der Bundesrat hat in seinem indirekten Gegenvorschlag die

Auch wir sprechen unseren Dank aus – an die eingespielten

Widerspruchslösung aufgenommen und die Wichtigkeit des

Teams medizinischer Fachpersonen. Mit ihnen haben wir die

Vetorechts der Angehörigen hervorgehoben. Wie sehen dies

erste Pandemiewelle gemeistert – wir hoffen, auch die zweite

die fünf Netzwerkleitenden des CNDO, die als Fachexpertin-

Welle gemeinsam erfolgreich zu bewältigen.

nen und -experten und Kaderärzte diese Diskussionen auf den Intensivstationen führen? Welche konkreten Änderungen

Wir wünschen frohe Festtage, einen guten Start ins neue Jahr

würde in ihren Augen ein Systemwechsel in der Praxis nach

und «häbet Sorg»!

sich ziehen? Wir porträtieren zudem zwei unserer FOGS, Fachpersonen Organ- und Gewebespende: Sascha Albert und Valentina

Eine Entscheidung

für das Leben. Sich für das Leben entscheiden, das hat für Maurice früh begonnen. Geboren mit einem Nierendefekt, hatte er eine schwere, krankheitsbelastete Kindheit. Im Alter von fünf Jahren hat Maurice eine Spenderniere erhalten – und sein Leben erst so richtig beginnen können. Lesen Sie die ganze Geschichte:

swisstransplant.org/geschichten

Silvagni. Beide begleiten in ihrem Spitalalltag unter anderem auch Menschen, die sich für oder gegen die Organspende

PD Dr. med. Franz Immer

entscheiden müssen.

Medical Director – CEO Swisstransplant

Inhaltsverzeichnis Stellungnahmen der Netzwerkleitenden zur erweiterten Widerspruchslösung

4

50 Jahre Nationales Referenzlabor für Histokompatibilität (LNRH)

8

Angehörigenbetreuung und Kommunikation als zentrale Aufgabe in der Organspende

9

Sascha Albert: Seit zehn Jahren Experte für Organspende und Transplantation

16

Valentina Silvagni: «Wir wollen stets das Beste für die Angehörigen»

18

Samuel Wespe: Die Geschichte eines geschenkten zweiten Lebens

20


Fokus

Fokus

Stellungnahmen der Netzwerkleitenden zur erweiterten Widerspruchslösung «Das Hauptargument ist auf jeden Fall die Entlastung der Angehörigen in ihrer Entscheidung für oder gegen eine Organ­ spende.»

D

ie Wogen gehen mitunter hoch, wenn die Diskussion auf das Thema «Widerspruchs­ lösung» kommt. Das ist verständlich, geht es doch um das Wichtigste überhaupt: die Wahrung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Doch was würde die erweiterte Wider­ spruchslösung für die klinische Praxis konkret bedeuten? Zeit für einen Praxischeck bei denen, die das am besten einschätzen können: dem medizinischen Fachpersonal.

Dr. med. Christian Brunner

Flavian Kurth

Leiter Organspendenetzwerk Luzern, Oberarzt mbF, Zentrum für Intensivmedizin, Luzerner Die fünf Netzwerkleitenden sind die verant-

stimmt. Dies setzt die Angehörigen und

Widerspruchslösung mehr Diskussionen

wortlichen Kaderärzte für die Organ- und

das Spitalpersonal einer enormen Belas-

in der Bevölkerung.» Dr. med. Mathias

Gewebespende Schweiz. Swisstransplant

tung aus. Entnimmt man Organe, so wird

­Nebiker sieht dies ähnlich und konkreti-

befragte sie zum Fokusthema der erweiter-

man seinem Willen vielleicht nicht gerecht.

siert: «Ein Argument für die erweiterte

ten Widerspruchslösung. Unser Anliegen

Tut man es andererseits nicht, so wird­

Widerspruchslösung ist, dass der Druck

dabei war, herauszufinden, wie sie diese

man seinem Willen unter Umständen auch

auf die Gesellschaft, sich mit dem Thema

aus der Sicht ihrer medizinischen Erfahrung

nicht gerecht. Mit der erweiterten Wider-

Organspende auseinanderzusetzen, ein

einschätzen und wie sie die gegenwärtig

spruchslösung würde dieses Dilemma

wenig erhöht wird.» Die Experten, die die

gültige Zustimmungslösung empfinden.

gelöst, denn bei einem Systemwechsel

Situation aus der tagtäglichen medizini-

Wir haben Interviews geführt mit Dr. med.

hin zu dieser Lösung wäre klar, was ein

schen Praxis kennen, sehen die erweiterte

Christian Brunner, Dr. med. Deborah Pugin,

Schweigen bedeutet. Dies spricht für die

Widerspruchslösung also positiv. Dr. med.

Dr. med. Edith Fässler, Dr. med. Mathias

erweiterte Widerspruchslösung. «Das

Deborah Pugin: «Es ist wichtig, von der

Nebiker und Renato Lenherr. So viel

Hauptargument», so Dr. med. Christian

ausdrücklichen Zustimmung zur vermute-

­vorweg: Ihre Antworten zeigen, dass der

Brunner, «ist auf jeden Fall die Entlas-

ten Zustimmung überzugehen.» So sieht

Systemwechsel hin zur Widerspruchs­

tung der Angehörigen in ihrer Entschei-

es auch Renato Lenherr: «Die erweiterte

lösung ein begrüssenswerter Schritt wäre.

dung für oder gegen eine Organspende.»

Widerspruchslösung ist vom Standpunkt

Denn das aktuelle Modell der Zustim-

Kantonsspital (LUKS)

«Aus Respekt vor der Entscheidung des Patienten ist es wichtig, von der ex­ pliziten zur vermuteten Zustimmung zu wechseln.»

des Praktikers aus gesehen der richtige

mungslösung schafft ein ethisches Dilem-

Klarheit, Sicherheit und Entlastung

Weg.» Insgesamt spricht für die erweiter-

ma, das von Gegnern der Widerspruchs­

Bei der erweiterten Widerspruchslösung

te Widerspruchslösung also, dass sie in

lösung zuweilen übersehen wird.

bedeutet ein Schweigen ein grundsätzli-

der medizinischen Praxis mehr Klarheit,

Dr. med. Deborah Pugin

ches Einverständnis zur Organspende. Das

mehr Sicherheit und eine Entlastung von

Leiterin Programme Latin de Don

Was bedeutet ein Schweigen?

kann natürlich nur vorausgesetzt werden,

Angehörigen und Spitalpersonal bringen

d’Organes (PLDO), leitende Ärztin

Hat sich ein Patient zu Lebzeiten nicht zur

wenn von einer Informiertheit der Bevölke-

würde. Lesen Sie die ganzen Interviews

Intensivpflege, Hôpitaux

Organspende geäussert, so kann dies mit

rung ausgegangen werden kann. Dafür

auf swisstransplant.org/fokus.

­Universitaires de Genève (HUG)

der derzeitigen Zustimmungslösung drei-

spricht allerdings einiges. Dr. med. Edith

erlei bedeuten: Er wollte sich mit dem

Fässler etwa erhofft sich vom System-

Weitere Informationen zur Organ­

Thema nicht auseinandersetzen, er hätte

wechsel diesbezüglich eine Verbesserung

spende-Initiative und zu den verschie-

einer Organspende zugestimmt oder er

der derzeitigen Situation: «Wir erhoffen

denen Modellen der Willensäusserung:

hätte einer Organspende nicht zuge-

uns durch die Einführung der erweiterten

swisstransplant.org/initiative

4

5


Fokus

«Die Einführung der ­erweiterten Widerspruchs­ lösung ist sinnvoll. Wir hoffen, dass sie dazu führt, dass mehr Menschen ihren Willen zu Lebzeiten äussern.»

«Die erweiterte ­Widerspruchslösung ist vom Standpunkt des Praktikers aus gesehen der richtige Weg.»

Dr. med. Edith Fässler

Renato Lenherr

Leiterin Netzwerk Organspende

Leiter Donor Care Association

Ostschweiz (NOO), Oberärztin mbF,

(DCA), Oberarzt, Institut für

Klinik für Intensivmedizin,

­Intensivmedizin, Universitätsspital

­Kantonsspital St. Gallen (KSSG)

Zürich (USZ)

«Ein Argument für die ­erweiterte Widerspruchs­ lösung ist, dass der Druck auf die Gesellschaft, sich mit dem Thema Organ­ spende auseinanderzusetzen, ein wenig erhöht wird.»

«Der würdevolle Umgang mit der verstorbenen Person sowie die professionelle Betreuung der Angehörigen ist unser oberstes Gebot. Die Widerspruchslösung allein führt zwar nicht zu mehr Organspendern, entlastet jedoch die Angehörigen in einer schwierigen Situation.» PD Dr. med. Franz Immer, Medical Director – CEO Swisstransplant

Dr. med. Mathias Nebiker Leiter Organspende Netzwerk Schweiz-Mitte (CHM), ­Spitalfacharzt, Universitätsklinik für Intensivmedizin, Inselspital

6

s: rview g/ e t n I t.or Alle splan n a r t swiss fokus

7


Forschung

Engagiert

50 Jahre Nationales Referenzlabor für Histokompatibilität (LNRH)

Angehörigenbetreuung und Kommunikation als zentrale Aufgabe in der Organspende

D

J

as Nationale Referenzlabor für Histokompatibilität (LNRH) wurde 1970 in Genf ­g egründet. Kurz nachdem in den 50er-Jahren in Boston die ersten Transplantationen von Nieren verwandter Spender durchgeführt worden waren, stellten die Pioniere fest, dass einige dieser Transplantate nicht abgestossen wurden, während andere trotz – zu dieser Zeit sicherlich noch mangelhafter – immunsuppressiver Therapie abgestossen wurden. Jean Villard, Michel Jeannet (Gründer des LNRH)

edes Gespräch der Ärzte und Pflegenden mit den Angehörigen, in dem die Frage nach dem mutmasslichen Willen eines Patienten gestellt wird, ist anspruchsvoll. Die Angehörigen werden damit konfrontiert, dass der Patient nicht überleben wird und dass man vor dem ­Abbrechen der Therapie (dem Abstellen der Maschinen) den Wunsch des Patienten für oder ­gegen eine Organspende in Erfahrung bringen muss. Swisstransplant hat in der letzten Dekade mit v­ erschiedenen Angeboten einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die ­A ngehörigen professionell und menschlich zugleich begleitet werden. Sibylle Glauser und Viviana Abati

Jean Dausset, Medizinnobelpreisträger,

mittels Testsera und Techniken des

basieren. Durch diese Techniken wurde

entdeckte, dass das Histokompatibili-

LNRH schnell durchführen zu können.

nachgewiesen, dass die Hunderten mit

tätssystem (HLA) für die Transplantat-

serologischen Methoden getesteten

Die Betreuung von Angehörigen ist eine

Abati, Notfallpsychologin, Swisstrans-

spende war für mich damals neu und ich

abstossung verantwortlich war, ein

Daraufhin stellte sich heraus, dass die

HLA-­Antigene in über 27 000 Varianten

wichtige Aufgabe der Behandlungsteams

plant in der konzeptionellen Begleitung

wusste nicht mehr als wohl die meisten

System analog den Blutgruppen, jedoch

Histokompatibilität auch für den Erfolg

(Allele) unterteilt sind. Mit diesem tech-

auf Intensivstationen. Ist die ­Situation

sowie in der Weiterbildung von Fach­

Bürgerinnen und Bürger. Erst beim in-

viel komplexer. Alle Zellen unseres Kör-

von

Knochenmarktransplantationen

nologischen Fortschritt konnten das

des Patienten bedrohlich oder stirbt er

personen.

haltlichen Eintauchen in die Thematik –

pers besitzen auf ihrer Oberfläche Mo-

entscheidend ist. Das LNRH schuf ein

Kompatibilitätsniveau Spender/Emp-

sogar, wird die Aufgabe für die Fachper-

leküle, die jedem Menschen eigen sind,

Programm für HLA-Kreuzproben der

fänger und der Erfolg von Allo­

sonen noch anspruchsvoller. Das Break­

Sibylle Glauser ist die Nachfolgerin von

bedeutet und was damit vom Ablauf her

eine Art Identitätskarte der Zellen.

Familien von Leukämiepatienten und

transplantationen verbessert werden.

ing Bad News, also das Überbringen von

Viviana Abati und hat mit ihr ein Inter-

alles zusammenhängt – wurde mir die

Dieses System umfasst über 100 ver-

nahm am Aufbau eines internationalen

Die Hochdurchsatzsequenzierung (NGS),

schlechten Nachrichten, gilt als

Komplexität vor Augen geführt.

schiedene Antigene. 1970 hatte man mit

Registers für freiwillige Spender teil, für

die seit 2016 am LNRH eingesetzt wird,

schwierige Aufgabe. Kommt der

Das hat ­meinen Respekt für die

serologischen Methoden – mittels Sera

Patienten, die keinen passenden ver-

ermöglicht eine vollständige Analyse der

Patient als potenzieller Organ-

­Behandlungsteams auf den In-

von Mehrgebärenden, die Antikörper

wandten Spender hatten. Seit Ende der

HLA-Gene, einschliesslich kodierender

spender infrage, gilt es, den

gegen die Antigene ihrer Föten produ-

80er-Jahre hat das LNRH molekulare

und nichtkodierender Regionen, die mit

mutmasslichen Willen des Ster-

ziert hatten, – erst etwa 20 identifiziert.

Werkzeuge entwickelt, die auf der Ampli-

der Regulation der Expression zusam-

benden mit den Angehörigen

In jedem Land mit Transplantationspro-

fikation von HLA-Genen mittels PCR

menhängen.

ausgerechnet zum Zeitpunkt

grammen wurde ein Zentrallabor mit der

einer hohen emotionalen Belas-

komplexen Arbeit beauftragt, diese Sera

tung zu besprechen.

zu bestimmen. Franz Immer, Direktor von

also was eine Organspende medizinisch

«Die Kombination des Gesprächs mit Angehörigen, in dem man einerseits den bevorstehenden oder bereits eingetretenen (Hirn-)Tod mitteilen und anschliessend die Frage nach dem mutmasslichen Willen des Patienten thematisieren muss, zeigte mir nochmals eine ganz andere Dimension.»

tensivstationen nochmals deut­ lich erhöht. Als Notfallpsychologin war ich es gewohnt, Menschen in Notfallsituationen psychisch zu begleiten. Die Kombination des Gesprächs mit Angehörigen

Die Notwendigkeit eines solchen Zent-

Swiss­transplant, hat bereits seit

rallabors manifestierte sich in der

Beginn seiner Aufgabe der Stiftungslei-

view über ihre Zeit bei Swisstransplant

re Dimension. Dabei wird der bevorste-

Schweiz mit den ersten Nierentrans-

tung die Wichtigkeit der Kommunikation

und über die von ihr durchgeführte

hende oder bereits eingetretene (Hirn-)

plantationen, woraufhin das LNRH in

in den Gesprächen mit den Angehörigen

Forschung geführt.

Tod mitgeteilt. Anschliessend wird die

Genf gegründet wurde, dessen Leiter

erkannt. Für die Weiterentwicklung und

Erfahrung in den USA gesammelt hatte.

Professionalisierung der Angehörigen­

Viviana, du hast vor elf Jahren diese

des Patienten thematisiert. Das ist

Ebenso wurde klar, dass jedes Zentrum

betreuung und Kommunikation holte er

Aufgabe übernommen. Erinnerst du

psychologisch sehr anspruchsvoll. Ich

dafür die fachlichen Kompetenzen ins

dich noch an die Anfänge?

teilte deshalb die Ansicht von Franz

Boot. Seit 2009 unterstützt Viviana

Ja, sogar sehr gut. Das Thema Organ-

Immer bezüglich der Wichtigkeit einer

ein Labor benötigte, um die HLA-Kreuzproben von Spendern und Empfängern

8

Das LNRH-Team, das unter anderem Laborleistungen für die Suche nach passenden Organspendern durchführt. (Photo: LNRH)

zeigte mir nochmals eine ande-

Frage nach dem mutmasslichen Willen

9


Engagiert

Engagiert

Weiterbildung Kommunikation für die

Stress und unter einer hohen emotiona-

der Notfallpsychologie kombiniert. Im

Ärzte und Pflegenden, die sich diesen

len Belastung. Die Art zu kommunizieren

Vordergrund stand dabei immer, dass

Die Professionalisierung von Angehörigenbetreuung und Kommunikation

herausfordernden Situationen in ihrem

muss diesem Ausnahmezustand ange-

die Fachpersonen mehr Sicherheit im

im chronologischen Überblick:

Berufsalltag stellen. Was ist der Kern der von dir entwickelten Kommunika­ tionsschulung? Kommunikation ist sehr komplex. Es gibt viele verschiedene Theorien und Modelle. Ich habe die Inhalte des Kurses ganz konkret auf den Kontext rund um die Organspende definiert.

«Ein Angehöriger hat beispielsweise im Spital eine sehr schlechte Erfahrung gemacht und war deshalb sehr verärgert. Dennoch hat er einer Organspende zugestimmt. Obwohl ihn das Erlebte bis heute nicht loslässt, konnte er klar zwischen seinem Ärger und der Frage nach Organspende differenzieren.»

Für die Angehörigen stellt die

Führen dieser Gespräche ge-

– 2009 Ablösung der EDHEP-Kurse (internationaler Kommunikationskurs)

winnen und dass die Angehöri-

durch den neu entwickelten zweitägigen Kommunikationskurs für Fach­

gen in ihrer Not und den vorran-

personen

gigen psychischen Bedürfnissen gut abgeholt werden.

– 2009 bis 2015 zweitägiger Kurs mit medizinischen, prozessbezogenen und kommunikativen Inhalten (inkl. Training mit Schauspielern) – 2016 Einführung des Blended Learning mit vier Kommunikationsmodulen

Kannst du hierzu ein Beispiel nennen? Stell dir vor, dein Bruder liegt

und einem Präsenzkurs, seit 2017 obligatorisch für alle FOGS – 2018 Publikation des Fachbuchs «Gespräche mit hohem Belastungsfaktor in der Medizin», Verlag Hogrefe, auch auf Französisch erhältlich

seit Tagen auf der Intensivsta-

– 2019 umfangreicher Leitfaden Angehörigenbetreuung und Kommunikation

tion und du bangst um sein

im Rahmen der strategischen Ziele und Revision des Swiss Donation

Leben. Dann tritt das Schlimms-

­Pathway, Kapitel Angehörige

lebensbedrohliche Situation des Patien-

passt werden. Das heisst, für die Wei-

te ein: Die Ärzte teilen euch als Familie

– 2019 / 2020 Revision des Blended Learning

ten eine psychische Ausnahmesituation

terbildung habe ich wichtige Grundlagen

mit, dass man nichts mehr tun kann. Von

– 2021 Ausweitung der Kommunikationsschulung auf weitere Zielgruppen

dar. Sie stehen in der Regel unter hohem

der Kommunikation mit Elementen aus

einem Augenblick auf den anderen wird

die Hoffnung zerstört und du wirst mit

Das kann sich auf die Formulierung

dem endgültigen Verlust konfrontiert.

günstig oder ungünstig auswirken. Un-

Das ist psychisch gesehen ein massiver

günstig wäre es zum Beispiel, durch

Bruch und versetzt dich in einen Aus-

unklare Informationen mehr Unsicher-

nahmezustand. Du kämpfst innerlich mit

heit auszulösen.

dem Loslassen, mit der Vergangenheit, mit dem, was als Leben ohne deinen

Das bringt mich zu der Frage, ob es

Bruder auf dich zukommen wird. Anders

einen Zusammenhang zwischen den

gesagt, dein ganzes System ist in Auf-

Gesprächen und der Entscheidung für

ruhr. Und nun wirst du auch noch mit der

oder gegen eine Organspende gibt.

Frage konfrontiert, ob dein Bruder seine

Die Akteure der Organspende, wie

Organe hätte spenden wollen oder nicht.

Swisstransplant, die Spitäler oder das BAG, möchten ja besser verstehen

Das Angehörigengespräch ist sowohl für die Familie als auch für das Spitalpersonal eine Herausforderung. (Foto: Swisstransplant)

10

Für die Fachpersonen macht es einen

können, weshalb die Ablehnungsrate

Unterschied zu verstehen, in welchem

im internationalen Vergleich seit

psychischen Zustand sich die Angehö-

­Jahren hoch ist (rund 60 %). Du hast

rigen befinden. Als Fachperson hilft es

in diesem Zusammenhang eine

zu wissen, wie mit den Emotionen und

­Forschung initiiert und Angehörige

dem inneren Aufruhr umzugehen ist.

befragt. Was hast du herausgefunden?

Sibylle Glauser, Psychologin mit langjähriger Erfahrung in der Angehörigenbetreuung im psychiatrischen Bereich und im Bereich Care Team. (Foto: Alexandra Jäggi)

Ab 2021 wird Sibylle Glauser die Präsenzkurse Kommunikation leiten und Swiss­transplant als Fachfrau in allen Fragen der Angehörigenbe­treuung unter­ stützen. Im ersten Quartal wird sie das zweite Treffen der deutsch­ sprachigen Trainer Organspende­ (D, A, CH) organisieren und durchführen. Ausserdem wird sie die Entwicklung der Kapitel «Kommunikation in der DCD-­ Spende» und «Der pädiatrische Spender» für den Swiss Donation Pathway in Angriff nehmen. Auch die geplante Ausdehnung der Kommunikationskurse auf weitere Zielgruppen wird zu ­ihren Aufgaben gehören. 11


Engagiert

Engagiert

Die Forschung ist noch nicht abge-

stärker gewichtet als die Möglichkeit,

Situation so argumentieren zu können,

teilweise auch dazu, überhaupt

abgelehnt mit dem Argument «In

schlossen, zeigt aber bereits wichtige

damit etwas Gutes zu tun (einen an-

ist nicht selbstverständlich und dafür

einmal diese Erlebnisse formulieren

diesem Alter nicht mehr».

Erkenntnisse. Was mich geleitet hat, ist

deren Menschen retten). Das ist ein

gebührt ihm grosser Respekt.

und an jemanden adressieren zu

die Frage: «Was erleben Angehörige vom

Aspekt, der unbewusst stattfindet.

Moment an, in dem das Ereignis eintritt,

können. Dies ist öfter der Fall bei

Du hast gesagt, dass die Studie noch

Weitere spannende Einblicke in den

Angehörigen, die eine Spende abge-

nicht ganz abgeschlossen ist. Gibt es

bis zur Frage nach dem mutmasslichen

Diese Erkenntnisse scheinen auf den

­Interviews waren zum Beispiel:

lehnt haben. Was von den Angehö-

dennoch bereits wichtige Schlussfol­

Willen bezüglich Organspende und da-

ersten Blick banal zu sein. Sie zeigen

− Wartezeit bis zur Erstinformation auf

rigen übel genommen wird, sind zu

gerungen für dich?

nach?»

aber eines ganz deutlich auf: Die Ent-

der IPS: Diese Zeitspanne (unter-

späte Informationen, widersprüchli-

Die Entscheidungsträger und Akteure

scheidung für oder gegen eine Organ-

schiedliche Länge) wird von den

che Informationen (nicht alle sagen

der Organspende wünschen sich eine

Das Ziel der Forschung ist es, wichtige

spende durch Angehörige hängt nicht

meisten als sehr belastend empfun-

das Gleiche) oder nicht eingehaltene

klare Einsicht in die Frage, was zu einer

Informationen bezüglich der Betreuung

von der Art des Gesprächs ab, sondern

den.

Zusagen (Informationen, die dann

Zustimmung und zu einer Ablehnung

zu erhalten und Zusammenhänge zwi-

basiert vor allem auf persönlichen Hal-

− Erinnerungslücken: Viele Dinge wur-

nicht nachgeliefert werden oder

von Organspende führt. Es gibt einige

schen dem Erleben der Angehörigen und

tungen und Einstellungen der Befragten.

den nicht mehr oder falsch erinnert.

Ähnliches).

Hinweise und sogenannte Prädiktoren

deren Entscheidung für oder gegen eine Organspende aufzudecken. Die Er-

Du hast auch Interviews mit Angehö­

kenntnisse fliessen dann in die Weiter-

rigen geführt. Welche Erkenntnisse

entwicklung der Angehörigenbetreuung.

konntest du daraus ziehen?

Der quantitative Teil der Erhebung hat

Die Realität ist dann aber das, was

− Widersprüchlichkeit im Verstehen

darauf (siehe quantitative Erkenntnisse

in der Erinnerung der Angehörigen

des Hirntods: Wiederholt wurde

oben). Es gibt daneben aber keine ein-

bleibt.

gesagt, dass der Hirntod als Tod des

fachen Schubladen mit den richtigen

− Ungute Gefühle oder Erinnerungen:

Menschen verstanden wird. Gleich-

Antworten darin. Jede Situation ist

Grundsätzlich kann man sagen, dass es

Mehrere Angehörige haben berich-

zeitig wurde erwähnt, dass man

einzigartig und es spielen viele ver-

einige klare Zusammenhänge aufge-

für Angehörige leichter ist, wenn sie den

tet, dass sie im Rahmen der Beglei-

damit wusste, dass der Mensch

schiedene Faktoren bei der Entschei-

zeigt. Je höher die folgenden Faktoren

Willen des Patienten kennen. In den

tung durch die Fachpersonen etwas

sterben werde («Wir wussten, er ist

dung mit.

in ihrer Ausprägung sind, desto wahr-

allermeisten Fällen möchten sie, dass

Ungünstiges erlebt haben. Die An-

tot, und dann brachte man ihn in den

scheinlicher ist eine Zustimmung zur

dieser Wille berücksichtigt wird.

gehörigen nutzten das Interview

Operationssaal, wo er starb.»).

Aus meiner Sicht sollte der Blick deshalb

Organspende:

Ist der Wunsch des Patienten nicht be-

− Abschiednehmen vom Hirntoten: Es

viel mehr auf Faktoren gerichtet werden,

− das Vertrauen ins System von Medi-

kannt, setzen sich die Angehörigen sehr

wurde mehrmals gesagt, dass man

die von den Entscheidungsträgern und

zin und Spital, die Versorgung des

sorgfältig mit der Frage auseinander

Die Studie

der Organspende nicht habe zustim-

von den Fachpersonen in den Spitälern

Patienten

und unterscheiden zwischen ihrer eige-

2019/2020 wurden Angehörige

men können, weil man dann nicht so

beeinflusst werden können. Dazu zählt

nen Einstellung und dem Wunsch des

mittels eines Fragebogens befragt.

hätte Abschied nehmen können, wie

beispielweise, was im Rahmen der Öf-

Verstorbenen.

Die Angehörigen hatten ausser-

man sich das gewünscht hätte. Das

fentlichkeitsarbeit durch das BAG getan

dem die Möglichkeit, sich für ein

Dabeisein beim letzten Atemzug

wird, oder organisatorische Veränderun-

wurde als wichtig beschrieben.

gen auf den Intensivstationen und das

− Alter von Organspendern: Bei den

Vermeiden von ungünstigen Aspekten im

− die generelle Einstellung einer Person zur Organspende Bei den folgenden Faktoren ist es um-

Ein Angehöriger hat beispielsweise im

Interview zur Verfügung zu stellen.

gekehrt: Je höher die Ausprägung der

Spital eine sehr schlechte Erfahrung

Erhebung:

Antwort, desto wahrscheinlicher wird

gemacht und war deshalb sehr verär-

59 Fragebogen (quantitative Daten)

Angehörigen von potenziellen Or-

eine Ablehnung bezüglich Organspende:

gert. Dennoch hat er einer Organspende

23 Interviews (qualitative Daten)

ganspendern im fortgeschrittenen

− die Wichtigkeit, dass die Integrität

zugestimmt. Obwohl ihn das Erlebte bis

des Verstorbenen gewahrt wird; also

heute nicht loslässt, konnte er klar zwi-

dass ein Körper unversehrt bleibt

Umgang mit den Angehörigen.

Alter (70 +) war die Frage nach dem

Es wird immer wieder gesagt, dass ein

Die Forschung wird im ersten

mutmasslichen Willen überraschend

wichtiger Grund für die hohe Ableh-

schen seinem Ärger und der Frage nach

Semester 2021 abgeschlossen

und irritierend. Die Angehörigen

nungsquote der Umstand sei, dass den

− Zweifel der Angehörigen

Organspende differenzieren. Er sagte

und die Resultate werden an-

wussten nicht, dass man in so einem

Angehörigen der Wille des Patienten

− Verlustaversion, das bedeutet, dass

wörtlich, dass das eine ja nichts mit dem

schliessend publiziert.

Alter noch Spender werden kann. In

bezüglich Organspende nicht bekannt

man den Verlust (Tod des Patienten)

anderen zu tun hätte. In solch einer

mehreren Fällen wurde dann auch

sei. Das trifft nur teilweise zu.

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Viviana Simonetta Abati, Notfallpsychologin, Gerontologin und Fachfrau in Palliativ­ psychologie. (Foto: Alexandra Jäggi)

Viviana Abati hat seit 2009 die Ange­ hörigenbetreuung und Kommunikation massgeblich mitgeprägt. Sie war von Anfang an dabei und arbeitete an ­einem Konzept für die Weiterentwick­ lung und Weiterbildung im Kontext der Organspende mit. Später entwickelte sie den Kommunika­ tionskurs und leitet diesen mit grossem Erfolg mehrmals pro Jahr. Auch die Entwicklung von E-Learning-Modulen stammt aus ihrer Feder und hat einen wichtigen Anteil an der Professionali­ sierung der Angehörigenbetreuung. Im Rahmen des Aktionsplans I des BAG war sie an verschiedenen Konzepten beteiligt und wirkte an der Entwicklung der Strategie für die Organspende Schweiz mit. Zuletzt verantwortete sie die Revision des Swiss Donation ­Pathway, Kapitel Angehörigenbetreu­ ung und Kommunikation, und er­ arbeitete in diesem Zusammenhang ­einen ausführlichen Leitfaden zur Thematik im Sinne eines weiterführen­ den Lehrmittels. Mit ihrer langjährigen Erfahrung im Bereich der Organspende und mit ihren zahlreichen Arbeiten (unter anderem mit dem Buch «Gespräche mit hohem Belastungsfaktor in der Medizin», ­erschienen im Hogrefe Verlag) gehört sie heute zu den ausgewiesenen ­Fach­experten beim Thema Kommuni­ kation und Angehörigenbetreuung im Spitalumfeld.

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Engagiert

Engagiert

Die Resultate der Forschung zeigen,

möglicherweise an der Gesprächsfüh-

Plattform. Die Möglichkeit, ungünstige

dass deutlich über die Hälfte der Ent-

rung liege, so nicht zutrifft.

Wirkungen von Kommunikation zu er-

scheidungen für Organspende gefällt

kennen und sich selbst hilfreiches Rüst­

wurde, obwohl der Wille des Patienten

Für die Zukunft wird aus meiner Sicht

zeug für die schwierigen Gespräche

nicht bekannt war. Dieses Ergebnis

wichtig sein, dass aus den Erkenntnis-

anzueignen, ist von unschätzbarem

muss jedoch aufgrund der kleinen Fall-

sen dieser Forschung wichtige Empfeh-

Wert. Die positiven Feedbacks und die

zahlen relativiert werden.

lungen für die Praxis formuliert werden,

Nachfrage der Kurse bestätigen das

um organisatorische und andere un-

eindrücklich.

Die für mich wichtigste Erkenntnis und

günstige Aspekte zu vermeiden. Gleich-

zugleich Schlussfolgerung ist aber fol-

zeitig sollen die Erkenntnisse in die

Ich würde gerne noch wissen, wie es

gende: Die Angehörigen fühlen sich

Weiterentwicklung des Themas Ange-

für dich war, Angehörige zu so einem

durch die Fachpersonen insgesamt sehr

hörigenbetreuung und Kommunikation

sensiblen Thema zu befragen.

gut betreut, sie haben ein sehr grosses

einfliessen.

Das hat einiges bei mir ausgelöst. Ich war tief berührt, wie offen sie mir – einer

Vertrauen in die Ärzte und darin, dass alles für den Patienten getan wird/

Ungeachtet der Resultate aus der Stu-

Fremden am Telefon – Einblick in das

wurde. Einzelne ungünstig erlebte Aus-

die wird für mich das Kommunikations-

von ihnen Erlebte gegeben haben. Es

sagen oder Verhaltensweisen von Ärzten

training für die Fachpersonen das

hat mich still und demütig gemacht, wie

werden zwar von den Angehörigen übel

Herzstück beim Thema Angehörigen­

die Angehörigen in dieser schwierigen

genommen, sie beeinflussen aber nicht

betreuung bleiben. Noch immer haben

Situation trotz dem Verlust, trotz den

die gesamte Haltung der Angehörigen in

Ärzte und Pflegende während ihrer

Emotionen, Zweifeln oder Ängsten be-

Bezug auf die Situation oder die Ent-

Ausbildung viel zu selten die Möglich-

müht waren, das «Richtige» zu tun.

scheidung. Dieses Ergebnis ist deshalb

keit, ihre kommunikativen Kompetenzen

Dass sie beispielsweise einer Organ-

so wichtig, weil es bedeutet, dass die

gerade in schwierigen Settings zu er-

spende zugestimmt haben, obwohl sie

«Herzlichen Dank fürs Engagement, Viviana Abati!»

Fachpersonen sehr gute Arbeit leisten

weitern und zu üben. Das E-Learning

selbst das nicht befürwortet hätten.

Nach elf Jahren wird Viviana Abati «die Welt der Organ­

­Donations Pathway ist heute auch dank ihr nicht nur das

und die manchmal geäusserte Hypo­

und vor allem der Präsenzkurs von

Oder dass sie auch trotz widerstreiten-

spende» verlassen. Sie wird sich vermehrt in der Palliative

Bewusstsein für die Wichtigkeit der Kommunikation mit An-

these, dass die hohe Ablehnungsrate

Swiss­transplant bietet hier die ideale

der Gefühlen bei unbekanntem Willen

Care engagieren und damit ihre Kompetenzen weiterhin in den

gehörigen gewachsen, sondern auch das konkrete Angebot,

des Patienten oft zugunsten einer Or-

Dienst von Angehörigen und Patienten in herausfordernden

um Fachpersonen diese psychologisch anspruchsvollen Ge-

ganspende entschieden haben.

Situationen stellen. Ihre Nachfolgerin ist Sibylle Glauser, die

spräche zu erleichtern. Mit den Forschungsanstrengungen,

das Thema Angehörigenbetreuung ab Januar 2021 für

die Viviana Abati vorantreibt, soll die Angehörigenbetreuung

­Swisstransplant übernehmen wird.

auch in Zukunft weiterentwickelt werden.

Wenn das Thema Angehörigenbetreuung und Kommunikation Sie interessiert, finden Sie hier weitere und vertiefende Informationen:

Allen Angehörigen, die sich mit dieser

– Fachbuch «Gespräche mit hohem Belastungsfaktor in der Medizin», Verlag

Situation konfrontiert sehen, gebührt

PD Dr. med. Franz Immer (l.) übergibt das Mandat «Angehörigenbetreuung» an Sibylle Glauser (M.), die Viviana Abati (r.) nach elf Jahren ablöst. (Foto: Alexandra Jäggi)

Entwicklung konkreter Leitfäden im Rahmen des Swiss

grosser Dank. Sich in einer solchen

Viviana Abati hat entscheidend dazu beigetragen, dass die

Wir danken Viviana Abati für ihr langjähriges und ausser­

– Swiss Donation Pathway, Kapitel Angehörigenbetreuung und Kommunikation

Ausnahmesituation mit dieser Frage

Betreuung von Angehörigen rund um die Organspende in den

ordentliches Engagement und wünschen ihr für ihre private

– Blended Learning: E-Learning-Module Angehörigenbetreuung und Kom-

auseinandersetzen zu müssen, ist in

Spitälern professionalisiert worden ist.

und berufliche Zukunft alles Gute!

ausforderung. Dabei spielt es keine

Durch die Schulung von medizinischen Fachpersonen im

Im Namen des gesamten Swisstransplant-Teams

Rolle, ob der Wille des Patienten be-

­Organspendeprozess mittels Kommunikationskursen, durch

PD Dr. med. Franz Immer,

kannt ist oder nicht; es ist und bleibt eine

das Blended Learning, durch Fachliteratur und durch die

Medical Director – CEO Swisstransplant

Hogrefe, auch auf Französisch erhältlich

munikation (für Fachpersonen) und Präsenzkurs – Minidokus: Aussagen von Angehörigen Sie finden weitere Infos dazu auf swisstransplant.org.

jedem einzelnen Fall eine grosse Her-

anspruchsvolle Entscheidung.

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Engagiert

Engagiert

Seit zehn Jahren Experte für Organspende und Transplantation E

ngagiert, fachmännisch und bedacht: Sascha Albert arbeitet seit zehn Jahren als ­Transplantationskoordinator im Kantonsspital St. Gallen und leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Organspende und Transplantation in der Schweiz. Im Netzwerk ­Organspende Ostschweiz (NOO) betreut er sowohl Organspender als auch -empfänger. Isabelle Capt

Die Medizin hat den gebürtigen Deut-

Chance packte und mich auf die freie

medizinischen Abklärungen zur Spen-

­Bereich der Organspende. Aufgrund von

Widerspruchslösung auslösen. Grund-

schen Sascha Albert schon immer

Stelle bewarb», erklärt Sascha den

dereignung, die Unterstützung bei Fra-

Partikularinteressen und Regionalitäten

sätzlich unterstütze er die erweiterte

interessiert. Doch aufgrund der be­

damals ausschlaggebenden Grund für

gen zur Therapie des Spenders und bei

der Netzwerke ist das Erarbeiten ge-

Widerspruchslösung. «Diese könnte der

schränkten Ausbildungsmöglichkeiten in

den Wechsel in die Transplantations­

den Gesprächen mit den Angehörigen

meinsamer Lösungen mit besonderen

Frage zur Organspende im Angehöri-

der ehemaligen Deutschen Demokrati-

medizin.

der verstorbenen oder versterbenden

Herausforderungen verbunden», gesteht

gengespräch einen neuen Blickwinkel

Person. «Zudem bin ich für die perso-

Sascha. Während seiner Amtszeit als

und damit mehr Klarheit verschaffen.

schen Republik (DDR) entschied er sich 1989 für eine Kochlehre. Erst einige

Wichtige Drehscheibe im Netzwerk

nellen Weiterbildungen im Bereich

Präsident des OKT fokussierte er sich

Weiter bin ich der Meinung, dass jede

Jahre nach dem Mauerfall absolvierte

Die Arbeit von Sascha im Kantonsspital

Organ­spende und Qualitätsmanage-

vor allem auf die Standardisierung der

Person, die für sich oder ihre Angehöri-

Sascha Albert eine Ausbildung als

St. Gallen ist sehr vielseitig, da das

ment zuständig, organisiere Publikums-

Organspende nach Herz-Kreislauf-Still-

gen/Kinder eine Organspende akzeptie-

Krankenpfleger, denn ein Medizinstudi-

Netzwerk Organspende Ostschweiz

vorträge, betreue die SwissPOD für das

stand (engl. Donation after Cardiocircu-

ren würde – und diese Frage sollte man,

um ohne Abitur war nicht möglich. «Ich

(NOO) klein ist. «In meiner Funktion

ganze Netzwerk und kümmere mich um

latory Death, DCD). «Hier konnten wir

besonders wenn man gesund ist, mit

habe danach neun Jahre auf

Statistiken», zählt Sascha eini-

den Prozess national auf ein neues

besonderem Bedacht erwägen – auch

der Intensivstation der medizi-

ge seiner weiteren Aufgaben-

Level bringen und die Qualität erneut

bereit sein sollte zu spenden», appelliert

nischen Universität zu Lübeck

gebiete auf. Dass die Tätigkeit

steigern», sagt Sascha stolz.

der vierfache Vater. Es sei in der Verant-

in Deutschland gearbeitet, bevor ich 2007 in die Schweiz kam und hier die Ausbildung zum Pflegefachmann für Intensiv-

«Man wird täglich mit Leben und Tod ­konfrontiert, daher ist eine gewisse Distanz auf emotionaler Ebene notwendig, um sich zu schützen.»

medizin begann und auch ab-

im Bereich Organspende und

wortung eines jeden mündigen MenMehr Verantwortung für die Zukunft

schen, eine Entscheidung zu treffen.

Im Netzwerk Organspende Ostschweiz betreut Sascha Albert rund 60 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste.

In den zehn Jahren als Transplantati-

«Für eine Verbesserung der aktuellen

onskoordinator erlebte Sascha eine

Lage in der Schweiz ist ein System-

Transplantation auch menschlich viel abverlangt, ist ihm bewusst. «Man wird täglich mit

enorme Entwicklung im Bereich der

wechsel sicher der erste, aber nicht der

schloss», erzählt Sascha. Dieses Jahr

betreue ich vor allem die Patientinnen

daher ist eine gewisse Distanz auf emo-

Arbeitsgruppen und Gremien von Swiss­

Organspende

letzte Schritt.»

feierte er sein zehnjähriges Jubiläum als

und Patienten vor und nach der Aufnah-

tionaler Ebene notwendig, um sich zu

transplant. So war er bis Ende August

«Früher war die Koordination der Or-

Transplantationskoordinator in der Klinik

me auf die Warteliste für eine Nieren-

schützen», betont er. Eine konkrete

2020 über ein Jahr lang Präsident des

ganspende viel reduzierter aufgestellt.

für Nephrologie und Transplantations-

transplantation», berichtet der 48-Jäh-

Seelenpflege habe er allerdings nicht.

Operativen Kernteams (OKT) und gleich-

Heute wird der Bereich stetig umfang-

medizin am Kantonsspital St. Gallen.

rige, «aber ich koordiniere ebenfalls den

«Ich entspanne mich in meiner Freizeit

zeitig Mitglied des Comité National du

reicher – im positiven Sinne», offenbart

«Es gab einen internen Vortrag im Spital

ganzen Organspendeprozess, sobald

mit meinen Kindern, fahre Motorrad oder

Don d’Organes (CNDO) und dessen

er. Die Herausforderung für die Zukunft

über die Arbeit eines Transplantations­

die Intensivmediziner der Netzwerk­

fliege Gleitschirm.»

Steuerungsausschusses. «Die Zeit in

sieht er in den personellen Ressourcen.

koordinators. Das abwechslungsreiche

spitäler einen potenziellen Spender oder

diesen Arbeitsgruppen und Gremien war

«Je mehr Spender, desto komplexer das

Arbeitsspektrum interessierte mich und

eine potenzielle Spenderin melden.»

Engagement für nationale Prozesse

interessant und gleichzeitig herausfor-

Handling der Bereitschaftsdienste»,

ich

mich

Dies umfasst unter anderem die Anmel-

Neben seiner Arbeit im Spital engagier-

dernd. Unser Ziel ist eine Vereinheitli-

fügt er an. Eine solche Situation könnte

­weiter­­zuentwickeln, weshalb ich die

dung, Auswertung und Koordination der

te sich der Rheinecker in verschiedenen

chung der nationalen Prozesse im

der Systemwechsel zur erweiterten

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hatte

das

Bedürfnis,

Leben und Tod konfrontiert,

und

Transplantation.

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Engagiert

Engagiert

«Wir wollen stets das Beste für die Angehörigen» D

ie Leidenschaft für das Gesundheitswesen wurde Valentina Silvagni praktisch in die Wiege gelegt. Seit zwölf Jahren arbeitet sie nun als Pflegefachfrau im Spital in Lugano, ­­ ­vor zwei Jahren hat sie die Ausbildung zur Fachperson für Organ- und Gewebespende ­abgeschlossen. Ein Beruf, in dem Besonnenheit, Tatkraft, aber vor allem Teamwork ­u nabdingbar sind.

«Jede Familie, jeder Spender und jede Entscheidung, die getroffen ­werden muss, ist einzigartig.»

Sophie Bayard

Als Valentina als kleines Mädchen in den

Angehörigengespräch benötigt äusserst

Abschluss ihrer Ausbildung zur lokalen

weise war ein erfahrener Kollege anwe-

spezielle Wunsch erfüllt werden. «Ohne

seien die ersten Stunden zu Hause­

Anatomiebüchern ihrer Mutter stöberte,

viel Besonnenheit – das imponierte mir

Koordinatorin wurde ein junger Mann

send – das gab mir die nötige Sicher-

den Schatten des Zweifels kann ich

immer am schwierigsten, berichtet ­

wurde ihr schnell bewusst: Sie will in die

damals sehr. Ich erinnere mich noch an

nach einem verheerenden Motorrad­

heit.» Das Angehörigengespräch war

sagen, dass dies diejenige Spende war,

­Valentina. «Anschliessend muss man

Fussstapfen ihrer Mama treten und im

jedes Detail: an die Familie, wie das

unfall ins Ospedale Civico eingeliefert.

emotional. «Momente der Klarheit

die mich am meisten berührt hat.»

sich allerdings eingestehen, dass man

Gesundheitsbereich tätig werden. Der

Gespräch verlief und wie die Angehöri-

Zum Zeitpunkt des Unfalls versuchte

wechselten sich ab mit Momenten des

definitive Impuls für diese Berufung kam

gen schlussendlich der Organspende

seine ­Verlobte – ausgebildete Notfal-

totalen Zusammenbruchs», beschreibt

Gemeinsam Grosses leisten

dessen Familie getan hat.» Am Folgetag

dank ihrem ersten Praktikum im Ambu-

zustimmten», erzählt sie ergriffen. Diese

lärztin –, ihn zu reanimieren. Wenige

Valentina das Gespräch mit der Verlob-

In ihrem sechsköpfigen Team fühlt sich

sucht Valentina oftmals das Gespräch

lanzdienst beim Grünen Kreuz in Lugano.

erste Erfahrung im Organspendeprozess

Stunden später konnte im Spital nur

ten, «ich konnte die Schwere im Raum

die 35-Jährige wohl und verstanden.

mit ihren Arbeitskollegen, um den Ablauf

Valentina wusste, dass sie unbedingt im

motivierte Valentina einige Jahre spä-

noch der Hirntod durch eine massive

tatsächlich spüren.» Trotz ihren Beden-

Dass eine solch anspruchsvolle Arbeit

der Spende nochmals durchzugehen.

Notfallbereich arbeiten möchte. Nach

ter, die Ausbildung zur Fachperson

Hirnblutung festgestellt werden. Es war

ken verlief das Gespräch reibungslos.

Teamwork und Vertrauen voraussetzt,

Den stressigen Spitalalltag weiss sie in

dem erfolgreichen Abschluss zur Pfle-

Organ- und Gewebespende in Angriff

das erste Angehörigengespräch, das

Die Verlobte stimmte schliesslich zu,

liegt auf der Hand. «Unser Team ist sehr

ihrer Freizeit indes gut zu verarbeiten.

gefachfrau im Jahr 2008 sammelte sie

zu nehmen.

Valentina führen sollte. «Glücklicher-

dass die Organe ihres Partners weiter-

enthusiastisch und jeder bringt wertvol-

Als Ausgleich spielt sie Theater oder

leben sollten. Wenige Stunden nach

le Erfahrung aus unterschiedlichsten

geht in ihrem Wohnort Taverne regelmässig joggen.

drei Jahre Erfahrung in der Allgemein-

das Bestmögliche für den Spender und

medizin im Ospedale Civico in Lugano,

Jede Spende ist etwas

dem Angehörigengespräch stellte sie

Bereichen mit.» Doch nicht nur ihr Team

bevor sie sich schliesslich für eine

Ausser­gewöhnliches

jedoch eine Bitte, die alle Involvierten

ist für einen reibungslosen Ablauf einer

Spezialisierung in Intensivmedizin ent-

Seit zwei Jahren engagiert sie sich nun

überraschte: Sie wollte genau an dem

Organspende wichtig. Notfall, Koordina-

Für die Zukunft erhofft sich Valentina

schied. Hier arbeitet sie nun seit sechs

als lokale Koordinatorin für Organspen-

Zeitpunkt des «cross clamp» im Opera-

tion, Chirurgie und die gesamte Inten-

eine noch bessere Sensibilisierung der

Jahren und trifft täglich Entscheidungen

de im Ospedale Civico. Spenderdetek­

tionssaal anwesend sein. Es ist der

sivstation müssen wie Zahnräder in­

Bevölkerung zum Thema Organspende.

für das Leben.

tion und -betreuung, Unterstützung der

Moment, in dem die Hohlvene und die

einandergreifen, damit die Maschine

«Dies ist auf jeden Fall eine Herausfor-

Angehörigen sowie medizinische Assis-

Aorta abgeklemmt werden und der

funktioniert. «Jede und jeder ist wichtig,

derung. Es besteht ein grosser Informa-

Die erste Organspende

tenz bei der Organentnahme gehören

Herzstillstand ausgelöst wird. Sie wollte

um dieses kostbare Geschenk und diese

tionsbedarf in der Öffentlichkeit.» Im

Kurz nach dem Abschluss ihrer Spe­

unter anderem zu ihrem Arbeitsalltag.

seine Hand halten bis zu dem Zeitpunkt,

Hoffnung auf Leben für all diejenigen zu

Tessin werde hierzu schon viel gemacht

zialisierung in Intensivmedizin durfte

Obwohl sie schon sehr routiniert in den

in dem sein Herz aufhören würde zu

ermöglichen, die auf ein Organ warten

und das Koordinationsteam engagiere

­Valentina eine lokale Koordinatorin bei

Abläufen ist, bleibt für Valentina jede

schlagen. «Solch ein Anliegen hatte es

und einen Kampf zwischen Leben und

sich mit Informationsanlässen beispiels-

einer Organspende begleiten. Sie erhielt

Spende eine Besonderheit. «Jede Fami-

noch nie gegeben – die Situation brach-

Tod führen.»

weise an Berufsschulen oder bei Sport-

die Gelegenheit, sowohl beim Angehö-

lie, jeder Spender und jede Entschei-

te alle aus dem Gleichgewicht.» Ärztin-

rigengespräch als auch bei der Organ-

dung, die getroffen werden muss, ist

nen, Pfleger, Koordinatoren, Anästhe-

Teamwork ist vonnöten, denn die Tätig-

stolz. «Es gibt noch viel zu tun, aber

entnahme dabei zu sein. «Als ich die

einzigartig», betont sie.

sistinnen, Chirurgen – für alle war es ein

keit als lokale Koordinatorin kann auch

eines ist sicher: An Enthusiasmus und

emotionaler und heikler Moment. Nur

bedrückend sein – die stetige Ausein-

Bereitschaft, die Bevölkerung zu sensi-

dank der grossen Sensibilität und Ko-

andersetzung mit dem Tod, mit dem

bilisieren, fehlt es in unserem Team si-

operation aller Beteiligten konnte dieser

Abschiednehmen. Nach einer Spende

cherlich nicht.»

Verantwortung spürte und die Präzision sah, die diese Arbeit verlangt, war mein

Besonders eine Geschichte bleibt

erster Gedanke ‹Wow!›. Namentlich das

­Valentina in Erinnerung. Just nach dem

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Valentina Silvagni arbeitet als lokale ­Koordinatorin Organspende im Ospedale ­Civico in Lugano – ein Ausgleich zum ­strengen Arbeitsalltag ist da unerlässlich.

veranstaltungen, berichtet Valentina

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Betroffene

Betroffene

Samuel Wespe: Die Geschichte eines geschenkten zweiten Lebens W

enn die Rede vom Schicksal als Chance bei jemandem mehr ist als eine Phrase, dann bei Samuel Wespe. «Ich hätte meinen Laden nicht aufgebaut, wäre mir das alles nicht passiert», sagt er. Wir sitzen in seinem Möbelgeschäft in der Bieler Altstadt. «Plein d’ histoires» heisst es, und auch Samuels Leben ist voller Geschichten – das «alte» wie das «neue».

«Jetzt machst du, was du wirklich willst.»

Flavian Kurth

Bis zum Alter von 27 Jahren war

Nach dem, was er durchgemacht habe,

Arbeit an, die Geschick und Können

Man merkt, dass Samuel in diesem

­Samuels Leben von gesundheitlichen

mache man so etwas, ohne gross dar-

erfordert. Samuel kann fast alles in-

neuen Leben angekommen ist. Ohne

Problemen belastet. Er kränkelte oft,

über nachzudenken. «Probieren wirs»,

house machen, in seiner Werkstatt,

Organspende wäre es so nicht möglich.

wurde schnell müde, musste sich nach

war sein Motto, und wenn es nicht

unterstützt von seiner Mutter. Samuels

Samuel Wespes Geschichte zeigt ein-

dem Essen hinlegen. Die Ultraschall­

klappe, dann wäre es einen Versuch

Vater kommt auf Flohmärkte mit, der

drücklich, wie eine Organspende einem

untersuchung zeigte, dass Samuels Milz

wert gewesen. Es hat geklappt. Samuels

Bruder betreut den Internetauftritt. «Eine

Menschen ein zweites Leben schenken

zu gross war und seine Leber zu klein.

Geschäft ist ein Geheimtipp. Das hat

Art Familienbetrieb», sagt Samuel lä-

kann und dem Transplantierten neue

Was genau ihm fehlte, konnten die Ärz-

auch die Redaktion der Zeitschrift

chelnd. Dazu gehört auch Samuels

Lebensqualität und Lebensfreude er-

te aber nicht sagen. So hat Samuels

«Annabelle» gemerkt, die «Plein d’his-

Hund Alfonso, ein stolzer, etwas gefräs-

möglicht. Es ist auch schön, zu sehen,

Galle über die Jahre seine Leber immer

toires» einen Artikel gewidmet und das

siger Labrador, treuer Freund in der

wie dieser etwas daraus macht, etwas

mehr geschädigt. Bis zu jenem schick-

Geschäft ihren Leserinnen empfohlen

schweren Zeit. Damals wie jetzt, die

aufbaut, das nicht nur ihm selbst, son-

salhaften Tag im Jahr 2011, als Samuel

hat. Seine restaurierten Möbel, sagt

Unterstützung seiner Familie sei enorm

dern auch seinen Mitmenschen Freude

gesundheitlich so geschwächt war, dass

Samuel mit einem Augenzwinkern,

wichtig, betont Samuel. Denn auch

bereitet. Wie er etwas vom Geschenk

er zusammenbrach. Er wurde ins künst-

seien schon ein bisschen mehr als das,

wenn er praktisch keine Einschränkun-

eines neuen Lebens zurückgibt.

liche Koma versetzt, um weiteren Schä-

was sich im Allgemeinen so unter dem

gen habe, sei sein Körper natürlich ge-

den der inneren Organe vorzubeugen.

Label «Vintage» verkaufe. Also auch

schwächt. Was normal sei bei einem so

Der Beginn einer Bewusstseinsreise

Und als er aus dem Koma erwachte,

ein guter Verkäufer? Samuel relativiert:

grossen Eingriff. Verglichen mit vorher,

Samuels erste Gedanken, als er aus der

hatte er eine neue Leber.

«Das konnte ich anfangs nicht, das

gehe es ihm heute aber sehr gut.

Narkose erwachte, waren, dass es ihm

musste ich erst lernen.» Der Neustart

endlich besser gehe, dass er sich wieder Die Herausforderung für die behandeln-

wohlgefühlt habe. Die Gedanken an

Samuel war mitten im Studium in Pro-

Der Wunsch, etwas zurückzugeben

den Ärztinnen und Ärzte war, dass in

seine Spenderin oder seinen Spender

duktdesign, als er lebertransplantiert

Und wo findet Samuel seine Möbel? Das

kurzer Zeit die richtigen medizinischen

kamen erst ein paar Tage später, und

wurde. Sein Studium musste er erst mal

könne überall sein, erzählt er. Auf

Entscheide gefällt werden mussten. Er

das sei ihm «ziemlich eingefahren». Als

unterbrechen, bis er wieder auf den

Flohmärkten auf dem Land, im Internet,

habe sich medizinisch sehr gut aufge-

er so richtig realisiert habe, dass in ihm

Beinen war. Er schloss es ab, als er

in Brockenstuben, manchmal auch auf

hoben und betreut gefühlt, konstatiert

das Organ einer verstorbenen Person

wieder fit war, und packte dann die

der Strasse, mit einem Schild dran «Zum

Samuel. Für seine Spenderin oder sei-

sei, habe er eine Nacht lang Mühe ge-

Chance beim Schopf: sein eigenes

Mitnehmen». Es braucht das richtige

nen Spender empfindet er ein Gefühl der

habt, dies zu verarbeiten. Das ist normal,

Geschäft. «Jetzt musst du das Leben

Auge, um den Wert der Möbel zu erken-

tiefen Dankbarkeit. Sie oder er hat eine

es dauert jeweils eine Weile, bis man in

nen, und Samuel hat es. Sind die Stücke

Entscheidung für das Leben getroffen,

der neuen Situation angekommen ist

in der Werkstatt, steht allerdings eine

die Samuel nun ein neues ermöglicht.

und das Spenderorgan auch psychisch

geniessen», hat er sich gesagt. «Jetzt machst du, was du wirklich willst.»

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Samuel Wespe mit seinem Hund Alfonso vor seinem Möbelgeschäft «Plein d’histoires» in der Bieler Altstadt. (Foto: Julian Salinas)

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Betroffene

Betroffene

Gedanken an seine Spenderin oder seinen Spender kämen immer mal wieder in sein Bewusstsein. Wie die Narbe an seinem Körper seien sie Teil seiner Identität und Geschichte, mit der er lebe und sich auseinandersetze. Der Umgang mit anderen Meinungen

«Du bist jetzt einfach repariert.»

Natürlich sei er für die erweiterte Widerspruchslösung, sagt Samuel auf das Politische angesprochen. Im Ausland sei das ja auch so geregelt, er verstehe nicht, wieso sich die Schweiz damit so schwertue. Zum Glück sei nun aber in der Organspende der politische Prozess zum Systemwechsel zur erweiterten

«Du bist jetzt einfach repariert.»

Widerspruchslösung angestossen. Mis-

Samuel Wespe

sionieren mag Samuel für die Organspende allerdings nicht. Das bringe

Die Beratung der Kunden und das Verkaufen musste Samuel erst lernen. (Foto: Julian Salinas)

auch nichts. Er erzählt dann einfach seine Geschichte, hört sich die Argumente an und bringt seinen Standpunkt ein. Andere Meinungen könne er akzeptieren, betont er, solange sie respektvoll

Franz Immer tritt FOEDUS-Präsidentschaft an

eingebracht würden. Mit derselben

Im April dieses Jahres wurde PD Dr. med. Franz Immer, Medical Director von Swisstransplant, von den Mitgliedstaaten

Sorgfalt, mit der er aus alten Möbeln

von FOEDUS (Facilitating Exchange of Organs Donated in EU Member States) zum neuen Präsidenten gewählt. Mitte

Preziosen zaubert, formuliert Samuel

September hat er sein Amt angetreten.

auch seine Haltung gegenüber unange-

Mit viel Liebe und Sachkenntnis verzaubert Samuel Wespe alte Möbel in Preziosen. (Foto: Julian Salinas)

brachter Kritik. Wenn jemand argumen-

Die damals sehr hohe Sterberate von Kindern auf der Herzwarteliste (rund 80 Prozent) hat Swisstransplant 2009

tiere, im Internet etwa, man müsse halt

­veranlasst, die «European Children Heart Waiting List» ins Leben zu rufen. Dank dem Projekt konnten Kinderherzen, für

die Endlichkeit des Lebens akzeptieren,

die in einem Land keine passende Empfängerin und kein passender Empfänger gelistet waren, ausländischen Partner-

dann kränke ihn dies. So denke man

organisationen angeboten und in umliegenden Ländern transplantiert werden.

nicht, wenn man in einer solchen Situation sei. Auch bezweifelt er, dass jemand

Mit FOEDUS wurde ein Zusammenschluss europäischer Länder zur Förderung des grenzübergreifenden Organaustauschs

eine solche Äusserung von Angesicht zu

geschaffen. Kann ein Spenderorgan innerhalb der Landesgrenzen nicht an passende Empfängerinnen und Empfänger

in sein Ich zu integrieren. Dazu gibt es

auch, als «Geflickten», wie er mit einem

Angesicht machen würde. Es sei halt

zugeteilt werden, wird es über die IT-Plattform von FOEDUS an andere europäische Staaten vermittelt. Als Grundlagen

­verschiedene psychologische Ansätze.

Lächeln sagt. Ein bisschen so, wie die

einfach, sich hinter der Tastatur zu ver-

für FOEDUS dienen die EU-Richtlinien über Qualitäts- und Sicherheitsstandards zur Transplantation bestimmter

Und manchmal helfen auch ganz einfa-

geflickten Möbel in seinem Geschäft?

stecken, konstatiert er und hält fest:

menschlicher Organe (2010) und die Richtlinie zur Festlegung von Informationsverfahren für den Austausch von zur

che Worte und Gedanken. Tags darauf,

So einfach ist es natürlich nicht. Dass

«Ich bin noch jung gewesen, habe noch

Transplantation bestimmten Organen (2012).

erzählt Samuel weiter, sei sein Bruder

er dank dem Organ einer Spenderin oder

etwas vom Leben haben wollen, und

zu Besuch gekommen und habe die

eines Spenders weiterleben kann, hat

auch meine Familie hat noch etwas von

richtigen Worte gefunden: «Du bist jetzt

bei Samuel eine Bewusstseinsreise

mir haben wollen.»

einfach repariert. Das ist, wie wenn du

angestossen. Es hat ihn sensibilisiert.

den Arm gebrochen hättest, und nun hat

Seitdem beschäftigt er sich mit dem

Mehr zu Samuel:

man ihn geflickt.» So sieht sich Samuel

Thema der Organspende. Denn die

swisstransplant.org/geschichten

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Impressum Herausgeberin / Redaktion Swisstransplant Schweizerische Nationale Stiftung für Organspende und Transplantation Effingerstrasse 1 Postfach CH-3011 Bern Titelbild Visual «Eine Entscheidung für das Leben.»

Layout visu’l AG, Bern

Nationales Organspenderegister Tragen Sie sich ein: organspenderegister.ch

Korrektorat / Druck Stämpfli AG, Bern

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Kontakt T 058 123 80 00 magazine@swisstransplant.org

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