Schweizer Musikpreis |Prix suisse de musique 2018

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de Songs des permanenten Handgemenges In einer Berner Wohnung sitzt einer vor dem Ofen und schaut dem Brot zu, das er backt. So weit ist es gekommen: Der Mann, der eine Generation geprägt hat, es ihm gleichzutun, auf den Beinen zu sein und aus Protest gegen die Verengung einen Briefkasten in die Luft zu sprengen, hat seinen Frieden gefunden. Mit Tochter und Partnerin in der Stadt, die er liebt und hasst. Rapper Baze alias Basil Anliker kommt nicht von der Musikschule: Seine Raps sind lyrische Abhandlungen davon, in diesem engen Land zu recht zu kommen, wenn man überall aneckt. Als ich ihn vor zwanzig Jahren erstmals auf der Bühne sah, endete der Abend in einer Massenkeilerei. Auch sein Onkel war ein wilder Hund: 120-Kilo-Mann MC Pädu Anliker – 30 Jahre lang Zeremonienmeister im Konzertlokal Café Mokka in Thun. Eine Woche, bevor ihm die Stadt Thun im November 2016 den Ehrenpreis für seine Verdienste verleihen wollte, starb Pädu an einem Herzinfarkt. Sein Bruder Bernhard, der Vater von Baze, sagt: «Pädu rieb sich an Thun, diesem ‹Schiiskaff›, wie er es nannte, dabei hat er Thun selten verlassen. Das war in seinem Leben zentral: in Thun bleiben, sich an Thun reiben. Diese Hassliebe konnte unglaubliche Energie freisetzen.» Dasselbe kann man auch über Baze und Bern sagen. Einmal hat er es für sechs Monate weggeschafft. Nach Meiringen. Praktikum in der Notfall-Psychiatrie. Als Musiker ist er häufig unterwegs, durch die Schweiz, durch die Welt. In Südafrika hat er mit den Rappern von Dookoom ein Album aufgenommen. «Ich halte es in Bern nur aus, weil ich ständig weg bin», sagt Baze. Aus dem Umfeld der Gruppe Chlyklass, hat Baze mit Soloalben sowie als Teil verschiedener Projekte wie Temple of Speed, Boys on Pills und Tequila Boys der Schweizer Musikszene musikalisch vielfältig (von klassischem Rap

bis zu Acid House) seinen Stempel aufgedrückt. 2010 veröffentlichte er D’ Party isch vrbi, das eine Album, das man von ihm gehört haben sollte: Lyrik, die ihre Kraft aus Nächten bezieht, die nie enden wollen. Futter für Menschen, die hastig geschnupfte Linien Kokain und Sex auf Clubtoiletten unter Romantik verbuchen. Und wenn nichts mehr hilft, hilft immer noch Temesta. Der Soundtrack einer Generation, die auch meine ist. Sein Stück Nie Meh, ein Remix der Band Jeans for Jesus, ist ein Liebesgruss der Generation Praktikum. Wo keiner mehr eine Kerze auf den Balkon stellt und mitfühlt. Vom Mitgefühl zur Cholerik braucht Baze, ein Anliker halt, nur eine Zeile: Würde am liebsten alle killen. Leider gibt ihm keiner einen Grund. Bis auf diesen einen «huere Wichser». Wenn er ihn trifft, dann bringt er ihn um. Dass Nie Meh nach einer dieser Nächte entstanden ist, wo sich ein spektakuläres Hoch in ein bodenloses Tief verwandelt, hätte er nicht zu sagen brauchen. Man spürt es in jeder Zeile. Ein emotionales Meisterwerk voller Dringlichkeit. Poesie des permanenten Handgemenges. Der Preis kommt rechtzeitig: Eine Würdigung, dass er das kulturelle Werk der Anlikers weiterträgt. Eine Würdigung, dass ihm 2017 mit Bruchstück etwas gelungen ist, was man als «reifes Werk» bezeichnen könnte: Nicht mehr ständig selbst aussehen wie eine Zwangs­räumung, wie Endo Anaconda auf D’ Party isch vrbi gesungen hat. Auch mal zu Hause bleiben. Mal ein Brot backen, statt eine Pille schmeissen. Das fünfte Soloalbum von Baze erscheint in diesen Tagen. Es heisst Gott. Bescheiden­heit war noch nie die Schwäche der Anlikers. Der Schweizer Musikpreis ist das Mindeste, was ihm gebührt. — Daniel Ryser


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