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Innovation made in Switzerland
Venture Capital – Krieg, Inflation und hohe Zinsen haben Investments von Wagniskapitalgebern in Start-ups rund um den Globus zuletzt massiv einbrechen lassen. Mit einer Ausnahme: die Schweiz.
Sie entwickeln gesundheitsfördernde Bakterienstämme als Nahrungsergänzungsmittel für Babys, entwerfen Zellverarbeitungsplattformen für Gentherapien oder schaffen Wirkstoffe, die toxisches Blei aus den Körpern vergifteter Patienten ausscheiden. Zehn innovative Schweizer Jungfirmen sind jetzt von einer Fachjury in das Schweizer Startup Nationalteam erkoren worden. Vom 12. bis 16. Juni werden sie bei der in Boston stattfindenden internationalen Venture Capital Roadshow Schweizer Forschungsgeist gegenüber Wagniskapitalgebern präsentieren.
«Mit Lösungen, die von neuen Therapien für Krebs oder Metallvergiftungen bis hin zu neuartigen Analyse und Produktionsplattformen reichen, veranschaulicht das diesjährige Team einmal mehr die Qualität und Vielfalt unserer Startup Szene», sagt Jordi Montserrat, geschäftsführender Partner bei der Unternehmensgründungsberatung VentureLab in Schlieren, die seit 2004 Schweizer StartupFirmen unterstützt.
Wie es um die Qualität junger, innovativer Schweizer Technologiefirmen steht, zeigen auch die Resultate der jüngsten Finanzierungsrunden. Nach einer Erhebung des Londoner Wirtschaftsberatungsunternehmens GlobalData ist das Volumen des weltweit für Technologie Startups zur Verfügung gestellte Wagniskapital im ersten Quartal dieses Jahres um mehr als 60 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschrumpft. In den USA betrug das Minus 72,3 Prozent, im UK 70,1 Prozent, in China 52,2 Prozent. «Investitionen in Venture Capital haben einen deutlichen Rückschlag erlitten», sagt GlobalDataAnalyst Aurojyoti Bose. «Die geopolitische Lage und die wirtschaftlichen Herausforderungen lassen WagniskapitalInvestoren zunehmend vorsichtiger agieren.»
Nur in einem Land sprudeln die Geldhähne für junge Technologiefirmen noch relativ kräftig: in der Schweiz. Die jüngste Analyse von VentureLab zeigt, dass Investoren hierzulande im ersten Quartal dieses Jahres 640 Millionen Franken an Wagniskapital zur Verfügung stellten, gegenüber einer Milliarde Franken in den ersten drei Monaten des vergangenen Jahres. Das entspricht einem Rückgang von nur 36 Prozent und gerade einmal der Hälfte des massiv gedrosselten Investmentvolumens in den USA. «Die Schweiz ist zurzeit ein sehr viel attraktiverer Standort für WagniskapitalInvestoren als andere Län der», sagt Fredy Hasenmaile, langjähriger Immobilienökonom der Credit Suisse und seit Juni Chefökonom bei Raiffeisen Schweiz. «Die Inflation und die Zinsen sind hierzulande deutlich niedriger und die Konjunktur stabiler.»

«Quelle für Start-ups hoher Qualität»
Zudem verfüge die Schweiz über sehr gute Universitäten, die das Land gerade im Bio- und Medizintechnologiebereich zu einem der führenden Entwicklungsstandorte Europas gemacht hätten, fügt der Ökonom hinzu. Die Schweiz gelte somit als «eine Quelle für Start-ups hoher Qualität». Darüber hinaus seien die Marktwertkorrekturen an den hiesigen Immobilienmärkten im Vergleich zu denen in den übrigen EU-Staaten, Grossbritanniens und der USA «überschaubar», sagt Hasenmaile. «Schweizer Immobilienunternehmen verfügen daher über Kapital, um neue Produkte von PropTech-Start-ups erwerben und implementieren zu können.» Hingegen hätten Branchenunternehmen in anderen Teilen Europas mit hohen Zinsen und Wertberichtigungen in ihren Portfolios zu ringen, sodass sie kaum über Liquidität für den Einkauf neuer Technologien verfügen würden. Wie sehr Schweizer Innovationsgeist bei VentureKapitalgebern geschätzt wird, zeigt auch eine Auswertung des Online-Informationsdienstes EU-Startups.com aus diesem Februar. Danach haben Investoren im vergangenen Jahr pro Kopf der Schweizer Bevölkerung 440 Euro, umgerechnet rund 434 Franken, jungen Technologiefirmen für deren Wachstum zur Verfügung gestellt. Im europäischen Durchschnitt hingegen betrug die Investitionssumme pro Einwohner lediglich 130 Euro, rund 128 Franken. Spitzenreiter im Ranking war 2022 das nur 1,3 Millionen Einwohner zählende Estland mit 9.800 Euro pro Kopf. Hier wurden bereits im Vorfeld des UkraineKriegs eine Reihe von auf IT- und Cybersicherheit fokussierte Start-ups gegründet, für die Investoren hohes Wachstumspotenzial sehen, da ihre Software darauf ausgelegt ist, Unternehmen, staatliche Einrichtungen und Regierungen gegen Cyberangriffe zu schützen. «Estland profitiert zudem von seinem Start-up-Visa-Programm, das Technologiefirmen ermöglicht, schnell talentierte Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben», sagt EU-Start-up-Analystin Anna Bugakova.
In der Schweiz steht nach wie vor viel Wagniskapital für die Start-up-Branche zur Verfügung.
Im Ranking vor der Schweiz lag 2022 auch Schweden mit einem Investitionsbetrag von 570 Euro für jeden der 10,45 Millionen Einwohner. Doch die hohe Summe resultiert nicht zuletzt aus einer 2022 erfolgten 2,5 Milliarden Euro schweren Finanzierungsrunde für Northvolt. Das 2015 in Stockholm gegründete Unternehmen entwickelt «grüne» Batterien für Elektromobile, bei deren Produktion 80 Prozent weniger Treibhausgase freigesetzt werden als bei bisher genutzten Akkumulatoren. Aus dem Start-up-Status ist Northvolt –mit inzwischen mehr als 2.000 Mitarbeitenden und Lieferverträgen über Batterien im Wert von mehr als 44,6 Milliarden Franken mit Automobilkonzernen wie BMW, Scania, Volkswagen und Volvo – indes längst herausgewachsen. Im PropTech-Bereich wiederum verzeichnete Deutschland, mit einem Bestand an 42,8 Millionen Wohneinheiten Europas grösster Immobilienmarkt, eine deutliche Steigerung des Investitionsvolumens. Gemäss dem jüngsten PropTech-Report der Beratungsgesellschaft blackprint stellten Investoren 2022 insgesamt 767,3 Millionen Euro an Wagniskapital für Start-ups in diesem Segment zur Verfügung, ein Zuwachs von 52,7 Prozent gegenüber den 502,4 Millionen Euro im Jahr zuvor.
Vier Prozent des im vergangenen Jahr eingesetzten Kapitals, 30,7 Millionen Euro, stammten von Schweizer Wagniskapitalgebern.
Initiative für einen Innovationsfonds
Der globale Einbruch beim Venture-Capital-Volumen ist nicht zuletzt auf den jüngsten Absturz der Tech-Aktien zurückzuführen. Die US-Technolo - giebörse NASDAQ brach in der zweiten Hälfte 2022 um mehr als 21 Prozent ein, konnte seither aber wieder zwei Drittel der Verluste wettmachen. Wagniskapitalgeber fürchteten im Zuge des Abschwungs, dass sie ihr in Start-ups investiertes Kapital nicht schnell durch Börsengänge der Firmen wieder freisetzen können. «Für Start-ups ist es daher noch wichtiger geworden, zu zeigen, dass sie Potenzial für Wachstum und Profitabilität haben», sagt GlobalData-Analyst Aurojyoti Bose. Die Abhängigkeit der Start-ups von Wagniskapitalgebern beunruhigt Teile des Bundesrats seit Jahren. 2022 wurde das Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und der Innovation reformiert; dadurch hat die schweizerische Agentur für Innovationsförderung, Innosuisse, seit diesem Januar die Möglichkeit, Innovationsprojekte von Jungunternehmen direkt zu fördern. Guy Parmelin (SVP), Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, plädiert deshalb für einen Innovationsfonds, alimentiert aus Staatskapital, der junge, innovative Schweizer Firmen unterstützt. 500 Millionen Franken soll das Gefäss zunächst umfassen und später auf mehr als eine Milliarde Franken anwachsen. Das Gefäss soll dabei als Dachfonds operieren und die Mittel an Schweizer Wagniskapital-Fonds verteilen, die ausschliesslich in hiesige Start-ups investieren.

75 Prozent aller Start-ups scheitern Eine Entscheidung über die Lancierung des Fonds wurde in diesem Frühjahr vertagt. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) hatte durchgesetzt, das Geschäft zu verschieben. Kritiker des Gefässes sind der Auffassung, dass die Förderung von jungen Firmen keine staatliche Aufgabe sei. Geht es nach Parmelin, würde der Bund langfristig die Hälfte des gesamten Fondsvolumens von mehr als einer Milliarde Franken stellen. Die andere Hälfte sollen die Kantone und Schweizer Pensionskassen investieren. Bislang allerdings sind Schweizer Vorsorgeeinrichtungen sehr zurückhaltend mit Investments in Venture Capital, da solche Anlagen, wie es im deutschen Begriff «Wagniskapital» bereits anklingt, mit erheblichen Risiken verbunden sind.
Mit Blick auf eine Studie des US-Informationsdienstes Moneyzine vom März 2023 scheint die Zurückhaltung begründet: Danach scheitern 75 Prozent aller durch Venture Capital finanzierten Start-ups. Eine der Ursachen sei dabei, dass 79 Prozent der jungen Firmen unzureichend finanziert sind. Befürworter eines von Bund und Kantonen finanzierten Innovationsfonds argumentieren daher, dass dieser als zusätzlicher
Kapitalgeber diese Lücke schliessen könnte. Start-ups präsentieren ihr Geschäftsmodell Wagniskapitalgebern. Diese entscheiden, ob und wie viel Geld sie in die jungen Firmen investieren wollen. Neben vermögenden privaten Investoren sind es vor allem Venture Capital Funds, die Kapital bei institutionellen Investoren wie beispielsweise Banken, Family Offices, Pensionskassen und Versicherungen einwerben und dies als Wagniskapital für Start-ups stellen.
Dabei streuen sie das Geld über etliche aussichtsreiche junge Firmen. Sie sind sich dabei bewusst, dass eine Reihe dieser Geschäftsmodelle scheitern wird. Zugleich setzen sie aber darauf, dass die erfolgreichen Start-ups bei einem späteren Börsengang so viel Geld einwerben werden, um die Verluste aus den Investments in gescheiterte junge Firmen mehr als wettzumachen.
Hohe Wertschöpfung durch Start-ups

Zu den Venture-Kapitalgebern in der Schweiz zählen unter anderem auch hiesige Banken. So hat die UBS im Jahr 2020 UBS Next lanciert, ein 200 Millionen US-Dollar schweres Portfolio, mit dem die Grossbank seither in Start-ups aus dem Finanztechnologiesektor investiert. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) hat sich nach eigenen Angaben bislang an mehr als 250 Start-ups beteiligt, darunter auch an neuen PropTechs. «Wir konzentrieren uns auf Start-ups mit Firmensitz in der Schweiz, die Produkte, Dienstleistungen oder Vertriebsmodelle entwickeln, die besonders innovativ und am Markt neu sind», sagt Michelle Tschumi, Leiterin Start-up Finance der ZKB. «Voraussetzung ist ein Proof of Concept oder ein Prototyp und ein ausgereifter Businessplan.»
Mit der Förderung von Start-ups hoffen Regierungen, die Wirtschaftskraft ihrer Staaten nachhaltig zu stärken. Gemäss dem in San Francisco ansässigen Beratungsunternehmen Startup
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Genome generieren Start-ups weltweit pro Jahr 3.000 Milliarden US-Dollar an Wertschöpfung, was in etwa dem Bruttoinlandsprodukt Frankreichs entspricht. Der Analyse zufolge ziehen erfolgreiche innovative junge Firmen talentierte Fachkräfte aus dem Ausland an, wachsen zu grossen Unternehmen heran, schaffen Arbeitsplätze und generieren schliesslich erhebliches Steuersubstrat.
«Start-ups spielen eine zunehmend wichtige Rolle für die Innovationskraft eines Landes», heisst es in einem 2022 publizierten Papier des Bundesrats. «Sie tragen wesentlich dazu bei, das Innovationspotenzial aus der Forschung zu nutzen.» Darüber hinaus hätten die innovativen Jungunternehmen eine «wichtige Funktion bei der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien». Im Bundesrat dürfte die Diskussion um die Lancierung eines Innovationsfonds demnächst wieder aufflammen. Zugleich sieht ein Prüfbericht des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation jenseits von finanzieller staatlicher Unterstützung Optimierungspotenzial bei der Start-up-Förderung in der Schweiz. Zur Stärkung junger innovativer Firmen müsse der Technologietransfer von den Universitäten zur Wirtschaft verbessert werden. Möglich sei dies durch «Leitlinien für eine transparente Regelung des geistigen Eigentums an Hochschulen», heisst es in dem Papier.
Zudem benötigten Hochschulen Unterstützung «beim Kompetenzaufbau bezüglich Patentierung sowie bei der Anschubfinanzierung für Patentkosten». Darüber hinaus «könnte der Aufbau von unternehmerischen Initiativen an Hochschulen unterstützt werden». ∙