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Fusionen: Gemeinsam stark werden

Gemeinsam stärker werden

Ökosysteme – In der Schweizer PropTechSzene schreitet die Konsolidierung auch im Jahr 2022 voran. Die nötigen Skaleneffekte lassen sich durch Zusammenarbeit und den Sprung über thematische Grenzen hinweg und über die Landesgrenzen erreichen.

Von David Strohm – Foto: James Brey/iStockphoto.com

Der Fokus auf die neue, innovative Lösung ist für Start-ups unerlässlich. Dem Markt ein neues digitales Werkzeug bieten, welches Anwendern die Arbeit erleichtert, neue Wege für bestehende Abläufe aufzeigt, mit dem sich komplexe oder wiederkehrende Aufgaben kostengünstiger und einfacher erledigen lassen – das ist, wenn

Die Vorteile von Mergers & Acquisiauch nicht allein, was junge Unternehmen mit digitalen Anwendungen für den Bau- und Immobiliensektor erfolgreich tions (M&A) liegen werden lässt. auf der Hand: Kosten Die anspruchsvolle Wachstumsphase sparen, Know-how beginnt, wenn Gründung und Start gebündeln, gemeinsam Neues entwickeln glückt und die Finanzierung für die nächsten Monate gesichert ist. Mehr als 350 digitale Lösungsanbieter verzeichund die Kundenbasis net aktuell die PropTech Map Switzerverbreitern. land, die detaillierteste Zusammenstellung auf diesem Gebiet. Bald werden es gegen 400 sein, die Gründungswelle ist noch lange nicht verebbt. Die Szene ist zuletzt rasant gewachsen. 270 Firmen, die sich mit spezialisierten Anwendungen etabliert hatten, verzeichnete Schwyters Map vor Anfang 2020. Nur gerade 60 waren es vor sieben Jahren, als die Karte zum ersten Mal erschien. Zum Vergleich: Im viel grösseren Deutschland wurden Ende 2020 mit 330 PropTechs nur wenig mehr Firmen als in der Schweiz gezählt, nur waren diese im Schnitt deutlich grösser. Allein im ersten Quartal 2022 sind in der Schweiz knapp ein Dutzend neue Player hinzugekommen. Etwa die Hälfte der Neugründungen entfällt auf die Sammelkategorie «Services», schätzt Heinz M. Schwyter, der die PropTech-Landkarte seit Jahren in Eigeninitiative pflegt und akribisch um sämtliche neuen Marktteilnehmer ergänzt. In der anderen Hälfte finden sich Finanzanwendungen, Plattformen und spezialisierte Tools für Bauherrschaften und Investoren.

Fusionsgründe liegen auf der Hand

Doch es kommen nicht nur neue hinzu. Hin und wieder verschwindet ein Logo auch von der Karte. Nicht mehr am Markt oder neu ausgerichtet haben sich etwa Newflat, Coozzy, Elocations, Homespeed oder Raiffeisen Casa. Sie taten dies nicht nur, weil der finanzielle Schnauf ausging, die Software nicht richtig funktionierte oder die guten Leute davongelaufen waren, sondern weil es eine Art natürlichen Drang gibt, durch Zusammenschlüsse schneller zu wachsen – denn warum nicht mit Gleichgesinnten zusammenspannen oder unter das Dach eines Branchenriesen

Durch Kooperationen und Fusionen bündeln immer mehr PropTechs ihre Kräfte.

schlüpfen? Die Plattformen Homegate und Immoscout24 gehören nun zu einem grösseren Gebilde. Mobiliar bündelt Flatfox und Aroov. Die Kantonalbanken beteiligen sich an Emonitor, der seinerseits mit Newhome zusammenarbeitet. Avobis lanciert den «Property Captain». Baloise baut das Ökosystems «Home» weiter aus, zu dem Houzy, Devis, MOVU, Bubble Box und Batmaid gehören. Die UBS bringt dort ihre Hypo-Plattformen Atrium und key4 ein. Und warum nicht einfach den Konkurrenten schlucken, wenn der schon weiter in der Entwicklung ist? Die Vorteile von Mergers & Acquisitions (M&A) liegen auf der Hand: Kosten sparen, Know-how bündeln, gemeinsam Neues entwickeln und die Kundenbasis verbreitern machen daraus einen sinnvollen Case. Grösste Hürden sind mitunter die Egos der Gründer, die «ihr Baby» nicht loslassen wollen und auf das schnelle Geld spekulieren. Doch ob fusioniert oder frisch gegründet, Platz für erfolgreiche Firmen hat es genug. Diese rasante Entwicklung vorangebracht und zugleich gebremst hat nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie. «Die Corona-Krise hat die digitale Transformation im Immobiliensektor nicht nur erheblich beschleunigt, sondern auch den Nutzen der Digitalisierung für breite Kreise klar demonstriert», heisst es im PropTech Report 2021 von Credit Suisse und SwissPropTech. Andererseits war es nicht die Zeit für aufwendige Neueinführungen

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und die Umstellung eingespielter Abläufe. Manch potenzieller Auftraggeber schob angesichts ungewisser Zukunftsaussichten seine Digitalprojekte auf die lange Bank. Weil sich mit dem ersten Lockdown von einem Tag auf den anderen Kommunikationswege und Tätigkeiten in den digitalen Raum verschoben, blieb die Digitalisierung überall weit oben auf der Agenda – und Vernetzung gilt nicht mehr als «Kann-Option», sondern als eine «Muss-Option». In diesem Nährboden haben neue PropTechs punkten können. Die Herausforderungen jedoch, vor denen etablierte und neu gegründete Firmen stehen, sind geblieben: ∙ Zwang zum Wachstum. Wer bestehen will, muss grösser werden – und zwar schnell. Die alte Start-up-Weisheit in die Tat umzusetzen wird schwieriger in Zeiten wachsender Konkurrenz und gedämpfter Konjunkturerwartungen. Zudem zeigt sich beim Kampf um die Talente, wo Engpässe entstehen: Nicht

Die Corona-Krise selten fehlen hoch motivierte Spezialishat die digitale Transformation im ten, die es für den nächsten Wachstumssprung braucht. ∙ Erwartungen der Investoren erfüllen.

Immobiliensektor Am Geld hat es bislang nicht gemangelt. nicht nur erheblich Seed-Money ist genügend vorhanden für beschleunigt, sondern auch den Nutzen der jene, die gut präsentieren und überzeugen können. Noch fliessen die Mittel reichlich, zumal sich Spezialfonds bil-

Digitalisierung für den, die weitere Millionen einsammeln. breite Kreise klar Doch irgendwann muss jedes Jungundemonstriert. ternehmen liefern, oder zumindest eine glaubwürdige Exit-Strategie vorliegen. PropTechs bilden da keine Ausnahme. Tatsächlich haben viele PropTechs die Gewinnschwelle noch nicht erreicht. ∙ Sprung ins Ausland vorbereiten. Der Schweizer Markt ist überschaubar und schon jetzt keineswegs unterversorgt mit Anbietern. Irgendwann kommt die Erkenntnis, dass Wachstum nur jenseits der Grenzen stattfinden kann. Allerdings ist der Sprung ins Ausland riskant und ohne verlässliche Partner kaum zu schaffen. Doch Skaleneffekte gibt es nur, wenn sich die eigene Idee vervielfältigen lässt. Zudem gibt es auch im Ausland Anbieter, von denen viele bereits auf den lukrativen Schweizer Markt schielen. ∙ Fokus auf Anwender. Ein viel gehörtes Lamento besagt, die Immobilienbranche sei (zu) wenig empfänglich für Innovationen und Lösungen von technologischen Vorreitern. Doch Jungunternehmen, die ihren Fokus nur auf das eigene (natürlich herausragende) Produkt legen, verlieren ihre Anwender am Backend aus den Augen. Wer sich hingegen konsequent auf mögliche Auftraggeber ausrichtet, verspürt vermehrtes Interesse. Laut PropTech Report sind dies derzeit vor allem Firmen aus den Bereichen Asset-Management, Marktplätze/

Plattformen und Smart Building/IoT. ∙ Prozessschritte zusammenfügen. Anstelle immer neuer, singulärer Lösungen suchen die grossen Kunden nach Dashboard-Anwendungen, mit denen sich möglichst viele Aufgaben erledigen lassen. Alles aus einer Hand zu bieten ist zwar noch Zukunftsmusik. Doch die Konsolidierung der PropTech-Szene durch Fusionen und Übernahmen belegt diesen Wunsch nach Komplementärem.

«Erfolgsfaktoren von PropTech-Unternehmen» lautet der Titel einer jüngst am IFZ/HSLU entstandenen Masterarbeit. Die Autoren, Jlljana Heussi und Michael Wicki, haben diese Faktoren ermittelt (in absteigender Reihenfolge): Kundennutzen, ein gutes Team und die Skalierbarkeit beschreiben sie als die drei wichtigsten Faktoren, gefolgt von solider Finanzierung, dem Alleinstellungsmerkmal, das zudem Schutz vor «Copy Cats» bietet, sowie einem dichten Business-Netzwerk.

Ungebrochener Optimismus

Bei aller Euphorie gibt es mit Blick auf die nahe Zukunft auch kritische Stimmen. Die zuletzt auf den Markt gebrachten Anwendungen würden einen nur geringfügigen Zusatznutzen bringen; bahnbrechende Innovationen seien eher selten. Die Kostenentwicklung gerate in manchen Firmen in den Hintergrund. Darüber hinaus fehle die Aussicht auf den grossen Wurf. Einzig das von einem Immobilien-Hype geprägte Metaverse könnte «the next big thing» sein. Die Mehrheit der PropTechs geht allerdings gestärkt aus den vergangenen zwei Jahren hervor und erhofft sich eine vielversprechende Zukunft. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Beschäftigungsentwicklung und auch beim Umsatz: Trotz Pandemie vergrösserten vier von fünf Firmen ihre Belegschaft – im Durchschnitt um hohe 71 Prozent. Auch beim Umsatz herrscht Optimismus. 2020 und 2021 konnten viele Firmen ihre Umsätze deutlich steigern, viele sogar verdoppeln. Auch für die Zukunft zeigt sich die Branche sehr zuversichtlich: Für das laufende und das kommende Jahr 2023 werden noch höhere Umsatzzuwächse erwartet. «Von solchen Zahlen können andere Sektoren nur träumen», lautet das Fazit des Swiss PropTech Report. ∙

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