5 minute read

Der Blick ins Ausland

ZIA setzt neue Massstäbe

Immobilienwirtschaft – Um die Dekarbonisierung des Gebäudesektors und die Klimaziele zu erreichen, sind ESG und Digitalisierung die Dreh und Angelpunkte, sagt ZIAPräsident Dr. Andreas Mattner.

Interview: Birgitt Wüst – Foto: ZIA

SWISSPROPTECH MAGAZIN: ZIA und Blackprintpartners haben im Februar 2022 für Immobilienunternehmen Handlungsempfehlungen zur praxisnahen Ausgestaltung der Themen ESG und Digitalisierung veröffentlicht. Was war Anlass zu diesem Schritt? DR. ANDREAS MATTNER: Die Handlungsempfehlungen sind im Rahmen einer Projektgruppe des ZIAAusschusses Digitalisierung entstanden. ESG und Digitalisierung sind die zwei grössten Gamechanger, die die Immobilienwirtschaft je gesehen hat. Beide zusammen werden die bauende und gebaute Welt so tiefgreifend verändern, wie wir

«Es ist essenziell, es uns heute kaum vorstellen können. dass wir den Schulterschluss zwischen den etablierten Beides sind Herausforderungen und Chance, die im Gegensatz zu früher gemeinsames Handeln erfordern: auf Ebene von einzelnen Immobilien, auf Unter-

Unternehmen und nehmensebene und auf Ebene von den PropTechs weiter smarten Quartieren bzw. Smart Cities. ausbauen.» Der Fortschritt kann nur gelingen, wenn wir gemeinsam in eine Richtung laufen – wenn wir einander zuhören, Empfehlungen geben und gemeinsam den Wandel gestalten. Schon 2021 gab es ausreichend Best-PractiseBeispiele, die wir nun im ESG-Report in einem Katalog zusammenfassen wollten. Hauptziel war dabei, konkrete Lösungen im ESG-Bereich der Immobilienbranche gebündelt vorzustellen. Als Netzwerk- und Knowledge-Plattform hat sich Blackprintpartners auf die Digitalisierung der Bau- und Immobilienbranche spezialisiert. Durch diesen Zusammenschluss können wir viel erreichen.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen beim Ziel, den Wandel zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit im Neubau oder Bestand zu beschleunigen, sprich: die Klimaziele zu erreichen? Die Immobilienwirtschaft hat über Jahre bereits umfangreiche Investitionen getätigt, um CO2Emissionen zu senken, und will weitere Anstrengungen unternehmen. Wir müssen aber über die Dekarbonisierung des Gebäudesektors weit über die reine Gebäudestruktur hinausdenken: Dämmen allein ist nicht die Lösung.

Was wären die wichtigsten Schritte? Wir brauchen Betriebsoptimierung, digitale Anlagentechnik und vor allem grünen Strom und grüne Wärme. Das zeigt, dass wir auch in Richtung Energiewirtschaft denken müssen. Mehr Klimaschutz, mehr Nachhaltigkeit kann es zudem nur durch mehr digitale Daten geben. Die Immobilienbranche ist dazu bereit, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und dafür auch die entsprechenden Investitionen zu tätigen und strukturellen Veränderungen umzusetzen. Die Notwendigkeit, mithilfe der Digitalisierung zur Erreichung der Klimaziele und zur Erfüllung von ESG-Kriterien beizutragen, ist also erkannt.

Was raten ZIA und Blackprintpartners Städten und Kommunen hinsichtlich der Steuerung nachhaltiger Projektentwicklungen sowie von Sanierungs- und Transformationsprojekten? Quartiersplanung wird die Königsdisziplin. Vor dem Hintergrund einer stärkeren Vernetzung und mehr Synergien – auch bei unterschiedlichen Bauprojekten – spielt die Smart City eine entscheidende Rolle. Auch empfehlen wir der Branche, im Neubau und in der Sanierung auf recycelbare und rückbaubare Materialien zu setzen.

Gibt es Best Practices für die Planung neuer und die Veränderung bestehender Infrastruktur? Sicher! Beispielsweise die Vernetzung durch Daten: Mit der Eröffnung der Datenbestände, etwa durch Open-Source-Plattformen, kann die Infrastruktur verbessert und neu gestaltet werden. Weitere Beispiele sind, neben dem Ausbau des ÖV-Angebots, Smart-Mobility-Systeme auf Quartiers- und Stadtebene und Smart Grids, ein flächendeckendes intelligentes Stromnetz im Gebäude, im Quartier und auf Ebene der Smart City.

Wie können Unternehmen am einfachsten ESG und Digitalisierung in ihre Arbeitsabläufe integrieren? Mobilität und Arbeitswelten verändern sich – Smart Mobility und New Work sind für die Unternehmen daher entscheidende Parameter. Smart

Dr. Andreas Mattner ist Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) mit Sitz in Berlin bzw. Brüssel. Der ZIA gilt als Spitzenverband der Immobilienwirtschaft und vertritt mehr als 300 direkte Mitglieder sowie über 30 Verbände mit insgesamt 37.000 Mitgliedern.

Mobility beinhaltet u.a. neben Carsharing und Dienstwagen für Mitarbeitende Budgets für die ÖV-Nutzung, aber auch E-Bikes und Fahrräder bereitzustellen, sowie eMobility-Anreizsysteme für einen geringen CO2-Impact zu geben. Dazu zählt u.a., möglichst viele E-Autos in der Tiefgarage zu laden und ein sinnvolles 24/7-Stellplatzkonzept für unterschiedliche Nutzer zu entwickeln – denn je höher die Auslastung, desto grösser die Reduktion des Energieverbrauchs pro Fahrzeug.

Sie nannten auch New Work… Dabei geht es vor allem darum, flexible Raumkonzepte umzusetzen und die Fläche pro Mitarbeiter zur verringern – durch angemessene Raumkonzepte, unabhängig ob remote oder nicht. Sinnvoll wäre, «Work und Place»-Konzepte zu erstellen, in denen in Büro- oder auch Wohngebäuden auch Freizeitflächen integriert werden – etwa Ballsportanlagen, ein Schwimmteich oder ein Kino.

Wie sehen Sie die Chancen, dass Unternehmen, Städte und Quartiere Ihre Empfehlungen umsetzen? Der ESG-Report des ZIA fokussiert sich zunächst auf ganz konkrete Lösungen, die auf dem Markt schon existieren. Doch gibt es natürlich vieles, was noch entwickelt werden kann – deswegen lassen wir den Report offen und sammeln gute Praxisbeispiele für Produkte und Lösungen im ESG-Bereich und entwickeln das Thema in einer digitalen Toolbox weiter. Proptechs haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu vielen etablierten Unternehmen keine festgefahrenen Strukturen aufbrechen müssen: Sie können ihre Ideen sofort umsetzen. Sie setzen Trends im Bereich Innovation und Digitalisierung. Von der Zusammenarbeit können beide Seiten profitieren: Die im ZIA versammelten Unternehmen spielen eine massgebliche Rolle rund um Digitalisierung, Klimakrisenbewältigung und -adaption sowie beim Wandel der Nutzungsformen von Immobilien praktisch jeder Asset-Klasse. Es ist essenziell, dass wir den Schulterschluss zwischen den etablierten Unternehmen und den PropTechs weiter ausbauen: Nur so können innovative Lösungen nachhaltig in der Breite umgesetzt werden. Um diese Prozesse zu unterstützen, haben wir die ZIA-PropTech-Plattform lanciert – einen Marktplatz für Ideen, Themen und Innovationen zwischen PropTech-Unternehmen und etablierten Playern in der Immobilienwirtschaft.

Wie reagiert die Immobilienwirtschaft auf die Handlungsempfehlungen? Die Resonanz auf diesen ersten Aufschlag ist sehr positiv ausgefallen: Mit den erarbeiteten Ergebnissen können sich Unternehmen, die am Anfang der Entwicklung ihrer ESGStrategie und der Identifikation von Massnahmen stehen, einen ersten, breiten Überblick zum Thema ESG und Digitalisierung verschaffen – inklusive Handlungsempfehlungen zur Inspiration. Dieses Papier ist bewusst als erster, konkreter Ansatz zum Thema gedacht und soll in der Folge weiter vertieft werden. Die Best-Practise-Listen werden fortgeschrieben. Zudem ist der ESGReport nur eines unter vielen ZIA-Projekten zum Thema ESG. Erst kürzlich wurde vom ZIA die ESG-Charta verabschiedet, die Aussagen zur Bedeutung, den Selbstverpflichtungen und auch zu Aktivitäten, Transparenz und Monitoring der Immobilienwirtschaft zu ESG-Themen macht «ESG und Digitalisierung sind Herausforderungen und Chance, die gemeinsames Handeln erfordern: auf Ebene von Einzelimmobilien, auf Unternehmensebene und auf Ebene von smarten Quartieren bzw. Smart Cities.»

Wie weit ist die Entwicklung der Digital Toolbox? Um die Ergebnisse des ESG-Reports leichter zugänglich zu machen und um die Sammlung an Problemlösungsansätzen sowie Best Practises fortzuführen und zu erweitern, wird die Projektgruppe «ESG und Digitalisierung» ihre Arbeit auch in diesem Jahr fortsetzen. Unser Ziel ist, mit der Digital Tool-box ein interaktives digitales Instrument für die Immobilienbranche zu schaffen, über das Lösungsansätze leicht identifiziert und Best Practises schnell gefunden werden können. •