Mein Gott, die Zeiten, die Zeiten von Monika Detering

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Anna wand sich. Und entschloss sich zu sagen: »Ich komme gern, aber zahlen will ich doch lieber selbst.« »Wie Sie meinen. Ich möchte mich jetzt hinlegen, Schönheits­ schlaf, Sie wissen?« *** Die Gespräche der anderen hingen wie ein Summen in der Luft und machten Anna schläfrig. Diskret brachten Ober diverse Getränke. Ein Liftboy trug Koffer. Hinter ihm ging ein Mann mit Hut und heruntergezogenen Mundwinkeln. Ein Leben im Hotel? Sie träumte seit langem davon. Von einem eigenen. Einem kleinen Hotel am Ufer der Ruhr. *** Nie hätte Friederike Meerwald auch nur im Geringsten gedacht, so plötzlich der lange Gesuchten gegenüberzustehen. Dieses Freuden­ gejaule. War ihr das unangenehm gewesen. »Hier trifft man sich also wieder!«, hatte Anna gerufen. »Was habe ich Sie in Hamburg gesucht und auch Ihre Kinder.« Friederike wollte sich von Anna etwas zurückholen. Wollte sie zur Rede stellen. Sie hatte Anna 1947 gerettet, als sie in Hamburg angekommen und vor Hunger zusammengebrochen war. Hatte sie aufgenommen und ihr Arbeit als Kindermädchen gegeben. Viele Leute hatten damals in ihrer Villa in Blankenese gewohnt, wie das so war in jenen Zeiten. Friederike hatte vor kurzem eine ehemalige Mitbewohnerin getroffen und die hatte ihr verraten, dass Anna bei ihrem Weggang wertvolle Dinge mitgenommen hatte. Nur, weil sie ihr keinen Lohn gezahlt hatte. Friederike war geflohen, als sie kein Geld mehr besaß und englische Offiziere ihre Villa besetzt hatten. In einer Baracke hatte sie hausen müssen und die Kinder zu Ver­ wandten nach Süddeutschland geschickt. »Mein Gott, die Zeiten, die Zeiten!« *** 9


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