HB Legal Success vom 01.06.2011

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SPEZIAL: LEGAL SUCCESS Korruptionsjagd in Unternehmen braucht Regeln Marcus Creutz Garmisch

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ür Anwälte entwickelt sich die Aufklärung von Straftaten in Unternehmen zum lukrativen Geschäft. Weil Vorstände, Aufsichtsräte und Gesellschafter nichts mehr fürchten als den Staatsanwalt im eigenen Haus, beauftragen sie lieber vorbeugend eine große Wirtschaftskanzlei mit den internen Ermittlungen wegen Schmiergeldzahlungen, Steuerhinterziehung oder Kartellverstößen. Die Anwälte sprechen dann auch mit den Mitarbeitern. Ob es sich dabei um knallharte Vernehmungen handelt oder um harmlose Interviews – darüber gehen die Meinungen auseinander. Wenn Staatsanwälte ermitteln, können Zeugen und Beschuldigte in der Strafprozessordnung nachlesen, welche Rechte und Pflichten sie bei Vernehmungen haben. Für privat beauftragte Anwälte existiert jedoch kein schriftliches Regelwerk, das auf diese Situation abstellt. Wie Kanzleien in Unternehmen ermitteln, hat Debevoise & Plimpton im Siemens-Skandal vorgemacht – manche Manager sprachen von Inquisitionsmethoden. Doch wer an einen Ausrutscher geglaubt hat, der sieht sich getäuscht: Das Geschäft mit den internen Ermittlungen blüht – das zeigt gerade wieder das Beispiel Ferrostaal. Dabei können auch Anwaltskanzleien leicht zum Spielball der Justiz werden. So bei der HSH Nordbank: Der Aufsichtsrat hatte Freshfields mit einem Rechtsgutachten beauftragt. Die Kanzlei sollte herausfinden, ob Vorstände bei einer Unternehmenstransaktion Untreue begangen hatten. Die Anwälte befragten daraufhin unter Zusicherung der Vertraulichkeit Mitarbeiter der Bank. Das hielt die Staatsanwaltschaft nicht davon ab, die Protokolle später in den Büros von Freshfields zu beschlagnahmen. Natürlich muss kriminelles Verhalten bekämpft werden – aber mit fairen Mitteln. Jedem Unternehmen steht die Eigentumsfreiheit nach dem Grundgesetz zur Seite. Aus dem Grundrecht der Menschenwürde ergeben sich für die Arbeitgeber aber auch Fürsorge- und Aufklärungspflichten den Mitarbeitern gegenüber. Wo die Grenzen verlaufen, das muss der Gesetzgeber entscheiden. Keinesfalls darf er diese Fragen dem Rechtsgefühl einiger Wirtschaftskanzleien überlassen. Die werben damit, schon im Vorfeld eines Verdachts Firmen zu durchleuchten. Grund: Unter dem Stichwort „Compliance Due Diligence“ verlangen immer mehr Käufer, dass das Zielunternehmen vertraglich versichert, nach Recht und Gesetz zu handeln.

IMPRESSUM: Konzept & Realisierung: Marcus Creutz (racreutz@aol.com) Redaktion: Ingmar Höhmann, Thomas Mersch, Stefan Merx

Mit Empfehlung

Prüfsiegel soll Manager entlasten

Das Institut der Wirtschaftsprüfer führt Standards für Compliance-Systeme ein.

Best Lawyers listet die angesehensten deutschen Anwälte 2011 auf. Für das Ranking zieht der US-Verlag die Meinung der Konkurrenz zurate.

Spitzenjuristen

Die meistgenannten Kanzleien Freshfields Bruckhaus Deringer

66 65 42 41 37 29 26

Marcus Creutz Garmisch

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est Lawyers ist in den USA eine Legende: Seit über 25 Jahren erscheinen dort Empfehlungslisten der besten Anwälte. Regelmäßig lässt der Verlag Tausende Juristen nach der Leistung ihrer Konkurrenten befragen. Das sogenannte Peer-to-PeerVerfahren hat Best Lawyers auf den deutschen Markt übertragen. Im dritten Jahr in Folge veröffentlicht das Handelsblatt als Exklusivpartner nun die Ergebnisse. Manager oder Rechtsabteilungen können sich die richtigen Ansprechpartner aussuchen: Vom Arbeitsrecht über Gesellschaftsrecht, M&A und Private Equity bis hin zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht sind mehr als 1 000 renommierte Wirtschaftsanwälte aus rund 40 Rechtsgebieten aufgelistet. Was die Branche dabei vor allem interessiert, ist die Frage, welche Kanzleien die meisten Empfehlungen erhalten. Dieses Jahr hat Freshfields die Nase vorn – gleich 66 Juristen finden sich im Ranking wieder. Mit einem Zähler weniger folgt Hengeler Mueller auf Platz zwei. In die Top fünf geschafft haben es auch Clifford Chance (42), Hogan Lovells (41) sowie Gleiss Lutz (37).

Großkanzleien ändern Strategie Für Manager, die fremden Rechtsrat einkaufen, ist die Reputation der beauftragten Kanzlei ein wichtiger Aspekt – aber bei weitem nicht der einzige. Zunehmend hinterfragen Unternehmen die Rechnungen der großen Wirtschaftskanzleien. Sie erwarten nach wie vor exzellente Beratung, sind nicht mehr bereit, für mehr oder weniger stan-

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Hengeler Mueller Clifford Chance Hogan Lovells International Gleiss Lutz CMS Hasche Sigle Taylor Wessing Linklaters Noerr White & Case Allen & Overy P+P Pöllath + Partners

Handelsblatt Quelle: Best Lawyers

Nachteil sein, wenn er eine neue Beschäftigung in Aussicht hat, aber wegen der Abwicklung des alten Dienstverhältnisses noch in der Warteschleife festhängt“, sagt Burmester. Firmen suchen diskrete Lösungen www.fuchs-foto.de, PR

Votum

dardisierten Rechtsrat und ein Heer an Junganwälten Höchststundensätze zu bezahlen. Was das bedeutet, erklärt der Berliner Strategieberater Torsten Breden: „Der Fokus auf Wachstum, der die Ausrichtung der Großsozietäten geprägt hat, gehört der Vergangenheit an. Der neue Imperativ des Marktes heißt operative Exzellenz und konsequente Mandantenorientierung. Das ist eine radikale Herausforderung für das Geschäftsmodell der Kanzleien.“ Was die Umsatzerwartungen angeht, sind die Wirtschaftsanwälte dennoch optimistisch. Schon vergangenes Jahr hatten die Transaktionsspezialisten damit gerechnet, dass das M&A-Geschäft in Deutschland anziehen würde. Nun erfüllen sich die Hoffnungen mit Verzöge-

rung. „Viele Unternehmen haben sich darauf konzentriert, stabil durch die Krise zu kommen und Vorsorge zu treffen. Da stand das M&A-Geschäft nicht im Vordergrund“, sagt Rechtsanwältin Daniela Favoccia von Hengeler Mueller. Viel Arbeit für Finanzexperten Experten erwarten auch eine verstärkte Nachfrage beim Finanzierungsgeschäft. Grund dafür ist, dass auf dem Höhepunkt des M&A-Markts vor vier Jahren viele Betriebe in den Besitz von Finanzinvestoren übergegangen sind. Diese Transaktionen zeichneten sich durch hohe Fremdfinanzierungsquoten und günstige Finanzierungskonditionen aus. Zwischen 2012 und 2015 stünden nun die Refinan-

Gesetze für die Wirtschaft zierungen an, sagt Favoccia. „Die Unternehmen nehmen dafür früh die Verhandlungen auf.“ Auch Arbeitsrechtler haben gut zu tun, weil Führungskräfte eher bereit sind, den Job zu wechseln. „Kommen die Verhandlungen nicht schnell zu einem Ergebnis, setzen Betriebe Manager gern durch hohe Schadensersatzforderungen unter Druck“, sagt Rechtsanwältin Antje Burmester von Ulrich Weber & Partner. Die Managerhaftpflichtversicherung helfe dann nicht immer weiter. Sind die Vorwürfe haltlos, drängen die Assekuranzen meist darauf, den Prozess zu Ende zu führen – selbst wenn das Jahre dauert. „Für den Manager kann das von

Ein weiterer Trend: Bei Streitigkeiten zwischen Firmen meiden die Manager die staatlichen Gerichte. Statt über mehrere Instanzen in aller Öffentlichkeit zu klagen, vereinbaren viele Unternehmen den Gang zum privaten Schiedsgericht. Der Vorteil: In der Regel wird hier schnell und unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden. Siegfried Elsing, Senior Partner von Orrick Hölters & Elsing, prognostiziert deshalb: „Die Bedeutung von Schiedsverfahren im internationalen Wirtschaftsrecht wird weiter steigen.“ Unternehmen sollten sich dabei aber nicht auf das anglo-amerikanische Verfahrensrecht einlassen, weil es dazu anrege, zunächst viele Dokumente zu produzieren. Dadurch, sagt Elsing, würden die Verfahren teurer und dauerten länger. Das deutsche Recht sei wesentlich effizienter.

Die vollständigen Listen der BestLawyers-Rankings finden Sie im Internet unter: www.handelsblatt.com/legalsuccess

Christoph H. Vaagt: „Investmentbanken entscheiden bei der Kanzlei auswahl mit“

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er Münchener Consultant Christoph H. Vaagt hat viele Topanwaltskanzleien beraten. Marcus Creutz befragte ihn zu Chancen und Risiken des Rechtsberatungsmarkts. Handelsblatt: Worin unterscheiden sich die Geschäftsmodelle deutscher und anglo-amerikanischer Kanzleien? Christoph H. Vaagt: In einer englischen Kanzlei gilt die Annahme, dass das Geschäft durch Strukturierung nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und auf Dauer unabhängig von den Personen im Markt profitabel betrieben werden kann. Linklaters etwa hatte mal ein Team von 20 Salesmitarbeitern

weltweit, die für das Pipelinegeschäft der Investmentbanken sorgen sollten. So etwas haben deutsche Kanzleien nicht. Diese sind als Partnerschaften strukturiert. Die Art, sich Geschäft heranzuholen, ist viel stärker beziehungsbasiert.

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FREITAG / SAMSTAG, 27. / 28.05. 2011, Nr. 106

Handelsblatt: Warum ist das so? Vaagt: Der deutsche Anwalt in einer deutschen Kanzlei denkt sein Geschäft von der Beratung her, die er abzuliefern hat. Deutsche Kanzleien betreiben ausländische Büros nicht so sehr unter dem Aspekt Profitmaximierung, sondern mehr als Reaktion auf Mandantenwünsche.

Vaagt: Viele Projekte, beispielsweise M&A-Transaktionen, sind von den Investmentbanken abhängig – diese entscheiden über die Auswahl der Kanzleien mit. Nur Kanzleien, mit denen sie gute Erfahrungen gemacht haben, die die Spielregeln insbesondere des Londoner Markts kennen und sich nach den Gepflogenheiten der Investmentbanken richten, bekommen Aufträge. Deutsche Kanzleien sind hier in der Regel einfach nicht gelistet. Sie sind abhängig von der Zusammenarbeit mit britischen oder USKanzleien. Daher ist hier schon fast ein Kartell tätig.

Handelsblatt: Kann dies das Geschäft erschweren?

Handelsblatt: Elf Kanzleien erzielen in Deutschland jeweils über 100

hängig. Sie verdienen bei Aktivitäten und Bewegung am Markt genau wie die Börsenmakler. Nur Stagnation ist schlecht für das Geschäft.

Christoph H. Vaagt Millionen Euro Umsatz. Wächst der Rechtsmarkt noch? Vaagt: Die Rechtsbranche wächst im Grunde genommen proportional zum Bruttosozialprodukt. Anwälte sind aber nicht unbedingt von der generellen Konjunktur ab-

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Handelsblatt: Hat die Rechts- und Wirtschaftsberatung aus einer Hand Zukunft? Vaagt: Gerade im mittleren Marktsegment ergibt das Sinn. Ich berate seit einigen Jahren sogenannte Multi-Disciplinary-Practices. Die haben sich toll entwickelt – mit Hilfe mehrerer Kompetenzen: Anwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer. Manchmal ist es sogar eine Person, die alle drei Qualifikationen erworben hat. Die Anbieter arbeiten für Mittelständler und verstehen alle Aspekte der Unternehmung.

Marcus Creutz Garmisch

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igentlich sollte man Siemens und MAN dankbar sein. Auch wegen der Berichterstattung über die Schmiergeldskandale bei den beiden Konzernen hat der Kampf gegen Korruption hohe Priorität in deutschen Unternehmen. Um sich selbst vor Schadensersatzansprüchen zu schützen, steht das Thema Compliance – also das Beachten von Regeln und Gesetzen – bei Vorständen und Aufsichtsräten ganz oben auf der Agenda. Doch der Aufbau von innerbetrieblichen Kontrollen stellt viele Unternehmen vor ein Problem: Die Zivilgerichte haben noch nicht darüber entschieden, welchen Anforderungen derartige Compliance-Management-Systeme genügen müssen. Wie genau müssen die Manager mögliches Fehlverhalten prü-

fen? Wie viele Mitarbeiter sind nötig, um gesetzmäßiges Handeln im Unternehmen durchzusetzen? Erfasst das System auch alle Risiken? Vor der drohenden Haftungsfalle wollen jetzt Deutschlands Wirtschaftsprüfer die Manager bewahren, indem sie eine externe Überprüfung anbieten. Zu diesem Zweck hat kürzlich das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance-Management-Systemen verabschiedet. Darauf aufbauend hat PricewaterhouseCoopers (PwC) eine modulare Beratung entwickelt. Ähnlich wie bei der ISO-Zertifizierung bestimmen die Unternehmen dabei selbst den Prüfungsumfang. Betriebe ohne Compliance-System können sich darauf beschränken, erst einmal die spezifischen Risiken analysieren zu lassen. Ein weiteres Modul über-

wacht, ob die Maßnahmen geeignet sind, erkannte Risiken abzustellen. PwC-Rechtsanwalt Christoph Hauschka hält den Vorstoß für notwendig: „Vom Tüv bis hin zu Ethikverbänden gibt es eine ganze Reihe von Zertifizierungsunternehmen. Die Wirtschaftsprüfer versuchen, das einheitlich zu machen.“

„Es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Zertifizierungsfirmen. Die Wirtschaftsprüfer machen das einheitlich.“ Christoph Hauschka PricewaterhouseCoopers

Insgesamt sieben Grundelemente gehören nach Ansicht des IDW zu einem angemessenen ComplianceSystem. Dazu zählt neben der Risikoanalyse unter anderem auch die Überwachung und ständige Verbes-

serung des Programms. Wulf Goette, Of Counsel der Kanzlei Gleiss Lutz, warnt allerdings davor, die Standards allzu statisch anzuwenden. Ergebnis der Risikoanalyse könne auch sein, dass ein Unternehmen keine Compliance-Organisation benötige. Obwohl nicht alle sieben IDW-Grundelemente vorlägen, müsse dem Betrieb das Prüfsiegel ausgestellt werden. Keine Klarheit besteht hinsichtlich der Frage, wie häufig geprüft werden muss. Während einige Experten entsprechend der allgemeinen Verjährungsfrist alle drei Jahre ein neues Verfahren fordern, spricht sich Goette aus Aktualitätsgründen für eine kürzere Frist aus: „Ich befürchte, dass der goldene Stempel jedes Jahr erneuert werden muss.“ Angesichts des Aufwands dürfte das jedoch auf wenig Gegenliebe treffen.


SPEZIAL: LEGAL SUCCESS

Anwälte stärken ihre Position mit Spezialwissen

Wolfgang Ewer Kiel

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Deutscher Anwaltstag in Straßburg Deshalb freuen wir uns beispielsweise, in diesem Jahr mit dem 62. Deutschen Anwaltstag erstmals ins Ausland zu gehen – ins französische Straßburg. „Anwälte in Europa – Partner ohne Grenzen“ ist das passende Motto, da wir uns Themen des internationalen Rechtsverkehrs und der europäischen Zusammenarbeit widmen. Auch das grenzüberschreitende Mandat gewinnt in vielen Rechtsgebieten an Bedeutung. Die Internationalisierung der Anwaltschaft zeigt sich nicht zuletzt in dem Umstand, dass zum Deutschen Anwaltverein (DAV) neben den nationalen örtlichen auch Anwaltvereine in Brasilien, Griechenland, Italien, Frankreich, England und Portugal gehören. Um im Wettbewerb zu bestehen, hat der DAV schon vor vielen Jahren eine Qualitätsoffensive gestartet. Er hat sich vehement für die Ausweitung der Fachanwaltschaften ausgesprochen – mit Erfolg: Mittlerweile gibt es 20 von ihnen, vom Agrarrecht über das Medizinrecht bis hin zum Verwaltungsrecht. Die Gesamtzahl der Fachanwaltstitel liegt nunmehr bei rund 42 000. Gut 23 Prozent aller Rechtsanwälte können heute mindestens einen solchen Titel vorweisen. Studien zeigen, dass sie überdurchschnittlich gut verdienen. Die Anwaltschaft ist allerdings auch gefordert, das System der Fachanwaltschaften noch zu verbessern. Der Zugang ist in manchen Fällen starr und unflexibel. Das betrifft insbesondere junge Kollegen, die sich oft mit besonderem Schwung und Engagement der Spezialisierung widmen. Das bestehende System muss so umgestaltet werden, dass es einerseits nicht zu einem „Closed Shop“ kommt und andererseits keine Abstriche am hohen Niveau gemacht werden. Damit sollen zudem auch Syndikusanwälte und Kollegen aus hochspezialisierten Kanzleien die Chance erhalten, den Fachanwaltstitel zu erwerben. Wer sich intensiv mit nur wenigen Großverfahren befasst, kann nicht die Anzahl der geforderten Fälle vorweisen. Die stetige Weiterbildung der Anwaltschaft ist eine weitere Voraussetzung für den Erfolg am Markt. An-

Der Wettbewerb auf dem Markt für Rechtsberatung nimmt zu. Der Deutsche Anwaltverein reagiert darauf mit Fortbildungen, internationalen Kooperationen sowie einem stärkeren Einsatz für das deutsche Recht. wälte können sich dabei nicht nur an Fortbildungsveranstaltungen in den Arbeitsgemeinschaften und örtlichen Anwaltvereinen des DAV orientieren, sondern auch an den Angeboten der Deutschen Anwaltakademie, auch in Kooperation mit den DAV-Landesverbänden. Darüber hinaus hat der DAV die Fortbildungsbescheinigung geschaffen. Rechtsanwälten in Deutschland erlegt das Berufsrecht eine allgemeine Pflicht zur kontinuierlichen Fortbildung auf. Für Fachanwälte besteht zusätzlich eine ausdrückliche Fortbildungspflicht im konkreten Rechtsgebiet. Anwälte beraten auf hohem Niveau und haben daher auch ein eige-

nes Interesse daran, sich fortzubilden. Komplexer werdende Sachverhalte können sie nur bearbeiten, wenn sie auf dem neuesten Stand bleiben. Zu schnell ändert sich die Rechtslage und zu rasant sind die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen, als dass sie sich auf einem einmal erworbenen Wissensstand ausruhen könnten. Der DAV unterstützt die Mitglieder darin, ihre Fortbildung auch nach außen kenntlich zu machen. Dazu hat er ein eigenes Fortbildungssymbol entwickelt. Anwälte können dieses auf ihrer Homepage, auf Visitenkarten und Briefköpfen sowie in den Kanzleibroschüren verwenden. Nicht zuletzt werden die In-

haber einer aktuellen Fortbildungsbescheinigung auch in der Deutschen Anwaltauskunft (www.anwaltauskunft.de) besonders gekennzeichnet. Potenzielle Mandanten können ihre Suche entsprechend verfeinern. Konkurrenz der Rechtsordnungen Es gilt allerdings, sich nicht nur in Deutschland dem Wettbewerb zu stellen, sondern auch den Wettbewerb der Rechtsordnungen anzunehmen. So ist seit einigen Jahren die Dominanz amerikanischer Vertragsgestaltungen erkennbar, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt. Das kontinentale, insbesondere das deutsche Recht, ist

Rechtsanwalt Wolfgang Ewer ist Präsident des Deutschen Anwaltvereins. Dieser unterstützt bei Weiterbildung nach dem Studium. Im Bild links eine Juravorlesung der Uni Heidelberg.

Aufwärtstrend

Zahl der Robenträger in Deutschland 156000 160000

120000 Zugelassene Rechtsanwälte 80000

40000 Jörg Eberl/action press, PR

ie deutsche Anwaltschaft steht unter Wettbewerbsdruck. 42 Prozent betrug laut Statistischem Bundesamt der Zuwachs an Rechtsanwälten in Deutschland innerhalb von acht Jahren. Die Zahl der Staatsanwälte stieg im gleichen Zeitraum um zwei Prozent, die Zahl der Richter sank um vier Prozent. Konkurrenz kommt auch von außen: Zahlreiche beratende Berufe erteilen nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz in begrenztem Umfang Rechtsrat. Hinzu kommen Werkstätten, Architekten und weitere, die als sogenannte „Annexberatung“ – ob gestattet oder nicht – Hinweise und Tipps ebenso wie rechtliche Informationen bieten. Der Wettbewerb ist für die Marktteilnehmer eine Herausforderung, die zu höherer Qualität sowie verstärkter Spezialisierung und Internationalisierung führen kann. Die Anwaltschaft hat nicht nur das fachliche Rüstzeug, sondern auch die Erfahrungen, um sich auf dem Beratermarkt zu behaupten.

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31000 Richter, Staats- und Amtsanwälte

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1995

2011

Zeitachse: zweijährige Entwicklung Quellen: Bundesrechtsanwaltskammer, Handelsblatt Statistisches Bundesamt

dem anglo-amerikanischen Rechtssystem überlegen. Daher hat sich der DAV bereits 2008 mit anderen juristischen Fachorganisationen zum „Bündnis für das deutsche Recht“ zusammengeschlossen und die Initiative „Law – made in Germany“ gestartet. Ziel ist es, die Vorzüge des deutschen Rechts bekanntzumachen. Es ist im internationalen Vergleich besonders effektiv, kostengünstig und transparent. Als systematisch erschlossenes und kodifiziertes Recht bietet es Unternehmen für grenzüberschreitende Geschäfte ein hohes Maß an Sicherheit. Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaftsbeziehungen stehen nicht nur nationale Rechtsordnungen stärker miteinander im Wettbewerb. Eine deutsch-französische Initiative, in der sich die Gründungsmitglieder des „Bündnis für das deutsche Recht“ sowie die französische „Fondation pour le Droit Continental“ zusammengeschlossen haben, stellt in einer Broschüre die Vorteile des kontinentalen Rechts heraus. Es kann sich selbstbewusst dem internationalen Wettbewerb stellen, denn es ist global anwendbar, sicher, flexibel und kostengünstig. Dank seiner Kodifizierung können Verbraucher und Unternehmer das für sie geltende Recht klar und eindeutig feststellen. Die Ergebnisse einer Rechtsanwendung sind besser vorhersehbar. Auch sorgt das kontinentale Recht für kurze und effiziente Verträge. Nur solche Punkte müssen geregelt werden, bei denen von den gesetzlichen Regelungen abgewichen wird. Das spart Zeit und Geld. Zudem sind die Gerichte unabhängig, schnell und kostengünstig. Davon profitiert auch die Wirtschaft. Die gezielte richterliche Steuerung der Verfahren beispielsweise verringert den finanziellen und zeitlichen Aufwand für die Beteiligten erheblich. Auch wirken etwa die rechtlichen Rahmenbedingungen im Immobilien- und Gesellschaftsrecht wachstumsfördernd – und sie sind krisenfest. Staatliche Register schaffen Rechtssicherheit und Vertrauen. Der DAV wird sich aus diesen Gründen weiterhin für die Initiative „Law – made in Germany“ einsetzen. Der Verband bemüht sich stets um die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Ver-

© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.

braucher und Wirtschaft. So gibt er etwa mit Hilfe seiner 32 Gesetzgebungs- und Fachausschüsse zu zahlreichen Gesetzesvorhaben in der Bundesrepublik Deutschland eine Stellungnahme ab. Die Anwaltschaft ist aufgrund ihrer Erfahrungen prädestiniert dafür, sich in die Diskussion einzuschalten. Allein die Anwaltschaft verfügt über die Kenntnis der Interessen aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland. Anwälte beraten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Vermieter und Mieter, Banken und Anleger, Industrieunternehmen, Genehmigungsbehörden und Umweltverbände. Dieses umfassende Wissen konzentriert der DAV in seinen Ausschüssen. So sind beispielsweise im Arbeitsrechtsausschuss nicht nur Arbeitgeber-, sondern auch Arbeitnehmervertreter tätig.

„Die Anwaltschaft kann sich mit Erfahrung und fachlichem Rüstzeug auf dem Beratermarkt behaupten.“ Die Zusammensetzung der Ausschüsse gewährleistet, dass die erarbeiteten Stellungnahmen nicht einseitig den Partikularinteressen bestimmter Gruppen dienen, sondern darauf abzielen, die Konformität der Gesetzentwürfe mit dem Unions- und Verfassungsrecht zu prüfen. Vor allem aber gehen die Ausschüsse – gestützt auf die Erfahrungen ihrer Mitglieder in dem betreffenden Rechtsgebiet – der Frage nach, ob sich die Vorschläge mit Blick auf die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele als sachgerecht und vollzugstauglich erweisen. Einsatz für Unternehmensjuristen Auch die Unternehmensjuristen finden im DAV ein Sprachrohr. Die Syndikusanwälte haben sich 1978 in einer eigenen Arbeitsgemeinschaft zusammengefunden. Sie ist eine der ältesten des DAV. Ihr Ziel ist es, die ideellen, berufspolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Syndikusanwälte innerhalb der Anwaltschaft zu fördern. Als Schnittstelle zur Durchsetzung der Interessen im Ausland ist die Arbeitsgemeinschaft auch Mitglied der European Company Lawyers Association mit Sitz in Brüssel. Die Veranstaltungen für die Mitglieder, wie beispielsweise der in jedem Jahr stattfindende Syndikusanwaltstag in Berlin, bieten Fortbildung und Erfahrungsaustausch auf hohem Niveau. Informationen erhalten die Mitglieder auch über alle berufspolitischen Entwicklungen – etwa im anwaltlichen Berufsrecht und im Wirtschaftsrecht. Die Arbeitsgemeinschaft setzt sich dafür ein, die anwaltliche Qualität im Unternehmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung im Vergleich zum Berufsbild eines zugelassenen „klassischen“ Rechtsanwalts zuweilen ins Hintertreffen gerät, in den Vordergrund zu stellen. Der DAV selbst verfolgt damit das Ziel, die Einheit der Anwaltschaft zu wahren. Fazit: Die Anwaltschaft ist kompetent und wettbewerbsfähig. Sie ist hochspezialisiert und internationalisiert. Rechtsanwälte und Kanzleien sind die idealen Ansprechpartner für alle Unternehmen, die Rechtsrat benötigen. Aber auch für Unternehmensjuristen hält der DAV zahlreiche Angebote bereit.

Wegweiser im Steuerrecht

Die hohe Komplexität bei Fragen der Unternehmensbesteuerung beschert Experten eine wachsende Nachfrage. Peter Reuter Köln

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iel verfehlt – so lautet der Befund, wenn es um die Vereinfachung des deutschen Steuerrechts geht. Eigentlich wollte die Bundesregierung hier für mehr Verständlichkeit sorgen. Doch Experten sind skeptisch: „Eine grundlegende, systematische Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts ist nicht erfolgt und auch nicht absehbar“, sagt Klaus Olbing, Partner von Streck Mack Schwedhelm und Vorsitzender des Ausschusses Steuerrecht des Deutschen Anwaltvereins. Er bemängelt die Detailversessenheit der Gesetze – Grundregeln der Besteuerung würden nicht mehr deutlich. Die Erleichterungen im Entwurf des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 seien zu begrüßen, sie würden aber dem Anspruch nicht gerecht. Freilich trägt das Steuerdickicht bei Anwälten zu einer guten Auftragslage bei. „Lohnenswert“ sei die steuerliche Gestaltung zum Beispiel, wenn Unternehmen Verlustvorträge geltend machen möchten, sagt der Bonner Wirtschaftsprüfer Oliver Hötzel von FGS Flick Gocke Schaumburg. Eine Vielzahl von betriebswirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen kann dazu führen, dass die Verlustvorträge entfallen. Verluste richtig managen

Diese Frage ist aktuell – eine beträchtliche Zahl an Firmen hat 2009 und 2010 hohe Verluste gemacht. „Viele erkennen nicht, dass ein Untergang der Verluste nicht nur beim Verkauf des Unternehmens, sondern auch bei Kapitalerhöhung, Umstrukturierungen und sogar bei Stimmrechtsveränderungen droht.“ Beim Erhalt von Verlustvorträgen würde die Finanzverwaltung oft den Vorwurf des steuerschädlichen Gestaltungsmissbrauchs erheben, sagt Olbing.

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Fachanwälte für Steuerrecht gab es Anfang 2011 in Deutschland – das sind 3,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer

Auch die Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts, wonach Verschmelzungen, Spaltungen und die Einbringung von Unternehmen innerhalb der EU möglich sind, ohne Steuern auszulösen, bringt Kanzleien Mandate. „Erhebliche Praxisprobleme“ für größere Betriebe sieht Hötzel in der Zinsschranke, die die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen bestimmt. Diese Substanzbesteuerung könne Firmen in Krisenzeiten das „Genick brechen“. Da die Regeln aber unpräzise formuliert seien, falle es Beratern schwer, Aussagen zu steuerlichen Konsequenzen zu treffen, sagt Hötzel. Probleme bereite auch die Unternehmensnachfolge nach dem neuen Erbschaftsteuergesetz, sagt Olbing. Die in Paragraf 13a ErbStG vorgesehenen Entlastungen seien mit Unsicherheiten verbunden. „Es wird erwartet, dass bestimmte Unternehmensstrukturen bis zu sieben Jahre erhalten bleiben.“ Gerade

McDermott Will & Emery | Arndt Raupach,

gen. „Auch wenn es für konzerninterne Umwandlungen Befreiungen gibt, ist der Anwendungsbereich zu eng.“ Einige Bundesländer hätten die Situation verschärft und den Steuersatz auf bis zu fünf Prozent angehoben. Zudem seien Sanierungen mit Steuernachteilen verbunden worden, sagt Olbing. Das Sanierungssteuerrecht müsse entschärft werden.

Milbank, Tweed, Hadley & McCloy |

Komplexe Realität

Finanzexperten

Von der Konkurrenz empfohlene Anwälte für Steuerrecht

Allen & Overy | Asmus Mihm, Eugen Bogenschütz, Gottfried Breuninger

Hengeler Mueller | Ernst-Thomas Kraft, Friedhelm Jacob, Martin Klein, Stefanie Beinert

Benkert + Partner | Manfred Benkert

Latham & Watkins | Stefan Süß, Thomas Fox

Berger, Steck & Kollegen | Hanno Berger

Lindenpartners | Detlef Haritz

Blumers & Partner | Wolfgang Blumers

Linklaters | Andreas Schaflitzl, Florian

Carlé Korn Stahl Strahl | Martin Strahl Clifford Chance | Hubert Schmid, Josef Brinkhaus, Patrick Biagosch, Stefan Behrens

Lechner, Jens Blumenberg Dirk Pohl, Peter Bauschatz

Debevoise & Plimpton | Friedrich Hey

Norbert Rieger, Rolf Füger

Ernst & Young | Jürgen Schimmele

P+P Pöllath + Partners | Andreas Rodin,

Flick Gocke Schaumburg | Andreas Schumacher, Christian von Oertzen, Detlev Piltz, Harald Schaumburg, Thomas Rödder

Michael Best, Reinhard Pöllath, Richard Engl, Stephan Viskorf, Thomas Töben

Freshfields Bruckhaus Deringer | Andreas

Salans | Andreas Ziegenhagen, Detlef Olufs,

Bartsch, Holger Häuselmann, Jochen Lüdicke, Norbert Schneider, Stephan Eilers, Thomas Wiesenbart, Wilfried Schaefer

PricewaterhouseCoopers | Lars Kutzner Stephan Busch

Streck Mack Schwedhelm | Burkhard

Frick Quedenfeld | Dietrich Quedenfeld,

Binnewies, Martin Wulf, Michael Streck, Rainer Spatscheck, Rolf Schwedhelm

Haarmann | Wilhelm Haarmann

Wannemacher & Partner | Markus Gotzens

Jörg Frick

Handelsblatt

über diese Haltefristen müssen sich die Anwälte häufig den Kopf zerbrechen, weil sie bei späteren Umstrukturierungen zu berücksichtigen sind. Die gewährten Privilegien fal-

Quelle: Best Lawyers

len ganz oder teilweise weg, wenn Firmen die Fristen nicht einhalten. Als „Hemmschuh“ betrachtet Hötzel die Grunderwerbsteuer bei Firmenverkäufen und Umstrukturierun-

Steuervereinfachungen blieben jedoch ein „ewiger Traum“, der sich nicht umsetzen lasse, meint FGSPartner Hötzel ernüchternd. „Die Realität wird durch internationale Verflechtungen, Geschäftsverlagerungen ins Internet und neue künstliche Finanzprodukte komplexer.“ Nur komplexe Steuergesetze könnten den Wandel beherrschen. Doch obwohl der Beratungsbedarf steigt, ist der Zuwachs an Fachanwälten für Steuerrecht bescheiden. Laut Bundesrechtsanwaltskammer sind die anwaltlichen Steuerexperten zum 1. Januar 2011 im Vergleich zum Vorjahr nur um 3,5 Prozent auf 4 615 angewachsen.


SPEZIAL: LEGAL SUCCESS

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MITTWOCH, 1. JUNI 2011, Nr. 106

Der stille Star der Wirtschaft Ingmar Höhmann Frankfurt

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as Beben, das die Finanzwelt erschüttert, kommt an einem Freitag und ohne Vorwarnung. Thomas Meyding sitzt mit einer Mandantin am Mittagstisch, als sein Handy klingelt. Ob er beim Kauf der Sachsen LB unterstützen könne, fragt der Anrufer, und zwar möglichst sofort. Wenige Stunden später steigt der Wirtschaftsanwalt von CMS Hasche Sigle in den Flieger nach Leipzig. Sein Kunde, die Landesbank Baden-Württemberg, erwartet nicht wenig: Drei Tage Zeit bleiben ihm, eine der größten Übernahmen im Bankensektor festzuzurren – eine Transaktion, die eigentlich eine monatelange Vorbereitung benötigt. Die ganze Nacht über feilen Meyding und die Rechtsexperten der

Sachsen LB am Vertrag. Um neun Uhr morgens präsentieren sie den Entwurf dem Mandanten, um zwölf der Gegenseite. Die Zeit drängt: Die Bank hat sich auf dem US-Immobilienmarkt verspekuliert und, so wird später bekannt, steht kurz vor der Insolvenz. „Ich weiß gar nicht, ob ich an dem Wochenende geschlafen habe“, sagt Meyding. „Drei Tage waren eine sportliche Vorgabe.“ Am Sonntagabend ist der Deal perfekt, die LBBW verkündet die Übernahme. Eine Bank mit einer Bilanzsumme von 68 Milliarden Euro wechselt im Sommer 2007 den Besitzer. Die Sachsen-Finanzgruppe und der Freistaat Sachsen übertragen ihre Anteile, die Stuttgarter sorgen dafür, dass die Sachsen LB ihre Rechnungen weiter bezahlen kann. Als einen Monat später der sächsische Finanzminister wegen der Af-

Thomas Meyding: Der M&A-Experte wollte früher Wirtschaftsprüfer werden. Die Affinität zu Zahlen ist geblieben.

färe seinen Hut nehmen muss, beschäftigt sich Meyding längst mit anderen Deals. Die Transaktion ist für ihn nur eine von mehreren Hundert in den vergangenen Jahren. Effiziente Arbeit – das zeichnet den Schwaben aus, der sich im Markt für Unternehmenstransaktionen einen Namen gemacht hat. Seine größte Stärke sei es, ein Thema zu analysieren und zu kla-

ren Ergebnissen zu kommen, sagt der 53-Jährige, der früher Wirtschaftsprüfer werden wollte. Dass sich ein Wirtschaftsanwalt in der Welt der Zahlen wohlfühlt – man sollte meinen, das sei normal. Doch nicht immer sei das der Fall, sagt Freshfields-Partner Matthias-Gabriel Kremer. „Die meisten haben nur die rechtliche Ausgestaltung im Blick. Meyding aber denkt kommerziell. Er ordnet wirtschaftliche Transaktionen ein und kann sie nachvollziehbar erklären.“ Meyding mag die leise Tour Meydings Kanzlei ist das gut bekommen. Der Leiter der internationalen M&A-Gruppe von CMS Hasche Sigle hat entscheidend zum Erfolg in den vergangenen Jahren beigetragen. Stetig arbeitet sich die Kanzlei in Rankings von Branchendiensten wie Mergermarket oder Bloomberg nach oben. Im ersten Quartal hat keine andere Sozietät im deutschsprachigen Raum mehr Unternehmenstransaktionen betreut, europaweit belegt sie den vierten Platz. Doch die Kanzlei ist vor allem bei mittelständischen Firmen beliebt, die Milliardendeals stemmen andere. Bei den Transaktionsvolumina taucht CMS Hasche Sigle erst auf den hinteren Plätzen auf. Für Meyding ein Grund mehr, sich in die Arbeit zu stürzen. „Wir haben im Premium-Segment erhebliches Potenzial“, sagt er. „Wir wären gerne mehr bei Headline-Deals präsent –

wir haben die internationalen Teams und die Expertise dazu.“ Meyding will die großen Mandate auf die leise Tour bekommen – er glaubt daran, dass sich Fleiß und gute Ergebnisse auszahlen, auch wenn er sie nicht an die große Glocke hängt. Hans-Ulrich Wilsing, Leiter der deutschen Corporate-Praxis von Linklaters, nennt das die „Stuttgarter Mentalität“: „Meyding will durch ruhige und solide Arbeit auffallen. Anwälte, die sich ins Rampenlicht stellen, sind ihm ein Greuel.“ Stattdessen zeichne er sich durch eine besonnene und kundige Art aus. „Solche Attribute geben sich viele, aber er ist einer der wenigen, die sie auch verdienen. Er ist bei CMS der beste Mann.“ Strategische Planung – das ist Meydings Stärke. Zeitverschwendung mag er nicht. Oft werde bei Deals über Minimalbeträge gestritten, sagt er, während die wirtschaftlich wichtigen Themen außen vor blieben – für den zahlenaffinen Anwalt unerträglich. „Wenn jemand vom Hundertsten ins Tausendste kommt, kann ich ungeduldig werden. Manche Leute sind in ihre eigenen Worte verliebt. Aber die Verhandlungszeit kostet auch Geld.“ Der Drang zur Effizienz zeigt sich in Meydings Lebenslauf. Nach dem Abitur entscheidet er sich, den Wehrdienst nicht nur einfach abzusitzen. Er absolviert eine Offiziersausbildung und entwickelt seine Präsentations- und Führungsfähigkeiten.

VITA 1958 Thomas Meyding wird in Hamburg geboren. 1979 Beginn eines Jurastudiums mit Stationen in Tübingen, Freiburg, Konstanz und Florida 1988 Eintritt in die Stuttgarter Sozietät Sigle Loose Schmidt-Diemitz 1991 Foreign Associate bei der Londoner Kanzlei McKenna 1992 Bestehen der englischen An-

waltsprüfung (Solicitor) 1993 Partner bei Sigle Loose Schmidt-Diemitz 1999 Gründung des internationalen Kanzleiverbunds CMS 2001 Umbenennung der Kanzlei in CMS Hasche Sigle 1988 bis 2011 M&A-Beratung unter anderem von ABB, Brenntag, Honeywell, LBBW, Merck

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Andy Ridder (3)

Bei M&A-Deals im Mittelstand ist CMS Hasche Sigle bereits Marktführer. Partner Thomas Meyding peilt nun das Premium-Segment an.

Beim Gebirgsjägerbataillon in Mittenwald trainiert er zudem in der Wintersportabteilung – später besteht er die Prüfung zum staatlich geprüften Skilehrer. Der lästige Zwischenstopp Bundeswehr wird zur ausgefüllten Zeit. „24 Monate lang ohne Ausbildung – das hätte ich mir nicht vorstellen können.“ Von den Amerikanern gelernt Nach dem Studium in Tübingen und Freiburg verbringt er eine Referendariatsstation in Tampa im US-Bundesstaat Florida. Drei Monate lang lebt er in der Familie des Anwalts John Bierly, der ausländische Investoren berät. Bierly nimmt den Referendar zu allen Terminen mit, und Meyding merkt, dass im Studium in

Deutschland eine wichtige Komponente gefehlt hat. „Die internationale Dimension spielte überhaupt keine Rolle. Erst in den USA habe ich festgestellt, dass es noch ganz andere Möglichkeiten gibt, als Anwalt tätig zu werden.“ Nach der Rückkehr absolviert er Ende 1987 sein zweites Staatsexamen mit Prädikat, die Dissertation zieht er im Schnellgang durch – er gibt sie nach zehn Mona- Zeit für Pausen bleibt nicht viel. ten ab. Per Zufall landet er bei der Stuttgarter Kanzlei Sigle produzieren von Fakten. 2 500 SeiLoose Schmidt-Diemitz. Auf Hin- ten umfasst der Lernstoff. weis eines Freundes schickt er eine Erst nachdem Meyding die PrüBewerbung ab, die Sozietät lädt ihn fung bestanden hat, werden ihm die zur Vorstellung ein. „Ich habe mir Vorteile bewusst: Bei ausländischen gesagt: Es kann nicht schaden, ein Investoren erarbeitet er sich einen Bewerbungsgespräch zu üben“, guten Ruf – denn internationale Unsagt Meyding. Doch die Kanzlei bie- ternehmenstransaktionen folgen antet ihm einen Job an, spontan greift gelsächsischen Konzepten. Als der er zu. Bis heute arbeitet er für die So- von Meyding beratene Darmstädter zietät, die nach mehreren Fusionen Pharmahersteller Merck 2005 sein nun CMS Hasche Sigle heißt. Die Elektronikchemikalien-Geschäft an eine Bewerbung reicht die Ludwigshafener für ein ganzes Leben. BASF verkauft, verhan„Meyding will Nur in Deutschland durch ruhige und deln beide Parteien auf arbeiten, das reicht Englisch. solide Arbeit Anfangs sind MeyMeyding jedoch nicht. auffallen. Das dings Transaktionen jeEr will das angelsächsische Modell verstehen Rampenlicht mag doch noch klein. Der er nicht.“ erste Fall, den er alleine – immerhin dominieHans-Ulrich Wilsing betreut, hat 1992 ein Voren die Büros aus den Linklaters lumen von zehn MillioUSA und England den Weltmarkt. 1991 geht er als Foreign nen Mark. „Das fand ich damals geAssociate zur Londoner Sozietät waltig“, erinnert er sich. Die engliMcKenna. „Während es in Deutsch- sche Precision Technology Gruppe land einzig um die Qualität der Ar- will den deutschen Antriebstechnikbeit ging, standen bei englischen hersteller Neff übernehmen. Das briKanzleien Marketing und Geschäfts- tische Unternehmen gehört einer Prientwicklung im Vordergrund“, sagt vate-Equity-Firma – und die verlangt Meyding. „Das waren zwei ganz un- genaues Zahlenmaterial. „Damals habe ich zum ersten Mal die Begriffe terschiedliche Welten.“ Neben der Arbeit meldet er sich ,Due Diligence’ und ,Due Diligence für die englische Anwaltsprüfung an Report’ gehört“, sagt Meyding. – obwohl der Titel in Deutschland „Zum Glück hatten wir gerade einen niemanden interessiert. Doch der englischen Anwalt bei uns – der Anwalt will es wissen: Morgens konnte das erklären.“ Der Deal geht erfolgreich über die steht er zum Lernen früher auf, auch abends nach der Arbeit sitzt er Bühne, weitere Transaktionen folüber den Büchern. Analytische Fä- gen. Gegenüber Mandanten beharrt higkeiten nutzen ihm hier nichts: Meyding auf gründlicher VorbereiDie Engländer fordern schlichtes Re- tung. „Bei Mittelständlern entspre-

chen die verfügbaren Informationen oft nicht den Anforderungen der zahlengetriebenen angelsächsischen Investoren“, sagt Meyding. „Wenn aber das Datenmaterial sofort zur Hand ist, schließen die Käufer daraus, dass das Unternehmen gut geführt ist. Der Aufwand für die Vorbereitung rentiert sich später um ein Vielfaches, weil es Konfliktpotenzial vermeidet.“ Nicht immer entspricht solche Sorgfalt den Wünschen ungeduldiger Manager. Als Meyding in den 90er-Jahren einen schwäbischen Mittelständler bei der Suche nach einem Investoren betreut, kommt es zum Konflikt: Weil die Firma das interne Buchungssystem umgestellt hat, fehlt es an vergleichbaren Informationen über die Finanzlage. Meyding rät, erst die Daten aufzubereiten. Das Management hält das für überflüssig. Als ein Investor einsteigen will, kommen die Verhandlungen schnell zum Stillstand: Die Amerikaner reichen einen Fragebogen

zur Finanzlage ein, die Firma kann keine Antworten geben. „So schafft man kein Vertrauen. Der Investor hat angefangen, jeden Stein in der Firma umzudrehen“, sagt Meyding. Die Transaktion zieht sich über Monate hin. „Das Unternehmen hatte gute Produkte, gute Mitarbeiter, ein gutes Geschäftsmodell. Doch es fehlte an Liquidität, die Verzögerung hätte fast die Pleite bedeutet.“ Gerade rechtzeitig kommt der Deal zum Abschluss: Die Amerikaner beteiligen sich an der Firma – und sichern deren Überleben. Heute investiert Meyding, der seit 1993 Partner ist, zunehmend Zeit in die Organisation der Kanzlei. Mittlerweile lehnt er sich auch in der Öffentlichkeit mehr aus dem Fenster. Zum dritten Mal präsentierte er Anfang Mai die CMS European M&A Studie, einen Überblick über den Markt für Unternehmenstransaktionen. Wo möglich, weist Meyding dabei auf die eigenen Erfolge hin. Auch ein Anwaltsbüro muss sich manchmal verkaufen können.

Büro in Stuttgart: Ordnung hilft, den Überblick zu behalten.


SPEZIAL: LEGAL SUCCESS KLAUS-STEFAN HOHENSTATT

zen-Unis für uns gewinnen können – auch durch exzellente finanzielle Angebote. Das gelingt uns nur, solange wir im gleichen Segment unterwegs sind wie die größeren Law Firms an der Wall Street.

Klaus-Stefan Hohenstatt

„Wir erteilen Firmen keine Freibriefe“

Handelsblatt: Wie funktioniert das? Hohenstatt: Der Trend geht für globale Kanzleien dahin, von bestehenden Standorten aus Projekte auch in Regionen zu betreuen, in denen sie kein Büro haben. Indien oder

Handelsblatt: Was sind ihre Ziele in Deutschland? Hohenstatt: Unser Ehrgeiz kann es nur sein, die Nummer eins zu bleiben und unsere Qualität vor Ort mit dem globalen Angebot zu verknüpfen. In den vergangenen drei, vier Jahren, gerade in der Krise, haben wir den Abstand zu einigen Wettbewerbern vergrößern können.

Handelsblatt: Mit guter Bezahlung? Hohenstatt: Wir merken zum Beispiel in China, wo wir große Büros haben, dass amerikanische Kanzleien versuchen, unsere gut ausgebildeten Anwälte abzuwerben. Diese können wir nur halten, wenn wir sehr profitabel sind. Auch der Aufbau unserer US-Praxis lebt davon, dass wir Absolventen der Spit-

PR (2)

Handelsblatt: Heißt das, Rankings zählen für Sie nicht? Hohenstatt: Im Gegenteil: Wir müssen in allen relevanten Märkten zu den Top drei gehören. Wo wir das mit eigenen Ressourcen nicht schaffen, arbeiten wir mit Firmen zusammen, die vor Ort im Topsegment sind. Was viele nicht wissen: Freshfields generiert einen erheblichen Teil des Umsatzes in Ländern, in denen wir keine Büros haben.

Handelsblatt: Wird sich der Rechtsmarkt ähnlich entwickeln wie der der Wirtschaftsprüfer, in dem sich vier Firmen den Markt teilen? Hohenstatt: Ich glaube nicht, dass es so exklusiv wird. Die Rechtsberatung ist ein gigantischer Markt. Spezialkanzleien, mittelständische Sozietäten oder nationale Champions haben immer ihren Platz. Aber es wird sich eine Gruppe mit global führenden Firmen herauskristallisieren. Zwei oder drei europäische Kanzleien haben die Chance, sich in den weltweiten Top zehn zu etablieren. Wir wollen dazugehören.

Brasilien sind dafür Beispiele: Wir können hier allein aus regulatorischen Gründen nicht ungehindert agieren, dafür aber haben wir in beiden Ländern viele Verbindungen.

Handelsblatt: Sind Sie dazu verdammt, Ihre Ergebnisse ständig zu verbessern? Hohenstatt: Natürlich, da setzen wir uns auch selbst unter Druck. Von der Ergebnissituation her wollen wir immer zu den Topadressen gehören. Nicht unbedingt aus dem Gewinnstreben der Partner heraus, die mit dem Niveau ganz zufrieden sind. Vielmehr geht es darum, Talente zu gewinnen und zu binden.

sigkeit geschützt, sondern Ermessen – aber nur nach sorgfältiger Prüfung.

Handelsblatt: Nach der Zahl der Anwälte hat CMS Hasche Sigle Sie in Deutschland überholt. Hohenstatt: Das ist ein Ranking, das uns nicht interessiert. In der Größe liegen auch Risiken. Für uns ist wichtig, dass wir nicht nur breiter, sondern auch qualitativ besser aufgestellt sind. Und dass unsere Topleute effizienter arbeiten.

Mit Klaus-Stefan Hohenstatt, Regional Managing Partner bei Freshfields, sprach Marcus Creutz über gestiegene Haftungsrisiken nach der Krise und die finanziellen Nöte der Mandanten. Handelsblatt: Sie sind vom Umsatz her die größte Kanzlei in Deutschland. Beim Gewinn pro Partner und der Anzahl der Mitarbeiter aber machen Konkurrenten Ihnen die Spitzenposition streitig. Klaus-Stefan Hohenstatt: Unser Ziel ist es, auch weltweit die Nummer eins zu sein – nicht zwingend nach Umsatz, Gewinn oder Größe, aber nach Marktprofil und Mandatsqualität. Wir sind da bereits ein gutes Stück vorangekommen. Dieses Ziel kann man aber nur erreichen, wenn man auch in den Stammmärkten eine führende Position hat. Die Unternehmen sind nicht bereit, bei der Beauftragung einer globalen Kanzlei Abstriche bei der Qualität im lokalen Geschäft zu machen.

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MITTWOCH, 1. JUNI 2011, Nr. 106

VITA Der Manager Seit September 2010 ist der Hamburger Arbeitsrechtsexperte Klaus-Stefan Hohenstatt Managing Partner für Deutschland, Österreich und Zentralosteuropa bei Freshfields Bruckhaus Deringer. Der 49-Jährige arbeitet seit 1992 für die Kanzlei und ist seit 1997 Partner.

Hohenstatt, der vor allem in Vorstandsangelegenheiten und bei Umstrukturierungen tätig ist, setzt seine Mandatsarbeit auch weiterhin fort. Die Leitung der weltweiten Praxisgruppe im Arbeitsrecht hat er Ende vergangenen Jahres an den Londoner Partner Nick Squire abgegeben.

Die Kanzlei Freshfields ist in Deutschland die umsatzstärkste Kanzlei. Auch weltweit gehört die Sozietät mit über zwei Milliarden Dollar Umsatz zu den fünf größten der Branche. Die mehr als 2 500 Anwälte beraten in 27 Städten Unternehmen, Finanzinstitute und Regierungen.

Spitzenanwalt: Klaus-Stefan Hohenstatt will die Marktführerschaft der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer in Deutschland ausbauen. teil der Abrechnung nach Zeit, die eigentlich Ineffizienz belohnt. Ein scheinbarer Preisvorteil kann so über die Anzahl der abgerechneten Stunden wieder zunichtegemacht werden.

Handelsblatt: Im deutschen Markt wird der Wettbewerb zunehmend über den Preis ausgetragen. Hohenstatt: Der Wettbewerb hat während der Krise stark zugenommen. Einige Kanzleien haben ihre Marktanteile über den Preis ausgeweitet. Wir haben auch als Marktführer Mandate nicht gepachtet.

Handelsblatt: Spielen Kontinuität und Loyalität keine Rolle mehr? Hohenstatt: Das sind nach wie vor wichtige Werte. Aber unsere Mandanten stehen unter einem höheren Druck als früher, auch was die Kosteneffizienz betrifft. Ihnen muss daran liegen, sich nicht von einer Sozietät abhängig zu machen. Deshalb ist es der Normalfall, dass zwei oder drei namhafte Kanzleien bei einem Mandanten nicht unbedingt gleichwertig, aber als Alternative gehandelt werden. Das verbessert die Verhandlungsposition.

Handelsblatt: Wie können Sie das Preisniveau trotzdem halten? Hohenstatt: Zunächst muss man zu den drei, vier Kanzleien zählen, die bei Mandatsvergaben gefragt werden. Im Pitch machen wir unsere Kompetenz deutlich. Häufig können wir ein gewisses Preisniveau rechtfertigen, weil wir effizienter arbeiten, Anforderungen schon häufig auf Topniveau bewältigt haben und spezialisiert sind.

Handelsblatt: Ist die Manager- und Aufsichtsratshaftung ein Trend? Hohenstatt: Die Neigung, nach einem Schaden Ersatz zu verlangen, ist wesentlich gestiegen. Aktienrechtlich ist es ohnehin geboten, alle Regressmöglichkeiten zu verfolgen. Wir haben Fälle, in denen die D&O-Versicherung nicht ausreicht, weil die Summe der von den Vorständen eingeforderten Beträge weit über die Deckung hinausgeht.

Handelsblatt: Liegen Ihre Preise weit über denen der Rivalen? Hohenstatt: Unsere Rechnungen müssen in der Summe nicht höher sein als die von Konkurrenten mit niedrigen Sätzen. Das ist der Nach-

Handelsblatt: Haben solche Klagen Substanz? Hohenstatt: Die Aufarbeitung der Finanzkrise geht mit einer ganzen Reihe von Haftungsprozessen einher. Etliche Vorstände von Banken

Der Gesetzgeber stärkt die Marktmacht der großen Insol venzverwalter Gläubiger dürfen künftig den Sanierer auswählen. Damit werden andere Kriterien gelten als bisher beim Insolvenzrichter. Peter Reuter Köln

S

elten haben Insolvenzverwalter mit solch hoher Anspannung eine Reform erwartet. Wenn das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt, wird es den Markt neu ordnen. Die Reform steht für einen Paradigmenwechsel, der sowohl die Arbeit des Insolvenzverwalters als auch die Landschaft der Verwalterkanzleien verändern wird. Künftig sollen die Gläubiger bei Unternehmenspleiten ab einer bestimmten

Größe den Verwalter auswählen. Allerdings muss der vorläufige Gläubigerausschuss für einen Kandidaten einstimmig votieren.

Neue Akquisestrategien Bislang richtet der Verwalter den Fokus seiner Akquise auf die bestellenden Insolvenzrichter, die er mit sogenannten Erinnerungsbesuchen umwirbt. Künftig muss er die Gläubiger von seinem Können überzeugen. „Das wird die Verwalterlandschaft erheblich verändern“, sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Frank Kebekus. Er ist Sprecher des Gravenbrucher Kreises, eines Zusammenschlusses überregionaler Verwalterkanzleien. Kebekus prognostiziert: „Die Gläubigergruppen werden nicht unbedingt die identischen Kriterien für ihre Entscheidung berücksichtigen, die bei den Gerichten aus-

Sanierungsexperten

Von der Konkurrenz empfohlene Anwälte für Insolvenzrecht und Restrukturierung Allen & Overy | Peter Hoegen CMS Hasche Sigle | Michael Frege Dr. Pannen Rechtsanwälte | Klaus Pannen Freshfields Bruckhaus Deringer |

Lars Westpfahl

Gleiss Lutz | Burkard Göpfert Görg Rechtsanwälte | Helmut Balthasar Klaus Hubert Görg

Hengeler Mueller | Achim Herfs Heuking Kühn Lüer Wojtek | Hans-Jochem Lüer

Hogan Lovells International | Jörg Paura Handelsblatt

schlaggebend sind.“ Gläubigern würde es stärker auf Zertifizierung, Größe der Kanzlei, geografische Verbreitung, Kapazitäten und Sanierungserfolge ankommen. „Die klei-

Jaffé Rechtsanwälte Insolvenzverwalter | Michael Jaffé

Linklaters | Kolja von Bismarck Markus Hartung | Markus Hartung Müller-Heydenreich Beutler & Kollegen | Axel Bierbach

Piepenburg-Gerling | Horst Piepenburg Pluta Rechtsanwalts GmbH | Martin Prager Salans | Andreas Ziegenhagen Wellensiek Rechtsanwälte | Jobst Wellensiek

White & Case | Christoph

Schulte-Kaubrügger, Sven-Holger Undritz Quelle: Best Lawyers

neren und nicht immer professionell agierenden Insolvenzkanzleien dürften dann Probleme bekommen.“ Die Praxis vieler Gerichte, bei der Vergabe auf Ortsnähe des

Verwalters zu setzen, könnte damit der Vergangenheit angehören. Die professionellen Einheiten profitieren, die Gelegenheitsverwalter kommen weniger zum Zug – so sieht es auch der Ulmer Rechtsanwalt Michael Pluta, dessen Kanzlei an 23 Standorten präsent ist. „Die große Chance des ESUG liegt darin, dass Firmen verstärkt Verwalter bekommen, die sanieren und restrukturieren können.“ Kleine Kanzleien fusionieren

Derzeit gibt es etwa 1 800 Insolvenzverwalter in Deutschland. Dazu gehören auch reine Abwickler ohne Sanierungskompetenz, die jede Fortführung scheuen. Nun könnte eine Konzentration auf dem Markt eintreten, bei der kleine Kanzleien fusionieren. Zudem erwartet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform dieses Jahr einen deutlichen

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Rückgang der Insolvenzen – das verschärft den Wettbewerb zusätzlich. Nicht nur die Verwalterauswahl steht bald auf neuen Füßen. Auch die Sanierungswerkzeuge der Insolvenzordnung erhalten einen neuen Schliff. Die Eigenverwaltung, die den Schuldner einbindet, soll nicht mehr die Ausnahme sein. Frühe Antragsteller sollen sie als reibungsloses „Schutzschirmverfahren“ nutzen. Auch wird das selten genutzte Planverfahren von seinen Sanierungshemmnissen befreit. Das Ziel ist ein früher Insolvenzantrag. Die Verlagerung spricht auch vorinsolvenzliche anwaltliche Berater an, die zu neuen Konkurrenten werden. So kann der vom Schuldner mitgebrachte Sachwalter im Schutzschirmverfahren beim Scheitern der Sanierung weiter als Verwalter arbeiten. Zudem will das Gesetz die sogenannte Vorbefasst-

heit lockern. Bisher schließen sich eine Beratung vor der Insolvenz und eine spätere Insolvenzverwaltung aus. Nun gilt der Informationsvorsprung des Beraters als Vorteil – der Gesetzgeber will beides aus einer Hand zulassen. Auch deshalb strecken Verwalterbüros ihre Fühler nach Sanierungsberatern aus. Die Sozietät HWW Wienberg Wilhelm hat sich etwa Anfang des Jahres mit der CMS Societät für Unternehmensberatung zusammengeschlossen, um ihr Portfolio an die neuen Aufgaben anzupassen. Noch etwas sieht Pluta mit dem EU-Recht auf seinen Berufsstand zukommen. Wenn auch juristische Personen als Verwalter bestellt werden können, könnten Gläubiger etwa Gesellschaften aus England ins Spiel bringen. Dann würde manche heute noch große Verwalterkanzlei recht klein aussehen.

und Industrieunternehmen müssen sich wegen vermeintlicher Fehlentscheidungen oder ComplianceVerstößen vor dem Zivilgericht verteidigen – oder vor Schiedsgerichten, was weniger öffentlichkeitswirksam ist. Es gibt viele Verfahren, in denen das jetzt sehr ernst wird. Handelsblatt: Gehen wir zu streng mit den Managern ins Gericht? Hohenstatt: Die Öffentlichkeit erwartet, dass jemand dafür gerade-

steht, wenn etwas schiefgelaufen ist. Aber ein unverhältnismäßiges Haftungsrisiko wirkt lähmend. Die Betroffenen gehen keine Risiken mehr ein. Deshalb ist die aktienrechtliche „Business Judgement Rule“ für Firmen so wichtig. Das heißt, dass es nicht nur eine einzig richtige Entscheidung gibt. Managern muss ein Entscheidungsspielraum verbleiben, und dabei können Fehleinschätzungen geschehen. Dadurch wird nicht Fahrläs-

Handelsblatt: Schalten Firmen Wirtschaftskanzleien auch ein, um sich Persilscheine ausstellen zu lassen? Hohenstatt: Persilschein trifft es nicht. Aber wir werden gefragt, wenn Unternehmen befürchten, sie könnten sich in rechtlich vermintem Terrain bewegen und Gefahr laufen, strafrechtlich oder haftungsrechtlich belangt zu werden. Wir stehen als Anwälte in der Verantwortung. Wir schützen unsere Mandanten davor, ersatzpflichtig oder strafbar zu werden. Aber wir müssen unsere Reputation wahren und werden keine Freibriefe erteilen. Handelsblatt: Sind die Prämien für Ihre eigene Berufshaftpflichtversicherung gestiegen? Hohenstatt: Die Prämien steigen nur, wenn die Schadensfälle zunehmen – und das ist bei uns nicht der Fall. Gestiegen sind die Haftungssummen, also der potenzielle Schaden, und das hat seinen Preis. Die Auswahl einer großen Kanzlei wird sicher hin und wieder von der Annahme getragen, dass für den Fall der Fälle eine größere Haftungssubstanz zur Verfügung steht.


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