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2023 – Das große Jahr der Verständigung

❯ Tschechiens Staatspräsident Petr Pavel, Premierminister Petr Fiala und Kulturminister Mikuláš Bek kamen im Mai nach Bayern und lobten die Sudetendeutschen
2023 – Das große Jahr der Verständigung
„Das Tauwetter hält an... Und als Präsident Petr Pavel am 19. Mai 2023 sein BMW-Motorrad startete und nach Selb aufbrach, war es, als hätte man in den tauenden Schnee einen Feuerball geworfen“, schreibt der preisgekrönte Fernsehjournalist David Vondráček in einer großen Analyse über die sudetendeutschtschechischen Beziehungen, die die Sudetendeutsche Zeitung in der Ausgabe vom 1. September unter der Überschrift „Ein kurzer Satz des Präsidenten Pavel schreibt mitteleuropäische Geschichte“ dokumentiert hat.
Genau genommen sind es zwei kurze Sätze an zwei Orten, die Geschichte schreiben. „Ich möchte mich persönlich bei Bernd Posselt bedanken“, hatte das tschechische Staatsoberhaupt in seiner Rede in Selb anläßlich der Eröffnung der Bayerischen-Tschechischen Freundschaftswochen gesagt.
Man könne sich, so Pavel, „schwer die tschechische Geschichte ohne deutsche Landsleute und Mitbürger vorstellen“.
In der Vergangenheit habe es auch großes Leid gegeben, deshalb sei er, so Pavel, froh, „daß diese dunkle Zeit hinter uns liegt“. Der Präsident weiter: „In diesem Kontext freut es mich auch sehr, wie in den vergangenen Jahren die Entwicklung in der Sudetendeutschen Landsmannschaft verlaufen ist.“
Der zweite große Satz folgte nur zwei Tage später, 212 Kilometer östlich von Selb: In der KZ-Gedenkstätte Theresienstadt gedachte das Staatsoberhaupt der Holocaust-Opfer und mahnte generell vor Extremismus und Nationalismus. „Wir müssen die Verantwortung für die von unseren Vorfahren begangenen Verbrechen übernehmen und aus ihnen lernen“, sagte Pavel und erinnerte damit auch an die sudetendeutschen Opfer der Vertreibung. Zwar versuchten Linksund Rechtsextreme daraufhin eine Welle der Empörung gegen das Staatsoberhaupt anzuzetteln, scheiterten aber kläglich – was unterstreicht, daß die tschechische Bürgergesellschaft längst in der heutigen Zeit mit Verständigung und guter Nachbarschaft angekommen ist. Bereits beim Besuch von Premierminister Petr Fiala, der zehn Tage vor der Bayern-Reise des Präsidenten stattfand, hatte Ministerpräsident Markus Söder von einem „historischen Moment in den bayerisch-tschechischen Beziehungen“ gesprochen und das Verhältnis zwischen München und Prag als „ziemlich beste Freunde“ beschrieben.

Im Gespräch mit der Sudetendeutschen Zeitung unterstrich Fiala diese Einschätzung und sagte im Vorfeld des Sudetendeutsches Tages: „Die Beziehungen, das gegenseitige Verständnis füreinander, haben sich wesentlich verbessert. Wir sind daran interessiert, gute Beziehungen zu haben, deshalb wird ein Repräsentant der tschechischen Regierung am Sudetendeutschen Tag teilnehmen. Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, daß wir auch bei dieser Frage in die Zukunft denken und nicht darüber, was wir uns in der Vergangenheit nicht vermocht haben zu sagen.“
Auf dem Sudetendeutschen Tag hielt dann Mikuláš Bek eine große Rede und sagte: „Ich erlebe heute eine innere Freude, weil es zum ersten Mal ist, daß ein tschechischer Minister hier steht, ohne dazu Mut zu brauchen. Wir haben in den letzten Jahren ein Wunder erlebt. Das, was eine Ausnahme war, was Mut brauchte von meinen Freunden Daniel Herman und Pavel Bělobrádek, ist schon Alltag geworden. Darüber bin ich glücklich. Ich bin heuer 59 Jahre alt geworden. So stehe ich vor Ihnen als Zeuge des Prozesses der Annäherung zwischen Deutschen und Tschechen. Ich wage zu sagen: Das Werk der Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen ist im Grunde vollbracht.“

Tschechen, Deutsche und Sudetendeutsche sollten gemeinsam für die Zukunft Europas kämpfen, so Bek: „Wir müssen einstehen für Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Das ist unsere Aufgabe. Wir müssen gemeinsam in Europa gegen die Aggression im Osten stehen. Das ist ganz wichtig. Liebe Freunde, wir haben viel Haß, viel Weh und viel Blut hinter uns. Deshalb müssen wir für den Frieden arbeiten.“
„Manchmal wird Geschichte wirklich gut. Heute ist ein historischer Tag. Dieser Sudetendeut-sche Tag ist ein historisches Treffen. Es ist mir eine Ehre dabei zu sein und daran mitzuwirken, daß aus schwierigen Zeiten viel bessere werden können“, entgegnete Ministerpräsident Markus Söder in seiner Festrede. Der Schirmherr der Sudetendeutschen unterstrich einmal mehr, wie wichtig die aktuelle Verständigungsarbeit der Sudetendeutschen Landsmannschaft unter Bernd Posselt ist: „Dieses Brückenbauen bedeutet übrigens nicht, daß man vergißt. Würde man vergessen, was war, dann könnte man nicht ehrlich neu anfangen und Beziehungen knüpfen. Wüßten wir nicht, was war, dann könnten wir gar nicht wertschätzen, was wir jetzt gerade erleben.“
In einem „Brief des Sprechers“ an die Mandatsträger bekräftigte Posselt seinen Kurs: „Angesichts dieser erfreulichen Veränderungen wird es nunmehr unsere Aufgabe sein, den Weg der Verständigung und des Ausgleichs mit dem erforderlichen Fingerspitzengefühl weiterzugehen und der Zeitenwende in den sudetendeutsch-tschechischen Beziehungen, auf die wir jahrzehntelang und mit vielen Rückschlägen hingearbeitet haben, gerecht zu werden. Entscheidend wird auch sein, daß wir uns nicht von dissonanten Einzelstimmen von unserem erfolgreichen Kurs abbringen lassen, sondern geschlossen bleiben.“ Torsten Fricke


