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"Bei der Ampel-Koalition mache ich mir große Sorgen"
Interview mit Christoph de Vries, Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in der Sudetendeutschen Zeitung
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Einstimmig ist Christoph de Vries mit Beginn der neuen Legislatur zum neuen Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen, Spätaussiedler und deutschen Minderheiten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewählt worden. Was der Hamburger Bundestagsabgeordnete mit sudetendeutschen Wurzeln umsetzen will und wie er die Lage seiner Partei und die der Vertriebenen nach der Wahlniederlage sieht, erklärt der 46-jährige im großen Interview mit der Sudetendeutschen Zeitung.
Christoph de Vries: Vertriebene, Aussiedler und die deutschen Minderheiten im Ausland sind überwiegend Menschen, denen Heimat, Tradition, Familie, Glaube und Verbundenheit zum Vaterland viel bedeuten. Und das geht mir ganz genauso. Deshalb verspüre ich eine große Verbundenheit. Zudem besitzt meine Mutter selbst einen Vertriebenenhintergrund und hat uns Kindern viel über das Schicksal ihrer Familie sowie die ökonomischen und psychologischen Folgen durch den Heimatverlust erzählt. Außerdem engagiere ich mich seit einigen Jahren für die Spätaussiedler, unsere Landsleute aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Sie sind in Hinblick auf Bildungsaffinität und Erwerbsintegration absolut vorbildlich, und ich habe inzwischen auch viele freundschaftliche Kontakte geknüpft. Da meinem Vorgänger Eckhard Pols der Wiedereinzug in den Bundestag leider nicht geglückt ist, habe ich den Hut in den Ring geworfen und bin sehr dankbar für das einstimmige Votum meiner Kolleginnen und Kollegen.
De Vries: Die Familie meiner Mutter stammt aus Kunewald nahe Neutitschein und wurde am 16. Juni 1946 in Viehwaggons nach Deutschland verbracht, wo sie seitdem in Heidelberg lebte. Kopien von den Listen der Transporte hat mein Onkel uns kürzlich zukommen lassen, auf denen die Familie meiner Mutter bei Waggon 33 steht. Aufgeführt ist übrigens auch Elvira Pisch, später Becker, die Mutter von Tennisspieler Boris Becker und Cousine meiner Mutter.
De Vries: Mein Vater stammt aus einer Seemannsfamilie aus Ostfriesland. Er ist in Brunsbüttel am Nord-Ostsee-Kanal geboren und aufgewachsen, zog dann später als junger Export-Kaufmann nach Hamburg.
De Vries: Ja, das war es. Mit zunehmendem Alter hat sich meine Mutter immer intensiver mit ihren Wurzeln befaßt. Sie hat oft von der bewegten Lebensgeschichte meiner Großeltern berichtet, die fleißige, angesehene und wohlhabende Bürger waren. Von einem auf den anderen Tag ging alles Hab und Gut verloren. Die Folgen waren nicht nur der ökonomische Verlust, sondern auch der Verlust des gesellschaftlichen Status. Man darf zudem nicht außer Acht lassen, daß die Vertriebenen in den Nachkriegswehen vielfach nicht gern gesehene Ankömmlinge waren, weil die ansässige Wohnbevölkerung selbst unter Mangel und Armut litt.
De Vries: Wir erleben gerade den demographischen Wechsel von der Erlebnis- zur Bekenntnisgeneration. Aber der Heimatverlust existiert ja fort und ist in den Köpfen und Herzen der Heimatvertriebenen und ihrer Nachkommen weiterhin präsent. Die Tradition der Landsmannschaften, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, und die Patenschaften mit Bundesländern haben sich bis heute erhalten.
Die Ächtung jedweder Vertreibung bleibt leider aktuelles Anliegen deutscher Politik. Allein in der Ostukraine sind durch den Konflikt mehr als 1,5 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben worden.
De Vries: Auf die Union war und ist immer Verlaß in der Vertriebenenpolitik. Deshalb haben wir dafür gesorgt, daß dieser Bereich in einem eigenen Absatzunseres Regierungsprogrammes gewürdigt wird. Bei der Ampel-Koalition mache ich mir ehrlich gesagt große Sorgen. Wenn man die Anträge beispielsweise der Grünen aus der zurückliegenden Wahlperiode liest, die aus dem Berliner Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Grunde ein Migrationsmuseum machen wollen, schwant mir Böses. Und es steht zu befürchten, daß es die im Bundesinnenministerium neu geschaffene Abteilung Heimat in dieser Form so nicht weiter geben wird.
De Vries: Die Ausgangslage ist wie folgt: Die Mittel für die Kulturarbeit nach Paragraph 96 Bundesvertriebenengesetz haben im Bundeshaushalt 2021 mit 31,16 Millionen Euro einen historischen Höchststand erreicht und sind in der Regierungszeit der Union seit 2005 fast verdreifacht worden. Nun erinnern wir uns an den Regierungswechsel 1998: Schon ein Jahr später haben SPD und Grüne einen massiven Kahlschlag bei der Kulturförderung vollzogen, der das Ende etlicher Paragraph-96er-Einrichtungen bedeutete. Es ist kein Geheimnis, daß die politische Linke nach wie vor wenig für die Vertriebenen übrig hat. Außerdem dürfte der finanzielle Rahmen, um die zahlreichen hochfliegenden Ampel- Pläne zu bezahlen, ohnehin sehr eng sein. Insofern ist diese Gefahr nach meiner Einschätzung sehr real.
De Vries: Ich würde mir sehr wünschen, daß Bernd Fabritius seine hervorragende Arbeit als Bundesbeauftragter fortsetzt. In dieser Position sehe ich niemanden, der annähernd fachkundig und angesehen bei Vertrieben, Aussiedlern und deutschen Minderheiten ist wie er. Die Ampel-Koalitionäre wären klug beraten, das Amt fortzuführen. Setzen sich hingegen die Ideologen durch, wird die gesellschaftspolitisch wichtige Tätigkeit zur Disposition gestellt und damit auch die gesamte Aussiedler- und Vertriebenenpolitik fachlich abgewertet.
De Vries: Im bevorstehenden Modernisierungsjahrzehnt wollen wir als Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten den Bogen zwischen Heimat, Tradition und Innovation spannen. Das bedeutet erstens mit Blick auf den Status des Bundesbeauftragten, die Kulturförderung oder das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung diese politischen Errungenschaften mit aller Kraft zu verteidigen und erbitterten Widerstand zu leisten, wenn die neue Bundesregierung Einschnitte plant. Zweitens möchte ich die Kontakte und Verbindungen zu den Spätaussiedlern weiter ausbauen und intensivieren. Ich bin froh, daß mit meiner Kollegin Ottilie Klein eine Spätaussiedlerin aus Berlin- Mitte eine aktive Rolle in der Gruppe spielen wird. Mein Ziel ist insbesondere, Ungerechtigkeiten im Fremdrentengesetz zu korrigieren und damit einen Beitrag gegen Altersarmut in der ersten Generation der Aussiedler und Spätaussiedler zu leisten.
Drittens möchte ich hörbarer die Stimme erheben, wenn Minderheitenrechte unter Druck geraten, wie derzeit die der deutschen Minderheit in Polen durch eine nationalistische Regierungspolitik. Und schließlich möchte ich, daß unsere Gruppe Impulse in aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen rund um Geschichtspolitik, Identitätspolitik und einen modernen Patriotismus gibt.
De Vries: Mit meiner 13jährigen Tochter spreche ich schon über das Vertriebenenschicksal ihrer Urgroßeltern und die alte Heimat unserer Familie. Meine beiden anderen Kinder sind noch zu klein dafür.
De Vries: Ich war schon häufig in den früheren deutschen Ostgebieten, etwa in Polen, aber leider noch nicht im Sudetenland, der Heimat meiner Mutter. Das habe ich mir fest für diese Wahlperiode im neuen Amt vorgenommen und hoffe, daß die Corona-Pandemie mir keinen Strich durch die Rechnung macht.
De Vries: Seit Gründung der Tschechischen Republik 1993 litten insbesondere die bayerischtschechischen Beziehungen unter dem Streit um die rechtliche und moralische Bewertung der Vertreibung von drei Millionen Sudetendeutschen. Bayern hat daher stets die Rücknahme der Beneš-Dekrete als Bedingung für die Normalisierung des Verhältnisses gefordert. Es war der jetzige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der das Eis gebrochen und 2010 als erster bayerischer Ministerpräsident dem Nachbarland einen offiziellen Besuch abgestattet hat. Seehofer, der damals vom Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Bernd Posselt begleitet wurde, war sich mit Ministerpräsident Petr Nečas einig, daß es zwar offene Fragen gibt, in denen man nach wie vor unterschiedliche Rechtsauffassungen habe, man aber nun zusammen den Blick in die Zukunft richten wolle. Ob es einem nun gefällt oder nicht, damit waren die Beneš-Dekrete in der Tagespolitik vom Tisch. Das Thema der Vertreibung ist es nicht. Vor allem junge Tschechen setzen sich zunehmend mit den Massenmorden an Deutschböhmen nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem die tschechische Politik um die längst überfällige Geste der Versöhnung nicht mehr umhinkommt. Und dies wäre ein wichtiger Schritt zur vollständigen Aussöhnung.
De Vries: Die Corona-Pandemie hat auch den Grenzübertritt zwischen Deutschland und Tschechien beeinträchtigt, aber die bilateralen Beziehungen sind weiter sehr eng. Das Handelsvolumen hat zuletzt mit über 92 Milliarden Euro einen neuen Rekord erreicht. Bei der Vergangenheitsbewältigung hingegen gibt es Verbesserungsbedarf. So steht noch immer der Abschluß eines bilateralen Kriegsgräberabkommens aus, welches die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Tschechien auf eine gesetzliche und damit verbindliche Grundlage stellen würde. Zum Stand der Verhandlungen wird unsere Gruppe das Gespräch mit dem neuen Tschechischen Botschafter Tomáš Kafka suchen.
De Vries: Die Osteuropa-Berichterstattung in den deutschen Medien ist insgesamt ein viel zu vernachlässigtes Thema. Die aus Kostengründen reduzierte Zahl der Auslandsjournalisten bildet dabei nur eine Ursache. Allein das Beispiel der Krim-Annexion – die 2014 übrigens von einem früheren Bundesminister mit dem Anschluß des Sudetenlandes verglichen worden war – zeigt, daß wir es uns nicht leisten können, politische Entwicklungen im Osten Europas erst dann mitzubekommen, wenn es schon zu spät ist. Nicht ohne Grund hat sich hier in Berlin das Korrespondenten-Netzwerk „N- Ost“ gegründet, mit dem unsere Gruppe in Kontakt steht.
De Vries: Die Geste, damals 20 000 in Ungarn frierenden und hungernden Menschen zu helfen, war richtig und ein Gebot christlichen Handelns. Aber die Folgewirkung, also der Zustrom von mehr als einer Million Migranten und Flüchtlingen, ist völlig unterschätzt worden. Unmittelbar nach dieser Geste hätte das klare Signal kommen müssen, daß die Grenzen dicht sind und es sich nicht lohnt, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. Dieser Fehler hat unser Land gespalten und zur Etablierung einer rechtsradikalen Partei in Deutschland geführt, was ich sehr bedaure.
Der Unterschied zwischen Vertriebenen damals und Flüchtlingen heute ist offenkundig. Bei den Vertriebenen handelt es sich um deutsche Volksangehörige, um Landsleute, die rechtlich und moralisch einen Anspruch auf Aufnahme hatten und als Deutsche nach Deutschland gekommen sind. Sie sind meistens nicht geflohen, sondern gegen ihren Willen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Die Heimatvertriebenen haben einen großartigen Beitrag zum Wiederaufbau unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet. Dies ist klar zu unterscheiden von Flüchtlingen heutzutage, die überwiegend aus anderen Kulturkreisen kommen und deren Schutzstatus im Übrigen auch zeitlich befristet ist für die Dauer des Konflikts oder der politischen Verfolgung in der Heimat.
De Vries: Wir brauchen den festen politischen Willen, Migration zu steuern und zu begrenzen und dafür bei Bedarf auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen. Das bedeutet Humanität und Ordnung zugleich. Also Hilfe für Schutzberechtigte einerseits, aber auch rechtstaatliche Konsequenz bei illegaler Migration und Rückführungen andererseits. Zugleich haben wir ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz in der letzten Wahlperiode beschlossen, das den Zuzug dringend benötigter Fachkräfte relativ leicht und unbürokratisch ermöglicht. Wichtig ist, daß Asyl und Arbeitsmigration klar voneinander getrennt werden. Wenn SPD, Grüne und FDP den sogenannten Spurwechsel tatsächlich schaffen, wird dies unser Asylrecht aushöhlen. Das ist ein Konjunkturprogramm für illegale Einwanderung, weil jeder Migrant sich dann ein Aufenthaltsrecht in Deutschland ersitzen kann, wenn er nur lang genug die Rechtswege im Asylverfahren ausschöpft oder sich der Ausreisepflicht lange genug entzieht.
De Vries: Es geht nicht um die Frage, helfen wir oder schauen wir weg. Man kann auf vielen Wegen Hilfe leisten. Etwa durch finanzielle Unterstützung der Nachbarstaaten der Herkunftsländer, so wie wir es im Rahmen des EU- Türkei-Flüchtlingsabkommens machen ,oder durch humanitäre Hilfslieferungen mit Lebensmitteln, Medikamenten,Zelten und Feldbetten, wie wir es in Griechenland mehrfach angeboten haben. Aber politisch muß klar sein, daß wir nicht das ganze Elend derWelt auf deutschem Boden lösen können. Bei aller Nächstenliebe kann nicht jeder Flüchtling oder Wirtschaftsmigrant nach Deutschland kommen. Wir müssen die Fluchtursachen vielmehr vor Ort bekämpfen. Und da hat die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel zum Beispiel durch eine deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe bereits viel geleistet. Wir brauchen ferner einen effektiven Schutz unserer EU-Außengrenzen vor illegaler Migration und einen fairen Verteilungsmodus innerhalb der EU für Schutzberechtigte.
De Vries: Ja, selbstverständlich. Wenn unsere Grundwerte nicht geteilt werden, sind dergesellschaftliche Zusammenhalt und unsere freiheitliche Gesellschaft insgesamt bedroht. Es darf keinen kulturellen oder religiösen Rabatt auf unsere Werte geben. Die Grundrechte unseres Grundgesetzes sind nicht verhandelbar, egal woher man kommt oder woran man glaubt.
De Vries: Wir müssen sehr früh eingreifen und klar machen, wo die Grenzen sind. Islamistische Terroranschläge sind furchtbar, aber nur die Spitze des Eisbergs. Gesellschaftlich mindestens genauso bedrohlich ist, wenn in Teilen der Gesellschaft Grundwerte wie Gleichberechtigung, Minderheitenschutz, Vorrang unserer Gesetze vor religiösen Regeln abgelehnt und Andersgläubige oder Menschen ohne Glaubensbekenntnis als Ungläubige diffamiert werden. Ich habe zur Bekämpfung des Politischen Islam ein umfassendes Positionspapier geschrieben, das die Bundenstagsfraktion im April dieses Jahres einstimmig verabschiedet hat. Zwei Dinge sind besonders wichtig. Wir dürfen erstens nicht zulassen, daß ausländische Regierungschefs wie Herr Erdogan unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit direkt Einfluß auf deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens nehmen können und diese gegen unsere Gesellschaft aufstacheln. Zweitens, religiösen Fundamentalisten muß politisch mit derselben Distanz und Ächtung begegnet werden wie den Extremisten von links und rechts.
De Vries: Das halte ich für unabdingbar. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist der Schlüssel für Bildung, ökonomischen Erfolg und gesellschaftliche Teilhabe.
De Vries: Ich bin wegen Helmut Kohl in die CDU eingetreten. Er war der Architekt der deutschen Einheit und Treiber des europäischen Integrationsprozesses, der Garant für Frieden und Freiheit in Deutschland wie Europa ist. Die offenen Grenzen sind wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und der freie Waren- und Kapitalverkehr eine große Errungenschaft in Europa, die einen hohen Wert haben. Aber Voraussetzung für Grenzen ohne Kontrollen innerhalb der EU war und ist, daß der Schutz der EU-Außengrenzen funktioniert. Wenn dies nicht anders gewährleistet werden kann, weil Machthaber wie Herr Lukaschenko ihr böses Spiel auf dem Rücken von Flüchtlingen austragen oder Schlepperbanden ihr Unwesen treiben, dann muß illegale Migration zur Not auch mitrobusten Grenzschutzmaßnahmen gestoppt werden. Dies darf und sollte aber kein Modell für die gesamte EU werden.
De Vries: Meine Eltern sind beide sehr gläubig, schöpfen Kraft und Zuversicht aus ihrem Glauben. Ich habe vom Kindergarten über die Grundschule bis zum Gymnasium katholische Institutionen besucht, war Meßdiener und Pfadfinder. Deshalb fühle ich mich meiner Kirche verbunden, auch wenn ich aufgrund der wenigen Zeit nicht jeden Sonntag in der Heiligen Messe sein kann. Mit meinem kleinen Sohn bete ich immer zusammen, wenn ich ihn ins Bett bringe. Oder wenn es anderen oder mir selbst schlecht geht und göttlicher Beistand besonders wichtig ist.
De Vries: Ich rate meiner Kirche zu ehrlicher, schonungsloser Aufklärung und Konsequenzen für alle, die sich schuldig gemacht haben. Vor allem der frühere Umgang mit Mißbrauchsvorwürfen hat mich als Vater, aber auch als Mensch, der sich ehrenamtlich für den Kinderschutz engagiert, wirklich bestürzt. In der öffentlichen Diskussionkommt jedoch zu kurz, daß die allermeisten Mißbrauchsfälle einige Jahrzehntezurückliegen und sich in der Zwischenzeit bereits viel getan hat.
Manchmal habe ich den Eindruck, daß die katholische Kirche in Zusammenhang mit dem Kindesmißbrauchvon denjenigen besonders heftig angegangenwird, die schon zuvor kein gutes Haar an ihr ließen. Mir steht es nicht zu, der Kirche als Politiker öffentlich Ratschläge zu geben. Die Situation der Kirchen ist in einer säkularisierten Wohlstandsgesellschaft wie der deutschen nicht einfach, und viele vergessen, daß die katholische Kirche eine Weltkirche ist, in der der deutsche Blick auf die Dinge nicht immer repräsentativ für die gesamte katholische Kirche ist. Ich wünsche meiner Kirche, daß ihr der Spagat gelingt zwischen der Bewahrung der theologischen Grundsätze einerseits und dem Anschluß an gesellschaftliche Entwicklungen unserer Zeit andererseits. Die christlichen Kirchen mit ihren Gemeinden vor Ort geben Millionen Menschen Halt und Orientierung, sind eine wichtige moralische Instanz in unserer Gesellschaft und leisten wichtige seelsorgerische und soziale Arbeit dort, wo sie gebraucht werden. Als Christ und Christdemokrat finde ich, daß dies Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung verdient.
Interview: Torsten Fricke

Der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries am Rednerpult im Deutschen Bundestag.
❯ Zur Person: Christoph de Vries
❯ Geboren am 4. Dezember 1974 in Hamburg.
❯ Verheiratet, drei Kinder, praktizierender Katholik.
❯ 2002: Abschluß als Diplom-Soziologe an der Universität Hamburg.
❯ Von 2004 bis 2015: Angestellter in der Finanzbehörde Hamburg und dort zuletzt stellvertretender Referatsleiter im Amt für Haushalt.
❯ Von 2011 bis 2015: Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft.
❯ Seit 2016: stellvertretender Landesvorsitzender der CDU Hamburg.
❯ Seit 2017: Mitglied des Deutschen Bundestages.
❯ Seit Oktober 2021: Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Spätaussiedler und deutschen Minderheiten in der CDU/CSU-Fraktion.