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Wir sind ein Start-up-Familienunternehmen

„Wir sind ein Start-upFamilienunternehmen, allerdings mit massiver Erfahrung“

Susanne Tebartz, Susanne Botschen und Christoph Botschen im Gespräch mit style in progress.

Interview: Stephan Huber, Martina Müllner-Seybold. Fotos: Yorick Carroux, MarthaLouisa.com. Location: Lovelace Hotel, München

rei Jahre hinderte eine Non-Compete-Klausel Susanne und Christoph Botschen daran – jetzt sind sie wieder da. Mit MarthaLouisa.com, einem Onlineshop für Luxusschuhe, melden sich die Gründer von Theresa und mytheresa. com zurück. Doch nicht nur die Nische ist neu: MarthaLouisa.com will sich auch neuen Talenten und einer Contemporary-Preislage öffnen. Im Interview mit style in progress sprechen die beiden Händler und ihre Geschäftsführerin, die ehemalige Director Amazon Fashion Europe Susanne Tebartz über eine veränderte Branche, in die sie zurückkehren. Dass MarthaLouisa.com mehr ist als das Plaisir zweier, die es sich leisten können, ist jedem klar, der das Powerpaar kennt: 50 Mitarbeiter, fast alle mit Erfahrung in ihren jeweiligen Bereichen, arbeiten von München aus daran, den Erfolg zu wiederholen.

Drei Jahre Auszeit – für viele ihrer Kollegen ein Traum. Viele haben zu uns gesagt: Nach diesem Exit wäre ich nicht zurückgekommen. Warum also sind Sie wieder da?

Christoph Botschen: Wir haben einiges in diesen dreieinhalb Jahren gemacht, sind gereist, haben uns in Bauprojekten engagiert, haben versucht, uns für Kunst zu interessieren. Susanne Botschen: Versucht, ja. (lacht) CB: Meine Frau wäre ja am liebsten an Tag zwei oder drei nach dem Exit wieder zurück an die Arbeit gegangen, bei mir hat es gedauert. Ich war hoch erfreut und hoch entlastet nach dem Exit. SB: Auf einer Weltreise kam dann der Wendepunkt für meinen Mann, da hat er plötzlich gesagt: So jetzt reicht’s! CB: Die Erkenntnis war, dass uns das, was uns die letzten 30 Jahre erfüllt hat, noch immer packt. Die Branche, der Job – es macht wieder gewaltigen Spaß. SB: Am Ende ist das ja auch das Geheimnis eines zufriedenen Lebens, wenn man den Job, den man macht, wirklich gerne macht. CB: Und den man ja auch kann!

Was kam nach dem WiederWollen?

CB: Wir sind im Februar letzten Jahres auf Roadshow gegangen, wie ganz früher. Wir haben unsere langjährigen Beziehungen und Brands vornehmlich in Paris und Mailand gefragt: Was wäre denn, wenn? „Ja, klar! Toll! Ihr seid wieder da?“ Das war die erste Welle. Die zweite Welle gestaltete sich dann schon schwieriger. Die Welt ist nicht stehen geblieben. Die Distribution ist vorangeschritten. Alle großen Brands sind heute online schon sehr weit verbreitet. Also mussten wir dann doch das Klinkenputzen anfangen. Aber wir haben eigentlich fast alle an Board bekommen, die wir wollten. SB: Mit unserem Ansatz der Spezialisierung sind wir auf offene Arme und offene Ohren gestoßen. Seit unserem Exit 2014 hat sich die Branche unfassbar verändert. Wie mit einem Gongschlag. Die Disruption, das ganze Theater um See-now-buy-now und dann doch wieder nicht. Da könnte ich jetzt eine halbe Stunde darüber referieren: Die Herausforderungen für Brick and Mortar, die Entwicklung der großen Player in unserm Bereich, unser Ex-Unternehmen, aber auch Net-a-porter zusammen mit Yoox, Matches. Alles ist so groß geworden, dass der Endverbraucher überhaupt nicht das Gefühl hat, da ist jemand, der für mich aussucht. Dieser berühmte Wald vor lauter Bäumen, diese Flut von Produkten. Wenn man drei Jahre raus ist aus der Branche – natürlich nie ohne weiter interessiert zu sein, denn es ist ja die Branche, die man liebt –, sieht man vieles auch wieder mit dem Auge eines Endverbrauchers.

Das Versprechen von 1.500 Marken ist für den Endverbraucher ja kein Feature, das ist ein Bug.

SB: Und genau das ist der Punkt, den wir erkannt haben. Wenn Sie mit Frauen sprechen, die bereit sind, wirklich Geld auszugeben, für die ist es eine Last. Wie oft habe ich gehört: „Suche mir die besten Schuhe der Saison aus und ich bin der dankbarste Mensch.“ Der Wille, zu kaufen, ist da, aber wenn sie jeden Tag mit Newslettern bombardiert werden, wo jede Marke, jedes Modell, jede Absatzhöhe, jede Farbe drinnen ist, wie soll ich dienstags wissen, ob nicht mittwochs schon wieder ein anderer Schuh kommt? Susanne Tebartz: Genau dieses stationäre Erlebnis, dieses Vorkurartierte, dieses Personalisierte erwarten die Kunden zunehmend auch online. Unser Anspruch an Kundenorientierung, Service und Ästhetik ist für MarthaLouisa.com ganz oben angesetzt. Wir müssen in punkto Usability, Fullfillment und Kundenansprache bieten, was die erfolgreichen Player auch bieten, und sogar noch mehr, das ist gar keine Frage. Personalisierung spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle.

Die Aufgabenstellung an Sie ist, all diese Prozesse und operative Exzellenz zu garantieren, während sich das Ehepaar Botschen auf Ware und Strategie konzentriert?

ST: Gewissermaßen, ja. Das bringe ich ja auch an Erfahrung ein. CB: Wir haben einige positive Learnings aus unserem ehemaligen Unternehmen mitgenommen – und uns in der Geschäftsführung durch eine dritte Person zu verstärken, war auch in der Vergangenheit von Anfang an sinnvoll.

Mit Schuhen picken Sie sich ja auch die Rosine aus dem Kuchen.

SB: Denken Sie an früher: Diese wunderbaren Multibrandschuhgeschäfte. Ein Highlight und jemand hatte AUSgesucht! Aber die gibt es kaum mehr. Dafür sind die Schuhabteilungen aller großen Departmentstores von einer kleinen Ecke auf einen ganzen Floor gewachsen.

Die einzige Abteilung, die frequentiert ist, und zwar immer.

Warum eigentlich?

SB: Das kann ich Ihnen ganz einfach sagen. Gemeinsam haben wir gerade festgestellt, dass es eine Disruption gab, eine riesige Veränderung in der Fashion generell. Der Endverbraucher ist so was von verunsichert, durch diesen schnellen und stetigen Umbruch. Es gibt nichts mehr, woran er sich festhalten kann. Auf der einen Seite geht es immer noch schneller, auf der anderen Seite das Sterben der Läden. Dann Crossdressing: Man kann heute wunderbar bei Zara kaufen und keinem fällt eine Perle aus der Krone. Aber bestimmte Dinge sollten hochwertig sein, als allererstes die Schuhe.

Einmal mehr wird der Begriff des demokratischen Luxus ad absurdum geführt.

SB: Demokratischer Luxus ist völliger Blödsinn!

Luxus kann nicht demokratisch sein.

SB: Schuhe bestimmen komplett einen Look. Sie ändern Ihren Look, Ihre Laune, Ihre Stimmung mit Schuhen – sogar, wenn Sie sonst nichts an Ihrer Garderobe ändern. Aber heute ein Pumps zur Jeans, morgen ein Sneaker – das sind zwei völlig verschiedene Aussagen. Sie verändern Ihren Look, Sie signalisieren Ihre Einstellung, Sie signalisieren, wie modern Sie sind. Schuhe müssen Qualität haben.

Weil es ein handwerkliches Produkt ist, sind die Preise auch besser nachzuvollziehen.

SB: Sie können einen Schuh vielseitig einsetzen. Wohingegen eine gemusterte Bluse für 1.200 Euro tragen Sie einmal und dann sind Sie damit schon gesehen. Im Verhältnis ist ein Schuh viel eher bezahlbar. Im Luxusbereich sind die Preise für Ready-to-wear extrem gestiegen.

Ist es für einen Spezialisten zwingend, einen globalen Markt zu bedienen, oder könnte Martha Louisa.com auch ein Laden sein?

SB: Sie erreichen mit einem Laden

„Genau dieses stationäre Erlebnis, dieses Vorkurartierte, dieses Personalisierte erwarten die Kunden zunehmend auch online.“ Susanne Tebartz

sehr viel weniger Menschen und es ist befriedigender, gerade wenn man es schon einmal gemacht hat, global Menschen zu erreichen. Aber natürlich würde das in Form von einem Laden auch funktionieren. Sicher nicht an jedem Standort, aber der Einzelhandel wird Bestand haben. Überall dort, wo es Tourismus gibt. Es ist ja eine Freizeitbeschäftigung, Shoppen zu gehen. In Städten und Ferienorten wird der Einzelhandel immer bestehen. CB: Ja, aber er konzentriert sich gewaltig. Konzepte verändern sich und Online übt natürlich eine Hebelwirkung aus, dass dieser Wandel noch schneller von statten gehen wird.

Aber noch immer verdienen nicht alle Onlineplayer damit auch Geld.

CB: Die meisten sind keine Händler. Wir sind Vollbluthändler und können nicht anders. Dieses Händler-Denken kombiniert mit dem Verständnis für Technik und für Organisation – das macht den Unterschied. Man muss immer den Kunden im Visier haben, das ist Priorität. IT und Technik müssen möglich machen, was der Kunde will. SB: Dass jeder, der einen Laden hat, meint, er macht eine Website zusätzlich, ist ein Trugschluss. Entweder Sie machen’s richtig oder gar nicht. CB: Und es richtig zu machen, ist sowas von komplex geworden. In den drei Jahren unserer Abstinenz hat die Komplexität noch weiter zugenommen. ST: Operative Exzellenz – dafür ist nicht jeder aufgestellt, der einfach mal von Offline online verkaufen will. Es muss die ganze Logistik stimmen, alle Prozesse, die hinten dranhängen, die man ja gar nicht so sieht.

Was ist der große Unterschied zum ersten Erfolgskonzept?

SB: Da fange ich jetzt mal an, weil es mein Part ist: die Ware. Wir haben selbstverständlich alle wichtigen

Fashion-Power-Houses und großen Schuhmarken im Luxusbereich an Bord. Aber wir wollen zumindest 50 Prozent auch Newcomer, was wir New Talent nennen, zeigen. Und auch Contemporary-Preislagen. Ein entscheidender Unterschied! Früher waren wir auf Luxus fokussiert, wobei mir immer wichtig war, dass es eine Einstiegspreislage gibt. Schon vor 25 Jahren gab’s bei Theresa immer ein T-Shirt für 45 D-Mark, damit der Kunde von morgen auch mit einem Theresa-Tütchen rauslaufen und ein Teil dieser Welt sein konnte.

Ganz simple Psychologie …

SB: So ist es. Vielleicht kann ich es mir heute nicht mehr leisten, vielleicht kann ich es mir erst morgen leisten? Dann will ich mit etwas Kleinem trotzdem Teil dieser Welt sein. Das Schöne ist: Es gibt heute, auch wieder mit Gongschlag, so viel Neues. So viele neue Marken, die sind weltweit verteilt, aber kein Händler hat sie kuratiert

„Wir lassen Neues in Dialog mit ersten Linien treten.“ Susanne Botschen

unter einem Schirm. Dieses Neue in Dialog mit den ersten Linien treten zu lassen, ist, was wir jetzt machen wollen.

Sie sind zurück an der vordersten Front, ganz Hands-on. Das haben Sie auch am meisten vermisst, richtig?

SB: Ja, das habe ich am meisten vermisst. Ich war nie jemand, der auf Schauen lief, um selbst fotografiert zu werden. Mir ging es immer ums Produkt.

Aber ganz darauf zu verzichten – also darauf, die Marken zu führen, wäre auch keine Option gewesen.

SB: Die Major Brands verstehen heute das Internet viel besser, damals beim Start von myTheresa.com hatte noch niemand viel Ahnung. Heute wissen sie, dass man die Onlinedistribution sehr viel globaler sehen muss, Geo Pricing, all diese Themen. Wir haben bestimmt einen Vertrauensvorschuss gehabt, man weiß bei unseren 30 Jahren Historie, dass wir halten, was wir versprechen, und dass wir es auch schaffen, die Marken in einem Rahmen zu zeigen, der mit ihrer DNA vereinbar ist. CB: Das ist alles Branchenwissen, Insidertum. Für den Endverbraucher ist das nicht relevant, wer wir sind. Für den zählt unser Portfolio und unsere operative Performance. SB: Da kommt Susanne Tebartz ins Spiel. ST: Die Kunden haben hohen Anspruch und unser Anspruch ist natürlich das beste mögliche Kundenerlebnis, das wir liefern wollen. Das fängt natürlich beim Sortiment an, geht aber natürlich über den kompletten Einkaufsprozess auf der Seite bis zur Warenlieferung und zur Retoure. Wir müssen so aufgestellt sein, dass wir es skalieren können, die Strukturen müssen passen und unser Anspruch daran ist extrem hoch. Wir werden viel lernen, jeden Tag, und niemals aufhören, das zu tun.

Ein großes Investment …

CB: Wir hatten schon vor dem Launch 50 Leute im Team – mit keinem Cent Umsatz. In Sachen Bekanntheit fahren wir mehrere Strategien parallel. Die klassische ist natürlich Onlinemarketing. Da sind die großen Marken ein Segen, denn wer sie online sucht, wird feststellen, dass es gar nicht so viele Anbieter weltweit gibt. Dazu setzten wir mit Karla Otto PR auf weltweite Pressearbeit mit einem LaunchEvent in Paris. Die nächste Ebene ist Social Media.

„Zu einem guten Einkauf gehören Selbstbewusstsein, Zahlenverständnis und auch ein gewisses Bauchgefühl und Händchen fürs Produkt.“ Susanne Botschen

Wer ist denn MarthaLouisa? Das vierte Kind der Botschens?

SB (lacht): Unsere Historie war immer schon ein Mädchenname. Und der Ursprung von allem war und ist Theresa. Und der Name Theresa war auch schon damals speziell. Eine Martha ist das wieder. Weil Sie heute für einen einzelnen Namen keine .com-Domain mehr weltweit geschützt bekommen, ist ein zweiter Mädchennamen dazugekommen. Louisa, die kann auch schon mal sexy sein. Eigentlich hat jede Frau beide Komponenten in sich. Je nach Laune, je nach Tageszeit. CB: Die größte Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist die hohe Erwartungshaltung an uns als Gründer. Da ist es wichtig, zu sagen: Wir werden das Rad im E-Commerce nicht neu erfinden, denn es gibt ja einfach etablierte Standards, gerade was die Bedienbarkeit einer Seite angeht. SB: Die einzige Revolution, wenn Sie so wollen, wird die Konzentration auf Schuhe sein. Natürlich mit einem breiten, für viele Märkte passenden Sortiment und entsprechender Tiefe im Angebot. Offline sehen wir ja auch, dass sich die Kunden von Konzernen und Kaufhäusern abwenden, dass sie von überall gleichen Monobrandstores gelangweilt sind. Dem können Sie nur mit Spezialisierung und Persönlichkeit antworten – und wir versuchen das eben online. Der Kunde will sich persönlich wahrgenommen fühlen und … ST: … will trotzdem die Verlässlichkeit im Prozess haben. Das ist die Challenge.

Jetzt erzählen Sie doch von Ihrer Challenge. Sie kommen vom Giganten und steigen jetzt in ein – was ist es denn, ein Familienunternehmen? – ein.

ST: Ein Start-up-Familienunternehmen. Hört sich vermessen an, aber vielleicht auch nicht. Wir nennen uns Start-up, allerdings mit massiver Erfahrung. Viele Mitarbeiter, die wir an Bord bekommen haben, haben das alle schon mal gemacht, das macht Spaß. Das ist kein Startup von Null. Ich komme aus einem wahnsinnig effizienten und professionellen Umfeld, aber mich hat gerade diese Idee, das aufzubauen, gereizt. Natürlich, weil ich an das Konzept glaube, die Spezialisierung. Trotzdem die Herausforderung an die Prozesse, da hoffe ich, mit meinen sieben Jahren Erfahrung etwas mitzubringen.

Was kann man aus sieben Jahren Amazon in dieses Start-up trans ferieren?

ST: Zunächst die Strukturen, die Prozesse erst einmal aufbauen, wie die verschiedenen Bereiche ineinandergreifen müssen, um eben die beste Seamless Customer Experience anzubieten und dauerhaft für den Kunden sicherzustellen. Und es ist nicht so trivial, wie’s vielleicht klingt, da im Hintergrund alle Räder perfekt ineinandergreifen müssen.

Am Ende des Tages ist das, hartes Wort, kriegsentscheidend.

CB: Ja, trotzdem: Wenn wir langweilige Ware hätten und hinten funktioniert alles, würde das auch nicht helfen.

Wie verhält es sich denn eigentlich im Schuhbereich mit dem größten Pferdefuß des Onlinehan dels, der Retoure?

SB: Auf jeden Fall weniger als in der Ready-to-wear. CB: Unsere Erfahrung sagt, dass Schuhe die geringste Retourenquote haben, sogar weniger als Taschen. Die allermeisten Kunden wissen ungefähr, welche Größe sie bestellen müssen. Es wird auch eines unserer Assets als Schuhspezialist sein, dass wir die Passformen sehr genau – und gut ersichtlich – beschreiben. SB: Wir suchen innerhalb der Marken sehr aus. Jede Marke hat ihre DNA, macht bestimmte Dinge viel besser als andere. Das stellen wir in den Fokus.

Nun gibt es aber viele Marken, die den Einkäufern nicht unbe -

„Als Familienunternehmen sind wir viel schneller in der Reaktion.“ Christoph Botschen

dingt selbst überlassen, was sie für ihren eigenen Shop für richtig halten.

SB: Da habe ich einen gewissen Vertrauensvorschuss. Ich bin heute auch so weit, dass ich sage, was ich denke. Wenn eine Marke meint, etwas verkaufen zu müssen, was nichts ist, dann sage ich das auch. Zu einem guten Einkauf gehören Selbstbewusstsein, Zahlenverständnis und auch ein gewisses Bauchgefühl und Händchen fürs Produkt. Und man muss aus Fehlern lernen dürfen. CB: Da haben wir natürlich einen Vorteil. Wir als Familienunternehmen sind viel schneller in der Reaktion. SB: Und wir machen unsere Fehler natürlich auf eigene Kosten.

Diesmal also ziehen Sie gänzlich ohne Zahlen los – nur mit Bauch und Händchen.

SB: Jetzt stochern wir im Dunkeln. Gut, ich war noch nie ein Zahlenmensch, wenn ich ehrlich bin. Ich habe auch gerne mal Zahlen ignoriert, und mehr meinem Gefühl vertraut. CB: Wir nehmen eine Menge eigenes Geld in die Hand, und ordern ins Blaue hinein. Im wahrsten Sinne des Wortes und zwar jetzt schon zum zweiten Mal. Also ja, wir sind uns unserer Sache sicher, aber wir werden eine ganze Menge lernen.

Was ist denn besser: Wenn man für die erste Phase zu wenig auf Lager hat oder wenn man für die erste Phase zu viel auf Lager hat?

SB: Also ich finde es schrecklich, wenn es zu wenig ist. ST: Wenn eine Kundin mehrfach kommt und ihre Größe immer ausverkauft ist, dann laufen wir Gefahr, sie schnell zu frustrieren. Also lieber zu viel. Mit der Erfahrung können wir optimieren und immer besser werden. SB: Dass es irgendwann im Laufe der Saison dann mal ausverkauft ist, ist eine andere Sache, dann hat man dieses psychologische Moment: „Ah, ich war nicht schnell genug und das nächste Mal beeile ich mich.“ Das ist wiederum gut. CB: Wir haben früher immer mehr gekauft, als wir brauchten, das ist so. Online ist die Verfügbarkeit einfach ein Riesenthema. Bekommt die Kundin es bei uns nicht, switcht sie in Nanosekunden zu einem Mitbewerber.

Ist es nicht logisch, dass es mittelfristig zur Sortimentserweiterung um eine Kategorie kommen wird?

SB: Also im Moment eher nicht.

Die Tasche ist also tatsächlich nicht am Horizont?

SB: Nein! CB: Wir haben uns ja auf die Fahnen geschrieben, Spezialist zu sein. Spezialist bei Schuhen. Wenn wir in ein paar Jahren auf dem Volumen bei Schuhen sind, das unsere Mitbewerber umsetzen, sind wir schon sehr happy.

Sie wurden zitiert, dass Sie bei einem Hausbrand als erstes die Handtasche retten würden. Tragen Sie also jetzt als erstes die Schuhe raus?

SB: Wahrscheinlich immer noch die Handtasche, weil da eben die

entscheidenden Dinge drin sind. Was würde ich heute als Erstes raustragen? Wahrscheinlich … CB: … mich! SB: Dich! Sowieso.

Letzte Frage: Wann soll MarthaLouisa.com profitabel sein?

CB: Wenn man von Scratch, von Null, beginnt, hat man natürlich keine Erfahrungswerte. Wir nehmen uns vor, 2019 den Break-even zu erreichen. Es wird uns nicht umbringen, wenn das 2019 nicht klappen sollte, aber aller allerspätestens 2020.

Was ja auch schon ambitioniert ist.

CB: Finden Sie? Warum? Mit myTheresa.com waren wir keine einzige Sekunde negativ. SB: Das ist die Stärke meines Mannes. Er hat, was Zahlen betrifft, ein untrügliches Bauchgefühl. Und irgendwie habe ich so ein Gottvertrauen, dass wir drei eine irre gute Kombi sind. Das muss ich jetzt einfach auch mal so sagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

DER PREIS IST HEISS!

Der Cashmere-Blazer kostet schlappe 1.500 Euro, die Seidenbluse ist nicht unter 800 Euro zu haben. Im Premiumhandel kosten Topmarken und Topprodukte nun mal ihr gutes Geld. Doch nur die wenigsten Kunden bezahlen Preise, ohne mit der Wimper zu zucken – vorausgesetzt, sie kommen überhaupt ins Geschäft. Inwieweit muss der Premiumhandel umdenken, wenn er nicht in Schönheit und Einsamkeit sterben will? Ist ein stärkerer Preisunterbau die Lösung oder verwässert er nur das Sortiment? Kann er ein Instru- ment sein, für mehr Frequenz zu sorgen? Und ist es wo- möglich besser, zwei Jacken für je 399 Euro zu verkaufen, als eine allein für 799 Euro? Branchenprofis geben Antwort. Text: Kay Alexander Plonka, Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler