ZKIS – SCHULKUNST Edition ZEICHNEN

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Was geschieht beim Zeichnen? Katja Brandenburger

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Abb 1: Schülerin (13 J.), Zeichnung nach Vorstellung

Abb 2: Schülerin (13 J.), Zeichnung nach Erinnerung

die stark von digitalen Bildern beeinflusst ist, gewährleistet das Zeichnen als eine der ältesten Kulturtechniken praktische Teilhabe an der (visuellen) Kultur und an modernen Gesellschaften. Schon (oder insbesondere) für Kinder ist es »eine anthropologische Konstante [...]; ein primäres Bedürfnis, sich in dieser bildhaften Sprache, als Teil menschlicher Kommunikation und Kultur, auszudrücken« (Gysin 2012, S. 224).

wie sie gesehen wird: »Frühe Abbildungen folgen eher Regeln von allgemeinen Analogiebildungen in Verbindung mit jeweils möglichen graphischen Mitteln, und weniger Regeln visueller Ähnlichkeit von Bild und Abgebildetem« (Maurer / Riboni 2010, S. 20). Was Maurer und Riboni hier für die Phase des Kritzelns feststellen, lässt auf die daraus entstehenden Bildzeichen späterer Phasen in der Entwicklung zeichnerischer Kompetenz schließen. Auch für praktizierende Künstler sind Zeichnungen eine Ausdrucksform, in der die eigene Persönlichkeit in Erscheinung tritt und oft zeigen sie uns vielmehr die Auffassung von etwas, mit dem man sich auseinandergesetzt hat: »We use drawing as assistant to thinking and problem-solving, not only as an aid to seeing more clearly nor as a means to perfecting realism« (Duff / Davies 2005, S. 2). Die Darstellung eines eigenen Konzepts entspricht demnach nicht unbedingt gängigen Kon­ventionen, sondern es werden individuelle Strukturen gebildet (Ehrlen 2009) – ein Bild folgt seinen eigenen Ordnungsprinzipien. Zeichnen kann demnach als Problemlöse-Strategie verstanden werden, komplexe Inhalte zu kommunizieren.

W I E ENTST EH EN Z EICH N U NGEN? Um uns ausdrücken zu können, benötigen wir wiederum Darstellungsmöglichkeiten. Zu deren unmittelbarsten und individuellsten gehört die Zeichnung. Doch wie lassen sich Ideen, Konzepte oder Wahrnehmungen zeichnerisch konkretisieren und auch kommunizieren? Ähnlich sprachlichen oder schriftlichen Äußerungen werden dazu Symbole verwendet. Diese werden etwa als Skripte (Schuster 2000), Schemata (Richter 1987) oder Formeln (Luquet 1927; Glas 1999) bezeichnet. All diese Begriffe werden verwendet, um ein individuelles darstellerisches Repertoire zu beschreiben, das Wahrnehmungen und Vorstellungen in zeichnerische Dar­ stellungen übersetzt. Dabei werden, wie oben angedeutet, keine simplen Kopien erstellt, sondern die Übersetzung erfolgt symbolisch bzw. modellhaft: Repräsentative Merkmale eines wahrgenommenen oder imaginierten Objekts müssen in grafische Entsprechungen gefasst werden. Auf diese Weise entsteht nach und nach ein grafisches Vokabular, das sich verändern sowie immer weiter ausdifferenzieren lässt; ein Vokabular, das gleichermaßen die Wahrnehmung filtert und strukturiert und die Darstellung beeinflusst. Dieser komplexe Vorgang vermag auch zu erklären, warum es beim Zeichnen zu Übersetzungsproblemen kommt. Der Zeichenakt selbst strukturiert sich also in der Spannung zwischen Vorstellung und Wahrnehmung, zwischen Hand und Gehirn (Glas 2012). Es klang bereits durch, dass Darstellungen darüber hinaus auf Mitteilung und Verständigung hin angelegt sind (Tomasello 2002). Doch entstehen schon in der frühen Kindheit auch solche Bilder, die ihre Umwelt nicht genau so repräsentieren wollen,

W I E ENT W ICK ELT SICH Z EICH N ER ISCH E KOM PET ENZ? Der ungeübte Zeichner zeichnet einfache Symbole, der geübte komplexe, wie Abb 1 zeigt: die Zeichnung einer 13-jährigen Schülerin ohne Übung. Wie beim Lernen im Allgemeinen, so wird auch beim Zeichnen tendenziell an einer einmal gefun­ denen, zufriedenstellenden Lösung festgehalten und diese routinemäßig in Variationen auf andere Motive übertragen (van Sommers 1984, S. 174). Lernen bedeutet jedoch immer, über das bereits vorhandene Wissen und Können hinauszugehen, etwas Neues zu wagen. Sollen Darstellungsformeln also weiterentwickelt und differenziert werden, so geschieht dies durch Übungen und wiederholte Praxis. In Abb 2 ist eine solch deutliche zeichnerische Entwicklung bei derselben Schülerin zu sehen, nachdem sie in einer Unterrichtseinheit systematisch etwas zum Sachzeichnen gelernt hatte.


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