Ein Service für Bequeme

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Luzerner Zeitung / Schweiz am Wochenende

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Wirtschaft

Samstag, 21. Oktober 2023

Ein Service für Bequeme

Neu 90000 Ski im Jahr: Stöckli, der letzte grosse Skihersteller der Schweiz, erhöht seine Produktion – und lanciert einen Heimservice. Odermatt sein, den man seit jungen Jahren sponsert, sondern auch für die breite Kundschaft. Der sogenannte Convenience-Bereich werde immer wichtiger, ist Gläser überzeugt. «Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden das Leben rund ums Skifahren möglichst einfach machen.» Diesem Ansatz entspringt auch die jüngste Dienstleistung, die Stöckli mit dem Beginn der Wintersaison lanciert: ein Skiservice für zu Hause.

Gregory Remez

140 Arbeitsschritte sind heute nötig, bis ein moderner Ski fertig ist. Zunächst werden die einzelnen Schichten aus Aluminium, Glasfaser, Gummi, Holz, Flies und Trockenleim übereinandergelegt und anschliessend bei 140 Grad und 24 Tonnen Anpressdruck miteinander verschmolzen. Letzteres übernimmt eine Maschine, die Schichtung aber geschieht noch immer manuell. Mit schnellen, präzisen Handgriffen legt die Skibauerin oder der Skibauer die einzelnen Schichten auf, angefangen beim Unterbelag. Hier ist also tatsächlich noch Handarbeit drin, wo Manufaktur draufsteht. Wie beim letzten industriellen Skihersteller der Schweiz: der Firma Stöckli mit Hauptsitz im luzernischen Malters.

139 Franken für «OriginalWeltcup-Rennski-Service»

Skibau ist noch immer grösstenteils Handarbeit In seiner Manufaktur, die ebenfalls in Malters gleich neben dem eigenen Ski-Shop und gegenüber der Firmenzentrale liegt, stellt Stöckli aktuell rund 75000 Ski pro Jahr her. «Wir haben die Produktion in den letzten fünf Jahren verdoppelt», sagt Firmenchef Marc Gläser beim Besuch unserer Zeitung. Und bald steht eine erneute Steigerung an. «Ab November wollen wir die Produktion auf 90000 Ski pro Jahr hochfahren.» Als Gläser seine Stelle 2014 antrat, waren es noch unter 40000 Stück im Jahr. Laut ihm war es eine der grössten Herausforderungen der letzten Jahre, die Manufaktur zu modernisieren und zugleich das Handwerk zu erhalten, das die hohe Produktqualität garantiere. Beim kurzen Rundgang durch die Manufaktur ergänzt André Henzen, Leiter Einkauf und Produktionsplanung bei Stöckli: «Bei allen Anstrengungen zur Automatisierung wird

«Nach dreimal Skifahren ist eigentlich ein Service nötig»: CEO Marc Gläser im Stöckli-Shop neben der Skimanufaktur in Malters. Bild: Dominik Wunderli (10. 10. 2023)

der Skibau bei uns wohl noch lange zu einem grossen Teil Handarbeit bleiben.» Vor allem die Schichtung sei ein komplexes Verfahren, das nicht von einer einzigen Maschine geleistet werden könne, schon gar nicht in der Geschwindigkeit.

Zwei Drittel der Ski werden exportiert Die Hauptaufgabe der Skibauerin oder des Skibauers sei es, dafür zu sorgen, dass die Schichten so dicht aufeinander liegen, dass kein Wasser ins Innere gelangt. «Das wäre der Tod jedes Skis», sagt Henzen. Denn das Herzstück jedes Stöckli-Skis bildet noch immer der Holzkern, meist Buche und Eiche. Das erhöht die Lebens-

dauer der Bretter. Laut Henzen kann es diesbezüglich kein Kunststoff mit der Holzfaser aufnehmen. Drei Jahre ist es her, seit Stöckli die Produktion fast komplett auf Swissness umgestellt hat. «Für Erwachsene gibt es seither aus dem Hause Stöckli nur noch Swiss-madeSki», sagt CEO Gläser. Importiert würden noch wenige Kinderski, weil das Herstellungsverfahren dort simpler und die Margen tiefer seien. Die in Malters hergestellten Ski werden wiederum zu 65 Prozent exportiert, primär in den Alpenraum, also Österreich, Deutschland, Italien und Frankreich, aber auch in die USA, wo Stöckli seit 2016 eine Tochtergesellschaft hat. Gerade in

Nordamerika sei die Nachfrage in den letzten Jahren stark gestiegen, sagt Gläser. Potenzial sehe er ausserdem im chinesischen Markt, dieser werde aber wohl «erst in ungefähr zehn Jahren heiss».

Velogeschäft aufgegeben – Textilsparte ausgebaut Die Strategie des Skiherstellers, neben dem Winter- auch ins Sommergeschäft einzusteigen, hatte mit der Einstellung der eigenen Velosparte im Jahr 2020 einen herben Dämpfer erlitten. Um den Bereich gewinnbringend zu betreiben, hätte Stöckli angesichts des steigenden Margendrucks auf dem Velomarkt grössere Volumen an Bikes benötigt. Dies habe aller-

dings nicht zu den Plänen des Unternehmens gepasst, begründete Gläser damals den Entscheid. Heute verweist der Firmenchef auf den kontinuierlichen Ausbau der eigenen Textilsparte. «Das macht uns ganzjähriger», sagt Gläser. Abgesehen davon will man sich in Malters möglichst auf das Kerngeschäft konzentrieren – und Innovationen im Skisport vorantreiben. «Wir beschäftigen aktuell fünf Leute im Bereich Entwicklung und Forschung, die wiederum mit wissenschaftlichen Institutionen wie der ETH zusammenarbeiten. Die tüfteln ständig am Ski der Zukunft.» Innovativ will Stöckli aber nicht nur für seine Profikunden wie den Skirennfahrer Marco

Die Idee dahinter ist simpel: Wer keine Lust hat, seine Ski für den Service in ein Fachgeschäft zu bringen, kann diese künftig einfach vor der Haustüre abstellen. Die Ski werden dann von der Post abgeholt, in der Stöckli-Werkstatt in Cham wieder auf Vordermann gebracht und ein paar Tage später wieder vor der Haustür abgestellt. Alles, was man dafür laut Stöckli braucht, ist ein gängiger Skisack, in den man bis zu drei Paar Ski gleichzeitig in den Service geben kann. Hinzu kommt eine Liefergebühr von 40 Franken. Es müssten übrigens keine Stöckli-Ski sein, sagt Gläser. «Wir nehmen alle Modelle und Marken entgegen.» Die Dienstleistung soll sich sowohl an Gelegenheits- als auch Vielfahrer richten. Das Angebot reicht vom «kleinen Standard-Service» für 49 Franken bis zum «OriginalWeltcup-Rennski-Service» für 139 Franken. Für Vielfahrer Gläser ist klar: «Nach dreimal Skifahren ist eigentlich ein Service nötig, doch wer hat schon die Zeit dafür.» Hier setze der neue Dienst an, die Kunden sollen dadurch vor allem Zeit sparen. Für die erste Saison habe man sich mal das bescheidene Ziel von 1000 Ski-Heimservices gesteckt. Danach werde man sehen, wie es weitergeht.

Aussichten

Wie unser Gehirn mit Unbekanntem umgeht Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, Ungewissheit zu reduzieren. Diese ist aber gerade auch der Stoff, aus dem unser Leben besteht: Es ist das subtile Lächeln, die schwierige Prüfung und die rätselhafte Krankheit. Ungewissheit ist so allgegenwärtig, dass Forschende eher untersuchen, wie man ihr entkommt, als wie man mit ihr erfolgversprechend arbeitet. Und so ziehen Forschende gemäss der englischen Neurowissenschaftlerin Anne-Laure Le Cunff oftmals den Trost der Gewissheit dem Griff nach der Ungewissheit vor. Für das Gehirn scheint das Unbekannte potenziell eine Bedrohung, die unser Überleben gefährden könnte. Studien zeigen, dass wir stark auf

Ungewissheit reagieren und dass diese viele unserer automatischen kognitiven Prozesse stört, die Routinehandlungen steuern. Um unser Überleben zu sichern, werden wir übervorsichtig gegenüber möglichen Bedrohungen. Die Ungewissheit wirkt sich auf unsere Aufmerksamkeit aus. Das Gefühl der Bedrohung verschlechtert unsere Fähigkeit, uns zu konzentrieren. Wenn wir uns über unsere Zukunft unsicher fühlen, übernehmen Zweifel unseren Verstand. Diese machen es schwierig, an etwas anderes zu denken. Auch Forschungen an Primaten zeigen, so Le Cunff, dass Ungewissheit zu Verschiebungen der Gehirnaktivität führt. Vieles deutet darauf hin,

dass Gehirne ihre Energie auf Kosten anderer kognitiver Aufgaben auf die Bewältigung von Ungewissheit umlenken. Ungewissheit wirkt sich auch auf unser Arbeitsgedächtnis aus. Die «kognitive Belastung» ist der Anteil unseres Arbeitsgedächtnisses, der zu einem bestimmten Zeitpunkt genutzt wird. So bedeutet eine hohe kognitive Belastung, dass ein grosser Teil des Arbeitsgedächtnisses beansprucht wird. Unsichere Situationen zwingen uns, zusätzliche Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses zu nutzen. Kognitive Überlastung erschwert es uns, Informationen im Kopf zu behalten, wenn wir Entscheidungen treffen oder kreativ denken müssen.

Da sich Ungewissheit auf unsere kognitiven Fähigkeiten auswirkt, unsere Aufmerksamkeit verringert und dadurch mehr Ressourcen unseres Arbeitsgedächtnisses beansprucht, führt diese gemäss Le Cunff oft zu Angst und Überforderung. Die gute Nachricht ist jedoch, dass die schwere Last der Unsicherheit nicht unvermeidlich ist. Studien legen nämlich nahe, dass metakognitive Strategien beziehungsweise ein «Nachdenken über das Denken», uns Menschen helfen können, die Auswirkungen der Ungewissheit zu verringern. Ungewissheit ist zudem auch kein rein binäres Konzept von «ich bin mir sicher oder ich bin unsicher», vielmehr ist sie

vielschichtig und hat viele Facetten, die unterschiedlich behandelt werden sollten. Die digitale Transformation hat unsere Ungewissheit in den Vordergrund gerückt. Unter dem Banner der Künstlichen Intelligenz (KI) führen uns grosse Datenmengen und das zugehörige maschinelle Lernen immer tiefer in komplexe Systeme hinein, sodass KI-, Neuro- und Kognitionsforscher immer noch komplexere Systeme untersuchen müssen. Mein Mentor, der US-amerikanische Mathematiker, Informatiker und Elektroingenieur Lotfi Zadeh (1921–2017), erinnert uns Forscher mit seinem bereits vor fünfzig Jahren formulierten «Grund-

satz der Unvereinbarkeit», welcher besagt, dass «mit zunehmender Komplexität präzise Aussagen an Bedeutung und bedeutungsvolle Aussagen an Präzision verlieren», nun aber daran, dass wir beim beforschen von immer komplexeren Systemen eben etwas aufgeben müssen – nämlich Gewissheit!

Edy Portmann ist Informatikprofessor und Förderprofessor der Schweizerischen Post am Human-IST-Institut der Universität Freiburg.


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