Nahe bei Jesus

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JESUS

Nahe bei

Stiftung Missionswerk Werner Heukelbach

Nahe bei

Kommen Sie mit und begleiten Sie den Autor, wenn er in seinen ergreifenden Schilderungen Jesus Christus auf seinem Weg ans Kreuz betrachtet, wo er sich für eine verlorene Menschheit völlig hingegeben hat.

Josef Kausemann

Weil nur wenige sich vorstellen können, welche Leiden der Herr Jesus ganz praktisch auf sich genommen hat, herrscht eine große Unkenntnis über das wichtigste Ereignis der Menschheitsgeschichte. In einer Zeit, in der der Opfertod Jesu Christi auch von Theologen immer häufiger in Frage gestellt wird, hat dieses Buch eine ganz besondere Bedeutung und ein noch größeres Gewicht erhalten.

JESUS

Jesus Christus, der Sohn Gottes, wurde Mensch. Er war der Einzige, dessen Lebenslauf schon Jahrhunderte vorher bekannt war. Sein Kommen auf diese Erde gehörte zum Plan Gottes, um uns Menschen vor dem ewigen Verlorensein zu retten. Doch sein Weg führte ihn zum Kreuz von Golgatha. Im vorliegenden Buch folgt der Autor den Spuren des Herrn auf diesem schweren Weg.

Josef Kausemann


Impressum Herausgeber und Copyright: Missionswerk Werner Heukelbach 51700 Bergneustadt, Deutschland Text: Josef Kausemann Satz: 18prozent | foto+design Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Auflage-Nr.: TB01 10 1408 2

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Vorwort des Missionswerkes Werner Heukelbach In unserer Reihe „Segensspuren – Heukelbach-Klassiker“ haben wir gute, alte Schriften neu aufgelegt. Schriften, die schon früher großen Segen bei unseren Lesern bewirkt haben. Mit dieser ersten Veröffentlichung in Buchform wollen wir den alten Schriften der Autoren, die mit dem Missionswerk Heukelbach verbunden waren, neu Gehör verschaffen. Josef Kausemann war ein persönlicher Freund von Werner Heukelbach und über 45 Jahre als Evangelist in Deutschland unterwegs. Den Älteren im Heukelbach-Freundeskreis ist er gut bekannt durch seine vielen Rundfunkansprachen und Schriften. Josef Kausemann konnte in einzigartiger Weise die Geschehnisse um Jesus Christus lebendig werden lassen. Wenn er erzählte, hatte man oft den Eindruck, ganz nah dran am biblischen Geschehen zu sein. Deswegen haben wir auch den Titel „Nahe bei Jesus“ gewählt. Er selbst hatte seine Gedanken überschrieben mit „Erfüllter Auftrag“. Damit wollte er ausdrücken, dass Jesus Christus den Auftrag, der ihm von seinem großen Gott und Vater im Himmel gegeben wurde, voll ausgeführt hat. Zu unserem Heil. Wir haben die alten Texte etwas überarbeitet, um sie verständlicher zu machen.

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Jedem Leser wünschen wir großen inneren Gewinn bei der Lektüre dieses Buches. Möge der treue und auferstandene Herr Sie tief und reich segnen. Im August 2009, Missionswerk Werner Heukelbach

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Nahe bei Jesus Mit den folgenden Gedanken will ich versuchen, das Sterben des Herrn Jesus, der Gottes Sohn ist und Mensch geworden ist, näher zu betrachten. Sein Leiden, Sterben und Auferstehen zu unserer Rettung war der Grund dafür, dass er auf diese Welt gekommen ist. Möchtest du beim aufmerksamen Lesen dieser Gedanken über das Leiden des Herrn Jesus von seiner Größe und Einzigartigkeit erfasst werden und dem Liederdichter Paul Gerhardt zustimmen: „Wie du am verhöhnt´sten, so bist du mir am schönsten.“ Den Spuren des Herrn auf diesem schweren Weg folgen zu dürfen, ist ein großartiges Anliegen. Leider versuchen nur wenige, betend die Leiden des Herrn Jesus im Herzen nachzuvollziehen. Darum herrscht auch sehr große Unkenntnis über dieses Geschehen, welches das wichtigste in der Geschichte der Menschheit ist. Selbst viele, die sich Christen nennen, können mit dem Leidensweg des Herrn Jesus nur sehr wenig anfangen. Wie die Jünger, von denen wir in Lukas 18,34 lesen, verstanden sie davon nichts, und dieses Wort war ihnen zu geheimnisvoll, und sie begriffen das Gesagte nicht. Vielleicht kann dieses Buch dich zu der Erkenntnis führen: „Herr Jesus, das alles hast du für mich getan!“ Wenn du diese Erfahrung machst, hat sich die Lektüre dieses Buches 5


gelohnt. Falls du im Glauben bereits den Herrn Jesus als deinen Retter gefunden hast, sollen diese Zeilen deinen Blick für sein Leiden schärfen. Mögest du in Dankbarkeit für das, was Jesus für dich gelitten hat, dein Leben ihm ganz überlassen, wie es in einem Lied ausgedrückt wird: Was ich zum Dank auch gebe dir, die ganze Welt ist noch zu klein. Der Dank für solche Liebe hier kann nur mein eignes Leben sein.1 Möge die Liebe Jesu dieses Ziel bei uns allen erreichen.

Die schwere Stunde naht Das Kreuz wirft seine Schatten voraus. Der Herr Jesus weiß, wie leidvoll der Weg ist, der vor ihm liegt. Wiederholt hat er versucht, seinen Jüngern das Bevorstehende mitzuteilen. Mehrfach hat er ihnen erklärt, was mit ihm passieren wird: „Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den obersten Priestern und den Schriftgelehrten ausgeliefert werden; und sie werden ihn zum Tode verurteilen und ihn den Heiden ausliefern; und sie werden ihn verspotten und geißeln und anspucken und ihn töten; und am dritten Tag wird er wieder auferstehen“ (Markus 1 Glaubenslieder Nr. 254, Strophe 4 6


10,33-34). Aber er stößt auf taube Ohren. Die Jünger verstehen ihn nicht und wagen es auch nicht, ihn zu fragen. Jesus geht mit ihnen nach Jerusalem, der Metropole der damaligen religiösen Welt der Juden. Es muss sich erfüllen, was er schon zu einem früheren Zeitpunkt seinen Jüngern gesagt hat: „Ich muss heute und morgen und übermorgen reisen; denn es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme“ (Lukas 13,33). Auf diesem Weg verbringt er zunächst einige Zeit in Bethanien mit seinen Freunden Lazarus, Maria und Martha. Aufnahme findet er im Haus von Simon, einem ehemaligen Aussätzigen, wo er seine Freunde trifft. Sie bereiten dort für ihn ein Abendessen. Währenddessen steht Maria auf und salbt Jesus mit sehr kostbarem Öl, dessen Wert auf 300 Denare geschätzt wird. Ein Denar war damals der Tagesverdienst eines Arbeiters. Maria hat demnach ein Jahreseinkommen dazu verwendet, dem Herrn Jesus ihre Liebe zu beweisen. Während der Duft des Öls das ganze Haus erfüllt, zeigen einige der Anwesenden ihren Unmut. Sie werfen der Frau Verschwendung vor: „Wozu ist diese Verschwendung des Salböls geschehen? Man hätte dies doch um mehr als dreihundert Denare verkaufen und den Armen geben können.“ Aber Jesus stellt sich schützend vor Maria und verteidigt sie: „Lasst sie! Warum bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. […] Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus zum Begräbnis gesalbt“ (Markus 14,6-8). 7


Wie muss das Handeln Marias Jesu Herz erfreut haben. Ihr Verhalten ist Ausdruck davon, wie viel Jesus ihr bedeutet. Wenn andere auch Unmut äußern und ihr Verschwendung vorwerfen – sie hat das Herz ihres Herrn auf seinem letzten Weg erfreut. Sie verschwendet etwas sehr Kostbares, um damit seine Füße zu salben. Jesus gibt ihrer Tat die Bedeutung, dass sie seinen Körper für das Begräbnis vorbereitet hat. Auch heute ist es wie damals eine eher kleine Schar, die dem Herrn Jesus nachfolgt und sich zu ihm bekennt. Noch kleiner aber ist die Zahl derer, die ihn erfreuen, indem sie ihn anbeten und ihr Kostbarstes für ihn opfern. Sein Herz sehnt sich nach solchen, die in tiefer Dankbarkeit ihre Zeit und ihre Gaben für ihn einsetzen, um ihm zu zeigen, wie viel er ihnen bedeutet.

„Einer von euch wird mich verraten“ Einige Tage später sitzt der Herr Jesus mit seinen Jüngern zusammen, um das Passah, ein jüdisches Opferfest, mit ihnen zu feiern. Er hat sich danach gesehnt, dieses letzte Mal mit ihnen zusammen zu sein. Zum Passahfest schlachteten die Juden ein Lamm und erinnerten sich daran, wie Gott sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Damals waren alle von Gottes Plage verschont worden, die das Blut eines geschlachteten Lammes an ihre Häuser gestrichen hatten. Sicher dachte 8


der Herr Jesus beim Anblick des getöteten Lammes an seine bevorstehenden Leiden. Er würde wie ein Lamm geschlachtet werden, um die Schuld – die Sünden – aller Menschen zu bezahlen. Er wird durch den Glutofen von Gottes Gericht gehen, um den Menschen, die an ihn glauben, den Weg zu Gott frei zu machen. Aber seine Gedanken drehen sich nicht um ihn selbst; es ist auch nicht seine schwere Aufgabe, die ihn beschäftigt. Seine Sorge gilt denen, die er zurücklassen muss. Und er möchte seine Jünger noch einmal auf das vorbereiten, was sie erleben werden. Er möchte zu ihren Herzen reden und sie trösten. Die Jünger sind angesichts der Umstände in großer Sorge. Sie verspüren die Spannung, die wie eine Gewitterschwüle, die eine drohende Entladung ankündigt, in der Luft liegt. Und schließlich bricht es wie ein Unwetter über sie herein, als der Herr Jesus ihnen sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten!“ (Matthäus 26,21). Entsetzt und erschrocken rufen sie einer nach dem anderen aus: „Herr, doch nicht ich?“ (Matthäus 26,22). Und Jesus offenbart den Verräter unter ihnen: „’Der ist´s, dem ich den eingetauchten Bissen geben werde.’ Und er taucht den Bissen ein und gibt ihn dem Judas. […] Und nach dem Bissen, da fuhr der Satan in ihn. Da spricht Jesus zu ihm: ‚Was du tun willst, das tue bald!’“ (Johannes 13,26-27). Die Bestürzung der Jünger ist groß. Sie können nicht begreifen, dass einer von ihnen, der täglich die Liebe und Fürsorge Jesu erlebt und seine Wunderwerke gesehen hat, ihn nun verraten wird. Wie kann das möglich sein!? 9


Es ist erschreckend, aber man kann viele Jahre mit Jesus leben und seine Worte immer wieder hören. Man kann Zeichen und Wunder erleben und vielleicht selbst ausgeführt haben, ohne sich je persönlich für ihn entschieden zu haben. Man kann zum Schein Jesus angehören und doch nicht auf ihn hören wollen. Das ist eine erschütternde Tatsache. Es geht um eine klare Entscheidung für den Herrn Jesus und darum, ihm nachzufolgen und seinen Willen zu tun. Mit Halbherzigkeit wird niemand das Ziel erreichen. Judas verrät Jesus gegen Geld. Wir sehen, dass die Geldliebe eine Wurzel allen Übels ist. Furchtbar ist, was der Herr Jesus zu sagen hat: Judas, du hast weder Teil an mir, noch mit mir; du erntest, was du gesät hast. Das wahre Wesen von Judas wird sichtbar. Judas verlässt die Gemeinschaft der Jünger und des Herrn Jesus. Nacht ist es in ihm geworden, und Nacht ist es um ihn her.

Ein Loblied in schwerer Stunde Judas ist hinausgegangen zu den Feinden des Herrn Jesus, um ihn zu verraten. In dieser Situation erleben die Jünger das letzte Abendessen mit Jesus. Als Judas nicht mehr bei ihnen ist, teilt Jesus mit seinen Jüngern Brot und Wein. Damit gibt er ihnen ein teures Vermächtnis. Er kennt die Vergesslichkeit des Menschen. Er weiß auch, dass sein Sterben und das Leid, das er ertragen wird, allzu oft durch Äußerlichkeiten aus 10


unseren Herzen verdrängt werden wird. Darum hinterlässt der Herr seinen Nachfolgern als Zeichen der Erinnerung Brot und Wein: „Das tut zu meinem Gedächtnis!“ (Lukas 22,19) – das Brot zum Gedenken an meinen Leib, der für euch ans Kreuz geschlagen wird; den Kelch zur Erinnerung an mein Blut, das ich für euch am Kreuz vergießen werde. So sehen wir ihn als den Herrn, der für uns gestorben ist. Damit hat er seinen Vater verherrlicht in seinem Tod, wie er es auch durch sein Leben getan hat. Er hat Gott vollkommen zufrieden gestellt. Es ist der Wunsch des Herrn Jesus, dass wir uns durch Brot und Wein immer wieder an sein Leiden und seinen Tod für uns erinnern und nicht vergessen, was er für uns getan hat. Dieses letzte Abendessen des Herrn Jesus mit seinen Jüngern endet mit einem Loblied. Ist diese ernste Situation denn der richtige Zeitpunkt, um Gott zu loben? Ganz gewiss, das Loblied gehört zur Leidensgeschichte. Gerade jetzt, wo der Herr Jesus sich auf den Weg macht nach Gethsemane, ist das Loblied ein Trost für ihn. Er geht seinen Weg der Leiden in völliger Übereinstimmung mit seinem Vater. Sein ganzes Leben auf dieser Erde steht unter dem Motto: „Denn ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Johannes 6,38). Es war eine große Freude für Jesus, auf dem tiefsten Weg der tiefsten Erniedrigung Gott, seinen Vater, zu verherrlichen. Dieser Lobgesang in einer der schwersten Stunden war Ausdruck seiner Freude, die er darin fand, Gottes Willen zu erfüllen. 11


Das Verhalten des Herrn Jesus in dieser Situation zeigt uns, dass Gott Menschen befähigt, ihn auch in den dunkelsten Stunden zu loben. Auch in schweren Zeiten, in Not und Angst, in Kummer und Tränen können und sollen wir Gott loben. Selbst und gerade in sehr schweren und leidvollen Lebensumständen dürfen wir nahe bei Gott sein und ihn preisen. Gottes Lob darf nicht abhängig sein von der Gemütsstimmung, denn das Volk Gottes singt nicht nur in guten Tagen, weil beseligende Gefühle es beherrschen, sondern weil es einen großen und anbetungswürdigen Herrn hat. Die Erretteten sind in die Nachfolge des Herrn Jesus gerufen und nach seinem Wort dazu aufgefordert, ihr Kreuz auf sich zu nehmen und seinen Fußspuren zu folgen. Diese Nachfolge steht in Verbindung mit Leiden, Nöten, Schmähungen und Verfolgungen. Aber gerade in solch widrigen Umständen ist es der Lobgesang, der das Herz erfüllen darf. Gottes Lob entspringt einem Herzen, das völlig in der Liebe Gottes ruht. Es weiß, Gott macht keine Fehler: „Alles, was mich trifft, trifft auch ihn, und auch in den tiefsten Tiefen bin ich nie verlassen und nie allein. Du, Herr, bist bei mir, wenn es auch dunkel wird um mich her, wenn mein ängstliches Herz keine Hoffnung sieht – dein Wort bleibt fest, du lässt mich nie im Stich.“ Dieser Lobgesang gibt Trost und geistliche Kraft. Es ist etwas Großes, was die Gnade Gottes in einem schwachen Menschen bewirken kann. Das Herz ist fröhlich in seinem Gott, denn es weiß, es geht durch Leiden zur Herrlichkeit. Auf diesem Weg geht der Herr vor uns her. 12


Glücklich können sich alle schätzen, die auf ihn schauen und ihm folgen.

Ankündigung des Versagens der Jünger in der kommenden Nacht Nachdem sie das Loblied gesungen haben, gehen sie nach Gethsemane. Auf dem Weg dorthin spricht der Herr Jesus mit seinen Jüngern über ihr Verhalten in der bevorstehenden Nacht. Noch kennen sie ihr egoistisches Herz nicht. Anstatt Jesus beizustehen, sind sie nur mit sich selbst beschäftigt. Gerade vorher war ein Streit unter ihnen entstanden, wer von ihnen der Größte ist. Sie zeigen kein Mitgefühl mit ihrem Herrn angesichts der Situation, in der er sich befindet. Sie müssen erst erkennen, wie unzulänglich sie sind. Darum sagt Jesus ihnen: „Ihr werdet in dieser Nacht alle an mir Anstoß nehmen; denn es steht geschrieben: ‚Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen‘“ (Matthäus 26,31). Petrus, der immer der Wortführer war, widerspricht hier seinem Herrn: „Wenn auch alle an dir Anstoß nehmen, so werde doch ich niemals Anstoß nehmen!“ (Matthäus 26,33). „Anstoß nehmen“ bedeutet so viel wie „sich an jemandem ärgern“. Lukas berichtet, wie Jesus Petrus das Kommende erklärt: „Siehe, der Satan hat euch begehrt, um euch zu sichten wie den Weizen; ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht auf13


höre“ (Lukas 22,31.32a). Petrus antwortet, von sich selbst überzeugt: „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen!“ (Lukas 22,33). Jesus sagt ihm daraufhin seinen tiefen Fall voraus: „Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst!“ (Lukas 22,34). Petrus wehrt sich, denn er hat seine eigene Schwachheit nicht erkannt. Er widerspricht dem Herrn: „Und wenn ich auch mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen“, und nicht allein Petrus ist dieser Überzeugung, „ebenso sprachen auch alle Jünger“ (Matthäus 26,35). Wir sehen, wie ungläubig das Menschenherz ist: Selbstbewusst und von sich überzeugt ist der Mensch. Jegliche Selbsterkenntnis fehlt ihm. Er ist geistlich blind und deshalb so von sich und seinem Können und Heldenmut überzeugt, dass erst sein Versagen ihm die Augen zu öffnen vermag. Diese Selbsterkenntnis kann nur Gott schenken. Petrus und die anderen Jünger lernen sie in der kommenden Nacht. Ihr Verhalten zeigt, wie vorschnell sie mit ihren Worten waren. Sie haben nicht verstanden, dass der Geist zwar willig, aber das Fleisch schwach ist (Matthäus 26,41). Wenn sie die Worte des Herrn Jesus ernst genommen hätten, wären ihnen viele schmerzliche Erfahrungen dieser Nacht erspart geblieben. Aber es ist ihnen nicht möglich, den Weg ihres Herrn zu verstehen. Ihr Sinnen und Trachten dreht sich um sie selbst. Deshalb erscheint ihnen die Ankündigung der Leiden des Herrn Jesus unsinnig. 14


Wie aktuell ist diese Haltung in unserer Zeit, wo das Kreuz vielen völlig unverständlich erscheint. Vielfältige Argumente werden gefunden, um nicht mit dem Gedanken an das Kreuz konfrontiert zu werden. Oft hört man Leute sagen, dass die Botschaft von Jesus Christus in ihren Augen Unsinn ist. Sie meinen, dass die Bibel von Menschen geschrieben wurde und die Jünger sich selbst etwas zurecht- und vorgemacht haben. Das Kreuz und das leere Grab halten sie für lächerlich. Diese Haltung zeigt ihre Unkenntnis. Auch den Jüngern kam die ganze Sache mit dem Kreuz sehr unverständlich vor. Wäre das, was sie aufgeschrieben haben, ihren eigenen Gedanken entsprungen, hätten sie sicher ihr Versagen, ihre Flucht, ihren Un- und ihren Kleinglauben verschwiegen. Auch sie konnten den Weg, den der Herr Jesus gehen musste, nicht verstehen. Sie hatten damit gerechnet, dass Jesus König wird und die Regierungsgewalt übernimmt. Sie selbst wollten doch mit ihm herrschen. Und nun sehen sie, wie er sich von den Menschen an ein Kreuz schlagen lässt. Man kann sich vorstellen, dass sie ihren Herrn nicht verstanden. Der Inhalt der Bibel wurde den Autoren von Gottes Geist eingegeben. Sie wendet sich nicht an unseren intellektuellen Verstand, sondern an unser Herz. Der Mensch muss das Wort Gottes mit dem Herzen aufnehmen, um es verstehen zu können. Dem Menschenverstand war das Kreuz schon immer ein Stolperstein, „denn das Wort vom Kreuz ist denen eine Torheit, die verloren gehen“ (1.Korinther 1,18). Geistliche Dinge kann man nur mit geistlichen 15


Mitteln begreifen. Es bedeutet, dass die Botschaft Gottes nur mit Hilfe des Heiligen Geistes erfasst werden kann. Du musst zuerst die Botschaft hören, und dann wird dir der Heilige Geist helfen, sie zu verstehen, vorausgesetzt, dass du innerlich bereit dazu bist. Solange Gott dem Menschen nicht die Augen öffnet, lacht und lästert er über alles, was mit Gott zu tun hat. Er tut das, weil er Gottes Handeln mit dem Verstand einfach nicht begreifen kann. So ging es auch den Jüngern. Sie ärgerten sich an dem, was mit dem Herrn Jesus passierte, weil sie ihn nicht verstehen konnten.

Können wir das Kreuz umgehen? Es fällt uns schwer, das Kreuz und seine Bedeutung zu verstehen und zu akzeptieren. Wir schrecken davor zurück. So ging es auch Petrus. Zunächst sind es gute Motive, die er hat, als er Jesus widerspricht: Das widerfahre dir nie! Vielleicht hatte Petrus Angst, ohne den Herrn Jesus weiterleben zu müssen, und hat sich gefragt: Was wird aus uns, wenn der Herr stirbt!? Er war bereit, Jesus zu verteidigen mit dem Einsatz seines Lebens, bereit, mit ihm zu sterben, um nicht ohne ihn weiterleben zu müssen. Petrus hat es ernst gemeint. Das beweist die spätere Situation im Garten Gethsemane, als er einem der Soldaten, die Jesus ergreifen, das Ohr abschlägt. Warum legt Petrus solchen Eifer an den Tag? Er will Jesus vor dem Kreuz bewahren. Er liebt Jesus und hängt an ihm 16


und möchte ihn nicht verlieren. Aber zutiefst menschlich ist dieses Verhalten: Jesus hatte seinen Jüngern so oft gesagt, dass er auf diese Erde gekommen ist, um Menschen von ihrer Schuld zu befreien und zu erretten. Er hatte ihnen erklärt, dass er sein Leben dafür opfern muss, damit Gott den Menschen ihre Schuld vergeben kann. Aber für die Jünger ist dieser Gedanke so furchtbar. Es darf einfach nicht wahr sein! Sie wollen unter allen Umständen das Kreuz umgehen. Welche Unkenntnis! Aber ist es heute anders? Was wäre denn geschehen, wenn der Herr auf Petrus gehört hätte und nicht ans Kreuz gegangen wäre? Die Folgen sind nicht auszudenken. Gott hätte die sündige Welt nicht mehr länger tragen können. Die Menschheit wäre in Nacht und Grauen versunken. Gott hätte in seinem Zorn die ganze Kreatur vernichten müssen. Nur wenige verstehen, dass wir selbst den grausamen Tod des Herrn Jesus am Kreuz verschuldet haben. Er hat unsere Sünden bezahlt. Ohne unsere Sünde hätte es keinen Grund gegeben, warum Jesus hätte sterben müssen. Aber viele Menschen begegnen dieser Tatsache mit Widerstand und fragen: Wie, ich soll schuld sein am Tod dieses Menschen!? Ich soll ein Sünder sein, der unter Gottes Zorn steht!? Mir kann doch keiner was nachsagen! Dem möchte man entgegenhalten: Wenn du solch ein feiner, tadelloser Mensch bist, dann hat Jesus um seiner selbst willen sterben müssen. Dann stimmt es nicht, dass er für alle Menschen gestorben ist, um sie zu erretten. Er war dann ein Mensch wie alle anderen. Tatsächlich stellen viele diese Behauptung 17


auf. Aber warum? Sie wollen das Kreuz umgehen. Eigentlich hätte der Mensch selbst diesen Tod erleiden müssen. Der Platz des Herrn Jesus am Kreuz ist eigentlich der Platz des Menschen. Das geht gegen die menschliche Ehre. Die folgende Begebenheit kann die Einstellung vieler Menschen sehr gut illustrieren: Zu einem schwäbischen Prediger kam ein Schneidermeister und erklärte ihm: „Ich habe mich am Sonntag in der Kirche sehr geärgert, als im Sündenbekenntnis gebetet wurde: ‚Ich armer, sündiger Mensch bekenne…’ Das ist mir zu viel, so bin ich nicht. Ich bin kein armer, elender Sünder.“ Schlagfertig antwortete der Prediger: „Dann beten Sie beim nächsten Mal in Ihrem Herzen: ‚Ich hochmütiger Schneider bekenne, dass ich kein elender Sünder bin.’“ Diese Antwort brachte den Mann zum Schweigen – hoffentlich auch zur Besinnung. Die Einstellung des Schneiders zeigt uns etwas von dem, was an Hochmut im Herzen des Menschen steckt. Wenn wir das erkennen, können wir von Petrus über den Schneider eine Parallele zu uns selbst ziehen. Unser Stolz und unser Selbstbewusstsein machen uns blind dafür, dass die Errettung notwendig ist, die wir durch den Tod des Herrn Jesus am Kreuz haben können. Der Hochmut des Menschen sagt: Selbst ist der Mann! Ich schaffe es allein! Ich brauche keinen Retter! Ich bin auch nicht schlimmer als die anderen. Aber all das sind leere Ausflüchte. Man will das Kreuz nicht anerkennen und dass es notwendig war zur Errettung. Man will es umgehen. Nur Menschen, die erkennen, dass 18


sie verloren sind, kommen zum Kreuz, zu dem Retter, der ihre Schuld bezahlt hat, um von Schuld und Sünde frei zu werden und Rettung zu finden.

Jesu Gebetskampf in Gethsemane Der Herr Jesus und die Jünger sind im Garten Gethsemane angekommen. Der Ort ist ihm vertraut. Vielleicht hat er schon oft dort gebetet und sein Herz vor Gott ausgeschüttet. Aber nun ist die Situation anders als sonst. Seine schwersten Stunden stehen kurz bevor. Eine furchtbare Nacht liegt vor ihm. In Matthäus 26,36-39 lesen wir: „Und er spricht zu seinen Jüngern: ‚Setzt euch hier hin, während ich weggehe und dort bete!’ Und er nahm Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus mit sich; und er fing an, betrübt zu werden, und ihm graute sehr. Da spricht er zu ihnen: ‚Meine Seele ist tief betrübt bis zum Tod. Bleibt hier und wacht mit mir!’ Und er ging ein wenig weiter, warf sich auf sein Angesicht, betete und sprach: ‚Mein Vater! Ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!’“ Dunkel und schwer fallen die Schatten des Kreuzes auf den Weg des Herrn. Vor ihm steht das Grausame, das Schmerzhafte, das er durchleben muss. Der Kampf, in dem er sich befindet, wird immer heftiger. Der Teufel, der Feind Gottes, zieht alle Register, um Jesus vor Augen zu malen, wie schwer es sein wird, den Weg bis ans Kreuz, bis zum Ende zu gehen, 19


wie furchtbar und schmerzhaft der Preis der Errettung ist, um derer willen er alles auf sich nehmen wird. Wir können die Angst nicht ermessen, die der Herr in dieser Situation empfindet. Sie ist so groß, dass sein Schweiß wie Blutstropfen zur Erde fällt. Gibt es denn keinen Ausweg, keinen anderen Weg!? Sollte der Vater keine andere Möglichkeit finden können!? Nein! Es gibt keinen anderen Weg. Der Kelch der Leiden muss geleert werden. Das Kreuz ist der einzige Weg, die Menschen aus ihrer Verlorenheit zu erretten. Es muss sein. Der Sohn Gottes muss den qualvollen Weg bis zum Ende gehen. Ohne seinen Tod am Kreuz gibt es keine Rettung für die verlorenen Menschen. Der Kampf muss bis zum Ende gekämpft werden. Wie dankbar können wir sein, dass Jesus bereit war, diesen Weg zu gehen, was in seinen Worten zum Ausdruck kommt: „Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!“ (Matthäus 26,42). Damit ist die Entscheidung gefallen. Jesus ist bereit, den schweren Weg zu gehen. In seinem Ringen im Garten Gethsemane steht alles vor ihm, was ihm begegnen wird. Er weiß im Voraus auch darum, wie sehr seine Jünger ihn enttäuschen werden. Er weiß, wie sie aus der Situation fliehen werden. Der Verrat seines Freundes ist ihm bekannt; auch dass Petrus ihn verleugnen wird, ist ihm bewusst. Doch hinzu kommen nun die Gefangennahme, die vielen Verhöre, die Schläge, der Spott und Hohn der Menschen. Er wird angespuckt, gegeißelt, gekreuzigt. Fern von Gott erduldet er das Gericht, das, über 20


die Schuld der Menschen verhängt, ihn treffen muss. All das steht vor ihm und verwundet seine Seele. Aber trotz allem nimmt er den bitteren Kelch aus der Hand des Vaters, um Gott im Gehorsam zu verherrlichen und die Menschen von ihrer Schuld freizukaufen. In Gethsemane sehen wir Jesus, wie er in Hebräer 5,7-8 beschrieben wird: „Dieser hat in den Tagen seines Fleisches sowohl Bitten als auch Flehen mit lautem Rufen und Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte, und ist auch erhört worden um seiner Gottesfurcht willen. Und obwohl er Sohn war, hat er an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt.“ Der Glaube bringt den Menschen dazu, sich niederzubeugen und anzubeten. Der natürliche Mensch wendet sich von dem grausamen Geschehen am Kreuz ab. Er sträubt sich einzugestehen, dass der Tod von Jesus Christus am Kreuz notwendig war zur Errettung. In seinem Gerechtigkeitsempfinden bäumt er sich auf und fragt: Ist das denn nötig!? Was muss das für ein Gott sein, der ein solch blutiges Opfer fordert!? Das ist ja Grausamkeit! Wie kann man jemand so furchtbar zurichten lassen!? Welche Gotteslästerung ist das! Anstatt seine Schuld einzugestehen, die nur mit einem solchen Opfer bezahlt werden konnte, wirft man Gott Ungerechtigkeit vor. Die Schwere und das Ausmaß dessen, was Jesus ertragen musste, um uns erretten zu können, zeigt, wie groß die Schuld ist, die er zu bezahlen hatte. Es ist unser Zustand, die wir verstrickt und gefangen sind in Auflehnung gegen Gott, dass ein so großes Opfer notwendig war, um uns erretten zu können. 21


Das Versagen der Jünger Trotz seiner elf Jünger, die bei ihm sind, ist Jesus in seinem schweren Kampf im Garten Gethsemane ganz allein. Hatte er ihnen nicht gesagt: „Bleibet hier und wachet mit mir“? Hatte er ihnen nicht gesagt, dass er zu Tode betrübt ist? Und wie groß ist die Enttäuschung, die seine Jünger ihm bereiten. Selbst die drei Jünger, die er noch ein Stück weiter mit hinein in den Garten nimmt, merken nichts von seinem ringenden Kampf. Im Schlaf versäumen sie die große Möglichkeit, dem Herrn Jesus in seinem Kampf beizustehen. Hatte er ihnen nicht immer wieder davon erzählt, was ihm bevorsteht? Aber er wird enttäuscht von seinen Jüngern. Während seines ringenden Kampfes im Gebet mit seinem Vater kommt er dreimal zurück zu dem Ort, wo er seine Jünger gelassen hatte mit der Aufforderung zu wachen. Aber was er sieht, ist eine Gruppe schlafender Jünger. Dreimal versucht er, in seiner angstvollen Situation ein wenig Beistand, ein wenig Verständnis bei ihnen zu finden. Aber dreimal findet er sie schlafend. Markus berichtet uns die Worte, die der Herr Jesus in dieser Situation zu Petrus sagt: „Simon, schläfst du? Konntest du nicht eine Stunde wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Anfechtung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Markus 14,3738). Aber nicht allein Simon, sondern auch die übrigen Jünger verschlafen die einmalige Situation, in der sie ihrem Herrn in seinem Ringen hätten beistehen können. 22


Wie steht es mit unserer Bereitschaft? Haben wir Zeit und Ruhe, eine Stunde mit dem Herrn zu wachen? Er rechnet mit uns. Und wie steht es um unsere Gemeinschaft? Pflegen wir sie noch? Wie viel bedeutet uns gemeinsame Zeit mit dem Herrn Jesus? Mancher klagt darüber, dass es in seinem Glaubensleben nicht aufwärts geht. Andere sind in den Kinderschuhen stecken geblieben. Das geistliche Wachstum ist nicht normal verlaufen. Was ist die Ursache einer solchen Fehlentwicklung? Es fehlt die persönliche Verbindung zum Herrn, das Wachen mit Jesus. Und in diese Situation hinein fragt Jesus: Kannst du nicht eine Stunde mit mir wachen? Eine Stunde täglich, eine Stunde nur von vierundzwanzig? Ist das zu viel? Versuchen wir es doch, der Herr wartet auf uns. Die Stille vor dem Herrn Jesus wirkt hinein in ein Leben, das ihm gehören will. Du wirst erleben, dass Gott den Alltag segnet, denn du bist an seine Kraftzentrale angeschlossen. Versäumst du aber die Zeit in der Stille mit Jesus, ist es unausweichlich, dass du Versuchungen nicht widerstehen kannst. Alle Lebensbereiche, über die du dem Herrn Jesus die Herrschaft verweigerst, wird der Feind für sich beanspruchen. Darum enttäusche den Herrn nicht. Nimm dir viel Zeit zum Gebet und zum Lesen in der Bibel. Nimm dir auch viel Zeit, um mit anderen Christen zusammen zu sein und Gott zu loben. Der Herr sehnt sich danach, Gemeinschaft mit dir zu haben. Enttäusche ihn nicht. Sonst bleibt er auch bei dir einsam, so allein, wie damals im Garten Gethsemane, als seine Jünger ihn enttäuschten. 23


Zwischen den Fronten Von flackerndem Fackellicht umleuchtet, kommt ein Trupp bewaffneter Männer mit Schwertern und Stöcken nach Gethsemane, um Jesus gefangen zu nehmen. Im Dunkeln, zwischen den Ölbäumen, steht er mit seinen Jüngern. Die Schar der bewaffneten Männer bleibt stehen, und aus ihrer Mitte löst sich eine Gestalt. Zögernd schreitet sie auf die kleine Gruppe zu. Ist es möglich? Das ist einer von denen, die mit Jesus unterwegs waren! Aber was tut er bei den Feinden seines Herrn? Jetzt steht er zwischen den Fronten. Will er doch noch die Seite wechseln und zu Jesus zurückkommen? Was hat er vor? O, unglücklicher Mann, weißt du nicht, wohin du gehörst? Hat die Liebe deines Herrn dich nicht davon abhalten können, mit seinen Feinden gemeinsame Sache zu machen? Noch vor wenigen Stunden hast du die Frage gestellt: „Ich bin es doch nicht, Herr?!“ War das alles Heuchelei? Beziehe doch die Front; und komm zu denen, die auf Jesu Seite stehen. Er ist dir immer mit Liebe und Geduld begegnet und hat dich täglich versorgt. Wie viele Wunderwerke hast du miterleben dürfen? Und nun stehst du zwischen den Fronten. Erinnerst du dich, was Jesus gesagt hatte: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut!“ (Matthäus 12,30)? Wo ist nun dein Platz? Bei Jesus oder auf der Seite seiner Feinde? Ein Dazwischen gibt es nicht. 24


Wo stehen wir? Haben wir eine klare Entscheidung getroffen? Ist uns klar, worum es geht? Entweder mit Jesus oder ohne ihn! Zwischen den Fronten ist kein Platz! Der Ruf des Herrn Jesus „Komm, folge mir nach!“ erfordert eine völlige Kehrtwendung. Entweder Jesus oder seine Feinde. Entweder die Nachfolge in seinen Fußspuren – oder gemeinsame Sache mit seinen Gegnern. Einen Mittelweg gibt es nicht. Halb kann man ihm nicht gehören. Wer nur halb folgen und keine klare Entscheidung treffen will, wird einmal erschrecken, wenn der Herr ihm sagen muss: „Ich kenne dich nicht!“ Judas kommt auf den Herrn Jesus zu. Will er wohl doch noch klare Front beziehen? Es scheint so. Als er vor Jesus steht, küsst er ihn zärtlich. Wir haben uns anscheinend geirrt, er gehört doch nicht zu den Feinden. Der Kuss ist ein Zeichen der Liebe. Aber was passiert? Er taumelt zurück. Es scheint, als hätte ihn ein Schlag getroffen. Jesus hat ihn Verräter genannt: „Judas, mit einem Kuss verrätst du den Sohn des Menschen?!“ (Lukas 22,48). Der unglückliche Mann ist entlarvt. Er gehört zu den Feinden des Herrn Jesus. Er steht in ihrem Dienst, und für lächerliche 30 Silberlinge verrät er den, der ihm immer mit Geduld und Liebe begegnet ist. Nun im Garten zelebriert er den Verrat nicht offen, sondern getarnt mit einem Kuss. Welche Abgründe des menschlichen Herzens tun sich hier 25


auf? Judas spielt etwas vor, das nicht echt ist. Der Verrat geschieht unter dem Deckmantel der Liebe. Judas glaubt, unter dem Vorwand der Liebe seinen Herrn täuschen zu können. Das äußerliche freundliche Verhalten soll seine wahre feindliche Gesinnung verdecken. Äußerlich will er Liebe zum Herrn Jesus vortäuschen, doch innerlich – heimlich – gehört er zu seinen Feinden. Warum soll er seinen Vorteil nicht ausnutzen? Wenn er auch die Bezahlung der 30 Silberlinge annimmt, muss er doch nicht offen und für alle Welt sichtbar mit Jesus brechen. Er möchte mit ihm in einer lockeren Verbindung bleiben. Der Herr wird seinen Kopf schon aus der Schlinge ziehen. Das hat er doch schon so oft gemacht. Wenn er die Kranken geheilt und die Toten auferweckt hat, wird er doch auch den Händen der Häscher entfliehen können. Der Kuss im Dunkel der Nacht fällt bestimmt nicht auf und wird sicher nicht als Verrat erkannt. Vielleicht hat Judas solche Gedanken gehabt. Judas genannt zu werden, gilt bis in unsere Tage hinein als eine Beleidigung. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass viele zu Recht mit diesem Namen bezeichnet werden, weil sie in ihrem Verhalten diesem Mann sehr ähneln. Es sind solche, die der Entscheidung für den Herrn Jesus aus dem Weg gehen wollen. Sie suchen den „goldenen Mittelweg“ und wollen nicht extrem werden und nicht auffallen. Man kann ja fromm und religiös sein, aber mit der Nachfolge muss man es nicht übertreiben. Man geht den Weg des Kompromisses. Christlich sein, aber es sich auch 26


auf keinen Fall mit der Welt verderben. Aber die Bibel sagt uns im Jakobus-Brief 4,4: „Wisst ihr nicht, dass die Freundschaft mit der Welt Feindschaft gegen Gott ist?“ Wer also in Freundschaft mit der Welt leben will, stellt sich gegen Gott. Das zieht Folgen nach sich: Man steht plötzlich ganz allein da – so wie Judas, den der Herr entlarvt und Verräter nennt. Als dieser später zu denen eilt, denen er mit dem Verrat geholfen hat, und bei ihnen Trost und Beistand sucht, weisen die ihn kalt und höhnisch ab. Sie stoßen ihn von sich, und Judas geht an der Verzweiflung kaputt. Die Macht der Finsternis ist unberechenbar, sie spielt mit denen, die mit der Entscheidung spielen. Das Ende von Judas sollte für uns alle eine Warnung sein. Viel lieber wollen wir tun, was der Herr sagt, wenn er uns auffordert: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen!“ (Sprüche 23,26).

Judas´ letzte Chance Bevor wir die Gedanken über Judas abschließen, wollen wir noch einen Blick auf die Gnade werfen, mit der Jesus Judas begegnet. Matthäus berichtet, was Jesus im Augenblick des Verrats durch den Kuss zu Judas sagt: „Freund, wozu bist du hier?“ Der Verratene und der Verräter stehen sich gegenüber, schauen sich in die Augen. Der Herr Jesus wendet sich nicht entsetzt von Judas ab, sondern versucht noch einmal, 27


zu dem verhärteten Herzen dieses Mannes zu reden. Jesus spielt kein Theater, sondern was er sagt, trifft den Ernst der Lage. Er nennt diesen Mann Freund, und er meint es auch so. Wird dieses Wort seine Wirkung erreichen? Bricht nun das Eis? Wird Judas vor Jesus zusammenbrechen wie es später Petrus tun wird? Wird Judas bereuen, was er getan hat? Nein! Es geschieht das Gegenteil. Judas verpasst die letzte Chance. Judas´ Herz ist verhärtet, verschlossen – Gottes Liebe prallt von ihm ab. Der Zustand eines verhärteten Herzens ist furchtbar. Deshalb ist es schlimm, die Gnade mit Füßen zu treten und die Liebe des Retters von sich zu weisen. Möge das Schicksal von Judas den Unentschlossenen die Augen öffnen, damit sie in Jesus ihren Retter erkennen und annehmen. Jesus bezeichnet sich selbst als die Wahrheit. Das bedeutet auch, dass er das, was er sagt, genauso meint. Das Wort Freund ist ernst gemeint; es gilt jedem Menschen. Mit seiner Liebe will Jesus auch dein Herz erreichen und erfüllen. Er hört nicht auf, dich zu lieben. Es zählt nicht, wie oft du ihn enttäuscht und verraten hast – er möchte dir vergeben. Das Beste ist daher, zu ihm umzukehren. Jede Sünde – so schrecklich sie auch sein mag – kann vergeben werden, denn das Blut Jesu reinigt uns von jeder Sünde. (1. Johannes 1,7b revElb). Aber eines muss uns bewusst sein, das uns warnen soll: Wenn wir uns nicht für Jesus entscheiden, werden wir irgendwann seine Liebe nicht mehr fassen können, weil unser Herz verhärtet ist. Zwei Mächte streiten um die Seele des Menschen. 28


Der Herr Jesus ruft den Menschen in seiner Liebe und möchte ihn zu sich ziehen. Der Teufel setzt alles ein, um den Menschen von dem Guten, das Gott ihm geben möchte, abzulenken und wegzuziehen.

Erschreckendes Ende Jesus wird gefangen genommen. Er lässt sich fesseln und wegführen. Das Entsetzen bei Judas muss groß gewesen sein. Damit hatte er nicht gerechnet – Jesus war doch immer Herr der Lage geblieben. Aber nun wird er gefangen genommen und weggebracht. Angst und Verzweiflung kommen über Judas. Was habe ich getan? Dass ich Jesus verraten habe, war ein Verbrechen! In seiner Angst eilt er zu den Führern des jüdischen Volkes, mit denen er zuvor gemeinsame Sache gemacht hat, und sagt ihnen: „Ich habe gesündigt, dass ich unschuldiges Blut verraten habe.“ Aber sie schicken ihn weg, indem sie sagen: „Was geht das uns an?“ (Matthäus 27,4). Sie haben ihr Ziel erreicht, was kümmert sie nun die Verzweiflung eines Menschen? Judas hofft, alles rückgängig machen zu können, indem er das Blutgeld zurückgibt. Er will das Geschehene ungeschehen machen. Die Schuld der Vergangenheit soll ausgelöscht werden. Aber er wird enttäuscht: Die Menschen weisen ihn ab. Oh, Judas, geh doch zu Jesus. Geh vor ihm auf die Knie und sage ihm deine große Schuld. Habe den Mut, und fliehe 29


zu ihm – noch ist es nicht zu spät. Vorhin noch hat er dich Freund genannt. In seiner grenzenlosen Liebe will er dir die Last nehmen und die Schuld vergeben. Es ist dieser Schreckensmoment im Leben, wenn jemandem seine ganze Schuld bewusst wird und der Wunsch erwacht, das Geschehene wieder gut machen zu können. Wir wollen die Vergangenheit und die schlechten Taten loswerden und ungeschehen machen. Angesichts seiner Schuld und dem Wissen, dass er nicht rückgängig machen kann, was passiert ist, sucht der Mensch einen Ausweg. Viele schlagen den Weg ein, den Judas gewählt hat. Sie wollen selbst alles wieder gut machen. Aber ist das möglich? Judas hat es versucht. Und was war das Ergebnis? Diejenigen, die ihn benutzt haben für seinen Verräterdienst, stoßen ihn von sich. Er wirft den Verräterlohn in den Tempel. Das Geld ist ihm zuwider, es ist Blutgeld. Ist dadurch die Schuld aus der Welt geräumt? Nein. Es gibt nichts, das der Mensch selbst tun kann, um Schuld ungeschehen zu machen. Die Schuld muss bezahlt werden. Um die Schuld zu begleichen, ist Jesus in die Welt gekommen, um Menschen von der Verurteilung freizukaufen. So wie das Opferlamm im Alten Testament für die Schuld der Menschen geschlachtet wurde, muss Jesus sterben, um die Schuld zu bezahlen. Während Judas seine böse Tat selber rückgängig machen will, ist Jesus im Begriff, nach Golgatha zu gehen, um dort am Kreuz zu sterben. Aber Judas findet diesen Weg zu Jesus nicht. Er verzweifelt an der Last seiner Schuld und setzt seinem Leben selbst ein 30


Ende. Sein Verrat ist nicht schlimmer als andere schlimme Taten, die von Menschen verübt werden. Mancher versucht, den Mantel der Vergessenheit über die Schuld seines Lebens zu breiten. Aber das ist nicht möglich. Es wird alles ans Licht kommen, wenn Gott den Schlussstrich unter ein Leben zieht. Die ganze Wirklichkeit wacht wieder auf, wenn wir vor Gott stehen. Andere wollen mit Gott einen Tausch machen. Man will die Schuld mit guten Werken aufwiegen. Man zelebriert religiöse Übungen und meint, durch Gebete, gute Werke, durch Pilgerfahrten, Fasten und Halten von Festtagen Gott versöhnlich stimmen zu können. Aber welch ein Irrtum! Möge uns die Geschichte von Judas eine Warnung sein. Das Problem der Schuld eines Menschen ist vergleichbar mit einer Rechnung: Wenn ich eine große Rechnung vorgelegt bekomme, die ich nicht bezahlen kann, kann ich sie einfach in den Schreibtisch legen und versuchen, die ganze Sache zu vergessen. Aber eines Tages wird derjenige, bei dem die Rechnung zu begleichen ist, die Bezahlung einfordern. Und was dann? Schließlich wird eine Rechnung erst dann ungültig, wenn sie bezahlt ist. Genauso muss die Rechnung für unsere Schuld vor Gott beglichen werden. Aber wer kann sie bezahlen? Gott sei Dank, jemand hat das für dich und mich übernommen. Die Rechnung ist beglichen. Ja, derjenige hat bezahlt, der es allein überhaupt nur konnte. Niemand als nur der Sohn Gottes, Jesus Christus, konnte die Schuld aus der Welt schaffen, indem er sie auf sich selbst 31


genommen hat und dafür am Kreuz von Golgatha gestorben ist. Wer im Glauben an Jesus und seine Errettung zur Ruhe gekommen ist, weiß: Ich hatte nichts zu geben, um meine Schuld zu bezahlen. Aber als ich um Gnade bat, erließ Gott mir alles, weil Jesus alles beglichen hatte. Darauf kommt es an: Bittet, und ihr werdet empfangen. Bekenne dem Herrn deinen Bankrott, er tritt als Bürge für dich ein. Was du nie tun könntest – er hat es übernommen. Jeder von uns ist schuldig – ausnahmslos. Kein Mensch kann einem anderen helfen. Wer will uns von der Last befreien, die durch unsere Schuld auf unserem Gewissen liegt? Wenn Jesus nicht für uns eingetreten wäre, die Schuld bezahlt und damit unsere Errettung von der Schuld möglich gemacht hätte, gäbe es keine Hoffnung für dich und mich. Judas irrt, wenn er meint, durch den Tod vor der Schuld fliehen zu können. Aus dieser Not kann auch der Tod nicht retten. Judas tritt mit diesem Schritt samt seiner Schuld vor seinen Richter. Der Tod mag von Krankheiten, Ängsten, irdischen Sorgen, von bösen und lieblosen Menschen erlösen; aber er rettet niemanden von seiner Schuld. Sie geht mit in die Ewigkeit, wenn sie nicht während des Lebens auf der Erde beglichen und in Ordnung gebracht worden ist. Diese Zeilen sollen dich dazu ermutigen, das Vertrauen auf den Retter zu setzen. Nur er kann von der Anklage und der Last des Gewissens befreien. Er nimmt die ganze Schuld weg, die wir dadurch auf uns geladen haben, dass wir ohne Gott leben wollten. Er versenkt sie ins Meer der Vergessenheit, 32


indem er sie vergibt. Jedem, der an diese Rettung glaubt, sagt Gott in der Bibel: „An deine Sünden will ich nie mehr gedenken“ (Jesaja 43,25). Bei Gott gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Wie tief du auch gesunken sein magst – die Gnade ist größer, und das Blut, das Jesus vergossen hat, reicht aus, die furchtbarsten Verbrechen zu tilgen. Keiner ist zu schlecht. Jeder darf zu Gott kommen, seine Schuld einsehen, bereuen, bekennen und Vergebung erhalten.

Gut gemeint und doch falsch! Die Häscher haben den Herrn Jesus umringt. Die Situation spitzt sich zu. Die Jünger wollen die Gefangennahme ihres Anführers nicht so ohne Weiteres hinnehmen. In Lukas 22,49-50 lesen wir: „Als nun seine Begleiter sahen, was da geschehen sollte, sprachen sie zu ihm: ‚Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?’ Und einer von ihnen schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.“ Welche Verblendung hat die Feinde getrieben! Die Geschöpfe gehen gewaltsam gegen ihren Schöpfer vor. Sündige Menschen fesseln den reinen und heiligen Sohn Gottes, der in ihre Welt gekommen ist, um ihnen seine Liebe zu zeigen. Das grausame Verhalten seiner Geschöpfe muss Jesus sehr weh getan haben; aber nicht allein der Gewalt seiner Feinde sieht er sich ausgesetzt. Auch das unverstän33


dige Verhalten seiner Jünger ist sehr enttäuschend. Sicher hatte er sich von ihnen mehr Verständnis gewünscht. Aber wir wissen bereits, dass sie seine Gedanken und den Weg, den er im Begriff ist zu gehen, nicht verstehen, und dass sie das Kreuz am liebsten umgehen würden. Petrus wartet erst gar nicht die Antwort des Herrn Jesus auf die Frage, ob sie sich mit dem Schwert zur Wehr setzen sollen, ab. Menschlich gesehen, ist seine Tat ziemlich heldenhaft. Immerhin verteidigt er Jesus gegen eine deutliche Übermacht. Er kämpft um die Befreiung seines Herrn, aber in Wirklichkeit kämpft er gegen ihn. Petrus versteht die Aufgabe des Herrn Jesus nicht. Er kann ihn nicht retten. Jesus muss Petrus retten, und das ist nur möglich, indem er für ihn stirbt und dadurch seine Schuld bezahlt. Vor diesem Tod aber will Petrus Jesus bewahren. Aber er hat nicht verstanden, dass man im Reich Gottes nicht kämpft, wie man um eine irdische Macht kämpft. Wer Jesus nachfolgen will, begibt sich auf einen Weg, der Leiden mit sich bringt. Den aber möchte Petrus gern umgehen. Das ist sein Irrtum. Petrus kämpft damit gegen die Absichten Gottes und gegen die Aufgabe seines Herrn. Er möchte den Weg zum Kreuz nicht. Die Flucht vor dem Kreuz aber ist verhängnisvoll. Aus dem Verhalten von Petrus können wir lernen, denn es hält auch uns einen Spiegel vor. Wir sind von Natur aus nicht anders als Petrus. Wir alle kennen unsere natürliche Einstellung zum Kreuz. Gehen wir ihm nicht auch lieber aus dem Weg und sträuben uns gegen den Gedanken, dass 34


Jesus gerade für uns sterben musste? Ja, wir wissen, dass eigentlich wir dorthin gehören, wo er unsere Schuld bezahlt hat. Und tatsächlich müssen wir uns mit Jesus am Kreuz eins machen, in ihm das Urteil über unsere Sünde empfangen und mitgekreuzigt werden. Der Weg zum Kreuz bleibt keinem erspart. Im Glauben muss jeder wie Paulus zu der Erkenntnis kommen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt; und nun lebe ich, aber nicht mehr ich [selbst], sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Galater 2,20). Petrus ist der Meinung, dass sein Wille mit dem Willen Gottes übereinstimmt. Er handelt doch in bester Absicht – sollte das nicht anerkannt werden? Es ist ein großer Irrtum, dem Petrus erliegt. Er muss lernen, zuerst nach Gottes Willen zu fragen. Auch von uns erwartet Gott Gehorsam gegenüber seinem Wort. Jesus weist Petrus zurecht: „Stecke dein Schwert an seinen Platz! Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen! Oder meinst du, ich könnte nicht jetzt meinen Vater bitten, und er würde mir mehr als zwölf Legionen Engel schicken? Wie würden dann aber die Schriften erfüllt, dass es so kommen muss?“ (Matthäus 26,52-54). Petrus hat den Herrn weder verstanden, noch glaubt er an seine Macht. Aber Jesus ist gekommen, um den Willen seines Vaters zu tun. Freiwillig geht er diesen Weg. Er hätte Macht genug, um seine Feinde mit dem Hauch seines Mundes 35


zu vernichten. Ein Wort würde genügen, und seine Feinde würden zu Boden fallen. Johannes berichtet auch von diesem Ereignis: „Jesus nun, der alles wusste, was über ihn kommen sollte, ging hinaus und sprach zu ihnen: ‚Wen sucht ihr?’ Sie antworteten ihm: ‚Jesus, den Nazarener!’ Jesus spricht zu ihnen: ‚Ich bin´s!’ Es stand aber auch Judas bei ihnen, der ihn verriet. Als er nun zu ihnen sprach: ‚Ich bin´s!’, wichen sie alle zurück und fielen zu Boden. Nun fragte er sie wiederum: ‚Wen sucht ihr?’ Sie aber sprachen: ‚Jesus, den Nazarener!’ Jesus antwortete: ‚Ich habe euch gesagt, dass ich es bin. Wenn ihr nun mich sucht, so lasst diese gehen!’“ (Johannes 18,4-8). Nur ein Wink würde ausreichen, und eine riesige Armee von Engeln stünde ihm zur Seite. Aber was hätte es bedeutet, wenn diese himmlische Heeresmacht dem Herrn zur Hilfe gekommen wäre! Petrus hat all das aus dem Blick verloren. Jesus muss diesen Weg gehen. Würde er in dieser Situation von seiner Macht Gebrauch machen, müsste Gott die ganze Welt in ihrem Ungehorsam gegenüber Gott vernichten. Aber Jesus ist gerade deshalb gekommen, um diesen Weg der Selbstverleugnung und der tiefsten Erniedrigung zu gehen. Hilfe ist nicht das, was der Herr in dieser Situation braucht, und gewiss braucht er nicht die Hilfe von Menschen. Unser Kampf ist immer so menschlich, so fern von dem, was Gott will. Aber Jesus erduldet das Kreuz und diesen grausamen schmerzhaften Weg freiwillig. Er weiß, dass es Gottes Wille ist. Und Gottes Willen zu tun, ist das, was ihn erfreuen kann. 36


Und alle fliehen Der Herr lässt sich binden und abführen. Die Jünger ergreift eine wilde Panik. Mit ihrem Mut ist es vorbei, es „verließen ihn alle Jünger und flohen“ (Matthäus 26,56b). In ihnen bricht eine Welt zusammen. Die Hoffnung auf das Königreich des Messias, des Retters, den Gott senden wollte, um sein Volk zu erlösen, ist endgültig zunichte geworden. Die Jünger sehen keinen anderen Ausweg mehr, als sich selbst in Sicherheit zu bringen. Sie fliehen. Wenn sie darauf gehört hätten, was der Herr ihnen gesagt hatte, wäre die Flucht nicht nötig gewesen und die Furcht hätte sie nicht übermannt. Der Herr sagt ihnen in diesem Moment nicht zum ersten Mal: „Das alles ist geschehen, damit die Schriften der Propheten erfüllt würden“ (Matthäus 26,56). Sie hätten zum Frieden kommen können durch das, was Jesus ihnen damit sagt: Ihn trifft kein grausiges Schicksal, sondern alles ist ganz genau geplant, vorherbestimmt und vorausgesagt. Gottes Plan erfüllt sich Stück für Stück. Aber die Jünger nehmen die Worte des Herrn nicht ernst. Deshalb muss er ihnen nach seiner Auferstehung noch einmal genau erklären, was vorausgesagt war und wie es eingetroffen ist, damit sie es verstehen: „Und er sprach zu ihnen: ‚O ihr Unverständigen, wie ist doch euer Herz träge, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?’ […] 37


Und er legte ihnen in allen Schriften aus, was sich auf ihn bezieht“ (Lukas 24,25-27). Auch wir können uns viele Enttäuschungen, Sorgen, Not und Unruhe ersparen, wenn wir in jeder Situation Gottes Wort beachten und danach handeln. Gott hat uns in der Bibel alle Verheißungen und Unterweisungen gegeben, die auf unserem Weg mit ihm wichtig sind. Wenn wir uns darauf verlassen, was Gott sagt, wird sein Friede uns erfüllen. Gott kennt den Weg, den er uns führen will. Auch unser Leben verläuft nach seinem Plan und nach seinem Willen. Wenn wir dies vor Augen haben, werden wir zur Ruhe kommen in seiner Führung. Nichts ist zuverlässiger als das, was Gott gesagt hat. Was in der Bibel steht, ist die Wahrheit – vom ersten bis zum letzten Wort. Auch kann Gott seine Versprechen nicht brechen. Deshalb können wir ihm vertrauen wie Kinder und zuversichtlich den Weg gehen, den er uns führt. Gott macht keine Fehler. In seiner Führung können wir die Ängste überwinden, die uns beunruhigen. Von Natur aus fürchtet der Mensch Leid und Schmerz und sucht einen Weg, davor fliehen zu können. Aber wenn wir stets auf den Herrn Jesus schauen, werden wir das Ziel, das er mit uns hat, erreichen.

Jesus aber schwieg Mitten in der Nacht herrscht im Haus des Hohenpriesters, des Obersten der Priester in Jerusalem, noch hektischer 38


Betrieb. Die Ältesten und Schriftgelehrten, die religiösen Führer des jüdischen Volkes, sind zu ungewohnter Stunde bei ihm versammelt. Man hat Jesus gerade gefangen vorgeführt. Schon lange hatte man auf diese Stunde gewartet. Endlich ist es so weit, dass man diesem Mann das Handwerk legen kann. Das Verhör wird mit belanglosen Fragen über seine Lehre und seine Jünger eingeleitet. Man ist sich über das Ziel der Verhandlung längst einig. Aber damit die Form gewahrt wird, muss dieser Prozess geführt werden. Der Herr Jesus hat öffentlich gelehrt. Im Verborgenen ist nichts geschehen. Darum sagt er seinem Ankläger: „Was fragst du mich? Frage die, welche gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe! Siehe, diese wissen, was ich gesagt habe“ (Johannes 18,21). In seiner Reinheit und seiner Würde steht der Gefangene vor ihnen und bringt sie durch seine Haltung in Verlegenheit. Nach diesen Fragen, die lediglich die äußere Form wahren sollen, tagt das Synedrium, der Gerichtsrat der Juden. Solche nächtlichen Gerichtsverhandlungen waren nach jüdischem Recht verboten. Dass es dennoch geschieht, deutet die außergewöhnliche Wichtigkeit der Angelegenheit an, die in ihren Augen keinen Aufschub duldet. Normalerweise tagte das oberste Gericht, gegen das es keine Berufung gab, im Tempel. Nun tritt die Gerichtsversammlung zu ungewöhnlicher Zeit in außergewöhnlicher Weise an einem außergewöhnlichen Ort zusammen. Man will diesen Feind in ungewöhnlicher Eile loswerden und vom weltlichen Richter der 39


Besatzungsmacht das Todesurteil erzwingen. In Markus 14,55 lesen wir: „Die obersten Priester aber und der ganze Hohe Rat suchten ein Zeugnis gegen Jesus, um ihn zu töten, und sie fanden keines.“ Den Schein einer echten Verhandlung will man wahren, obgleich das Urteil von vornherein feststeht. Darum werden nun falsche Zeugen verhört. Matthäus berichtet: „[Sie] suchten ein falsches Zeugnis gegen Jesus“ (Matthäus 26,59). Nach dem Gesetz wurden falsche Zeugen normalerweise unter hohe Strafen gestellt. Es werden immer wieder falsche Zeugen angehört, die falsche Beschuldigungen gegen Jesus vorbringen, um ihn zu belasten. Die ganze Atmosphäre ist vergiftet, und die Spannung steigt ins Unermessliche. Wenn das Urteil rechtskräftig werden soll, müssen wenigstens zwei oder drei Zeugen in ihren Aussagen übereinstimmen. Aber dazu kommt es nicht. Wiederum treten zwei Zeugen auf, doch was sie sagen, entspricht nicht der Wahrheit. Was sie vorbringen gegen Jesus, hat er weder gesagt noch gedacht. Es handelt sich um den Ausspruch von Jesus: „Brecht den Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten“ (Johannes 2,19). Die Zeugen verdrehen die Worte. Nie hat er geäußert, er könne oder er werde den Tempel abbrechen, noch hat er an den mit Händen erbauten Tempel gedacht. Jesus hat darüber gesprochen, was seine Ankläger tun würden: Er hat vom Tempel seines Leibes geredet und auf seinen Tod und seine Auferstehung hingewiesen. Die Zeugnisse nun stimmten nicht überein. Sie waren falsch. 40


Aber Jesus steht in dieser Situation der Anfeindung über allen Intrigen. Auf alle Beschuldigungen der falschen Zeugen gibt er keine Antwort. Er schweigt. Es erinnert an das, was der Psalmist sagt: Er ist wie ein Mann, „in dessen Mund kein Widerspruch ist“ (Psalm 38,15b). Ohne Widerspruch lässt er alles über sich ergehen. Man mag denken: Jetzt wäre doch eine passende Gelegenheit, den Verblendeten noch einmal Gottes Pläne zu erläutern. In dieser Situation lassen sich vielleicht doch einige überführen und gewinnen. Warum benutzt der Herr Jesus diese Möglichkeit nicht, um sich zu rechtfertigen und zu verteidigen? Er muss doch seine Unschuld bezeugen – sonst geht alles schief! Er, der sich hier vor dem Tribunal menschlicher Ungerechtigkeit verantworten soll, ist die Wahrheit selbst. Er antwortet nicht auf die Anschuldigungen derer, die ihn mit Lügen und Intrigen zur Strecke bringen wollen. Menschen, die nicht mit aufrichtigem und ehrlichem Herzen zu ihm kommen, werden nie eine Antwort erhalten. Er muss sich nicht verteidigen; vor allem nicht vor solchen, die in ihrer Bosheit kein Mittel scheuen, um zu ihrem Ziel zu kommen. Für solche hat der Herr Jesus, der über allen Dingen steht, kein Ohr. Wer aber mit aufrichtigem Herzen mit seinen Fragen und Nöten zu ihm kommt, den schickt er nicht fort. Für solche ist er Tag und Nacht da, um ihnen zu helfen. Sie erleben, was Gott versprochen hat: „…rufe mich an am Tag der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich ehren!“ (Psalm 50,15). 41


Der Mensch ist zu allen Zeiten derselbe gewesen – damals wie heute. Mit allen Mitteln versucht der Unglaube abzustreiten, dass Jesus der ist, der er zu sein behauptet – Gottes Sohn. Man stellt sein Wort in Frage, seine Wunderwerke werden zu den Mythen gezählt. Sein Tod wird als bedeutungslos hingestellt und seine Auferstehung als ein Hirngespinst seiner Jünger abgetan. Die Motive der Ablehnung sind immer dieselben: Man will sich seiner Führung nicht unterwerfen. Wie damals wehrt sich auch heute der Mensch gegen diesen Herrn oft ein Leben lang: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!“ (Lukas 19,14). Unter keinen Umständen will man sich eingestehen, dass man ihn als Retter braucht. In der Feindschaft, die man gegen den Sohn Gottes hegt, werden alle möglichen Einwände gebracht. Man will beweisen, dass die Bibel voller Widersprüche ist und von Menschen geschrieben wurde. Was vor 2000 Jahren geschrieben wurde, kann doch den heutigen modernen Menschen nicht mehr vorgesetzt werden. Für solch veraltete Ansichten wird sich heute keiner mehr interessieren. Gott zwingt niemanden, seine Rettung in Jesus anzunehmen. Niemand wird gezwungen, glücklich zu werden. Die Nachfolger des Herrn Jesus sind ständig von Feinden des Evangeliums umgeben. Und wie schnell werden sie von ihnen in eine Auseinandersetzung verwickelt. Mancher meint dabei, er müsse das Evangelium verteidigen. Aber der Herr Jesus hat uns ein Beispiel gegeben: Er hat den Lüg42


nern und falschen Zeugen nicht geantwortet. Falsche Zeugenaussagen, mit denen man ihn zu Fall bringen will, sind ihm keine Antwort wert. So haben auch wir keinen Auftrag, mit den Spöttern und Lügnern, die sich Gott widersetzen, zu diskutieren. Ein Christ sollte über das Evangelium, über Jesus Christus, sein Opfer, seine Auferstehung und seinen Tod nicht streiten. Durch unlautere Motive oder den Wortstreit mit Gottlosen soll sich kein Jünger des Herrn Jesus herausfordern lassen. Die Wahrheit muss nicht verteidigt werden. Das Evangelium ist Gottes Kraft, das den Spötter verstummen lässt. Der Herr Jesus sagt: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (Johannes 18,37). In dem Bericht über die letzten Stunden von Jesus lesen wir immer wieder: „Aber Jesus schwieg“ (Matthäus 26,63). Es zeigt uns: Die Wahrheit kämpft für sich selbst. Der Schuldige versucht immer, sich zu rechtfertigen. Jesus als der Schuldlose, der sich nichts vorzuwerfen hat, der vom Himmel auf diese Erde kam, steht vor dem ungerechten menschlichen Richter und verteidigt sich nicht. Er schweigt.

Nun gibt es keine Diskussion mehr Es herrscht Ratlosigkeit in der Versammlung, die zusammengekommen ist, um diesen Menschen zu richten und zu verurteilen. Die falschen Zeugen hat man fallen lassen. In der Verhandlung kommt man nicht weiter. Was soll nun 43


werden? Man muss doch endlich zum Ziel kommen. Die Zeit rennt davon, und vor dem Morgengrauen muss das einstimmige Urteil gefällt werden. Der Verhandlung soll zum Schein eine rechtmäßige Grundlage gegeben werden, denn nach außen muss das Todesurteil unanfechtbar sein. Wie aber soll es weitergehen? Auf alle Fragen an den Angeklagten antwortet er nicht. Die festgefahrene Verhandlung muss weitergehen und fortgeführt werden. Schließlich ist es dem Hohenpriester Kajaphas genug. Er springt auf, macht von seiner Amtsgewalt Gebrauch und greift so zum letzten und entscheidenden Mittel: Er hofft, dass seine Frage den schweigenden Angeklagten zum Reden bringt. Laut ruft er: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes?“ (Matthäus 26,63). Totenstille ist eingetreten. Es ist ein ernster Augenblick! Gottes Stunde ist da. Er sorgt dafür, dass sichtbar wird, was die wahren Gründe für die Verurteilung von Jesus Christus sind. Die Verurteilung darf nicht aufgrund von falschen Zeugenaussagen stattfinden – alle menschlichen Anschuldigungen sind gemeine Lügen –, sondern die Wahrheit, die der Angeklagte als der Wahrhaftige ausspricht, führt zu seiner Verurteilung. Jesus kann nicht mehr schweigen. Die Frage des Hohenpriesters gibt ihm Gelegenheit und Notwendigkeit, letztmalig öffentlich zu bezeugen, dass er von Gott gesandt ist. Jesu Schweigen zeigt seine Gottergebenheit, und was er sagt, zeigt, dass er der einzige treue und wahrhaftige Zeuge 44


ist. Deutlich sagt er: „Ihr sagt, was ich bin“ (Lukas 22,70). Er weiß sehr gut, was es bedeutet, wenn er die Wahrheit sagt und sich dazu stellt, dass er wirklich Gottes Sohn ist. Aber er hat sein Leben nicht geschont, sondern er unterwirft sich völlig dem Willen Gottes und dessen Auftrag. Er ist auch bereit, sich bis zum Tod zu erniedrigen, bis zum Tod am Kreuz. Darum spricht er es aus: „Du hast es gesagt! Überdies sage ich euch: Künftig werdet ihr den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen auf den Wolken des Himmels!“ (Matthäus 26,64). Der Höhepunkt all dessen, was in dieser finsteren Nacht passiert, ist erreicht. Was Jesus gesagt hat, hat alles klar gemacht. Dorthin wollte man unter allen Umständen kommen. Die Würfel sind gefallen. Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. Das aber ist Gotteslästerung, und darauf steht die Todesstrafe. Endlich hat man etwas in der Hand, um diesem Mann das Handwerk zu legen. Wie lange war er ihnen schon ein Dorn im Auge! Nun ist er überführt. Alle Anwesenden haben seinen Ausspruch und Anspruch gehört. Jesus ist Gottes Sohn. Wenn er einmal wiederkommen wird in Stärke und Erhabenheit, wird er zum Gericht wiederkommen. Hier hat er ausgesprochen, was das Urteil für diejenigen sein wird, die ihn jetzt verurteilen. Sie haben ihren Messias, auf den sie so lange gewartet haben, nicht erkannt und ihn von sich gestoßen. Was ihnen bleiben wird, ist, ihm als Richter zu begegnen. Das Gericht der Verstockung und Verblendung hat sie bereits ergriffen. Anstatt vor dem Bekenntnis des 45


Herrn zu Boden zu sinken, nehmen sie es zum willkommenen Anlass, ihren teuflischen Plan zu dem gewünschten Ende zu führen. Darum vergisst auch Kajaphas, der oberste Priester, alle Vorschriften des Gesetzes und zerreißt sein Gewand. Erregt ruft er: „Er hat gelästert! Was brauchen wir weitere Zeugen? Siehe, nun habt ihr seine Lästerung gehört“ (Matthäus 26,65). Welche Blindheit: Den Sohn Gottes bezichtigt er der Gotteslästerung, weil er die Wahrheit bezeugt hat. Selbst aber übertritt er das Gesetz und macht sich eines todeswürdigen Vergehens schuldig, denn das Gesetz sagt dem Hohenpriester und seinen Söhnen: „Ihr sollt euer Haupthaar nicht entblößen, noch eure Kleider zerreißen, damit ihr nicht sterbt und der Zorn über die ganze Gemeinde kommt“ (3. Mose 10,6). Alles ist nun klar! Einmütig verurteilen die Richter Jesus mit den Worten: „Er ist des Todes schuldig!“ (Matthäus 26,66). Dieses Urteil ist einzigartig in der Geschichte. Der Zweck der nächtlichen Versammlung ist erreicht; das Urteil ist gefällt; das Schicksal des Herrn, aber auch das des Volkes Israel, ist entschieden. Es hat seinen König verworfen und den von sich gestoßen, der in grenzenloser Liebe auf diese Erde gekommen ist, ihre Lande durchzogen hat, um allen zu helfen, die seine Hilfe brauchten. In dieser Nacht, im Hause des Hohenpriesters, ist sichtbar geworden, welche Abgründe das menschliche Herz birgt. Aber zugleich zeigt sich, wie Gott einen Weg der Rettung aus den Tiefen der Ablehnung gegen ihn bahnt. 46


Wir erkennen: Seit Jesus sich in dieser Situation dazu gestellt hat, wer er ist, gibt es keine Diskussion mehr über seine Person, sondern nur noch eine Entscheidung für oder gegen ihn! Die Mitglieder des Hohen Rates erkennen das sofort und beziehen Stellung – gegen ihn. Sobald das Todesurteil ausgesprochen ist, spuckt man ihm ins Angesicht und schlägt ihn mit Fäusten. Es geht eine Trennlinie durch die Menschheit. Viele haben sich für den Herrn Jesus entschieden – und eine große Zahl gegen ihn. An Jesus scheiden sich die Geister. In den einen weckt die Geschichte von dem Gekreuzigten eine tiefe Liebe, und sie leben nur noch allein für ihren Herrn. Andere aber empfinden, wenn sie nur seinen Namen hören, Abneigung, ja, sogar Hass gegen Jesus Christus. Den Grund dafür zeigt uns jene Geschichte der nächtlichen Versammlung: Wenn Jesus wirklich Gottes Sohn ist, dann hat er einen Anspruch an uns Menschen. Dann kann in seinem Licht das sündige Wesen eines jeden Menschen sich nicht länger verstecken, und es muss der Bruch mit allem erfolgen, woran das böse Menschenherz hängt, das Gott nicht gehorchen möchte. Es ist unbedingt notwendig, dass der Mensch von seinem bisherigen Weg ohne Gott umkehrt, seine Schuld bekennt und im Glauben sich Gott zuwendet und sein Leben von ihm bestimmen lässt. Das aber wollen viele Menschen unter keinen Umständen. Jeder hat die Möglichkeit zur freien Entscheidung. Wie auch immer sich der Einzelne entscheidet – über den Herrn Jesus gibt es keine Diskussion mehr. 47


Meinungsstreit ist überflüssig, es müssen Entscheidungen fallen – entweder für oder gegen ihn. Mit Jesus oder ohne Jesus! Entweder ist er Gottes Sohn auch für mich, dann hat er einen Anspruch auf mein Leben, und ich erkenne ihn als den Retter. Oder ich verwerfe ihn und gehe ewig verloren. Es liegt bei jedem Einzelnen, wie er sich wendet – zu ihm hin oder von ihm weg, ob er ihn anbetet oder ihm ins Gesicht spuckt. An dieser Entscheidung aber hängen Leben und Tod. Es ist unmöglich, der Entscheidung auszuweichen. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung – wer einen Mittelweg gehen will, hat sich bereits gegen Jesus entschieden. Er gehört, ob er will oder nicht, zu den Feinden des Gekreuzigten. Möge jeder seine Lage überdenken und sich klar für Jesus entscheiden.

Eine merkwürdige Frage Der abgrundtiefe Hass bricht aus den Menschen heraus, kaum dass das Todesurteil gefällt ist. Die ehrwürdigen Herren des Hohen Rates vergessen sich. Sie verbinden Jesus die Augen, schlagen ihn und spucken ihm ins Angesicht. Dabei fragen sie: „Christus, weissage uns! Wer ist´s, der dich geschlagen hat?“ (Matthäus 26, 68). Das ist eine merkwürdige Frage, aber es ist eine der wichtigsten Fragen, die dem Herrn Jesus in seinem Leid gestellt werden. Wer hat dich geschlagen? Wer ist es, der den Sohn Gottes geschlagen, gegeißelt und 48


misshandelt hat, über ihn spottete und ihn endlich ans Kreuz schlug? Zu allen Zeiten hat man diesen Schuldigen gesucht, und zu manchen Zeiten meinte man ihn auch gefunden zu haben: Wie furchtbar waren beispielsweise die Judenverfolgungen. Als Gottesmörder wurden sie gebrandmarkt, und man glaubte, die grausamsten Verfolgungen durch diese Anschuldigungen rechtfertigen zu können. Zu allen Zeiten hat man versucht, andere für den Tod Jesu schuldig zu sprechen. Aber wer ist denn der Schuldige? Es fällt dem stolzen Menschen schwer, sich einzugestehen, dass jeder schuldig ist – ohne Ausnahme. Also auch du und ich. Niemand kann deshalb der Beantwortung der Frage ausweichen: „Wer ist es, der dich geschlagen hat?“ Wir sollten uns dieser Frage stellen wie einst der Liederdichter Paul Gerhardt: Wer hat dich so geschlagen, mein Herr, und dich mit Plagen so übel zugericht’? Unsere Antwort lautet dann: Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer. Die haben dir erreget das Elend, das dich schläget und all das große Marterheer.

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Wir leben in einer Zeit, in der Gleichgültigkeit die Menschen kennzeichnet. Man will vor allem mit Jesus und seinem Leid in Ruhe gelassen werden. Man interessiert sich nicht für ihn. Mit diesem Jesus haben wir nichts zu tun! Viel eher scheint es angebracht, zu fragen: Wer hat mich so geschlagen? Warum geht es mir so schlecht? Warum muss gerade ich so tief unten sein? Ich bin doch das Opfer, der Betrogene! Warum muss ich so ein Jammerleben führen? So ichzentriert sind wir Menschen. Doch wir mögen uns winden, wie wir wollen – die Frage steht unausweichlich vor uns: Wer hat dich geschlagen!? Mancher hat die Antwort auf diese Frage für sich schon gefunden: Es sind meine Sünden, die dir die Schläge, den Schmerz, das Gericht von Gott und den Tod eingebracht haben. Ich bin es, der alles verschuldet hat. Wer diese Antwort auf die Frage schon gefunden hat, hat verstanden, was Jahrhunderte vor all den Ereignissen um Jesus schon vorausgesagt worden war: „Fürwahr, [er] hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen; wir aber hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch er wurde um unserer Übertretungen willen durchbohrt, wegen unserer Missetaten zerschlagen; die Strafe lag auf ihm, damit wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt worden“ (Jesaja 53,4-5). Nur ein Herz, dem Gott die Augen geöffnet hat, kann den Wert von Jesus für sein Leben erkennen. Die Übrigen können mit diesem Leidenden nichts anfangen, wie es bereits Jesaja 50


beschrieben hat: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; wir sahen ihn, aber sein Angesicht gefiel uns nicht“ (Jesaja 53,2). Anstatt ihm Anbetung zu geben und Ehre, wie es angesichts der Einzigartigkeit seiner Person angebracht wäre, hegen sie Hass, Geringschätzung und Verachtung in ihren Herzen. In Psalm 109 klagt David prophetisch über solche Menschen: „Denn der Mund des Gottlosen und des Betrügers hat sich gegen mich aufgetan; mit lügnerischer Zunge sprechen sie zu mir. Sie umringen mich mit gehässigen Worten und bekämpfen mich ohne Grund. Dafür, dass ich sie liebe, sind sie mir feind “ (Psalm 109, 2-4). Das Verhalten dieser Menschen ist nicht anders als das der Peiniger des Herrn Jesus. Sie warfen das Tuch über sein Gesicht, schlugen ihn mit Fäusten und riefen: „Weissage uns, Christus!“ Sie verspotteten ihn zu ihrer Belustigung. Sie verachten einen Menschen in seinem Schmerz und tiefem Leid. Jesus lässt alles über sich ergehen, ohne dass ein Wort der Widerrede über seine Lippen kommt. „Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer und seinen Mund nicht auftut“ (Jesaja 53,7). Meinen Rücken bot ich denen dar, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften; mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel (Jesaja 50,6). Können wir bei solcher Betrachtung unberührt bleiben? Oder trifft uns das Wort, wenn Jesus uns zeigt: Für dich habe ich alles durchgemacht und bin vor 51


den Schlägen und den Schmerzen nicht zurückgeschreckt. Sinken wir zu Boden und erkennen: Herr, wie groß ist doch deine Liebe zu mir! ?

Erneutes Verhör Die Peiniger quälen den Herrn Jesus bis in die frühen Morgenstunden. Dann treten seine Richter erneut in Erscheinung. Wir lesen: „Und als es Tag geworden war, versammelten sich die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester und Schriftgelehrten und führten ihn vor ihren Hohen Rat“ (Lukas 22,66). In der vorangegangenen Nacht suchte man nach Zeugenaussagen gegen Jesus, und nun sitzt man wieder zusammen, um gegen ihn zu beraten. Eigentlich ist alles bereits entschieden, aber um die rechtliche Form einzuhalten, fragt man ihn heuchelnd noch einmal: „Bist du der Christus? Sag es uns!“ (Lukas 22,67). Warum die Wiederholung dieser Frage? Man will vor dem Volk die Ordnung wahren. Das Volk aber hat keine Meinung. Seinen Richtern gibt der Herr diesmal eine Antwort: „Wenn ich es euch sagte, so würdet ihr es nicht glauben; wenn ich aber auch fragte, so würdet ihr mir nicht antworten, noch mich loslassen“ (Lukas 22,67). Und noch einmal stellen sie die Frage: „‚Bist du also der Sohn Gottes?‘ Er aber sprach zu ihnen: ‚Ihr sagt, was ich bin!‘ Da sprachen sie: ‚Was brauchen wir ein weiteres Zeugnis? Denn wir haben es selbst 52


aus seinem Mund gehört!‘“ (Lukas 22, 70-71). Vor den Augen seines Volkes, das ihn verworfen hat, ereignet sich, was vorausgesagt war.

Menschenfurcht ist ein Fallstrick Bereits bei Jesu Gefangennahme im Garten haben wir gesehen, dass alle seine Jünger ihn verließen und flohen. Petrus und Johannes sind wieder umgekehrt. Sie wollen sehen, was mit ihrem Herrn geschieht. Leider folgt Petrus nur von ferne. Im Hof des Hohenpriesters mischt er sich unter diejenigen, gegen die er den Herrn Jesus bei seiner Gefangennahme noch verteidigen wollte und vor denen er schließlich geflohen ist. Er setzt sich sogar zu ihnen. Große Sorge um seinen Herrn erfüllt ihn. Sein Mut und seine Liebe zeigen sich hier gleichermaßen. Aber er hat noch nicht erkannt, wie verzagt sein Herz in Wirklichkeit ist. Wie untauglich und kraftlos er in Bezug auf göttliche Dinge ist, hat er noch nicht verstanden. Er muss dies erst noch lernen, und in der Stunde der Versuchung wird der wahre Zustand seines Herzens sichtbar. Petrus vertraut auf sich selbst. Deshalb muss er so tief fallen, so bitter versagen. Hat er die warnenden Worte, die der Herr Jesus ihm gesagt hatte, vergessen? „Simon, Simon, siehe, der Satan hat euch begehrt, um euch zu sichten wie den Weizen; ich aber habe für dich gebetet“ (Lukas 22,31-32). Damals kam Petrus´ Antwort spontan: „Herr, ich 53


bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen!“ (Lukas 22,33). Es war die Sprache der Überheblichkeit und des Selbstvertrauens, die aus Petrus gesprochen hatte. Nun sitzt er zwischen den Feinden seines Herrn am Kohlenfeuer und wärmt sich, während sein Herr hilflos in der Nacht gebunden der Willkür seiner Gegner ausgesetzt ist. Wer kann an einem solchen Platz in einer solchen Runde die Kraft beweisen und sich mutig zu einem Verachteten bekennen? Schon vor dem unverwandten Blick einer schwachen Frau erschrickt Petrus. Vermutlich war sie die Türhüterin, die ihn, auf die Fürsprache von Johannes hin, eingelassen hat. Auf ihre Frage „Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen?“ (Johannes 18,17) kommt es über seine Lippen: „Ich weiß nicht und verstehe auch nicht, was du sagst (Markus 14,68); Frau, ich kenne ihn nicht (Lukas 22,57), ich bin´s nicht!“ (Johannes 18,17). Sehr beunruhigt geht er nun hinaus in den Vorhof des Hauses, wo eine Magd ihm erneut die gleiche Frage stellt. Und wieder leugnet er, diesmal mit einem Eid: „Ich kenne den Menschen nicht“ (Matthäus 26,72). Der Jünger, der seinem Herrn Treue bis in den Tod versprochen hat, stolpert über die leichtfertig ausgesprochenen Worte einer Magd. Petrus, wie weit bist du gekommen! Hast du vergessen, was im Garten Gethsemane geschehen ist? Dreimal betete der Herr und stand auf, um in dem immer heftiger werdenden Kampf den Angriffen des Satans zu begegnen. Weißt du noch, wie er zu dir sagte: „Wacht und betet, damit ihr nicht 54


in Anfechtung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Matthäus 26,41)? Petrus, verlass doch diesen Ort der Gefahr, gehe fort aus der Gemeinschaft der Feinde und eile zu deinem Herrn. Stehe ihm bei in seinen Leiden. Aber Petrus bleibt. Und schließlich kommt der letzte entscheidende Schlag. Man sagt ihm: „Deine Sprache verrät dich, du bist auch ein Galiläer“ (Matthäus 26,73). Der ihm das sagt, ist einer von den Knechten des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, welchem Petrus das Ohr abgehauen hat. Das bringt ihn in große Verlegenheit. Als er schließlich damit konfrontiert wird, dass er gesehen wurde: „Sah ich dich nicht im Garten bei ihm?“ (Johannes 18,26), verliert er die Fassung. Sein Herr steht nicht weit von ihm drinnen in der Halle als der treue und wahrhaftige Zeuge, der dem sicheren Tod entgegengeht. Und Petrus, voller Todesfurcht, beginnt, sich zu verfluchen und zu schwören. Er vergisst sich und ruft aus: „Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet“ (Markus 14,71). Der Herr, der alle Macht im Himmel und auf Erden hat, gebraucht ein einfaches Tier, um seinen gefallenen Jünger zur Besinnung zu bringen: „Und sogleich krähte der Hahn“ (Matthäus 26,74b). Ein unscheinbarer Hahnenschrei in der Nacht, vor dem Petrus zusammenschreckt. Petrus wacht auf. Markus berichtet genauer: „Da krähte der Hahn zum zweiten Mal“ (Markus 14,72a). Wie ein Blitz, der die Finsternis durchbricht, durchfährt ihn, was der Herr Jesus ihm vorausgesagt hatte: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“ 55


(Markus 14,30 und 72b). Ängstlich und beschämt wendet er seinen Blick zu Jesus, zu dem, den er eben so gekränkt und tief verletzt hat. In diesem Moment wendet auch Jesus sich um und blickt Petrus an. Auge in Auge schauen sie sich an. Der Blick von Jesus ist voll Liebe und zeigt die Bereitschaft zur Vergebung. Ist es nicht genug, was Jesus inmitten einer ungerechten und heuchlerischen Schar von Menschen zu leiden hat? Wäre es nicht verständlich, wenn er sich nun enttäuscht und in Bitterkeit voller Verachtung von Petrus abwenden würde? Aber er selbst, der nach Menschen gesucht hat, die sein Leid verstehen und bei denen er Trost gefunden hätte, schaut den, der sein Leid um so viel vergrößert hat, voll Barmherzigkeit und Gnade an und hat Mitleid mit ihm. Im Licht dieser Gnade sieht Petrus sein verwerfliches Verhalten, und er läuft hinaus und weint bitterlich. Wir sehen bei Petrus zweierlei: tiefe Reue über sein Versagen und ernst gemeinte Umkehr von diesem Weg, den er eingeschlagen hat. Wir sehen etwas von dem, was die Bibel im 2. Korintherbrief 7,10 schreibt: „Denn die gottgewollte Betrübnis bewirkt eine Buße zum Heil, die man nicht bereuen muss.“ Petrus hat unter Tränen und in bitterster Selbstanklage und tiefer Reue den Ort verlassen, wo er der Versuchung erlegen ist. Der Weg hinab ist einfach und schnell, doch mühsam ist es und anstrengend zurückzukehren – zu der Höhe, aus der man fiel. Der Herr, der alles vorausgesehen hatte, setzte sich für Petrus ein, indem er für ihn betete. Nicht allein sein 56


Blick voll Liebe trifft den Gestrauchelten, auch Jesu Treue und Vergebungsbereitschaft bringen ihn zurecht. Petrus wird der Erste sein, dem der Herr Jesus nach seiner Auferstehung begegnet. „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden, und er ist dem Simon erschienen“ (Lukas 24,34), sagen die einen Jünger den anderen. Als der Herr dem Simon erschienen ist, gab es zwischen Petrus und dem Herrn Jesus ein Gespräch unter vier Augen. Nun wird auch Petrus verstanden haben, was der Herr ihm damals entgegnet hatte, als Petrus ihn davon abhalten wollte, seine Füße zu waschen: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du keine Gemeinschaft mit mir“ (Johannes 13,8). Das Waschen der Füße war eine symbolische Handlung, mit der Jesus ausgedrückt hatte, dass er die Jünger durch Vergebung von aller Schuld reinigt. Über das, was der Herr Jesus mit Petrus besprochen hat, erfahren wir nichts. Aber daran, wie Petrus sich am See Tiberias verhält, erkennen wir, dass diese Begegnung ihm die Vergebung seiner Schuld gebracht hat. Sobald er hört, dass der Herr am Ufer steht, wirft er sein Obergewand ab, springt ins Wasser und schwimmt den anderen Jüngern, die im Boot sind, voraus ans Ufer zu Jesus. Es gibt nichts mehr, was sein Gewissen drückt. Doch der Herr will ihn nun auch vor den anderen Jüngern rechtfertigen. Wieder ist es ein Kohlenfeuer. Petrus wird sich dabei bestimmt an das Kohlenfeuer in der Nacht, in der er Jesus verleugnet hat, erinnern. Dreimal hatte Petrus ausgesagt, Jesus nicht zu kennen, nichts mit ihm zu tun zu haben. Nun fragt der Herr 57


ihn dreimal: „Hast du mich lieb?“, worauf Simon dreimal überzeugt sagen kann „Herr, du weißt alle Dinge; du weißt, dass ich dich lieb habe“ (Johannes 21,17 u.a.). Daraufhin vertraut Jesus ihm die Menschen an, die er liebt: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“ (Johannes 21,15 bzw. 17). Alles ist zu unserer Belehrung geschrieben, und so will uns das Versagen von Petrus eine echte Warnung sein. Jeder tiefe Fall hat eine Vorgeschichte. Wenn wir den Weg von Petrus verfolgen, können wir feststellen, dass es ganz allmählich mit ihm abwärts ging. Es sind sieben Schritte, die zu seinem tiefen Fall führten. Der erste Schritt ist seine Selbstsicherheit: Ich bin bereit, mit dir zu sterben! Der zweite Schritt ist, dass er die Warnung des Herrn Jesus nicht beachtet, als dieser sagt: „Wacht!“ Der dritte Schritt, der abwärts führt, ist: Er vertraut auf seine eigene Kraft und schlägt in menschlichem Eifer mit dem Schwert dazwischen. Bei dem vierten sehen wir ihn nicht mehr in unmittelbarer Nähe bei seinem Herrn, sondern er folgt nur noch von fern. Das aber ist sehr gefährlich! Wenn wir nicht Schritt halten mit ihm, dann verlieren wir ihn aus den Augen. Nun kann der Fall nicht mehr ausbleiben. Der fünfte Schritt führt ihn schon zu den Gottlosen, um mit ihnen am Kohlenfeuer zu sitzen. Der Jünger unter den Feinden seines Meisters! Der sechste Schritt ist, dass er vor einer einfachen Frau leugnet, Jesus überhaupt zu kennen. Er schämt sich, seinen Herrn zu bekennen. Und der siebente Schritt: Er verflucht sich selbst. 58


Aber ebenfalls zu unserer Belehrung und Ermutigung finden wir auch sieben Schritte, die dazu führen, dass Petrus´ Beziehung zu Jesus wiederhergestellt wurde: 1. Jesus hat für seinen Jünger gebetet. 2. Er schaut ihn in unsagbarer Liebe an. 3. Petrus dachte an die Worte von Jesus. Der Herr hatte ihn also nicht ahnungslos in etwas hineinstolpern lassen. 4. Petrus weint über seine Sünde. 5. Er eilt zu Jesus. 6. Er ist allein mit seinem Herrn unter vier Augen. 7. Er sitzt am Kohlenfeuer mit seinem Herrn und genießt mit Jesus gemeinsam, was allein wahres Glück bedeutet. Man kann sogar noch einen achten Schritt hinzufügen: Später wird in der Apostelgeschichte, Kapitel 2, berichtet, wie Petrus als ein mutiger Zeuge auftritt und das Volk beschuldigt, dass sie ihren Messias verleugnet haben. Groß ist, was die Gnade im Leben eines Menschen tun kann. Es ist gut, sich ihr zu öffnen. Sehr schnell können auch wir in solch eine Notsituation kommen. Es ist sehr wichtig, wachsam zu sein und im Gebet mit Jesus zu reden auf dem Weg, den wir gehen. Wir brauchen die Nähe zu Jesus, um bewahrt zu bleiben. Ebenso wichtig ist es, dass wir uns unsere Schwachheit vor Augen halten und uns ständig an Jesus ausrichten und festhalten. Er ist in unserer Schwachheit stark. Wenn wir ehrlich sind, müssen auch wir bekennen, wie oft wir den Herrn schon verleugnet haben und wie oft wir zu feige waren, uns zu ihm zu stellen. O, Herr, vergib auch uns dieses Versagen. Lass auch uns das Erbarmen und die Gnade erleben, wie Petrus es einst erleben konnte! 59


Vor dem weltlichen Richter Das Urteil steht fest. Die Ratsversammlung hat es einstimmig gefällt: Jesus ist des Todes schuldig. Nun lesen wir in Lukas 23,1: „Und die ganze Versammlung stand auf, und sie führten ihn vor Pilatus.“ Es war dem jüdischen Gerichtshof nicht erlaubt, ein Todesurteil zu vollstrecken. Das war allein Sache der Besatzungsmacht. Darum führen sie ihren Gefangenen vor den römischen Statthalter. Von ihm wollen sie mit allen Mitteln die Kreuzigung erzwingen. Da sie sich nicht verunreinigen dürfen, weil das Passahfest bevorsteht, gehen sie nicht hinein in das Prätorium. Pilatus lässt sich herab und geht zu ihnen hinaus. Auf seine Frage „Welche Anklage erhebt ihr gegen diesen Menschen?“ (Johannes 18,29) antworten sie: „Wenn er kein Übeltäter wäre, so hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert“ (Johannes 18,30). Wozu der Mensch doch fähig ist! Die frommen Führer des Volkes schrecken nicht davor zurück, den Angeklagten vor seinem weltlichen Richter zu verleumden, um das Ziel zu erreichen, zu dem ihr Hass sie treibt. Doch es kommt noch schlimmer: Die Verurteilung ist nicht so einfach, wie sie es sich gedacht hatten. Pilatus will sie zunächst abwimmeln: „Nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz“ (Johannes 18,31). Jeglichen Nationalstolz, der sie sonst so erfüllt, werfen sie über Bord und entgegnen ihm: „Wir dürfen niemand töten“ (Johannes 18,31). Ohne eine Zustimmung von Pilatus kann das Todes60


urteil nicht vollstreckt werden. Ihr religiöses Argument, dass der Angeklagte Gott gelästert haben soll, hat jedoch vor dem römischen Gesetz keine Bedeutung. Es muss also eine politische Anschuldigung gefunden werden, um vor dem römischen Statthalter die Höchststrafe zu rechtfertigen, die man innerhalb der jüdischen Ratsversammlung bereits beschlossen hat. In ihrem Hass beschuldigen sie Jesus mit neuen Lügen und falschen Zeugnissen. Lukas berichtet uns sehr genau darüber. Es ist erstaunlich, mit welchen Intrigen die Gegner des Herrn Jesus arbeiten. Schnell haben sie eine politische Anklage bei der Hand und bezichtigen ihn der Verschwörung gegen den Kaiser. Diese Anschuldigung fällt sowohl vor Pontius Pilatus als auch vor den anderen Vertretern der römischen Macht ins Gewicht. „Sie fingen an, ihn zu verklagen und sprachen: ‚Wir haben gefunden, dass dieser das Volk verführt und es davon abhalten will, dem Kaiser die Steuern zu zahlen. Er wiegelt das Volk auf, indem er in ganz Judäa lehrt, angefangen in Galiläa bis hierher!‘“ (Lukas 23,2.5). Eine weitere Anschuldigung, die sie vorbringen und die Pilatus sofort aufhorchen lässt, ist: „Er behauptet, er sei Christus, der König“ (Lukas 23,2b). Bei dieser Behauptung muss der römische Statthalter einhaken. Unmöglich darf der Vertreter der Besatzungsmacht zulassen, dass sich jemand aus dem unterjochten Volk zum König erhebt. Pilatus wendet sich mit der Frage an Jesus: „Bist du der König der Juden?“ (Lukas 23,3). Er, der sich vor dem obersten Priester als der Sohn Gottes bekannte, 61


scheut auch nicht davor zurück, sich vor dem römischen Gerichtsherrn als König Israels zu bezeichnen. Wie leicht könnte er all die Beschuldigungen entkräften: Er hatte doch das Volk gelehrt: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ (Lukas 20,25). Und als man ihn zum König machen wollte, war er auf den Berg ausgewichen. Er hat nichts getan, das ihn vor der römischen Macht schuldig gemacht hätte. Aber die Obersten des jüdischen Volkes lassen nicht nach. Es heißt: „[Sie] verklagten ihn heftig“ (Lukas 23,10). Zur Wahrheit bekennt Jesus sich sofort, aber auf die falschen Anklagen der Juden kommt kein Wort der Verteidigung über seine Lippen. Pilatus fällt das auf: „Da sprach Pilatus zu ihm: Hörst du nicht, was sie alles gegen dich aussagen? Und er antwortete ihm auch nicht auf ein einziges Wort, sodass der Statthalter sich sehr verwunderte“ (Matthäus 27,1314). Pilatus, der sonst so hochmütige, überhebliche und rohe Mann ist hier vor Jesus kaum wiederzuerkennen. Er gibt eine arme, hilflose Figur ab und macht den Eindruck, als würde er zwischen zwei entgegengesetzten, unvereinbaren Mächten hin und her gerissen sein. Ein Gedanke beschäftigt ihn: Er will Jesus auf jeden Fall freigeben. Der Mann steht wie ein Rätsel vor uns. Manche politische Entscheidung hat er mit Gewalt durchgesetzt, Aufstände hat er mit roher Hand niedergeschlagen. Einmal vermischte er das Blut einiger Galiläer mit ihren Schlachtopfern. Vor keiner Grausamkeit schreckte er zurück. Und nun steht er hilflos vor dem Gefangenen, der sittliche Kraft und Würde 62


verkörpert. Wer ist dieser seltsame Schweiger? Wie erhaben steht er vor seinem Richter! Was steckt nur hinter der Anklage dieser Menschen!? Johannes berichtet von einem Gespräch zwischen Jesus und Pilatus. Der römische Herrscher gerät in immer größere Unsicherheit. Unruhig eilt er zwischen Jesus, der im Prätorium steht, und der draußen wartenden Volksmenge hin und her. Verwirrt fragt er nochmals den Gefangenen: „Bist du der König der Juden?“ Der Herr antwortet mit einer Gegenfrage: „Redest du das von dir selbst aus, oder haben es dir andere von mir gesagt?“ Darauf erwidert Pilatus: „Bin ich ein Jude? Dein Volk und die obersten Priester haben dich mir ausgeliefert! Was hast du getan?“ Darauf antwortet Jesus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wäre mein Reich von dieser Welt, so hätten meine Diener gekämpft, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde; nun aber ist mein Reich nicht von hier“ (Johannes 18,33-36). Welch seltsame Person! Ein Reich besitzt er, aber es ist nicht in dieser Welt. Wo kann es sich dann befinden? Diener hat er, aber sie kämpfen nicht. Wie seltsam und geheimnisvoll! Wenn Pilatus die Gnade fassen könnte! Nur im Glauben kann ein Mensch verstehen, was der Herr Jesus sagt. Wenn wir auf das vertrauen, was Gott sagt, verstehen wir auch Dinge, die für unsere Augen unsichtbar sind. Diese einmalige Gelegenheit, die Pilatus mit Jesus in Verbindung bringt, könnte sein Leben verändern! Verwundert blickt der römische Statthalter seinen Gefange63


nen an: „So bist du also ein König?“ Und Jesus antwortet: „Du sagst es; ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe; jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (Johannes 18,37). Da steht Jesus vor ihm, die Wahrheit in Person. Pilatus als Heide hört die Wahrheit, die Jesus ausspricht. Wenn er doch auch Einblick in die Wahrheit hätte! Er ist es doch, von dem es heißt: „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ (Johannes 1,17). Wer an Jesus glaubt und ernst nimmt, was er gesagt hat, erkennt ihn als den, der er ist. Pilatus entgegnet Jesus nur eine ausweichende Frage: „Was ist Wahrheit?“ (Johannes 18,38). Er kann nichts damit anfangen, was Jesus über sich sagt, weil er in seinen Vorstellungen gefangen ist. Pilatus´ Frage lässt uns in das Herz dieses Mannes sehen. Welch ein verhängnisvoller Augenblick: Er hat in die Augen des Herrn Jesus, die voll Liebe sind, geschaut. Er hat die Einladung gehört, zu Gott zu kommen, sich der Wahrheit zuzuwenden. Und doch – alles vergebens. Schnell eilt Pilatus hinaus zu den Juden und spricht: „Ich finde keine Schuld an ihm!“ (Johannes 18,38). Eine wogende Menschenmasse, die erregt und aufgebracht ist, schreit ihm entgegen: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ (Lukas 23,21). Ratlos steht der Römer da. In dieser Situation ist er froh, als er erfährt, dass Jesus aus Galiläa stammt. Sofort schickt er ihn zu Herodes in der Hoffnung, dass dieser mit ihm fertig wird und die Verhandlung zu Ende führt. 64


Beleidigter Stolz „Als Pilatus von Galiläa hörte, fragte er, ob der Mensch ein Galiläer sei. Und als er hörte, dass er aus dem Herrschaftsgebiet des Herodes sei, sandte er ihn zu Herodes, der in diesen Tagen auch selbst in Jerusalem war“ (Lukas 23,6.7). Die Geschichte nennt ihn Herodes Antipas, und er war ein Sohn des Kindermörders Herodes des Großen. Nachdem dieser gestorben war, wurde Palästina unter vier Fürsten aufgeteilt. Darum war Herodes Antipas Vierfürst über Galiläa, das heißt einer von den vier Fürsten. Kurze Zeit nach der Teilung des Reiches wurde Archilaus, der Vierfürst über Judäa war, seines Amtes enthoben und durch Pontius Pilatus als Statthalter ersetzt. In dieser Regierungszeit ist auch der Herr Jesus öffentlich aufgetreten. In der Bibel wird manches von Herodes Antipas berichtet. Er war es zum Beispiel, der Johannes den Täufer hinrichten ließ, weil dieser ihn auf sein Leben im Ehebruch aufmerksam gemacht hatte und ihm sagte, dass es nicht erlaubt ist, die Frau seines Bruders zu haben. In Lukas 13,32 nennt der Herr Jesus diesen Herodes einen Fuchs, weil sich das Gerücht verbreitet hatte, dass er Jesus bei dessen Ankunft in Jerusalem töten wolle. Dieser Mann, der so tief in Sünden lebte und schon viele Gräueltaten verübt hatte, kommt nun mit Jesus persönlich in Kontakt. Wir lesen: „Herodes aber freute sich sehr, als er Jesus erblickte; denn er hätte ihn schon längst gern 65


gesehen, weil er viel von ihm gehört hatte, und er hoffte zu sehen, wie ein Zeichen von ihm vollbracht wurde“ (Lukas 23,8). Der Herr Jesus sollte seine Sensationslust befriedigen, um so seine Langeweile zu vertreiben. Die Gier nach Zerstreuung und Abwechslung ist so stark, dass kaum ein anderer Gedanke Raum gewinnen kann. Doch Jesus, der das Herz dieses Mannes kennt, würdigt ihn nicht einmal einer Antwort. Mochte Herodes ihn auch mit neugierigen Fragen bestürmen, Jesus bleibt stumm. Das versetzt den grausamen Herrscher natürlich in Wut und Entrüstung. Doch das beeindruckt Jesus überhaupt nicht. Er ist nicht gekommen, um menschliche Neugier zu befriedigen, sondern um aufrichtige Fragen zu beantworten und Menschen, die ehrlich suchen, in Gnade zu begegnen. Die Kälte im Herzen des Herodes wird deutlich, als er in seinem gekränkten Stolz auf Rache sinnt. Er will diesen Menschen erniedrigen. Dazu hat er Mittel und Wege genug. In Lukas 23,11 lesen wir: „Und Herodes behandelte ihn verächtlich und verspottete ihn samt seinen Kriegsleuten und schickte ihn, nachdem er ihm ein Prachtgewand hatte anlegen lassen, wieder zu Pilatus.“ So offenbart sich die verächtliche Ehrerbietung dieses Mannes gegenüber Jesus. Es ist das Verhalten eines in seinem Stolz gekränkten Menschen. Es bedarf nicht viel Mut, mit einer Schar Soldaten über einen Wehrlosen zu spotten. Anstatt vor dem Schweigen von Jesus still zu werden und sein Leben zu überdenken, begegnet er dem Herrn mit Verachtung und Hohn. Gerade das glänzende Gewand ist 66


Ausdruck der ganzen Verachtung gegen den Gefangenen. Unter dem Gespött und dem bösen Gelächter der Soldaten trägt es der Herr, ohne sich dagegen zu wehren. Es war Sitte, dass jemand solch ein Gewand trug, wenn er sich um ein hohes Staatsamt bewarb. Welche Ironie! Er, der wahre König Israels, ist kein Bewerber; er besitzt rechtmäßigen Anspruch auf den Königsthron seines Volkes. Ohne weiteres könnte er diesen Anspruch geltend machen, doch diese Zeit ist noch nicht gekommen. Die Zeit der Gnade, in der wir leben, muss erst abgelaufen sein; dann nämlich, wenn die Vollzahl aus den Nationen errettet ist, wird der König der Könige in großer Pracht und Herrlichkeit erscheinen. Alle Könige der Erde werden dann Jesu Gunst suchen und ihm ihre Tribute zahlen. Sie bringen Jesus zu Pilatus zurück. Die Bibel berichtet darüber: „An demselben Tag schlossen Pilatus und Herodes Freundschaft miteinander, denn zuvor waren sie einander feind gewesen“ (Lukas 23,12). Diese neu geknüpfte Freundschaft ist bezeichnend. Hass und Ablehnung gegenüber der Person Jesu verbinden diese beiden Herrscher zu einer gemeinsamen Front gegen Jesus Christus. Wenn die Liebe das Band nicht knüpfen kann, dann muss notwendigerweise die Abneigung zur gemeinsamen Sache führen. Die Liebe und Gnade Gottes mit Füßen zu treten, führt ins Gericht der Verstockung. Herodes ist ein warnendes Beispiel. Gott hat sich oft um diesen Mann bemüht und ihn so oft warnen lassen. Johannes der Täufer hat versucht, ihm 67


die Augen zu öffnen über sein Leben im Ehebruch und ihn wegen dieses öffentlichen Ärgernisses zurechtgewiesen. In Lukas 8,3 lesen wir, dass Johanna, die Frau Chuzas, der Verwalter bei Herodes war, durch Jesus von Dämonen befreit worden war und nun Jesus nachfolgte. Weiter lesen wir in Apostelgeschichte 13,1 von den Propheten und Lehrern in Antiochien, unter welchen auch Manaen war, der mit Herodes, dem Vierfürsten, erzogen worden war. Die beiden hatten die gleiche Amme gehabt. Alles aber ist vergeblich gewesen bei Herodes. Das Leben in seinen Lüsten und Begierden, sein Hochmut und sein Streben nach Ehre und Anerkennung haben sein Herz immun gemacht gegen das, was Gott sagt. Dieses traurige Resultat der Bemühungen, die Gott um das Herz dieses Menschen unternommen hat, sollte für alle eine Warnung sein, die schon oft von Jesus gehört und sich immer vor der Entscheidung für ihn gedrückt haben. Vielleicht hat mancher in seinem Elternhaus durch Eltern oder Geschwister von Jesus erfahren oder durch einen Freund, der Jesus nachfolgt. Die Frage ist: Waren all diese Bemühungen vergebens? Wir wollen bedenken: Der Widerstand gegen die Wahrheit führt zur Verhärtung des Herzens; das Ende ist die völlige Blindheit für Gottes Wirken und schließlich das Gericht über ein Leben in Auflehnung gegen Gott und seinen Willen.

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Der Volksentscheid Erneut steht Jesus vor Pilatus. Der Kampf zwischen Licht und Finsternis spitzt sich immer weiter zu. Jesus ist das wahrhaftige Licht, das in die Welt gekommen ist, um jeden Menschen zu erleuchten. Er stellt nicht nur die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer sowie Pilatus und Herodes in sein göttliches Licht und vor die Entscheidung, sondern jetzt auch die ganze Volksmenge. Als Pilatus aus dem Inneren seiner Herrschaftsresidenz in den Hof vor die Menge der Juden tritt, schallt ihm wilder Lärm entgegen. „Die Menge erhob ein Geschrei und fing an, das zu verlangen, was er ihnen jedes Mal gewährte“ (Markus 15,8). Es war üblich, dass Pilatus anlässlich des Passahfestes einen Gefangenen frei ließ, welchen die Menge von ihm haben wollte. Ein berüchtigter Verbrecher mit Namen Barabbas ist zu dieser Zeit im Gefängnis. Pilatus, der gern Jesus freigeben will, sieht in dem Begehren des Volkes einen neuen Ausweg, die Entscheidung zur Verurteilung von sich abzuwälzen. Deshalb sagt er dem Volk: „Ihr habt diesen Menschen zu mir gebracht, als mache er das Volk abtrünnig; und siehe, als ich ihn vor euch verhörte, habe ich an diesem Menschen keine Schuld gefunden, deretwegen ihr ihn anklagt, aber auch Herodes nicht; denn ich habe euch zu ihm gesandt; und siehe, es ist nichts von ihm verübt worden, was des Todes würdig wäre“ (Lukas 23,14-15). Pilatus möchte mit 69


der Verurteilung dieses Mannes sich und sein römisches Richteramt nicht lächerlich machen. Wie kann er jemanden verurteilen, von dessen Unschuld er überzeugt ist? Er rechnet im Stillen mit einer Spaltung des Volkes in ein Für und Wider. Er möchte die Gemäßigten im Volk mobilisieren. Überdies rechnet er mit der großen Anhängerschaft von Jesus. Längst ist ihm auch klar, dass die Hohenpriester die Drahtzieher sind und dass sie Jesus aus Neid überliefert haben. Pilatus wirft nun gleichsam einen Zankapfel unter sie mit der Frage: „Welchen wollt ihr, dass ich euch freilasse, Barabbas oder Jesus, den man Christus nennt?“ (Matthäus 27,17). Jetzt muss die Entscheidung fallen. Noch nie hatte es einen solchen Volksentscheid auf Erden gegeben und wird es auch nie wieder geben. Er wird zum Wendepunkt in der gesamten Menschheitsgeschichte. Die Frage des römischen Statthalters hat große Spannung ausgelöst. Wie wird wohl die Masse entscheiden? Menschlich betrachtet, muss sich jetzt alles zugunsten des verachteten, zu Unrecht Angeklagten wenden. Seit Beginn seines öffentlichen Auftretens hatte er sich der Armen, Kranken und Hilfsbedürftigen angenommen. Tag und Nacht war er für sie da; innerlich bewegt und mit viel Mitgefühl hat er teilgenommen an all ihren Nöten. Einige Tage zuvor hat doch die große Masse des Volkes ihn noch mit Lobesrufen begrüßt, als er nach Jerusalem kam. Kann es denn anders sein, als dass die Volksmenge zu Jesus hält, den sie eben 70


noch als ihren König begrüßt hatte: „Gepriesen sei der da kommt im Namen des Herrn. Gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David“ (Markus 11,9b-10)? Wohl werden die Hohenpriester und Schriftgelehrten versuchen, mit allen Mitteln ihren teuflischen und hinterhältigen Plan durchzuführen, aber sie sind ja in der Minderheit. Das Volk – sein Volk – wird jetzt für den Herrn Jesus Partei ergreifen. Die Atmosphäre ist knisternd. Es geht ums Ganze – Jesus oder Barabbas!? Eine Botschaft von seiner Frau wird Pilatus überbracht. Dadurch wird er vom Geschehen abgelenkt. Diesen Augenblick nutzen die Obersten und Schriftgelehrten sowie die Hohenpriester und hetzen das Volk auf. Wie ist doch die Volksmeinung so leicht zu beeinflussen und umzustimmen! Die heute „Hosianna“ rufen, schreien morgen „Kreuzige ihn!“ Matthäus berichtet uns: „Aber die obersten Priester und die Ältesten überredeten die Volksmenge, den Barabbas zu erbitten, Jesus aber umbringen zu lassen.“ Pilatus wendet sich dem Volk zu und spricht zu ihnen: „‚Welchen von diesen beiden wollt ihr, dass ich euch freilasse?‘ Sie sprachen: ‚den Barabbas‘!“ Enttäuscht und ratlos ruft Pilatus: „‚Was soll ich denn mit Jesus tun, den man Christus nennt?‘ Sie sagen alle: ‚Er werde gekreuzigt!‘“ Pilatus wehrt sich und fragt: „‚Was hat er denn Böses getan?‘ Sie sprachen alle zu ihm: ‚Kreuzige ihn!‘“ (Matthäus 27,20-22). Die Entscheidung ist gefallen. Das Volk wählt Barabbas und verwirft seinen Messias, seinen Retter. „Barabbas aber war ein Räuber“ (Johannes 18,40). 71


Die anderen Evangelien berichten, dass dieser Mann ein Anführer war, der Anführer einer Bande, die einen Mord begangen hatte – ein berüchtigter Mensch mit einem äußerst schlechten Ruf. Der Name Barabbas bedeutet ‚Sohn des Vaters‘. Es klingt wie eine teuflische Ironie – wie ein Zerrbild, das der Teufel dem wahren Sohn des Vaters gegenüberstellen will. Wie wahr ist, was Jesus den Menschen gesagt hat: „Ihr habt den Teufel zum Vater, und was euer Vater begehrt, wollt ihr tun! Der war ein Menschenmörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit, denn Wahrheit ist nicht in ihm“ (Johannes 8,44). Es ist das Werk ihres Vaters, des Teufels, dass sie einen unschuldigen Menschen zu Tode bringen wollen. Später wird Petrus sie mit ihrer Schuld konfrontieren: „[Jesus] habt ihr ausgeliefert und habt ihn verleugnet vor Pilatus, als dieser ihn freisprechen wollte. Ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und verlangt, dass euch ein Mörder geschenkt werde“ (Apostelgeschichte 3,13-14). Das Volk hat seine Entscheidung gefällt. Es gibt kein Zurück mehr. Die leidenschaftliche Wut des Volkes schlägt über dem stillen, unschuldigen Angeklagten zusammen. Dieser aufgebrachten Volksmasse gegenüber fühlt sich Pilatus machtlos. Und er ist es auch. Wie kommt es, dass dieser sonst so tatkräftige, furchtlose und stolze Heide jetzt versagt? Was geht in ihm vor? Wir wissen es nicht. Gott lässt es so geschehen. Zwar versucht er noch einmal, mit einem Einwand das Volk umzustimmen, aber will sich letztendlich doch nicht der Macht einer 72


einstimmigen Menschenmenge entgegenstellen: „Was hat dieser denn Böses getan? Ich habe keine Ursache des Todes an ihm gefunden, ich will ihn nun züchtigen und losgeben“ (Lukas 23,22). Nichts Böses hat dieser Angeklagte getan, nichts des Todes Wertes kann Pilatus finden. Sein Eintreten für Jesus vor dem Volk bleibt ohne Erfolg. Ich will ihn züchtigen und losgeben – ein Zugeständnis ist es, aber es verfehlt seine Wirkung. Grausam ist der Mensch, von der Finsternis beherrscht die blinde Volksmenge, verschworen gegen einen Unschuldigen: „Sie aber hielten an mit lautem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt werde; und ihr Geschrei und das der obersten Priester nahm überhand.“ (Lukas 23,23). Im Lauf der Geschehnisse, mit denen wir uns beschäftigen, ist der Höhepunkt erreicht. Wem gilt diese blinde Wut, dieser entfesselte Sturm, die wilde, hemmungslose Leidenschaft, die sich gegen einen Einzelnen entlädt? Nur dem einen, den Gott zur Rettung der Menschen aus ihrer Schuld auf diese Welt gesandt hat. Dieser Liebe, die durch Jesus sichtbar geworden ist, ist der Mensch in der furchtbarsten Weise begegnet – der tiefsten Liebe Gottes hat er seinen größten Hass entgegengebracht. Siebenmal bezeugt Pilatus, der sonst so ungerechte und grausame Machthaber, vor dem ganzen Volk: „Was hat er denn Böses getan? Ich finde keinerlei Schuld an ihm.“ Doch es nützt nichts. Als er sieht, dass er nichts ausrichten kann, entscheidet er, dass der Forderung des Volkes nachgegeben wird. In seinem Wahn schreit das Volk: „Sein Blut komme über uns 73


und über unsere Kinder!“ (Matthäus 27,25). Dieser Schwur zeigt die Ausmaße des Hasses, mit dem sie Jesus hassen, er spricht von der Größe und Entschiedenheit der Ablehnung, mit der sie Jesus verurteilen.

Neutral bleiben kann niemand Claudia, wie eine Überlieferung die Frau des Pilatus nennt, muss von der Gefangennahme des Herrn Jesus gewusst haben und auch von der Eile, mit der er verurteilt werden sollte. Das eigenartige und ungewöhnliche Verhalten des römischen Statthalters setzt eine vorherige Abstimmung voraus. Anders können wir nicht verstehen, dass der sonst so harte und stolze Römer in aller Frühe aufsteht, um in das Prätorium zu gehen. Was kümmern ihn außerdem die jüdischen Gesetze? Wieso sonst würde er zu den Juden hinausgehen, die wegen ihrer Verunreinigung nicht zu ihm hereinkommen wollen? Ebenso unverständlich erscheint sein Hin und Her zwischen dem Prätorium, wo Jesus steht, und dem Hof, wo seine Ankläger das Todesurteil erzwingen wollen, über das Pilatus zwischen den Verklägern und dem Angeklagten verhandeln will. Vielleicht lassen sich die vorangegangenen Ereignisse in einer Rekonstruktion so darstellen: Judas kommt am Abend in das Haus des Hohenpriesters und zeigt die Bereitschaft, Jesus zu verraten. Jetzt muss es schnell gehen. Alles muss 74


sofort geschehen und ohne Aufsehen zu erregen, damit nicht ein Volksaufstand entsteht. Schließlich sind wegen des Passahfestes viele Menschen in der Stadt. Pilatus muss erfahren, dass es am nächsten Tag eine Verhandlung geben soll, damit er dann auch bereit ist, das Verfahren durchzuführen. Wer anders als der Hohepriester selbst konnte es wagen, zu so später Stunde noch die Privatwohnung des Pilatus aufzusuchen? Er lässt sich im Palast, wo Pilatus während des Festes wohnt, melden. Erstaunt hört der römische Statthalter, dass man einen wichtigen politischen Verbrecher noch in dieser Nacht verhaften will. Man bittet ihn, die Verhandlung am nächsten Morgen zu führen. Das Urteil, welches die Todesstrafe sein wird, soll er so früh wie möglich am nächsten Morgen prüfen und seine Genehmigung so rechtzeitig geben, dass die Hinrichtung noch vor Sonnenuntergang vollstreckt werden kann. Der Frau des Pilatus kann das alles nicht entgangen sein. Vielleicht hat sie neugierig gefragt, was der spätabendliche Besuch wollte. Die Sache muss sie innerlich stark bewegt haben. Als sie schließlich schlafen geht, drehen sich ihre Gedanken immer wieder um die Verurteilung dieses Mannes. Es ist kaum anzunehmen, dass sie von Jesus, seiner Lehre und den Wundern, die er getan hat, nichts gewusst hat. Sein Ruf war bis in die entferntesten Winkel gedrungen. Am nächsten Morgen erwacht sie aus einem beängstigenden Traum. Als sie aufwacht, sieht sie, dass ihr Mann schon außer Haus ist. Ihr ist sofort klar, wohin er gegan75


gen sein muss und vor welcher Aufgabe er steht. Die Sache lässt ihr keine Ruhe. Schnell schickt sie einen Boten zu ihm und lässt ihm ausrichten: „Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; denn ich habe heute im Traum seinetwegen viel gelitten!“ (Matthäus 27,19). Es ist ihr eilig, dies ihrem Mann mitteilen zu lassen. Ihre Worte zeigen Sorge und Angst. Sie will etwas Schlimmes abwenden und ihren Mann vor Schaden bewahren. Ob sie Angst hatte, dass Pilatus das Urteil der jüdischen Ankläger ungeprüft bestätigen würde? Wir wissen es nicht. Zunächst könnte diese heidnische Frau unsere Sympathie verdienen. Endlich findet sich ein Mensch, der den Mut hat, Partei für Jesus zu ergreifen. Bisher hatte niemand sich auf seine Seite gestellt. Alle stimmten gegen ihn, alle forderten Barabbas. Nun scheint doch jemand seine Stimme einzusetzen für den Verachteten. Eine Stimme, mit der kaum jemand gerechnet haben mag. Er ist gerecht, lässt diese Frau ihrem Mann ausrichten. Wie schön, sie stellt sich auf die Seite des Herrn Jesus. Zumindest scheint es so, oder nicht? Endlich eine positive Reaktion. Aber was hatte der Bote noch zu sagen? Habe du nichts zu schaffen mit ihm! Ist so etwas möglich? Bei näherem Hinsehen erkennen wir, dass die Frau des Pilatus viele Nachfolger hat. Sie ist der Menschentyp der Christen ohne Christus. Nun, wir mögen denken, wir sind doch letztendlich alle irgendwie christlich. Eine Religion muss doch schließlich jeder haben. Wir wollen doch keine Heiden sein. Aber wenn es darum geht, 76


klar Stellung zu beziehen, wird die Sache ernster. Menschen finden vielerlei Argumente gegen eine klare Entscheidung für Jesus: Was meinen Sie, ich soll mich offen und vor aller Welt zu diesem Jesus bekennen, mich klar und für jeden sichtbar auf seine Seite stellen? Das kann doch keiner von mir erwarten. Oder: Dieser Jesus soll der Herr und Gebieter meines Lebens sein? Ist das nicht zu viel verlangt? Nein, da halte ich mich raus. Oder: Vielleicht ist der eine oder andere besser dafür geeignet. Man muss doch nicht extrem sein. Das sind Worte, die wir immer wieder hören können. Da halte ich mich heraus, scheint die Lieblingsparole von vielen Menschen zu sein. Alles gut und schön, doch damit will ich nichts zu tun haben – könnte die Botschaft der Claudia an Pilatus sein. „Halte dich da bloß raus!“, rät die kluge Frau ihrem Mann. Aber wie kurzsichtig ist dieser Rat. Ist es überhaupt möglich, mit all dem, was Jesus betrifft, nichts zu tun zu haben? Wie kann jemand neutral bleiben und sich „heraushalten“? Ist nicht vielmehr jeder Einzelne gefordert und aufgerufen zur Entscheidung? Pilatus will sich schließlich heraushalten. Zum Zeichen seiner Unschuld wäscht er seine Hände – und doch wird er schuldig an Jesus. Viele gibt es, die in der Sache mit Jesus eine „moralische Schweiz“ suchen. Sie wollen sich nicht offen gegen ihn stellen, aber sich auch nicht für ihn entscheiden. Man will neutral bleiben und mit dem Strom schwimmen. Das ist doch viel einfacher. Warum soll man sich dem Spott aussetzen? Religiös kann man auch ohne eine klare Entscheidung für Jesus sein. 77


Welcher Irrtum! Die Front muss klar bezogen werden. Entweder für Jesus oder gegen ihn. Ein Dazwischen gibt es nicht. Was soll mit einem Menschen passieren, der sich zwischen zwei Fronten bewegt? Er kann nicht neutral bleiben, ohne Schaden zu erleiden. Das sagt die Bibel auch sehr deutlich: „Siehe, dieser [d.i. Jesus] ist gesetzt zum Fall und zum Auferstehen vieler“ (Lukas 2,34). Jeder persönlich ist vor die Entscheidung gestellt. Wie man sich bettet, so schläft man, und wie man sich entscheidet, so wird das ewige Schicksal des Einzelnen sein. Entweder ist der Herr Jesus mein Retter oder mein Richter. Die Wahl liegt bei jedem persönlich. Keiner wird gegen seinen Willen gezwungen. Es wird im Himmel wie in der Hölle nur Freiwillige geben. Aber keiner kann sich heraushalten und eine Entscheidung umgehen. Wer sich nicht entscheidet, trifft auch eine Entscheidung – gegen Jesus. Es ist eine ernste Sache.

Eine lächerliche Geste Was ist mit Pilatus geschehen? Hat die Nachricht seiner Frau ihn noch mehr verunsichert? Es geht etwas in ihm vor; die ganze Sache ist ihm nicht egal. Sein Verhalten macht das deutlich. Die ganze Verhandlung an diesem Morgen war ihm bereits eine Last. Doch nun steht er der Forderung und der Macht der Masse noch hilfloser gegenüber. Der sonst so schnelle, hartherzige Vertreter der Besatzungsmacht ist 78


nicht mehr wiederzuerkennen. Was war für ihn schon eine Verhandlung oder Verurteilung! Doch bei diesem Gefangenen und diesem Fall wird er sich innerlich nicht klar. Hatte er zunächst versucht, die Verantwortung auf die Juden zu wälzen, indem er ihnen sagte, sie sollen ihn nach ihrem Gesetz richten, gelang es ihm später auch nicht, Herodes die Entscheidung zu überlassen. Erneut liegt alle Verantwortung bei ihm. Er wird diesen besonderen Fall nicht los. Auch mit dem mehrmaligen Verweis auf die Unschuld dieses Angeklagten und seiner Entscheidung zum Freispruch kommt er nicht weiter. Das Toben der Menge wird immer heftiger, der Widerstand immer größer. Die Wogen des Hasses schlagen immer höher, das Geschrei wird immer lauter. Er fürchtet sich vor dem Schlimmsten. Wenn es zu einem Aufstand kommt, ist es um seinen Posten geschehen. Sein Blick schweift zu dem Angeklagten, einem Mann der Schmerzen, der still und stumm dem Wutgeheul der Verblendeten gegenübersteht. Pilatus weiß: Dieser ist kein Verbrecher! Er ist unschuldig und das Opfer religiöser Fanatiker. Doch was soll er tun? Es ist eine bedauerliche Lage, in die man kommt, wenn man sich der Wahrheit verschließt. Wer es nicht lernt, Gott zu fürchten und ernst zu nehmen, was er sagt, wird der Sklave von Menschen. Öffne dich für den, der dir gegenübersteht, und deine Lage wird sich klären. Mache dich frei von der Volksgunst. Sie bringt nichts ein. Sie vergrößert allenfalls deine Verwirrung. Blicke weg von der fanatischen Masse und folge dem Zug deines Herzens. 79


Pilatus kommt gegen die Menge nicht an. Seine Worte gehen unter im fanatischen Geschrei. Ratlos stellt er noch einmal die Frage: „Was soll ich denn mit Jesus tun, welcher Christus genannt wird?“ (Matthäus 27,22). Er windet sich um diese Entscheidung. Er ist überzeugt davon, dass Jesus unschuldig ist, aber er will auch die Gunst der Juden nicht verlieren. Unaufhörlich ist das Geschrei der Menge: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Und zum dritten Mal kommt sein Einwand: „Was hat dieser denn Böses getan? Ich habe keine des Todes würdige Schuld an ihm gefunden. Darum will ich ihn züchtigen und dann freilassen“ (Lukas 23,22). Er hat nichts Böses getan und nichts, das eine Todesstrafe rechtfertigen würde, liegt vor. Trotzdem will er ihn züchtigen lassen und dann freigeben Wer aber gibt Pilatus das Recht, einen Unschuldigen so zurichten zu lassen? Vielleicht wollte er an das Mitgefühl der Masse appellieren? Wir wissen nicht, was in ihm vorging. Aber auch damit scheint er nicht glücklich zu sein. In seiner Ratlosigkeit führt er ein Schauspiel vor: „Als nun Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern dass vielmehr ein Aufruhr entstand, nahm er das Wasser und wusch sich vor der Volksmenge die Hände und sprach: ‚Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten; seht ihr zu!‘“ (Matthäus 27,24). Was für eine Geste! Ein Richter erklärt feierlich, der Angeklagte ist ein Gerechter und damit unschuldig; aber gleichzeitig verurteilt er diesen Gerechten zum Tod. Der Höhepunkt all dessen, was Pilatus tut, ist, dass er selbst den Unschuldigen 80


verurteilt und dabei sagt: „Ich aber bin unschuldig am Tod dieses Mannes.“ Das heißt: Ich lasse ein Justizfehlurteil vollstrecken, aber bin selbst unschuldig. Welch eine Selbsttäuschung! Es ist der Mühe wert, hier einen Augenblick innezuhalten und nachzudenken. Diese Einstellung ist uns nämlich heute gar nicht so fremd. Wer fühlt sich denn schon schuldig am Tod von Jesus Christus? Keiner? In dieser Auffassung bildet die Menschheit eine Einheit. In Wirklichkeit sind wir alle schuldig an seinem Tod. Aber viele wollen nicht begreifen, dass unsere Sünden ihn, den Unschuldigen und Gerechten, ans Kreuz gebracht haben. Deutlich sagt dies auch die Bibel in Jesaja 53,6: „Der Herr warf unser aller Schuld auf ihn.“ Wer will sich hier ausschließen? Mag es noch so viele Völker, Kulturen und auch Religionen auf der Welt geben – hier tritt die große Gemeinsamkeit zutage. Wir sind alle schuldig am Tod dieses Gerechten. Er musste sterben, damit wir leben und das ewige Leben bekommen können. Glücklich ist, wer dies versteht, einsieht und bekennt. Wer an Jesus glaubt, kann den Ausspruch von Pilatus ändern; er hat die Gewissheit: Ich bin unschuldig durch den Tod dieses Gerechten. Denn das Blut, das Jesus vergossen hat, reinigt den Menschen von jeder Schuld. Der Unschuldige, der sich zum Tod am Kreuz für mich schuldig sprechen ließ, macht mich dadurch unschuldig, dass er meine Schuld bezahlt hat. Wer aber nicht einsieht, dass er eigentlich diese Strafe verdient hätte aufgrund seiner Schuld, für den bleiben seine 81


Sünden bestehen und er bleibt unter dem Urteil, das Gott über sein Leben sprechen muss. Wie verhängnisvoll ist also der Trugschluss aller, die behaupten: Ich bin schuldlos, ich habe mit der Kreuzigung von Jesus nichts zu tun! Jeder aber, der seine Schuld einsieht und vor Gott um Vergebung bittet, erfährt, wie es in einem Lied heißt: Dein Werk ist jetzt vollendet, der Fluch ist abgewendet und Gnade uns gebracht. Der Schuldbrief ist zerrissen, befreit ist das Gewissen, die Sünde ist zunicht´ gemacht.

Eine qualvolle Geißelung Während man die Fesseln von den Händen des Mörders Barabbas löst, führt man den, der soeben noch von Pilatus als ein Gerechter bezeichnet wurde, hinweg und übergibt ihn den rohen Händen der Kriegsknechte. Sie dürfen mit ihm machen, was sie wollen. Pilatus hat befohlen, ihn zu geißeln. Die Evangelisten haben über das unmenschliche und entwürdigende Szenario, das mit Jesus getrieben wurde, nicht mehr berichtet als die Worte: „Darauf nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln“ (Johannes 19,1). Wer vermag es auch, die grausame Marterung zu beschrei82


ben?! Bei der Geißelung wird die ganze abgrundtiefe Grausamkeit des Menschen sichtbar. Seine Brutalität hat zu allen Zeiten die schaurigsten Dinge vollbracht. Überlieferungen berichten über die Geißelung Folgendes: Im Hof des Pilatus, vor der Kaserne der Soldaten, stand ein meterhoher Pfahl in der Erde. Demjenigen, der zur Geißelung geführt wurde, wurden die Hände über dem Kopf gekreuzt, dann heruntergezogen und an den kurzen Pfahl gebunden. Dadurch war der ganze Rücken angespannt. Die Schergen traten heran mit ihren Geißeln, deren Riemen an den Enden mit Bleistücken oder gar mit starken Widerhaken versehen waren. Oft wurden die Gequälten ohnmächtig oder starben unter diesen Qualen. Die Geißelung bedeutete eine völlige Erniedrigung und wurde nur an besonders schweren Verbrechern durchgeführt, und zwar oft in Verbindung mit der Kreuzigung. So erfüllte sich an dem Herrn Jesus, was in Psalm 129,3 gesagt ist: „Auf meinem Rücken haben Pflüger gepflügt und ihre Furchen lang gezogen.“ Wer will die Qualen ermessen, die er, der Unschuldige, für uns erduldet hat, um unsere Schuld zu bezahlen?! Nur gefühllose und herzenskalte Menschen können beim Betrachten dieser Leiden unberührt bleiben. Es hat einmal jemand gesagt: Als ich erkannte, was Geißelung ist, bin ich auf mein Angesicht gefallen und habe bitterlich geweint. Sind wir auch schon einmal beim Anblick der Leiden des Herrn Jesus, die er aus Liebe für uns erduldet hat, auf unser Angesicht gefallen? Haben wir schließlich begriffen: Das hast du für mich 83


erduldet! Alles hat er für uns über sich ergehen lassen, um das Ziel – unsere Erlösung – zu erreichen. Wir wollen in das Lied einstimmen: O, große Lieb´, o Liebe ohne Maßen, die dich gebracht auf diese Marterstraßen. Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden, und du musst leiden.

Jeder Verächter macht sich lächerlich Blutig, misshandelt, zerschunden steht der Herr Jesus seinen Peinigern gegenüber. Wenn in ihnen noch ein Funke Gefühl ist, muss die hilflose, blutende Gestalt, wie Jesus vor ihnen steht, Mitleid erwecken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es bewahrheitet sich hier, was wir in Psalm 69,12 lesen können: „Ich wartete auf Mitleid, aber da war keines, und auf Tröster, aber ich fand sie nicht.“ Trotz des zerfetzten, zerrissenen und zerschlagenen Körpers, den sie derart zugerichtet haben, zeigen sie keinen Funken Mitgefühl mit dem Menschen, der so unter ihnen leidet. Die rohe Horde der Soldaten schleppt ihn in den Palast des Pilatus zurück, und dort rufen sie die ganze Schar zusammen. Hier im Hof lassen sie ihrem Mutwillen freien Lauf. Sie ziehen ihm die Kleider aus und 84


werfen ihm unter höhnischem Gelächter einen Purpurmantel um. Zu dem königlichen Gewand fehlt eine Krone. Es wird eine aus Dornen geflochten, und einer drückt sie ihm aufs Haupt, gräbt die Dornen tief in seine Haut. Ein anderer geht und sucht ein Stück Rohr, um es ihm als Zepter in die Hand zu geben. Spottend und lachend umringt die unmenschliche Horde den Gepeinigten. Sie werfen sich vor ihm auf die Knie, verspotten ihn und rufen: „Sei gegrüßt, König der Juden!“ (Markus 15,18). Man schlägt ihm ins Angesicht. Andere spucken ihn an und schlagen ihn mit dem Rohr auf das Haupt, sodass die Dornen tief eindringen. Der Spott, das Lästern, das Gelächter – sie kennen keine Grenzen. Alles lässt der Herr Jesus über sich ergehen. Er wehrt sich nicht und macht nicht einmal den Soldaten einen Vorwurf. Willig erträgt er, was wir in Psalm 69,21 lesen: „Die Schmach hat mein Herz gebrochen, und ich bin elend.“ Wie roh und gefühllos ist der Mensch! Welch ein ergreifendes Bild freiwilliger tiefster Erniedrigung sehen wir in dem so Zugerichteten, der widerspruchslos die Schläge, den Spott erduldet. Als Kind habe ich oft vor dem Bild „Ecce homo“ gestanden. Dieses Bild zeigt den Herrn Jesus im Purpurkleid und mit einer Dornenkrone. Es hat mich jedes Mal tief beeindruckt, diese einmalige unvergleichliche Liebe zu sehen. Als Graf von Zinzendorf vor diesem Bild stand, diesen Mann in seinen Schmerzen betrachtete und schließlich die Worte las: „Das tat ich für dich“, kam er zu der großen Kehrtwende seines Lebens. Von dieser Stunde an 85


brach er mit seinem Sündenleben und übergab sein Leben diesem Verachteten, lebte es von da an im Dienst für ihn. Eine andere Entscheidung kann es auch nicht geben. Entweder wird der Mensch von dieser Liebe überwunden und übergibt sein Leben an Jesus – oder er verpasst die Chance seines Lebens und bleibt eine Beute des Teufels. Der ganze Sinn dieser Leidensgeschichte ist unsere Errettung von einem sinnlosen Leben in Eigenwillen und Sünde. Wer diese Errettung ablehnt, wird die ganze Ewigkeit lang fern von Gott leiden. Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die sich über den leidenden Christus Scherze erlaubt haben. Doch es ist nie jemandem gelungen, ihn lächerlich zu machen. Aber viele haben sich selbst zum Gespött gemacht, indem sie in verlebten ernsten Stunden eine lächerliche Figur abgaben. Schauen wir uns die Soldaten an. Weithin erschallt ihr Gelächter, wenn einer spottend über den Herrn Jesus seinen Mund aufmacht. Was ist ihr Tun anderes als Ausdruck völliger Verrohung! Es gehört nicht viel Mut dazu, sich an einem gefangenen Wehrlosen zu vergreifen. Einen, der freiwillig auf Gegenwehr verzichtet, zu schlagen und zu treten, ist keine Heldentat. Das zeigt lediglich das Wesen derer, die so etwas tun und stellt sie bloß. Wer geht aus diesem Spiel als der wahre Sieger hervor? Ist es nicht der, der in stiller Ergebenheit den Spott der Menschen erduldet, ohne Widerworte zu suchen, ohne Gegenwehr zu leisten? „Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht 86


vor Schmach und Speichel“ hat Jesaja (50,6) vorausgesagt. Trotz seines Auftretens in dem alten Soldatenmantel und mit der Dornenkrone auf dem Kopf zwingt er jedem, der ihn anschaut, Respekt und Achtung ab. Einen Blick nach oben, einen Wink bedürfte es, und die himmlischen Mächte stünden ihm zur Seite. Was aber würde aus dem kleinen Erdenwurm Mensch, der in solcher Art und Weise seine Hand nach seinem Schöpfer, dem Träger des gesamten Universums, erhebt?! Aber der geknechtete Gottessohn geht seinen Weg, und ohne Gegenrede erduldet er allen Widerspruch, den die Menschen ihm darbieten. Petrus hat später über den Herrn Jesus geschrieben: „Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder, als er litt, drohte er nicht, sondern übergab es dem, der gerecht richtet“ (1. Petrus 2,23). Wie man ihn auch zurichtet, er bleibt der Eine, der herrliche, der wahre und wunderbare Gottes- und Menschensohn. Mag man nun lachen oder toben, mag man fluchen oder lästern – es bleibt jedem selbst überlassen, wie er persönlich dem Herrn Jesus begegnen will; doch ihn lächerlich zu machen, ist bis heute noch keinem gelungen. Was immer man tun mag, wie sehr man ihn auch verspotten oder verleugnen mag – es vermag nicht seine Größe zu schmälern oder seine Einmaligkeit zu zerstören. Wer ihn verspottet, wird selbst zum Gespött. Wer ihn lächerlich machen will, steht schließlich selbst als der Lächerliche da, blamiert in seiner ganzen Albernheit. Wir haben gesehen, welch armselige Figuren die Solda87


ten abgeben. Sie wirken unmöglich, indem sie ihrem Trieb nachgeben, sich über diesen Schwächeren zu erheben und mit ihm ihr Spiel zu treiben. Auf jemanden einzuschlagen, der nicht einmal die Hand zu seiner Verteidigung erhebt, ist kein Kunststück. Es zeigt ihre ganze Rückständigkeit und Dummheit. Aber so erscheinen alle, die dem Herrn Jesus mit Ablehnung begegnen und sich gegen ihn stellen. Dasselbe Bild geben auch die religiösen Führer und Obersten des Volkes ab. In ihrer Blindheit und ihrem religiösen Wahn wirken sie wie Marionetten an der Leine des Teufels. Wie Kinder benehmen sie sich in ihrer Ratlosigkeit und ihrem blinden Hass. Die Forderung nach der Kreuzigung entspringt der Angst um ihre Existenz und vor allem um ihre Autorität. Sie fürchten um ihren Einfluss beim Volk, wenn Jesus die Herzen der Menschen für sich gewinnt. Ihr religiöser Fanatismus lässt sie dumm erscheinen, genauso wie das Verhalten der Volksmenge verführt ist. Diese Menschen haben keine eigene Meinung. Aufgeputscht von ihren Führern, lassen sie sich vor deren Karren spannen. Weil diese unter allen Umständen den Tod Jesu fordern, stimmt die breite blinde Masse mit ein in das Geschrei: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Wie Kinder benehmen sie sich. Heute denken sie so und morgen so. Heute rufen sie „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ und morgen schreien sie: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Albern wirkt die Masse der Mitläufer, die sich so schnell umstimmen lässt. Bietet Pilatus nicht auch ein sonderbares Bild? Vor ihm und nach ihm hat es wohl kaum einen Richter 88


gegeben, der so hilflos ein so sonderbares Urteil fällte wie er. Er windet und dreht sich und urteilt am Ende wider besseres Wissen und gegen seine Überzeugung. Wir sehen, wer den Herrn verachtet, wird selbst zum Gespött. So mancher hat im Laufe der Zeit versucht, den Herrn, das, was er sagt, und die Menschen, die ihm folgen, lächerlich zu machen und darüber zu spotten. Es ist aber noch keinem gelungen. Mancher sieht in seinem Spotten eine Heldentat. Man hat den Frommen mal die Meinung gesagt und ihrem Hirngespinst ein Ende gesetzt. Aber wie schnell waren sie selbst diejenigen, die sich blamierten. Die Torheit der Spötter führte zu ihrer eigenen Schande, und sie waren selbst die Beschämten. Ihre wahre Armut und Lächerlichkeit wurde spätestens auf dem Sterbebett sichtbar, als sie jeglichen Mut verloren hatten. Ihre Seelenqualen zeigten sich in Jammern und Flehen um einige Minuten Verlängerung des Lebens, das zu Ende ging. Von den Schrecken des Todes überfallen, kommt am Ende die Erkenntnis, dass der Abschluss des Lebens unausweichlich ist und aller Spott erstickt, wenn das Leben ausgehaucht ist. Das furchtbare „Zuspät“ bricht auf, und der arme Mensch, der so überzeugt von seinen Ideen war, indem er meinte, ungestraft die Existenz Gottes leugnen und über alles, was mit Gott zu tun hat, lästern zu können, steht nun an der Schwelle zur Ewigkeit, wo ihn erwartet, was er gewählt hat: weit weg zu sein von Gott. Und das ist die Hölle! Wie eine Ironie Gottes klingt, was wir in Psalm 2, 4.5.12 lesen: „Der im Himmel thront, lacht; der Herr spottet über sie. Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn 89


und sie schrecken mit seinem Grimm. Küsst den Sohn, damit er nicht zornig wird und ihr nicht umkommt auf dem Weg; denn wie leicht kann sein Zorn entbrennen! Wohl allen, die sich bei ihm bergen!“ Glücklich können sich daher alle nennen, die in diesem verachteten Schmerzensmann ihren Retter finden. Viele Tausende haben zu ihm ihre Zuflucht genommen. Sie durften erkennen, dass der Herr Jesus diesen Weg der Leiden bis zu seinem qualvollen Tod für sie gegangen ist. Durch seinen Tod, der das Opfer für die Sünden der Menschen ist, hat er alle Schuld bezahlt und die von Sünde geprägte Lebensgeschichte für immer ausgelöscht. Sie können jubeln: Du starbst für mich! Dein Blut hat alle meine Sünden von mir abgewaschen; durch das Opfer, das du gebracht hast, bin ich befreit. Ich habe Vergebung gefunden für meine Schuld. Deine Liebe hat mich überwunden. Über diejenigen, die den Herrn Jesus verachten und ablehnen, sagt die Bibel: „Für die Spötter sind Strafgerichte bereitet“ (Sprüche 19,29). Wer aber an ihn als seinen Erretter glaubt, „kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hindurchgedrungen“ (Johannes 5,24).

Siehe, der Mensch Furchtbar hat man den Herrn Jesus zugerichtet. Sein Rücken ist von tiefen Wunden gezeichnet, sein Gesicht ist geschwol90


len und blau geschlagen, die Augen sind blutunterlaufen und der Kopf verletzt und blutend von den Dornen der Krone, die man ihm aufgesetzt hat. So – mit dem Purpurmantel auf seinem Leib und der Krone aus Dornen auf seinem Kopf – bringen die Soldaten ihn zu Pilatus zurück. Wieder beeindruckt der Herr diesen Mann. Trotzdem er so zugerichtet ist, trotz seiner Wunden und der Schmerzen, die er erträgt, steht er ungebeugt in seiner Persönlichkeit vor dem römischen Machthaber. Pilatus kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es mit diesem Mann eine besondere Bewandtnis hat. Wie er diese zerschundene Gestalt betrachtet, kommt ihm ein Gedanke, wie er vielleicht doch noch einen Ausweg aus der verfahrenen Lage finden könnte: Wenn das Volk diesen Geschlagenen und Gebeugten, so tief Verletzten sieht, wird es sich vielleicht zufrieden geben. Sie werden Mitleid mit ihm haben und zustimmen, dass er freigelassen wird. Johannes berichtet uns: „Da ging Pilatus wieder hinaus und sprach zu ihnen: ‚Seht, ich führe ihn zu euch heraus, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde!‘ Nun kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und den Purpurmantel“ (Johannes 19,4-5). Einzig schön ist die Darstellung, die Johannes hier gibt. „Seht, ich führe ihn zu euch heraus“ und „Nun kam Jesus heraus.“ Beide Seiten werden uns gezeigt. Einerseits der Herr in der Hand des stolzen Römers, der ihn der Volksmenge vorführt, und auf der anderen Seite geht der Herr freiwillig in dieser Verkleidung hinaus und lässt sich von der geifernden Masse verlachen, verhöhnen und verspot91


ten. Alle Qualen haben ihn nicht zu Boden drücken können. Die Schläge, die Misshandlungen, so schwer sie auch waren, konnten ihn nicht zurückhalten, sich der schreienden Menge zum Schauspiel zu stellen. Wie hätten wir uns benommen – die wir so ängstlich und leidensscheu sind, nur schwer Spott und Ablehnung ertragen können? Hätten wir uns nicht mit letzter Kraft dagegen gesträubt, so zum Gespött gemacht zu werden? Wie erhaben ist doch unser Herr! Er geht freiwillig in dieser Aufmachung und lässt sich von Pilatus mit den Worten vorstellen: „Siehe, welch ein Mensch!“ (Johannes 19,5). Diese herzergreifende Gestalt kann doch den schlimmsten Sünder nicht gleichgültig lassen – da steht er als ein Mann der Schmerzen, aber in seiner Größe und Würde, die ihm immer wieder vor Pilatus Respekt verschaffen. Es ist wohl eine der ergreifendsten Situationen in der Leidensgeschichte des Herrn Jesus. Wir wollen den Menschen in seiner Gestalt betrachten. Hier steht Jesus in seiner ganzen Erniedrigung, und doch ist er nicht wie du und ich. Er ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Er ist gekommen, um den Graben, den die Sünde unüberbrückbar tief zwischen Gott und Menschen gezogen hat, zu überbrücken und so den hoffnungslosen Zustand des Menschen zu beseitigen. Er sollte schaffen, was jemand einmal mit den Worten ausdrückte: Gott wurde Mensch, damit wir Menschen göttlich würden. Als Wahrheit in Person steht er da, um sich in allem mit uns eins zu machen. Er ist der wirkliche Mensch, wie Gott ihn sich wünscht. Die Worte: Siehe, der Mensch! meinen: Seht 92


den einzigen wahren Menschen, wie er wirklich ist. Der Einzige, der Gott gleich ist und ihn vollkommen widerspiegelt. Alle anderen haben ihre Menschenwürde verloren. Sie sind nicht mehr Gottes Ebenbild, wie es von Anfang an gedacht war, vielmehr sind sie nur noch ein Zerrbild. Hier aber steht der Eine, wie immer man ihn zurichten und entstellen mag. Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, in dem Gott einst den Menschen geschaffen hatte. In dem Verachteten, von Wunden so Gezeichneten, der die Dornenkrone und den Purpurmantel trägt, sehen wir auch den, der sich mit uns auf eine Stufe stellt, die wir so tief gefallen sind und unseren Thron aufgegeben haben, den Gott uns zugedacht hatte. Gott hatte den Menschen als Herrscher über die Schöpfung gesetzt. Der Mensch sollte König über die Erde sein. Seine Auflehnung gegen Gottes Gebot – der Sündenfall – hat ihn um seine Stellung gebracht. Statt zu herrschen wird er beherrscht – von der Sünde, von seinen Lüsten und Leidenschaften. Heimatlos, ohne Gott und ohne Hoffnung wankt er durch diese Welt. Siehe, der Mensch! Nie ist er wahrhaftiger in seiner gefallenen Größe dargestellt worden als dort im Hof des Pilatus. Da steht Jesus an dem Platz, an dem der Mensch stehen müsste, und zeigt, was der Mensch durch die Sünde verloren hat. Er trägt den Purpurmantel als Zeichen der verlorenen Königswürde. Auf seinem Haupt die Dornenkrone – ein Zeichen des Fluches, der auf der Erde liegt, seit der Mensch in Sünde fiel. Dornen und Disteln waren Ausdruck dessen, dass Gott nach dem Sündenfall den Erdboden ver93


flucht hatte, nachdem der Mensch in Sünde gefallen war (1. Mose 3,17-18). Siehe, der Mensch! Unser Herr und Retter – da steht er und ist in allem geworden wie wir, um uns Freiheit zu erkaufen von der Versklavung, in der wir sind durch die Sünde. „Da nun die Kinder an Fleisch und Blut Anteil haben, ist er gleichermaßen dessen teilhaftig geworden“, lesen wir in Hebräer 2,14. Und an anderer Stelle heißt es: „...er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen“ (Philipper 2,7). In der Gestalt eines wirklichen Menschen ging er den tiefsten Weg der Erniedrigung bis zum Tod, jenem qualvollen und schmachvollen Tod am Kreuz. Auf diesem schweren Weg fand er einzig und allein Trost in der Gemeinschaft mit seinem Vater im Himmel. Diejenigen, zu denen er gekommen ist, um sie in seiner grenzenlosen Liebe zu erretten, stoßen ihn von sich und behandeln ihn wie einen Verbrecher. Doch dem Vater bringt er seine ganze Not. Vor ihm kann er sein Herz ausschütten mit den Worten: „Du weißt um meine Schmach, um meine Schande und Beschimpfung; meine Widersacher sind alle vor dir“ (Psalm 69,19). Wir sehen den Herrn Jesus wie Jesaja ihn lange vorher schon beschrieben hatte: „Verachtet war er und verlassen von den Menschen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut; wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt, so verachtet war er, und wir achteten ihn nicht“ (Jesaja 53,3). Pilatus hat sich geirrt mit der Annahme, dass das Volk Mitleid haben würde mit diesem verwundeten, leidenden Men94


schen. Im Gegenteil: „Als ihn nun die obersten Priester und die Diener sahen, schrieen sie und sprachen: ‚Kreuzige, kreuzige ihn!‘“ (Johannes 19,6a). Die Führer lassen keine Regung im Volk aufkommen. Schnell reagieren sie auf das, was Pilatus vorhat. Auf seinen Einwand: „Nehmt ihr ihn und kreuzigt ihn! Denn ich finde keine Schuld an ihm“ (Johannes 19,6b), lassen sie die Maske fallen und geben den Grund für ihr Urteil an: „Wir haben ein Gesetz, und nach unserem Gesetz muss er sterben, weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat!“ (Johannes 19,7). Das Verhalten der Ankläger muss rätselhaft sein für Pilatus. Bisher waren die Juden doch immer für ihre Volksgenossen eingetreten. Wie wehrten sie sich, wenn er einen von ihnen richten und möglicherweise sogar verurteilen wollte. Nun aber zeigen sie ein völlig anderes Verhalten. Während er die Unschuld des Gefangenen feststellt und immer wieder betont, verlangen sie seinen Tod. Er, der sonst so gehasste Vertreter der Besatzungsmacht, soll nun in ihrem Auftrag einen von ihnen hinrichten. Merkwürdig, oder? Doch was haben die Ankläger gesagt? Er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. Gottes Sohn – was ist das? Neue Unruhe und neue Angst erfasst Pilatus: „Als Pilatus dieses Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr, und er ging wieder in das Prätorium hinein und sprach zu Jesus: ‚Woher bist du?‘“ (Johannes 19,8-9). Der stille Dulder zieht den stolzen Römer erneut in seinen Bann. Pilatus hat Angst. Was hat der Gefangene schon alles erleiden müssen, weil Pilatus es veranlasst und geduldet hat? 95


Doch weiterzugehen, das scheint ihm zu gewagt. Feigheit kennzeichnet diesen Machthaber. Als der Herr Jesus ihm keine Antwort gibt, wird Pilatus unruhig und spricht zu ihm: „‚Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Vollmacht habe, dich zu kreuzigen, und Vollmacht habe, dich freizulassen?‘ Jesus antwortete: ‚Du hättest gar keine Vollmacht über mich, wenn sie dir nicht von oben her gegeben wäre’“ (Johannes 19,10-11). Das versetzt dem römischen Statthalter erneut einen Schlag. Diese eigenartigen Worte zeugen von der Größe des Gefangenen. Pilatus kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er hier mit der Wahrheit konfrontiert wird. Die Worte Jesu klingen noch in ihm nach: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen; dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe; jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (Johannes 18,37). Noch einmal versucht er nun, den Gebundenen loszugeben. Doch sein Vorhaben wird von den Anklägern sofort durchschaut. Jetzt oder nie – sie setzen alles auf eine Karte. Um ihr teuflisches Ziel zu erreichen, werfen sie selbst ihren Nationalstolz über Bord. Sie schreien: „Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; denn wer sich selbst zum König macht, der stellt sich gegen den Kaiser!“ (Johannes 19,12). Pilatus ist in keiner einfachen Situation. Nun schwindet ihm der letzte Mut! In schlauer Berechnung haben sie ihn in die Falle gelockt, aus der er nicht zu entkommen vermag. Des Kaisers Gunst verlieren um eines Gefangenen willen – das kann nicht sein, das darf nicht 96


passieren, das wäre zu viel verlangt. Damit würde er sich sein eigenes Grab schaufeln. Er kennt Tiberius zu gut, jenen grausamen Herrscher, der schon manchen, der bei ihm in Ungnade gefallen war, in tierischem Blutrausch standrechtlich hat hinrichten lassen. Dieses Schicksal will Pilatus nicht teilen. Stattdessen setzt er sich feierlich auf den Richterstuhl und fällt das Urteil. Es ist das Urteil, das uns – dich und mich – hätte treffen müssen. Es trifft nun den, der an unsere Stelle getreten ist – und es wird auch an ihm vollstreckt. Die Kriegsknechte ziehen Jesus den Purpurmantel aus und ziehen ihm seine eigenen Kleider an. Pilatus überlässt ihn ihren Händen, damit sie das Urteil an ihm vollstrecken und ihn kreuzigen. Das Verhalten der einzelnen Personen in dem Prozess um den Herrn Jesus hat uns viel zu sagen. Zunächst sehen wir Pilatus, den römischen Statthalter. Er stand Jesus gegenüber und hat mit ihm gesprochen. Die Würde dieses besonderen Gefangenen hat ihn beeindruckt, er ist sogar von seiner Unschuld überzeugt – und doch entschied er sich gegen ihn. Er findet keine Kraft, seinem Gewissen zu folgen. Wie tragisch! So nahe stand er dem Retter und auch der eigenen Rettung, aber aus Feigheit und Menschenfurcht verpasst er die Chance seines Lebens. Um die Gunst und die Ehre bei den Menschen nicht zu verlieren, verliert er das wirkliche Leben, das der bekommt, der auf der Seite Gottes steht. Der Gunst beim Kaiser opfert er nicht nur Jesus, sondern auch sich selbst. Wie tragisch und folgenreich ist diese Entschei97


dung! „Denn was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben verliert? Oder was kann der Mensch als Lösegeld für sein Leben geben?“ (Matthäus 16,26). Die Gunst des Kaisers und seine eigene Ehre wollte er retten und nicht um Jesu willen verlieren. Wie jedoch die Geschichtsschreibung berichtet, fiel er einige Jahre später beim Kaiser in Ungnade und starb, indem er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt haben soll. Größer aber als die Schuld dieses Mannes ist die Schuld und Sünde des Volkes der Juden. Wie sehr hat Gott sich mit diesem Volk beschäftigt! Lange und oft hat er durch die Propheten zu ihren Vorfahren geredet; nun redete er durch seinen Sohn Jesus Christus zu ihnen: „Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet durch die Propheten, hat er in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn“ (Hebräer 1,1). Aber alle Bemühungen waren vergebens. Tag und Nacht war der Herr Jesus um ihr Heil bemüht – wollte ihnen Heilung und Rettung bringen, doch sie verwarfen ihn. „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!“ (Lukas 19,14) war ihre Antwort auf seine Liebe, mit der er nach ihnen suchte. Er klagt über sein Volk: „Jerusalem, Jerusalem, die du die Propheten tötest und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken unter die Flügel sammelt, aber ihr habt nicht gewollt!“ (Matthäus 23,37). Welch ein Urteil über ein blindes und irregeleitetes Volk. Schwer wird es an den Folgen tragen, die sein Handeln nach 98


sich zieht, und unter seiner Schuld leiden. Wenn es doch erkannt hätte, wer dieser Mensch ist! Der verheißene Messias war mitten unter ihnen wie einer von ihnen – aber sie machten sich schuldig an ihm und ließen ihn töten. Doch die größte Schuld lastet auf den Führern des Volkes. Diese blinden Blindenführer überlieferten aus Neid und Eifersucht den, den Gott gesandt hatte. Blind und taub für seine Person, für seine Verheißungen und für das, was er ihnen zu sagen hatte, schreckten sie in ihrem religiösen Fanatismus nicht vor Intrigen und Lügen zurück. In ihrer gesetzlichen Frömmigkeit wurden sie zu gemeinsten Verbrechern, indem sie das Gesetz brachen, für das sie zu kämpfen meinten. Sie wiegelten das einfache Volk auf, zogen die Menschen auf ihre Seite, um nach außen gedeckt zu sein für den verbrecherischen Anschlag auf das Leben des Gesandten Gottes. Sie alle, die mit dem Herrn Jesus in Verbindung kamen, haben das Vorrecht, mit ihm zusammen zu sein, nicht ernst genommen. Sie haben sich gegen ihn entschieden und sind damit schuldig geworden. Wie ernst! Wird uns dasselbe Urteil treffen? Wie viel und wie oft haben wir schon von Jesus und seiner großen Liebe gehört? Es stellt uns in die Verantwortung, darauf zu reagieren und eine Entscheidung zu treffen. Vielleicht empfinden wir Abscheu gegenüber dem Verhalten der Leute, die Jesus den Prozess gemacht haben. Aber auch wenn wir keine klare Entscheidung für diesen Herrn treffen, zeigen wir dadurch dieselbe Gesinnung wie die Juden, die riefen: „Wir wollen nicht, dass 99


dieser über uns herrsche!“ (Lukas 19,14), „Fort, fort mit ihm! Kreuzige ihn!“ (Johannes 19,15). Ist das nicht die Einstellung von vielen? Wir wollen nicht, dass ein anderer über uns bestimmt! Ich will frei sein und erkenne keinen über mir an! Das aber ist Ablehnung, die genauso das Gericht nach sich zieht, wie es das Verhalten der Juden tut. All jene, die von Jesus gewusst und sich gegen ihn entschieden haben, werden vor Gott einmal bekennen müssen: Ich habe es gewusst; ich habe von Jesus Christus und der völligen Errettung durch ihn gehört. Aber ich habe nicht gewollt. So erschreckend die Verblendung des Volkes auch ist – und niemand hat sie tiefer und schmerzhafter zu spüren bekommen als der schuldlose Sohn Gottes, der unschuldig Angeklagte – , so ergreifend ist es, gerade ihn seinen Weg gehen zu sehen, auf dem er Gott, seinen Vater, verherrlicht. Sein Leben war ein Speisopfer für Gott, das heißt, es war ein Genuss für Gott, eine Freude. In diesem einen Menschen, der im Gehorsam Gott gegenüber so Schweres erduldet hat, fand Gott seine Pläne erfüllt. Von Anfang an, in der Krippe im Stall von Bethlehem, bis er starb am Kreuz auf dem Hügel Golgatha, hatte Gott Wohlgefallen an Jesu Weg. Jesus selbst „[hat] um der vor ihm liegenden Freude willen das Kreuz erduldet[...] und dabei die Schande für nichts [ge]achtet“ (Hebräer 12,2). Diese Freude war, dass Gott verherrlicht wird und die Menschen errettet werden. Dafür hat er sein Leben als Opfer eingesetzt. Wer kann den Wert ermessen außer Gott! Es ist der höchste Wert dieses Opfers: Gott wurde durch den Gehorsam 100


eines Menschen, der in allem, durch sein Leben wie durch seinen Tod, Gott verherrlicht hat, völlig zufriedengestellt.

Und er trug sein Kreuz Pilatus hat nach dem Willen des Volkes das Todesurteil gefällt. Nun beginnt das schaurige Ende des Dramas. In Johannes 19,16-17 lesen wir: „Da übergab er ihnen [Jesus], damit er gekreuzigt werde. Sie nahmen aber Jesus und führten ihn weg. Und er trug sein Kreuz selbst und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte, die auf hebräisch Golgatha heißt.“ In diesen Versen wird uns wieder beides vorgestellt: Jesus ist ganz Mensch und doch auch völlig Gott. Der gehorsame Mensch lässt sich von seinen Schergen das Kreuz auflegen und abführen, und der ewige Sohn Gottes nimmt das Kreuz auf und trägt es freiwillig zu dem Ort, an dem er hingerichtet werden soll. Einerseits wird er geführt, andererseits geht er in seiner Größe und seinem Gehorsam seinem Vater gegenüber freiwillig. Es ist wichtig, dass wir immer beide Seiten sehen. Der sündige Mensch handelt, tut dem Herrn Jesus Gewalt an und kreuzigt ihn. Doch wie ein Lamm, das geschlachtet werden soll, geht Jesus diesen Weg freiwillig, um den Willen Gottes zu tun, der ihn dazu gesandt hat. Und er trug sein Kreuz ... Stimmt das? Ist es wirklich sein Kreuz, das er trägt? Hat er es verdient, auf diese Weise zu sterben, hingerichtet zu werden? Ist er denn überhaupt schul101


dig? War es nicht das Kreuz eines anderen – nämlich mein Kreuz und dein Kreuz? Nahm der Herr Jesus dort nicht den Platz ein, an dem wir hätten sein müssen? Hier zeigt sich seine Liebe in voller Größe! Wie abgrundtief verloren sind wir, dass Gott von seinem Sohn solch ein Opfer fordern musste! Welch eine Kluft ist zwischen uns und dem Gott, der heilig ist, und deshalb Sünde in seiner Gegenwart nicht dulden kann! So schlimm steht es um uns, dass nur auf dem Weg dieser tiefen Erniedrigung und dieser qualvollen Bestrafung eines Unschuldigen Gott unsere Errettung möglich machen konnte. Liebe, ach, wie liebst du mich, lehr´ mich ganz erkennen dich!

Ein Liebesdienst Eine große Ehre, verbunden mit einer ebenso großen Schmach wird Simon von Kyrene zuteil. Er kommt gerade vom Feld, als Jesus zur Richtstätte geführt wird. Vielleicht hat er sich zunächst gewehrt, doch muss er sich schließlich der Gewalt der römischen Soldaten beugen. Wir lesen darüber: „Und als sie ihn wegführten, ergriffen sie einen gewissen Simon von Kyrene, der vom Feld kam, und legten das Kreuz auf ihn, damit er es Jesus nachtrug“ (Lukas 23,26). Vielleicht hat Simon diese Behandlung zunächst als eine unverschämte Demütigung empfunden. Doch was er dadurch tat, hat ihn untrennbar mit Jesus und seinem Auftrag verbunden. Er ist für immer in die Berichte über dieses 102


Ereignis aufgenommen, und diese Begegnung hat ihn wohl zu einer Kehrtwende gebracht. Zunächst können wir ihn in die Gruppe der Gleichgültigen einreihen. Es sind wahrscheinlich in diesen Tagen nur wenige gewesen, die so unberührt ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgegangen sind. Markus nennt ihn einen „Vorübergehenden, der vom Feld kam“ (Markus 15,21). Wahrscheinlich ist er nicht einmal stehen geblieben angesichts der Menschenmenge um den Verurteilten, die die Straße entlang unterwegs war, und gerade er wird ergriffen und gezwungen. Das kann kein Zufall sein. Er ist damit unerwartet und möglicherweise gegen seinen Willen in einen großen Liebesdienst gestellt. Welche Ehre bekommt er dadurch! Möglicherweise ist auch seine ganze Familie davon gesegnet worden. Markus erwähnt, dass er der „Vater von Alexander und Rufus“ (Markus 15,21) war. Wir dürfen wohl annehmen, dass diese später als Christen bekannt waren. Paulus grüßt in Römer 16,13 den Rufus und seine Mutter. Wahrscheinlich war sie die Frau des Simon von Kyrene. Der Herr segnet jeden, der sich aufmacht, das Kreuz ihm nachzutragen. Dazu ist jeder von uns heute aufgefordert: „Wer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ (Markus 8,34). Simon wurde gezwungen. In der Nachfolge geht es – wenn sie auch eine freiwillige Entscheidung ist – nie ohne Zwang: Die alte sündige Natur scheut das Kreuz. Alles in uns wehrt sich und begehrt gegen die Forderungen des Herrn auf. Der Kampf 103


des Christen besteht darin, sich immer wieder neu zum Gehorsam gegenüber diesen Forderungen zu entscheiden, denn am Kreuz wird der alte Mensch mit seinen Sünden und Begierden gekreuzigt. Je mehr wir mit Jesus sterben, umso sichtbarer wird auch sein Leben in unserem Leben. Wenn wir den Namen Simon lesen, fällt uns ein anderer Simon ein – Simon Petrus. Er wollte doch mit Jesus gehen. War er nicht bereit, selbst mit Jesus zu sterben!? Nun fehlt er. Das wäre doch sein Dienst gewesen, mit dem Herrn zu seiner Richtstätte zu gehen und sein Kreuz zu tragen. Aber jetzt, wo er gebraucht würde, ist er nicht da. Die Untreue eines Menschen hält Gott jedoch nicht davon ab, zum Ziel zu kommen. Ist der eine Simon nicht da, findet er einen anderen, der seinen Platz einnimmt und seine Aufgabe erfüllt. Aber welchen Verlust bedeutet es für den, der fehlt! Lasst uns bereit sein, wenn der Herr Jesus uns brauchen will. Der Gedanke ist ernst; wenn jemand seinen Platz in der Nähe von Jesus und in seinem Dienst nicht einnimmt oder diesen Dienst sogar verachtet – Jesus braucht uns nicht! Stehen wir ihm nicht zur Verfügung, dann ruft er einen anderen, der es zu schätzen weiß, für Jesus nützlich zu sein.

Menschliches Mitleid Eine große schaulustige Menge folgt Jesus auf dem Weg zum Kreuz. Die Bibel spricht sogar davon, dass die Kreuzigung 104


für viele ein Schauspiel gewesen ist. Die Sensationslust des Menschen lässt sich nach Möglichkeit nichts entgehen. Für sie ist das Ganze eine interessante Abwechslung. Jesus ist ja kein Unbekannter, und sein Ende am Kreuz darf man sich nicht entgehen lassen. Wie hart und gefühllos kann doch der Mensch sein! In der Menge derer, die dem Herrn nach Golgatha folgen, sind aber einige Frauen, die ihn bejammern und beklagen. Haben also doch einige Mitleid? Findet der Herr bei ihnen doch, wonach er sich ja gesehnt hatte – „Ich wartete auf Mitleid, aber da war keines!“ (Psalm 69,21)? Konnte der Herr sich über die Tränen, die diese Frauen vergossen, freuen? Er spricht zu ihnen und sagt: „Ihr Töchter Jerusalems, weint nicht über mich; weint vielmehr über euch selbst und über eure Kinder!“ (Lukas 23,28). Sind es nur emotionale Erregungen, die bei diesen Frauen die Tränen bewirkten? Waren es Tränen der Reue über ihre Sünde, Tränen der Buße über ihre Schuld? Als Folge des Handelns stellt der Herr Jesus die bald kommenden Tage des Schreckens und des Gerichts vor: „Denn siehe, es kommen Tage, da man sagen wird: ‚Glückselig sind die Unfruchtbaren, und die Leiber, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht gestillt haben!‘ Dann wird man anfangen, zu den Bergen zu sagen: ‚Fallt auf uns!‘ und zu den Hügeln ‚Bedeckt uns!‘ Denn wenn man dies mit dem grünen Holz tut, was wird mit dem dürren geschehen?“ (Lukas 23,29-31). Der Herr Jesus war das grüne Holz, der Messias, der gekommen ist, um Israel zu retten, Wenn sie ihn nun verwerfen, wozu ist das dürre Holz, dieses Volk ohne 105


Leben, noch zu gebrauchen? Es wird das Feuer, das Strafgericht Gottes für seine Schuld tragen müssen. Der Herr Jesus will nicht unser Mitleid in emotionalen Erregungen, sondern er möchte unser Leben, unser Herz. Auch heute gibt es Menschen, die beim Betrachten der Leiden und des Todes Jesu zu Tränen gerührt sind. Ihre Gefühle kommen so in Wallung, dass sie weinen müssen. Doch dabei weisen sie ganz entschieden zurück, dass der Herr Jesus um ihretwillen so furchtbar leiden musste. Sie wollen nicht verstehen und sich nicht eingestehen: Meine Sünden brachten ihm den Tod, und um meiner Sünden willen, wegen meiner Auflehnung gegen Gott, musste er am Kreuz an meiner Stelle sterben. Wenn jemand zu dieser Erkenntnis kommt, kehrt er ehrlich von seinem falschen Weg um. Es fließen dann keine Tränen des Mitleids, sondern Tränen der Reue über das Unrecht, das man getan hat, und über die Abscheulichkeit der Sünden, mit denen man Gott verletzt hat.

Eigenartige Begleiter „Es wurden aber auch zwei andere hingeführt, Übeltäter, um mit ihm hingerichtet zu werden“, schreibt Lukas in Kapitel 23,32. In ihrer Gesellschaft, als einer von ihnen, geht der Herr Jesus nach Golgatha. Soll das eine neue Kränkung und Erniedrigung sein, die man ihm zufügen will? Sie stellen den Schuldlosen mit Verbrechern auf eine Stufe. So zieht 106


er mit ihnen als ein Ausgestoßener aus der Gesellschaft der Menschen seines Weges, um außerhalb von Jerusalem zu sterben. Für ihn ist kein Platz in der frommen Stadt. So wie bei seiner Geburt kein Platz für ihn in der Herberge war, hatte er in seinem ganzen Leben „nichts, wo er das Haupt hinlegen kann“ (Matthäus 8,20), und ebenso duldete man ihn auch bei seinem Tod nicht in der Stadt. Doch er ist dazu gekommen, Sünder zu rufen und zu retten. Unter Sündern lebte er, und inmitten der Sünder und Verbrecher muss er nun sterben. Er hat sich diesen schweren Weg gewählt und ist ihn bis zum Ende gegangen – für mich und für dich. Der Zug hat den Hügel Golgatha erreicht. Der Zweck, zu dem Jesus in diese Welt gekommen ist, geht seiner Erfüllung entgegen. Das Martyrium ist unvorstellbar. Markus berichtet: „Und sie brachten ihn auf den Platz Golgatha, das heißt übersetzt ‚Schädelstätte‘. Und sie gaben ihm Myrrhenwein zu trinken, aber er nahm ihn nicht“ (Markus 15,22-23). Das Betäubungsgetränk, das aus saurem Wein und Myrrhenöl bestand, reichte man den Verurteilten, um ihre Qualen ein wenig zu lindern. Der Herr lehnt dieses Getränk ab. Bewusst und ohne Betäubung will er alles durchstehen und – so wie er gesagt hat – den Kelch trinken, den der Vater ihm gegeben hat. In vollem Bewusstsein geht er allem entgegen. Obwohl er ein Mensch war, der alles fühlte und empfand wie auch wir, verzichtete er auf die Linderung und Erleichterung, die die Menschen ihm ermöglichen wollen. Welche Tiefen durchschreitet unser Retter! Wer kann ausloten, was 107


er innerlich durchsteht! Wir können nur aus der Ferne das Folgende betrachten und stumm auf uns wirken lassen. „Und als sie an den Ort kamen, den man Schädelstätte nennt, kreuzigten sie dort ihn und die Übeltäter, den einen zur Rechten, den anderen zur Linken“ (Lukas 23,33). Wenn man über dieses Geschehen nachdenkt, kann man gut verstehen, was einmal jemand hierzu geschrieben hat: Das Kreuz von Golgatha ist der Ausgangspunkt von allem Heil. Es ist aller Liebe Höhepunkt und aller Anbetung Mittelpunkt. Rohe Soldatenhände werfen den Herrn Jesus auf das Kreuz und schlagen in brutaler Weise die langen Nägel durch seine Hände und Füße. Eine Grube ist aufgeworfen, in die man das mit Mühe aufgerichtete Kreuz, an dem der Erlöser hängt, hineinlässt und feststampft. Wie muss der Ruck die Wundmale des so Hingerichteten eingerissen haben! Die Evangelien berichten sehr wenig über dieses grausame Geschehen. Wir müssen in andere Bibelstellen schauen, um Genaueres zu erfahren. Bereits im Alten Testament hat Gott die Propheten benutzt, um seinem Volk das erschütternde Leiden und Sterben des Messias anzukündigen. Was der Herr am Kreuz gefühlt hat, ist besonders stark ausgedrückt in Psalm 22,15-18: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, und alle meine Gebeine sind ausgerenkt. Mein Herz ist geworden wie Wachs, zerschmolzen in meinem Innern. Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen, und du legst mich in den Staub des Todes. Denn Hunde umringen mich, eine Rotte von 108


Übeltätern umgibt mich; sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben. Ich kann alle meine Gebeine zählen; sie schauen her und sehen mich an.“ Petrus stellt diesem verblendeten Volk später ihr Tun vor Augen mit den Worten: „Jesus, der Nazarener, einen Mann, der von Gott euch gegenüber beglaubigt wurde durch Kräfte und Wunder und Zeichen ... habt ihr genommen und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet“ (Apostelgeschichte 2,22-23). Ihr habt ihn ermordet, indem ihr ihn ans Holz gehängt habt. Dieses Holz war das Kreuz, das Fluchholz, von dem wir in Galater 3,13 lesen: „...indem er ein Fluch wurde um unseretwillen (denn es steht geschrieben: ‚Verflucht ist jeder, der am Holz hängt.‘)“. Diesen Platz nimmt der Herr Jesus ein, um unser Retter und Erlöser werden zu können. Eine andere Möglichkeit der Errettung gibt es nicht. Jesus muss an dieses Fluchholz.

Verhängnisvolle Irrtümer Was hat der Mensch nicht alles aus diesem Folterinstrument gemacht! Wie wenig wird verstanden und bedacht, dass gerade das Kreuz der Ausdruck der Schlechtigkeit des Menschen ist. Hier musste der Sohn Gottes verbluten und sterben, um unsere Schuld zu bezahlen und unserem verdorbenen Zustand ein Ende zu setzen. Anstatt dieses Fluchholz als Gegenstand größter Beschämung zu sehen, hat man das 109


Kreuz zum christlichen Symbol erhoben, das man verehrt. Jeder Errettete sollte sich von diesen Dingen abwenden, die nur von frommen Gefühlen zeugen und zu falschem Gottesdienst führen. Ein Dichter schrieb einmal die Verse: Er war nunmehr der Länder satt, da man so viele Kreuze hat, dass man vor lauter Kreuz und Christ ihn aber und sein Kreuz vergisst. Man richtet Kreuze auf mit frommen Gefühlen und einer religiösen Gesinnung, aber ist doch nicht bereit, den Gekreuzigten als Herrn über sein Leben anzuerkennen und das Todesurteil zu akzeptieren, das über uns Sünder ausgesprochen ist und an Jesus als demjenigen, der unsere Stelle eingenommen hat, vollstreckt wurde. Das Kreuz ist die Richtstätte, zu der jeder Mensch kommen muss, um mit Jesus, seinem Erlöser, gekreuzigt zu werden, um durch seinen Tod dem ewigen Tod der Hölle zu entfliehen. Was nützt das äußere Zeichen ohne die innere Verbindung mit dem Gekreuzigten, und wenn man nicht das Todesurteil anerkennt, das jeder durch die Sünde verdient hat? Ein weiterer Hinweis, der uns zum Nachdenken bringt, ist die Gefühllosigkeit der Menschen, die unter dem Kreuz sitzen. Ein erschreckendes Beispiel liefern uns die Soldaten: Während Jesus blutüberströmt an diesem Kreuz in einem qualvollen Todeskampf sein Leben aushaucht, sind sie mit eigenen Inter110


essen beschäftigt. Sie teilen seine Kleider unter sich und werfen das Los darum, wer das Gewand des Gekreuzigten bekommt. Sie sind so abgebrüht und so mit dem billigen Erwerb einiger Kleidungsstücke beschäftigt, dass die Geschehnisse am Kreuz ihnen völlig entgehen. Ihre kalten Herzen können von dem, was vor ihren Augen in nächster Nähe passiert, nicht berührt werden. Sie verpassen um der wenigen Habseligkeiten willen die große Chance ihres Lebens. Lachend und scherzend feilschen sie um ein paar irdische Textilien, während der Herr Jesus durch seinen Tod auch für sie den Weg ins Paradies frei machen will. Wie furchtbar, wenn Menschen kein Ohr und kein Auge haben für Gottes große Pläne. In diesem sterbenden Christus breitet Gott seine Arme nach den verlorenen Sündern aus – und sie verpassen diesen großen Augenblick ihres Lebens, Jesus in seiner Größe in der tiefsten Erniedrigung zu sehen. Tief wird der Herr Jesus von dieser Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit getroffen gewesen sein. Von dem Beispiel der Soldaten sollten wir lernen. Viele Menschen verschenken um der irdischen Dinge willen ewige Freuden. Geld, Besitz und Ehre spielen in dieser Welt eine große Rolle, aber gefährlich ist es, wenn man sich davon gefangen nehmen lässt. Mancher hat vor lauter Sorgen, Kämpfen, Mühen und Arbeiten für irdische Ziele keine Zeit und Energie, um den wahren Sinn des Lebens zu suchen und zu finden. Wie tragisch, denn für diese ist Jesus umsonst gestorben, weil sie das Kreuz und dessen Sinn nicht wahrgenommen haben. 111


Andere stehen dem, was Jesus getan hat, aus anderen Motiven gleichgültig gegenüber. Sie sind der Lust der Welt verfallen. Das Leben genießen in vollen Zügen und mit allem, was möglich ist – das ist ihr Motto. Genuss ist der Inhalt ihres Daseins. Auch sie will der Herr Jesus erretten von einem solch sinnlosen Leben, das dem Jagen nach Wind gleicht, aber ihre Gleichgültigkeit wird ihnen zum Verhängnis. „Wein, Weib und Gesang“ bringen sie um die größte Chance ihres Lebens. Mutwillig geben sie sich dem hin, wofür der Herr Jesus sterben musste: der Sünde, die das Ergebnis und die Auswirkung eines Lebens ohne Gott ist. Es gibt auch heute noch sehr viele, die sich mehr um die Äußerlichkeiten im Zusammenhang mit Jesus kümmern, als um ihn selbst. Für sie sind seine Kleider wertvoller, als ihn selbst zu besitzen. Als Heiligtümer werden sie aufbewahrt, eingeschlossen und nur bei besonderen Gelegenheiten und zu besonderen Anlässen gezeigt. Was will man damit wohl bezwecken oder erreichen? Was können uns denn die vermeintlichen Kleider Jesu nützen – selbst wenn sie echt wären? Es geht doch um ihn selbst, um seine Person und nicht um seine Kleider. Auch wenn man sie anziehen könnte, es würde uns dem Himmel kein Stück näher bringen. Aber der Mensch hängt sich an Äußerlichkeiten und das, was mit den Augen sichtbar ist. Dabei geht es um unsichtbaren inneren Besitz und darum, Jesus Christus als Person in sein Herz und Leben aufzunehmen. Äußerlich, mit den Sinnen, lässt er sich nicht erfassen. Er will das Herz bewohnen. Wer an ihn 112


glaubt, greift nicht nach seinen Kleidern, sondern nach seiner Person, in der die Errettung Wirklichkeit wird, weil er sie am Kreuz möglich gemacht hat. Seine Kleider oder Teile des Kreuzes – von der Kirche Reliquien genannt – können niemanden retten, sondern nur der Glaube an Jesus und das, was er getan hat: Der Glaube daran, dass Jesus uns allein durch seinen Tod und seine Auferstehung zu Gott führen kann. Es war damals Sitte, dass die Soldaten, die die Kreuzigung durchführten, die Kleider der Hingerichteten bekamen. Somit waren diese römischen Söldner die Erben der wenigen Habseligkeiten des Herrn Jesus. Die wenigen Dinge, die ihm je gehört haben, fielen in fremde Hände. Doch wir wollen ihnen diese Sachen gönnen. Die wirklichen Erben sind die Menschen, die errettet sind, die er erkauft hat mit seinem Blut, das er am Kreuz vergossen hat. Was einem Menschen durch den Glauben geschenkt ist, hat bleibenden ewigen Wert. Es ist mit den Schätzen dieser Welt nicht aufzuwiegen. Lasst uns einige der Dinge betrachten, die uns in Jesus geschenkt sind: Wir haben das echte ewige Leben empfangen: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es im Überfluss haben“ (Johannes 10,10). Wir haben seine Liebe bekommen: „Gleichwie mich der Vater liebt, so liebe ich euch“ (Johannes 15,9). Er hat uns seinen Frieden geschenkt: „Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch“ (Johannes 14,27). 113


Gott schenkt uns in Jesus echte Freude, die uns niemand nehmen kann: „Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude völlig werde“ (Johannes 11,11). Einen Schatz haben wir in seinem Wort, das er uns gegeben hat. Der Herr Jesus betete zum Vater: „Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben“ (Johannes 17,8). An dieser Stelle lesen wir auch, dass wir seine Herrlichkeit besitzen: „Und ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, ihnen gegeben“ (Johannes 17,22). All das sind Dinge, die ewigen Wert haben. Außerdem ist uns ein „unverwesliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil aufbewahrt in den Himmeln“ (1. Petrus 1,4). Wie reich sind wir gemacht in allem! Allezeit können wir uns in Dankbarkeit freuen über das ewige Leben und das, was er uns geschenkt hat. Wir können seine Liebe genießen, Friede und Freude erfüllen uns bei unserer Reise durch diese Welt, in seinem Wort finden wir Stärke und Trost. So erwarten wir seine Herrlichkeit, die wir im Glauben schon anschauen dürfen. Bis wir dieses Ziel erreicht haben, können wir im Gebet unser Herz vor ihm ausschütten. Wir dürfen das Abendmahl feiern, bei dem wir uns an sein Leiden und seinen Tod an unserer Stelle erinnern. So durchschreiten wir, mit der Hoffnung auf den Himmel, die wir im Herzen tragen, dieses Tränental, das wir bald eintauschen werden gegen die himmlische Heimat. 114


Einsam und verlassen hängt Jesus am Kreuz. In seiner tiefen Erniedrigung sieht er zu, wie man seine wenigen Kleidungsstücke verteilt. Noch ehe er gestorben ist, geht sein Besitz in fremde Hände. Dass er nur wenig besitzt, was jetzt angesichts seines Todes erkennbar ist, zeigt seine Armut. Er, der sagen konnte: „Mein ist das Gold und Silber und das Vieh auf tausend Bergen“ (Psalm 50,10), hatte im Leben nichts, wo er sein Haupt hinlegen konnte, und im Sterben hängt er an einem Holzkreuz. Paulus schreibt: „...dass er, obwohl er reich war, um unseretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (2.Korinther 8,9).

Die Beschuldigungsschrift Was aber war denn sein Vergehen? In Matthäus 27,37 lesen wir: „Und sie befestigten über seinem Haupt die Inschrift seiner Schuld: ‚Dies ist Jesus, der König der Juden‘.“ Jedes der vier Evangelien berichtet von der Anklageschrift eine Teilaussage. Setzen wir die vier Berichte zusammen, ergibt sich der Wortlaut: Dieser ist Jesus, der Nazaräer, der König der Juden. In den damaligen drei Weltsprachen, in Griechisch, Latein und Hebräisch wurde die Anklageschrift geschrieben. Jesus von Nazareth, der in Niedrigkeit auf dieser Erde lebte und den man hier hängte, ohne dass man ihn einer Schuld überführen konnte, ist der rechtmäßige König der Juden. Auch wenn man ihn verworfen hat, blei115


ben seine diesbezüglichen Ansprüche bestehen. Sie werden zukünftig aber sichtbar werden. Außerdem sollen alle, die die Beschuldigung lesen, erkennen, wie lächerlich sie eigentlich ist, und dass der „Tatbestand“ nicht ausreicht, um jemanden hinzurichten. Pilatus selbst, der sich der Wahrheit entzogen hat, ist es, der diese Wahrheit schließlich niederschreibt, um sie für alle sichtbar zu machen an dem Ort, wo sie angenagelt ist. Wer glaubt und versteht, warum Jesus sterben musste, bewundert beides: Jesus Christus, der erniedrigt und gedemütigt an diesem Kreuz hängt, ist zu unserer Errettung gekommen. Der König der Juden wird bald auf seinem Thron sitzen und regieren in großer Macht und Herrlichkeit.

Jesus aber in der Mitte Das Kreuz ist aufgerichtet. In unsagbarem Schmerz hängt Jesus zwischen Himmel und Erde. Die Bibel berichtet: „Dann wurden mit ihm zwei Räuber gekreuzigt, einer zur Rechten, der andere zur Linken“ (Matthäus 27,38). Johannes betont in seinem Bericht: „Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte, die auf hebräisch Golgatha heißt. Dort kreuzigten sie ihn, und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte“ (Johannes 19,17-18). Absichtlich hängt man den, an dem keine Schuld gefunden wurde, in die Mitte zwischen zwei 116


Verbrecher. So ist der Mensch. So handelt er an dem, der Gott ist. Aber auch dies war vorausgesagt. In der Gesellschaft dieser Verbrecher ist Jesus schon auf dem Weg zur Richtstätte gewesen. Nun hängt man den Schuldlosen in ihre Mitte, um ihn zu den Übertretern zu zählen. Ja, er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden (Jesaja 53,12). „Und man bestimmte sein Grab bei Gottlosen, aber bei einem Reichen [war er] in seinem Tod“ hatte Jesaja (53,9) schon geschrieben. Gott lässt dem Menschen freie Hand, solange ihr Tun zur Erfüllung seiner Ratschlüsse führt. Aber sobald das Werk vollbracht ist, darf kein Ungläubiger die Hand mehr an Jesus legen. Nach seiner Auferstehung wird er, der hier zwischen den Räubern am Kreuz hängt, nachdem er sein Werk vollbracht hat, in die Mitte der Seinen treten mit dem Gruß: „Friede sei mit euch!“ (Johannes 20,21). Und bald wird er in der Herrlichkeit im Himmel in der Mitte derer, die an ihn glauben und ihm nachgefolgt sind, sich an ihren Lobliedern freuen. Dann ist er das Lamm inmitten des Thrones und der vier lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten. Sie werden ihm die Anbetung bringen, die ihm allein zusteht (Offenbarung 5). Er wird inmitten seiner heiligen Tausenden in seiner Herrlichkeit zum zweiten Mal diese Erde betreten, aber nicht mehr als Lamm, sondern als der Löwe aus dem Stamm Juda, um sein Reich aufzurichten und Gericht auszuüben an allen Gottlosen und Ungläubigen. Wie wird es dann allen Verächtern des Gekreuzigten und allen Lästerern ergehen!? 117


Drei Kreuze Welch eine einzigartige Darstellung: Auf dem Hügel Golgatha stehen drei Kreuze. Wäre das Mittlere leer geblieben, hätte es für die Menschen keine Hoffnung gegeben. Denn jeder von uns hat diesen Platz am Kreuz tausendfach verdient. Das Kreuz ist der Ort, an den wir alle eigentlich gehören, weil der Fluch der Sünde auf uns lastet. Das Gericht über die Sünde, der Tod, müsste uns auf ewig verschlingen, wenn der Herr Jesus dieses Gericht nicht auf sich genommen und damit Gott, der heilig und gerecht ist, zufriedengestellt hätte. Wie groß ist, dass er in seiner Liebe zu uns gekommen ist und einer von uns wurde. Nun hängt er dort und wir dürfen verstehen: Das hast du für mich getan! Wer im Glauben die Rettung in Jesus ergreift, entgeht dem Gericht, weil an Jesus stellvertretend das Urteil vollstreckt worden ist, das über uns verhängt war. Jesus hat die Sünde und ihre Folgen beseitigt.

„Vater, vergib ihnen!“ Von sieben unterschiedlichen Aussagen, die Jesus am Kreuz ausgesprochen hat, lesen wir in den Evangelien. Wir wissen nicht die Reihenfolge, in der sie gesprochen wurden. Wir können annehmen, dass der erste Ausruf lautete: „Vater, 118


vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23,34). Es ist die Antwort Jesu auf all das Grausame, das sein Volk ihm angetan hat. Die Menschen haben ihn nicht nur abgelehnt, sondern auch gehasst, verspottet und geschlagen. Sie haben nicht geruht, bis sie ihn verurteilt und gekreuzigt hatten. Und nun dieses Gebet Jesu als Reaktion auf ihr gewaltsames Handeln. Wer kann das verstehen? Das ist Liebe in ihrer höchsten Form. Kein Ruf nach Rache und Vergeltung, sondern hier wird etwas sichtbar von dem, was wir in Römer 5,20 lesen: „Wo aber das Maß der Sünde voll geworden ist, da ist die Gnade überströmend geworden.“ Vater, vergib ihnen, so setzt sich der Retter für diejenigen ein, deren Strafe er auf sich nimmt. Ihr Tun hätte den Zorn Gottes und sein Gericht verdient, doch der Herr Jesus betet für seine Feinde und nimmt alles auf sich. Der höchste Ausdruck der Liebe ist Vergebung. Wie man ihn auch zugerichtet hat, er sinnt nicht auf Vergeltung, sondern betet um Vergebung. Jeden seiner Feinde hat er mit diesem Gebet gemeint, auch die rohen Soldaten. Damals wie heute kann jede Sünde vergeben werden, wenn sie bereut und vor Gott bekannt wird. Das hat das Opfer Jesu möglich gemacht. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Es ist, als suche der Herr Jesus einen Entschuldigungsgrund. Es ist Unwissenheit, warum das Volk und die Umstehenden so gehandelt haben. Wenn aus dem Volk Israel jemand aus Unwissenheit ohne Vorsatz einen anderen Menschen getötet hatte, so durfte er in eine der bestimmten Zufluchtsstädte fliehen. Dort war 119


er in Sicherheit vor dem Bluträcher und durfte ihm nicht ausgeliefert werden. In den Worten „denn sie wissen nicht, was sie tun“ erstrahlt Gottes Gnade im hellsten Licht. Sie schließt alle ein, die zur Menschheit gehören und umgibt sie mit seiner Liebe. Er wird ihnen auch weiterhin gütig begegnen. Die Gnade kennt keine Grenzen. Darum sagt Gott auch später noch einmal durch den Apostel Petrus: „Und nun, ihr Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, wie auch eure Obersten“ (Apostelgeschichte 3,17). Im ersten Korintherbrief 2,8 nimmt der Apostel Paulus Bezug auf diese geistliche Unwissenheit. Er schreibt: „... Gottes Weisheit, die keiner der Herrscher dieser Weltzeit erkannt hat – denn wenn sie sie erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“ Gott konnte auf Grund dieser Fürbitte des Gekreuzigten in Langmut darauf warten, dass sein Volk zu ihm umkehrt und so die vollkommene Errettung in Anspruch nimmt, die der Sohn Gottes möglich gemacht hat. In Stephanus, einem späteren Zeugen Jesu, der Gottes Gnade erlebt hat, lässt er diesem Volk noch einmal sein ganzes Erbarmen und seine Liebe vorstellen (Apostelgeschichte 7,1-53), die ihren Höhepunkt damit erreicht hatte, dass Gott seinen Sohn auf diese Erde sandte. Doch das Volk steinigt Stephanus, woran wieder einmal sichtbar wird, wie verhärtet ihre Herzen sind. Eine Decke liegt auf ihrem Angesicht bis zu der Stunde, die Gott zur Errichtung der Herrschaft Jesu auf dieser Erde festgelegt hat. Deshalb konnte Stephanus in seinem Gebet für das Volk 120


nicht mehr von Unwissenheit sprechen, sondern er musste ihr abscheuliches Tun als Sünde bezeichnen. Als er unter den Steinwürfen der religiösen Horde zusammenbricht, betet er: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an“ (Apostelgeschichte 7,60). Doch auch das Volk Israel wird noch eine Stunde der Wiedergeburt erleben. Sie werden durch Schauen zum Glauben kommen. Es heißt: „Sie werden den ansehen, welchen sie durchstochen haben“ (Johannes 19,37). Dann kommt die Volksbuße und die Hinkehr zu ihrem Messias, den sie einst in ihrer Verblendung kreuzigten. Welche Gegensätze: Auf der einen Seite Geschrei, Gelächter, Spott, Hass, zankende Kriegsknechte, die ihre armselige Beute teilen, und Uninteressierte, die von ferne unbeteiligt zuschauen. Auf der anderen Seite der betende Retter: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Wer aber ist mit „sie“ gemeint? Nur die Juden? Oder die Römer? Wer sind sie, für die der Herr dies betet? Der Pöbel? Nicht nur! Auch die Angesehenen, die Priester und die Obersten des Volkes. Nicht nur die Gottlosen, sondern auch die Frommen und gesetzestreuen Schriftgelehrten. Und nicht nur die Menschen von damals sind eingeschlossen in dieses Gebet, sondern auch die Menschen von heute. Für alle ist die Vergebung da. So groß die Schuld auch sein mag, die Gnade, die vergibt, ist größer. Wer will diese Liebe verstehen oder begreifen? Wäre es nicht viel verständlicher, wenn der Herr die Nägel aus den Händen gerissen hätte, vom Kreuz gesprungen wäre und ausgerufen hätte: Vater, lass sie dahinfahren, vernichte sie, 121


diese verstockten Sünder. Sie wissen ja nicht, was sie tun, sie sind ganz und gar verhärtet in ihren Herzen, verdorben, verblendet, verloren. Doch solche Worte sind dem Herrn Jesus fremd. Er ruft: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ In gewissem Sinn ist jeder Mensch in Bezug auf die Schwere und Abscheulichkeit der Sünde blind und unwissend. Wie furchtbar sie in den Augen Gottes ist, vermag nur der zu erkennen und in der ganzen Tragweite zu erfassen, der unter der Wirkung des Heiligen Geistes zum Kreuz geeilt ist. Hier, auf der Richtstätte, wo Gott die Sünde an seinem geliebten Sohn richtet, wird uns der ganze Ernst deutlich, mit dem Gott die Sünde ahnden muss. Jeder aber, der seine Sünde bereut und bekennt, seine Schuld einsieht und um Vergebung bittet, empfängt von Gott die Zusicherung: „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen sie weiß werden wie Schnee“ (Jesaja 1,18). Und: „An ihre Sünden und Gesetzlosigkeiten will ich nicht mehr gedenken“ (Hebräer 10,17). Das ist die unbegreifliche Gnade, die in der Vergebung sichtbar wird – die aber ist nur möglich, weil Jesus die Schuld bezahlt hat.

„Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Das zweite Wort Jesu am Kreuz gilt einem Verbrecher. Jesus sagt: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir 122


im Paradies sein“ (Lukas 23,43). Welch ein Retter, der nicht an sich denkt, an seine Leiden, seinen Schmerz, seine Demütigung und seine Schande. Wie er in seinem Leben nur für andere und ihre Not da gewesen ist, bleibt er auch bis zum Ende derselbe, der zuerst und einzig auf die anderen schaut. Galt sein Gebet vorher denen, die ihn hassen und ihm all diese Schmerzen und Leiden zugefügt haben, wendet er sich jetzt in seinem Erbarmen einem der Verbrecher zu, die mit ihm gekreuzigt worden sind. Es muss das Herz Jesu erfreut haben, als in dem Verhalten dieses Schurken neben ihm sichtbar wird, was Jesu Gebet bewirkt hat. Das einsichtige Herz dieses Mannes ist die Antwort Gottes auf die Bitte seines Sohnes. Nur Lukas berichtet uns dieses Gespräch. Matthäus und Markus schreiben, dass beide Räuber den Herrn Jesus gelästert haben. Was mag in dem einen vorgegangen sein, dass er plötzlich solch eine Sinneswandlung zeigt? Vielleicht hat er Jesus beobachtet. Jedenfalls spürt dieser Verbrecher, dass der Mann neben ihm nicht einer von ihnen ist. Er verhält sich nicht so, wie Menschen sich in seiner Lage normalerweise verhalten, und er verhält sich nicht wie ein Verbrecher. Anstatt zu fluchen und über die Henker zu schimpfen, betet er für seine Feinde. Dieses Verhalten des Herrn Jesus zieht den Räuber immer mehr in seinen Bann. Es kann nicht anders sein: Er ist der, für den er sich ausgibt: der Messias, Gottes Sohn. Er fühlt ein tiefes Verlangen. Plötzlich sieht er sich und seinen Kumpan in einem ganz anderen Licht. Er merkt den Unterschied zwi123


schen sich und dem, der neben ihm hängt, dem Mann am Kreuz in der Mitte. Eine Sinnesänderung geht in ihm vor. Und was tut er? Er weist den anderen Verbrecher, mit dem er bisher die größte Gemeinsamkeit hatte, zurecht. Wie eigenartig! Früher hatten sie sich doch immer so gut verstanden. Alles haben sie vielleicht gemeinsam gemacht. Zusammen haben sie die Freuden des Lebens genossen. Gemeinsam Pläne geschmiedet. Gemeinsam Verbrechen geplant und ausgeführt. Gemeinsam standen sie vor Gericht. Gemeinsam wurden sie verurteilt. Gemeinsam gekreuzigt. Nun sind sie auf einmal getrennt. Sie verstehen sich nicht mehr. Das Kreuz Jesu steht zwischen ihnen. Von dieser Stunde an gehen ihre Wege auseinander – für immer, für alle Ewigkeit. Zwei Welten werden sichtbar. Der eine kehrt um von seinem falschen Weg, tut Buße und wendet sich dem Retter zu. Der andere versinkt mit verhärtetem Herzen in ewiger Hoffnungslosigkeit. So steht nun bis heute das Kreuz zwischen den Sündern. Sünder sind wir alle – ausnahmslos. „Denn alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie bei Gott haben sollten“ (Römer 3,23). Zwischen diese Sünder hat nun Gott das Kreuz Jesu gestellt. Es ist die große Scheidung für alle. Die einen werden ihre Schuld erkennen, von ihren falschen Wegen umkehren und durch den Glauben an Jesus Vergebung finden. Die anderen werden sich dagegen auflehnen, Jesus als ihren Retter anzurufen und in ihr Herz aufzunehmen. Sie haben ihr Los gewählt – die ewige 124


Verdammnis. Das kann der Ungebildetste verstehen. Gott kann die Notwendigkeit unserer Erlösung nicht einfacher deutlich machen. Wenn der Mensch auch aus Hass in seiner Blindheit Jesus zwischen die Verbrecher hängt, so kann er Besseres nicht tun, denn das ist Gottes Plan. Dort wollte Jesus aber auch sein – zwischen den Sündern. Denn dazu ist er gekommen, um Sünder zu suchen und ihnen Hoffnung und Rettung zu bringen. Ihnen gehört sein ganzes Herz und seine ganze Liebe. Glücklich kann sich jeder nennen, der das versteht. Der Herr Jesus gehört den Sündern und sorgt sich um das Problem ihrer Schuld und darum, dass es gelöst wird. Alle Frommen und Selbstgerechten stehen hilf- und ratlos vor dem Kreuz und dem Evangelium, denn der Inhalt dieser Botschaft ist Jesus Christus, der Gekreuzigte, der auferstanden ist. Schlimm aber ist es, wenn jemand die große Möglichkeit seiner Errettung verpasst. Der andere Verbrecher hat dies getan. So nahe ist er bei Jesus, und dennoch geht er verloren. Beide Räuber haben das gleiche Vorrecht. Beide sind sie gleich nahe bei Jesus. Der eine nutzt die große Chance, der andere nicht. Jeder von uns hat wohl in seinem Leben eine solche Möglichkeit gehabt, mit dem Herrn Jesus in Verbindung zu kommen. Wie haben wir diese Chance genutzt? Haben wir uns für ihn entschieden? Auch beim Lesen dieser Zeilen geht es um die Entscheidung für oder gegen Jesus. Entweder mit Jesus zur Herrlichkeit oder ohne ihn die ewige Nacht. 125


„Dieser hat nichts Unrechtes getan.“ Was aber die Gnade im Herzen eines Menschen zu tun vermag, zeigen uns die Worte des bußfertigen Mitgekreuzigten. Sie sind für uns Anschauungsunterricht. Auf die lästernden Worte seines Genossen „Bist du der Christus, so rette dich selbst und uns!“ (Lukas 23,39) antwortet er: „Fürchtest auch du Gott nicht, da du doch in dem gleichen Gericht bist?“ (Lukas 23,40). Er glaubte daran, dass mit dem Tod nicht Schluss ist, dass es Vergeltung und ein kommendes Gericht gibt. Seine Furcht und Sorge vor dem Gericht entspringen der Gottesfurcht. Als nächstes sehen wir bei ihm, dass er seine Sünde erkennt; denn nur wer um seine Schuld vor Gott weiß, hat einen Grund, sich davor zu fürchten, Gott zu begegnen. Der Verbrecher ruft: „Und wir [sind] gerechterweise [in diesem Gericht], denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind“ (Lukas 23,41). Er weiß sehr genau um seine Schuld. Er legt tiefe Selbsterkenntnis an den Tag. Er sieht den gewaltigen Unterschied zwischen sich und dem Schuldlosen, der neben ihm hängt. Es ist einer der schwersten Schritte, seine Schuld einzugestehen. Viele Verurteilte beteuern bis zuletzt ihre Unschuld, doch ohne Selbst- und Schulderkenntnis gibt es keine Umkehr, keine Buße und keine Vergebung. Die Ehrlichkeit des Verbrechers, der ungeschönt die Dinge offen legt, muss Jesus erfreut haben. Diesen Mann, der um Gottes Gnade gefleht 126


hat, kann diese Gnade auch erreichen. Der Schuldige stellt sich auf die Seite des Herrn und bezeugt dessen Unschuld: „Dieser hat nichts Unrechtes getan!“ (Lukas 23,41). Was er sagt, heißt so viel wie: Er hängt nicht da, um Selbstverschuldetes zu büßen, nein, er leidet und stirbt für andere, um fremde Schuld zu bezahlen. Das ist der Erlöser, der Retter der Welt. Schließlich bittet er um Gnade. Dieser Verbrecher glaubt nicht nur, dass Jesus unschuldig ist, sondern dass er ihn retten kann und dass er wirklich der König ist, der einmal regieren wird. Deshalb bittet er: „Herr, gedenke an mich, wenn du in deiner Königsherrschaft kommst“ (Lukas 23,42). Glücklicher Mann! Er wendet sich an die richtige Adresse, an den, der die Sünder liebt und der auch für ihn die Strafe erduldet, damit er Frieden finden kann. Der Verbrecher am Kreuz erlebt, was Gott in Psalm 50,15 sagt: „Rufe mich an am Tag der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich ehren!“. Dieser Verbrecher, der aufrichtig umkehrt und seine Schuld bekennt, wird nun ein Wegweiser zur ewigen Rettung; denn er, der verirrt war, findet den Weg zum ewigen Leben. Er, der einst ohne Halt verloren gewesen ist, den die dunklen Leidenschaften mitgerissen hatten und dessen Lebensschiff steuerlos dahingetrieben war, erlebt die Wende seines Lebens, die Vergebung der Schuld und die Rettung von dem ewigen Tod. Herr, denke an mich! Herr, rette mich! Herr, sei mir, dem Sünder, gnädig! Das ist der Ruf, der nie unbeantwortet bleibt. Kaum hat er seine Bitte 127


ausgesprochen, kommt der Zuspruch Jesu, des Erlösers: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lukas 23,43). Das große Wunder der Errettung wird hier sichtbar. Jesus, der Untragbare, der Ausgestoßene öffnet das Tor zum Paradies. Ein Verbrecher geht als Erster hindurch zur Herrlichkeit. Heute – nicht irgendwann einmal – wirst du im Paradies sein; mit mir, mit dem, der für dich bürgt. Eine solch unveränderliche Zusage macht das Herz glücklich und zufrieden. Jeder Mensch kann das erleben. Der Verbrecher am Kreuz nimmt seine Zuflucht nicht zu irgendeinem Menschen, der unter dem Kreuz dem ganzen Geschehen beiwohnt, und bittet ihn um Hilfe. Er wendet sich nicht mit einem Gnadengesuch an seine Henker. Er weiß, dass niemand ihm helfen kann als allein der Sohn Gottes neben ihm am Kreuz, der der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist. Unter den Menschen gibt es auch solche, die angesichts ihrer eigenen Situation nicht mit dem Verbrecher auf eine Stufe gestellt werden wollen. Sie sagen: Was, ich soll mich mit einem solchen gleichstellen? Ich soll wie ein Verbrecher zum Kreuz kommen? Nie und nimmer! Das ist eine Zumutung. Das kann keiner von mir erwarten! So schlecht bin ich doch gar nicht. Es zeigt sich sehr deutlich, dass den Menschen, die so denken und argumentieren, Selbsterkenntnis und Sündenerkenntnis fehlt. Hätten sie erkannt, wer sie wirklich sind, 128


wäre der Hochmut längst von ihnen gewichen. Jede Sünde ist ein Gräuel in Gottes Augen und verdient den Fluch und die ewige Trennung von Gott. Der Mensch stuft Sünden in leichte und schwere Vergehen ein. Aber ist er dazu überhaupt in der Lage? Die Beurteilung steht allein dem zu, der in das Innere des Menschen zu blicken vermag und alle wahren Beweggründe kennt. Sünde ist Sünde, und sie verdient in jedem Fall den Tod. Wie groß aber Gottes vergebende Liebe ist, wird darin am Kreuz sichtbar, wie der Herr Jesus mit dem Verbrecher umgeht. Dieser Mann kommt aus der Finsternis in das Reich des geliebten Sohnes. Diesem einsichtigen Verbrecher gilt der tröstliche und felsenfeste Zuspruch: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lukas 23,43) . Wie ernst jedoch ist das Schicksal derer, die die Rettung ablehnen, wie es der Verbrecher tut, der an dem anderen Kreuz hängt und der seinen Irrtum mit seinem Seelenheil bezahlt. Ihm wie allen anderen, die die Gnade missachten, wird nie wieder ein Hoffnungsschimmer leuchten. „Wie wollen sie entfliehen, wenn sie eine so große Errettung ablehnen?“ (Hebräer 2,3).

Rührende Sorge In der Menschenmenge unter dem Kreuz steht eine kleine Gruppe, auf die der Herr Jesus mit Zufriedenheit blickt. Sie sind eine Freude für sein Herz. Es sind vier mutige Frauen, 129


die zusammen mit dem Jünger Johannes dort stehen. Während der Spott und die Lästerung der verblendeten Menschen der Seele Jesu weiteren Schmerz zufügen, sind sie bereit, mit ihrem verachteten Herrn sein Leid zu teilen. In ihrer Mitte finden wir auch Maria, die Gott auserwählt hatte, die Mutter zu sein über das Fleisch, welches der Sohn Gottes annahm, um uns Menschen in allem gleich zu werden. Sie leidet unsagbare Seelenqualen. Das Wort des greisen Simeon, das er ihr nach der Geburt ihres Sohnes bei dessen Darstellung im Tempel gesagt hatte, erfüllt sich nun: „Aber auch dir selbst wird ein Schwert durch die Seele dringen!“ (Lukas 2,35). In ihrer Mutterliebe fühlt sie die Nägel wie tiefe Wunden in ihrer Seele. Ihr Herz empfindet zutiefst die Lästerungen, die man ausgießt über ihren geliebten Sohn. Ein Dichter schrieb darüber die Verse: Ach, wie war´s der Auserkorenen da sie sah den Eingeborenen wie er mit dem Tode rang. Durch die Seele voller Trauer ganz versenkt in Todesschauer, jetzt das Schwert des Schmerzes drang. An sie, die so schwere Leiden erträgt angesichts der Schmerzen ihres Sohnes, richtet der Herr Jesus das dritte der Worte, die er am Kreuz ausspricht. Johannes berichtet davon: „Als nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger 130


dabei stehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: ‚Frau, siehe, dein Sohn!‘ Darauf spricht er zu dem Jünger: ‚Siehe, deine Mutter!‘ Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Johannes 19,26-27). Es ist das, was Jesus seiner Mutter hinterlässt. Sterbend kümmert er sich um ihre leiblichen Bedürfnisse. Wir müssen annehmen, dass Josef, ihr Mann, bereits verstorben ist. Angesichts dieser Tatsache kümmert Jesus sich um jemanden, der sie nach seinem Tod versorgt. Wie ergreifend zeigt sich immer wieder die Liebe Jesu: Anstatt sich mit sich und seinen Qualen zu beschäftigen, sorgt er sich zuerst darum, dass es den anderen gut geht. Öffentlich nimmt er die Pflicht wahr, die er als Sohn hat, sich um das Wohl seiner Mutter zu kümmern, und erst als er sie versorgt weiß, ist sein Herz beruhigt. Wie aktuell ist dieses Kreuzeswort Jesu, und was es uns zu sagen hat, noch in unseren Tagen. Wie oft werden die alten Eltern übersehen und wie oft in ihrer schwierigen Lage sich selbst überlassen. Dankbare Kinder sind selten geworden. Wer kümmert sich noch um die Eltern, wenn sie alt geworden sind und Hilfe brauchen bei den alltäglichen Notwendigkeiten? Am besten sind sie im Altenheim aufgehoben; dann braucht man nicht auf seine Bequemlichkeit zu verzichten und wird nicht von eigenen Interessen abgehalten. Wer hat dann noch Zeit, sie zu besuchen oder ihnen doch wenigstens einen Brief zu schreiben! Glücklich ist, wer sich um seine Eltern kümmert. Wie man sich gegenüber den Eltern verhalten hat, das wird man auch von seinen eigenen Kindern 131


erleben. Gott sagt dem Menschen: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ (2. Mose 20,12). Es ist das einzige Gebot mit einer Verheißung: „Damit du lange lebst in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt“ (2. Mose 20,12). Johannes hat verstanden, was sein Herr ihm zu sagen hatte: Es war für ihn ein großes Vorrecht, dem Herrn Jesus auf diese Weise noch treu sein und ihm dienen zu dürfen. Wir lesen: „Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Johannes 19,27). Das heißt, er nahm sich ihrer an, er sorgte in Liebe für sie. Und wie bedurfte sie gerade in diesen schweren Stunden einer solchen Stütze! Vielleicht ist sie beim Todesschrei Jesu zusammengebrochen und wurde von dem Jünger von der Richtstätte weggeführt. Wir finden sie nämlich nicht mehr in der Aufzählung der Frauen, die später zusehen, wo Jesus hingelegt wird, und sie ist auch nicht bei denen, die am frühen Morgen nach dem Sabbat zur Grabstätte eilen. Richtstätten sind keine Orte für Frauen, aber dass Maria dort aushält bis zum Letzten, ist ein Beweis, wozu ihre Mutterliebe fähig ist. Wie oft hat auch deine Mutter nächtelang an deinem Bett gewacht und dein kleines glühendes Gesicht gekühlt? Wie viel Schmerz hat sie getragen und wie viel gelitten um deinetwillen, und nun ist sie dir zu viel geworden!? Wohin geht nicht eine Mutter, und was tut sie nicht alles für ihr Kind! Und wie sehr wird diese Liebe oft mit Füßen getreten! So manches Mutterherz ist durch das Verhalten eines Kindes gebrochen. 132


Maria litt, denn der dort am Kreuz hing, war nicht nur ihr Sohn, den sie liebte; er war auch der Sohn, der ihr stets Gehorsam und Achtung entgegengebracht hatte.

Der Höhepunkt seiner Leiden Das vierte Wort, das Jesus am Kreuz spricht, führt uns in die Tiefen, in die nie ein Sterblicher gelangen kann. Es öffnet sich ein Abgrund vor uns, in den wir nicht hinunterzuschauen wagen und vermögen. Der Sündlose, bei dem keine Schuld zu finden ist, übernimmt die Stellvertretung für uns im Gericht. Gott schüttet seinen Zorn aus über unsere Sünden, die Jesus auf sich genommen hat. Kein menschliches Auge soll hier Zeuge sein. Die Sonne verhüllt ihren Glanz, und der Tag wird zur Nacht. Gott hängt gleichsam einen Vorhang über seinen Sohn, der als Bürge nun für uns zahlen muss. Der von den Menschen Verstoßene wird nun auch von Gott in die Finsternis geworfen. Drei Stunden lang schmeckt Jesus das Los eines von Gott Getrennten. Ein Fluch liegt auf ihm. Es erfüllt sich das Wort: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt“ (Galater 3,13). In Markus 15,34 lesen wir: „Und um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme und sprach: [...] Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wer kann diese Not verstehen und Jesu Angst ermessen? Er, der allezeit getan hat, was Gott gefällt, und dem die ganze Liebe des Vaters sicher war zu jeder Zeit, der in einer innigen 133


Gemeinschaft mit seinem Vater im Himmel gelebt hat und allezeit gehorsam gewesen ist, wird nun von Gott geschlagen und bestraft, als hätte er selbst die Sünden der ganzen Menschheit verübt. Drei Stunden lang bekommt er keine Antwort und hängt so in grenzenloser Verlassenheit zwischen Himmel und Erde. Er tat es für dich und für mich. Jemand hat gesagt: Als der Sohn Gottes in die Welt kam, wurde die dunkle Nacht erleuchtet. Aber als er am Kreuz starb, ward der helle Tag zur Nacht. Schon im Voraus hatte Jesus von diesem Ereignis gesprochen: „Jetzt ergeht ein Gericht über diese Welt. Nun wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden; und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Johannes 12,31-32). Er, der Retter der Welt, hat die große Aufgabe übernommen, als das Licht die absolute Finsternis der Hoffnungslosigkeit zu durchbrechen. Über diese Aufgabe lesen wir in Kolosser 2,14-15: „...und er hat die gegen uns gerichtete Schuldschrift ausgelöscht, die durch Satzungen uns entgegenstand, und hat sie aus dem Weg geschafft, indem er sie ans Kreuz heftete. Als er so die Herrschaften und Gewalten entwaffnet hatte, stellte er sie öffentlich an den Pranger und triumphierte über sie an demselben.“ Diesen Sieg und den Triumph über die Finsternis hat der Herr davongetragen. „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Johannes 1,29) ruft der Täufer Johannes. Ja, schau hin, dort hängt er für dich und für mich an unserer Stelle. Hör seinen Ruf, mit dem er sich in Angst an Gott wendet: 134


„Ich liege unter den Toten, bin den Erschlagenen gleich, die im Grab ruhen, an die du nicht mehr gedenkst und die von deiner Hand abgeschnitten sind. Du hast mich in die unterste Grube gelegt, in die Finsternis, in die Tiefen“ (Psalm 88,6-7). Scheu und zurückhaltend stehen wir vor dem, was hier geschieht und was wir nicht verstehen können. Was in der Seele des Herrn Jesus vor sich ging, wird sicher für immer ein Geheimnis und vor uns verborgen bleiben. Die Bibel berichtet kaum etwas über die drei Stunden, die er im Gericht hing. Wie könnte uns auch jemand erklären, dass er seine Seele so dem Tod preisgegeben hat! Mit unserem begrenzten Horizont können wir unmöglich die Not erfassen, die über ihn hereinbricht, als er sein Leben dahin gibt. Vielleicht ahnen wir ein wenig davon, wenn wir seinen Schrei hören: „Um die neunte Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme“ (Matthäus 27,46). In der ganzen Zeit, die er schon gelitten hat, haben wir keinen Schrei von ihm vernommen. Still und stumm ist er seinen Weg gegangen, hat er erduldet, was man ihm angetan hat. Nun bringt der Schrei den Beweis, dass die Zornglut von Gottes gerechtem Gericht ihn getroffen hat. Gott musste ihn verlassen. Gottes Gerechtigkeit forderte es, denn er wurde zur Sünde gemacht, zu dem, was unserer Natur entspricht. In diesem Augenblick musste Gott sich von ihm abwenden und sein Gericht an ihm vollziehen. Doch er ließ es geschehen, damit auf das Warum ein Darum gefunden werden kann – er hat es für uns getan. Gott gefiel es, ihn leiden zu lassen, um uns verschonen zu können. Staunend sehen wir Liebe in ihrer höchsten Form. 135


Mich dürstet In der Hitze des Orients hängt Jesus stundenlang am Kreuz. Was ist schon alles über ihn hereingebrochen! Seit dem letzten Abendmahl mit den Jüngern hat er nichts mehr gegessen und getrunken. Und wie viel ist seitdem mit ihm geschehen! Den Kampf im Gebet im Garten Gethsemane, die langen Verhöre vor dem Synedrium und vor Pilatus und Herodes. Die Geißelung, das Gespött der Soldaten, die Dornenkrone. Das schwere Kreuz hat er auf dem blutigen Rücken getragen. Die Nägel, die ihn am Kreuz halten sollten, haben ihm entsetzliche Wunden zugefügt. Die Hitze der Sonne und das Fieber, das sich einstellt! Hinzu kommen die unsagbaren inneren Qualen. Nun schließlich denkt Jesus an sein Bedürfnis und ruft: „Mich dürstet!“ (Johannes 19,28). Und wie verständlich ist sein Durst in dieser Situation! Er erlebt, wovon wir in Sprüche 17,22 lesen: „Ein betrübtes Gemüt lässt das Gebein verdorren.“ Es ist eingetreten, was über ihn vorausgesagt war: „Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen“ (Psalm 22,16). Der Schöpfer der Quellen der Erde hängt dürstend am Kreuz. Er, der einst einer Frau sagte: „Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten“ (Johannes 4,14), bittet um einen Schluck Wasser. Er, der einst sein Volk Israel mit Wasser aus dem Felsen versorgte, leidet selbst die Qualen des Dur136


stes. Ein letzter Schmerz ist es, den er noch zu durchstehen hat. Dann kommt die Erlösung, indem er sein Leben aufgibt. Doch zuvor muss auch das Letzte erfüllt sein, was über ihn aufgeschrieben ist. Das Letzte, das der Herr so tief empfindet, ist das Wort aus Psalm 69,22: „Und sie gaben mir [...] Essig zu trinken in meinem Durst.“ Wer bringt es fertig, einem Sterbenden den letzten Wunsch abzuschlagen? Wer wird einem solchen nicht einen Schluck Wasser reichen, wenn er darum bittet? Doch dem Herrn, der aus Liebe zu diesen gefallenen Menschen dort am Kreuz hängt, reicht man einen Schwamm mit Essig. Jesus aber sagt ja zu allem, was über ihn vorausgesagt ist, damit er es erfüllt. Zweierlei wird am Kreuz sichtbar: Die größte Liebe, die Jesus am Kreuz festhält und ihn all das durchleben lässt, und der größte Hass des Menschen, der ihm all das zufügt. Aber nicht nur das Verlangen nach einem Schluck Wasser erfüllt das Herz des Herrn Jesus. In diesen Worten liegt auch seine Sehnsucht, sein Dürsten nach Gott und nach der gefallenen Menschheit. Seine tiefste Sehnsucht ist es, Gottes Willen zu tun und all die Verheißungen wahrzumachen, die dieser Wille enthält. Immer hat er daran festgehalten: „Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe“ (Johannes 4,34). Der Wille Gottes und ihn zu tun, war sein Lebensinhalt und seine Freude. Dafür ist er den Weg ans Kreuz gegangen. Nun ist er seit Stunden von Gott getrennt, und sein Herz ist erfüllt in heißem Dürsten nach der Gemeinschaft mit seinem Gott. 137


Seine Worte „Mich dürstet!“ drücken auch seine Sehnsucht aus, dass er, nachdem er seinen Auftrag erfüllt hat, zu Gott zurückkehren kann. Er fühlt sich wie der Psalmist, der in Psalm 43,2-3 ausruft: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ In aller Tiefe durchlebt er auch, wie es weiter heißt: „Meine Tränen sind meine Speise bei Tag und bei Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist [nun] dein Gott?“ (Psalm 42,4). Wer Sehnsucht nach Gott hat, dürstet immer auch nach der Gemeinschaft mit Menschen. Darum ist der Herr Jesus in diese Welt gekommen. Durch seinen Tod am Kreuz soll die Brücke zu Gott geschlagen werden. Einer Frau, die Wasser aus einem Brunnen schöpfte, sagte er einst: „Gib mir zu trinken!“ (Johannes 4,7). Mich verlangt danach, mit dir zusammen zu sein. Gib mir dein Leben, dann erfreust du mein Herz. Du bist arm und leer. Das, wonach du suchst, hast du in der ganzen Welt, in ihrer Lust und ihren Freuden, nicht gefunden. Dein Herz ist leer und unbefriedigt. Du musst immer wieder zu diesem Brunnen kommen und neues Wasser holen, weil es deinen Durst nicht dauerhaft stillt. Ich will dein Herz erfüllen mit Freude, die nicht vergeht, und mit Frieden, der nicht aufhört. Jesus sehnt sich, wie er sich nach Gott sehnt, auch nach uns, nach unserer Hingabe und danach, von uns geliebt zu sein. Haben wir seinen Ruf: „Mich dürstet!“ verstanden? Er ruft uns immer wieder neu 138


zu: Stille meine Sehnsucht; erfreue meine Seele, die so sehr gelitten hat für dich. Du sollst bei mir sein als Lohn dafür, dass ich von meinem Gott getrennt war! Du sollst erleben, was ein Dichter in einem Lied ausgedrückt hat: Ewig soll er mir vor Augen stehen, wie er als ein stilles Lamm, dort so blutig und so bleich zu sehen, hängend an des Kreuzes Stamm. Wie er dürstend rang um meine Seele, dass sie ihm zu seinem Lohn nicht fehle, und dann auch an mich gedacht, als er rief: Es ist vollbracht!

„Es ist vollbracht!“ „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30). Diese erlösenden Worte erschallen vom Kreuz. Und das Echo ist bis heute nicht verhallt. Es durchtönt die Länder und erfasst die Völker. Es überdauert Zeit und Ewigkeit. Es verkündet den Sieg dessen, der in Schwachheit gekreuzigt ist. Alles, was Gott in seiner ewigen Weisheit geplant und erdacht hatte, ist durchgeführt und vollendet. Die Forderungen seiner Gerechtigkeit sind erfüllt, und was sie verlangten, 139


ist beglichen worden. Die Sünde der Vielen ist bezahlt und ihre Schuld aus der Welt geschafft. Der Gegenspieler, der Menschenmörder von Anfang an – Satan – ist besiegt und entwaffnet. Der Weg zu Gott ist frei. Alles, was über den Erlöser und seinen Auftrag vorausgesagt war, ist erfüllt. Es fehlt allein, dass er sein Leben aushaucht. „Es ist vollbracht!“ Das Lamm Gottes hat die Sünde der Welt getragen und ist geschlachtet worden. Das Opfer ist einmal und für alle Zeiten gebracht. Jubel bricht aus im Himmel; Erschrecken, Beben und Zittern erschüttern die Unterwelt. „Es ist vollbracht!“ Alles ist vorbei. Der zerschlagene und zerschundene Leib Jesu wird von den Schmerzen befreit. Geist, Seele und Leib haben unter der schrecklichen Folter unsagbar gelitten. Nun ist alles vorbei. Alles ist wunderbar hinausgeführt zu Gottes Ehre und zum Heil des verlorenen Menschen. Am 6. Tag schuf Gott den Menschen, und am 6. Tag der Woche, als er das 6. Wort am Kreuz ausrief, erlöste er ihn. Das Gericht des göttlichen Zornes ist vorüber. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, zu Gott zu kommen und Vergebung seiner Schuld zu erfahren. Es ist vollbracht! Was Gottes Liebe wollte, was für den Sünder, den verlornen sollte zur Rettung und zum ew´gen Heile sein: das ist vollbracht!

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„Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist“ Die Finsternis ist gewichen, und das Schuldopfer ist am Kreuz erbracht worden. Der Fluch der Sünde, der auf der Menschheit lastete, ist beseitigt. Dem unsagbar gequälten Gottessohn strahlt das Angesicht des Vaters entgegen. Der so lang ersehnte Augenblick ist gekommen, und Jesus darf seinen Geist in die Hände des Vaters übergeben. Dieser 7. Ausruf Jesu am Kreuz zeigt uns in besonderer Art und Weise seine Größe und seine göttliche Macht. Er stirbt nicht den Tod, den wir Menschen sterben müssen, weil die Sünde unserem Leib den Tod bringt. Der Tod hat über Jesus keine Macht. Er kann das Leben dieses schuldlosen reinen Menschen nicht antasten. Hier wird sichtbar, was der Herr Jesus in Johannes 10,17-18 sagt: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir aus. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und habe Vollmacht, es wieder zu nehmen“ (Johannes 10,17-18a). Er ist Herr über Leben und Tod. Davon zeugt auch sein Ausruf in Lukas 23,46a: „Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: ‚Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.‘“ Dieser große Sieger auf Golgatha hat durch seinen Tod dem die Macht genommen, der die Macht des Todes hat. Das ist der Teufel (Hebräer 2,14). Das freiwillige Sterben des 141


Herrn Jesus ist kein leises Wimmern, kein langsames Entfliehen der letzten Lebenskräfte. Auch war es kein stöhnendes langes Dahinsiechen wie bei uns sündigen Menschen, die der Tod als Beute davonschleppt, sondern Jesus stirbt in vollkommenem Besitz seiner Macht, indem er seinen Geist in die Hände des Vaters legt. Er schüttet freiwillig, wissentlich und willentlich sein Leben aus in den Tod, wie es Jesaja vorausgesagt hat: „Doch er wurde um unserer Übertretungen willen durchbohrt, wegen unserer Missetaten zerschlagen; die Strafe lag auf ihm, damit wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt worden“ (Jesaja 53,5). Sein Tod ist vollkommen und heilig. Er opfert sich selbst dem heiligen Gott zu dessen Wohlgefallen und um uns den Weg zu Gott zu ermöglichen. Noch nie ist die Welt Zeuge eines solchen Todes geworden. Bewusst und aus eigener Entscheidung geht der Herr Jesus in den Tod und spricht die Worte: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ (Lukas 23,46). Dieses Wort schrie er. Im Vollbesitz seiner Kräfte übergab er sein Leben und neigte das Haupt, um an unserer Stelle für uns zu sterben. Durch seinen Tod hat er nicht nur dem Teufel die Macht des Todes genommen, sondern auch alle die befreit, die von Todesangst geknechtet durch dieses Leben schreiten. Das ist sein Sieg, der Sieg über den Tod, die Hölle und den Teufel; ein Sieg aber auch für dich, wenn du dich zur Entscheidung für Jesus und damit zu deiner Errettung durchringst! 142


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JESUS

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Stiftung Missionswerk Werner Heukelbach

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Kommen Sie mit und begleiten Sie den Autor, wenn er in seinen ergreifenden Schilderungen Jesus Christus auf seinem Weg ans Kreuz betrachtet, wo er sich für eine verlorene Menschheit völlig hingegeben hat.

Josef Kausemann

Weil nur wenige sich vorstellen können, welche Leiden der Herr Jesus ganz praktisch auf sich genommen hat, herrscht eine große Unkenntnis über das wichtigste Ereignis der Menschheitsgeschichte. In einer Zeit, in der der Opfertod Jesu Christi auch von Theologen immer häufiger in Frage gestellt wird, hat dieses Buch eine ganz besondere Bedeutung und ein noch größeres Gewicht erhalten.

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Jesus Christus, der Sohn Gottes, wurde Mensch. Er war der Einzige, dessen Lebenslauf schon Jahrhunderte vorher bekannt war. Sein Kommen auf diese Erde gehörte zum Plan Gottes, um uns Menschen vor dem ewigen Verlorensein zu retten. Doch sein Weg führte ihn zum Kreuz von Golgatha. Im vorliegenden Buch folgt der Autor den Spuren des Herrn auf diesem schweren Weg.

Josef Kausemann


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