Steirische Wirtschaft, Ausgabe 3

Page 4

Nr. 3 · 27. Jänner 2012

4 · Steirische Wirtschaft

Thema

Triple-A-Entzug: Rating-Boss „Standard & Poor’s“-Chef Torsten Hinrichs spricht im Exklusivinterview über die Gründe für Österreichs Her­ abstufung und wie er mit der heftigen Kritik umgeht.

falt zu einem gewissen Grad ge­ geben ist. Die unterschiedlichen Ratings zeigen auch, dass wir un­ sere eigenen zugrunde legen bzw. zu anderen Interpretationen von Ratingfaktoren kommen können als Mitbewerber.

Interview: Mario Lugger mario.lugger@wkstmk.at

Was kann Deutschland, was Resteuropa nicht kann? Hinrichs: Um nur zwei wesentliche Aspekte zu nennen: Deutschland hat gezeigt, dass es finanziel­ le Herausforderungen sehr gut meistern kann – wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die Wiedervereinigung vor über 20 Jahren oder auf die Rezession Anfang dieses Jahrzehnts. Nach unserer Meinung hat Deutschland eine moderne, stark diversifizierte und vor allem wettbewerbsfähige Wirtschaft. Bestes Beispiel hierfür ist die Entwicklung der Lohnstück­ kosten. Darüber hinaus haben die Regierungen einen Track-Record fiskalischer Disziplin und ange­ messener Ausgabenpolitik auf­ gebaut. Diese Faktoren sind aus unserer Sicht geeignet, Belastun­ gen etwa von Seiten der Eurozone derart zu verkraften, dass Deutsch­ lands künftige Zahlungsfähigkeit zur Bedienung seiner Kapital­ marktschulden unvermindert ist.

Welche Gründe waren hauptausschlaggebend für die Herabstufung Österreichs? Hinrichs: Wir haben das Kredit­ rating für Österreich von AAA auf das zweithöchste von 22 Ra­ tings, nämlich AA+, herabgestuft. Diese Änderung reflektiert unsere Meinung, dass die Ergebnisse des EU-Gipfels vom 9. Dezember 2011 nicht umfangreich und weitgehend genug waren, um die Finanzprobleme der Eurozone zu adressieren. Wir glauben weiter­ hin, dass die Beschlüsse nur einen Teil der Problematik behandeln, nämlich die Schuldenproblema­ tik in der südlichen Peripherie der EU. Unserer Meinung nach wird der zweite Problemkomplex, die wachsenden Außenhandels­ ungleichgewichte und das Ausei­ nanderdriften der Wettbewerbs­ fähigkeit der Volkswirtschaften, nicht adressiert. Österreich ist eng eingebunden in die europä­ ische Politik. Deren Effektivität, Stabilität und Vorhersagbarkeit ist unserer Meinung nach nicht so stark, wie es angesichts einer sich ausweitenden und vertiefenden Finanzkrise erforderlich wäre. Zur Erreichung vieler Haushaltsziele in Österreich ist Voraussetzung, dass sich das Umfeld in der Euro­ zone nicht verschlechtert. Außer­ dem könnten die österreichischen Bankbilanzen unter negativen Entwicklungen leiden, was sich wiederum auf die Bonität des Zentralstaats auswirken könnte.

Torsten Hinrichs ist Niederlassungsleiter von Standard & Poor’s (S&P) in Frankfurt, verantwortlich für den deutschsprachigen Raum, Nordund Osteuropa sowie Schwellenländer. Foto: Standard & Poor’s Die Steiermark wurde von S&P zuletzt mit „AA+“ geratet. Wie beurteilen Sie den Standort? Hinrichs: Generell sehen wir Ös­ terreichs Wirtschaft und damit auch die der Steiermark als wohlhabend, diversifiziert und in hohem Maße wettbewerbsfähig an. Dies spiegelt sich in dem zweithöchsten Rating, das wir vergeben können. Gleichzeitig verfolgt die Steiermark einen aus unserer Sicht recht ambitionier­ ten Konsolidierungsprozess.

sere Ratingentscheidungen dann, wenn wir genügend Gewissheit gefunden haben, um Ratings zu ändern. Diese zeitgerechten Veröf­ fentlichungen, meistens als erste unter den Agenturen, stärken unseren Ruf. Unsere Herabstu­ fungen des Ratings der USA im August 2011 und von Ländern der Eurozone im Januar 2012 haben sicherlich Beachtung gefunden. Die öffentliche Wahrnehmung in anderen Bereichen, wie etwa Un­ ternehmensratings, ist allerdings deutlich geringer.

S&P genießt den Ruf als strengste Ratingagentur der Welt. Ist das gerechtfertigt? Hinrichs: Ratings sind krite­ riengetrieben. Unsere Kriterien sind streng, aber beinhalten jene wichtigen Elemente, die unserer Meinung nach die Kreditwür­ digkeit am meisten beeinflussen. Außerdem veröffentlichen wir un­

Warum kommen die anderen großen Agenturen (Fitch, Moody’s) zu einem für Österreich weitaus besseren Ergebnis als S&P? Hinrichs: Dies zeigt sehr deutlich die unabhängige Vorgehensweise der Ratingagenturen. Es ist unbe­ stritten und gesamtwirtschaftlich sinnvoll, dass eine Meinungsviel­

Viele Politiker, aber auch namhafte Wirtschaftsexperten geben den Ratingagenturen zumindest eine Mitschuld an der derzeitigen ­Euro-Krise und den Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Was sagen Sie dazu? Hinrichs: Wir denken, dass hier Ursache und Wirkung verwech­ selt werden. Wir sehen uns als Beobachter von wirtschaftlichen Entwicklungen und geben eine Einschätzung hinsichtlich der zukünftigen Zahlungsfähigkeit ab. Dabei nennen wir so manche


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.