ZIVILCOLLAGE

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Zivilcollagen

RAINER ARING HEINZ BLESER LICHTFAKTOR

David L端pschen|Marcel Panne|Jens Heinen

MICHAEL HOOYMANN R.J.KIRSCH MICHAEL SCHULZ WOLFGANG VOLLMER


Zivilcollagen ZIVILE COLLAGEN ? Eine mögliche Lesart des assoziativen, titelgebenden Wortspiels ist der Verweis auf substituierende Ausdrucksmittel zwischen Kunst und Leben. Oder aber couragiertes, zeitgenössisches Ausloten ästhetischer Möglichkeiten der Collage, Montage und Assemblage. Mit weitgespanntem definitorischen Rahmen. Überschreitungsgesten inklusive. Seit ihren Anfängen (Georges Braque wird die erste Papiercollage zugeschrieben um 1912, die Fotomontage Hannah Höch und anderen ab 1914) haftet der Collage eine schnelle, spontane Reaktionsmöglichkeit zur visuellen Adaption zeitbezogener Diskurse an. „Heute stehen dem „Collageur“ gigantisches Bildmaterial und Bildarchive zur Verfügung. Seine Kunst besteht vor allem in der Rekontextualisierung. Und... in den Radikalcollagen der Gegenwartskunst verabschiedet sich eine beschleunigte Kultur vom Wunderkind, das im stillen Kämmerlein aus sich selbst heraus schöpft.“ (Gilles Deleuze, „Mille Plateaus“, Merve-Verlag, 2001)

Geklebte, gestückelte und fragmentierte Materialitäten und „Lautmalereien“ als Prinzip visueller Aneignung sind weitestgehend Konsens. Einzig noch übertroffen durch die ausufernde „Collage Internet“, welche die gegenwärtige Bilderflut zum alltäglichen


„Tsunami“ hochtreibt. Schon Franz Beckenbauer, ein begnadeter Collagist, fasste die Schwierigkeiten linearer Wahrnehmung in die verblüffende Erkenntnis: „ Platon, Aristoteles, Sokrates, alles schön und gut, ... aber wo steht denn der griechische Fußball heute?” (Interview in BILD zur Situation beim Ex -Europameister Griechenland, 9/2008)

AUF STIL FOLGT BRUCH ! Womit Dada ins Spiel kommt. Spätestens seit Dada die Kategorie des Authentischen in der Kunst ausgehebelt und als historischen Zinnober verworfen hat, wird Vorgefundenes, Angeeignetes oder Abgekupfertes an & abgerissen, überklebt & „untermalt“ was Pattex oder UHU hergeben. Helene Hegemann, derzeit heftig diskutierte „Jungliteratin“ unterfütterte ihren „Montageroman“ mit dem Ausspruch, „Die Collagetechnik betreibt die Ablösung vom Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation.“ Im privaten Kontext, zu Hause im kuscheligen „Patchworkfamilienverbund“ wird oftmals unermüdlich an der „Lebenscollage“ gebastelt und sich darüber multimedial ausgetauscht. Das Zusammensetzen disparatester Alltagsrealitäten gehört längst zum zivilisatorischen „Marschgepäck“, mit dem wir unterwegs sind. In diesem Rahmen ist der Künstler per se immer „auf Montage“ und schlägt dabei gelegentlich mehr oder weniger kräftig über die ästhetischen Stränge. Harald Bosse


Rainer Aring | Kleine Hausgeister


Portable Ghosts

Kohlezeichnungen テ僕 auf Papier/Collagen, 20 x 30cm,



Wandinstallation: Kohlezeichnungen auf Papier/Collagen/Blümchentapete Gesamtformat ca. 5 x 3 m

Kleine Hausgeister ...Sie kommen nachts. Schemenhaft, flüchtig, schwebend zwischen Tür und Angel starren sie mich an. „Kommt näher, erschreckt mich, aber macht die Tür hinter euch zu!“ Sie lassen sich nicht lange bitten, neugierig wie sie sind. Hier im kuscheligen Wohnzimmerambiente fühlen sie sich wohl. Gerahmt und gezähmt, zur Wandware domestiziert werden meine Albträume erträglich.


Heinz Bleser | Reflexion


Siebdrucke, je 102 x72 cm, 2010




LICHTFAKTOR

David Lüpschen|Marcel Panne|Jens Heinen

LICHTFAKTOR nutzt das Licht, um ihrer Kreativität Ausdruck zu verleihen. Sie erzeugen mittels diverser Lichtquellen Fotos und Videos in nächtlichen Städten. Das Kölner Künstlerkollektiv, bestehend aus VJ $ehvermögen (Marcel Panne), Visionlabz (Jens Heinen) und JIAR (David Lüpschen) experimentiert mit den Möglichkeiten, die sich aus Langzeitbelichtung, Stop-Motion Film und Malerei ergeben. Alles, was sie zur Erstellung ihrer Bilder brauchen, ist eine Fotokamera (mit einer Belichtungszeit von mindestens 10 sec.) auf einem Stativ und ein paar Taschenlampen. Das Laufen lernen die Bilder bei LICHTFAKTOR mit der wohl ältesten Technik des Films, der Einzelbildanimation. Hierfür werden Fotos in Serie geschossen, es reichen schon acht Fotos pro Sekunde, um einen Gegenstand in Bewegung zu setzen. Weder die Langzeitbelichtung noch der Stop-Motion-Film sind etwas Neues, doch haben gerade diese einfachen Techniken auch heute noch ihren ganz besonderen Charme. In einer Zeit, in der man nicht mehr in der Lage ist, ein computer-generiertes Bild von einem analogen Bild zu unterscheiden, manipulieren sie ihre Fotos, indem sie während der Belichtung mit diversen Lichtquellen, unter Einbeziehung des gesamten Raumes, in ihnen zeichnen. Für den Betrachter werden diese Zeichnungen erst durch die Langzeitbelichtung sichtbar. Nicht zuletzt durch das Licht, welches eine besondere Wirkung auf den Betrachter ausübt, begeistern ihre Filme auch durch die Graffiti-Ästhetik und die Atmosphäre nächtlicher Städte. Immer mit dabei ist auch eine gesunde Prise Humor: So sind schon in London Mülltonnen zu Robotern geworden, die sich von Telefonzelle zu Telefonzelle gebeamt haben oder auch eine überdimensionale Raupe,die sich durch eine ganze Stadt frisst. Der Faszination für Malen mit Licht (lightwriting) können sich LICHTFAKTOR gewiss sein, wie durch tausende Kommentare, Millionen Klicks bei ihren Filmen, weltweiten Auftragsarbeiten und nicht zuletzt einer ganzen Bewegung auf Seiten wie Flickr, Youtube, Myspace bestätigen.





Michael Hooymann

... fit für den Nacktscanner. Leonardo da Vinci’s Renaissanceideal des menschlichen Körpers als Maß aller Dinge, als „Goldener Schnitt“ im humanistischen Weltbild der Neuzeit, scheint im misstrauischen, überwachungsstaatlichen Blick auf den Körper ihr vorläufiges Ende gefunden zu haben. Nicht mehr Ideal sondern Symptom, nicht so sehr Mittelpunkt, vielmehr Randerscheinung vielfältiger Macht- und Kontrollstrategien. Der Begriff der „Biomacht“ (M.Foucault) könnte im Nacktscanner seine treffende Entsprechung und visuelle Präsens gefunden haben. Der nackte Körper, für den Impressionisten Eduard Manet noch der „Leuchtstern allen schöpferischen Schaffens“ mutiert unter dem kalten Kontrollblick der Scannerschranken zum disziplinierten (Ausspäh) Objekt jenseits aller sinnlichen und erotischen Bezüge. Hieran anknüpfend versucht Michael Hooymann einen solchen Transformationsprozess, mit ihren „pittoresken“ Facetten zu verdeutlichen und in eigene ästhetische Bezüge einzubinden. Rainer Aring





R.J.Kirsch | Reanimation

Kirschs zentrales Thema ist die Technik und deren Störung, bzw. die Aufhebung von Störung und Zerstörung in einen Schwebezustand. Bereits in den neunziger Jahren führt dies zur einer Montage von Fragmenten, Schrottteilen technischer Apparaturen, die sich in kugelartigen Objekten verdichten. Aus dieser Erfahrung heraus wendet er sich wieder intensiver der Zeichnung und der Malerei zu. Nun gilt das Interesse weniger der Inszenierung des Fragmentarischen, vielmehr geht er in studienartigen Sequenzen den real existierenden Brüchen nach. In der Serie „Rhythmus der Statistik” verfolgt Kirsch die dokumentarische Durchdringung des Themas. In einem katalogisierenden Panorama malt er seit 2002 in kleinformatigen Ölskizzen authentische Unfallereignisse von Flugzeugen, Schiffen und Fahrzeugen und begreift diese Arbeit als eine Verbindung von Stillleben und Historiengemälde. Vorlagen für seine Arbeit stammen in der Regel aus der aktuellen Berichterstattung, Fundstücke, die wie ready-mades aus dem medialen Bilderstrom herausdestilliert werden. In großformatigen Tableaus und Rauminszenierungen verdichten sich seine Gemälde zu Blöcken und beschwören dabei eine virtuelle Gleichzeitigkeit der Ereignisse. In seinen „Collisions” nun schieben sich Versatzstücke dieser Arbeiten auf einer weiteren Ebene ineinander und schaffen einen autonomen Bildraum.


Requisit #3, verschiedene Materialien, HeiĂ&#x;kleber, div. Materialien, 1999



links: Rhythmus der Statistik, テ僕 auf Holz, je 25 x35 cm, 2002-2007 unten: Collision #8, 130 x 170cm, テ僕, Acryl auf Leinwand, 2008


Michael Schulz





Wolfgang Vollmer | Kampfpause Die eigene Überzeugung mutig zu vertreten, verkommt häufig zur bloßen Geste. Der Akt, die eigene Meinung öffentlich kundzutun, wird eher vom Wunsch nach Zustimmung als nach Veränderung geleitet. So wird die ursprünglich hehre Haltung, seine Meinung öffentlich zu machen - und damit der Protest gegen das Stillhalten – nur noch drei kleinen Äffchen überlassen. Es lassen sich weltweit die unterschiedlichsten Skulpturen finden: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Die populäre Darstellung umfassender Verweigerung in Form der drei Affen zeigt, dass die Forderung nach ziviler Courage nur noch als Banalität begriffen wird. Das hochgehaltene Protestplakat dagegen widerspricht, entrüstet sich, erhebt Einspruch, interveniert und demonstriert den Mut einer eigenen Überzeugung. Zeigt es die Haltung des Protestlers? (Ich will nichts hören, nichts sehen und nichts sagen) Oder fordert es die anderen auf, endlich Courage zu zeigen und sich nicht mehr zu verstecken? Oder halten wir es wie die Buddhisten und beziehen uns auf die ursprüngliche Interpretation der drei Affen: Wir sehen nichts Böses, hören nichts Böses und sagen nichts Böses? Denn die drei Affen sind weniger bedrohlich als schmeichelnd, weniger aggressiv als entschuldigend. Vergrößert dargestellt, wird ihre sichtbare Zurückhaltung für uns aber zur Mahnung! Die drei Affen sind zunächst die Darstellung einer Negation, verharmlosen dann die Verweigerung Stellung zu beziehen in der Verniedlichung und werden nun durch Blow-up zur Aufforderung - ein aus vielen Elementen collagierter Wertewandel. Der Affe hat allgemein die Rolle des sich nicht selbst begreifenden Menschen inne. Die Installation Kampfpause zeigt den suchenden, mit sich und seinen Bedingungen ringenden Menschen.





Rainer Aring Geboren 1945 in Bremen, lebt in Köln Studium Folkwangschule in Essen (Freie Grafik) Studium an der Düsseldorfer Akademie (Klasse Beuys) Studium an der Universität zu Köln (Soziologie) Bekennender „Dadaist“ mit zahlreichen Ausstellungen im In-und Ausland > www.raineraring.de Heinz Bleser Geboren1966 in Köln, lebt in Köln 1981-84 Ausbildung zum Beton- u. Stahlbetonbauer 1990-92 Ausbildung zum Bürokaufmann 2007-10 Studium an der Akademie der Bildenden Künste Maastricht seit 1992 Ausstellungen und Performances in Köln, Mainz, Berlin, Karlsruhe und Helsinki 1994 Diskussion im Sumpf der Kunst 1996 Gründung, Kunstraum Core 1998 Mitglied Ultimate-Akademie 2004 Atelier K-O-M-P-L-E-X > www.rewindgarde.de Michael Hooymann Geboren 1957 in Alpen/Niederrhein, lebt in Köln Studium der Freien Kunst/Photographie in Köln Meisterschüler > www.michaelhooymann.de R.J.Kirsch Geboren 1959 in Kirchen/Sieg, lebt in Köln Studium der Malerei an den Kölner Werkschulen bei Prof. Franz Dank Ausstellungen u.a.: 2010 „LEERLAUF“, mit Max Scholz, Bellevuesaal, Wiesbaden 2009 „REANIMATION“, Galerie Jürgen Kalthoff, Essen 2007 MACO, Mexico City, Abel Neue Kunst 2007 Bridge Art Fair, Miami, Galerie Jürgen Kalthoff, Essen 2006 preview 2006, Abel Neue Kunst, Berlin 2006 Rhythmus der Statistik, Galerie Rachel Haferkamp, Köln 2003 MIKROKOSMOS, Art Galerie 7, Köln 2002 nominiert für das Villa Aurora Stipendium 1999 „PHANTOM“, Museum Albstadt > www.r-j-kirsch.de


LICHTFAKTOR David Lüpschen|Marcel Panne|Jens Heinen 2008 Ars.Electronica Linz, Österreich 2008 Art.fair Köln, Deutschland 2008 “Group Soup” Exhibition Kapstadt, Süd-Afrika 2009 Lunchmeat, Prag 2009 Sound:frame, Wien, Österreich > www.lichtfaktor.de Michael Schulz Geboren 1962 in Bensberg, lebt in Köln Einzelausstellungen 1989 Girgis & Klym Gallery, Melbourne, Australien 1994 „aura obscura“, Galerie 68e1f, Köln 1996 „Auszeichnungen“, Galerie Fiebach & Minninger, Köln 1997 „crocus“, Galerie Fiebach&Minninger, Köln 2001 „revisum“, Projektraum 103, Köln 2008 „spoils of victory“, glanzundgloria, Köln

Wolfgang Vollmer Geboren 1952 in Marburg/Lahn, lebt in Köln Studium der Künstlerischen Fotografie an der FHS Köln, Meisterschüler arbeitet als Autor, Kurator, Fotograf Dozent für Fotografie an versch. Hochschulen seit 1985 Ausstellungen in Deutschland und Europa Veröffentlichungen (Auswahl): Meisterwerke der Fotokunst - Sammlung Tillmann und Vollmer, Köln 1984 Köln 1970/1995, Fotografien von Chargesheimer und W. Vollmer, Köln 1996 Eine Novelle der Fotografie, Köln 2007

Dieser Katalog erscheint in einer Auflage von 500 Exemplaren anlässlich der Aussstellung Zivilcollage im BBK Köln Frankenwerft 35 50667 Köln Juni/Juli 2010 > www..expimat.de/zivilcollage > www.bbk-koeln.de



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