Impuls Juni / Juli 2015

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Staatstheater

: Berufsbild Inspizient

THE SHOW MUST GO ON! Die Schauspiel-Inspizienten Tommy Egger und Bernd Schramm über ihre Profession zwischen Kunst und Technik Auf der Bühne sind sie selbst nie zu sehen, ihr Arbeitsplatz ist das große schwarze Pult im Dunkel der Seitenbühne – und doch gibt es ohne sie keine Vorstellung. Aber zu hören sind sie: die SchauspielInspizienten Tommy Egger und Bernd Schramm rufen vor und während der Vorstellung die Schauspieler zu ihren Auftritten, geben per Durchsagen, Signalleuchten oder Handzeichen alle Einsätze für Lichtwechsel und Bühnenfahrten, das Abspielen von Toneffekten oder das Zünden von Pyrotechnik – und halten damit alle Abteilungen auf Trab. Kurzum: Sie sind die Hauptkoordinatoren während jeder Aufführung und verantwortlich für deren reibungslosen Ablauf. Weil der Inspizient gemeinsam mit dem Bühnenmeister darüber hinaus auch für die Sicherheit aller Beteiligten verantwortlich ist und als „Hilfskraft“ des Regisseurs über die künstlerische Qualität der einzelnen Aufführung wacht, ist dies eine überaus anspruchsvolle Aufgabe, die tiefes Verständnis des gesamten Bühnenbetriebs ebenso erfordert wie Konzentration, Durchsetzungsstärke und Gelassenheit. Denn gerät der Inspizient aus dem Takt, bedeutet das unter Umständen auch Chaos auf der Bühne. Um für alle Unwägbarkeiten gewappnet zu sein, beginnt der abendliche Dienst für Egger und Schramm bereits rechtzeitig vor der Vorstellung mit dem Einrichten des Inspizientenpults und der sorgfältigen Überprüfung der Bühne. Ein wichtiges Ritual, denn vor dem Einlass muss sicher sein, dass alles auf Anfang steht, alle Licht- und Tonsignale richtig und noch die kleinsten Requisiten an ihrem Platz sind. Verlässlich ruft dann wenig später die vertraute Stimme des Inspizienten aus dem Lautsprecher alle Schauspieler zum Aufbruch: „Einen schönen guten Abend, meine Damen und Herren im Schauspielhaus. Es ist 19 Uhr, dies ist das erste Zeichen. Noch dreißig Minuten bis zum Vorstellungsbeginn.“ Auch den Einlass der Zuschauer, die sich unterdessen in den Foyers des Hauses eingefunden haben, koordinieren Schramm und Egger mit dem dreimaligen In-Gang-Setzen des Einlassgongs von ihrem Pult aus. Wenn sie sich schließlich vergewissert haben, dass alle am ersten Bild beteiligten Künstler

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und technischen Abteilungen bereit und auf Position sind, geben sie das Signal zum Beginn. Nervenstärke und Feuerproben Während der Aufführung ist Konzentration das oberste Gebot, denn dann ist Multitasking gefragt. Gilt es doch, zugleich das Geschehen auf der Bühne und den Bildschirm vor sich im Blick zu behalten, innerhalb von Sekunden mit der rechten Hand den einen, mit der linken Hand einen anderen Einsatz, sogenannte „Cues“, an die Kollegen der Requisite oder der Bühnentechnik zu geben und zeitgleich vielleicht noch einem Darsteller das Auftrittszeichen zu weisen. Mit zunehmender Erfahrung im Beruf wächst glücklicherweise auch die Nervenstärke: „Die erste Premiere, die ich selbständig hier am Haus übernommen habe“, erinnert sich Tommy Egger schmunzelnd, „war ,Der Gott des Gemetzels‘. Ich war furchtbar aufgeregt. Heute muss ich über mich selbst lächeln, denn es ist ein ziemlich ruhiger Abend. Eine Feuertaufe dagegen war die ,Rocky Horror Show‘ – mit über 500 Zeichen und 165 Lichtwechseln, bei denen nichts schief gehen durfte. Danach aber wusste ich, dass ich das kann. Ein wenig Lampenfieber gibt es immer, aber das brauche ich auch.“ Wichtigstes Instrument, um all die zahllosen Zeichen im Griff zu behalten, ist das Buch der Inspizienten. Darin werden penibel alle vom Regisseur gegebenen Anweisungen zu Auftritten, Umzügen oder Lichtwechseln notiert, kurze Notizen oder kleine Symbole erinnern daran, wann welche Einsätze erforderlich sind. Doch auch bei der besten Vorbereitung ist der Inspizient jeden Abend aufs Neue gefordert, hellwach zu sein und spontan zu handeln. Denn keine Aufführung läuft exakt gleich ab, am Pult muss auf Nuancen im Spiel reagiert werden, wenn etwa ein Ablauf schneller oder langsamer als üblich über die Bühne geht oder sich unvorhersehbare Zwischenfälle ereignen – immer sind Egger und Schramm sofort gefragt. „Wir sind die ersten Ansprechpartner für alle erdenklichen Sorgen und Probleme, die an einem Abend auftreten können. Wenn ein Schauspieler sich auf der Bühne den Finger verstaucht, müssen wir sofort nach einer Lösung


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