COMPETENCE - Risiko - zwischen Schutz und Chance

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te ich eine eher einseitige Betrachtungsweise, was vielleicht auch mit meinem Alter zu tun hatte. An der HWV habe ich in allen Disziplinen des General Management eine ganzheitliche Sicht erworben. Diese Sichtweise habe ich mir erhalten. Ich habe mich nicht weiter spezialisiert, denn das Interdisziplinäre fasziniert mich noch heute. Sie waren im Baumwollhandel tätig, haben nach dem Studium aber das Möbelunternehmen Zingg-Lamprecht von Ihren Eltern übernommen. Spielt es für Manager überhaupt eine Rolle, womit man geschäftet? Beides sind letztlich Handelsgeschäfte. Dazu gehört ein gewisses «Handelsgen». Abgesehen davon sind es zwei komplett unterschiedliche Geschäfte. Baumwollhandel ist Weltpolitik. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war das Rohstoffunternehmen, in dem ich arbeitete, massgeblich an den Verhandlungen zum wirtschaftlichen Aufbau der GUS-Staaten beteiligt. Mit 21 habe ich mit dem stellvertretenden Aussenminister der Sowjetunion verhandelt. Im Vergleich dazu ist die Tätigkeit in einem mittelständischen Schweizer Unternehmen eine ganz andere Welt. Das Familienunternehmen ist Ihnen quasi in den Schoss gelegt worden. Selbst etwas aufzubauen, hätte grössere Risiken erfordert. Die Zingg-Lamprecht AG ist ein 120 Jahre altes Traditions­ unternehmen, das nicht immer in unserem Familienbesitz war. Ich hatte das Privileg, diese «alte Dame» umherzuführen. Das ist natürlich ein himmelweiter Unterschied zu einem Startup. Natürlich muss man bei etablierten Unternehmen weniger Risiken eingehen, andererseits hat man eine höhere Verantwortung. Traditionsunternehmen sind glaubwürdiger in Bezug auf ihre Qualität – es wird aber auch viel erwartet. Wenn ein Markenname wie beispielsweise Stewi zum Synonym für ein Alltagsprodukt wird, kann man sich gar nicht vorstellen, dass eine solche Firma verschwindet. Innovation ist also gefragt. Obwohl die Schweiz regelmässig als Innovationsweltmeister gelobt wird, gelten die Schweizer als risikoavers. Dass wir Schweizer Innovation an der Anzahl Patente messen, ist genau Ausdruck dieser risikoaversen Kultur. Innovation sollte man an ihrer Geschwindigkeit messen und nicht an den Schutzmöglichkeiten. Die «Time to Market» ist in der Schweiz einfach zu lange. Fehlt uns der Mut zum Scheitern? Immer wieder aufzustehen und es weiter zu versuchen,

«Im Sport wie im Business kennt man seine Grenzen erst, wenn man sie einmal überschritten hat», sagt Yves von Ballmoos.

widerspricht der Patentmentalität. Da hat die Schweiz noch viel aufzuholen, es tut sich aber auch viel. Ich kenne viele junge Unternehmen, die mit ihren Prototypen mutig auf die Leute zugehen und Feedbacks einholen. Wie finden Startups das erste Geld? Zuerst kommen «Friends and Fools», dann «Business Angels». Ein halbe bis eine ganze Million ist rasch zusammen. Die erste Finanzierungsrunde danach ist der Knackpunkt. Ich kenne viele «Business Angels», die bereit sind, 10 000 bis 100 000 Franken pro Startup zu investieren. Sie sind oft in Netzwerken zusammengeschlossen und arbeiten mit Hochschulen zusammen, um Ideen zu fördern. Das funktioniert immer besser, ich sehe aber noch Verbesserungspotential beim Know-how-Transfer. Wenn Hochschulen Infrastruktur und Coaching zur Verfügung stellen und den Kontakt zu Investoren herstellen, schaffen die Startups den Rest von selbst. Über eine Beteiligung könnten sich die Hochschulen auch refinanzieren. In den USA funktioniert das schon ganz gut – bei den ETH Lausanne und Zürich auch.

COMPETENCE | 2016

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