WIG Newsletter 1 / 2015 Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie Von der Wirksamkeit zur Wirtschaftlichkeit. Crossing Borders.
NEWS & VIEWS
FOKUS
EDITORIAL
Das BWL-Team des WIG
WO BLEIBT DER FREIRAUM IN DER
Entscheidungen durch
erweitert seine Kompe-
«GESUNDHEIT2020»?
Algorithmen in der Medizin
tenzschwerpunkte
Im Januar 2013 hat der Bundesrat die Gesamtschau
Können computergestützte Algorithmen
«Gesundheit2020» als übergeordnetes Programm mit
menschliche Entscheidungsfindung in
insgesamt 36 Massnahmen in allen Bereichen des Ge
der Medizin und anderswo ersetzen?
Das BWL-Team des WIG bietet Forschungs- und Beratungsleistungen für Spitäler, Rehakliniken, Krankenversicherungen und Alters-/Pflegeeinrichtungen in den Bereichen Lean
sundheitssystems verabschiedet. Inzwischen dient die Strategie «Gesund heit2020» als gesundheitspolitisches Regierungsprogramm. Seit zwei Jahren werden dem Parlament etappenweise Reformen unter dem Titel «Gesundheit2020» unterbreitet, die vor allem eins bewirken: Sie treiben die staatliche Planung voran und erhöhen als Folge davon die Kosten.
Management sowie
Kürzlich hatte ich eine Diskussion dazu mit einem jungen englischen Wissen schaftler. Seine Position war «ja», meine war «nein». Ich argumentierte, dass Algorithmen wertvoll seien, da sie mehr Informationen schneller verarbeiten könnten als der Mensch. Aber für die
Prozess- und Schnittstel-
Eine kritische Würdigung aus Sicht einer freiheitlichen Gesundheits
Entscheidungsfindung sollte man sich
lenoptimierung an.
politik ist überfällig – wie das Krankenversicherungswesen beschaffen
nicht abschliessend darauf verlassen.
Auftraggeber sind namhafte
sein müsste und welche Reformen nötig sind, um bei optimaler Quali
Ich erinnerte an die Finanzkrise von
Unternehmen des Schwei
tät zu fairem Preis bestmögliche Angebote für die Versicherten anzu
2008, für die das unkritische Überneh
zer Gesundheitswesens, wie
bieten. Hauptachsen mit Handlungsbedarf sind demnach:
men von Ergebnissen sogenannter
z. B. BAG, KSW, Sanitas,
−− Die Rolle der Kantone muss geklärt werden: Die Kantone besitzen,
«Value at Risk»-Modelle bei Banken mit-
FMH u.v.m. Nach einer personellen Erweiterung bietet das Team nun auch massgeschnei derte Lösungen im Bereich
betreiben und finanzieren Spitäler, sind Arbeitgeber und Aufsichts organe und entscheiden bei Tarifstreitigkeiten. Das verunmöglicht eine faire Preisgestaltung, bläht die Kosten auf und führt Steuergel der in Subventionen ab. −− Die Leistungserbringer sollen sich im freien Wettbewerb behaup
Markt- und Wettbe-
ten. Dies steigert die Qualität, eliminiert ineffiziente Angebote, wirkt
werbsanalysen sowie
kostendämpfend und innovationsfördernd.
verantwortlich gemacht wurde. Gewisse Faktoren lassen sich nicht modellieren, insbesondere wenn sie kontextabhän gig, neuartig oder einzigartig sind. Und solche findet man typischerweise bei wichtigen Entscheidungen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass computergestützte Algorithmen auch
Nachhaltigkeitsmanage-
−− Im ambulanten Bereich ist ein Schritt Richtung mehr Wettbewerb
die Medizin revolutionieren werden. Was
ment an, die aufgrund des
notwendig, indem ein partielles Vertragsmodell eingeführt wird:
der Roboter für die mechanische Arbeit,
zunehmenden Wettbe
Praktizieren in einem Kanton mehr Ärzte bzw. mehr Leistungs
ist der Computeralgorithmus für die
werbsdrucks an Bedeutung
erbringer, als für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung
geistige Arbeit. Ein effizientes, präzises
gewinnen werden.
notwendig ist, kann jeder Versicherer frei entscheiden, mit welchen
und hochwirksames Tool. Es wird auch
Haben Sie eine Herausfor derung in Ihrer Organisation, bei der wir Sie beraten können? Kontaktieren Sie uns! Alfred Angerer
Leistungserbringern und zu welchen Bedingungen er Verträge ver handeln und abschliessen will. Freiräume für Wettbewerb stärken unser Gesundheitssystem und kön nen es verbessern. Dafür setze ich mich als Nationalrat in den gesund heitspolitischen Vorlagen ein.
in 20 Jahren noch Ärzte und Ärztinnen brauchen, die Diagnosen stellen und Therapien vorschlagen. Ein Teil ihrer Arbeit wird ihnen durch Computer algorithmen abgenommen, die so im Idealfall Qualität und Effizienz in der Medizin steigern können.
Management im Gesundheitswesen
Nationalrat Jürg Stahl, ZH
Prof. Dr. Urs Brügger
Vizepräsident des Nationalrates
Institutsleiter WIG
WIG Newsletter 1 / 2015 – Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG KTI-PROJEKTE – EINE CLEVERE ART DER
PRECONDITIONING IN DER LEBERCHIRURGIE – EINE
FORSCHUNGSFINANZIERUNG FÜR UNSERE PRAXIS-
COST-EFFECTIVENESS-STUDIE
PARTNER Die Leber ist ein gut durchblutetes Organ des menschlichen Kör Um eine interessante Art der Finanzierung von Beratungsprojekten
pers. Deshalb können Blutungen mit grossem Blutverlust während
des WIG handelt es sich bei sogenannten KTI-Projekten. Die Kom
eines leberchirurgischen Eingriffs eine schwerwiegende Kompli
mission für Technologie und Innovation (KTI, www.kti.admin.ch)
kation für die Patienten bedeuten. Dass schwere Komplikationen
fördert Forschungsprojekte zwischen Hochschulen und Unterneh
nach grossen Baucheingriffen zu verlängerten Spitalaufenthalten,
men, die einem Marktbedürfnis entsprechen und wirtschaftlichen
Intensivbehandlungen oder gar Re-Operationen führen und da
Erfolg bzw. gesellschaftlichen Mehrwert versprechen. Das Unter
durch hohe Kosten generieren, ist in der Literatur weitestgehend
nehmen finanziert bei einem KTI-Projekt nur einen Cash-Grundbe
beschrieben.
trag von 5% des Auftragsvolumens und leistet ansonsten Arbeits stunden für das Projekt. Die WIG-Forschungsaufwände werden
Ein Team am Universitätsspital Zürich konnte 2008 in einer Studie
somit ausschliesslich von der KTI getragen (siehe Abbildung). So
zeigen, dass eine Verabreichung von Sevoflurane, einem gasförmi
besteht die Möglichkeit, als Unternehmen im Gesundheitswesen
gen Anästhetikum, leberprotektiv wirkt und gesamthaft die Rate
auch Projekte mit einem hohen Projektvolumen im Rahmen eines
an schweren Komplikationen reduziert. Bei diesem sogenannten
Wissenschafts-Praxis-Transfers gemeinsam mit dem MIG-Team
medikamentösen Preconditioning wird dem Patienten vor Abklem
durchzuführen. Zurzeit führt das MIG-Team ein KTI-Projekt zum
men der grossen Lebervene über einen Zeitraum von 30 Minuten
Thema «Lean Hospital Transformation» durch. Ziel des Projekts ist
Sevoflurane verabreicht.
es, ein detailliertes Konzept für Schweizer Spitäler dafür zu erstel len, wie sie Lean Management in ihren Häusern einführen können.
Das Institut für Anästhesie des Universitätsspitals Zürich hat nun
Die Praxispartner bei diesem KTI-Projekt sind die Unternehmens
das Team der Versorgungsforschung am Winterthurer Institut für
beratung walkerproject sowie die Spitalexperten von H+Bildung.
Gesundheitsökonomie beauftragt, den gesundheitsökonomischen
Haben Sie auch eine Forschungsidee? Kontaktieren Sie uns!
Einfluss des pharmakologischen Preconditionings zu untersuchen. Die bereits nachgewiesene klinische Wirksamkeit mit Verminde rung der Komplikationsrate wurde dabei bestätigt und auch die
FINANZIERUNG EINES PROJEKTS DURCH DIE KTI
vorläufigen Zahlen der Kostenwirksamkeits-Studie zeigen einen in % des Projektbudgets
kostenreduzierenden Effekt dieses Verfahrens. Inzwischen wurde dem Team für Versorgungsforschung ein Folgeauftrag erteilt. Hier
Hebelfaktor x 20 100
bei wird untersucht, ob auch das Postconditioning-Verfahren, also die Gabe von Sevoflurane nach Wiedereröffnung der grossen Le
50
bervene, zu reduzierten Kosten führt. Denn mit dem Postconditio ning-Vorgehen konnten die Ärzte am Universitätsspital Zürich einen noch positiveren klinischen Effekt für die Patienten nachweisen. 50
Dr. med. Claudia Twerenbold
45
Versorgungsforschung
5
Benötigtes Gesamtbudget für Projektvorhaben
Lohnkosten WIG-Forscher – durch KTI getragen
Gesamtaufwand Praxispartner
Alfred Angerer Management im Gesundheitswesen
Anteil Praxispartner, als Arbeitsstunden erbracht
Anteil Praxispartner, als Cashbeitrag erbracht
WIG Newsletter 1 / 2015 – Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
WEITERBILDUNG KOSTEN DER KÖRPERLICHEN INAKTIVITÄT
FIRMENSPEZIFISCHE WEITERBILDUNGSPROGRAMME: CUSTOMIZED CERTIFICATE OF ADVANCED STUDIES (CAS)
Körperliche Inaktivität ist ein typisches Verhalten in Wohlstands gesellschaften. Ein durch Bewegungsmangel geprägter Lebensstil
Die Weiterbildungsprogramme des WIG
erhöht das Risiko, an verschiedenen nichtübertragbaren Krankhei
eignen sich unter anderem als Custo
ten zu erkranken. Neben dem persönlichen Leid verursachen diese
mized Weiterbildungsangebote für die
Krankheiten hohe Kosten für die Gesellschaft, einerseits durch die
Mitarbeitenden in Institutionen und Un
direkten medizinischen Kosten bei der Behandlung der Krankheiten
ternehmen im Gesundheitswesen. Das
und andererseits durch Produktivitätsverluste aufgrund krankheits
Kantonsspital Winterthur (KSW) oder die
bedingter Arbeitsausfälle, dauerhafter Arbeitsunfähigkeit oder früh
SUVA Luzern gaben schon vor Jahren
zeitigen Todes. In einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Ge
massgeschneiderte CAS zu Personalführungs- und Management
sundheit hat das WIG die gesellschaftlichen Kosten der körperlichen
thematiken mit speziellem Bezug zum Gesundheitsbereich beim
Inaktivität in der Schweiz ermittelt.
Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie WIG in Auftrag.
Gemäss der Studie gilt als körperlich inaktiv, wer die aktuellen
In solchen Weiterbildungen wird teilweise buchstäblich die «Eier
Bewegungsempfehlungen nicht erfüllt: pro Woche mindestens 2,5
legende Wollmilchsau» geschaffen: Die Unternehmen erhalten ein
Stunden körperliche Aktivität mit mittlerer Intensität oder 1,25 Stun
europaweit anerkanntes Weiterbildungsangebot auf Hochschul
den Sport mit hoher Intensität. Anhand der relativen Erkrankungs
niveau, ihre Mitarbeitenden ein Zertifikat oder ein Diplom zum er
risiken und der Prävalenz der körperlichen Inaktivität wurden zuerst
folgreichen Abschluss sowie die Option zur Weiterführung in den
die «population attributable fractions» (PAFs) berechnet. Die PAFs
übergreifenden Studienprogrammen des MAS in Managed Health
entsprechen dem Anteil der Krankheitslast, der durch körperliche
Care oder des DAS Case Management & Recht. Zugleich werden
Inaktivität verursacht wird. Anschliessend wurden die PAFs auf die
inhaltlich unternehmensspezifische Fragestellungen bei der Erbrin
Krankheitskosten in der Gesamtbevölkerung übertragen, um die
gung der Leistungsnachweise aufgegriffen oder Projektarbeiten
durch körperliche Inaktivität verursachten Kosten zu schätzen.
können durch die Auftraggebenden direkt begleitet und in den firmenspezifischen Kontext gestellt werden. Die Erfahrungen zei
27,5% der erwachsenen Schweizer Bevölkerung sind körperlich
gen, dass solche Weiterbildungsangebote als Mitarbeiterförde
inaktiv. Im Jahr 2011 verursachte körperliche Inaktivität in der
rungs- und Entwicklungsinstrumente von Unternehmen und deren
Schweiz über 300 000 Krankheitsfälle und über 1 100 Todesfälle.
Mitarbeitenden geschätzt werden. Es ist für die Teilnehmenden
Die damit verbundenen direkten medizinischen Kosten betrugen
motivierend und wird als wertschätzend erachtet, von der Arbeit
1,2 Milliarden Franken oder 1,8% der gesamten Gesundheitsaus
geberin für eine Fortbildung ausgewählt und an der School of Ma
gaben. 29% dieser Kosten sind auf kardiovaskuläre Krankheiten
nagement and Law der ZHAW für diese zugelassen zu werden.
zurückzuführen, 28% auf Rückenschmerz, 26% auf Depression und die restlichen 16% auf Osteoporose, Diabetes Typ 2, Adiposi
Mitarbeitende vernetzen sich bereits während der Weiterbildung
tas, Kolonkarzinom und Brustkrebs. Die Produktivitätsverluste la
innerhalb der Institution gezielter oder neu. Ebenso entstehen zwi
gen bei 1,4 Milliarden Franken und wurden hauptsächlich durch
schen den Partnerunternehmen und dem WIG vorteilhafte Oppor
Rückenschmerz (47%), Depression (28%) und die kardiovaskulä
tunitäten. Absolvierende eignen sich später hervorragend als zen
ren Krankheiten (14%) verursacht. Die Studie zeigt, dass die kör
trale Ansprechpersonen zur Lösungssuche in anspruchsvollen
perliche Inaktivität eine grosse Last für die Gesellschaft darstellt.
Situationen und bei Beratungsprojekten; sie orientieren sich auf
Neben den kardiovaskulären Krankheiten tragen Rückenschmerz
grund des fachlich und persönlich erweiterten Horizonts in kriti
und Depression massgeblich zu den Kosten bei. Folglich erschei
schen Sachlagen umsichtig und sehr zielführend.
nen Interventionen zur Reduktion der körperlichen Inaktivität als vielversprechend. Zukünftige Studien sollten diese Interventionen
Seit wenigen Wochen begrüssen wir unsere neue Customized
hinsichtlich Wirksamkeit sowie Kostenwirksamkeit untersuchen.
Partnerin, die Schweizerische Epilepsiestiftung, mit allen ihren an geschlossenen Stiftungsbetrieben, vorab die Klinik Lengg.
Renato Mattli Gesundheitsökonomische Forschung
Esther Furrer-Buholzer Studienleiterin MAS in Managed Health Care
WIG Newsletter 1 / 2015 – Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
DIES UND DAS NEUE MITARBEITENDE
KONTAKT ADRESSE ZHAW Zürcher Hochschule für
Christina Tzogiou ergänzt seit Oktober das Team
Angewandte Wissenschaften
der gesundheitsökonomischen Forschung als wis
School of Management and Law
senschaftliche Mitarbeiterin. Zuvor war sie als VWL-
Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie
Masterstudentin an der HSG im St. Gallen MBA
Gertrudstrasse 15
und im Schweizerischen Institut für Aussenwirt
Postfach
schaft und Angewandte Wirtschaftsforschung SIAW-HSG tätig.
8401 Winterthur wig@zhaw.ch
PD Dr. Florian Drevs ergänzt seit November
www.wig.zhaw.ch
2014 das Team Management im Gesundheits wesen als Projektleiter mit seinen Kompetenzen
LEITUNG
im Bereich Marketing und optimale Service- und
Urs Brügger, Prof. Dr. oec.
Produktgestaltung im Gesundheitswesen, die er
Telefon +41 58 934 77 39
während seiner Promotion und seiner Habilitation an der Univer
urs.bruegger@zhaw.ch
sität Freiburg (Deutschland) sowie in zahlreichen Beratungspro jekten aufgebaut hat.
SEKRETARIAT Sandra Wüthrich
Dr. med. Claudia Twerenbold ergänzt seit Januar
Telefon +41 58 934 78 97
das Team der Versorgungsforschung. Sie ist
sandra.wuethrich@zhaw.ch
Fachärztin für Chirurgie und ausgebildete Notfall medizinerin. Nach 12-jähriger klinischer Tätigkeit als Chirurgin bildet sie sich seit Januar 2014 im MAS-Weiterbildungsstudiengang der ZHAW «Managed Health Care» weiter. Seit Februar 2015 arbeitet Eva Hollenstein als Praktikantin im Bereich Management im Gesund heitswesen des WIG. Nach dem Studium in Ge sundheitswissenschaften möchte sie nun prakti sche Erfahrungen sammeln. Seit März 2015 arbeitet Cassandra Waech als wissenschaftliche Mitarbeiterin am WIG. Nach dem Studium in Bewegungswissenschaften an der ETH Zürich war sie in der Lehre und im be trieblichen Gesundheitsmanagement tätig und ist nun Teil des Teams Weiterbildung am WIG. Seit April 2015 arbeitet Nicole Sacher im Insti tutssekretariat und ist für die Geschäftsstelle Swiss Insurance Medicine (SIM) tätig. Nach mehr jähriger Berufstätigkeit in verschiedenen kaufmän nischen Bereichen arbeitete sie auch einige Jahre in der ZHAW im Zentrum für Kulturmanagement sowie im Be reich Public Sector.
CAS Certificate of Advanced Studies Management im Gesundheitswesen KSW 2015 Von der Wirksamkeit zur Wirtschaftlichkeit. Crossing Borders.
Customized für KSW Mehr dazu im Artikel «Weiterbildung» auf Seite 3 in dieser Ausgabe.