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ASYL IN TRIBSCHEN

VON SIGFRIED SCHIBLI

Gibt es etwas Deutscheres als die Musik von Richard Wagner? Geboren in Leipzig und aufgewachsen in Dresden, ist Wagner aufs Engste mit dem Festspielhaus und den Festspielen im fränkischen Bayreuth verbunden. Dort wurde 1876 sein vierteiliger Ring des Nibelungen uraufgeführt. Trotz dieser Fixierung auf Deutschland hatte Wagner intensive

Kontakte zur Schweiz. Nachdem er sich 1849 am Dresdner Maiaufstand beteiligt hatte, floh er als politisch Verfolgter nach Zürich, wo er bis August 1858 seinen Wohnsitz hatte. Da Wagner viel und gern reiste, können sich etliche Schweizer Orte rühmen, einen Platz in seiner Biografie zu haben. Ganz besonders gilt das für Tribschen am Vierwaldstättersee. Dort mietete

Wagner am 4. April 1866 eine stattliche Villa, die bis heute mit seinem Namen verbunden ist.

Seinem Gönner König Ludwig II. schrieb er: «Wohin ich mich aus meinem Hause wende, bin ich von einer wahren Wunderwelt umgeben: ich kenne keinen schöneren Ort dieser Welt, keinen heimischeren als diesen.» Zwei Jahre später zog seine Ge liebte Cosima von Bülow, Tochter von Franz Liszt und Marie d’Agoult, bei ihm ein. In Tribschen komponierte Wagner den 3. Aufzug von Siegfried, dessen Text er in Zürich geschrieben hatte. Viel Schweiz also in einem sehr deutschen Künstlerleben!

Um das Wagner­Haus in Tribschen bei Luzern ranken sich zahlreiche Erinnerungen und Anekdoten. In ihren Tagebüchern erzählt Cosima Wagner, wie Richard und sie mit den gemeinsamen Kindern Eva und Isolde Weihnachten feierten, wie Wagner ihr aus seinem Aufsatz über das Judentum in der Musik vorlas und sie am Fortgang seiner Kompositionen teilhaben liess. Ihre beiden älteren Töchter Daniela und Blandine blieben vorerst beim Vater Hans von Bülow in München. Cosima litt unter der Trennung, bekannte sich aber voll zu ihrer neuen Beziehung und ihrem neuen Wohnsitz. Die Heirat mit Wagner fand im Juli 1870 in Luzern statt, nachdem Cosimas Ehe mit Hans von Bülow rechtmässig geschieden war.

Schon 1869 lag die Gefahr eines Krieges mit Frankreich in der Luft, und Cosima zitiert Richard mit den besorgten Worten: «Es würde bestimmt dieses Jahr zum Kriege kommen. Wie lange wird uns die Tribschner Ruhe noch beschieden sein?» Einen Eindruck von dieser Ruhe und Beschaulichkeit gibt ein Tagebucheintrag Cosimas vom 13. Januar 1869: «Einsamer Spaziergang nach Tisch; ein Nebel­ und Sonnenspiel lässt die gegenüber liegenden Ufer wie ein Traumbild erscheinen, die Bäume, von Reif bedeckt, begrüssen mich wie freundlich sanfte Geister; der Pilatus, mit einem goldenen Wolken­Schein umgeben, ist wie der erhabene König dieser Traumwelt.»

Die Arbeit am Siegfried kam in Tribschen gut voran, und als am 6. Juni 1869 das dritte Kind von Cosima und Richard zur Welt kam, war es keine Frage, dass es ebenfalls Siegfried heissen sollte. Der kränk liche Knabe entsprach nicht unbedingt dem Klischee des Helden Siegfried, aber aus ihm wurde später der fruchtbare Komponist Siegfried Wagner. «Der schönste Sommer, dessen ich mich entsinnen kann, hat Siegfried hervorgebracht», notierte Cosima am 6. August 1869. Damit meinte sie wohl gleichermassen die Oper und das Söhnlein! Ebenfalls mit Tribschen verbunden ist das Siegfried­Idyll, bestehend aus Motiven aus Siegfried und Götterdämmerung, mit welchem Wagner seiner Cosima an Weihnachten 1870 zum 33. Geburtstag gratulierte. Die Familie Wagner lebte noch bis April 1872 in Tribschen und zog von dort weiter nach Bayreuth, wo Wagner sich dem Bau des Festspielhauses und der Vorbereitung seiner Ring ­Tetralogie bei den erstmals durchgeführten Festspielen widmete. Nach Wagners Abreise diente das Patrizierhaus in Tribschen seinen Familienangehörigen als Sommerwohnsitz; es ging 1931 ins Eigentum der Stadt Luzern über und wurde 1933 als Wagner­Museum eröffnet. Mit seinen zahlreichen Gemälden, Einrichtungsgegenständen und Erinnerungsstücken erinnert es lebhaft an Wagners glückliche Jahre in Luzern. Einer der ‹Väter› dieses Museums und der Wagner­Pflege in der Schweiz war der Basler Musiker und Goldschmied Adolf Zinsstag (1878–1965). Zu den Kundinnen des musikbegabten Goldschmieds von der Basler Gerbergasse gehörte keine Geringere als Cosima Wagner.

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