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von Sigfried Schibli
STRAWINSKY, RUNDFUNK, BERLIN
VON SIGFRIED SCHIBLI Das junge Medium Rundfunk bediente bereits im frühen 20. Jahrhundert nicht nur das Bedürfnis weiter Kreise nach gängiger, populärer Musik. Es war darüber hinaus ein produktiver Faktor in der Entwicklung und Durchsetzung der zeitgenössischen Musik. So gab es in den 20er-Jahren ‹Funkopern›, die nicht für die Aufführung in einem Theater gedacht waren, sondern für die Ausstrahlung im Radio. Das wohl bemerkenswerteste Werk dieser Art ist das RadioLehrstück Der Lindberghflug (späterer Titel: Der Ozeanflug) von Bert Brecht und Kurt Weill. Auch die
Instrumentalmusik profitierte von den neuen Medien Radio und Schallplatte.
So hat Paul Hindemith mit seinen Kammermusiken Werke für die Gegebenheiten des Rundfunks komponiert und ausserdem ‹grammophonplatteneigene Musik› geschaffen – Musik, die nicht allzu lang, in der Konstruktion nicht zu komplex, im Klang nicht zu filigran und damit den akustischen Besonderheiten der jungen Medien Radio und Schallplatte angepasst war.
Von daher ist es eher überraschend, dass ein so differenziertes Werk wie Igor Strawinskys Violinkonzerts Concerto en ré 1931 nicht in einem Konzertsaal, sondern im Berliner Haus des Rundfunks uraufgeführt wurde. Denn bei diesem Werk handelt es sich ja nicht um ein pädagogisches Stück Laienmusik und nicht um ein politisch tagesaktuelles Werk, sondern um ein ausgeprägtes Konzertwerk – ‹Opus-Musik› sozusagen. Aber der Rundfunk wollte die Brücken zur Welt der öffentlichen Sinfoniekonzerte nicht abbrechen und nutzte seine Möglichkeiten der massenhaften Verbreitung anspruchsvoller Musik, indem er häufig Aufnahmen aus Konzertsälen ausstrahlte (wie er das ja bis heute tut). Ausserdem machten die fortschrittlichen Sender
Haus des Rundfunks, Berlin (1932)
in ihren eigenen Studios gern Musikaufnahmen unter optimalen akustischen Bedingungen.
So auch im Berliner Haus des Rundfunks. Dieses wurde im Auftrag der ReichsRundfunk-Gesellschaft 1929–1931 vom Architekten Hans Poelzig, der dem Bauhaus nahestand, entworfen und gebaut und gilt als ältestes eigenständiges Funkhaus der Erde. Zu den Vorgaben für den Architekten gehörte die Planung von zwei Sendesälen. Im grösseren Saal fand am 23. Oktober 1931 die Uraufführung des Violinkonzerts Concerto en ré von Igor Strawinsky statt. Strawinskys Erfahrungen mit diesem Saal waren so positiv, dass er ein Jahr später am selben Ort auch sein Duo concertant für Violine und Klavier – wiederum mit dem Geiger Samuel Dushkin – zur Uraufführung brachte.
Das im Januar 1931 eröffnete Haus des Rundfunks in Berlin-Charlottenburg ist eine architektonische Ikone der Neuen Sachlichkeit. Entlang der Masurenallee erstreckt sich die über 150 Meter lange Hauptfassade mit glasierten Keramikplatten und Klinkern. Geschickt ordnete Poelzig die Redaktionsräume und Büros an den geschwungenen Aussenseiten des Gebäudes an, sodass die Sendesäle im Inneren zu liegen kamen und dadurch vor dem Verkehrslärm geschützt waren. Visionär war nicht nur die schiffsähnliche Form des Gebäudes, sondern auch die Akustik der Sendesäle. Diese verfügen über Wandverkleidungen mit umklappbaren Schalltafeln. Sie können den Schall je nach Notwendigkeit entweder reflektieren oder schlucken. Übrigens wurde in den 1930er-Jahren von hier aus das erste reguläre deutsche Fernsehprogramm gesendet. Zwei Jahre nach der Fertigstellung des Bauwerks zog der von den Nationalsozialisten kontrollierte ‹Grossdeutsche Rundfunk› ein, und von hier aus wurde 1949 die Deutsche Demokratische Republik ausgerufen. Bis 1950 sendete der Berliner Rundfunk als Sprachrohr des sozialistischen ‹Arbeiter- und Bauernstaates› aus dem Funkhaus an der Masurenallee, das im britischen Sektor der Stadt lag. 1957 zog der Sender Freies Berlin dort ein. Der nahe Adolf-Hitler-Platz wurde später nach dem ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland in TheodorHeuss-Platz umbenannt. Heute ist das Haus des Rundfunks Sitz des Rundfunks BerlinBrandenburg (RBB). Nachdem der denkmalgeschützte Gebäudekomplex 2013 umfassend restauriert worden ist, präsentiert er sich heute wieder weitgehend in der Originalgestalt, viel bewundert und bestaunt von an klassisch-moderner Architektur Interessierten.