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Szilárd Buti, Schlagzeug
DER RHYTHMUS ALS URKRAFT
VON LEA VATERLAUS Szilárd Buti stammt aus dem ungarischen Marcali und erhielt seinen ersten klassischen Schlagzeugunterricht bei Zsolt Sárkány. Mit 14 Jahren kam er in der westungarischen Stadt Szombathely auf das dortige Musikgymnasium, wo er von Magdolna Szarvas unterrichtet wurde. Die Stadt Basel lernte er im Alter von 17 Jahren bei einer Europareise mit seinem Schlagzeugensemble kennen. Der Ungar überzeugte den damaligen Professor für Perkussion der Musik-Akademie Basel bei einem privaten Vorspiel so sehr, dass dieser ihn ermunterte, sich für die Basler Aufnahmeprüfung anzumelden. Sein Studium absolvierte der Schlagzeuger in der Folge zunächst in Basel und später in München bei Professor Peter Sadlo, bevor er 2005 als festes Mitglied des Sinfonieorchesters Basel in die Schweiz zurückkehrte.
LV Szilárd Buti, die letzten Opernproduktionen des Sinfonieorchesters Basel am Theater Basel forderten Euch
Schlagzeuger: Sowohl bei Messiaens
Saint François d’Assise als auch bei
Schostakowitschs Die Nase und aktuell bei Strauss’ Salome habt Ihr ziemlich grosse Solopartien. SB Ja, diese Werke sind für uns viel spannender als eine Verdi-Oper, wo meist nur die Pauke mitspielen darf. Bei Saint François d’Assise spielte ich ‹Mallets›, also Stabspiele, zu denen unter anderem das Marimbafon, das Xylofon, das Glockenspiel und das Vibrafon gehören. In diesem Stück gibt es drei Solostimmen, die rhythmisch absolut gleich sind und durch das ganze Stück immer wieder vorkommen. Das braucht eine unglaubliche Konzentration und feinstes Zusammenspiel auf höchstem Niveau. Mit meinen beiden Orchesterkollegen Robin Fourmeau und Mirco Huser hat mir diese Herausforderung aber grossen Spass gemacht. Die Nase erlebte ich beim Sinfonieorchester Basel bereits vor achtzehn Jahren – das ist ein wunderbares Stück! Ich bin von meinem Charakter her ein Kammermusiktyp, und wenn zehn Schlagzeuger gemeinsam ein siebenminütiges Solo haben, ist das grossartig.
LV Braucht es da eine enge Verbindung innerhalb des Registers? SB Wir Schlagzeuger sind wie eine Familie. Wir sind Freunde und Arbeitskollegen gleichzeitig und unternehmen neben den Orchesterprojekten auch viel privat zusammen. Dabei haben sich mittlerweile schon traditionelle Anlässe etabliert: FondueAbend im Gartenhüsli bei Domenico, Ungarische Wurst bei mir in der Garage, Poolpartys bei Robin oder Gokart-Fahren im Elsass. Besser könnte ich mir unser Verhältnis nicht vorstellen. Wenn das Perkussionsregister wie bei Schostakowitschs Nase gross besetzt ist, brauchen wir natürlich Zuzüger*innen. Diese kennen wir durch gemeinsame Projekte aber auch schon über Jahre hinweg, und alle wissen, dass auch die schwierigsten Stellen gemeinsam gut funktionieren. Es ist schön, sich da absolut keine Gedanken machen zu müssen!
LV Die Orchestermitglieder Domenico
Melchiorre, Robin Fourmeau, Pablo
Aparicio und Mirco Huser bilden gemeinsam mit Dir das Schlagzeugensemble ‹DeciBells›. Wie kam die
Gruppe zustande? SB Eigentlich steckt dahinter eine längere Geschichte – ich kenne Domenico noch aus der Studienzeit und habe damals bereits viele Projekte mit ihm gespielt. Zwischen uns hat es musikalisch schon immer gut funktioniert. Als wir beide frisch beim Sinfonieorchester Basel waren, führte uns Siegfried Kutterer, mein damaliger Mentor beim Orchester, in die Schlagzeugszene in Basel ein. Siegfrieds musikalische Welt und seine Kompositionen waren sehr von seiner langjährigen Forschungszeit in Indien geprägt. Als Trio ‹Madras Curry› spielten wir oft zusammen – ich glaube, der Name ist bei einem heiteren Abendessen in der Kneipe entstanden. Eine Zusammenarbeit mit dem Basler Jazztrio ‹Vein› führte uns 2012 dann tatsächlich nach Indien – an das Hindu November Fest in Chennai, was ein grosses Erlebnis war. Aus dem ‹Madras Curry› wurde schliesslich das Ensemble ‹DeciBells›, zu dem jetzt auch die ‹jüngeren› Mitglieder des Schlagzeugregisters, Mirco Huser, Robin Fourmeau und Pablo Aparicio gehören. Das Zustandekommen dieses Ensembles ist wirklich eine der besten Erfahrungen, die ich hier beim Sinfonieorchester Basel gemacht habe – und unsere Gruppe blüht zurzeit!
LV Wie plant Ihr Eure eigenen Konzerte inmitten der vielen Orchestereinsätze? SB Es ist wirklich schwierig! Wir achten darauf, dass möglichst alle Mitglieder des Ensembles frei haben und dabei sein können. Am einfachsten für die Planung ist es, wenn wir als Ensemble innerhalb des Konzertprogramms des Sinfonieorchesters Basel auftreten dürfen – wie etwa bei der Eröffnung des Stadtcasinos Basel im August 2020, bei der wir Domenicos Komposition
Ensemble ‹DeciBells› mit Mitgliedern des Sinfonieorchesters Basel
Sphaira uraufführten, oder beim Picknickkonzert im Museum der Kulturen im vergangenen August.
LV Mit dem Ensemble ‹DeciBells› führt
Ihr vor allem zeitgenössische Werke auf. Ist das Repertoire für Schlagzeuger*innen da am grössten? SB Für uns ist die moderne und zeitgenössische Literatur am reichsten, ja. Insbesondere während der letzten fünfzig Jahre wurde sehr viel für Schlagzeug komponiert. Während des Studiums habe ich auf den Melodieinstrumenten Xylofon, Marimba oder Vibrafon aber viel ‹ältere› Musik gespielt. Es ist natürlich nicht gerade einfach, eine Cellosuite von Bach auf der Marimba zu spielen, mit dieser Musik lernt man aber sehr viel über die eigene Körpersprache, die Gestik und die eigene musikalische Vorstellung – viel mehr als bei der zeitgenössischen Musik.
LV Wurdest Du schon von Beginn an
‹klassisch› erzogen? SB Ich hatte das Glück, in Marcali einen sehr guten Lehrer gehabt zu haben, der selbst im erfolgreichen klassischen Schlagzeugensemble ‹Amadinda› gespielt hatte. Durch ihn entstand in mir diese Leidenschaft für die Klänge und Rhythmen der Schlagzeugwelt. Während meiner Ausbildung berührte ich das Drumset kaum, jahrelang spielte ich nur eine einzige kleine Trommel. In Szombathely war meine Lehrerin ebenfalls klassisch ausgebildet. Im Alter von fünfzehn Jahren erlebte ich das erste Mal überhaupt ein Konzert mit Sinfonieorchester, was mir eine neue Welt eröffnete. Ich entdeckte, wie unterschiedlich ein einziger Triangel- oder Beckenschlag im Orchester klingen kann.
LV Du hättest also auch beim Jazz oder bei der Populärmusik landen können? SB Ja, absolut! Vielleicht, wenn ich eine Lehrperson mit einer solchen Ausbildung gehabt hätte. Ich hatte aber nie die Gelegenheit, mich intensiv in eine dieser Musikrichtungen einzuarbeiten. Es gab damals in Ungarn wenige Schulen für diese Richtungen – obwohl es mich ebenfalls sehr interessiert hätte. Das Drumset spiele ich immer wieder ‹hobbymässig›, und wenn das Instrument in der Orchesterbesetzung vorkommt, wie momentan bei Kurt Weills Musical Lady in the Dark am Theater Basel, übernehme ich die Stimme sehr gerne.
LV Was ist für Dich wichtiger: Rhythmus oder Melodie? SB Rhythmus! Was könnte ich als Schlagzeuger sonst sagen! (lacht) Für mich ist der Rhythmus aber stets auch Melodie – bereits der Beat einer Baumaschine fasziniert mich. Ein Rhythmus hat etwas Gewaltiges; eine Urkraft, die wirkt wie ein Feuer: Man starrt es gefesselt an und verliert sich dabei. So erlebe ich das im Orchester auch, sei es das hauchdünne Pulsieren der Anfangstakte in Ravels Boléro oder die gigantische Trommelstimme in Strawinskys Le sacre du printemps, die nahezu die Erde aufreisst.
LV Hast Du einen Bezug zur ungarischen
Musik? SB Ich bin ein grosser Fan von Volksmusik. Dazu gehört auch die ungarische, der ich mich besonders nahe verbunden fühle. Es fasziniert mich besonders, wenn Elemente der Volksmusik in Kompositionen miteinbezogen werden. Wenn ich Bartók oder Kodály spiele, geniesse ich die bekannten Melodien meiner Kindheit sowie den vertrauten Rhythmus und fühle mich sofort zu Hause.
«Ich habe selbst beim kleinsten Triangelwirbel den Anspruch und die Leidenschaft, den perfekten Klang zu suchen.»
LV Manchmal habt Ihr zwischen zwei
Einsätzen innerhalb eines Stücks viele Takte Pause. Wie bleibst Du fokussiert? SB Ich bin immer bei der Musik und achte darauf, dass ich nicht abschweife. Oft ist das Schwierigste an unserem Beruf, nach einer halben Stunde einen Einsatz zu haben, der technisch und musikalisch sehr anspruchsvoll ist. Man kann sich also in der Pause davor nicht darum kümmern, was man am nächsten Tag für die Kinder kochen möchte – obwohl der Aspekt des Kochens einen grossen Teil meines Alltags eingenommen hat, seit ich Vater bin. (lacht) Manchmal wirken wir Schlagzeuger*innen nur als Klangfarbe, in anderen Momenten müssen wir das Orchester aber plötzlich rhythmisch führen. Ich versuche gedanklich immer beim Stück zu bleiben, damit ich für meinen Einsatz bereit bin und alles geben kann. Auch nach 17 Jahren beim Sinfonieorchester Basel habe ich immer noch den Anspruch und die Leidenschaft, selbst beim kleinsten Triangelwirbel den perfekten Klang zu suchen.
LV Szilárd Buti, herzlichen Dank für das Gespräch!