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Gabriela Montero

VON CHRISTA SIGG Die Musikalität steckt ihr in den Genen. Das ist ein Geschenk, kann aber auch ziemlich nervig sein, bekennt Gabriela Montero. Dauernd rauschen ihr Melodien durch den Kopf, ja selbst komplette Sonaten und Konzerte. Dabei ist die Pianistin ganz von dieser Welt, sie pendelt lässig zwischen Klavier, Familie und ihren Kompositionen. Und jault zwischendrin der Hund nach Aufmerksamkeit, bringt sie auch den humorvoll zur Ruhe, um dann wieder leidenschaftlich über Talent und Arbeit, über die schwierige Beziehung zu ihrer Heimat Venezuela und die Lust auf Basel zu sprechen.

CS Frau Montero, Sie werden fast immer als Improvisationskünstlerin angekündigt. Das klingt ein bisschen nach Zirkus und Artistik, stört Sie das? GM Ja, schon. Dabei war das zu Zeiten von Mozart, Beethoven, Liszt oder Chopin ganz normal. Wenn sie am Klavier improvisiert haben, wurde das als Weiterführung ihrer Komposition angesehen. Das sind keine Tricks oder Trapeznummern, da entsteht eine spontane Komposition nur für den Moment. Man sollte diese durchaus komplexe Sache nicht unterschätzen.

CS Viele klassische Musikerinnen und Musiker haben regelrecht Panik vor einer Improvisation. GM Unser Konzertverständnis sieht diese Freiheiten auch nicht vor. In der Welt des Jazz ist das völlig anders, deshalb mag ich ihn ganz besonders. Improvisieren hat aber auch viel mit Veranlagung zu tun, und wie soll man etwas lernen oder lehren, das noch gar nicht existiert? Wenn man über die geschriebene Partitur hinausgeht, wird die Sprache sehr persönlich, ja intim. CS Wann haben Sie damit angefangen? GM Ich improvisiere von klein auf, für mich war das so selbstverständlich wie zu gehen. Am Klavier begann ich dann zu erzählen, wie ich mich fühle, wie mein Tag war, dass mich mein kleiner Bruder geärgert hat. Auf der anderen Seite habe ich eine Partitur immer so gespielt, wie sie geschrieben ist. Ich respektiere die Absicht des Komponisten. Bei den Kadenzen ist das dann etwas anderes, da darf und soll man fantasieren. Es gibt keine Regeln – genau das gefällt mir!

CS Sie gehen auf Ihr Publikum ein. In Basel erinnert man sich jedenfalls gerne an Ihre Variationen über

Z’Basel an mym Rhy. GM Wenn mir das Publikum ein typisches lokales Lied vorschlägt, ist das sehr berührend. Ich weiss ja nicht, worum es da geht. Aber wenn ich anfange zu improvisieren, stellt sich eine tiefe emotionale Verbindung mit den Menschen ein. Ich spüre, dass ich an eine Tradition rühre, und es kann sein, dass am Ende etwas völlig anderes herauskommt. Ich bin eben ein Girl aus Venezuela!

CS Kennen Sie Basel? GM Kaum. Vor der Pandemie war mein Konzertleben so verrückt, dass ich für nichts Zeit hatte. Aber das wird sich jetzt hoffentlich ändern. Die Stadt ist schön, das habe ich immerhin mitbekommen.

CS Was bedeutet es, ‹Artist in Residence› zu sein? GM Das ist die Gelegenheit, ein Publikum besser kennenzulernen, auch die Musikszene einer Stadt – und natürlich das Orchester. Ich hatte schon ein paar Mal das Glück solcher ‹Residences›, das sind die intensivsten Momente in einer Musikerinnenkarriere. Egal, ob ich am Klavier sitze oder mich meinem Publikum im Gespräch stelle. Man darf mich dann auch als Menschenrechtsaktivistin erleben.

CS Rock- und Popmusiker sind häufig politisch engagiert, in der Klassikszene ist das eher die Ausnahme. GM Stimmt, man spricht nicht gerne über Politik. Aber was in Venezuela passiert, geht weit über die Politik hinaus und ist ein menschliches Desaster. Wenn das eigene Land Opfer einer Polit-Mafia ist und alles zusammenbricht, gibt es keine Entschuldigung mehr, sich nicht einzumischen. Ich bin Künstlerin und Musikerin, aber zuallererst ein Mensch. Über fünf Millionen meiner Landsleute sind bereits aus Venezuela geflohen. Familien

CS Das Publikum von klassischen Konzerten kennt vor allem die jungen leidenschaftlichen Talente, die mit dem Simón Bolívar Youth Orchestra durch die Welt touren. GM Aber genau so entsteht der Eindruck, in Venezuela sei alles okay. Gut, sie sind vielleicht arm, denkt man hier, aber der Spirit ist doch grossartig. Dieses Orchester ist das beste Beispiel, wie sich die Kunst bereitwillig in eine Propagandamaschinerie einfügt. Das dürfen wir nicht akzeptieren.

CS Sie engagieren sich selbst mit Ihrer Musik. GM Mit Ex patria habe ich 2011 ein ziemlich heftiges Stück geschrieben, das genauso ist wie das Land. Ich habe es den vielen Opfern in meiner Heimat gewidmet. In Basel spiele ich allerdings mein Latin Concerto von 2016. Es erzählt von der Schönheit und Sinnlichkeit Lateinamerikas, aber es gibt auch einige dunkle Stellen. Alles hat zwei Seiten.

CS Stimmt es, dass Sie mindestens so wenig üben wie

Artur Rubinstein? GM Es gibt solche Phasen. Aber vor Konzerten bleibt mir gar nichts anderes übrig, als das Repertoire intensiv zu üben. Damit wissen Sie, was ich die letzten Monate gemacht habe … Allerdings habe ich auch die Zeit zum Komponieren genutzt und war viel mit der Familie zusammen. Abstand vom Instrument tut zwischendurch gut. Man kommt mit neuer Energie wieder zurück. Es kribbelt schon.

CS Was komponieren Sie gerade? GM Ich arbeite an Präludien fürs Klavier. Der Rhythmus spielt eine grosse Rolle – wie überhaupt bei allem, was ich komponiere. Doch, die Präludien sind echt verrückt.

CS Wird man sie in Basel hören? GM Wir werden sehen, ich schreibe ja noch. Das geht im Kopf immer weiter, auch die Musik, die ich gerade spiele.

CS Macht diese Endlosschleife im Kopf nicht wahnsinnig? GM Und wie! Ich bin aber nicht verrückt, sondern ziemlich normal. Es ist wirklich, als hätte ich im Kopf ein Radio, das dauernd läuft. Nachts wache ich davon auf – besonders in Konzertperioden. Es wäre schön, ein bisschen Ruhe zu haben, aber ich kann meinen Kopf doch nicht abschrauben.

WERKE MIT GABRIELA MONTERO ERKLINGEN AN FOLGENDEN KONZERTEN:

Sinfoniekonzert ‹Dialog› Mi, 1. September 2021, 19.30 Uhr Do, 2. September 2021, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal → S. 11

Extrakonzert ‹Culturescapes› Sa, 25. September 2021, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal → S. 33